Western Legenden 69: Die Mathematik des Bleis - Marco Theiss - E-Book

Western Legenden 69: Die Mathematik des Bleis E-Book

Marco Theiss

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Beschreibung

William Burton hat seine Legende im Wilden Westen in Blut und Blei geschrieben, bevor er Sheriff eines beschaulichen Städtchens im Süden des Arizona-Territoriums wurde. Hier will er endlich mit seiner Vergangenheit abzuschließen. Eines Tages taucht der gefürchtete Revolverheld Jack Holden in der Stadt auf. Aus Liebe zu einer Frau versucht auch er, eine friedliche Zukunft für sich aufzubauen. Doch seine blutige Vergangenheit klebt weiter an ihm. Denn in der Mathematik des Bleis zählen keine Gefühle. Nur kalte, harte Fakten.

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In dieser Reihe bisher erschienen

9001  Werner J. Egli Delgado, der Apache9002  Alfred Wallon Keine Chance für Chato9003  Mark L. Wood Die Gefangene der Apachen9004  Werner J. Egli Wie Wölfe aus den Bergen9005  Dietmar Kuegler Tombstone9006  Werner J. Egli Der Pfad zum Sonnenaufgang9007  Werner J. Egli Die Fährte zwischen Leben und Tod9008  Werner J. Egli La Vengadora, die Rächerin9009  Dietmar Kuegler Die Vigilanten von Montana9010  Thomas Ostwald Blutiges Kansas9011  R. S. Stone Der Marshal von Cow Springs9012  Dietmar Kuegler Kriegstrommeln am Mohawk9013  Andreas Zwengel Die spanische Expedition9014  Andreas Zwengel Pakt der Rivalen9015  Andreas Zwengel Schlechte Verlierer9016  R. S. Stone Aufbruch der Verlorenen9017  Dietmar Kuegler Der letzte Rebell9018  R. S. Stone Walkers Rückkehr9019  Leslie West Das Königreich im Michigansee9020  R. S. Stone Die Hand am Colt9021  Dietmar Kuegler San Pedro River9022  Alex Mann Nur der Fluss war zwischen ihnen9023  Dietmar Kuegler Alamo - Der Kampf um Texas9024  Alfred Wallon Das Goliad-Massaker9025  R. S. Stone Blutiger Winter9026  R. S. Stone Der Damm von Baxter Ridge9027  Alex Mann Dreitausend Rinder9028  R. S. Stone Schwarzes Gold9029  R. S. Stone Schmutziger Job9030  Peter Dubina Bronco Canyon9031  Alfred Wallon Butch Cassidy wird gejagt9032  Alex Mann Die verlorene Patrouille9033  Anton Serkalow Blaine Williams - Das Gesetz der Rache9034  Alfred Wallon Kampf am Schienenstrang9035  Alex Mann Mexico Marshal9036  Alex Mann Der Rodeochampion9037  R. S. Stone Vierzig Tage9038  Alex Mann Die gejagten Zwei9039  Peter Dubina Teufel der weißen Berge9040  Peter Dubina Brennende Lager9041  Peter Dubina Kampf bis zur letzten Patrone9042  Dietmar Kuegler Der Scout und der General9043  Alfred Wallon Der El-Paso-Salzkrieg9044  Dietmar Kuegler Ein freier Mann9045  Alex Mann Ein aufrechter Mann9046  Peter Dubina Gefährliche Fracht9047  Alex Mann Kalte Fährten9048  Leslie West Ein Eden für Männer9049  Alfred Wallon Tod in Montana9050  Alfred Wallon Das Ende der Fährte9051  Dietmar Kuegler Der sprechende Draht9052  U. H. Wilken Blutige Rache9053  Alex Mann Die fünfte Kugel9054  Peter Dubina Racheschwur9055  Craig Dawson Dunlay, der Menschenjäger9056  U. H. Wilken Bete, Amigo!9057  Alfred Wallon Missouri-Rebellen9058  Alfred Wallon Terror der Gesetzlosen9059  Dietmar Kuegler Kiowa Canyon9060  Alfred Wallon Der lange Weg nach Texas9061  Alfred Wallon Gesetz der Gewalt9062  U. H. Wilken Dein Tod ist mein Leben9063  G. Michael Hopf Der letzte Ritt9064  Alfred Wallon Der letzte Mountain-Man9065  G. Michael Hopf Die Verlorenen9066  U. H. Wilken Nächte des Grauens9067  Dietmar Kuegler Die graue Schwadron9068  Alfred Wallon Rendezvous am Green River9069  Marco Theiss Die Mathematik des Bleis9070  Ben Bridges Höllenjob in Mexiko9071  U. H. Wilken Die grausamen Sieben

Die Mathematik des Bleis

Western Legenden

Buch 69

Marco Theiss

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Hurster Straße 2a,  51570 Windeck

