Wie ein junger Anwalt Tausende Juden rettete - Robert Lackner - E-Book

Wie ein junger Anwalt Tausende Juden rettete E-Book

Robert Lackner

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Beschreibung

Auf riskanten Wegen verhalf der junge Wiener Anwalt Willy Perl Tausenden Jüdinnen und Juden aus Zentral- und Osteuropa Ende der 1930er Jahre zu einem neuen Leben. Per Zug durch den Balkan, mit Raddampfern über die Donau, auf klapprigen Frachtern durch das Schwarze Meer und Mittelmeer ermöglichte er mithilfe griechischer Schmuggler ihre Flucht vor den Nationalsozialisten ins damals britische Mandatsgebiet Palästina. Dabei legte er – selbst Jude und zwischenzeitlich durch Gestapo und SS verhaftet – beispiellose Chuzpe an den Tag. Perls Einfallsreichtum, gepaart mit planerischem Geschick, rettet Tausende Jüdinnen und Juden vor dem Holocaust. Der Historiker Robert Lackner zeichnet diese dramatischen Jahre in Perls Leben eindrücklich nach und beleuchtet damit ein bewegendes Kapitel Zeitgeschichte.

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Inhalt

Prolog

1 — Aufwachsen in stürmischen Zeiten

2 — Die Anfänge der Aktion

3 — Devisenbeschaffung

4 — Vabanquespiel in Wien

5 — Als „Diplomat“ in England

6 — Notlage in Arnoldstein

7 — Auf der Donau zum Schwarzen Meer

8 — Neue Gefährten, neue Gefahren

9 — Irrfahrten im Mittelmeer

10 — Von Schmugglern, Hasardeuren und Alphatieren

11 — Transporte zwischen Pragmatismus und Politik

12 — Anfeindungen in den eigenen Reihen

13 — Einzelkämpfer in Rumänien

14 — Gestrandet auf Rhodos

15 — Von der Ägäis in die Schweiz

16 — Große Pläne

17 — Rückkehr nach Osteuropa

18 — Zerreißprobe in Sulina

19 — Das letzte Schiff

20 — Endspiel

Epilog

Nachbetrachtungen

Dank

Personenverzeichnis

Abbildungsverzeichnis

Anmerkungen

Endnoten

Prolog

März 1938: Nur wenige Tage, nachdem die deutsche Wehrmacht in Österreich einmarschiert ist, werden Vertreter der jüdischen politischen Organisationen des Landes von den neuen Machthabern vorgeladen. Einer von ihnen ist Willy Perl, Anfang dreißig und Anwalt. Er spricht an diesem Tag für die Partei der Revisionistischen Zionisten, deren eigentliche Anführer noch vor dem deutschen Einmarsch geflohen sind. Und vermutlich schwant ihm bereits, was ihm und den anderen Teilnehmern des Treffens droht. Denn es ist keine wohlgemeinte Zusammenkunft, im Gegenteil. Es ist ein Verhör. Perl ist als Erster an der Reihe. Und der Mann in der schwarzen Uniform, der ihm in einem kleinen Raum Fragen stellt, ist niemand anders als SS-Offizier Adolf Eichmann – der „Stellvertreter des Teufels“, wie er von den Juden Wiens bereits genannt wird.

Eichmann befiehlt Perl, sich ganz knapp vor eine Wand zu stellen, dann will er den Aufenthaltsort eines gewissen Blumenfeld wissen. Als der Anwalt beteuert, er kenne niemanden mit diesem Namen, zückt Eichmann, den der Staat Israel im Jahr 1962 für seine Verbrechen hinrichten wird, seine Pistole. Er droht, Perl einen zusätzlichen Bauchnabel zu verpassen, und wiederholt seine Frage, doch Perl bleibt bei seiner Antwort. „Umdrehen“, knurrt der SS-Mann und presst seinem wehrlosen Gegenüber die Pistole ins Kreuz. Dem für gewöhnlich redegewandten Juristen, der alles andere als ein Feigling ist, verschlägt es vor Angst die Sprache. Doch Eichmann lässt nicht locker und verhöhnt sein Opfer: Entweder macht Perl den Mund auf oder er bekommt ein „zweites Arschloch“.

