Erhalten Sie Zugang zu diesem und mehr als 300000 Büchern ab EUR 5,99 monatlich.
Eine verbannte Jägerin auf der Suche nach ihrem Gefährten … Ein Krieger aus den Reihen der königlichen Garde … Eine Macht, die beide untrennbar miteinander verbindet … Als die Elfe Lysanna herausfindet, dass ihr Gefährte von dem gefürchteten Flammenden Lord gefangen gehalten wird, verspürt sie nur einen Wunsch: ihn zu befreien. Dabei zählt sie auf die Hilfe ihres Clans ›Angelus Mortis‹. Mitten in den Vorbereitungen auf den bevorstehenden Kampf taucht jedoch der Elfenkrieger Aerthas in ihrem Dorf auf, mit dem sich Lysanna auf unerklärliche Weise verbunden fühlt. Liegt es daran, dass sie beide geheimnisvolle Kräfte in sich tragen, die sie gemeinsam lernen müssen, zu beherrschen? Denn ihre vereinte Macht könnte die einzige Möglichkeit sein, den Flammenden Lord endgültig zu vernichten. Doch selbst wenn ihnen das gelingen sollte, steht die wachsende Zuneigung, die zwischen Aerthas und Lysanna entsteht, unter einem ungünstigen Stern.
Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:
Seitenzahl: 483
Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:
Inhaltsverzeichnis
Titel
Impressum
Informationen zum Buch
Landkarte
Prolog
Kapitel 1 - Lysanna
Kapitel 2 - Lysanna
Kapitel 3 - Lysanna
Kapitel 4 - Lysanna
Kapitel 5 - Aerthas
Kapitel 6 - Aerthas
Kapitel 7 - Aerthas
Kapitel 8 - Lysanna
Kapitel 9 - Lysanna
Kapitel 10 - Lysanna
Kapitel 11 - Lysanna
Kapitel 12 - Aerthas
Kapitel 13 - Aerthas
Kapitel 14 - Lysanna
Kapitel 15 - Lysanna
Kapitel 16 - Lysanna
Kapitel 17 - Lysanna
Kapitel 18 - Lysanna
Kapitel 19 - Lysanna
Kapitel 20 - Lysanna
Kapitel 21 - Lysanna
Kapitel 22 - Lysanna
Kapitel 23 - Lysanna
Kapitel 24 - Aerthas
Kapitel 25 - Aerthas
Kapitel 26 - Lysanna
Kapitel 27 - Aerthas
Kapitel 28 - Aerthas
Kapitel 29 - Aerthas
Kapitel 30 - Lysanna
Kapitel 31 - Lysanna
Kapitel 32 - Aerthas
Kapitel 33 - Aerthas
Kapitel 34 - Aerthas
Kapitel 35 - Lysanna
Kapitel 36 - Lysanna
Kapitel 37 - Aerthas
Kapitel 38 - Lysanna
Kapitel 39 - Lysanna
Epilog
Glossar
Dank
Über die Autorin
Das sagt die Autorin über sich selbst
Blogger fragen - Fanny Bechert antwortet
Fanny Bechert
Elesztrah
Band 1: Feuer und Eis
Fantasy
www.sternensand-verlag.ch | [email protected]
1. Auflage, November 2016
© Sternensand-Verlag GmbH, Zürich 2016
Umschlaggestaltung: Alexander Kopainski | alexanderkopainski.de
Elesztrah-Wappen: Fanny Bechert
Karte: Sternensand Verlag GmbH | Corinne Spörri
Lektorat / Korrektorat: Sternensand Verlag GmbH | Martina König
Satz: Sternensand Verlag GmbH
Alle Rechte, einschließlich dem des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten.
Dies ist eine fiktive Geschichte. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig und nicht beabsichtigt.
ISBN-13 Taschenbuch: 978-3-906829-27-2
ISBN-10 Taschenbuch: 3-906829-27-2
Elesztrah – Feuer und Eis
Eine verbannte Jägerin auf der Suche nach ihrem Gefährten …
Ein Krieger aus den Reihen der königlichen Garde …
Eine Macht, die beide untrennbar miteinander verbindet …
Als die Elfe Lysanna herausfindet, dass ihr Gefährte von dem gefürchteten Flammenden Lord gefangen gehalten wird, verspürt sie nur einen Wunsch: ihn zu befreien. Dabei zählt sie auf die Hilfe ihres Clans ›Angelus Mortis‹.
Mitten in den Vorbereitungen auf den bevorstehenden Kampf taucht jedoch der Elfenkrieger Aerthas in ihrem Dorf auf, mit dem sich Lysanna auf unerklärliche Weise verbunden fühlt. Liegt es daran, dass sie beide geheimnisvolle Kräfte in sich tragen, die sie gemeinsam lernen müssen, zu beherrschen? Denn ihre vereinte Macht könnte die einzige Möglichkeit sein, den Flammenden Lord endgültig zu vernichten.
Doch selbst wenn ihnen das gelingen sollte, steht die wachsende Zuneigung, die zwischen Aerthas und Lysanna entsteht, unter einem ungünstigen Stern.
Die Autorin
Fanny Bechert wurde 1986 in Schkeuditz geboren und lebt heute mit ihrem Mann und ihrer Katze Lucy im Thüringer Vogtland. Im »realen Leben« Physiotherapeutin, griff sie erst 2012 mit dem Schreiben ein Hobby ihrer Kindheit wieder auf. Was zuerst ein Ausgleich vom Alltag war, nahm bald größere Formen an, und so veröffentlichte sie im Juni 2015 ihren ersten Roman im Fantasy-Genre.
Auch heute geht sie noch ihrem Hauptberuf nach, obwohl die Tätigkeit als Autorin einen immer größeren Stellenwert in ihrem Leben einnimmt.
Prolog
Zehn Jahre zuvor ...
Der Elfenkommandant trieb sein Pferd zügig durch den Laubschattenwald, seine Soldaten dicht hinter sich. Es war still, nur das Trampeln der Pferde und die Geräusche der Waffen und Rüstungen waren zu hören. Den Elfen selbst kam kein Ton über die Lippen.
Die Sonne versank bereits hinter den Wipfeln, doch der Anführer des Trupps konnte die letzten warmen Sonnenstrahlen, die vereinzelt durch das dichte Laubwerk der Bäume fielen, auf seinen unbedeckten Händen spüren. Sie bildeten einen angenehmen Kontrast zu der kalten Luft, die das schnelle Reittempo ihm entgegentrieb.
Der Elf war tief in seinen Gedanken versunken. Er dachte an seine Schwester, die einzige enge Verwandte, die er noch besaß. Er hatte sie seit einer Weile nicht mehr gesehen und malte sich, wie schon oft zuvor, ihre nächste Begegnung aus.
Bisher hatte sie noch nicht von seinem Eintritt in das Heer des Prinzen erfahren. Sie billigte es nicht, dass er sich ebenfalls dem Kampf hingab, hatte sie es sich doch zur Aufgabe gemacht, ihren kleinen Bruder vor allem Bösen zu beschützen. Aber sie hatten eben mehr gemeinsam als nur die smaragdgrünen Augen und das lange, silbern glänzende Haar. Auch ihre Körperkraft und ihr Streben nach Gerechtigkeit glichen sich sehr und so war es nicht anders zu erwarten gewesen, als dass er sich in den Dienst des Herrn von Hohenfels stellen ließ. Immerhin waren ihre Eltern ebenfalls in dessen Armee gewesen, auch wenn sie in der großen Schlacht um Hohenfels vor einigen Jahrzehnten ihr Leben ließen. Seine Eltern …
»Kommandant, Kommandant!«, rief einer seiner Männer und riss ihn aus seinen trüben Gedanken. »Wir erreichen gleich die Grenze zu den ›Geisterfeldern‹!«
›Noch erhellen die letzten Sonnenstrahlen den Wald, doch es dürfte dunkel sein, bevor wir die Grenze erreichen‹, dachte sich der Elf. Doch auf den Geisterfeldern herrschte ohnehin stets das Zwielicht, also spielte die Tageszeit keine bedeutende Rolle. Daher gab er seinen Männern ein Zeichen, weiterzureiten.
Es dämmerte, als sie die Brücke überquerten, welche den Laubschattenwald von den Feldern trennte. Je weiter sie ihr Weg führte, desto kühler wurde es, obgleich zwischen den hüfthohen Sträuchern und dünnstämmigen Bäumen, die den Pfad säumten, kein Lüftchen wehte.
Eine beklommene, unbehagliche Stimmung legte sich über die Gruppe. Der Kommandant zügelte das Tempo seines Schimmels, der Rest der Männer tat es ihm nach. Dies hier war ein Ort der Stille und Ehrfurcht, keiner für wilden Galopp.
Doch so düster dieser Teil des Landes ihm und seinesgleichen auch erscheinen mochte, für die Tiere des Waldes machte es keinen Unterschied, auf welcher Seite der Grenze sie sich bewegten. Das leise Zwitschern der Vögel, die den Abend willkommen hießen, beruhigte die Reiter etwas.
Wieder versank der Trupp in Schweigen und nun grübelte der Kommandant über die bevorstehende Mission. Es sollte ein verdeckter Angriff auf ein kleineres Lager von Orks werden, ohne großes Risiko. Doch Orks waren immer ein Risiko, sie waren unberechenbar.
