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Teile keinen Proviant. Vermeide jede Berührung. Und das Wichtigste: Schließ sie nicht in dein Herz. Nach den Geschehnissen in NNY scheint es schwerer denn je, sich an diese drei Regeln zu halten. Angeschlagen und verletzt treten Cassidy und ihre Freunde den Rückweg an - jederzeit bereit, sich gegen die Noahs zu verteidigen, die ihnen auf den Fersen sind. Doch der Feind wandelt längst unter ihnen. Denn mit jedem Tag, der vergeht, wird die Noah in Cassidy stärker und sie spürt, wie sie langsam, aber stetig selbst zur Bestie wird. Sie weiß: Wenn sie diesen Kampf verliert, wäre es nicht nur das Ende ihres eigenen Lebens, sondern auch das ihrer Freunde.
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Seitenzahl: 341
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Inhaltsverzeichnis
Titel
Informationen zum Buch
Impressum
Widmung
Tag 16
Tag 15
Tag 14
Tag 13
Tag 12
Tag 11
Tag 10
Tag 9
Tag 8
Tag 7
Tag 6
Tag 5
Tag 4
Tag 3
Tag 2
Tag 1
Tag X
Dank
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Fanny Bechert
Countdown to Noah
Band 2: Unter Bestien
Fantasy
Countdown to Noah 2: Unter Bestien
Teile keinen Proviant.
Vermeide jede Berührung.
Und das Wichtigste: Schließ sie nicht in dein Herz.
Nach den Geschehnissen in NNY scheint es schwerer denn je, sich an diese drei Regeln zu halten. Angeschlagen und verletzt treten Cassidy und ihre Freunde den Rückweg an – jederzeit bereit, sich gegen die Noahs zu verteidigen, die ihnen auf den Fersen sind. Doch der Feind wandelt längst unter ihnen. Denn mit jedem Tag, der vergeht, wird die Noah in Cassidy stärker und sie spürt, wie sie langsam, aber stetig selbst zur Bestie wird. Sie weiß: Wenn sie diesen Kampf verliert, wäre es nicht nur das Ende ihres eigenen Lebens, sondern auch das ihrer Freunde.
Die Autorin
Fanny Bechert wurde 1986 in Schkeuditz geboren und lebt heute mit ihrem Mann und ihrer Katze Lucy im Thüringer Vogtland. Im »realen Leben« Physiotherapeutin, griff sie erst 2012 mit dem Schreiben ein Hobby ihrer Kindheit wieder auf. Was zuerst ein Ausgleich zum Alltag war, nahm bald größere Formen an, und so veröffentlichte sie im Juni 2015 ihren ersten Roman im Fantasy-Genre.
Auch heute geht sie noch ihrem Hauptberuf nach, obwohl die Tätigkeit als Autorin einen immer größeren Stellenwert in ihrem Leben einnimmt.
www.sternensand-verlag.ch
1. Auflage, November 2017
© Sternensand Verlag GmbH, Zürich 2017
Umschlaggestaltung: Nicole Böhm
Lektorat / Korrektorat: Sternensand Verlag GmbH | Martina König
Satz: Sternensand Verlag GmbH
Druck und Bindung: Smilkov Print Ltd.
Alle Rechte, einschließlich dem des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten.
Dies ist eine fiktive Geschichte. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig und nicht beabsichtigt.
ISBN Taschenbuch: 978-3-906829-53-1
ISBN E-Book: 978-3-906829-52-4
Für Nicci, meinen kleinen Side-Kick,
ohne die dieses Buch wahrscheinlich heute noch nicht fertig wäre.
»Cassy, das Essen ist fertig!«
Ich lasse das Buch sinken, in dem ich gerade gelesen habe, und sehe meine Schwester auf mich zulaufen. Claires blondes Haar glänzt in der tief stehenden Sonne und ihr Atem hinterlässt kleine weiße Wölkchen in der kalten Winterluft.
Als sie mich erreicht, bin ich schon dabei, von dem Felsen herunterzuklettern, auf dem ich gesessen habe. Prustend stützt sie sich mit den Händen auf den Knien ab, um erst einmal durchzuatmen.
»Wenn du dich schon vor dem Helfen drückst«, keucht sie, »kannst du wenigstens in der Nähe bleiben, damit ich nicht durch das ganze Dorf rennen muss, um dich zu finden.«
»Als ob du nicht genau gewusst hast, wo ich bin. Und ich habe mich nicht gedrückt. Ich bin nur bei Weitem keine so gute Köchin wie Mom und du.«
Ich weiß, dass die beiden schon seit den frühen Morgenstunden damit beschäftigt waren, das Festmahl für den bevorstehenden Weihnachtsschmaus fertig zu bekommen. Selbst jetzt haftet der gute Duft eines Bratens an Claire, sodass ich sofort Appetit bekomme.
»Was machst du eigentlich für einen Stress?« frage ich, während ich meine Umhängetasche vom Boden aufhebe. »Wir können eh nicht anfangen, bevor die Gäste da sind.«
»Ach so, ja …« Plötzlich grinst sie über beide Ohren. »Die Gäste sind da.«
»Was? Wieso hast du das nicht gleich gesagt?« Ich gebe ihr mit dem Buch einen Klaps auf den Kopf, lasse es dann schnell in der Tasche verschwinden und renne los.
Mit jedem Meter, den ich unserem Haus näher komme, klopft mein Herz stärker. Es ist über zwei Wochen her, dass wir in der Stadt waren, und ich habe diesen Tag sehnsüchtig erwartet. Den Tag des Wiedersehens.
Als ich unsere Haustür aufreiße, stoße ich beinahe mit einer älteren Dame zusammen, die gerade ihren Mantel ablegen will.
»Mrs. Jenkins!«, stoße ich erfreut aus.