Ehe sein Peiniger abdrückt, beeilt Perl sich, doch noch zu reden. Aber was Eichmann zu hören bekommt, ist nicht die Antwort auf seine Frage, sondern geht in eine Richtung, mit der er wohl am wenigsten gerechnet hat. Perl stellt ihm genau das in Aussicht, was Eichmann als künftiger Leiter der Zentralstelle für jüdische Auswanderung für Adolf Hitler erreichen soll: Wien „judenrein“ zu machen.

Eichmann glaubt, sich verhört zu haben. Also erlaubt er Perl, sich wieder umzudrehen, um ihn besser verstehen zu können. Perl hofft, Eichmanns Interesse geweckt zu haben, der aber ist weiterhin skeptisch. Er hält das Angebot für einen „jüdischen Trick“, mit dem sich der Advokat aus der Affäre ziehen will. Doch Perl lässt sich nicht mehr einschüchtern und bleibt dabei: Wenn Eichmann will, schafft er ihm die jüdische Bevölkerung der Stadt vom Hals. Dann beschreibt er in kurzen, präzisen Sätzen das Unternehmen, das er mit einigen Weggefährten vor knapp eineinhalb Jahren ins Leben gerufen hat.

Ein Unternehmen, das Tausende Jüdinnen und Juden vor der Ermordung durch die Nationalsozialisten retten wird.

Und das Perls Leben für immer verändert.

* * *

Im Herbst 2015 ging ich über den geschäftigen Campus der George Washington University im Herzen der US-Hauptstadt. Ich betrat das Gebäude der Gelman Library und fuhr mit dem Aufzug in den sechsten Stock. Dort befindet sich die Abteilung für Spezialsammlungen, mit der ich zuvor Kontakt aufgenommen hatte, und ich war guter Dinge, dass alles für meinen Besuch vorbereitet sein würde. Und so war es auch. Nachdem ich Jacke und Tasche im dafür vorgesehenen Spind verstaut hatte, nahm ich – ausgestattet mit Notebook und Kamera – an einem der Lesetische Platz und blätterte bald aufgeregt im Nachlass eines ehemaligen US-Soldaten. Auf den Namen des gebürtigen Österreichers war ich in Militärakten im Nationalarchiv in College Park, Maryland, gestoßen. Ich arbeitete damals an einem Buch über aus Österreich vor dem NS-Regime Geflüchtete, die während des Zweiten Weltkriegs vom Nachrichtendienst der US-Armee in einem geheimen Camp in den malerischen Blue Ridge Mountains ausgebildet worden waren. Nach ihrer Zeit im Military Intelligence Training Center in Camp Ritchie wurden sie unter anderem für die Befragung deutscher Kriegsgefangener eingesetzt. Und Willy Perl, dessen Nachlass an diesem Herbsttag im Jahr 2015 vor mir auf dem Bibliothekstisch lag, war einer davon. Ich wollte mir damals vor allem diejenigen Dokumente mit Bezug zu seiner Arbeit als Verhörspezialist ansehen. Doch schon allein der Blick auf das Inhaltsverzeichnis des umfangreichen Bestands machte mir bewusst, dass die Zeit in Uniform bei Weitem nicht die einzige spannende Episode in Perls bewegtem Leben gewesen war.

Also begann ich, ein wenig zu recherchieren, und spielte bald mit dem Gedanken, mich eingehender mit diesem umtriebigen, durchaus ambivalenten Menschen zu beschäftigen. Doch meine Studie über Camp Ritchie hatte natürlich Vorrang, und nach ihrem Abschluss verlangten andere Projekte, beruflich wie privat, meine Aufmerksamkeit. Der Wunsch, mich Perl abseits seiner Militärkarriere zu widmen, löste sich indes nie ganz auf, und so machte ich mich schließlich doch noch ans Werk.

Dieses Buch versteht sich nicht als vollständige Biografie, die Perls gesamtes Leben aufarbeitet. Es konzentriert sich auf die Jahre zwischen 1937 und 1940, in denen der „Moses of the Holocaust“, wie Perl einmal verklärend genannt wurde, versuchte, Tausende jüdische Menschen vor der Verfolgung durch die Nationalsozialisten zu retten.1 Es handelt von einer Reise, die Perl von Wien nach England und Italien führte, auf den Balkan und in die griechische Inselwelt, nach Portugal, Afrika und schließlich um die halbe Welt bis nach Amerika. Und es erzählt die Geschichte eines Mannes, der wild entschlossen war, trotz aller Fährnisse des Lebens niemals den Mut zu verlieren.