Plötzlich hörte er ein Rascheln und vernahm kurz darauf eine Bewegung in den Büschen zu seiner Linken. Ein junges Reh schnellte aus dem Blattwerk hervor. Es konnte sich noch knapp vor dem Pferd des Kommandanten vorbeizwängen, um dann auf der anderen Wegseite zu verschwinden. Nur ein paar Sekunden später und es wäre unter den Hufen seines Reittieres zertrampelt worden.
Ein weiteres Rascheln, eine weitere Bewegung aus derselben Richtung und ein weißer Tiger sprang auf den Weg und blieb direkt vor der kleinen Truppe stehen. Sein Auftauchen kam so überraschend, dass sich das Pferd des Elfen aufbäumte und seinen Reiter abwarf.
Unsanft landete der Kommandant auf dem Boden. Doch anstatt anzugreifen, legte der Tiger seinen Kopf schief und beäugte ihn neugierig.
Der junge Soldat, der direkt hinter ihm geritten war, legte blitzschnell seinen Bogen an und zielte auf das Tier.
»Loran, nicht! Er wird nicht angreifen, sonst hätte er es bereits getan!«, rief der Kommandant seinem Untergebenen zu.
»Er ist eine Sie und offensichtlich auf der Jagd«, antwortete der Schütze grimmig, ließ aber seinen Bogen sinken.
Noch während der Kommandant das imposante Tier musterte, flog ein Pfeil an ihm vorbei in die Richtung, in welche das Reh verschwunden war. Das Geschoss verfehlte den Elfen haarscharf und er konnte sogar den Luftzug an seiner Wange spüren.
Überrascht sah er sich um.
Schon sprang auch die Quelle des Pfeils aus dem Gebüsch und blieb neben dem Tiger stehen. Es war ein Waldläufer, grazil und flink. Er war in dunkles Leder gekleidet, Haar und Gesicht wurden von einer Maske verdeckt. Dazu trug er einen Bogen in der Hand und einen Köcher sowie einige Seile über der Schulter.
Die Augen des Kommandanten, der immer noch am Boden saß, glitten an seinem Gegenüber herab. Beim Anblick der eindeutig weiblichen Gestalt zog er die Augenbrauen hoch.
Die Waldläuferin murmelte ein paar Worte und die große weiße Katze sprang elegant davon. Dann kam die Frau auf ihn zu und kniete vor ihm nieder. Erst glaubte der Kommandant an eine Geste der Entschuldigung oder Ehrerbietung, da er im Rang deutlich höhergestellt war als sie. Ihr belustigtes Kichern jedoch machte deutlich, dass keines von beidem der Fall war.
Schnell sprang er auf die Füße, um aus der peinlichen Situation zu entkommen. Er klopfte sich den Staub von seiner Rüstung und reichte ihr die Hand, um ihr aufzuhelfen.
Die Tigerin erschien wieder. Im Maul trug sie das Reh, welches vor Kurzem noch lebendig an ihm vorbeigehuscht war. In seinem Hals steckte der Pfeil der Waldläuferin.
Ein so kleines Tier über weite Entfernung und aus der Bewegung heraus zu treffen, sagte viel über die Fähigkeiten der Jägerin aus. Der Elf hatte bisher selten eine bessere Präzision gesehen, nicht einmal bei Loran, den er gerade wegen seiner Schussfertigkeiten als seinen Partner im Kampf einsetzte.
Hätte die Waldläuferin auf ihn gezielt, wäre er tot gewesen, noch bevor sein Körper den Boden berührt hätte …
»Ist bei euch alles in Ordnung, mein Herr?«, fragte die junge Frau mit heller, freundlicher Stimme.
Der Kommandant löste seine Aufmerksamkeit von der Beute und wandte sich ihr zu. »Aber ja doch! Es ist schließlich nichts geschehen, Mylady«, antwortete er und versuchte möglichst ungezwungen zu klingen.
»Dafür seid Ihr aber gefallen wie ein nasser Sack«, erwiderte sie spöttisch.
Er musste sich ein Grinsen verkneifen angesichts ihres kessen Mundwerks. Immerhin beobachteten seine Männer gerade sehr genau, was sich da zu ihren Füßen abspielte. »Ich war ein wenig … überrascht. Mehr nicht.«
Die Tigerin drängte sich zwischen ihn und die Frau und ließ das Reh vor die Füße ihrer Herrin fallen.
»Wie gut für Euch, dass ich kein Ork bin«, sagte die Waldläuferin und kniete sich neben das tote Tier.
Der Elf wollte gerade etwas erwidern, als sie ihre Maske vom Gesicht nahm und neben sich zu Boden legte. Beim Anblick ihrer Schönheit verschlug es ihm die Sprache. Sie war ebenfalls vom Stamme der Elfen, wenn auch zierlicher und etwas jünger als er. Ihr Gesicht war schmal und wirkte mit den großen braunen Augen fast ein wenig kindlich. Das rote Haar floss wie ein Strom aus glühender Lava über ihre Schultern und gab ihrem Antlitz den passenden Rahmen.
Noch einmal sah die Elfe zu ihm auf, als sie seinen Blick auf sich spürte, und lächelte auf eine Art, die sein Blut in Wallung versetzte. Dann zog sie mit einem Ruck den Pfeil aus dem Hals des Rehs und ließ ihn zurück in ihren Köcher gleiten. Mit geübten Griffen verschnürte sie das Tier und warf es sich über die Schultern.
Als sie sich erhob, blickte sie ihm direkt in die Augen.
»Ich hoffe, Bella und ich halten Euch nicht von etwas Wichtigem ab?«, fragte sie und tätschelte liebevoll den großen Kopf der Tigerin.
Das erinnerte den Kommandanten wieder an seine Mission. »Ihr haltet uns nicht ab. Trotzdem sind wir in Eile und müssen jetzt weiter.«
Nur widerwillig löste er den Blick von der hübschen Elfe und stieg wieder auf sein Pferd.
»Auf bald, Mylady!«, rief er zum Abschied und setzte sein Pferd in Bewegung. Zu spät wurde ihm bewusst, dass er nicht mal ihren Namen kannte. Er drehte sich im Sattel um, nur um sie wenigstens noch einmal anzusehen. Doch die schöne namenlose Elfe war bereits verschwunden.
Sie legte einen Finger an die Lippen und bedeutete Bella damit, ruhig zu halten. Aus ihrem Versteck am Rande des Weges konnte sie die Gruppe von Soldaten und ihren Kommandanten beobachten.
Warum war sie nur so dumm und zurückhaltend gewesen? Sie hatte ihm ihr Gesicht offenbart und hätte damit das Recht gehabt, Gleiches von ihm zu fordern. Warum hatte sie das nicht getan?
Seine sanfte Stimme, die hochgewachsene Gestalt und die Strähnen silbrigen Haares, welche unter seinem Helm hervorfielen, hatten ihr Interesse geweckt. Und diese Augen, so grün und durchdringend …
Doch mehr als das würde sie nun nie zu Gesicht bekommen.
Lysanna beobachtete, wie sich der Truppenführer noch einmal der Stelle zuwandte, an welcher sie vor wenigen Sekunden noch gestanden hatte.
Sie duckte sich tiefer in die Schatten.
Ein Lächeln breitete sich auf ihrem Gesicht aus bei dem Gedanken, sie hätte vielleicht ähnliches Interesse bei ihm geweckt, wie er bei ihr.
Dann setzte sich der Zug mit dem unbekannten Krieger an der Spitze wieder in Bewegung und verschwand bald aus ihrem Blickfeld.
Kapitel 1 - Lysanna
Gegenwart …
Lysanna weiß nicht, wo sie sich befindet. Um sie herum ist nichts als grauer Dunst.
Plötzlich nimmt sie eine Bewegung zu ihrer Rechten wahr.
Im Schatten kann sie ihren geliebten Gefährten Mitzum erkennen. Er steht einfach nur da und sieht sie an. Aber er ist nicht allein. Eine Hand mit klauenartigen Fingern liegt auf seiner Schulter.
Als sich Lysannas Augen langsam an die Dunkelheit gewöhnen, erkennt sie die Person hinter ihm. Es ist Orano, ihr Gemahl, vor dem sie aus gutem Grund geflohen ist. Er sieht sie aus glühenden Augen an. Sein Gesicht ist ihr so vertraut, doch die Augen sind die eines Fremden. Das rote Glühen, das von ihnen ausgeht, lässt ihr einen Schauer über den Rücken rinnen.
Eine weitere Bewegung, nun zu ihrer Linken, erregt ihre Aufmerksamkeit.
Die Gestalt ihrer Tochter Fayori löst sich aus dem wabernden Nebel. Sie will auf Lysanna zulaufen, doch jemand hält sie zurück. Wieder steht Orano hinter ihr. Ein teuflisches Lächeln umspielt seine Lippen. Die roten Augen sind starr auf Lysanna gerichtet.
Ihr Blick wechselt zwischen den beiden wichtigsten Personen in ihrem Leben hin und her.
»So lange schon getrennt …«, dröhnt eine fremde Stimme in ihrem Kopf. »Du wünschst dir nichts mehr, als deine Familie wieder an deiner Seite zu haben. Nicht wahr, kleine Jägerin?«
Ein Lachen, dunkel und grausam, weht über sie hinweg.