»Wie oft soll ich dir noch sagen, dass du mich Ann nennen sollst, Liebes?«, tadelt Daniels Großmutter mich, eh sie mich zur Begrüßung umarmt.
Nachdem sie mich wieder freigegeben hat, schiebe ich mich an ihr vorbei und sehe endlich die drei Personen, die ich so vermisst habe.
Die McDougle-Geschwister, die ich auf meinem Ausflug nach Paddingtown kennengelernt habe, entdecken mich zuerst.
»Cassy«, quietscht Rita und hängt im nächsten Moment an meinem Hals. »Cassy, Cassy!« Stürmisch drückt sie mir einen Schmatzer auf die Wange, wobei ihre blonde Lockenmähne mein gesamtes Blickfeld ausfüllt.
Zu gern würde ich sie abschütteln, hätte ich doch lieber den jungen Mann hinter ihnen als Erstes begrüßt. Schließlich ist er es auch gewesen, der mir am meisten gefehlt hat.
Rita will mich gerade loslassen, da schlingt auch ihr Bruder Jeff seine Arme um uns und presst uns gegeneinander. »Meine Herzdame«, begrüßt er mich ebenso überschwänglich und küsst meine andere Wange.
»Ich freue mich riesig, dass ihr da seid«, japse ich. »Aber zerquetscht mich doch nicht gleich!«
»Ihr könnt später übereinander herfallen«, ruft meine Mutter durch die offene Küchentür und bewahrt mich damit wahrscheinlich vor einem üblen Erstickungstod. »Jetzt wird erst mal gegessen. Kommt endlich herein!«
Rita und Jeff lassen mich los und folgen gemeinsam mit Ann meiner Mutter ins Esszimmer.
Und dann sind wir allein – er und ich. Endlich!
Obwohl ich mich so nach einem Wiedersehen gesehnt habe und der innere Drang, meine Arme um ihn zu schlingen, so groß ist, bleibe ich, wo ich bin, und mustere ihn. Das schwarze, leicht verwuschelte Haar, die braunen Augen, in denen ich so schnell versinken kann, der muskulöse Oberkörper, der mir jedes Mal die Röte auf die Wangen treibt, wenn ich ihn zu lange betrachte … Daniel sieht noch immer genauso umwerfend aus wie bei unserer ersten Begegnung in seiner Siedlung, als ich nach Claire gesucht habe.
Zunächst erwidert er meinen Blick mit hochgezogener Braue, allerdings nicht lange. Mit zwei großen Schritten überwindet er die Distanz zwischen uns, fasst mich bei der Taille und zieht mich zu sich. »Hallo, Dawson«, raunt er.
Ich lege meine Hände auf seine Brust, nicht etwa, um ihn fortzuschieben, sondern weil ich ihn spüren will. »Hallo, Daniel.« Meine Stimme ist nicht mehr als ein Hauch.
Er beugt seinen Kopf etwas zu mir herab und ich schlinge die Arme um seinen Nacken. Seine Augen betrachten mich mit einer Intensität, als könnte er bis in meine Seele schauen. Ein zarter Duft von Moos und Honig dringt in meine Nase.
Daniel öffnet leicht die Lippen. Ich bin mir sicher, gleich wird er mich küssen. Ich liebe es, wenn er das tut. Schon streift sein Atem ganz sanft meine Haut …
»Igitt, nehmt euch ein Zimmer!«, schallt Claires Stimme und Daniel verpufft in meinen Armen wie ein Stäubling, auf den man tritt.
Nur einen Wimpernschlag später sitzen wir versammelt um unseren großen Esstisch. Gerade trällert Dad die letzte Zeile des Weihnachtsliedes, das wir peinlicherweise alle zusammen gesungen haben.
»Wunderbar, ganz wunderbar«, kommentiert Rita lachend. Es ist so ansteckend, dass wir alle einfallen.
Dann hält Dad noch eine kleine Ansprache, dankt den Köchinnen für den guten Gänsebraten, der bereits vor uns auf dem Tisch steht, und den Gästen dafür, dass sie gekommen sind. »Und nun lasst es euch schmecken«, beendet er schließlich seine Rede.
Ich lasse meinen Blick über den Tisch wandern. Neben einer riesigen Gans finden sich dort jede Menge Köstlichkeiten: gebackene Kartoffeln, Kartoffelpüree, verschiedenste Sorten Gemüse und eine große Schüssel mit Soße.
Ich schließe die Augen, atme das wunderbare Aroma tief ein und rieche … Blut!
Als ich die Augen wieder öffne, zeigt sich mir eine erschreckende Szene. Statt sich ein Stück des guten Bratens zu nehmen, zerrt Jeff gerade meinen Vater über den Tisch und hinterlässt eine dunkelrote Spur auf dem hellen Tischtuch. Rita sitzt hingegen auf dem Schoß meiner Mutter, deren Kopf unnatürlich schräg hängt, und beißt ihr beherzt in die Kehle.
»Das ist alles deine Schuld«, ertönt Anns Stimme, die neben mir gesessen hat.
Ich drehe mich zu ihr um. Der Oberkörper der alten Dame ist nach vorn gekippt, ihr Kopf liegt mir zugewandt. Mit leeren Augen starrt sie mich an, ohne sich zu regen, während sich die Stelle, an der sie liegt, zusehends rot färbt. Nur ihre Lippen bewegen sich, was pures Entsetzen in mir auslöst. Denn sie ist eindeutig tot.
»Du bist schuld«, wiederholt sie mit kalter Stimme. »Du hast den Virus in die Reihen deiner Liebsten geschleppt. Du hast den Tod zu uns gebracht!«
Ich kann diese leblosen Augen nicht länger betrachten und wende den Blick ab, sodass ich nun Claire ansehe, die mir gegenübersitzt. Ihr Gesicht ist eine Maske des Schreckens, ihre Pupillen vor Angst riesengroß und ihr Mund zu einem stummen Schrei aufgerissen. Und während ich sie betrachte, übernimmt er die Kontrolle, der …
Hunger! Ich springe auf, hechte über den Tisch nach vorn auf das Mädchen zu und stoße sie mitsamt ihrem Stuhl nach hinten. Nun schreit sie doch, das dumme Ding. Vollkommen sinnlos, aber soll sie nur!