1 — Aufwachsen in stürmischen Zeiten

Zwei Erlebnisse aus seiner Kindheit hatten sich tief in Willy Perls Gedächtnis eingebrannt. Die erste Begebenheit trug sich auf einem Wiener Spielplatz zu, wo andere Kinder sich weigerten, mit ihm zu spielen. Er fragte nach dem Grund und erhielt als Antwort: „Weil du Jesus getötet hast.“ Erstaunt und voller kindlicher Naivität entgegnete er, er habe niemanden getötet. Das zweite Ereignis war, als Perl Zeuge wurde, wie einer seiner nicht-jüdischen Spielgefährten einen ihm unbekannten jüdischen Buben mit Schläfenlocken verprügelte. Perl schritt nicht ein, wofür er sich später schämte, doch seine kindliche Rechtfertigung war simpel: Der Schläger war sein Freund, der fremde Jude nicht.

Beide Vorfälle waren Symptome einer sich innerhalb der Wiener Gesellschaft zu Beginn des 20. Jahrhunderts ausbreitenden antijüdischen Stimmung.2 Geschuldet war diese nicht zuletzt dem politischen Kalkül von Bürgermeister Karl Lueger, der antisemitische Hetze als Mittel zur Mobilisierung der Massen eingesetzt hatte – und dabei so weit gegangen war, dass sich Kaiser Franz Joseph zunächst sogar geweigert hatte, Luegers Wahl in das oberste Amt der Stadt anzuerkennen. Trotz dieser Entwicklungen erlebte Willy Perl nach eigener Aussage zunächst eine schöne, unbeschwerte Kindheit. Noch richtete sich die unverhohlene Ablehnung vor allem gegen die durch Aussehen und Gebräuche leicht erkennbaren orthodoxen Juden aus Osteuropa, nicht gegen assimilierte Juden wie Perls Familie. Sein Großvater Solomon stammte zwar auch aus einem jüdischen Stetl im Osten der heutigen Slowakei nahe der polnischen Grenze, war aber als junger Mann auf der Suche nach einem besseren Leben nach Prag übersiedelt. Dass er seinem Sohn – Willys Vater – den deutschen Namen Rudolf gegeben hatte, zeugt vom Bestreben, sich für den sozialen Aufstieg an die deutsche Sprache und Kultur anzupassen und die Provinz hinter sich zu lassen.

Solomon Perl hatte ein Pfandhaus gegründet, aus dem später eine Bank entstanden war, und es so zu Wohlstand gebracht. Auch Perls Vater Rudolf, der als Handelsreisender für eine Textilfirma tätig war, hatte sich eine schicke Wohnung in der Prager Altstadt und eine Bedienstete leisten können. Willy Perl, am 21. September 1906 geboren, wuchs daher in einem wohlhabenden und modernen Umfeld heran. Das änderte sich auch nicht, als sein gesamter Familienverband – 60 bis 70 Personen – vier Jahre später aus ökonomischen Gründen in die Hauptstadt des Habsburgerreichs umzog. Der Schritt machte sich für Perls Vater bezahlt, denn er wurde bald zum Eigner einer der größten Großhandelstextilfirmen der Monarchie. Die Familie bewohnte ein Appartement in der Paracelsusgasse im gehobenen dritten Wiener Gemeindebezirk und leistete sich eine Pferdekutsche und später sogar ein Automobil – erst einen gelben Audi, danach einen Puch – samt Fahrer.

Doch das Glück sollte nicht von langer Dauer sein, denn die Katastrophe des Ersten Weltkriegs ließ auch die Welt der Perls aus den Fugen geraten. Während des Krieges strömten massenhaft mittellose orthodoxe Jüdinnen und Juden aus Galizien und der Bukowina auf der Flucht vor der russischen Armee nach Wien. Ihre Ankunft war Wasser auf den Mühlen antisemitischer Agitatoren, deren Hetze gegen die Flüchtlinge sich auch auf die assimilierten Juden auswirkte. Es folgte der Untergang der Donaumonarchie, der der Stellung der jüdischen Bevölkerung in dem geschrumpften, instabilen Gebilde, das Restösterreich nach dem Friedensvertrag von Saint-Germain darstellte, ebenfalls nicht zuträglich war. Die junge Republik schlitterte zudem in eine schwere Währungskrise und die Inflation stieg in schwindelerregende Höhen.