»Ich kann dir geben, wonach du verlangst!«
Der Dunst teilt sich und gibt zwei Wege frei. Der eine führt zu dem Mann, den sie liebt – der andere zu ihrer Tochter.
»Doch es gibt für dich nur eine Richtung! Setzt du den Fuß auf einen der Wege, wird der andere dir auf ewig verschlossen sein! Für wen wirst du dich entscheiden?«
Wieder ertönt das schaurige Gelächter.
Lysanna sieht zu Fayori. Angst liegt in den Augen des Mädchens, ein stummes Flehen auf ihren Lippen. Die Elfe wendet den Kopf in Mitzums Richtung. Auch er sieht sie an, doch sind es eher Trauer und Abschied, was sie in seinem Gesicht findet.
»Rette deine Tochter«, scheint er ihr sagen zu wollen.
Langsam beginnen sich die Wege aufzulösen. Sie muss eine Entscheidung treffen, wenn sie auch nur einen der beiden retten will …
Kapitel 2 - Lysanna
Die Sonne stieg über den Horizont und tauchte die weite Steppe Kambrions in sanftes Dämmerlicht. In der Nacht hatte es aufgehört zu regnen und Nebel hing in dichten Schwaden über dem Lager der ›Angelus Mortis‹.
Der Clan von Verurteilten und Geächteten, der sich aus Elfen, Zwergen, Menschen und anderen Wesen zusammensetzte, lebte erst seit wenigen Wochen in diesem Dorf. Seit sie aus ihrer einstigen Heimatstadt Frostwall vertrieben worden waren, zogen sie umher, ständig den Gewalten der Natur ausgeliefert. Als der Schnee des vergangenen Winters zu schmelzen begann, hatten sie die Höhlen im Norden der Ebene verlassen.
Das weitläufige Dorf der Orks, welches dem Clan nun als zwischenzeitliche Zuflucht diente, hatten sie schon länger beobachtet. In der ersten Nacht, in der kein knirschender Schnee sie mehr verriet, griffen sie an.
Die meisten Orks hatten sie getötet, einige wenige waren geflohen, auch wenn sie sich noch in der Gegend herumtrieben. Die Gefangenen der Grünhäute, die in Käfigen im Zentrum des Lagers auf ihre Hinrichtung gewartet hatten, schlossen sich den ›Angelus Mortis‹ an.
Obgleich einige Hütten Opfer von Brandpfeilen geworden waren, bot dieses Dorf genügend Platz, sodass die äußeren Baracken noch immer unbewohnt waren. Dies bot dem Clan zusätzlichen Schutz, da eine scheinbar unbewohnte Siedlung unattraktiv für Trollüberfälle oder Banditenangriffe war. Die Orks wussten ohnehin, dass sie nicht mehr in ihr einstiges Zuhause zurückkehren konnten.
Lysanna schob das Fell vor ihrer Hütte zur Seite und trat hinaus. Frische Morgenluft wehte durch die schmalen Gassen der kleinen Siedlung. Der kalte Windhauch tat ihr gut, nachdem sie wieder einmal schweißnass aufgewacht war. Sie trug bereits die für sie typische Lederhose und ein braunes Leinenhemd, eine erfrischende Morgentoilette hatte sie sich jedoch noch nicht gegönnt.
Gegen den Eingang gelehnt, atmete sie tief ein. Mit den Fingern fuhr sie sich durch das dichte, schwarze Haar, welches eine Hand breit unterhalb ihrer Schultern endete, und schob es hinter die langen, spitzen Ohren. Seit Mitzums Verschwinden vor einigen Monaten war ihre einst rote Haarpracht dunkler als die Nacht geworden und spiegelte damit wider, wie es in ihrem Inneren aussah.
Wieder hatte sie einen dieser Träume gehabt, welche sie seit Wochen heimsuchten. Doch dieses Mal war es anders gewesen als sonst. Mit jeder Nacht, die sie träumte, waren die Wege ein wenig mehr verblasst, und heute waren sie fast ganz verschwunden. Deswegen hatte Lysanna eine Entscheidung gefällt und war einem der Wege gefolgt – zu ihrer Tochter.
Ganz fest hatte sie Fayori an sich gepresst und dabei verzweifelt Mitzums Namen geschrien. Doch ihr Gefährte hatte sich nur umgedreht und war mit dem Fremden, der die Gestalt ihres ehemaligen Gemahls hatte, davongegangen.
Noch immer erklang das furchtbare Gelächter in ihren Ohren, sah sie die rot glühenden Augen vor sich, die eindeutig nicht die von Orano gewesen waren.
Sie rieb sich mit beiden Händen über das Gesicht, um die Schrecken der Nacht fortzuwischen. Da vernahm sie Schritte, die sich eilig näherten.
»Lysanna – gut, dass du wach bist. Es gibt Neuigkeiten!« Nikka, die Gefährtin des Ratsherrn Yokumo, kam mit schnellen Schritten auf sie zu. Dabei raffte die braunhaarige Elfe mittleren Alters ihren Rock, um nicht zu stolpern.
»Bei den Ahnen, du siehst furchtbar aus. Fast, als hättest du in der letzten Nacht kein Auge zugetan.«
»Ich wünschte, es wäre so gewesen«, antwortete Lysanna und seufzte. »Von welchen Neuigkeiten sprichst du?«, fügte sie rasch hinzu, um unnötige Fragen zu vermeiden. Sie konnte später mit Nikka über ihren Traum sprechen. In ihrem Amt als Druidin stand diese in enger Verbindung zu den Geistern und konnte ihr daher vielleicht erklären, was er zu bedeuten hatte. Vielleicht hätte sie das schon viel eher tun sollen …
»Wusstest du, dass Sedan erneut gen Norden aufgebrochen ist?« Nikka klang abgehetzt, so sehr hatte sie sich beeilt.
Lysanna runzelte die Stirn. Der Seelenlose Sedan war ein Einzelgänger und unternahm viel auf eigene Faust, gerade wenn es die Suche nach Mitzum und Fayori betraf. Genau wie ihr standen die beiden Sedan sehr nah. Mitzum war sein Ausbilder gewesen, bedeutete ihm aber fast so viel wie ein Vater, und Fayori war seine Freundin und Partnerin bei ihrem gemeinsamen Training gewesen.
»Ich wusste nur von seiner Vermutung, Fayori könnte sich dort aufhalten.«
»Nun, auf jeden Fall ist er soeben zurückgekehrt. Und er ist nicht allein … Er hat deine Tochter wirklich gefunden!«
»Was?«, platzte es aus Lysanna heraus. »Wo ist sie?«
»In der großen Hütte, die Holly für die Kranken hergerichtet hat. Aber keine Sorge, es geht ihr so weit gut. Sie braucht nur etwas zu essen, etwas Schlaf und saubere Kleidung.«
Mit einem Schlag war Lysanna hellwach. Sie schob Nikka zur Seite und rannte los. Konnte es Zufall sein, dass ihre Tochter gerade jetzt wieder auftauchte, nachdem sie in ihrem Traum eine Entscheidung gefällt hatte? Eine Entscheidung für Fayori? Bedeutete es, dass sie ihren Gefährten Mitzum dadurch für immer verloren hatte?
Sie rannte quer über den Versammlungsplatz, die Stufen zu dem provisorischen Lazarett empor und fiel dort der Elfenkriegerin Tâlie in die Arme, die gerade die Hütte verließ.
»Stimmt es?«, keuchte Lysanna atemlos.
Die Aufregung und der kurze Spurt nahmen ihr fast alle Luft.
Tâlie wusste sofort, was sie meinte und nickte. Die groß gewachsene Elfe mit dem silberblonden Haar trat zur Seite und machte den Weg für Lysanna frei.
In der Hütte brannten nur ein paar wenige Kerzen und tauchten sie in schummriges Licht. Lysanna sah sich um, bis sie Sedan in einer Ecke entdecken konnte.
Der Seelenlose stand neben einem der Betten und lehnte gelassen an der Wand. Dabei wirkte er nicht wie ein achtzehnjähriger Junge, der sich um das Wohl seiner Freundin sorgte. Wie er sich gleichmütig durch das blonde Haar fuhr und sich dann über die schwarze Lederrüstung strich, die er immer zu tragen pflegte, machte es eher den Anschein, er würde sich langweilen. Dass dies nicht der Fall war, verrieten nur seine unruhigen Augen, die jede Bewegung im Raum genau erfassten.
Auf einem Stuhl am Kopfende des Bettes saß Holly, eine Priesterin und hochrangige Heilerin im Clan der ›Angelus Mortis‹.
Langsam und leise, um die anderen Kranken nicht zu stören, ging Lysanna zu den beiden hinüber. In dem Bett lag eine schmale Gestalt mit schwarzem Haar. Fayori.
Das Elfenmädchen schlief.
»Bei den Ahnen, sie ist es wirklich. Geht es ihr gut? Ist sie verletzt?«, flüsterte Lysanna. Und an Sedan gewandt fügte sie hinzu: »Was ist passiert? Wo hast du sie gefunden?«
»Sie ist gesund. Ein wenig schwach vielleicht, aber unverletzt«, erklärte Holly kurz. »Besprecht den Rest draußen, damit ihr niemanden aufweckt.«
Sedan stieß sich von der Wand ab, ergriff stumm Lysannas Arm und zog sie mit sich hinaus.
