What a FANNY year - Fanny Bechert - E-Book

What a FANNY year E-Book

Fanny Bechert

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Beschreibung

Im Normalfall entsteht ein Buch im Kopf des Autors. Da ist plötzlich diese Idee … Sie führt zum Pitch, zum Plot, zur Geschichte. Aber was passiert, wenn die Initialzündung nicht vom Schreiber, sondern vom Leser kommt? Dieser Challenge hat sich Fanny Bechert gestellt. Ein Jahr lang durfte ihre Community jeden Monat Einfluss auf eine Kurzgeschichte nehmen und die Autorin aktiv herausfordern, an ihre kreative Grenze zu gehen. Das Ergebnis ist eine bunte Mischung romantischer, spannender und lustiger Geschichten, die nur selten so verlaufen, wie es sich die Community vorgestellt hat …

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Fanny BechertWhat a FANNY year

WHAT A FANNY YEARIm Normalfall entsteht ein Buch im Kopf des Autors. Da ist plötzlich diese Idee … Sie führt zum Pitch, zum Plot, zur Geschichte. Aber was passiert, wenn die Initialzündung nicht vom Schreiber, sondern vom Leser kommt?

Dieser Challenge hat sich Fanny Bechert gestellt. Ein Jahr lang durfte ihre Community jeden Monat Einfluss auf eine Kurzgeschichte nehmen und die Autorin aktiv herausfordern, an ihre kreative Grenze zu gehen.

Das Ergebnis ist eine bunte Mischung romantischer, spannender und lustiger Geschichten, die nur selten so verlaufen, wie es sich die Community vorgestellt hat …

Kurzgeschichtensammlung

von Fanny Bechert

https://fanny-bechert.de | [email protected]

1. Auflage, September 2022 © Fanny Bechert, Greiz 2022Impressum Fanny Bechert c/o WirFinden.Es Naß und Hellie GbR Kirchgasse 19 65817 Eppstein Umschlaggestaltung: M.D. Hirt eBook-Formatierung: Stefanie Scheurich Herstellung: Booksfactory.de Testleser: Mama Bechert, Liza M., Svenja S., Paula C., Yvonne W. Alle Rechte, einschließlich dem des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten. Es handelt sich hier um fiktive Geschichten. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig und nicht beabsichtigt.

Inhaltsverzeichnis
Vorwort
Januar
Sternenfunkeln und Waldgeister
Februar
Licht ins Dunkel
März
Intrigen von A bis J
April
Wie Schroomi zu den Menschen kam
Mai
Süßes Win-Win
Juni
Der Fall der verschwundenen Doris
Juli
Nicht ohne Grund
August
Geschwisterliebe
September
Der Geschmack von Blut
Oktober
Die Schlacht am Wollberg
November
Wenn wir fallen, fallen wir gemeinsam
Dezember
(K)ein Weihnachtswunder
Nachwort
Über Komfortzonen und Schreibblockaden
Über die Autorin
Weitere Bücher der Autorin:
»Wenns einfach so passiert«
»Andrew im Wunderland«
»Elesztrah«
»Countdown to Noah«
»Ich wette, du verliebst mich nicht«

Vorwort

Im Normalfall entsteht ein Buch im Kopf des Autors. Da ist plötzlich diese Idee … Sie führt zum Pitch, zum Plot, zur Geschichte. Aber was passiert, wenn die Initialzündung nicht vom Schreiber, sondern vom Leser kommt?

Dieser Challenge habe ich mich gestellt. Ein Jahr lang durftet ihr, meine Community, jeden Monat Einfluss auf eine Kurzgeschichte nehmen und mich aktiv herausfordern, an ihre kreative Grenze zu gehen.

Das Ergebnis ist eine bunte Mischung romantischer, spannender und lustiger Geschichten, die nur selten so verlaufen, wie ihr es euch vorgestellt habt …

Und wer weiß – vielleicht treffen wir den ein oder anderen Charakter in einem meiner zukünftigen Romane wieder. Ihr habt einen Favoriten? Dann schreibt mir doch einfach auf Instagram oder Facebook. Oder schickt eine E-Mail an [email protected]. Ich freue mich auf den Austausch mit euch!

Januar

Anforderung: Überschrift der GeschichteErgebnis: Sternenfunkeln und Waldgeister

Sternenfunkeln und Waldgeister

»Halt sofort an und lass mich raus … Grandiose Idee, Maddy …«

Mit in den Manteltaschen vergrabenen Händen stapfte ich die Straße entlang, während ich mich halblaut selbst verhöhnte.