Titelbild: Mario Heyer unter Verwendung der KI Software Midjourney

Umschlaggestaltung: Mario Heyer

Logo: Mario Heyer

Satz: Gero Reimer

Alle Rechte vorbehalten

www.Blitz-Verlag.de

ISBN: 978-3-7579-7708-5

9069v1

Inhalt

I. Redemption

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Kapitel 27

Kapitel 28

Kapitel 29

Kapitel 30

Kapitel 31

Kapitel 32

Kapitel 33

Kapitel 34

Kapitel 35

Kapitel 36

Kapitel 37

Kapitel 38

Kapitel 39

Kapitel 40

II. Desperation

Kapitel 41

Kapitel 42

Kapitel 43

Kapitel 44

Kapitel 45

Kapitel 46

Kapitel 47

Kapitel 48

Kapitel 49

Kapitel 50

Kapitel 51

III. Redemption … Again

Kapitel 52

Kapitel 53

Kapitel 54

Kapitel 55

Kapitel 56

Kapitel 57

Kapitel 58

Kapitel 59

Kapitel 60

Kapitel 61

Kapitel 62

Kapitel 63

Kapitel 64

Kapitel 65

Kapitel 66

Kapitel 67

Kapitel 68

Kapitel 69

Kapitel 70

Kapitel 71

Kapitel 72

Epilog

Über den Autor

TeilEins

Redemption

KapitelEins

Der dünne Stoff der Bettdecke verbarg den Körper von Jenny Lyndon von den Füßen bis hinauf zur Hüfte, und doch stellte er ihn gleichzeitig zur Schau. Er umspielte ihre Beine und ihre Hüfte wie ein luftiges Kleid. Eines von denen, die es sich nicht zierte zu tragen. Zumindest nicht für ein anständiges Mädchen. Eines von denen, für die es sich auch nicht zierte, dass sie nackt schliefen und ihre Brustwarzen über dem Saum der Decke hervorblitzten, wie die von Jenny es taten. Sie lag auf der Seite und ihr üppiger Busen neigte sich leicht der Matratze entgegen. Sie hatte den linken Unterarm angewinkelt und die Hand als Stütze zwischen ihre Wange und die Matratze geschoben. Der rechte Arm hing vor ihrem Körper herab, bedeckte auf dem Weg nach unten die Hälfte der linken Brust und ihren Bauchnabel. Ihre Augen waren geschlossen, ihr Mund war leicht geöffnet, eine Locke ihres kastanienbraunen Haares hing ihr verspielt ins Gesicht, während sich der Rest breit aufgefächert auf dem Kissen verteilte.

Sie bewegte sich. Ihre Beine verschoben sich unter der Decke, die rechte Hand wanderte zur linken, wobei der Oberarm einen größeren Teil ihres Oberkörpers verdeckte als zuvor, und schob sich mit unter ihren Kopf. Zwei weitere Locken fielen ihr ins Gesicht.

Die Grafitmine, die gerade an ihrer linken Brust gefeilt hatte, kam zum Stillstand. Setzte ab. Ein Paar Augen, schmal wie Schießscharten, sah vom Papier auf und wanderte die Vorlage ab, die andere Männer wohl für Ungeziemenderes genutzt hätten als für die Zeichnung, die William Burton von ihr anfertigte.

Jenny hatte lange still gelegen. William hatte alles Wichtige. Hatte die Pose eingefangen. Die Spannungen ihres Körpers festgehalten. Der Rest waren nur Details. Bloßes Handwerk. Die plötzliche Bewegung würde ihn nicht daran hindern, das Bild fertig zu zeichnen. Er setzte den Stift wieder an und arbeitete die Rundungen und Schattierungen ihrer Brüste heraus.

Ein lautes Hämmern ließ ihn zusammenzucken. Im Bruchteil der Sekunde, die ihm davor blieb, hob er die Grafitspitze vom Papier, sodass sich der kurze Schreck nicht auf das Bild übertrug. Ein blitzschneller Reflex, den nicht viele Männer ihr Eigen nennen konnten.

„Bill?“, drang die Stimme von Deputy Ben Parker durch die Tür an sein Ohr und weckte auch Jenny auf.

„Ja?“, antwortete William in Richtung Tür.

„Da ist jemand in die Stadt gekommen!“

William wartete ab, ob er noch weitere Informationen bekommen würde. Sie blieben aus. Ben Parker war ein guter Deputy, aber er war weder der hellste noch der redseligste Mensch.

„Macht er Ärger?“, fragte William.

„Ähm … nein, Sheriff.“

Okay, dieses verhaltene Frage-Antwort-Spielchen war sogar für Ben Parker ungewöhnlich.

„Macht ihm jemand Ärger?“, fragte William weiter.

„Nein.“

„Herrgott, Ben!“ William hatte genug. „Was dann?“

„Na ja“, druckste Parker weiter herum, bevor er schließlich sagte: „Es ist Jack Holden.“

Williams Miene verfinsterte sich schlagartig. Diesmal blieb er länger still, als Jenny es von ihm gewohnt war. Sie sah ihn mit sorgenvollem Blick an. Er erwiderte den Blick nur kurz, richtete ihn dann wieder starr in Richtung Tür. Er wollte nicht, dass sie bemerkte, dass sie nicht die Einzige war, die sich sorgte.

„Wo ist er?“, wollte William wissen.