»Also, was ist passiert?«, fragte Lysanna noch einmal, als sie die Hütte verlassen hatten.
Zögernd sah Sedan erst sie und dann Tâlie an, die nun auf den Stufen vor dem Lazarett saß.
Viele gemeinsame Nachtwachen hatten Lysanna gezeigt, dass die sonst so abweisend und ernst wirkende Elfe auch eine andere Seite hatte. Eine, die sie nur wenigen zeigte. Nach und nach waren die beiden Freundinnen geworden und mittlerweile war Tâlie die Einzige, der Lysanna wirklich vertraute. Sie war es auch, der sie von ihren Träumen erzählt hatte.
»Ich habe keine Geheimnisse vor ihr«, sagte Lysanna zu Sedan und setzte sich demonstrativ neben Tâlie. »Erzähl.«
Sedan nickte und begann zu berichten, wie er auch noch die nördlichsten Teile Kambrions bis hinauf zum ›Land des ewigen Eises‹ nach Fayori abgesucht hatte. An der Grenze zu diesem kargen, tödlichen Land war er buchstäblich über das Mädchen gestolpert.
Es war Nacht gewesen und sie hatte ohne ein Feuer oder eine Art Lager auf dem kalten Fels gelegen, der den Übergang ins das Eisland darstellte, als wäre sie an dieser Stelle einfach zusammengebrochen … oder abgelegt worden. Fast hätte er sie gar nicht bemerkt, doch Lysannas Wolf, auf dem er geritten war, hatte das Mädchen sofort gewittert.
»Erst dachte ich, sie wäre tot«, erzählte Sedan jetzt. »Doch als ich ihr etwas Wasser einflößte, schlug sie die Augen auf. Für den Ort, an dem ich sie gefunden habe, war sie bei erstaunlich guter Kraft. Sie konnte gehen, reiten … nur gesprochen hat sie kein Wort. Mir schien es fast, als wäre ihr Körper zwar bei mir, ihr Geist jedoch sehr weit weg. Zumindest bis heute Nacht.«
Sedan machte eine kurze Pause, als würde er überlegen, wie er fortfahren sollte.
»Wir ritten die Nächte durch, gemeinsam auf dem Rücken deines Wolfes. Etwa eine Stunde bevor wir das Lager erreichten, fuhr sie plötzlich aus dem Schlaf. Sie schrie auf und stieß mich weg. Fast hätte der Graue uns beide abgeworfen. Ich redete beruhigend auf sie ein, bis sie erkannte, wer sie festhielt. Und dann … begann sie zu weinen … konnte sich nicht beruhigen, bis sie wieder in den Schlaf glitt.«
»Hat sie etwas gesagt?«, wollte Tâlie wissen.
»Nichts, was einen Sinn ergeben hätte. Sie stammelte immer wieder etwas von einem Nebel und dass sie sich an nichts erinnern könne, nur an Gesichter – an deines, Lysanna, und an Mitzums und das ihres Vaters Orano.«
Lysanna sah Tâlie an. Es lag auf der Hand, dass ihre Freundin in diesem Moment ganz ähnliche Gedanken hatte wie sie selbst.
Sie stand auf. »Kümmere dich bitte weiterhin um Fayori«, sagte sie zu Sedan. »Ich habe etwas zu erledigen. Wenn sie aufwacht, richte ihr aus, dass ich zu ihr komme, sobald ich kann« Und an ihre Freundin gewandt fügte sie hinzu: »Tâlie, würdest du mich bitte zu den Ställen begleiten?«
Während Lysanna ihren Reitwolf zum Aufbruch bereit machte, erzählte sie Tâlie von ihrem Traum der letzten Nacht und ihrem Verdacht bezüglich Fayoris Auftauchens. Auch Tâlie konnte einen Zusammenhang nicht ausschließen. Von dem kurzfristigen Entschluss ihrer Freundin hielt die Kriegerin jedoch nicht viel.
»Bist du dir sicher, dass es eine gute Idee ist, allein nach Hohenfels zu reiten?«, fragte sie Lysanna nun schon zum fünften Mal.
»Tâlie, ich muss mit Orano reden. Wenn jemand weiß, wo Mitzum zu finden ist, dann er. Es kann kein Zufall sein, dass Fayori von ihm spricht, nachdem er ständig in meinen Träumen aufgetaucht ist.«
»Aber wieso lässt du dich nicht von mir begleiten?«
»Allein bin ich schneller und falle in Hohenfels weniger auf. Außerdem wirst du hier gebraucht. Wenn wir beide fort sind, wer kann dann noch das Lager beschützen?«
Lysanna schenkte der Freundin einen vielsagenden Blick.
»Ganz wie du willst … «, entgegnete Tâlie, die immer noch nicht überzeugt klang. »Aber willst du nicht wenigstens bleiben, bis es deiner Tochter besser geht?«
Es war Lysanna immer schwergefallen, Fayori als solche zu betrachten. Wirkliche Muttergefühle hatte sie nicht für das Mädchen, das nicht in ihrem eigenen Leib herangewachsen war, auch wenn sie sich ihm irgendwie verbunden fühlte. Das Warten auf ihre Genesung würde also kein Grund sein, ihre Abreise zu verschieben.
Tâlie wusste das genau und erwartete daher auch keine Antwort auf ihre Frage.
»In ein paar Tagen bin ich zurück«, versprach Lysanna stattdessen. Dann trieb sie ihren Wolf an.
Sie ritt, so schnell es ihr Wolf zuließ und hielt sich auf den Wegen, um Wildtiere und feindliche Stützpunkte zu umgehen. In der ersten Nacht schlug sie ihr Lager kurz vor der Grenze zu Elesztrah auf, dem Heimatland aller Elfen. Der Graue musste sich ausruhen, war er ja schon einige Tage mit Sedan unterwegs gewesen. Doch den Rest des Weges legten sie ohne Pause zurück.
Während ihr Wolf über die Steppen und Wiesen jagte, kochten die Gefühle in Lysanna immer stärker hoch. Dabei hatte sie nicht nur mit den üblichen Emotionen wie Angst oder Wut zu kämpfen.
Dank der Wirkung dunkelster Magie schwelte in ihrem Inneren seit Jahren eine Glut, die sie nicht willentlich kontrollieren konnte. Je nachdem, in welchem Gemütszustand sie sich befand, zündelte diese als kleine Flamme vor sich hin, brannte hell und heiß oder loderte als ein alles verzehrendes Flammenmeer auf. Letzteren Zustand hatte sie, den Ahnen sei Dank, erst ein einziges Mal erlebt.
Doch die Gedanken an das, was sie vielleicht in Hohenfels erfahren könnte, waren finster genug, um das Feuer, das ihr ständiger Begleiter geworden war, so anzuheizen, dass es ihr die Schweißperlen auf die Stirn trieb.
Als die zweite Nacht schon lange über sie gekommen war, meinte Lysanna, die Bäume des Laubschattenwaldes um sich herum zu erkennen.
»Zuhause … «, wisperte sie.
Erinnerungen stiegen in ihr hoch, wie sie einst mit ihrem Vater durch diese Wälder getollt war und von ihm die Grundlagen des Jagens gelernt hatte. Doch sie wischte sie beiseite, hielt sich ihr Ziel vor Augen und trieb ihren Wolf weiter an.
»Du hast es fast geschafft«, flüsterte sie ihm ins Ohr, als sich nach einigen Stunden die Anhöhen der Festung Hohenfels vor ihnen erhoben – Heimatstadt der Königsfamilie und Herrschersitz der Elfen.
Einige Schritte bevor sie die Tore des majestätischen Baus erreicht hatten, brachte sie ihr Reittier zum Stehen. Sie stieg ab, griff in eine der Taschen, die dem Tier auf den Rücken gebunden waren und zog ein dunkelgrünes Cape heraus. Dieses legte sie sich um und schulterte ihren Bogen.
Noch bevor sie ihren Wolf zum Eingang der Elfenhauptstadt führte, zog sie sich die große Kapuze des Umhangs über den Kopf. Sie wusste nicht, ob es ihr als verurteilte Hofverräterin einen Platz auf einem der Steckbriefe eingebracht hatte, die stets in der Kaserne der Stadtwache aufgehängt waren. Aber falls dem so sein sollte, wollte sie nicht riskieren, bereits beim Betreten der Stadt verhaftet zu werden. Außerdem war es möglich, dass sich einige der Soldaten noch gut an die frühere Frau ihres Generals erinnern konnten, falls sie schon damals innerhalb der Stadtmauern gedient hatten.
Die großen hölzernen Tore standen weit offen. Rechts und links davon waren jeweils zwei Wachmänner postiert. Es musste Markttag in Hohenfels sein, denn zu anderen Tagen waren die Tore stets geschlossen. In Zeiten wie diesen musste man jederzeit auf einen Angriff vorbereitet sein, das wusste auch Prinz Etheron.
Lysanna hoffte, dass sie den Durchgang ungehindert passieren könnte. Doch die Wache, die ihr am nächsten stand, hielt sie auf.
»Name?«, fragte der etwas pummelige, in den Farben des Prinzen gekleidete Elf.
Lysanna zögerte einen Moment.
»Euer Name!«, wiederholte er. Er sah sie argwöhnisch an und versuchte angestrengt, ihr verborgenes Gesicht zu erkennen.