Wie hatte ich so dumm sein können? Ja, okay, herauszufinden, dass Kyle mehr mit dieser Tussi machte, als für Bio zu lernen, war hart – auch wenn wir erst seit drei Monaten zusammen waren. Und er war nicht eine der Tränen wert, die mir in den letzten Minuten gegen meinen Willen über die Wangen gelaufen waren. Ein Typ, der so dreist war, fremdzugehen, und noch dazu so dämlich, mir sein Handy zu geben, auf dem er gerade in einen höchst anzüglichen Chat mit Miss Zellteilung vertieft war … Ich hatte eh etwas Besseres verdient.

»Hier, such dir ’nen Song aus, den wir hören wollen …«, äffte ich ihn nach.

Kaum lag das Smartphone in meiner Hand, war auch schon eine Nachricht aufgeploppt. Normalerweise respektierte ich die Privatsphäre anderer Leute. Aber wer hätte bei einem ›Es war so geil, wie du meine Brü…‹ nicht auf Weiterlesen getippt?!

Er hatte versucht, sich herauszureden. Aber ich war ja nicht blöd.

Na gut, zumindest nicht bis zu dem Moment, als ich ihn angefaucht hatte, sofort das Auto anzuhalten und mich rauszulassen. Das war blöd gewesen … Sehr blöd. Mitten in der Nacht allein durch die Stadt zu laufen, während außer ihm noch jede Menge anderer Idioten hinter dunklen Ecken lauern konnten, war keine gute Idee. Selbst wenn ich wusste, dass es bis zu meinem Zuhause nicht mehr weit sein dürfte.

»Lieber den Hintern abfrieren, als noch länger mit einem Arsch in dieser Karre zu sitzen – der Spruch meines Lebens … Oh Maddy, du bist so dumm. Dumm, dumm, dumm …«

Ich zog den Kopf noch ein wenig tiefer in den Mantelkragen, um mich ein bisschen vor dem ekligen Herbstwind zu schützen, der mir um die Ohren pfiff.

Na gut, es nützte nichts. Ich würde besagten Hintern jetzt zusammenkneifen, so schnell wie möglich nach Hause gehen und meine emotionalen Wunden lecken. Und morgen würde ich mit meiner besten Freundin Tess den grausamsten Racheplan schmieden, den die Welt je gesehen hatte – gegen Kyle und gegen Miss Fotosynthese.

Um Teil eins meines Plans umzusetzen, musste ich allerdings erst mal herausfinden, wo ich war.

Keine große Herausforderung in der heutigen Zeit. Ich zog mein Handy hervor und rief die Karten-App auf. Doch noch bevor ich die Standortermittlung aktiviert hatte, ploppte die Abschaltwarnung auf.

Mein Akku war runter? Ernsthaft? Wie klischeehaft war das denn? Ein junges Mädchen, allein und verloren, und das Handy streikt.

Aber nicht mit mir. Mit einem kurzen Griff in meine Handtasche holte ich meine Powerbank hervor und keine zwei Minuten später wusste ich, wo ich mich befand.

Es war wirklich nicht weit, nur da vorn um die Ecke, durch den Cornwall Park und noch mal eine Hauptstraße entlang. Laut App würde ich keine Viertelstunde brauchen.

Frisch motiviert stopfte ich Handy und Zusatzakku in meine Manteltasche und marschierte los.

Ich hatte alles richtig gemacht, sagte ich mir selbst, während ich mir die restlichen Tränen von den Wangen wischte. Dieser kleine Spaziergang war ein … Ja, ein Spaziergang eben im Vergleich zu dem, was es mich gekostet hätte, auch nur noch fünf Minuten mit Kyle im selben Auto zu sitzen.

Bis ich den Park erreichte, traf ich niemanden, hörte lediglich in der Ferne ein alkoholgeschwängertes Grölen. Und auch im Park selbst sollte niemand sein. Schon bei Tag zog es kaum jemanden zu dieser Ansammlung kahler Bäume und halb verdorrter Büsche. Der Sommer war heiß gewesen und niemand hatte sich um diesen einst grünen Zufluchtsort gekümmert, sodass er sehr schnell von bunt blühend zu traurig verwelkt gewechselt war. Nächstes Jahr würde der Park vermutlich einem weiteren Wohnkomplex weichen, wenn sich nicht doch noch jemand seiner erbarmte.

Nein, ich hatte keine Angst, als ich den ersten Schritt auf den mit Kieselsteinen gespickten Weg setzte, der durch die Naturruine führte. Nicht zuletzt, weil einfach kein Platz mehr in mir war. Ich war verletzt, enttäuscht, wütend, traurig … und damit emotional voll.

