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Was geschah, als Menschen aus fremden Gesellschaften aufeinandertrafen – haben sie stets gekämpft oder fanden sie Wege, friedlich miteinander umzugehen? Wie ist es ihnen gelungen, sich auf gemeinsame Werte, Ideale und Regeln zu einigen? Bestsellerautor Yuval Noah Harari widmet sich in seinem neuen Buch brandaktuellen Fragen, auf die auch junge Menschen eine Antwort suchen: warum es so viele Kriege gibt und wie es fremden Menschen gelingen kann, friedlich zusammenzuleben. Dabei spannt er einen Bogen vom alten Rom bis ins Mittelalter, von Karthago bis in die Mongolei und erzählt lebendig und zielgruppennah vom Zusammenleben von Menschen verschiedener Herkunft, von Kriegen und dem Aufeinandertreffen verschiedener Religionen.
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YUVAL NOAH HARARI
WIE AUS FEINDENFREUNDE WERDEN
übersetzt von Birgit Niehaus
illustriert von Ricard Zaplana Ruiz
Cover
Inhalt
Textbeginn
Titel
Inhalt
Frontispiz
Widmung
Überblick: Unsere Geschichte
Bist du wie alle anderen?
1: Drachenmenschen, Ameisenmenschen und Wolfsmenschen
Unterwegs auf dem Wasser des Todes
Jenseits der Grenzen
Einäugige Riesen
Abstammungsgeschichten
Das Schiff und der Markt
2: Das Geheimnis des Marktes
Die verlorene Stadt
Von Bäumen und Menschen
Die schlauste Erfindung überhaupt
Die Geschichte des Geldes
Die Sprache des Geldes verstehen alle
Die Gefahren des Geldes
3: Die Nachfahren der Feinde
Von den Feinden lernen
Das Imperium rückt an
Auf der Gladiatorenschule
Wir dürfen das – aber ihr nicht
Römisch werden
Alle sind Römer!
Ein Junge wird Kaiser
Des Kaisers nächste Heirat
Ein neuer Gott
So viele Jesus-Geschichten!
Vandalen und Geister
Ein neues Imperium
Geschichte ist kompliziert
4: Der Sinn des Lebens
Gibt es nur eine wahre Geschichte?
Eine Einladung nach Karakorum
Und was, wenn ich nicht an den himmlischen Vater glaube?
Die Inquisition
Der himmlische Vater und die Kinder
Der himmlische Vater und der Wein
Der himmlische Vater hat ein Problem
Zwei Götter?
Ein dritter Gott?
Warum gibt es so viel Leid auf der Welt?
Mein schlimmster Feind
Ein Ausweg
Freiheit
Leichter gesagt als getan
Wie aus »denen« »wir« wurde
Die größte Entdeckung aller Zeiten
Dank
Über dieses Buch
Karte: Weltkarte der Geschichte
Zum Buch
Vita
Impressum
Band 3 der Reihe Unstoppable Us
Für alle Lebewesen – die von gestern, von heute und von morgen. Unsere Vorfahren haben die Welt zu der gemacht, die sie ist. Aber wir sind es, die über ihre Zukunft entscheiden.
Hast du manchmal das Gefühl, anders zu sein als die Leute um dich herum?
Würdest du dich manchmal gern anders verhalten und denkst du manchmal andere Dinge als die Leute in deiner Umgebung? Möchtest du andere Kleidung tragen, andere Musik hören und findest du vielleicht Dinge gut, die andere nicht mögen? Und hast du manchmal den Eindruck, dass man dich in eine Schublade steckt? Dass du jemand sein sollst, der du gar nicht sein willst?
Manche Leute sagen, Anderssein ist schlecht. Wenn du anders denkst oder dich anders verhältst, glauben sie, dass sie nicht mit dir befreundet oder zusammen sein können. Sie befürchten, dass es dann Streit und Ärger gibt. Menschen, die etwas gegen das Anderssein haben, sortieren die Welt gerne in ordentliche Schubladen. Und in jede Schublade stecken sie nur Leute, die ähnlich denken und sich ähnlich verhalten. Ihre wichtigsten Schubladen sind die Länderschubladen. Auf den Schubladenschildern stehen Namen wie »Griechenland« oder »Kanada«, »Nigeria«, »Indien«, »Deutschland« oder »Frankreich«. Menschen, die nicht in derselben Länderschublade stecken wie sie selbst, bekommen das Etikett »Ausländer« verpasst.