Sie musste schnell handeln, um nicht noch mehr Misstrauen zu erregen.
»Merinon, Tâlie Merinon«, antwortete sie dem Wächter.
Sie hatte keine Ahnung, welchen Stand Tâlies Familie innerhalb dieser Mauern einnahm, doch es war der erste Name, der ihr in den Sinn kam. Sie hoffte nur, dass keiner der Wächter Tâlie persönlich kannte, denn optisch unterschieden sie sich schon deutlich voneinander. Tâlie war hochgewachsen und von drahtiger, eher knabenhafter Figur. Sie selbst war für eine Elfe eher klein, mit schmaler Taille und deutlich weiblicheren Proportionen.
Der Wächter schien ihre Angabe jedoch nicht anzuzweifeln.
»Anliegen?«
»Ich …« Wieder zögerte sie mit der Antwort.
Plötzlich packte der zweite Wächter seinen Partner an der Schulter. »Weißt du nicht, wen du da vor dir hast? Das ist die Schwester des Hauptmanns! Lady Merinon, willkommen zu Hause. Seid Ihr hier, um Euren geschätzten Bruder zu besuchen?«
»Natürlich«, erwiderte Lysanna schnippisch, um ihre Verblüffung zu überspielen. Tâlie hatte nie einen Bruder erwähnt …
»Wo hält er sich auf?« Ihr war klar, dass sie die törichten Wachen täuschen konnte. Diesem Herrn Hauptmann sollte sie aber besser nicht über den Weg laufen.
»Im Rekrutierungsgebäude. Das ist …«
»Danke, ich weiß selbst, wo es sich befindet«, unterbrach sie den Elfen barsch.
»Nun, dann wünsche ich Euch einen schönen Aufenthalt«, stammelte dieser und wies mit einer einladenden Geste durch das Tor.
Lysanna atmete tief ein, als sie die Wächter passiert hatte, und führte ihren Wolf durch die Gassen in Richtung der Ställe. Trotz der Tatsache, dass die Straße, auf der sie ging, elfenleer war, zog sie die Kapuze noch ein wenig tiefer ins Gesicht.
Wenn es auch schon einige Jahre her war, hatte es doch eine Zeit gegeben, in der sie in dieser Stadt gelebt hatte. An Oranos Seite, der schon damals General des königlichen Heeres gewesen war, hatte sie in den hohen Kreisen von Hohenfels verkehrt und es gab sicherlich noch einige Lords und Ladys, die sie wiedererkennen würden. Sie wollte vermeiden, dass man ihre Anwesenheit bemerkte, eh sie zu ihrem geschätzten Gemahl vordringen konnte. Schließlich sollte ihr Besuch eine Überraschung sein.
Während sie zwischen den hohen, mit Gold und Purpur verzierten Häusern entlangschritt, wurde ihr erneut der Reichtum des Prinzen bewusst. Inmitten dieser verschwenderischen Dekadenz konnte man den Krieg und das Elend, welches in vielen Teilen Elesztrahs herrschte, schnell vergessen …
Als sie die Ställe erreicht hatte, übergab sie ihren Wolf an einen der Burschen mit der Bitte, ihn schnell für die Rückreise bereit zu machen. Auf ihre Frage, wo der General zu finden sei, erhielt sie die Auskunft, dass er gerade dem tagenden Rat im Thronsaal beiwohnte. Also setzte sie ihren Weg fort und steuerte das Zentrum der Festung an: das Schloss von Prinz Etheron, dem Herrscher des Elfenlandes Elesztrah.
Kapitel 3 - Lysanna
Am Thronsaal angekommen, wurde Lysanna der Zugang von einer Wache versperrt. Der Elf, der statt einer Rüstung eine edle Uniform trug, hatte braunes, kurzes Haar, in welchem sich bereits vereinzelt graue Strähnen zeigten. Auch die Fältchen um seine müden Augen ließen erahnen, dass er wohl schon mehrere Jahrhunderte gesehen hatte. Seine aufrechte Haltung und die Narbe auf seiner Wange verrieten ihr außerdem, dass er keinen unerheblichen Teil seines Lebens im Dienste der Stadtwache verbracht haben musste. Sie überlegte, ob sie sich vielleicht an seinen Namen erinnern konnte, denn seine Züge kamen ihr sehr bekannt vor.
»Der Prinz hält gerade Rat, ihr könnt keine Audienz bei ihm bekommen«, sagte die Wache schroff, als Lysanna die Hand hob, um an der großen Flügeltür zu klopfen.
»Ich will nicht zum Prinzen«, erwiderte sie im gleichen Tonfall. »Ich möchte General Rakenshar sprechen.«
»Auch das ist nicht möglich, der General nimmt ebenfalls am Rat teil.«
Sie hatte keine Zeit für höfliches Gerede. »Ihr werdet ihn sofort holen«, wies sie den Soldaten an und trat dichter an ihn heran.
»Was denkt Ihr Euch eigentlich? Dass ich den Rat störe und den General auf das Bitten einer einfachen Bettelmagd hin herauszitiere?« Mit einem abschätzigen Ausdruck im Gesicht schob er sie von sich weg.
»Auf das einer Magd nicht, auf das seiner Frau schon.« Sie schob die Kapuze ihres Mantels vom Kopf.
Es war ein Trumpf, den sie nicht hatte ausspielen wollen, doch der Soldat ließ ihr keine andere Wahl. Nach den Gesetzen des Prinzen war sie noch immer mit General Orano Rakenshar vermählt und dieser hatte sich natürlich nicht die Mühe gemacht, diese Verbindung offiziell zu lösen.
Das war ebenfalls ein Grund, warum Lysanna eigentlich keinen Fuß mehr nach Hohenfels setzte. Doch heute konnte sie es zu ihrem Vorteil nutzen.
»Oh, Lady …«
»Lohensan, ganz recht!«, unterbrach sie ihn, wohl wissend, dass er einen anderen Namen hatte benutzen wollen. Doch es war schwer genug, sich selbst als Oranos Gemahlin zu bezeichnen, da musste sie sich nicht auch noch mit seinem Namen und Titel ansprechen lassen.
»Ich hatte ja keine Ahnung …«, stammelte der alte Elf vollkommen überrascht. »Ich werde ihn sofort holen. Wartet doch bitte hier.«
Mit einer knappen Verbeugung wies er zu einem Nebenraum. Er selbst verschwand eilig durch die wuchtige Flügeltür, die sich hinter ihm mit einem lauten Knall schloss.
Lysanna trat in den ihr zugewiesenen Raum. Dieser war klein, jedoch wie alles andere in diesem Schloss prunkvoll eingerichtet. Die Wände waren mit Gemälden der Felder und Wälder rund um die Anhöhen geschmückt, gesäumt von schweren Vorhängen aus dunklem, purpurnem Samt. Fenster gab es keine.
An der Wand ihr gegenüber stand eine lebensgroße Statue des Prinzen, zu deren Seiten sich mit purpurnen Polstern beschlagene Bänke befanden. Sie durchquerte den Raum und nahm auf einer der Bänke Platz.
Kurze Zeit darauf ertönte das Geräusch der zuschlagenden Türen erneut. Als der Soldat zusammen mit Orano den kleinen Raum betrat, erhob sich Lysanna.
»Ich werde sie selbst in Gewahrsam nehmen, nachdem ich mit ihr gesprochen habe«, brummte der General und mit einer knappen Handbewegung bedeutete er dem Soldaten, sie allein zu lassen.
Orano war von imposanter, hochgewachsener Statur, hatte breite Schultern und unter der weißen, mit purpurnen Stickereien verzierten Uniform zeichneten sich deutlich Muskeln an Brust und Armen ab. Sein langes, schwarzes Haar hatte er, wie fast immer, zu einem Zopf gebunden, der ihm locker auf den Rücken fiel. Doch es waren seine herben Züge, die markanten Wangenknochen und die geschwungenen Augenbrauen, die seinem Gesicht diesen würdevollen Ausdruck gaben, der ihm schon so manche Tür geöffnet hatte – auch diejenige, die in Lysannas Leben geführt hatte.
»Soso, meine Gemahlin wünscht mich also zu sprechen. Ist der Tag deiner Rückkehr endlich gekommen, meine Schöne?«
Er trat auf sie zu und hob die Hand ihrem Gesicht entgegen. Instinktiv wich Lysanna ihr aus, sie kannte diese Geste zu gut. Schon fühlte sie, wie ihr Blut in seiner Gegenwart wieder zu kochen begann. Sie musste schnell handeln, eh es ihm gelang, erneut Kontrolle über sie zu gewinnen – etwas, das sie unbedingt vermeiden musste.
»Unsere Tochter ist wieder aufgetaucht«, erklärte Lysanna knapp, warum sie hier war.
Schlagartig verschwand das dreckige Grinsen aus seinem Gesicht. »Fayori? Wann? Wie?«, wollte er wissen.
»Tu nicht so, als ob du nicht wüsstest, was passiert ist!« Nun war sie es, die auf Orano zuging. Die Wut, die seit ihrer Abreise in ihr gewachsen war, machte sie für eine Weile immun gegen seinen dunklen Einfluss. »Orano, wo ist Mitzum?« Ihre Stimme war ruhig, doch konnte sie kaum den Zorn verbergen, der in ihr brodelte.