Als wir krachend auf dem Boden landen, bricht ihr Brüllen abrupt ab. Ich zerreiße ihr Shirt, sodass sie mit freiem Brustkorb vor mir liegt. Ihre Haut ist blass, die Muskeln darunter angespannt. Und an ihrem Hals pulsiert eine Ader, wunderschön und voller Blut. Aber ich will erst das Fleisch, dann den Saft.
Mit einem Arm drücke ich ihren Körper auf den Boden, nur für den Fall, dass sie beginnt, sich zu wehren. Mit der freien Hand fixiere ich ihren linken Ellbogen auf der Erde. Dann versenke ich meine Zähne in ihre Haut, direkt über dem Bizeps. Ich schließe meinen Kiefer um ein großes Stück Muskelfleisch, reiße es heraus und beginne gierig, zu kauen. Was für ein Genuss! Ich schlucke und will mir sofort einen weiteren Bissen gönnen, als mich jemand brutal nach hinten zerrt, weg von dem leckeren Mädchen.
Das kommt so plötzlich, dass ich mich nicht dagegen wehre.
Ein Schatten springt über mich hinweg und kauert nun statt mir neben meinem Futter.
Wütend fange ich an, zu knurren, und …
… rutsche auf dem Hintern ein Stück zurück, als mir klar wird, was vor meinen Augen geschieht. Ein Noah hockt über meiner Schwester!
Ich strecke einen Arm nach vorn und will Claires Namen rufen, doch beim Anblick des Blutes an meiner Hand bleibt mir das Wort in der Kehle stecken. Instinktiv weiß ich, dass es ihr Blut ist. Ich habe meine eigene Schwester angegriffen!
»Du bist schuld, du bist schuld, du bist schuld«, wiederholt Ann in einem monotonen Singsang ihre Anklage und bald stimmen auch Rita und Jeff ein. Ich glaube sogar, Claires Stimme in dem gruseligen Chor zu erkennen.
Da lässt der andere Noah endlich von meiner Schwester ab und dreht sich zu mir.
»Nein«, stoße ich hervor, doch es kommt nur als ein Flüstern über meine Lippen. »Du nicht auch.«
»Na, Dawson.« Daniel sieht mich herausfordernd an und leckt sich Claires Blut von den Fingern. »Willst du mich immer noch küssen?«
Er bleckt die rot verschmierten Zähne und mir wird übel.
»Komm schon, Dawson, küss mich. Küss mich!« Auf allen vieren kommt er jetzt zu mir gekrabbelt.
Ich kann noch ein paar Zentimeter zurückweichen, dann spüre ich eine Wand in meinem Rücken.
Hinter Daniel erhebt sich nun Claire, ebenfalls in einen Noah verwandelt, und an ihre Seite stellen sich Rita und Jeff.
»Los, küss mich endlich. Küssen!«, fordert Daniel, der weiter auf mich zukrabbelt.
»Küssen, küssen, küssen!«, brüllen nun auch die anderen drei.
Daniel hat mich erreicht. Er packt mein Sprunggelenk und zieht mich mit einer solchen Kraft zu sich, dass ich keine Chance habe, mich zu wehren.
»Bitte«, flehe ich. »Lass mich!«
Er will nach meinen Armen greifen, mit denen ich jetzt wild in der Luft rudere.
»Lass mich los, lass mich!« Ich kneife die Augen zu und schlage um mich, so gut ich kann. Vergebens, denn plötzlich spüre ich, wie meine Handgelenke festgehalten werden.
Jemand ruft meinen Namen und dann explodiert die Welt in nichts als Schmerz.
»Cassidy, Cassidy!«
Es sind nicht Ritas Rufe, die mich völlig aus meinem Traum reißen, sondern der Schmerz, der durch meinen Körper jagt, als sie meinen gebrochenen Unterarm packt.
Ich fahre hoch und höre auf, mich zu wehren.
»Gott sei Dank«, stöhnt Rita. »Endlich bist du wach.«
Benommen sehe ich mich um. Ich liege auf dem Boden, eine Decke unter und eine über mir. Um mich herum stehen Grasbüschel und kleine Sträucher. Ganz in der Nähe plätschert etwas.
Langsam verblasst der Traum und die Realität kehrt zurück: die Erinnerung an das Explosionschaos in NNY, die Geschehnisse im Wald und der darauffolgende Marsch bis hin zu meinem Zusammenbruch.
»Wie fühlst du dich?«, fragt Rita sanft.
Ich kann es ihr nicht beantworten. Vorsichtig lausche ich in meinen Körper. Jetzt, wo sie mich losgelassen hat, spüre ich nur noch ein unangenehmes Pochen in meinem Arm. Dafür bin ich durchgeschwitzt und habe elende Kopfschmerzen. Unbewusst beginne ich, meine Schläfe zu massieren.
Rita versteht meine Geste sofort. »Du musst viel trinken«, weist sie mich an und reicht mir eine Wasserflasche.
Begierig setze ich sie an die Lippen und leere sie bis zur Hälfte. Erst dann finde ich meine Stimme wieder. »Wie lange war ich weggetreten?« Dem Stand der Sonne nach, vermute ich, dass es gegen Mittag ist.
»Über einen Tag.«
Erschrocken blicke ich sie an. Ich habe einen ganzen Tag verschlafen?
»Du bist den Alkohol nicht gewohnt.« Sie versucht ein schiefes Grinsen. »Und gepaart mit dem Blutverlust, den du ohne Frage erlitten hast … Keine sonderlich gute Mischung.«
»Scheiße«, murmle ich.