»Was hat die blöde Kuh, was ich nicht habe?«

Eine Frage, die sich wohl alle Frauen stellten, die betrogen wurden. Völlig unwichtig und doch unvermeidbar.

Ich brummelte noch ein bisschen zornig vor mich hin, bis der Schmerz wieder die Oberhand gewann und mir meine nächste Verwünschung mit einem heftigen Schluchzer abschnitt. Verdammt … Ich war so verliebt in dieses Arschloch gewesen. Wie hatte er mir nur derart wehtun können?

Ich presste die Hände vors Gesicht. Ich wollte nicht weinen, nicht wegen ihm! Und trotzdem blieb ich stehen und brauchte einen viel zu langen Moment, um mich wieder zu beruhigen.

Am Ende war es ein Blick nach oben, der mich aus dem Strudel von Wut und Verzweiflung riss, in den ich mich gerade immer tiefer hatte sinken lassen.

Den ganzen Tag schon hatte eine dicke Wolkendecke den Himmel überzogen und es war reines Glück im Unglück gewesen, dass es gerade nicht geregnet hatte, als ich aus Kyles Auto geflüchtet war.

Jetzt allerdings sah ich kein einziges Wölkchen mehr über mir. Stattdessen funkelte dort ein wahres Meer von Sternen: kleine, große, helle, dunkle, einzeln für sich oder in Sternbildern vereint. Der Anblick war schlichtweg überwältigend.

Mit offenem Mund und noch halb erhobenen Händen starrte ich nach oben. Jedes Dorfkind hätte sich über meine Reaktion kaputtgelacht, doch in der Stadt konnte man froh sein, wenn man überhaupt Sterne am Himmel sah und diese nicht von ständig leuchtenden Straßenlaternen, blinkenden Neonreklamen und was weiß ich noch überstrahlt wurden. Dass sich ein solches Sternenfunkeln über einem ausbreitete, hatte ich hier noch nie erlebt.

Seufzend ließ ich Arme und Schultern hängen, den Blick immer noch gefangen von dem Schauspiel über mir.

»Darf ich mir jetzt etwas wünschen?«, fragte ich in den Himmel hinauf. Meine Stimme war zittrig und rau, aber es war ohnehin niemand da, der mich hören konnte. Also redete ich weiter – mit mir selbst und den Sternen. »Vermutlich nicht. Das geht nur bei Sternschnuppen, oder?«

Fast erwartete ich, dass sich genau jetzt eine Schnuppe zeigen würde, so magisch wirkte der Himmel auf mich. Aber natürlich passierte das nicht. Ich war hier ja nicht in irgendeiner Kitschgeschichte gelandet, sondern in der Tragödie meines eigenen Lebens.

»Ich mache es trotzdem«, beschloss ich leise. »Ich wünschte, ich würde nur ein Mal im Leben einem richtig netten Kerl begegnen … Einem, der …«

»Hi.«

Heilige Scheiße! Eine Stimme, tief, sanft und ruhig, direkt neben meinem Ohr! Ich erstarrte zu Eis. Wie hatte ich es nicht mitbekommen können, dass jemand hinter mich getreten war?

Ich war tot … Oder würde der Typ mich … Oh Gott! Ich sollte weglaufen, schreien oder mich umdrehen und ihm in die Eier treten, solange ich noch konnte. Aber ich war wie paralysiert.

Eine Sekunde verstrich, dann noch eine und noch eine. Aber nichts geschah.

Als mir schwindelig wurde, merkte ich, dass ich nicht nur stocksteif dastand, sondern auch den Atem angehalten hatte. Keuchend stieß ich die Luft aus, sog sie gleich darauf scharf wieder ein und hatte damit endlich die Kontrolle über meinen Körper zurück.

In einer einzigen Bewegung wirbelte ich herum und machte einen Schritt zurück, weg von dem Kerl, der … Nicht da war?

Tatsächlich. Niemand stand hinter mir, nicht einmal in der Nähe. Ich war immer noch vollkommen allein.

»Hallo?«

Obwohl ich versuchte, meine Stimme fest und unbeeindruckt klingen zu lassen, war sie nicht viel mehr als ein Hauch.

Ich bekam keine Antwort.

Hatte ich mir die Stimme nur eingebildet oder war der Sprecher genauso schnell und lautlos wieder verschwunden, wie er aufgetaucht war?