„Drüben im Saloon. Dan und Mike sind da und behalten ihn im Auge.“

„Ich komm gleich runter.“

William erhob sich aus dem Sessel. Er legte Papier und Stift auf dem Tisch daneben ab und ging um das Bett herum. Jennys wachsamer Blick haftete an ihm, verfolgte ihn durch den Raum. Er erreichte den Stuhl, auf dessen Lehnen er seine Kleider verteilt hatte. Die Hose hatte er bereits angezogen, nachdem er sich aus dem Bett gestohlen hatte, um zu zeichnen. Er schlüpfte in sein Hemd und begann es zuzuknöpfen. Einen Knopf nach dem anderen, ganz in Ruhe, ohne Hektik. Und doch spürte er, dass sie da war. Tief in ihm. Ein seltener Gast.

„Wer ist Jack Holden?“, fragte Jenny, deren innere Unruhe sich bereits in ihre Stimme geschlichen hatte.

„Niemand“, log William, der dafür bekannt war, ein ehrlicher Mann zu sein.

„Du lügst doch.“ Jenny durchschaute ihn sofort. „Wegen eines Niemands würdest du mich doch nicht nackt und allein hier liegen lassen.“

William sah zu ihr hinüber, während er den obersten Knopf seines Hemds schloss. Sie hatte die Decke weiter nach unten geschoben, sodass ihr Becken und ihr Schoss entblößt waren. Etwas, das eine Ehefrau so sicher nicht getan hätte, die Hure, die sie war, aber sehr wohl. Und tatsächlich hatte sie recht. Wegen eines Niemands würde er sie nie so hier liegen lassen.

„Bleib so“, sagte er und versuchte, dabei selbstsicher wie immer zu klingen. „Ich komme vielleicht wieder.“

„Vielleicht?“

„Hm?“ William sah sie an. Was wollte sie?

„Du bist schon oft gegangen und wiedergekommen“, erklärte sie. „Aber du hast nie vielleicht gesagt.“

„Du kennst mich langsam zu gut“, sagte William und war sich nicht sicher, ob sie ihn zu gut für eine Hure kannte, oder für eine Frau.

Er zog sich das beige Jackett über, an dem der polierte Sheriffstern glänzte. Dann nahm er den Revolvergurt von der Rückenlehne des Stuhls und legte ihn um die Hüfte. William machte einen Schritt in Richtung Zimmertür.

„Falls du zurückkommst, kannst du ja zu einer der anderen Frauen gehen“, sagte Jenny hinter ihm.

Er machte auf der Ferse kehrt, gerade als sie die Decke wieder über ihren Körper zog. Wieder schlug er mit den Reflexen einer Klapperschlange zu, bekam den Saum der Decke zu fassen und riss sie von ihrem Körper und aus ihrer Reichweite, noch bevor sie etwas dagegen tun konnte. Er blickte auf ihren nackten Körper herab. Auf ihre Brüste, ihren Bauch und die braunen Löckchen – diesmal die zwischen ihren Schenkeln.

„Hey!“, protestierte sie.

„Bleib so!“, sagte er. Dann wandte er sich ab und marschierte zur Tür.

„Sei vorsichtig“, sagte sie, kaum lauter als ein Flüstern, das ihn gerade erreichte, als er den ersten Fuß nach draußen auf den Flur setzte.

Für eine Hure war sie eine viel zu gute Frau, dachte er.

KapitelZwei

Sheriff William Burton trat in den Staub der Hauptstraße von Redemption. Die trockene Hitze eines langen Arizona-Tages hatte sich tief in den Sand und zwischen die Häuser gedrückt, während die Abendluft endlich langsam abkühlte.

Eine ruhige Nacht, die auf einen ruhigen Tag folgte. Zumindest war sie das bis jetzt gewesen. Eigentlich war es meistens so. Der neue Normalzustand seit William Burton vor sechs Jahren Sheriff geworden war. Vorher war es wild hergegangen in Redemption. Prügeleien und Glücksspiel standen auf der Tagesordnung, Schießereien waren keine Seltenheit. Suchte man heute nach diesen Dingen, musste man schon nach Tombstone oder Desperation reiten, oder nach Dodge City, oben in Kansas.

Es war ein hartes Stück Arbeit gewesen, Redemption aus der Reihe dieser Namen zu lösen. William hatte durchgegriffen. Hatte Kartenspiele gewonnen, Prügeleien und auch Schießereien. Manchmal alles drei in einem Aufwasch. Was am Spieltisch begann, führte nicht selten zu einem Faustkampf und endete schließlich draußen auf der Straße mit dem Ziehen von Revolvern. William hatte all dem ein Ende gesetzt. Nicht selten durch das Ziehen seines eigenen Revolvers. Später half die abschreckende Wirkung seines Namens. Er war ein Mann, mit dem man sich vorher schon nicht anlegen sollte. Nun war William Bill Burton Sheriff von Redemption. Trug einen Stern. War das Gesetz. Musste nicht mehr ganz so sehr darauf achten, dass ein Kampf fair ablief, um nicht im Anschluss in einer Zelle zu landen. Dafür mussten es alle anderen, die sich mit ihm anlegten, umso mehr.

Der Ärger war schnell abgeflacht, als sich herumsprach, dass William es mit Recht und Ordnung in Redemption ernst meinte.