Unter den Opfern der Geldentwertung befand sich auch Willy Perls Vater Rudolf. Er hatte sich beim Import von italienischen Textilien verspekuliert und verlor sein Vermögen. Die Familie musste die Wohnung in der Paracelsusgasse aufgeben und bezog eine kleinere Bleibe in der nahe gelegenen Kollergasse. Möglicherweise waren diese Verwerfungen im Leben des jungen Perl einer der Gründe, warum er ein Rabauke und Disziplin ein Fremdwort für ihn war. Sein ungezügeltes Verhalten hatte allerdings schwerwiegende Folgen. Weil er sich im Gymnasium von seinem Griechischlehrer ungerecht behandelt fühlte und auf eine Frage mit „Leck mich am Arsch“ antwortete, wurde er beinahe der Schule verwiesen. Sein Vater konnte zum Glück erreichen, dass es bei einer Beurlaubung blieb, und Willy Perl wiederholte daraufhin das siebte Schuljahr. Mitte 1925 schloss er das Bundesgymnasium in der Kundmanngasse mit einem Jahr Verspätung – und mit mäßigen Noten – ab und schrieb sich im darauffolgenden Herbst an der Universität Wien ein.

Seinen ursprünglichen Wunsch, Medizin zu studieren, hatte Perl aufgeben und sich stattdessen für ein Studium der Rechtswissenschaften entschieden. Als angehender Anwalt interessierte er sich vor allem für Kriminologie und auch für Psychologie. Insofern war es von Vorteil, dass sein Vater ein Bekannter Sigmund Freuds war. So konnte der junge Student den berühmten Psychoanalytiker mehrmals in dessen Wohnung in der Berggasse besuchen. Zudem schrieb sich Perl an der Hochschule für Welthandel ein. Dieser Ehrgeiz, der im krassen Gegensatz zu seinen schulischen Leistungen stand, war vielleicht dem Verlangen geschuldet, unbedingt erfolgreich zu sein, um seinen gescheiterten Vater finanziell zu unterstützen. Rudolf Perl hatte sein Geschäft zwar wieder aufgebaut, war aber erneut in den Bankrott geschlittert. Weitere Pleiten folgten, und ohne sich jemals von den Rückschlägen zu erholen, ging er zurück nach Prag, wo er 1935 als gebrochener Mann an Krebs starb.

Seine Zeit an der Universität war nicht nur in beruflicher Hinsicht prägend für Willy Perl. Dem sozialen Aspekt kam eine ebenso wichtige Rolle zu. Perl hatte zwar auch nicht-jüdische Freunde, es waren aber vor allem Juden, mit denen er in diversen jüdischen Organisationen Umgang pflegte. Im Sportverein Hakoah spielte er Fußball, später trat er den Verbindungen Emunah und Ivria bei. Vor allem der Ivria, für die er mehrere Jahre als Schriftführer im Vorstand tätig war, fühlte er sich sehr verbunden. Mehrmals pro Woche besuchte er die „Bude“ – das Vereinslokal – und focht auch zwei Duelle, beide Male als Herausforderer. Bei der ersten dieser Mensuren trug er eine Narbe auf der linken Wange davon und musste wegen der Verletzung aufgeben, wie im dazugehörigen Protokoll nachzulesen ist: „Perl nach 3 Schlägen kampfunfähig.“3

Willy Perl (zweite Reihe, Erster von rechts) und Verbindungsbrüder, 1923

Seinen Erfahrungen und der Sozialisierung in der Ivria maß Perl einen hohen Stellenwert für seinen weiteren Lebensweg bei. Denn die Ivria war nicht nur Ort studentischer Umtriebe, sie war auch eine Selbstschutzorganisation. Gerade die Universität Wien war eine Hochburg des Deutschnationalismus. Regelmäßig kam es zu Übergriffen auf jüdische Studenten und es wurde versucht, sie aus den Hörsälen zu werfen. Im Verband waren sie jedoch in der Lage, sich zu wehren, auch wenn sie sich in der Unterzahl befanden. Schlägereien waren an der Tagesordnung. Perl selbst, von Natur aus ein Draufgänger, benötigte die Unterstützung der anderen nicht immer: Im Vorfeld eines Aufmarschs deutschnationaler Burschenschafter trat er deren Anführer allein gegenüber und ohrfeigte ihn. Eine handfeste Prügelei war die Folge, bei der Perl gründlich sein Fett abbekam. Wie schon zu seinen Schulzeiten hatte auch dieser Vorfall weitreichende Konsequenzen und hätte beinahe zu seinem Verweis von der Universität geführt. Die Anschuldigung, öffentlichen Aufruhr verbreitet zu haben, konnte er in einem persönlichen Gespräch mit dem Rektor gerade noch entkräften.