Ich sah zu Boden, auf der Suche nach irgendwelchen Spuren – und einem Beweis dafür, dass ich nicht einfach durchdrehte. Fußabdrücke fand ich keine im Kies, doch als ich den Kopf wieder hob, blieb mein Blick an den Sträuchern hängen, die am Rand des Weges aufgereiht waren. Zwischen all den verdorrten Pflanzen hatte eine dem Sommer getrotzt, trug satte grüne Blätter und wunderschöne Blüten, wie ich sie im Herbst noch nie gesehen hatte.

Mit gerunzelter Stirn machte ich einen Schritt darauf zu, zurück in die Richtung, aus der ich gekommen war. Wieso war mir dieser Strauch vorhin nicht aufgefallen? Er stach geradezu leuchtend zwischen den anderen hervor.

Ja, klar, ich hatte die Sterne bewundert. Das eine Naturschauspiel hatte mich von dem anderen abgelenkt. Und dabei waren die Blüten ein echter Traum!

Wo ich gerade noch verzweifelt geweint hatte, stahl sich nun ein Lächeln auf mein Gesicht. Es wirkte schon fast symbolisch, wie zwischen all dem toten Gehölz ein einzelnes Gewächs in schönster Blüte stand. Als wollte mir die Natur sagen …

»Mag das Leben auch noch so trostlos erscheinen, irgendwo ist immer etwas Schönes versteckt. Du musst es nur sehen.«

Gänsehaut breitete sich auf meinen Armen und meinem Rücken aus, noch bevor ich den Kopf zur Seite gedreht hatte. Und wieder gefror ich zur Salzsäule. Dieses Mal jedoch aus gutem Grund – denn die Stimme hatte einen Körper bekommen.

Der Fremde stand ein Stück entfernt und sah nicht mich an, sondern betrachtete mit einem liebevollen Lächeln eine der Blüten, die ich gerade noch bewundert hatte. Er hob sie zu seiner Nase und schloss genießerisch die Augen. Als er sie wieder öffnete, waren sie auf mich gerichtet.

Hatte ich schon seine Stimme als seltsam empfunden, stellte sein Blick alles andere in den Schatten.

Na gut, nicht alles …

»Wer …« Ich schluckte, revidierte gedanklich meine Formulierung und setzte neu an. »Was … bist du?«

»Der Traum deiner schlaflosen Nächte?«

Einer seiner Mundwinkel hob sich. Er wusste genau, welche Wirkung er auf mich hatte.

Dass meine Beine sich wie Gummi anfühlten, dass mein Blut plötzlich in die falsche Richtung zu zirkulieren schien, dass mein Hirn und meine Lunge sich darum stritten, ob nicht wenigstens einer von ihnen seine Arbeit fortsetzen sollte.

Das Einzige, das seinen Dienst weiterhin nicht einstellte, war meine Stimme.

»Traum?«, echote ich. »Wohl eher Albtraum.«

Eine seiner Augenbrauen – ich vermutete, dass es eine solche war – schoss nach oben. »Du tust dich wirklich schwer damit, Schönes zu erkennen, oder?«

Schön? Hielt er sich für schön?

Gut, ich gab zu, seine Stimme war wirklich melodisch. Auch wenn es kitschig klang, aber es fühlte sich an, als würde Samt über meine Haut streichen, wenn er sprach.

Auch sein Erscheinungsbild war auf den ersten Blick anbetungswürdig. Er war groß, hatte breite Schultern und wohlgeformte Muskeln, die er mit seinem nackten Oberkörper regelrecht zur Schau stellte. Selbst sein Gesicht sah aus, als hätte jemand es direkt nach meiner Vorstellung eines perfekten Mannes geformt.

Ja, wenn ich nur seinen Schattenriss gesehen hätte, wäre ich vermutlich sofort sabbernd vor ihm niedergekniet. Aber dank der hell scheinenden Sterne sah ich mehr: Statt glatter, sonnengebräunter Haut überzog eine grün schimmernde, fellartig wirkende Schicht seinen Körper. Über den Augen klebten kleine Blätter statt Brauen und auf dem Kopf wuchsen Pflanzen anstatt Haare.

Der Typ war ein Psycho, der Halloween einen Monat zu früh feierte. Zumindest hoffte ich das, denn wenn nicht er derjenige mit der Klatsche war, dann ich.

»Was willst du von mir?«, fragte ich und war überrascht, wie fest meine Stimme schon wieder klang.

»Du hast mich doch hergewünscht, schon vergessen? Ein Mal im Leben … ein richtig netter Kerl?«

Ich müsste blind sein, um dich für einen netten Kerl zu halten, hätte ich ihm beinahe an den Kopf geworfen, biss mir aber rechtzeitig auf die Zunge. Es war nicht klug, Verrückte zu reizen.