So traten auch an diesem Tag alle Männer auf der Straße ehrfürchtig beiseite und machten ihm Platz, als er mit festem Schritt den Weg vom Hurenhaus zum Saloon zurücklegte. Hinter seinem Rücken wurde gemurmelt. In respektvollem Abstand folgten ihm manche Einwohner die Straße entlang, neugierig, was geschehen würde und gierig nach Spektakel.

Es sprach sich schnell herum, wenn ein Fremder in die Stadt kam. Die, deren Namen niemand kannte, waren schlimm. Die, deren Namen jeder kannte, waren die schlimmsten. Jack Holden gehörte zu Letzteren – außer in der Welt einer Frau wie Jenny Lyndon vielleicht. Ansonsten eilte ihm sein Ruf voraus. Geschrieben in Pulverdampf und Blut. Genau wie der von William Burton.

Er führte die Traube Schaulustiger vor den Saloon, aus dessen Innerem Stimmgewirr und Klaviermusik auf die Straße drangen. Bill Burton atmete einmal tief durch. Dann drückte er die beiden Hälften der Schwingtür auseinander und trat ein.

Die Geräuschkulisse wurde deutlich leiser, sodass Bill mit einem Mal sogar einzelne Worte aus dem Brei heraushören konnte. Nicht wenige davon waren sein Name. Jeder, der mit Blick zur Tür saß und ihn eintreten sah, machte Menschen um sich herum darauf aufmerksam, dass der Sheriff – ein anderes der Worte, das er deutlich herausfiltern konnte –, den Saloon betreten hatte. Die Neuigkeit verbreitete sich wie ein Lauffeuer unter den Gästen. Der Klavierspieler verspielte sich hörbar, als er selbst einen Blick zur Tür hinüber warf. Nach einer kurzen Unterbrechung stieg er wieder in die ausgelassene Melodie ein und füllte den Raum wenigstens wieder ein Stück weit mit akustischem Leben, während die Gespräche nach und nach verstummten.

Bill ließ den Blick durch den Raum wandern. Er erblickte Kartenrunden, die im Spiel eingefroren schienen und das Gesicht des Sheriffs studierten statt die ihrer Gegner oder ihr eigenes Blatt. Drüben am langen Tresen der Bar hatten Gläser ihren Weg zu Mündern auf halber Strecke unterbrochen. Selbst Saloonbesitzer Joe Emmet, ein stämmiger Ire mittleren Alters, legte eine kurze Pause ein. Bei dem Betrieb, der hier drinnen herrschte, wahrscheinlich die erste, die er machte, seit der Abend angebrochen war.

Bill fand Dan Smith und Mike Carter. Die beiden Deputys saßen an einem Tisch hinten rechts. Dem einzigen, auf dem keine gefüllten oder geleerten Gläser standen. Jeder von ihnen hatte eine Hand locker auf dem Griff seines Revolvers ruhen. Mit einem Nicken wies Smith, der ältere von beiden, Bill die Richtung, in der Jack Holden saß.

Er hatte ihn bereits entdeckt, als er sich einen Überblick über die Bar verschafft hatte. Er hatte sein Gesicht in dem langen Spiegel dahinter gesehen. Der einzige Mann, der nicht einmal aufgeblickt hatte, seit es still im Saloon geworden war. Stattdessen hatte er seinen Whiskey in einer flüssigen Bewegung vom Tresen an den Mund geführt und ihn seine Kehle hinuntergekippt. Als er das geleerte Glas nun geräuschvoll auf der Theke abstellte, war es wie ein Startschuss für alle anderen, aus ihrer vorübergehenden Starre zu erwachen und ihr Leben fortzusetzen. Die allgemeine Aufmerksamkeit blieb dabei jedoch weiter auf Bill Burton und Jack Holden gerichtet.

Bill marschierte in die Mitte des Raums und kam hinter Jack Holden zum Stehen. Im Augenwinkel nahm er wahr, dass Smith und Carter aufstanden und zu Holdens Rechter Stellung bezogen. Bill war nicht entgangen, dass die beiden erfahrenen Männer kurz gezögert hatten.

Er hörte die Schwingtür des Saloons ein zweites Mal in seinem Rücken aufgehen, wusste, dass Ben Parker mit seiner Schrotflinte eingetreten war. Er mochte nicht der Hellste sein, aber er war zuverlässig wie die Hölle und Bill wusste, dass er auf ihn und seine doppelläufige Bettsy zählen konnte.

Je länger Bill Burton in der Mitte des Raumes stand, desto stiller wurde es wieder um ihn herum. Einige der Tische hinter ihm – und damit in der direkten Schusslinie – wurden eilig, aber so ruhig wie möglich geräumt.

Deputy Parker trat ans Klavier und schloss behutsam den Deckel über der Tastatur.

Im Saloon war es mucksmäuschenstill.

Bill stand ruhig da, die Arme hingen entspannt zu beiden Seiten seines Körpers herab. Er hatte drei Männer im Raum, jeder mit der Hand an der Waffe. Es gab keinen Grund, die Anspannung noch zu vergrößern.