Er wich ihrem Blick aus. »Woher soll ich das wissen?«, blaffte er sie an.
Ohne darüber nachzudenken, griff sie nach dem Bogen auf ihrem Rücken, sprang auf Orano zu und drückte ihm den Griff gegen die Kehle. Damit trieb sie ihn rückwärts, bis er mit dem Rücken gegen die Wand stieß.
Ihr Übergriff kam für Orano so überraschend, dass er sich nicht zur Wehr setzte.
»Ich bin nicht hier, um Spielchen zu spielen, Liebster!«, zischte sie ihn an. »Ich habe dich gesehen, jede verdammte Nacht, seit die beiden verschwunden sind. Ich weiß, dass du etwas damit zu tun hast und ich frage dich nur noch ein einziges Mal: Wo ist Mitzum?« Die letzten Worte kamen lauter über ihre Lippen, als sie beabsichtigt hatte.
»Ich habe keine Ahnung, wo dieser Menschenabschaum ist!«, brüllte Orano zurück.
Schon steckte der Wächter ihren Kopf zum Eingang herein. Als er sah, in welcher Bedrängnis sich sein General befand, zog er das Schwert. Doch Orano machte eine abwehrende Handbewegung.
»Ich sagte, ich kümmere mich selbst um sie!«, fuhr er den Soldaten so böse an, dass sich dieser schnell wieder zurückzog.
»Ich werde dir sagen, was ich weiß. Aber nimm zuerst dieses Ding von meinem Hals«, keuchte Orano, dem langsam die Luft ausging.
Lysanna senkte ihren Bogen und trat einige Schritte zurück, froh über die erneute Distanz zwischen ihnen. Den Bogen hielt sie wie ein Schild vor ihren Körper, während sie Orano erwartungsvoll ansah.
»Kurz nachdem ich euch in Frostwall ausfindig gemacht und euch meine Truppen hinterhergeschickt hatte, erschien mir der Flammende Lord.«
Lysanna vergaß für einen Moment zu atmen. Der Flammende Lord, ein Gestaltwandler, war eines der gefürchtetsten Wesen ganz Elesztrahs, wenn nicht gar ganz Al’Arizons. Niemand hatte bisher sein wahres Äußeres gesehen und es war weithin bekannt, dass alles, nach dem dieses grausame Wesen strebte, die Macht über das gesamte Land war.
»Er bot mir einen Handel an«, fuhr Orano fort. »Er würde über dein Leben wachen und mich gleichzeitig von diesem Störenfried Mitzum befreien, der zwischen dir und mir stand. Er hat nicht viel verlangt dafür, einzig meine Loyalität zu dem Zeitpunkt, wenn er sie fordern würde …«
»Du hast Mitzum und Fayori diesem … diesem Monster überlassen?« Ihre Augen weiteten sich vor Entsetzen und Abscheu.
»Ich hatte doch keine Ahnung, was er tun würde! Erst als die beiden verschwunden waren, wurde mir bewusst, was passiert sein musste.« Er sah Lysanna an und wartete.
Doch sie war wie erstarrt, unfähig, etwas zu erwidern. Also sprach er weiter. »Ich habe Fayori genauso gesucht wie ihr auch«, verteidigte er sich. »Und dann erschien der Flammende mir ein weiteres Mal. Er sagte, unserer Tochter würde nichts passieren und ich bräuchte mir keine Sorgen zu machen. Er würde sie heil zu mir zurückbringen. Sie diene lediglich dazu, dir und Mitzum den rechten Weg zu weisen. Mit diesem Dieb hätte er andere Pläne. Und ich wolle doch immer noch, dass Mitzum aus deiner Nähe verschwindet …«
Langsam fand Lysanna ihre Sprache wieder. »Du hast es zugelassen, ja?«
Orano zuckte nur mit den Schultern.
Sie sah ihn an. Ein Sturm von Gefühlen brach über sie herein. Angst und Sehnsucht nach Mitzum, Sorge um Fayori und Hass … blinder Hass auf diesen Elf, der da vor ihr stand. Nur mit Mühe hielt sie sich zurück, ihn nicht hier und jetzt anzugreifen, denn in diesem Moment wünschte sie sich nichts sehnlicher als seinen Tod.
»Verstehst du denn nicht? Ich habe das alles für uns getan. Du und Fayori, ihr gehört mir!«, versuchte Orano erneut, sich zu erklären.
Mit vor Wut zitternden Händen befestigte Lysanna den Bogen wieder auf ihrem Rücken.
Er hatte schon genug getan, seit sie ihn kennengelernt hatte, und nur weniges war darunter, an das sie sich gern erinnerte.
»Denkst du wirklich, ich würde an deine Seite zurückkehren, nach allem, was du mir angetan hast? Lieber sterbe ich …«
Sie warf ihm einen letzten verächtlichen Blick zu. Dann drehte sie sich um und verließ den kleinen Raum.
Sie schritt an dem Wächter vorbei, der noch immer mit gezogenem Schwert davorstand. Er machte keine Anstalten, sie aufzuhalten – nicht, bevor Orano ihm den entsprechenden Befehl dazu gab.
Noch ein paar Schritte ging sie in gemäßigtem Tempo, dann rannte sie los. Sie musste ihren Wolf holen und Hohenfels so schnell wie möglich verlassen, bevor Orano zu seiner gewohnten Arroganz zurückfand und zur Jagd auf sie blies.
Wider Erwarten konnte sie jedoch unbehelligt aus der Hauptstadt entkommen. Vielleicht hatte Orano endlich begriffen, dass er keinen Anspruch mehr auf sie hatte.
Lysanna zweifelte aber daran, dass diese Erkenntnis von Dauer sein würde. Dazu kannte sie ihn zu gut.
Auf dem Rückweg ritt sie in ruhigerem Tempo. Ihr Wolf war erschöpft von den Strapazen der letzten Tage. Außerdem brauchte sie Zeit zum Nachdenken.
Wenn Mitzum in den Händen des Flammenden Lords war, würde es zumindest bedeuten, dass er noch lebte. Es gab also noch Hoffnung, ihn wiederzufinden. Für Lysanna lag das weitere Vorgehen auf der Hand: Sie musste bei dem Flammenden persönlich nach ihrem Gefährten suchen. Mehr noch – sie würde den Lord töten müssen, um ihren Liebsten zu befreien.
Allein war dies ein unmögliches Unterfangen. Doch vielleicht konnte sie Hilfe in den Reihen des Clans finden. Ja, sie würde Yokumo, den Ratsherrn und Anführer des Clans, um die Unterstützung der ›Angelus Mortis‹ bitten. Gemeinsam sollten sie fähig sein, dieser Bestie den Garaus zu machen.
Kapitel 4 - Lysanna
Noch am Abend ihrer Rückkehr sprach Lysanna mit Yokumo.
Der Ratsherr hatte zunächst über ihr Vorhaben gelacht, doch nach längerem Nachdenken hatte er ihr schließlich doch seinen Beistand und damit den Beistand des gesamten Clans versichert – vorausgesetzt, der ›Hohe Rat‹ der ›Angelus Mortis‹ würde genauso entscheiden. Allerdings war seine Hilfe an eine Bedingung geknüpft. Lysanna, die bisher nur ein normales Mitglied des Clans gewesen war, sollte sich dem ›Hohen Rat‹ anschließen, ihr Leben ganz dem Clan verschreiben.
Noch am selben Tag kam es zu einer Vollversammlung des Rates am abendlichen Lagerfeuer. Der Ratsherr erklärte mit wenigen Worten, warum er diese einberufen hatte, eh er das Wort an Lysanna abgab.
»Ich bin dankbar und fühle mich geehrt, dass ich in dieser Nacht ein Teil des Rates werden darf und bin bereit, dem Clan die ewige Treue zu schwören. Doch gleichzeitig gibt es etwas, um das ich bitten möchte.« Sie machte eine bedeutungsvolle Pause.
»Wie ihr wohl alle wisst, war die Suche nach Fayori endlich erfolgreich.« Bei diesen Worten sah sie ihre Tochter an.
Nach ihrem Gespräch mit Yokumo war sie bei Fayori gewesen, hatte sich überzeugt, dass es ihr wirklich gut ging und sich ihre Version von dem erzählen lassen, was seit ihrem Verschwinden geschehen war.
Fayori hatte aber nichts Neues berichten können. Für sie war die Flucht aus ihrer Heimatstadt Frostwall das Letzte, woran sie sich erinnern konnte, bis Sedan sie gefunden hatte.
Als Lysanna ihrerseits die Dinge, die sie von Orano erfahren hatte, offenlegte und auch ihre Entscheidung, dem Clan beizutreten, kundtat, war das Mädchen nicht mehr davon abzubringen gewesen, es ihr gleichzutun. Deswegen war auch sie nun hier.
»Durch meine Tochter sind wir an entscheidende Informationen gekommen.« Lysanna verdrehte die Tatsachen bewusst, denn sie hatte keine Lust, ihren Besuch in Hohenfels zum Thema zu machen. Das würde die kommende Diskussion nur sinnlos in die Länge ziehen. »Wir wissen nun auch, wo sich Mitzum befindet. Er ist dem Flammenden Lord in die Hände gefallen.«
Einem aufziehenden Sturm gleich, ging erst ein Raunen durch die Umstehenden, das dann zu leisen Worten und schließlich zu lauten Rufen anschwoll, bis Yokumo scharf um Ruhe bat.