Endlich wieder Herrin über meinen Körper, machte ich einen Schritt rückwärts, langsam, in der Hoffnung, er würde es nicht bemerken. Doch er legte den Kopf schräg, ganz klar eine Reaktion auf meine Bewegung, und ich erstarrte wieder.

Plötzlich war er nicht mehr mehrere Meter von mir entfernt, sondern stand direkt vor mir. Ich hatte keine Ahnung, wie er das gemacht hatte, ja, ich hatte nicht mal eine logische Erklärung dafür.

»Du brauchst keine Angst vor mir zu haben, Maddy«, raunte er mir zu und hob eine Hand zu meinem Gesicht.

Für eine Sekunde war mir, als würde ich meinen Körper verlassen und die Szene von außen betrachten wie einen Film. Ironischerweise wirkte es wie ein schmalziger Liebesfilm. Das arme, verletzte Mädchen trifft auf ein magisches Wesen, das sein Herz auf den ersten Blick gefangen nimmt. Wenige Worte werden gewechselt, Geigenmusik setzt ein und es kommt zum verhängnisvollen Kuss, der sie beide auf ewig aneinander bindet.

Ich fühlte seine Finger an meinem Gesicht. Weich wie Seide strich er damit über meine Wange. Sein Blick brannte sich förmlich in meinen, während er seinen Kopf mehr und mehr zu mir herabsenke. Die Kraft unsterblicher Liebe zog uns zueinander wie Magnete. Nur noch wenige Zentimeter, dann würden seine Lippen meine berühren und das Band zwischen uns endgültig besiegeln.

»Bist du völlig bescheuert?«, presste ich keuchend hervor und wusste nicht, ob ich ihn oder mich selbst damit meinte. Mit aller Kraft, die ich hatte, stieß ich ihm gegen die Brust.

Dass er tatsächlich ein paar Schritte zurücktaumelte, wunderte mich. Ich konnte mir kaum vorstellen, dass ich stärker war als er. Es musste der Überraschungseffekt gewesen sein. Dieser Typ lebte völlig in seiner eigenen, grotesken Welt, in der er vermutlich ein Waldgeist oder so etwas war und ich die Nymphe, die seine zukünftige Königin darstellte. Dass ich mich wehren oder weigern könnte, war ihm nicht in seinen verqueren Sinn gekommen.

»Was für ein Freak«, knurrte ich ihn an. Ich wollte überheblich und unbeeindruckt klingen, damit er gar nicht in Versuchung kam, seinen Annäherungsversuch zu wiederholen. Meine Tonlage war allerdings einen Tick zu hoch und er registrierte meine dezente Panik mit einem schiefen Grinsen.

Kein Zweifel, er hatte sich bereits wieder gefangen. Ich musste schnell etwas unternehmen, damit aus der Liebesschnulze nicht der Beginn eines blutigen Thrillers wurde.

Ich zog mein Handy hervor, das sich dabei von dem Ladekabel trennte. »Wenn du nicht sofort verschwindest, rufe ich die Cops«, blaffte ich ihn an. Das war natürlich eine hohle Drohung, eine Phrase, die kein Triebtäter ernst nehmen würde – und schon gar kein durchgeknallter Kostümfetischist. Selbst wenn ich einen Anruf tätigte, würde jede Hilfe zu spät kommen.

»Maddy«, versuchte der Typ noch einmal, mich mit seiner ruhigen Stimme einzulullen. »Tu das nicht. Lass uns die Nacht genießen, die Nacht deines Lebens …«

Ernsthaft? Erst wurde ich von meinem Freund betrogen und dann von einem Freak bedroht? Klar, erinnern würde ich mich immer. Aber sicher nicht im Guten!

»Nacht des Lebens für den Arsch«, schrie ich ihm heiser entgegen. Dann fällte ich eine Entscheidung.

Reden würde nichts bringen. Um Hilfe rufen würde nichts bringen. Mich zu wehren würde nichts bringen – ja, so realistisch war ich. Also würde ich die einzige Option wählen, die zumindest eine kleine Chance versprach: weglaufen.

Schnell streckte ich ihm das Handy entgegen, auf dem ich bereits die Kamera-App geöffnet hatte. »Arschloch«, brüllte ich in der Sekunde, als ich auf den Auslöser drückte. Ein greller Blitz durchzuckte den fahlen Park und auf dem Bildschirm erschien das Gesicht des Typen.

Moos, erkannte ich im Stillen. Er hat seinen ganzen Körper mit Moos bedeckt.