Jack Holden füllte in aller Seelenruhe sein Glas nach. Die Flasche war zu einem Drittel geleert und Bill vermutete, dass der größte Teil davon in ihm steckte. Sein Blick wanderte herunter auf den Revolvergurt, den Holden trug. Auf den weißen Elfenbeingriff des Peacemakers, der im Holster steckte. Das Modell war kürzer als der Colt, den Bill verwendete. Es gab verschiedene Wege, eine Schießerei zu gewinnen. Bill musste nicht der Mann sein, der den Revolver als Erster aus dem Holster zog, sondern der, der den ersten gezielten Schuss abgab. Ein langer Lauf half dabei ungemein. Außerdem verströmte er die Gewissheit, dass es fast unmöglich war, ihn als Erster in Richtung des Gegners zu bringen, also brauchte man es auch gar nicht zu versuchen. Wenn man wusste, dass man nicht der Erste war, der schießen würde, brauchte man sich nicht darauf zu versteifen. Man musste lernen, die Nerven zu behalten. Etwas, das nicht viele Schützen beherrschten. Vor allem nicht die unerfahrenen, die gerade in ihre erste oder zweite Schießerei hineinstolperten. Bill hatte oft erlebt, dass sein Gegenüber die erste Kugel in den Boden jagte, kurz nachdem er die Waffe aus dem Holster gezogen hatte und eine zweite Kugel völlig ungezielt ins Blaue schickte, bevor er selbst seinen Colt gezogen und ausgerichtet hatte. Zwei von ihnen waren sogar so voreilig gewesen, dass sie sich selbst in den Fuß geschossen und einige Zehen weggesprengt hatten. Diese beiden hatten sofort darauf kapituliert und waren mit dem Leben davongekommen. Die anderen hatte Bill mit seinem ersten gezielten Schuss außer Gefecht gesetzt, bevor sie ihren dritten übereilten abgeben konnten.

Jack Holden war als ausgesprochener Trinker bekannt. Es überraschte Bill nicht, dass er auf eine kürzere Waffe setzte. Auf Schnelligkeit und Wildheit. Es passte zu dem, was er über Holdens Charakter gehört hatte. Und zu dem, was er von anderen Trinkern kannte. Sie wurden schnell wütend, explodierten schnell und sahen meist ohnehin zu verschwommen, um gezielte Schüsse abzugeben.

Dennoch würde Bill einen Teufel tun, Jack Holden zu unterschätzen. Der Mann war kein blutiger Anfänger und würde ihm ganz sicher nicht den Gefallen tun, sich einen Fuß wegzuschießen. Wenn Jack Holden hier war, weil er Ärger suchte, würde es Tote geben. Wenn es gut lief und Bills Deputys die Nerven behielten, vielleicht nur Jack selbst. Doch falls nicht, rechnete sich Bill gute Chancen aus, als Erster zu sterben. Holden würde sicher zuerst auf den besten Schützen feuern.

„Mister Holden“, sprach Bill ihn mit ruhiger, aber fester Stimme an.

Jack Holden sah von seinem Glas auf, wandte sich aber nicht zu ihm um.

„Ich bin der Sheriff dieser Stadt“, stellte Bill sich vor. „Haben Sie vor, mir Probleme zu machen?“

„Ich bin mit einer Dame hier, Sheriff“, sagte Jack Holden. In seiner Stimme schwang das Kratzen des Whiskeys der vergangenen Jahre mit, jedoch nicht das Lallen des Whiskeys des heutigen Abends. „Eigentlich habe ich vor, Problemen aus dem Weg zu gehen.“

Der Hocker zu Holdens rechter war leer, ebenso der zu seiner linken. Auf der Theke vor ihm stand nur ein einziges Glas.

„Und wo ist diese Dame?“, wollte Bill wissen, blieb skeptisch.

„Wir haben ein Zimmer gemietet“, antwortete Holden. „Sie ist oben und ruht sich aus.“

Bill sah zu Joe Emmet hinter der Bar. Er konnte ihm deutlich ansehen, dass er am liebsten nichts mit der Sache zu tun haben wollte. Doch er bestätigte Holdens Aussage mit einem unauffälligen Nicken.

Bill studierte Holden ein weiteres Mal. Den Hut, die Körperhaltung, den Revolver, die schmutzigen Stiefel, die von einer langen Reise zeugten. Prägte sich jedes Detail ein, das er von hinten sehen konnte. Dann wandte er sich ab und marschierte auf die Tür zu.

Dan Smith und Mike Carter nahmen wieder an ihrem Tisch Platz. Sie würden Holden noch eine Weile im Auge behalten. Dazu bedurfte es keiner weiteren Absprachen. Bill hatte ihnen den Job beigebracht und sie waren gute Jungs.

Auch Jack Holden bekam im Augenwinkel mit, dass sie bleiben würden. Auch er wusste, dass sie sich keinen Drink bestellen und zum gemütlichen Teil des Abends übergehen würden. Sie waren seine Anstandswauwaus. War ihm egal. War ihre Zeit. Ihr Leben. Wenn sie es spannender fanden, ihm beim Trinken zuzusehen, bitte. Störte ihn nicht. Er hörte die Stiefel des Sheriffs auf dem Holzboden klacken, bei jedem Schritt, den er sich weiter von ihm wegbewegte.