An dieser Episode zeigt sich, dass Perl wenig geneigt war, Konfrontationen aus dem Weg zu gehen. Vielmehr war er bereit, hohe persönliche Risiken für seine Überzeugungen auf sich zu nehmen. In den Mittelpunkt dieser Überzeugungen rückte ab Mitte der 1920er-Jahre eine noch relativ junge Ideologie, die vor allem vom österreichischen Journalisten Theodor Herzl maßgeblich geprägt worden war: der Zionismus.

Auch wenn Perl in einem säkularen Umfeld aufgewachsen war, hatte das Judentum von Anfang an eine gewisse Rolle in seinem Leben eingenommen. Seine Familie feierte die traditionellen Feste und besuchte die Synagoge, und sein Vater hatte ihm und seinem 1910 geborenen Bruder Walter oft Geschichten aus der hebräischen Bibel erzählt, die seine Fantasie beflügelten. An einem großformatigen Buch mit einem Einband aus Zedernholz und Illustrationen von Jerusalem und dem Heiligen Land, das er in der Familienbibliothek entdeckt hatte, hatte Perl besonderen Gefallen gefunden. Sein Interesse an der Geschichte des jüdischen Volkes wurde also schon in Kindestagen geweckt, und möglicherweise waren es diese Geschichten, die in ihm den ersten Funken des Zionismus entfachten.

Dieser war für Perl sozusagen eine Familienangelegenheit. Verwandte von ihm hatten 1897 am von Theodor Herzl initiierten ersten Zionistenkongress in Basel teilgenommen, auf dem die Zionistische Weltorganisation gegründet worden war. Deren Ziel war die „Schaffung einer öffentlich-rechtlich gesicherten Heimstätte in Palästina für diejenigen Juden, die sich an ihren jetzigen Wohnorten nicht assimilieren können oder wollen.“4 Perl selbst besuchte mit seinem Vater 1923 den 13. Kongress, der Anfang August im tschechoslowakischen Karlsbad stattfand. Er war also schon als Jugendlicher und noch vor seiner Studienzeit Zionist gewesen, wenn auch kein besonders engagierter, wie er selbst von sich sagte; Sport und seine erste Freundin seien ihm wichtiger gewesen. Auch als Mitglied einer jüdischen Studentenverbindung blieb sein Engagement noch moderat. Es beschränkte sich im Großen und Ganzen auf den jährlichen Marsch zu Theodor Herzls Grab – 1904 verstorben und im Wiener Bezirk Döbling beigesetzt – an dessen Sterbetag, an dem alle zionistischen Organisationen der Stadt teilnahmen.

Willy Perl, 1926

Mit seinem Abschluss an der Hochschule für Welthandel 1928 und der Promotion zum Doktor der Rechte zwei Jahre später sollte sich Perls Verhältnis zum Zionismus jedoch ändern. Nachdem er von zu Hause ausgezogen war und sein Gerichtsjahr am Bezirksgericht Leopoldstadt absolviert hatte, war der junge und schlecht bezahlte Rechtsanwaltsanwärter häufig Gast im Café Kristall. Das Lokal am damaligen Aspernplatz beim Donaukanal lag nur etwa einen halben Kilometer entfernt von der kleinen Einzimmerwohnung in der Postgasse, die er sich von seinem bescheidenen Gehalt leisten konnte. Die Nähe allein war aber nicht ausschlaggebend für Perls beinahe allabendlichen Besuche. Das Kristall war auch der Treffpunkt einer speziellen Gruppierung innerhalb des Zionismus.