Mehr und mehr Details meiner Umgebung werden mir bewusst. Zum Beispiel die Tatsache, dass ich nicht mehr mein weißes T-Shirt, sondern mein Flanellhemd trage, von dem die Ärmel abgetrennt wurden. Und auch, dass neben meinem provisorischen Krankenlager verschiedene Gegenstände bereitliegen, die darauf hindeuten, dass mein Verband gewechselt wurde. Kurzum: Die anderen haben sich um mich gekümmert. Etwas, das ich um jeden Preis vermeiden wollte.
Rita folgt meinem Blick und wieder scheint sie meine Gedanken zu lesen. »Daniel hat deinen Arm versorgt und mir genaue Anweisungen gegeben, wie ich dich zu behandeln habe, als er nicht mehr konnte. Ich verstehe zwar nicht, warum …«
»Was heißt, als er nicht mehr konnte?«, frage ich erschrocken und mir fällt wieder ein, dass es auch ihm nicht sonderlich gut ging.
»Er hat sich mehrmals übergeben. Aber seit heute Morgen geht es auch ihm wieder besser. Trotzdem hat Schwester Rita ihm Bettruhe verordnet, bis du so weit fit bist, dass wir aufbrechen können.«
So fit fühle ich mich definitiv nicht. Also lasse ich mich wieder nach hinten sinken.
»Ja, bleib einfach liegen«, kommentiert Rita. »Ich bringe dir gleich etwas zu essen, dann wird es dir besser gehen.« Sie steht auf und entfernt sich von mir.
Ich senke die Lider. Bis sie zurück ist, kann ich mich noch etwas ausruhen.
Als ich die Augen das nächste Mal aufschlage, ist die Sonne ein ganzes Stück weitergewandert.
Zu dem Plätschern des nahen Baches hat sich ein anderes Geräusch gesellt: das Knistern von brennendem Holz. Und das verspricht etwas zu essen, wie mir mein knurrender Magen suggeriert. Ich setze mich auf und sehe drei Gestalten einige Meter entfernt um ein Feuer sitzen.
Als ich von meinem Lager aufstehe, erhebt sich auch eine von ihnen und kommt zu mir. Es ist Daniel.
Mein Herz beginnt zu rasen. So viel Scheiße auch gestern – nein, halt: vorgestern – passiert ist, gibt es plötzlich nur noch eine Sache, an die ich denken kann: Er hat gesagt, er ist in mich verliebt. Dass allein muss der Grund sein, warum jetzt meine Beine weich werden und sich alles um mich herum dreht. Der Gedanke, dass mein Körper einfach noch geschwächt ist, kommt mir nicht in den Sinn.
»Na«, sagt er und bleibt mit verschränkten Armen vor mir stehen.
»Na«, entgegne ich. Mehr bekomme ich nicht heraus, meine Kehle ist wie zugeschnürt.
Eine eigenartige Spannung liegt in der Luft, die nicht nur ich, sondern auch Daniel wahrzunehmen scheint.
Er räuspert sich unbehaglich. »Alles klar so weit?«
»Geht schon. Der Schlaf hat gutgetan und der Arm tut kaum noch weh.« Ich halte ihn wie zum Beweis vor meinen Körper. Dabei fällt mein Blick auf den frischen Verband. »Danke, dass du dich um ihn gekümmert hast. Auch wenn das sehr unvernünftig war.«
Er zuckt mit den Schultern. »Keine Bange, ich habe aufgepasst, dass ich mir nichts weghole.«
Seine Worte jagen einen Schauer über meinen Rücken. Als ob es hier um eine Grippe oder einen einfachen Ausschlag geht!
»Es wundert mich nicht, dass die Schmerzen besser sind. Es ist erstaunlich, wie schnell die Wunde verheilt.«
Daniel legt sanft zwei Finger auf meinen Arm. Es fühlt sich an, als würde ein Stromstoß durch mich hindurchjagen. Was so eine kleine Berührung aber auch auslösen kann …
Da nimmt er seine Hand auch schon wieder weg.
Ich betrachte sein Gesicht, versuche, den Ausdruck darauf zu deuten, und scheitere. Dafür bleibt mein Blick an der großen Beule an seiner Stirn hängen.
»Dich hat es auch ganz schön erwischt, wenn ich Rita richtig verstanden habe.«
Wieder ein Schulterzucken. »Sie übertreibt. Ich hatte ein bisschen Kopfschmerzen.«
Es ist wohl eher er, der untertreibt. Doch das zu sagen, verkneife ich mir.
»Komm mit ans Feuer«, fordert Daniel mich auf. »Rita und Jeff sind wahnsinnig neugierig, was im Labor passiert ist.«
»Warum hast du es ihnen nicht schon erzählt?«, frage ich irritiert.
»Weil … ich es nicht weiß«, gesteht er. »Ich kann mich nur noch erinnern, wie wir die Treppe runtergegangen sind. Dann ist eine große Lücke bis zu dem Moment, als ich in der Lobby auf dem Rücken liege und meine Stirn wehtut. Das dazwischen ist einfach weg.«
Einfach weg …
Wieder einmal fühlt es sich so an, als würde mir der Boden unter den Füßen weggerissen. Langsam sollte ich mich eigentlich an dieses Gefühl gewöhnt haben und trotzdem kann ich nicht damit umgehen.
Ich will einfach nicht glauben, was er gerade gesagt hat.
Ein Gespräch kommt mir in den Sinn, das ich mit angehört habe, während ich zwischen Wachsein und Ohnmacht hin und her gependelt bin. Und Daniels Worte, die eindeutig nur für mich bestimmt waren: ›Scheiße, Cassy, tu mir das nicht an. Du verabschiedest dich von Claire und dann machen wir uns noch ein paar schöne Tage, irgendwo. Stirb mir jetzt nicht einfach weg, bitte.‹
So was hätte er doch niemals gesagt, wenn er sich an das, was im Labor passiert ist, nicht erinnert, und auch nicht daran, dass er mir seine wahren Gefühle gestanden hat.