Egal, darüber konnte ich mich später noch wundern. Oder mich gemeinsam mit Tess kaputtlachen, wenn ich ihr das Foto zeigte. Ja, genau, hinterher würde ich über diese Begegnung lachen. Jetzt aber musste ich erst mal von hier weg.

Das plötzliche Licht hatte seinen Effekt. Der Mann war unaufmerksam und blinzelte geblendet.

Ich ergriff die Chance, machte auf dem Absatz kehrt und rannte los. Halleluja, was war ich froh, dass ich Sneaker trug und keine Pumps!

Nach mehreren Dutzend Schritten wagte ich einen Blick über die Schulter. Ha, es hatte geklappt. Der Freak stand noch immer an derselben Stelle, starrte mir nur blöd hinterher. Wie bereits gedacht, kam es in seiner Welt nicht infrage, dass ich seine Avancen ablehnte. Und schon gar nicht, dass ich floh. Er machte keinerlei Anstalten, mich zu verfolgen. Er streckte nur eine Hand nach mir aus, als wollte er mich kraft seiner Gedanken zum Anhalten bewegen.

Ich wollte mich gerade wieder nach vorn drehen, als sich mein Fuß in etwas verfing. Verflucht, ich musste über eine Wurzel gestolpert sein.

Um mein Gleichgewicht zu halten, war ich zu schnell. Das Handy glitt mir aus den Fingern, ich flog nach vorn, würde in der nächsten Sekunde auf dem Kiesweg aufschlagen und …

Doch da wurde mein Sturz gebremst. Es war nicht der Kiesweg, sondern ein Busch, der meinen Fall stoppte.

War ich so vom Weg abgekommen, während ich nach meinem Verfolger geschaut hatte?

Wie ein Kissen nahmen mich die Äste auf, ohne mir auch nur einen Kratzer zu verpassen. Ich wollte sofort wieder auf die Füße. Jede verlorene Sekunde konnte den Typen doch noch dazu verleiten, mir nachzusetzen.

Hektisch versuchte ich, mich aus dem Busch zu kämpfen, aber irgendwie gelang es mir nicht. Es fühlte sich an, als würden sich die Äste um meinen Körper winden, je mehr ich zappelte und mich wand.

Nein, ich bildete mir das nicht ein! Tatsächlich wickelten sich Ranken um meine Handgelenke, meine Knöchel und meine Taille. Kleine Dornen fraßen sich in Mantel und Hose, bis ich mich nicht mehr rühren konnte.

»Ach Maddy. Das ist aber nicht sehr freundlich.«

Shit!

Ich konnte ihn nicht sehen, aber seine Stimme war viel zu nah. Fast als wären seine Lippen direkt neben meinem Ohr. Aber das konnte nicht sein, nicht so schnell!

In der nächsten Sekunde drehte sich die Welt. Nein, ich wurde gedreht, von den Ranken, die mich fixierten. Schon war mein Blick nach oben gerichtet, auf das Sternenfunkeln über mir. Dann kippte alles und ich befand mich wieder in der Senkrechten.

Direkt vor mir stand der Fremde.

Nicht mal in Gedanken konnte ich ihn noch als Freak oder Irren bezeichnen. Schließlich war ich gerade von einem Busch an meiner Flucht gehindert und in Ketten gelegt worden.

Von. Einem. Busch!

Ich spürte, wie sich die Ranken zurückzogen, als meine Füße wieder den Boden berührten. Nur an meinen Waden blieben welche zurück, die mich an Ort und Stelle gefangen hielten.

Der Waldgeist, oder was auch immer er war, stand nun mit verschränkten Armen vor mir. Sein Blick ließ keinen Aufschluss darüber zu, wie sehr ich ihn verärgert hatte, geschweige denn was er nun mit mir vorhatte.

»Bitte … Was willst du von mir?«

Ich bemühte mich nicht mehr, die Panik aus meiner Stimme zu verdrängen. Ich hatte eine scheiß Angst und das konnte er ruhig wissen. Vielleicht stimmte es ihn milde … Nicht einmal die Tränen hielt ich zurück, die mir jetzt über die Wangen liefen.

»Lass mich gehen. Ich werde auch niemandem von dir erzählen!«

Er lächelte mich an – keine Ahnung, ob freundlich oder teuflisch. Auf jeden Fall sorgte es nicht dafür, dass ich mich beruhigte. Im Gegenteil, es führte mir einmal mehr vor Augen, dass dieser Typ – ob Waldgeist oder nicht – völlig durchgeknallt war.