Die Leute, die andere gern in Schubladen stecken, behaupten, dass du nur zu einem Land gehören kannst und dass du dich auf keinen Fall von den anderen Menschen dieses Landes unterscheiden darfst. Du musst dieselbe Sprache sprechen wie sie, die gleiche Kleidung tragen, die gleiche Musik hören, das gleiche Essen mögen, die gleichen Spiele spielen und an die gleichen Götter glauben. Falls du dich von deinen Landsleuten unterscheidest, wirst du dich leider nicht mit ihnen vertragen, warnen die Schubladenfans. Aber einfach in ein anderes Land gehen, das funktioniert auch nicht: Denn dort bist du fremd und die Menschen in dem fremden Land werden dich nicht mögen, weil du nicht dazugehörst.
So ist die Welt nun mal, behaupten die Schubladenfans. Sie sagen, dass in Griechenland schon immer Griechinnen und Griechen lebten, die griechisch sprachen, griechische Gerichte aßen, griechische Spiele spielten und an griechische Götter glaubten. Während man in Kanada schon immer kanadisch sprach, kanadische Gerichte aß, kanadische Spiele spielte und an kanadische Götter glaubte.
Doch nichts davon ist wahr. In Kanada spricht man gar kein Kanadisch – die Sprache existiert überhaupt nicht. Die meisten Kanadierinnen und Kanadier sprechen englisch oder französisch, genau wie Engländerinnen oder Franzosen. Und einige sprechen Inuktitut oder Ojibwe – oder griechisch, falls ihre Eltern oder sie selbst irgendwann mal aus Griechenland nach Kanada gekommen sind. Umgekehrt können viele Menschen in Griechenland englisch und französisch sprechen, genau wie die Menschen in England, Frankreich und Kanada.
Mit den Göttern ist es genauso kompliziert wie mit den Sprachen. Nimm dir zum Beispiel die antike griechische Götterwelt. Vor langer Zeit gab es eine ganze Schar griechischer Göttinnen und Götter. Vielleicht kennst du ein paar von ihnen? Zeus, Artemis oder Athene? Doch im heutigen Griechenland glaubt kaum noch jemand an sie. Die meisten Leute dort glauben an Jesus, einige an Allah, ein paar an Shiva und viele an gar keinen Gott. Und genauso ist es in anderen Ländern, in Kanada, Nigeria und Indien zum Beispiel. Es stimmt also nicht, dass die Welt in übersichtliche Schubladen eingeteilt ist. Menschen in ein und demselben Land sprechen verschiedene Sprachen und glauben an verschiedene Götter. Und Menschen in verschiedenen Ländern sprechen manchmal dieselbe Sprache und glauben an dieselben Götter.
Die Schubladenfans können ziemlich sauer werden, wenn du ihnen das sagst. Ihrer Meinung nach sollte die Welt nicht so ungeordnet und unübersichtlich sein. Sie empfinden es als Schande, dass in Griechenland italienisch gegessen, englisch gesprochen und an asiatische Gottheiten geglaubt wird. Sie würden das Rad der Geschichte am liebsten zurückdrehen – bis zu der Zeit, wo sich Griechinnen und Griechen noch richtig schön griechisch verhalten haben.
Aber das funktioniert natürlich nicht. Denn sobald man in der Zeit zurückgeht, stellt man fest, dass schon immer alles im Wandel war. Keines unserer heutigen Länder und keine heutige Sprache und Religion gab es schon vor 5.000 Jahren. Damals existierten weder Griechenland noch Kanada, Nigeria oder Indien. Niemand sprach englisch, französisch oder griechisch. Und niemand glaubte an Jesus, Zeus oder Shiva. Natürlich gab es auch schon vor 5.000 Jahren Länder, Sprachen und Religionen. Aber sie unterschieden sich sehr von dem, was wir kennen. Unsere heutigen Länder, Sprachen und Religionen sind nur deshalb entstanden, weil Menschen in der Vergangenheit immer wieder umgezogen sind. Diese Ortswechsel haben sie nämlich auf neue Gedanken gebracht und dazu geführt, dass sie ihr Verhalten immer wieder verändert haben.
Die ersten Griechinnen und Griechen, die an Jesus glaubten, unterschieden sich zum Beispiel sehr von ihren Mitmenschen, denn sie glaubten an eine völlig neue Religion. Eine Religion, die aus einem anderen Land kam. Ihre Eltern und Großeltern hatten noch nie von dieser Religion gehört.
Du siehst: Damit sich Dinge ändern, braucht es Menschen, die aufgeschlossen sind und Neues ausprobieren – als Erste. Es braucht Menschen, die anders sind.
Wenn du also manchmal das Gefühl hast, anders zu sein als die Leute um dich herum, dann ist das völlig in Ordnung. Die meisten Menschen, die früher in deinem Land gelebt haben, unterschieden sich stark von den heutigen Bewohnerinnen und Bewohnern. Denn egal wie sehr sich Menschen bemühen die gleichen Gerichte zu essen, dieselbe Sprache zu sprechen und an dieselben Götter zu glauben wie ihre Vorfahren – mit der Zeit wandeln sich die Dinge doch: die Götter, die Sprachen und das Essen ebenso wie die Menschen selbst.