Oder hat er es vielleicht gar nicht gesagt und dieser kleine Monolog eines leidenden Geliebten ist genauso ein Produkt meiner Fantasie wie das blutige Weihnachtsfest aus meinem Traum?
Das heißt, er weiß nicht, dass sich in NNY alles zwischen uns verändert hat. Was wiederum bedeutet, dass er sein abweisendes Spiel weiterspielen und mir die kalte Schulter zeigen wird, nur um uns beide vor uns selbst zu beschützen.
Wie zur Bestätigung dreht er sich von mir weg und meint: »Na komm schon, Dawson, wir haben nicht ewig Zeit.« Er setzt sich wieder ans Feuer und legt einen Arm um Rita, die mir zulächelt.
Benommen gehe ich zu ihnen und setze mich in die Lücke zwischen den Geschwistern.
»Hey, Cassy«, begrüßt mich Jeff und sieht mich schuldbewusst an. »Ich bin echt froh, dass du wach bist. Das mit dem Arm tut mir unendlich leid!«
»Ach was.« Ich winke ab. »Als ob du was dafür könntest.«
Schnell starrt er wieder auf die lodernden Flammen. Fast, als könnte er mir nicht in die Augen sehen.
Bevor ich weiter darüber nachdenken kann, bittet Rita mich, endlich von den Geschehnissen im Labor zu erzählen.
Ich berichte also, wie wir die Schleuse gefunden haben, dort Rosie begegnet sind und sie uns geholfen hat, die Medis zu finden, während die Mauern um uns herum schon zu wackeln begannen. Die herumschleichenden Noahs lasse ich weg, genauso wie das intime Gespräch zwischen Daniel und mir. Ich bin noch nicht mal sicher, ob ich ihn damit konfrontieren soll, da werde ich es sicher nicht seiner Freundin und ihrem Bruder auf die Nase binden.
»Als wir die Treppe wieder hochkamen, war die Eingangshalle schon halb verschüttet und schließlich hat ein Stück herabfallende Decke Daniel von den Füßen gerissen«, beende ich meine Ausführung. »Alles Weitere kennt ihr vermutlich schon.«
Rita nickt zur Bestätigung, während Daniel mich mit einer Mischung aus Interesse und Argwohn beobachtet.
»Ich verstehe immer noch nicht, wie das passieren konnte«, denkt Rita laut und spielt mit einer ihrer Locken. »Ohne jede Vorwarnung fing plötzlich ein Haus nach dem anderen an, in die Luft zu fliegen. Jeff hat zum Glück megaschnell geschaltet und uns aus der Stadt gebracht, bevor es richtig übel wurde.«
»Ihr hättet euch beeilen sollen«, wirft ihr Bruder an Daniel und mich gerichtet ein. »Dann wäre niemandem etwas passiert.«
»Klingt, als wärst du der Meinung, du hättest es besser machen können«, stellt Daniel in provozierendem Ton fest. Dann hebt er beide Arme in die Luft und streckt sich. »Na ja, wir sind ja mit einem blauen Auge davongekommen.«
»Wohl eher einer blauen Stirn«, korrigiert Rita und fängt an, zu lachen.
Die Jungs stimmen mit ein, doch mir ist nicht dnach zumute. Wiederzugeben, was in NNY passiert ist, hat mich mehr aufgewühlt, als ich zugeben will. Am liebsten würde ich mich gleich wieder auf die Decke legen und einfach weiterschlafen. Oder wenigstens ein bisschen allein sein, um meine Gedanken und Gefühle zu ordnen. Denn im Moment herrscht nichts als Durcheinander in meinem Kopf.
Mein knurrender Magen lenkt Ritas Aufmerksamkeit wieder auf mich. »Gute Idee, Cassy, lasst uns erst mal was essen.«
Während die Sonne langsam hinter dem Horizont verschwindet, brät Jeff über dem Feuer ein paar Fische, die er während meines Dornröschenschlafs im Bach gefangen hat.
Rita und ich beobachten abwechselnd ihn und Daniel, der damit beschäftigt ist, im letzten Tageslicht die drei Rucksäcke neu zu packen. In meinem verstaut er die Tüten mit dem Medi-Pulver sowie eine Flasche Wasser, die ich vermutlich schon kontaminiert habe, und eine Konserve mit irgendeinem Eintopf.
Ab und an sieht er zu uns herüber und setzt wieder diese abweisende Miene auf, wenn sich unsere Blicke treffen. Ganz klar – für ihn hat sich nichts zwischen uns geändert.
Wahrscheinlich ist das gut so, schießt es mir durch den Kopf. Ich sollte auch vergessen, was er gesagt hat. Es macht alles nur unnötig kompliziert.
»Habt ihr eigentlich seit der Zerstörung von NNY Noahs gesehen?«, frage ich Rita, um mich abzulenken.
»Ja, zwei. Sie sind letzte Nacht hier aufgetaucht. Allerdings waren sie noch vollkommen durch den Wind und bevor sie uns bemerkt haben, hat Jeff sie ins Jenseits befördert.«
Ihr Bruder schaut zu uns und lächelt verlegen. »Keine große Sache. Aber diese Nacht könnten es mehr werden. Ich habe keine Ahnung, wie viele von diesen Bestien überlebt haben und in die umliegenden Wälder flüchten konnten.«
Reflexartig recke ich meine Nase hoch und schnuppere. Aber ich kann nichts Gefährliches in unserer Nähe ausmachen. Und auch der Blutgeruch, der immer noch von Rita ausgeht, ist nur noch ganz schwach wahrzunehmen. Beim Duft des gebratenen Fisches läuft mir jedoch das Wasser im Mund zusammen.