Mein Blut rauschte mir in den Ohren, während ich mir meiner verzweifelten Lage bewusst wurde. Wie wild zerrte ich an meinen Fußfesseln, aber die Wurzeln, die mich festhielten, waren zu stark. Wenn ich doch nur ein Messer gehabt hätte oder einen anderen scharfen Gegenstand. Wo waren zerschmetterte Flaschen, Glasscherben im Gras, wenn man sie mal brauchte?

Als mein Blick suchend umherglitt, blieb ich an etwas anderem hängen, das mich genauso retten konnte. Mein Handy!

Noch immer war das Foto von dem Waldgeist auf dem Display. Wenn ich schnell war, konnte ich es mir schnappen und den Knopf an der Seite betätigen, der als Kurzwahltaste für Notfälle fungierte. Selbst wenn er es mir wieder wegnahm, hätte ich zumindest ein Rufsignal gesendet.

Aber hatte ich überhaupt die nötige Kontrolle über meinen Körper? Meine Kleidung klebte schweißgetränkt an meiner Haut, mein Herz hämmerte in wilder Angst und meine Finger fühlten sich seltsam stumpf an, als wäre gerade keine Zeit für so etwas Banales wie einen Tastsinn. Außerdem sah ich alles nur noch durch einen Schleier, weil ich heulte wie ein Baby.

Trotzdem musste ich es versuchen. Dieses kleine Gerät da unten war meine letzte Hoffnung auf Rettung vor … was auch immer. Ich wollte nicht darüber nachdenken, was dieses Monster mit mir vorhatte.

Verflucht, das war alles so surreal. Vor wenigen Minuten noch war mein fremdgehender Freund, der sowieso niemals mein letzter gewesen wäre, mein größtes Problem gewesen. Und jetzt fürchtete ich um mein Leben, während ich gegen einen Waldgeist kämpfte.

Ja, das war es, was ich tun musste. Kämpfen. Und wenn nicht gegen ihn – dabei würde ich haushoch unterliegen, da war ich mir sicher –, dann zumindest gegen meine Angst.

Ich schluckte, riss noch einmal an meinen Ketten und ließ mich dann einfach fallen. Der Aufprall war hart, brachte mich aber näher an mein Zielobjekt. Ich musste nur noch den Arm ausstrecken und zugreifen.

Schon spürte ich das kalte Metall des Gehäuses an meinen Fingerspitzen – mein Tastsinn hatte sich also doch nicht verabschiedet. Ich bekam es zu fassen, fuhr mit dem Daumen über die seitliche Kante und suchte nach dem Knopf.

Da! Da war er!

Leider reichte die Zeit, die mir mein vorgetäuschter Zusammenbruch verschafft hatte, nicht aus. In der Sekunde, als ich den Druck meines Daumens verstärkte, schoss etwas auf meine Hand zu. Weitere Ranken waren wie aus dem Nichts erschienen, legten sich um mein Handgelenk und rissen mich nach oben. Ihr Griff war so fest, dass mir das Handy entglitt, ohne dass ich sagen konnte, ob mir der Notruf gelungen war. Erst als ich wie eine Schlenkerpuppe in der Luft hing, merkte ich, dass meine Füße wieder frei waren. Dafür schmerzte meine Schulter, als würde mein Arm gleich herausgerissen. Meine Hand wurde bereits taub und die eng anliegenden Ranken schnitten mir in die Haut.

Doch das registrierte ich kaum. Ich konnte nur an den Notruf denken, der mir vielleicht geglückt war. Falls ja, wäre mittlerweile ein Cop am anderen Ende.

»Hilfe!«, schrie ich, so laut meine vor Schmerz und Angst eingeschnürte Kehle es zuließ. »Ein Verrückter hat mich im …«

Und Schluss.

Auch mein anderes Handgelenk wurde gepackt, jedoch nicht nach oben gezerrt, sondern vor mein Gesicht. Hart drückte meine Hand gegen meinen Mund, wodurch ich mich selbst zum Schweigen brachte. Klar konnte ich noch undefinierbare Geräusche von mir geben, aber es würde nicht reichen. Selbst wenn der Cop mich ernst nahm, würde ihm nur eine Handyortung übrig bleiben. Und ehe dann jemand kam, wäre es zu spät. Ganz abgesehen davon, dass dieser Jemand dem Waldgeist wohl genauso wenig gewachsen war wie ich.

Dieses Mal war es Resignation, die meinen Körper erschlaffen ließ.

Der Schmerz in meiner Schulter wurde noch stärker, als meine Muskeln aufgaben, aber es war mir egal.