Aber woher kommt dieser Wandel, wenn die Leute sich so bemühen, dass alles beim Alten bleibt? Wieso sind die Länder, Sprachen und Religionen irgendwann nicht mehr das, was sie einmal waren? Warum verändern sich die Menschen? Warum haben die Griechinnen und Griechen aufgehört Zeus und Artemis zu verehren, um stattdessen an Jesus zu glauben? Woher kommen neue Gottheiten und was passiert, wenn fremde Gottheiten aufeinandertreffen?
Und, noch wichtiger: Was passiert, wenn fremde Menschen aufeinandertreffen? Wenn du zum Beispiel jemandem aus einem fernen Land begegnest, der eine fremde Sprache spricht und seltsame Speisen isst? Wenn du über den Ozean reist und an einem unbekannten Ort landest? Wirst du mit den Leuten dort klarkommen oder werdet ihr euch streiten? Wie können Menschen, die sehr unterschiedlich sind, zusammenarbeiten und sich sogar anfreunden?
Die Antwort auf diese Fragen ist eine der erstaunlichsten Geschichten, die du je hören wirst.
Und noch dazu ist es eine wahre Geschichte.
1
Vor 5.000 Jahren gab es kein Kanada, kein Griechenland und kein Deutschland, kein New York, kein Neu-Delhi und kein Berlin. Aber einige Königreiche und Städte gab es schon. Die größte Stadt der Welt war damals wahrscheinlich Uruk. Die Menschen dort sprachen die sumerische Sprache und glaubten an Gottheiten wie Inanna, An und Enki – alle drei heute völlig vergessen.
Die Uruker erzählten sich viele interessante Geschichten über ihre Göttinnen und Götter, aber auch über ihr Volk und ihre Stadt. Das Geschichtenerzählen war sehr wichtig, denn es schaffte ein Zusammengehörigkeitsgefühl. Die Menschen fühlten sich einander verbunden, wenn sie alle die gleichen Geschichten kannten und gemeinsam an sie glaubten. Und wenn sie sich verbunden fühlten, konnten sie viel besser zusammenarbeiten. Das Geschichtenerzählen ist einer der wichtigsten Trümpfe von uns Menschen – es macht uns mächtiger als jedes andere Tier auf der Welt.
Um zu verstehen, wie Geschichten und die Zusammenarbeit uns stark gemacht haben, reicht ein Blick in die Tierwelt. Schauen wir uns zum Beispiel die Schimpansen an. Zehn Schimpansen können gute Freunde werden und gemeinsam Ferkel jagen, nach Bananen suchen oder einen Leoparden verscheuchen. Aber 1.000 Schimpansen können nicht zusammenarbeiten, denn dazu kennen sie sich nicht gut genug. Stell dir vor, du würdest 1.000 Schimpansen an einem Ort versammeln und ihnen einen Riesenhaufen Bananen zum Teilen geben. Was, glaubst du, würde passieren? Richtig: Alle würden laut kreischend durcheinanderrennen und sich gegenseitig verprügeln, um an die Bananen zu kommen.
Würdest du die Schimpansensprache sprechen, könntest du einen von ihnen fragen: »Warum streitet ihr? Es sind doch genug Bananen für alle da!«
»Stimmt schon«, würde der Schimpanse wahrscheinlich antworten. »Aber die meisten aus der Horde hab ich noch nie gesehen. Wie kann ich ihnen da trauen? Vielleicht wollen sie mich ja umbringen und sich die Bananen selbst unter den Nagel reißen?«
Wir Menschen sind da anders. Wir haben schon vor langer Zeit herausgefunden, wie wir mithilfe von Geschichten in großen Gruppen zusammenarbeiten und mit vereinten Kräften Städte und Königreiche errichten können. Sogar eine Million Menschen können zusammenarbeiten und sich auf gemeinsame Regeln einigen, solange sie alle an dieselben Geschichten glauben. Geschichten wie die über die großen Gottheiten Inanna und An. Die Bewohner Uruks erzählten sich zum Beispiel, dass Inanna verboten hätte Menschen zu töten und Essen zu stehlen. Und weil die Uruker die Geschichte glaubten, hielten sie sich an das Verbot – weshalb man ziemlich sicher sein konnte in Uruk weder getötet noch bestohlen zu werden.