Jack warf einen Blick über die Schulter. Er war cool geblieben, doch letztendlich siegte doch die Neugier auf William Burton, einen Mann, von dem er schon viel gehört, den er aber selbst nie getroffen hatte. Vielleicht besser so, sonst wären sie heute sicher nicht beide hier. Er sah einen großen, hageren Mann in einem langen Staubmantel, der zur Schwingtür hinaustrat. Ein Blick in sein Gesicht blieb auch Jack nicht vergönnt. In die stahlblauen Augen, von denen er schon so viel gehört hatte. Stattdessen erhaschte er einen Blick in die ängstlichen braunen Augen des Deputys, der mit der wesentlich weniger ängstlichen Doppelläufigen neben der Tür stand, bevor er William Burton nach draußen folgte.

Jack Holden füllte sein Glas nach und trank, während der Raum um ihn herum langsam aus seiner Lethargie und zu neuem Leben erwachte. Jack wusste, an vielen der Tische wurde über ihn gesprochen. So war es immer.

KapitelDrei

Bill kehrte nicht ins Bordell zurück. Die Lust war ihm vergangen und auch wenn er Jenny Lyndon mochte, war sie letztendlich doch nicht mehr.

Er lief die Hauptstraße entlang und verabschiedete Deputy Parker, der die Nachtschicht im Büro hatte. Er würde sich um Trunkenbolde und Schlägereien kümmern. Für den Fall, dass es Ärger mit Jack Holden gab, trug Bill ihm auf, ihn sofort verständigen zu lassen.

Als er das Bordell passierte, sah er auf zum Fenster von Jennys Zimmer im ersten Stock. Sie sah zu ihm herunter und er nickte ihr kurz zu. Er lebte. Das war das Wichtigste, und darüber war sie im Bilde. Sie würde ihm keine Vorwürfe machen, weil er nicht wieder zu ihr ins Bett kam. Er war erschöpft. Von ihr und dem Aufeinandertreffen mit Jack Holden. Was Bill jetzt suchte, war Ruhe. Denn die hatte ihn in diese Stadt und in dieses Leben geführt.

Jenny zog den Vorhang zu. Sie würde sich dem nächsten Kunden widmen. Manchmal gefiel diese Vorstellung Bill nicht. Heute war es ihm egal. Es gab Wichtigeres auf der Welt als Frauen.

KapitelVier

Etwa zur gleichen Zeit stieg Jack Holden die Stufen der großen Saloontreppe hinauf, die auf die Empore im ersten Stock führte, einem Rundgang zu den Hotelzimmern. Er sah nach unten. Die beiden Deputys hatten ihn noch immer im Blick, verfolgten seinen Weg bis zu seiner Zimmertür. Er bedachte die beiden Männer mit einem Lächeln, dann öffnete er die Tür behutsam und trat ein.

Ebenso behutsam und leise schloss er sie von innen wieder. Sein erster Blick ging zum Bett, in dem Mary Wade lag. Das fahle Mondlicht, das durch das Fenster dahinter fiel, schmeichelte ihrem Gesicht und verlieh ihm einen märchenhaften Glanz. Sie schlief und tat das mit einer solchen Schönheit und Anmut, dass es ihm fast den Atem raubte. Er wollte sie aufwecken, ihr die verdammte Bettdecke vom Leib reißen und sie spüren, von außen und von innen, jeden Zentimeter ihres makellosen Körpers mit Küssen bedecken, und gleichzeitig wollte er, dass sie weiterschlief, so unschuldig, so schön, als könne sie kein Wässerchen trüben. Sie war eine Heilige und eine Hure und Jack war es noch nie so schwergefallen wie in diesem Moment, sich für eines davon zu entscheiden. Der Alkohol sprach dafür, ihr die Decke vom Leib zu reißen, doch die Liebe erinnerte ihn an die lange, beschwerliche Reise, die an diesem Tag ihr ermüdendes Ende in Redemption gefunden hatte. Daran, wie ihre erschöpften Augen unten im Saloon ihm das Herz zerrissen hatten, als sie sich dafür entschuldigt hatte, dass sie schlafen gehen wolle.

Letztendlich schlich er auf leisen Sohlen durch das Zimmer, legte seinen Hut auf der Anrichte ab, wusch sich Hände und Gesicht in der Wasserschale. Er schnallte den Revolvergurt ab und hängte ihn über die Rückenlehne des Schaukelstuhls in der hinteren Ecke, auf dessen Sitzfläche er seine restlichen Kleider warf. Dann zog er den Colt aus dem Holster und nahm ihn mit hinüber auf seine Seite des Bettes, legte ihn in Griffweite auf den Nachttisch und stieg zu seiner Mary ins Bett. Jedes Knarzen und Schaukeln kam ihm vor wie ein donnernder Schuss, doch sie schlief einfach weiter, blieb der Engel, dem sie glich. Jack schlüpfte zu ihr unter die Decke und fühlte ihre Wärme und die Rundungen ihres Körpers. Ihre Brust drückte weich gegen ihn, ihre Brustwarzen hart. Das genügte ihm. Er hatte die richtige Entscheidung getroffen. Es war perfekt.