Ich senkte die Lider und fasste einen Entschluss. Alles, was nun folgte, würde nicht mir passieren. Ich machte mich wieder zum Zuschauer eines Films, eines Horrorstreifens, bei dem man in den zu schrecklichen Momenten einfach den Blick abwandte und in sein Kissen biss.

Tatsächlich schaffte ich es, den Kopf zur Seite zu drehen. Ich hatte gar nicht bemerkt, dass die Hand vor meinem Mund verschwunden war.

»Das ist ja nicht so gut gelaufen«, hörte ich – nein, hörte das Mädchen, das ich beobachtete – den Waldgeist murmeln.

»Was willst du von mir?«, fragte sie mit so leiser Stimme, dass ich sie kaum verstand.

»Ich hatte gedacht, wir könnten einander helfen«, erwiderte er, trat an sie heran und legte einen Finger unter ihr Kinn, sodass sie ihn ansehen musste. »Ich wollte deine Traurigkeit lindern und dir eine schöne Erinnerung geben. Und du hättest meinen Freunden hier guttun können.« Er deutete mit der freien Hand auf den Park, der sie umgab. »Alles hier ist so trostlos und tot. Ich wollte es wiederbeleben – mit der Macht der Liebe.«

Sein Gesicht kam ihrem noch näher. Er lächelte und wieder wirkte es wie einer kitschigen Romanze entsprungen. Wären da nicht die Fesseln, die das Mädchen fixierten, und sein herzzerreißendes Schluchzen.

Dem Waldgeist schien egal, wie sie sich fühlte. Er überwand die letzte Distanz und legte seine bräunlich schimmernden spröden Lippen auf ihre.

Der Kuss war kurz, nur eine flüchtige Berührung, die das Mädchen so wenig spürte wie alles andere.

Sofort zog er sich zurück. »Aber du hast keine Macht, kleine Maddy. Zumindest keine Liebe, nicht für mich.« Er machte einen Schritt zurück und betrachtete sie abschätzig. »Schade für dich, dass ich mich so geirrt habe. Aber sei es drum. Wenn es nicht die Macht der Liebe ist, dann eben die Macht des Lebens. Der Park wird erblühen, so oder so.«

»Was … wirst du …« Mehr brachte sie nicht heraus, bevor ihre Stimme versagte.

Eine Antwort bekam sie nicht. Er hob eine Hand, zeichnete etwas Undefinierbares in die Luft und kehrte ihr dann den Rücken zu.

Würde er wirklich gehen, einfach so, und sie – mich – am Leben lassen?

Ich war fast versucht, meinen Zuschauerplatz zu verlassen, als der Boden unter dem Mädchen regelrecht zu brodeln begann. Erst zitterten die losen Steine, dann begann die Erde aufzubrechen. Nur einen Wimpernschlag später klaffte ein Loch unter ihren Füßen.

Die Ranken, die sie noch immer am ausgestreckten Arm in der Luft hielten, senkten das Mädchen langsam nach unten, bis ihre Beine bis zur Mitte der Waden in dem Erdloch steckten, das sich sofort wieder schloss.

Als sich die Fesseln an ihrer Hand lösten, kehrte ein letztes Mal Leben in Maddy. Sie schrie so hoch, so schrill und verzweifelt, dass es mir in den Ohren schmerzte. Dann begann sie, um sich zu schlagen, zerrte an ihren Beinen, reckte sich in jede Richtung bei dem Versuch, irgendetwas zu fassen zu bekommen, an dem sie sich aus der Erde ziehen konnte.

Ob ich ihr helfen sollte? Ob ich ihr helfen konnte?

Nein, ich war sicherer hier, wo ich war. Egal, was ihr zustieß, mir konnte nichts geschehen.

»Bitte«, flehte sie und streckte die Hand nach dem Waldgeist aus, der bereits einige Meter entfernt war. »Bitte!«

Er stieß ein schnaubendes Lachen aus. »Danke.« Dann schnippte er mit dem Finger.

Im selben Moment begann das Mädchen, sich zu verändern. Wie durch Zauberhand verschwand ihre Kleidung, ließ sie splitternackt zurück. Dann verfärbte sich die Haut an ihren Beinen braun, wurde rissig und trocken. Immer höher stieg die Veränderung, überzog ihre Knie, ihre Hüften, ihren Rumpf und machte sie bewegungslos. Es erreichte ihre Arme, die nach vorn gestreckt ebenfalls in ihrer Position verharrten. Zum Schluss kroch die braune Schicht über ihren Hals nach oben, verschlang ihr Haar, bedeckte ihr Gesicht und erstickte damit den Schrei, den man – einmal gehört – niemals vergessen konnte.

---ENDE DER LESEPROBE---