Ihr Anführer war ein russischer Journalist namens Wladimir Zeev Jabotinsky, ein begnadeter Redner und Initiator der sogenannten Jewish Legion, die im Ersten Weltkrieg auf Seiten Großbritanniens im Nahen Osten gegen das Osmanische Reich gekämpft hatte. Nach dem Krieg war Jabotinsky eine Zeit lang Mitglied im Leitungsgremium der in London angesiedelten World Zionist Organization (WZO) gewesen, hatte dieses 1923 jedoch wieder verlassen und zwei Jahre später in Paris seine eigene Bewegung gegründet: den Bund der Revisionistischen Zionisten. Der Grund war, dass die WZO unter dem aus dem heutigen Weißrussland stammenden Chaim Weizmann – wie Jabotinsky fand – nicht energisch genug gegen die Politik Großbritanniens protestierte, dem das ehemals osmanische Palästina vom Völkerbund als Mandat unterstellt worden war. Um die arabische Bevölkerung zu besänftigen, hatten die Briten nicht nur die zunehmende jüdische Einwanderung beschränkt, sondern 1922 auch das gesamte Gebiet östlich des Jordans von Palästina abgetrennt und in ein autonomes Emirat mit Namen „Transjordanien“ umgewandelt. In den Augen Jabotinskys war dies ein Sakrileg, denn seiner Meinung nach sollte der künftige jüdische Staat die Ausmaße des biblischen Landes Israel – Erez Israel – haben und damit Gebiete auf beiden Seiten des Jordans umfassen. Seine neue Bewegung forderte eine Revision der britischen Entscheidung sowie eine Rückbesinnung auf die eigentlichen, von Herzl ausgegebenen Ziele des Zionismus, die die WZO unter Weizmann, so Jabotinskys Standpunkt, nicht vehement genug verfolgte.5

Erste Kontakte zu den Revisionisten hatte Perl bereits als Student geknüpft. Der als Exzentriker geltende Jurist und Historiker Paul Diamant, der bei den alljährlichen Prozessionen zu Herzls Grab auf einem weißen Pferd zu reiten pflegte und bei der Gründung von Jabotinskys neuer Bewegung in Paris dabei gewesen war, hatte einmal einen Vortrag bei der Ivria gehalten. Mit der revisionistischen Version des Zionismus hatte er die Zuhörer begeistern können, unter ihnen Perl. Dieser besuchte 1931 den 17. Zionistenkongress in Basel, auf dem Jabotinsky aus Missfallen über die Politik der WZO wutentbrannt seinen Delegiertenausweis zerriss und aus dem Saal stürmte. Danach zählte Perl mit einer Handvoll Verbindungsbrüdern zum Kern der Wiener Revisionisten unter der Führung des Arztes und Journalisten Wolfgang von Weisl.6 Ein Jahr später hielt Perl seine erste öffentliche Rede im Vorfeld der Wahlen zum Vorstand der Israelitischen Kultusgemeinde.7 „Assimilation ist tot!“, verkündete er hitzig und unterstrich Jabotinskys Forderung nach einem eigenen jüdischen Staat in Palästina. Zudem wollte der junge Revoluzzer, als den ihn die etablierten jüdischen Politiker wohl wahrnahmen, mit seinen Gesinnungsgenossen die Führung der Kultusgemeinde übernehmen.

Perls politische Mitbewerber kamen aber nicht nur aus den anderen Strömungen innerhalb des Zionismus: religiöse Zionisten, links gerichtete Arbeiterzionisten und die Mehrheit der bürgerlich-liberalen Allgemeinen Zionisten unter Weizmann, die sich keinem Lager anschließen wollten. Die Zionisten stellten insgesamt nur einen kleinen Teil des jüdischen politischen Spektrums dar.8 Dieses war – wie die heutige Parteienlandschaft in Israel – stark fragmentiert: Auch außerhalb des Zionismus gab es liberale, sozialistische, nationalistische und religiös-orthodoxe Parteien, die allesamt ihre eigene Agenda verfolgten. Lange hatten die Liberalen, die für Assimilation eintraten und dem Bürgertum entstammten, die Wiener Kultusgemeinde dominiert. Doch der Zionismus drohte an der liberalen Vormachtstellung zu rütteln. Nach der ersten Wahl nach Kriegsende 1920 setzte sich die Kultusgemeinde noch aus 20 Assimilierten, 13 Zionisten und drei Orthodoxen zusammen.9 Doch zwölf Jahre und drei Wahlen später gelang es – unter Perls Mithilfe – einem Wahlbündnis aus Allgemeinen Zionisten und Revisionisten, die relative Mehrheit zu erobern.10