KapitelFünf

Schlaf fand Jack Holden trotzdem nicht. Er wälzte sich hin und her, starrte abwechselnd Mary, die Wand, die Decke oder die Zimmertür an – jene dauerhafte Gefahr, durch die jederzeit ein Eindringling stürmen konnte, und die der Grund für den Colt auf seinem Nachttisch war –, bevor er eine gute Stunde später beschloss, sich wieder aus dem Bett zu stehlen. Einmal mehr schlich er durchs Zimmer, zog sich wieder an. Er kehrte zurück zum Bett und streckte die Hand nach dem Revolver aus, als Mary verschlafen die Augen öffnete. Sie lächelte. Sie freute sich, ihn zu sehen. Freute sich darauf, dass er zu ihr ins Bett kam. Zu ihrer Ernüchterung nahm er die Waffe vom Nachttisch, anstatt sie gerade dort abzulegen.

„Wie spät ist es?“, fragte sie verwundert.

„Spät. Schlaf weiter“, flüsterte er, und das Raue war vollständig aus seiner Stimme verschwunden.

Doch seine Antwort sorgte auch dafür, dass die Müdigkeit sofort aus ihrer Stimme verschwand. Sie setzte sich auf, lockte ihn mit einer Brust, die dabei unter der Decke hervorrutschte.

„Wo willst du hin?“, fragte sie mit einer anklagenden Schärfe in der Stimme.

„Ich muss noch was erledigen“, antwortete er.

„Etwas? Oder jemanden?“

Er antwortete nicht. Schielte kurz zur Zimmertür und wusste, sobald er hindurchtrat, konnte alles passieren. Hier drinnen waren Jack und Mary. Draußen, auf der anderen Seite, war der Wilde Westen mit all seinen erbarmungslosen Regeln. Und die erste davon lautete: Es gibt keine Regeln!

Jack hatte versucht, ihr das zu erklären. Mehrmals. Aber was verstanden Frauen schon davon? Eine andere Antwort konnte er ihr nicht geben. Nicht ohne sie anzulügen. Das vermied er. Er schob den Revolver in das Holster.

„Bleib doch hier“, bat Mary ihn und Jack unterstellte ihr wunderbare Absicht, als die Decke im gleichen Moment etwas weiter nach unten rutschte und auch ihre zweite Brust dem Mondlicht preisgab. Sie wollte sich keine Sorgen um ihn machen müssen. Nicht schon wieder. Sie wollte ihn hierbehalten. Notfalls auch mit den Waffen einer Frau. Denen erlag Jack Holden eindeutig leichter als den Waffen der Männer. Möglicherweise hätte sie damit Erfolg gehabt. In einer anderen Nacht, in einer anderen Stadt, mit einem anderen Sheriff.

„Ich bin nicht lange weg“, sagte er und versuchte, es nicht wie ein Versprechen klingen zu lassen.

Er griff sich seinen schwarzen Hut und setzte ihn auf den Kopf. Die Tür schlug zu und Mary war allein.

Sie ließ den Kopf für einen Moment auf die Brust sinken. Die Brust, die er verschmäht hatte, weil draußen irgendwo das Abenteuer wartete. Mehr Abenteuer, als eine Frau ihm je würde bieten können.

Sie stieg aus dem Bett und wickelte sich die Decke um den nackten Körper. Dann trat sie ans Fenster und sah nach draußen auf die Hauptstraße vor dem Saloon.

Es hatte begonnen zu regnen. Kleine Tropfen perlten an der Scheibe herab. Der Sand der Hauptstraße verwandelte sich langsam in Matsch.

Die Sekunden vergingen. Mary schöpfte Hoffnung, dass Jack nur auf einen späten Drink an die Bar zurückgekehrt war. Als sie den Schatten eines Mannes in den Lichtkegel auf der Straße treten sah, der durch die Saloontür nach draußen in den Matsch fiel, wusste sie sofort, dass er es war. Dass sein Ausflug nicht unten am Tresen endete. Kurz darauf trat Jack Holden in den Matsch. Er ging bis in die Mitte der Straße, so wie er es tat, wenn er sich mit jemandem traf, um sich zu duellieren.

Was führte ihn nur um diese Uhrzeit und bei diesem Wetter nach draußen? Mary hatte ein ganz mieses Gefühl.

Jack wandte sich zum Saloon um und sah zu ihr hoch. Er hatte damit gerechnet, sie am Fenster vorzufinden.

Der Schuft weiß auch noch, dass du ihm hinterherrennst!, verfluchte sie sich und wusste, dass allein diese Tatsache ihren strafenden Blick in seiner Wirkung milderte.

„Keine Sorge“, rief Jack ihr so laut zu, dass sie ihn durch Fensterglas und Regen hören konnte. „Ich lasse mich nicht erschießen!“

„Ich hoffe es“, murmelte Mary leise vor sich hin und hoffte, dass er da unten in der Dunkelheit nicht einmal sehen konnte, dass sich ihre Lippen bewegten. Ihre Brüste hatten nicht geholfen. Aber auch das schlechte Gewissen konnte eine mächtige Waffe sein.

Jack wandte sich ab und ging die Hauptstraße entlang. Mary sah ihm nach, bis sie ihn aus den Augen verlor. Sie kehrte zurück zum Bett und setzte sich auf die Kante. Sie würde kein Auge zubekommen, bevor er wieder bei ihr war.