»Ich weiß, dass der Clan schon viel für uns getan hat«, fuhr Lysanna fort. »Ihr habt Fayori, Mitzum und mich aufgenommen, als wir auf der Flucht vor Orano waren. Ihr habt uns beschützt und eure Heimat für uns geopfert, als das Heer des Prinzen uns entdeckt hat und habt mich trotzdem weiter bei euch geduldet, anstatt euch der Quelle des Übels einfach zu entledigen. Und dafür stehe ich tief in eurer Schuld. Aber in den zwei Jahren, die wir bei euch gelebt haben, haben sich Banden zwischen uns entwickelt, die über das einfache Leben miteinander hinausgehen. Wenn ich euch ansehe, dann blicke ich in die Gesichter von Freunden.« Wieder hielt sie kurz inne und war dankbar über jedes Lächeln, das ihr entgegengebracht wurde. Dann setzte sie zum wichtigsten Teil ihrer Rede an.
»Mein Gefährte, euer Freund, befindet sich in den Fängen des größten Schreckens unserer Zeit und ich werde ihn befreien. Allein mag das unmöglich erscheinen, doch mit eurer Hilfe – mit der Hilfe der ›Angelus Mortis‹ – kann es gelingen, diesem mächtigen Feind die Stirn zu bieten. Also frage ich euch: Seid ihr bereit, mit mir in diesen Krieg zu ziehen?«
Wie zu erwarten gewesen war, begann sofort eine heftige Debatte. Doch zu Lysannas Erstaunen dauerte es nur wenige Minuten, bis der Rat fast einstimmig seinen Beistand bekundete. Dabei war Tâlies Argument, welch großen Ruhm der Sieg über den Flammenden Lord doch für den Clan bedeuten würde, nicht unerheblich.
Danach folgte das Aufnahmeritual in den Rat, welches vorwiegend aus verschiedenen Leitsätzen und Prinzipien bestand, die Yokumo vorbetete und die Lysanna und Fayori im Chor wiederholten. Als auch das beendet und die neuen Mitglieder mit jeder Menge Wein begossen waren, widmete man sich der Planung der nächsten Schritte im Hinblick auf ihr neues Ziel: den Flammenden Lord.
Die erste Aufgabe würde darin bestehen, ihn überhaupt zu finden, wofür Spione und Kundschafter ausgesandt werden würden – nicht zuletzt auch zu Oranos Beobachtung, dem sich der Flammende früher oder später zeigen würde, um seinen Lohn zu fordern.
Bis dahin hieß es nun, sich in Geduld zu üben. Und das gehörte nicht zu Lysannas Stärken.
Das Leben als Ratsmitglied unterschied sich kaum von dem eines normalen Clanmitgliedes. Yokumo spannte die Jägerin in jegliche Arbeiten ein, die es rund um das Dorf zu erledigen gab und Lysanna übernahm ohne Zögern jede Aufgabe, die ihr zugewiesen wurde.
So war ihr Alltag geprägt von Wachdiensten zum Schutz des Lagers und von Überfällen auf vorbeiziehende Gruppen von Orks, Trollen und allem anderen Gesindel, welches die Farben des Feindes trug. Jedoch fanden sie bei keinem ihrer Opfer Informationen darüber, wo sich der Flammende Lord aufhalten könnte.
Yokumo bat sie ebenfalls, die jüngeren und kampfunerfahrenen Bewohner im Bogenschießen zu unterrichten. So verbrachte sie auch viel Zeit auf dem Übungsplatz, welchen die Mitglieder des Clans am Rande des Dorfes errichtet hatten.
Dort fing sie auch wieder an, selbst zu trainieren. Sie beherrschte den Bogen wie kein anderer und auch im Umgang mit dem Dolch war sie recht geübt. Doch das reichte ihr nicht. Sie wollte alle Waffen führen können, um in dem bevorstehenden Kampf nicht aufgrund von Unerfahrenheit zu scheitern. Mal trainierte sie mit Tâlie den Gebrauch eines Kriegshammers, dann wieder ließ sie sich von Nikka, Yokumos Gemahlin, in die Kunst des Stabkampfes einführen oder von dem Zwerg Tessel das rechte Schwingen einer Streitaxt erklären. Aber in keiner Kunst erreichte sie auch nur annähernd die Fertigkeiten, die sie mit dem Bogen besaß.
Einige Wochen waren vergangen, ohne dass sie Neuigkeiten von dem Verbleib Mitzums oder des Flammenden Lords erhalten hatten.
Lysanna saß in ihrer Hütte und war gerade dabei, ihren Bogen neu zu spannen. Die weiße Tigerin Bella, treue Begleiterin seit Kindertagen, lag zu ihren Füßen, schnurrte leise vor sich hin und döste.
Mit den Gedanken bereits bei der bevorstehenden Wache, versuchte Lysanna alle anderen Dinge aus ihrem Kopf zu verdrängen. Wollte sie das Lager auch nur annähernd gut schützen, benötigte sie all ihre Konzentration. In letzter Zeit mehrten sich die Angriffe feindlicher Trollstämme und es geschah nicht selten, dass eine zunächst ruhige Nacht blutig endete. Vertieft in ihre Gedanken und ihre Arbeit, bemerkte sie nicht, wie jemand ihre Hütte betrat.
»Lysanna?« Im Eingang stand Tâlie, wie immer in voller Rüstung. Das silbrige Haar fiel ihr lang über die Schultern und wurde nicht wie sonst von einem Helm verdeckt.
»Tâlie, komm rein!«
»Ich weiß, dass du zur nächsten Wachschicht eingeteilt bist, aber ich benötige deine Hilfe.«
Ihr Gesicht gab Lysanna keinen Aufschluss darüber, was die Elfe von ihr wollte.
»Ist etwas passiert?«
»Nun, in gewisser Weise ja«, antwortete Tâlie zögerlich. »Wir haben Gäste im Lager.« Sie machte eine kurze Pause und seufzte. »Ein Trupp Soldaten der Garde des Prinzen ist eingetroffen. Orano führt ihn an.«
Lysannas Miene verfinsterte sich. Er war der Letzte, den sie hier im Lager gebrauchen konnte. So viel zu ungestörter Konzentration auf die kommende Wache.
»Es gab Schwierigkeiten auf ihrem Weg hierher. Insgesamt haben es nur vier Männer geschafft. Unter ihnen ist auch mein Bruder Aerthas«, sprach Tâlie weiter. Nun war sie es, die finster schaute.
Lysanna hatte sie nur selten von ihrer Familie sprechen hören. Nach ihrer Rückkehr aus der Hauptstadt hatte sie Tâlie nach ihrem Bruder gefragt, konnte aber nur in Erfahrung bringen, dass die Kriegerin alles daran gesetzt hatte, ihn von Kämpfen jeder Art fernzuhalten. Das allein war der Grund gewesen, warum sie eine Ausbildung zum Paladin in Elesztrah absolviert hatte – damit er es nicht tat. Aufgestiegen zum Hauptmann im Heer des Prinzen, hatte er anscheinend doch seinen Weg in den Krieg gefunden.
»Und auch er …«, fuhr Tâlie fort. »Nun, sagen wir, der vergangene Kampf hat sein Leben verändert. Ich möchte, dass du ihn kennenlernst. Ich glaube, dass ihr etwas gemeinsam habt.«
Sie bedeutete Lysanna, ihr zu folgen. Zusammen verließen sie die Hütte und machten sich auf den Weg zum Haus der Kriegerin.
»Im Kampf wurde er schwer verwundet«, erklärte Tâlie unterwegs. »Wäre Orano nicht da gewesen, wäre er tot … Welche Magie der General auch immer beherrscht, sie hat Aerthas das Leben gerettet.«
Lysanna blieb kurz stehen. Sie erinnerte sich daran, was Mitzum ihr damals über Oranos Rückkehr aus dem Reich der Toten erzählt hatte, nachdem sie geglaubt hatte, er wäre für immer aus ihrem Leben verschwunden.
Fortan wird er ein halbes Leben führen. Kalte Magie fließt nun dort, wo einst warmes Blut seine Kreise zog. In den Büchern werden sie als Grenzschreiter, als Weltenwechsler bezeichnet. Doch der Volksmund nennt sie nur Dunkelritter.
Dass diese Dunkelritter allerdings selbst magische Fähigkeiten haben sollten, war ihr neu.
»Nur ist mein Bruder bereits wieder im Aufbruch«, sagte Tâlie nun. »Er meint, er könne jetzt nichts mehr verlieren und denkt nicht daran, dass ich dabei eine Menge zu verlieren habe.«
Zum ersten Mal bemerkte Lysanna so etwas wie Trauer in den Augen ihrer Freundin, die ebenfalls stehengeblieben war und sie nun durchdringend ansah.
»Ich möchte nicht, dass er gleich wieder aufbricht. Auf mich hört er nicht. Aber du … sprich mit ihm, ja? Hilf ihm bitte. Bring ihn dazu, dass er bleibt.«
Lysanna nickte und sofort entspannte sich Tâlie etwas.
Während sie weitergingen, dachte sie über die Bitte ihrer Freundin nach. Was sollte sie sagen? Was erwartete sie von ihr?
Da kam Tâlies Behausung in Sicht. Orano hatte sich davor aufgebaut, als ob er sie bewachen wollte.