Die Geschichte jedoch, die die Uruker am stärksten vereinte, handelte nicht von einer Gottheit, sondern von einem menschlichen Helden. Gilgamesch hieß er. Wir kennen ihn, weil Archäologen in der Nähe von Uruk jahrtausendealte Tontafeln ausgegraben haben, in die Gilgameschs Geschichte eingeritzt ist.
Es war einmal ein Mann namens Gilgamesch, so heißt es dort. Er war der mutigste Mann der Welt. Er wurde König von Uruk, kämpfte gegen zahlreiche Ungeheuer und tötete sogar das gefährliche Monster Humbaba. Eines Tages starb Gilgameschs bester Freund, Enkidu. Gilgamesch setzte sich neben den toten Körper und wachte sieben Tage und Nächte lang über ihn – bis er plötzlich eine Made aus dem Nasenloch seines Freundes kriechen sah. Diese kleine Made jagte Gilgamesch mehr Angst ein als das Monster Humbaba. Gilgamesch erkannte, dass das, was Enkidu zugestoßen war, eines Tages auch ihm drohte. Er würde sterben und Maden würden seinen Körper fressen – seine starken Arme, sein Gehirn und seine Nase. Was brachten ihm da sein ganzer Reichtum, seine Macht und sein Ruhm? Warum sollte er diesen Dingen nachjagen, wenn er sowieso als Madenfutter endete? Also fasste Gilgamesch einen Entschluss: Er würde den Tod besiegen.
Er verließ Uruk und reiste von Land zu Land auf der Suche nach einem Weg, den Tod zu überwinden. Er begegnete vielen Gefahren, tötete noch mehr Ungeheuer, kämpfte gegen grässliche Skorpionmenschen und hörte schließlich von jemandem, der möglicherweise das Geheimnis des ewigen Lebens kannte. Der Mann hieß Utnapischtim und Inanna, An und alle anderen Götter liebten ihn so sehr, dass sie ihm Unsterblichkeit geschenkt hatten. Aber leider lebte Utnapischtim jenseits eines großen, unüberwindbaren Ozeans. Wenn man auch nur einen Tropfen des tödlichen Wassers berührte, starb man.
Wie konnte Gilgamesch hinübergelangen?
Zum Glück fand er einen neuen Freund, Urshanabi, der ein Boot hatte. Aber wie sollte er über das Wasser des Todes rudern, ohne es zu berühren oder auch nur einen Spritzer abzubekommen? Kurzerhand bastelte er aus seinem Hemd ein Segel, stellte sich ins Boot und benutzte seinen großen Körper und seine kräftigen Hände als Mast und Rah. So erfand Gilgamesch das erste Segelboot der Welt und überquerte damit das Wasser des Todes – ohne zu rudern und auch nur einmal nass zu werden.
Als er schließlich bei Utnapischtim ankam und ihn nach dem Geheimnis des ewigen Lebens fragte, erzählte ihm Utnapischtim von einer Wunderpflanze, die auf dem Grund eines anderen Meeres wuchs, eines Meeres des Lebens. »Wenn du diese kleine Pflanze isst«, sagte Utnapischtim, »wirst du unsterblich! Aber Vorsicht: Auf der ganzen Welt gibt es nur ein einziges Exemplar davon. Wenn du das Pflänzchen verlierst, hast du keine Chance mehr dem Tod zu entkommen.« Gilgamesch band sich schwere Steine an die Füße und tauchte zum Grund des Meeres des Lebens hinab. Dort fand er die Pflanze, pflückte sie und brachte sie an Land. Doch gerade, als er sie sich in den Mund stecken wollte, wurde er ganz kurz abgelenkt – und genau in dem Moment schnappte sich eine Schlange die Pflanze und verschlang sie. Sofort häutete und verjüngte sich das Reptil und lebte ewig weiter, während Gilgamesch mit leeren Händen nach Uruk zurückkehrte. Erst da begriff er, dass er es nicht schaffen würde, dem Tod zu entkommen. Kein Mensch kann den Tod besiegen. Niemand kann die Zeit anhalten. Niemand kann den Wandel verhindern.
Genau wie Gilgamesch starb schließlich auch die Stadt Uruk. Die Straßen verwaisten, die Gebäude verfielen. Heute lebt dort niemand mehr, mal abgesehen von ein paar Spinnen, Skorpionen, Eidechsen … und Archäologen. Die Archäologen graben in den Ruinen nach alten Schätzen – wie zum Beispiel den Tontafeln mit der Gilgamesch-Geschichte.
Obwohl Uruk also nicht mehr existiert, hat es uns ein paar wichtige Geschenke hinterlassen: nicht nur die Geschichte von Gilgamesch, sondern auch die Schrift selbst. Denn die wurde in Uruk erfunden. Dank der Uruker kannst du heutzutage E-Mails, Websites, Zeitungen und dieses Buch lesen.