»Wir sollten uns absprechen, in welcher Reihenfolge wir den Wachdienst übernehmen«, fährt Jeff fort. »Jetzt gibt es aber erst mal was zu futtern.«
Jeder von uns bekommt einen auf einen Stock gespießten Fisch, zwei weitere legt Jeff beiseite. Er will sie zum Mitnehmen einpacken, sobald sie abgekühlt sind.
Gierig mache ich mich über den Fisch her, genau wie die anderen. Niemand spricht ein Wort, denn es bedarf voller Konzentration, keine Gräte zu verschlucken.
Ich könnte schwören, das ist das Leckerste, was ich je in meinem Leben gegessen habe! Viel zu schnell ist alles Genießbare verputzt und vor mir liegen nur noch Kopf, Schwanz und knorpelige Kleinteile.
»Ich werde die erste Wache übernehmen. Ich habe erst mal genug vom Schlafen«, verkünde ich, als ich mich erhebe, um mir im Bach die Hände zu waschen.
Die anderen widersprechen mir nicht, was wohl nicht zuletzt daran liegt, dass sie die Münder noch voll haben.
Nach einer noahfreien Nacht machen wir uns in den frühen Morgenstunden auf den Weg.
Nachdem Jeff Rosie ermordet und ich meinen gebrochenen Arm gerichtet habe, sind wir ein Stück vom Kurs abgekommen, als wir den blutbesudelten Wald so planlos verlassen haben. Nun gilt es, auf die Strecke zurückzugelangen, die wir hergekommen sind.
Ich habe nicht die leiseste Ahnung, wo wir uns befinden. Das liegt vor allem daran, dass ich nicht einschätzen kann, wie lange wir bis zu dem Bach gebraucht haben. Dieser ist leider auch nicht auf den Karten eingezeichnet, die wir haben, was die Orientierung noch zusätzlich erschwert. Aber Jeff ist überzeugt, dass wir den Schutzring um NNY bereits passiert haben.
»Wenn wir in nordwestliche Richtung gehen, sollten wir eigentlich auf den See stoßen, in dem wir gebadet haben«, hat er vor unserem Aufbruch gemeint. »Oder zumindest auf irgendetwas, das uns bekannt vorkommt.«
Nun sind wir schon Stunden unterwegs und keiner von uns hat das Gefühl, etwas wiederzuerkennen.
Im Gegenteil.
Am frühen Nachmittag erreichen wir eine Art Felsplateau. Von Weitem wirkt es, als wäre die Erde an dieser Stelle einfach auseinandergebrochen und die Stücke hätten sich gegeneinander verschoben.
»Hier sind wir definitiv nicht langgekommen«, stellt Rita fest und stemmt die Hände in die Hüften. »Bist du sicher, dass wir in die richtige Richtung gehen?« Vorwurfsvoll sieht sie ihren Bruder über die Schulter hinweg an.
Der fährt sich unschlüssig durch die blonden Haare. Dabei fällt mir zum ersten Mal auf, wie mitgenommen er aussieht: Kratzer im Gesicht, ein stoppeliges Kinn und tiefe Ringe unter den Augen. Würde er erzählen, er hätte es ganz allein mit einer Horde Noahs aufgenommen – ich würde es ihm glatt glauben.
»Wenn McDougle schon sonst nichts kann, auf seinen Orientierungssinn ist Verlass«, verteidigt Daniel ihn, bevor dieser es selbst tun kann. »Ich erinnere mich daran, dass man diese Felskette vom See aus sehen konnte, wenn sie auch ein ganzes Stück entfernt war.«
Mich wundert es, dass Daniel Partei für Jeff ergreift. Zu gern wüsste ich, ob sie das Kriegsbeil begraben haben, während ich im Delirium war.
Ich kneife die Augen zusammen und schaue mich um, ob ich irgendeinen markanten Punkt entdecke. Aber Fehlanzeige. Es fällt mir schon schwer, die Felskante zu fokussieren, die Sonne blendet mich zu stark.
Was ich gestern noch für die Nachwirkung meines Alkoholabusus gehalten habe, scheint wohl doch nur der Fortschritt meiner Verwandlung zu sein. Meine Augen stellen sich mehr und mehr auf den Nachtmodus um und reagieren empfindlich auf grelles Licht.
»Du siehst aus wie eine Eule. Vielleicht solltest du deine Brille mal wieder hervorkramen, Dawson«, ärgert Daniel mich.
Ich erwidere nichts, der Vergleich mit der Eule kommt mir einfach zu passend vor. Genau so fühle ich mich: wie eine Eule, die der Hunger zur falschen Zeit geweckt hat und die nun vergeblich versucht, bei Tageslicht Beute auszumachen.
»Unglaublich, dass ihr an mir gezweifelt habt«, sagt Jeff mit gespielter Empörung. Jetzt wirkt er wieder vollkommen von sich überzeugt. »Wir gehen schön weiter da lang, wo ich es sage. Dann treffen wir spätestens bei der Fabrik wieder auf unseren alten Kurs.«
»Na ob ich da unbedingt noch mal hinwill …«, werfe ich ein, setze mich aber in Bewegung.
»Ich habe dich damals gerettet, Süße, und ich werde es jederzeit wieder tun.« Jeff schließt zu mir auf und legt einen Arm locker um meine Schultern. »Jetzt, wo wir genügend Munition haben, kann nichts mehr schiefgehen.«
»Abwarten«, murmle ich und löse mich von ihm, indem ich meine Schritte beschleunige. Ich will nicht, dass er mir so nahe kommt. Allerdings ist der Grund dafür nicht die Angst, dass er sich infizieren könnte, sondern eher der Gedanke daran, was Daniel in puncto Jeff zu mir gesagt hat: ›Ich habe es satt, zuzusehen, wie er dich ständig begrabbelt.‹
Wir erreichen das Felsplateau, als die Sonne sich langsam dem Horizont nähert.