Zu einem politischen Kurswechsel kam es in diesen Jahren aber nicht nur in der Wiener Kultusgemeinde. In Österreich führte die Ausschaltung des Parlaments durch Bundeskanzler Engelbert Dollfuß zum Ende der Ersten Republik und der Gründung des austrofaschistischen Ständestaates, während im Nachbarland Deutschland die Nationalsozialisten an die Macht kamen. Deren Aufstieg hatte Perl seit seinen Studententagen aufmerksam über die Presse mitverfolgt. Nun fuhr er sogar von Salzburg, wo er zwischenzeitlich eine Stelle in einer Kanzlei angenommen hatte, ins bayerische Rosenheim, um einer Rede Hitlers beizuwohnen. Perl wollte sich mit eigenen Augen ein Bild von dem Demagogen machen und holte sich damit einen Vorgeschmack auf das, was er wenige Jahre später auch in Österreich erleben sollte. Fortan engagierte er sich als Mitglied der Aktion, einer radikalen Fraktion innerhalb der Wiener Revisionisten, gegen das NS-Regime, indem er sich für den Boykott deutscher Waren in Österreich einsetzte, um die deutsche Wirtschaft zu schwächen.

In Palästina trieben Hitlers Aufstieg, die Nürnberger „Rassengesetze“ von 1935 und der immer stärker werdende Antisemitismus in Zentraleuropa trotz verschiedener Gegenmaßnahmen der Briten die Zahl der jüdischen Immigranten immer weiter in die Höhe. Zwischen 1930 und 1939 würden rund 250.000 Jüdinnen und Juden ins Land strömen, womit die rund halbe Million Juden, die nun auf dem Mandatsgebiet lebte, bereits ein Drittel der Gesamtbevölkerung stellte. Als Reaktion darauf kam es 1936, dem stärksten Einwanderungsjahr mit an die 60.000 Neuankömmlingen, zum Arabischen Aufstand. Bei seiner Niederschlagung sahen sich die Briten gezwungen, mit jüdischen Milizen zusammenzuarbeiten, um der Lage Herr zu werden.11 Allerdings wusste die britische Mandatsmacht, dass sie um ihrer kolonialen Interessen willen die Araber beruhigen musste. Palästina war als Landverbindung zwischen Ägypten und dem Mittleren Osten mit seinen Ölfeldern sowie aufgrund der Nähe zum Sueskanal von zu großer strategischer Bedeutung für das britische Weltreich. Die Einwanderungszahlen gingen daher bereits ab 1937 wieder zurück, ehe das sogenannte White Paper von 1939 die Immigration auf maximal 75.000 jüdische Neuankömmlinge innerhalb der folgenden fünf Jahre limitierte. Auch der Zweite Weltkrieg und der Holocaust würden an dieser Politik nichts ändern.

Tausenden Jüdinnen und Juden blieb damit nur die heimliche und aus britischer Sicht illegale Einreise nach Palästina, um Verfolgung und Tod zu entkommen.

Und Willy Perl sah für sich eine neue Aufgabe.

2 — Die Anfänge der Aktion

Im Herbst 1936 betrat ein gedrungener junger Mann mit schwarzen Haaren und olivfarbener Haut die Rechtsanwaltskanzlei, in der Willy Perl arbeitete. Sein Name war Moses Krivoshein, und er kam nicht mit leeren Händen. Das Empfehlungsschreiben, das er bei sich hatte, veranlasste Perl, den ihm Unbekannten sofort zu empfangen. Wenn Wolfgang von Weisl als Vorsitzender der österreichischen Revisionisten ihn geschickt hatte, musste es sich zweifellos um eine wichtige Angelegenheit handeln.12

Perl hörte seinem Besucher also aufmerksam zu. Krivoshein stammte wie Jabotinsky aus Russland, war aber nach Palästina ausgewandert und hielt sich derzeit als Student in Italien auf. Nun wollte er etwas gegen die restriktive Einwanderungspolitik der Briten in Palästina unternehmen und hatte sich dazu seine Gedanken gemacht. Zur Umsetzung benötigte er allerdings Hilfe und hatte dabei an Jabotinsky gedacht, den er bewunderte und der sich aufgrund der unüberbrückbaren Differenzen endgültig von Weizmanns WZO abgespalten hatte. Mit der im Vorjahr in Wien gegründeten und in London ansässigen New Zionist Organization (NZO) verfügte Jabotinsky mittlerweile auch über seine eigene Partei, um seine politischen Ziele zu verfolgen.