Ohne ein Wort ging Tâlie an ihm vorbei und schlüpfte in die Hütte. Lysanna hatte keine Lust, auch nur einen Moment allein mit dem verhassten Elfen zu bleiben.
»General«, grüßte sie ihn knapp und wollte sich ebenfalls an ihm vorbeischieben, aber er streckte einen Arm zur Seite aus und hielt sie an der Taille fest.
»Hallo, meine Schöne, freut mich sehr, dich wiederzusehen.« Grinsend zog er sie ein Stück näher zu sich. Er tat tatsächlich so, als hätte ihre Auseinandersetzung in Hohenfels nie stattgefunden!
»Nimm bloß deine Hand da weg«, zischte sie.
Mit einem überheblichen Lachen ließ er sie los. »Ich werde eine Weile hierbleiben, meine Schöne, ich habe also Zeit. Wir können uns auch gern später unterhalten.«
Sie würdigte ihn keines weiteren Blickes, sondern folgte Tâlie ins Innere der Hütte.
Die Kriegerin stand immer noch im vorderen Teil des Raumes. »Aerthas, ich möchte dir jemanden vorstellen. Das ist Lysanna.« Und ohne ein weiteres Wort drängte sie sich an ihr vorbei und ließ sie beide allein.
Unschlüssig, was sie sagen sollte, sah Lysanna den Elfen an, der in der Mitte des Raumes auf einem Schemel saß.
Er hatte ihr den Rücken zugekehrt.
Man hätte ihr nicht sagen müssen, dass er Tâlies Bruder war. Schon allein sein silbriges Haar ließ das erkennen, welches weit auf seinen Rücken hinab fiel. Erst jetzt erkannte sie, dass er von seiner Rüstung nur den unteren Teil trug. Beim Anblick des muskulösen Oberkörpers errötete sie sofort, denn ihr gefiel, was sie sah. Sie wollte sich bereits abwenden, als ihre Augen eine bläulich schimmernde Stelle unterhalb seines linken Schulterblattes streiften. Eindeutig eine frische Wunde, deren tödlichem Ausmaß mittels Magie Einhalt geboten wurde.
»Mylady. Was kann ich für Euch tun?« Er sprach mit abweisender Stimme, ohne sich zu ihr umzudrehen.
Um ihn herum war der Boden von einzelnen Teilen einer verbeulten Rüstung bedeckt. Dazwischen lagen hier und da Lebensmittel, Stricke und Fläschchen mit schimmernden Tinkturen. Offenbar war Aerthas dabei, seinen Rucksack für die Abreise zu packen.
Für Lysanna stand fest, dass dieser Krieger nicht lange im Lager bleiben würde.
Sie wusste nicht so recht, wie sie das Gespräch beginnen sollte. Sie kannte diesen Elfen ja überhaupt nicht. Doch ihre Freundin hatte sie wohl nicht ohne Grund um diesen Gefallen gebeten.
»Tâlie macht sich große Sorgen um Euch, mein Herr. Sie befürchtet, Ihr würdet Euch kopfüber wieder in die Schlacht stürzen. Und wenn ich sehe, was Ihr um Euch geschart habt, scheint sie mit dieser Vermutung nicht falschzuliegen.«
Er hielt inne beim Packen, sah sie jedoch weiterhin nicht an. »Ach, Sorgen macht sie sich, ja?« Seine Stimme hatte einen ironischen Unterton angenommen. »Und was denkt sich meine liebe Schwester dabei, Euch zu schicken? Hofft sie, Ihr könntet mich umstimmen?«
»In der Tat. Ich glaube, deswegen bin ich hier«, entgegnete sie mit fester Stimme. Dann wurde ihr Ton weicher. »Bedenkt, Ihr habt eine Verletzung erlitten, deren Genesung viel Kraft verlangt. Ihr wärt in keiner Weise fähig, jetzt schon wieder in den Kampf zu ziehen, sondern würdet nur in Euren endgültigen Tod laufen. Bleibt eine Weile im Lager, ruht Euch aus, sammelt neue Kraft. Dann wird Tâlie Euch sicher ruhigen Gewissens ziehen lassen.«
Aerthas schnaubte verächtlich. »Meine Schwester macht sich zu viele Sorgen«, antwortetet er kühl, fast schon wütend. »Das war schon immer so und wird sich auch nie ändern, wie lange ich auch bleibe. Hätte ich dank ihrer Fürsorge nicht erst so spät meine Kampfausbildung begonnen, wäre ich vielleicht kein so leichtes Ziel gewesen und wäre nicht …«
»Sie will und wollte Euch immer nur schützen! Ist Euch das gleichgültig?«, rief Lysanna.
Auch in ihrer Stimme schwang nun Zorn mit. Gab dieser Elf wirklich seiner Schwester die Schuld daran, dass er fast sein Leben verloren hatte?
Er blieb ihr die Antwort schuldig und fuhr fort, verschiedene Utensilien in seinen Beutel zu stopfen. So würde sie ihn wohl kaum zum Bleiben bewegen können.
Unschlüssig sah sie sich in der Hütte um. An einer Wand lehnte ein verbeultes Schwert, in das ihr unbekannte Symbole eingeprägt waren. Sie ging hinüber und strich mit den Fingern vorsichtig über das kalte Metall.
»Ein schönes Schwert, wunderbar gearbeitet und von reinster Qualität. Wo habt Ihr es her?«, wollte sie wissen.
»Es ist ein Erbstück meines Vaters.«
Natürlich, die Zeichen darauf konnten nur aus der Schrift der alten Hochelfen stammen. Er war also von höchst edler Abstammung. Noch etwas, das Tâlie in all ihrer gemeinsamen Zeit nicht erwähnt hatte. Bei der nächsten Gelegenheit wollte Lysanna sie danach fragen.
»Gibt es sonst noch etwas, was Ihr wissen möchtet, oder darf ich mich in Ruhe meinen Reisevorbereitungen widmen?«, fragte der Elf gereizt.
Eine Sache war da tatsächlich noch, die sie interessierte. Sie wollte zu gern wissen, warum Orano hier war.
»Darf ich fragen, was Euch in diese Gegend getrieben hat? Man trifft nicht oft Soldaten des Prinzen in diesem Gebiet, schon gar nicht unter der Führung des Generals.«
»Der General hat einen Auftrag, zu dessen Erfüllung er meine Unterstützung wollte. Mehr kann ich Euch nicht sagen.« Er fuhr sich seufzend mit der Hand durchs Haar, eh er in ruhigerem Ton weitersprach. »Mylady, ich danke Euch, dass Ihr meiner Schwester eine so treue Freundin seid, aber es wäre besser, Ihr geht jetzt.«
»Bitte, Aerthas.« Sie hatte kurz gezögert, ihn beim Namen anzusprechen, waren sie ja einander noch nicht offiziell vorgestellt worden. Doch Höflichkeit war es jetzt wohl nicht, die hier weiterhalf. »Bleibt nur ein paar Tage und genießt die Gastfreundschaft unseres Clans. Dann könnt Ihr gehen, wohin Ihr wollt. Tut es für Tâlie.«
Bei diesen Worten trat sie dicht hinter ihn. Wieder blieb ihr Blick an der Narbe auf seinem Rücken hängen. Ohne darüber nachzudenken legte sie eine Hand auf die Wunde.
In dem Moment, als sich Haut und Haut berührten, durchfuhr sie ein eisiger Hauch. Bilder eines Kampfes zeigten sich vor ihren Augen. Sie hörte das Klirren von Metall, Schreie und etwas Dumpfes, wie eine Explosion. Sie sah Erinnerungen, die nicht ihre eigenen waren. Dann spürte sie einen starken Schmerz im Rücken, das Eindringen einer Klinge. Sie konnte fühlen, wie eine unwirkliche Kälte nach ihr griff, an ihr zog, sie mit sich nehmen wollte in einen ewigen Schlaf. Aber da war noch etwas anderes: Eine eisige Hand, die sich schützend über ihre Seele legte. Ihr ganzer Körper schien von innen heraus zu erfrieren.
Sie stieß keuchend die Luft aus ihren Lungen und zog ihre Hand zurück. Hatte sie gerade erlebt, was Aerthas auf dem Schlachtfeld widerfahren war?
In diesem Augenblick sprang er auf und drehte sich zu ihr um. Sie sah in sein Gesicht, sah seine makellosen Züge und seine grünen, geweiteten Augen. Da wusste sie, dass auch er etwas gespürt hatte.
»Du …!«, stieß er überrascht aus, als er sie ansah.
Erschrocken trat sie einen Schritt zurück. Waren sie einander schon einmal begegnet? Hatte er sie, als sie Orano in Hohenfels aufgesucht hatte, etwa doch gesehen? Oder war er nur erbost, weil sie ihm zu nahe gekommen war?
Als sich ein freundliches Lächeln auf seine Züge legte, entspannte sie sich ein wenig.
»Mylady, es scheint so, als habe der Tod auch Eure Seele bereits berührt, nicht wahr?«, sagte er leise.
Mehr als ein Nicken brachte sie nicht hervor.
Er stellte sich vor sie und musterte sie. Da war etwas in seinen Augen, was ihr Herz schneller schlagen ließ. Etwas Vertrautes, etwas Bekanntes und doch längst Vergessenes.