»Müssen wir jetzt da hoch?«, fragt Rita. Ihr Tonfall lässt keinen Zweifel daran, wie wenig Lust sie auf eine Kletterpartie hat.
Als Jeff verneint, atmet sie erleichtert aus.
»Wir gehen an der Steinkante entlang«, erklärt ihr Bruder und deutet nach rechts. »Sobald sich die Klippen abgesenkt haben, wenden wir uns wieder nach Westen.«
»Hast du auch schon eine Idee, wo wir die Nacht verbringen, du großer Anführer?«, mischt sich Daniel ein.
Jeff verzieht genervt das Gesicht. »Ist doch scheißegal, Jenkins. Wir müssen uns nicht mehr verstecken, schon vergessen? Wir sind nicht mehr wehrlos.« Er zieht die Pistole aus seiner Gesäßtasche und richtet sie auf Daniel.
Dieser verengt die Augen zu schmalen Schlitzen. »Nimm das Ding runter, sonst …«
»Sonst was?«, höhnt Jeff und lacht.
Ohne eine weitere Warnung holt Daniel mit dem Fuß aus und tritt Jeff die Pistole aus der Hand, sodass sie gegen die Felswand knallt.
»Du dämlicher Wichser«, schimpft Jeff und reibt sich die Finger. »Das tut voll weh.«
»Weichei«, brummt Daniel und bringt Jeff damit endgültig auf die Palme.
Rita und ich reagieren gleichzeitig. Sie klammert sich an Daniel, ich schiebe mich vor Jeff und stemme eine Hand gegen seinen Brustkorb.
»Ihr verdammten Streithähne«, fährt Rita Daniel an. »Ich habe echt die Schnauze voll!«
»Lass gut sein«, bitte ich Jeff, dem die Widerworte schon auf der Zunge liegen, wie ich an seinem geöffneten Mund erkenne. Da ich meine zweite Hand nicht benutzen kann, lehne ich mich gegen ihn und dränge ihn mit meinem Körper ein paar Schritte rückwärts, weg von Daniel. »Beruhig dich.«
Kurz ringt er mit sich. Dann legt er einen Arm um mich und presst die Lippen aufeinander.
Ich drehe den Kopf nach hinten. Meine Hoffnung, die beiden hätten ihre Differenzen geklärt, hat sich zerschlagen.
Von Daniel kommt kein Kommentar mehr, doch der Blick, den er Jeff zuwirft, könnte tödlicher nicht sein. Seine Augen huschen kurz zu Jeffs Hand, die jetzt auf meiner Hüfte liegt, und der Ausdruck in seinem Gesicht verfinstert sich noch mehr.
»Heb deine Scheißpistole auf«, knurrt er. »Damit wir weiterkommen.«
Jeff lässt mich los und holt die Waffe, während Daniel schon losgeht. Er packt mich am Arm und zieht mich mit sich.
»Und du sollst …«
»Mich von ihm fernhalten, schon klar«, beende ich seinen Satz. »Würde ich gern, kann ich aber nicht, wenn ich euch davon abhalten muss, wie zwei paarungswillige Hammel aufeinander loszugehen.«
Er gibt ein eigenartiges Geräusch von sich, das mich veranlasst, ihn anzusehen. Verkneift er sich wirklich gerade ein Lachen?
»Was ist daran so lustig?«, zische ich wütend.
»Du weißt schon, dass ›Hammel‹ eine Bezeichnung für kastrierte Schafe ist? Da ist nichts mehr mit paarungswillig.«
Ich kann nicht anders, als die Augen zu verdrehen. »Du weißt, was ich meine.«
Mit einem Ruck dreht er mich zu sich, sodass ich gegen seinen Oberkörper pralle. »Und du weißt, was ich meine.«
Erschrocken sehe ich zu ihm auf. Er hat den Kopf zu mir hinabgeneigt und sein durchdringender Blick löst eine Gänsehaut bei mir aus. Aber eine von der heißen Sorte.
Mir kommt es vor, als würden wir eine Ewigkeit so dastehen und uns einfach nur ansehen, bis seine Augen nach unten wandern. Mir ist bewusst, dass er in den Ausschnitt meines Hemdes schaut, doch anstatt das zu unterbinden, genieße ich es, dabei zuzusehen, wie sich ein zartrosa Hauch auf seine Wangen legt.
»Das Gleiche gilt auch für mich«, sagt er plötzlich und schiebt mich ein Stück von sich. »Abstand halten.« Dann geht er weiter und lässt mich vollkommen perplex stehen.
Wenn er so weitermacht, drehe ich bald durch. Es war viel leichter, als ich noch überzeugt war, dass er mich hasst. Jetzt, wo ich weiß, dass es ihn genauso viel Mühe kostet wie mich, seine wahren Gefühle zu unterdrücken, verkrampft sich mein Herz nur noch mehr.
Jeff tritt zu mir und es ärgert mich ungemein, dass er die Tränen sieht, die mir in den Augen stehen.
»Lass den Arsch quatschen, Süße. Tu, was du willst.« Er streicht mir eine Haarsträhne hinters Ohr und ich kann bei dieser lieben Geste nicht anders, als ihn anzulächeln. Dann geht er Daniel hinterher.
Als auch ich mich in Bewegung setzen will, höre ich Ritas scharfe Stimme in meinem Rücken.
»Könntest du mir bitte erklären, was hier gerade abgegangen ist, Cassidy?«
Oh, oh … Das klingt nach Ärger, gewaltigem Ärger!
Als ich mich umdrehe, steht Rita auch schon direkt vor mir und funkelt mich wütend an. Sofort muss ich an unsere erste Begegnung denken und an das, was sie beim Baden gesagt hat. Oh ja, dass sie eifersüchtig ist, glaube ich ihr aufs Wort!