KapitelSechs

Auch William Burton wusste sofort, dass es sich bei der Gestalt, die aus Richtung Stadt auf sein Haus zukam, um Jack Holden handelte. Trotz Sauwetters hatte er es nicht eilig, und so geriet auch Bill nicht in Hektik. Er ließ ihn kommen. Schritt für Schritt durch Regen und Matsch.

Bill liebte den Regen. Er hatte begonnen, ihn zu mögen, als er nach Redemption gekommen war. Sesshaft wurde. Als er ihm nicht mehr draußen in der Prärie ausgeliefert war, wo er ihm manchmal Tag und Nacht um die Ohren wehte. Heutzutage genoss er es, ihn nachts auf das Dach des Hauses prasseln zu hören. Ein Dach, das dicht war. Zumindest halbwegs. Das er selbst gebaut hatte und das der Startschuss seines neuen Lebens gewesen war.

Vom Ende der Hauptstraße aus waren es ziemlich genau hundertfünfzig Meter bis zu seiner Veranda, auf der Bill im Schaukelstuhl saß und an seiner Pfeife zog. Sie gab nicht mehr viel her und so entzündete er ein Streichholz und feuerte den Tabak erneut an, wohlwissend, dass Holden die Flamme – und damit auch ihn – sehen würde. Wissen würde, dass er ihn erwartete und keine Angst hatte.

Andere Häuser gab es hier draußen nicht. Auch keine Nachbarn. Keine Hilfe. Keine Deputys. Hier draußen war Bill Burton ganz allein. Genau wie Jack Holden. Vielleicht war es genau das, worauf der Revolverheld gewartet hatte. Der Grund, weshalb er im Saloon so zurückhaltend gewesen war. Joe Emmet hatte zwar bestätigt, dass Holden mit einer Frau gekommen war, aber Frauen machten aus Löwen nicht automatisch Lämmer. Doc Holliday oben in Kansas reiste schließlich auch mit einer Frau. Und was Bill so hörte, war sie weit davon entfernt, ihn zu zähmen.

Hier draußen im Regen würden William Burton und Jack Holden sich also zum zweiten Mal begegnen. Allein. Mann gegen Mann. Und was passieren würde, würde passieren.

Bill griff mit der rechten Hand über seine linke Schulter, dorthin, wo sein Revolvergurt über der Rückenlehne des Schaukelstuhls hing. Er spürte das schwere Metall seines Colts, und das Gefühl gab ihm Ruhe. Irgendwie hatte es das schon immer getan.

Als Jack Holden etwa zwei Drittel des Weges zurückgelegt hatte, stand Bill auf und legte sich den Gürtel um die Hüfte. Er zog den Colt aus dem Holster und überprüfte ihn kurz. Er war geladen, klemmte nicht. Dinge, die er eigentlich mit Sicherheit wusste, weil er den Colt hegte und pflegte. Aber er hatte sich angewöhnt, auf Nummer sicher zu gehen, wann immer er die Zeit dafür hatte. Sein Leben hing davon ab, und er hatte gelernt, ihm einen gewissen Wert beizumessen.

Bill trat an den Rand der Veranda und stierte in den Regen. Der Wind trieb ihm vereinzelte Tropfen ins Gesicht, die ihn an die Zeit erinnerten, als er Wind und Wetter schutzlos ausgeliefert war. Wenn es einen Mann, der dieses Leben lebte, bei einem solchen Wetter vor die Tür trieb, dann hatte er meistens seine Gründe. Gründe, die nicht warten konnten.

Jack Holden erreichte das Haus und blieb am unteren Ende der Verandatreppe stehen. Das Wasser triefte von seinem Hut, sein Hemd und seine Hose waren klatschnass, genau wie sein Gesicht.

„Haben Sie es sich anders überlegt, Mister Holden?“, fragte Bill, dessen rechte Hand dicht am Knauf seines Colts war.

„Haben Sie Angst davor, dass ich es mir anders überlegen könnte?“, wollte Jack wissen.

„Wenn ich ehrlich bin, ja.“

„Ich habe gehört, der Name des Sheriffs dieser Stadt wäre Bill Burton“, schrie Jack ihm durch das Plätschern des Regens entgegen. „Von dem Bill Burton, von dem ich gehört habe, heißt es, er habe vor niemandem Angst.“ Er schwieg einen Moment, bevor er fragte: „Sind Sie Bill Burton?“

„Ja, der bin ich“, antwortete Bill und behielt Jacks Hand genau im Auge.

Das kleinste Zucken, eine hektische Bewegung – und er würde nicht zögern zu ziehen und zu schießen, so schnell und so präzise, wie er konnte.

„Dann brauchen Sie keine Angst zu haben“, sagte Jack Holden, ohne zu zucken, ohne sich hektisch zu bewegen. „Denn dann sind Sie der Letzte, mit dem ich mich schießen wollen würde.“

Bill hatte keinen Grund dafür, doch er vertraute der Aussage Holdens. Er war zu erfahren, um die Hand deshalb auch nur einen Millimeter weiter von der Waffe zu entfernen, aber er glaubte nicht mehr daran, dass er sie würde ziehen müssen. Nicht hier und nicht heute. Er sagte: „Dann haben wir ja etwas gemeinsam. Darf ich Sie etwas fragen, Mister Holden? Was führt Sie hierher?“