Kurz überlege ich, einfach die scheinheilige Tour à la »Was meinst du?« zu fahren. Aber ich bin mir sicher, dass ich damit bei Rita nicht weit komme. Also entscheide ich mich für eine andere Taktik.
»Es reicht mir echt, wie Daniel mit Jeff umgeht!«, wettere ich lautstark los. »Mag sein, dass er den einen oder anderen Fehler gemacht hat, aber Daniel zieht sich ja an jeder Kleinigkeit hoch!«
Verdutzt sieht Rita mich an.
»Er kann echt froh sein, dass ich nur eine Hand zur Verfügung habe und er die festgehalten hat«, setze ich nach. »Sonst hätte ich ihm eine gescheuert. Jemanden ohne Vorwarnung zu treten … Sind die schon immer so miteinander?«
Ich hoffe inständig, dass ich Rita mit dieser Frage von dem Verdacht ablenken kann, der ohne Zweifel in ihrem Kopf spukt und noch dazu vollkommen berechtigt ist.
Sie zieht eine Augenbraue nach oben und ich befürchte schon, sie hakt doch weiter nach. Aber dann verdreht sie die Augen. »Früher waren die beiden unzertrennlich. Wir drei waren Geschwister im Herzen«, erzählt sie, während wir langsam Jeff folgen. »Für mich hat sich nichts geändert, aber die Jungs haben sich immer öfter in die Wolle gekriegt, je älter wir wurden. Es waren die typischen kleinen Machtkämpfe, wie man das von Brüdern kennt. Aber so wie jetzt haben sie sich noch nie aufgeführt …«
Ich seufze übertrieben gedehnt. »Diese Reise zehrt uns allen ganz schön an den Nerven«
»Dann ist es umso wichtiger, dass wenigstens wir zusammenhalten«, meint Rita beinahe fröhlich und hakt sich bei mir ein.
Ausnahmsweise lasse ich diesen engen Körperkontakt zu. Ich bin froh, dass ich ihre Eifersucht im Keim ersticken konnte, und will sie keinesfalls gleich wieder vor den Kopf stoßen.
Wir folgen dem Verlauf der Felsenkette eine Weile, wobei keiner von uns ein Wort spricht.
Meine Gedanken kreisen um etwas, das Rita gesagt hat. Dass die drei wie Geschwister waren und sich für sie nichts geändert hat. Heißt das nicht, dass sie in Daniel eher den Bruder als den Mann sieht?
»Rita?«, frage ich im Flüsterton, sodass die Jungs, die gut zwei Meter vor uns gehen, mich nicht hören. »Wie ist das eigentlich, wenn man verliebt ist?«
Rita hat die Stirn in Falten gelegt und betrachtet mich von der Seite.
Mist, ich hätte meine Frage etwas cleverer verpacken sollen. Sie wird bestimmt gleich wieder misstrauisch, so wie sie mich ansieht.
Dann schaut sie zu ihrem Bruder und fängt an, zu grinsen. Anscheinend hat sie ihre Schlüsse gezogen, wenn auch die vollkommen falschen.
»Ich hab’s gewusst«, raunt sie mir zu. »Du stehst auf Jeff. Deswegen hast du ihn vorhin so in Schutz genommen.«
»Was ist mit mir?«, will Jeff wissen und dreht sich zu uns um, während er rückwärts weitergeht.
Ich schicke ein Stoßgebet zum Himmel, dass Rita jetzt nichts sagt, was ich in den nächsten Tagen ausbaden muss.
Gott sei Dank hält sie sich zurück. »Ich habe gesagt, du bist ein Idiot«, antwortet sie trocken und nun grinse ich.
Jeff zieht eine Grimasse und zwinkert mir zu, bevor er sich wieder nach vorn wendet.
»Du solltest es ihm sagen«, meint Rita nun wieder in gedämpftem Ton. »Oder soll ich?«
»Untersteh dich«, sage ich schnell und knuffe sie in die Flanke.
»Also von seiner Seite aus brauchst du dir keine Gedanken zu machen. Er fährt total auf dich ab! Das hat er mir erzählt, als wir vor dem Labor auf euch gewartet haben.«
Als ich zu einem weiteren Hieb ansetze, hebt sie abwehrend die Hände.
»Schon gut, schon gut, ich halte mich raus.«
Ich gebe es auf. Der Versuch, Ritas Gefühle für Daniel zu analysieren, ist gründlich danebengegangen und so schweige ich lieber, bevor ich ihr noch mehr Stoff für irgendwelche idiotischen Spekulationen gebe.
Eine Weile später bleibt Jeff plötzlich stehen und deutet auf die Felswand ein Stück vor uns. »Wäre das den Herrschaften als nächtliches Domizil genehm?«
Etwa drei Meter über dem Boden befindet sich ein kleiner Absatz, bevor es bis zur oberen Kante des Felsens noch mal zwei Meter weiter geht. Auf dem Absatz steht eine Art Verschlag, der mich sehr an die kleine Bude erinnert, die ich früher mal mit Claire gebaut habe. Nur dass diese nicht aus zusammengenagelten Latten besteht, sondern aus verschieden großen Blechstücken. Irgendjemand hat sich hier ein Versteck gebaut, mit Teilen, die er vermutlich aus NNY hergeschleppt hat. Verrückt …
Kommentarlos macht sich Daniel daran, die Felswand hochzuklettern. Oben angekommen, inspiziert er den Verschlag. »Respekt, McDougle«, ruft er zu uns herab, als er fertig ist. »Der Spruch stimmt doch: Ein blindes Huhn findet auch mal ein Korn.«
Jeff grummelt etwas, das ich nicht verstehe, während Rita Daniel bereits nach oben folgt.
Wenn sie es so schnell da hoch schafft, dürfte es für mich ja kein Problem sein, sage ich mir.