In der Hoffnung auf Unterstützung hatte Krivoshein sich zunächst vertraulich an von Weisl gewandt, der wiederum die NZO in London hinter vorgehaltener Hand über den gewagten Vorschlag informiert hatte. Jabotinskys neue Organisation stand diesem allerdings sehr negativ gegenüber und wollte damit nichts zu tun haben – zumindest nicht, solange der Erfolg von Krivosheins Vorhaben nicht gesichert war. Aus diesem Grund hatte von Weisl Krivoshein schließlich an die Aktion verwiesen, die für ihre Risikobereitschaft bekannt war und die mit der NZO offiziell nichts zu tun hatte. Dasselbe galt auch für Perl, der dem Bund der Revisionistischen Zionisten nicht länger angehörte und auch kein Mitglied der NZO war.13

Krivoshein schlug ihm nun vor, ein Schiff in einem italienischen Hafen zu chartern, um damit nach Nordafrika zu reisen und die Fiera internazionale di Tripoli zu besuchen. Doch die Messe, die seit 1927 in der damaligen italienischen Kolonie Libyen stattfand und für die Mussolini-Regierung Touristen und Investoren in die Region locken sollte, war nur ein Vorwand. Bei den Passagieren an Bord würde es sich weder um Touristen noch um Investoren handeln, sondern um Mitglieder des Betar, einer 1923 ebenfalls von Jabotinsky gegründeten Jugendbewegung, die sich in ganz Osteuropa, aber auch in Österreich und Deutschland großer Beliebtheit erfreute. Krivoshein wollte mit der Aktion erreichen, dass die Welt ihren Blick auf das Leid der Zionisten richtete. Denn wie verzweifelt mussten diese harmlosen und unschuldigen jungen Leute sein, dass sie bereit waren, ein Schiff in ihre Gewalt zu bringen und auf diese Weise die Landung in Palästina zu erzwingen? Dies, so sein Kalkül, würde die britische Palästina-Politik in ein schlechtes Licht rücken und Unterstützung für die zionistische Sache schaffen.

Perl war begeistert, auch wenn er seine eigenen Schlüsse aus Krivosheins Vorschlag zog. Für ihn war nicht der erhoffte Propagandaeffekt der springende Punkt, sondern vielmehr die Besatzung des gecharterten Schiffs. Denn dessen gewaltsame Übernahme durch die Mitglieder des Betar würde laut Krivosheins Plan nur gespielt sein und die Crew bestünde in Wahrheit aus griechischen Schmugglern, zu denen Krivoshein aufgrund dubioser Geschäfte Kontakte unterhielt und die während der Prohibition illegal Alkohol in die Vereinigten Staaten transportiert hatten. Dieser Teil von Krivosheins Idee war übrigens ein Grund, wieso die NZO seinen Vorschlag abgelehnt hatte: Sie zweifelte an der Vertrauenswürdigkeit der Griechen und wollte erst Informationen über deren Verlässlichkeit einholen – worauf von Weisl lakonisch entgegnet hatte, dass man sich über den Leumund eines Schmugglers wohl kaum bei der Polizei erkundigen könne.14

Perl stand der Zusammenarbeit mit den Schmugglern aufgeschlossener gegenüber, er wollte jedoch gewissermaßen das Gegenteil dessen tun, was Krivoshein beabsichtigte: Anstatt ins Rampenlicht zu drängen, sollten die Betarim, wie die Mitglieder des Betar genannt wurden, mit Hilfe der griechischen Seeleute zunächst versuchen, unbemerkt die Küste Palästinas zu erreichen.15 Sollte es auf dem Weg dorthin der Royal Navy gelingen, das Schiff abzufangen, konnte immer noch auf Krivosheins ursprünglichen Plan zurückgegriffen und eine Landung bei Haifa mit Waffengewalt zu Demonstrationszwecken erzwungen werden.16

Die Idee der heimlichen Einreise nach Palästina war im Herbst 1936, als Krivoshein bei Perl auftauchte, keineswegs neu. Bereits nach den britischen Einreisebeschränkungen der frühen 1920er-Jahre war es zu illegalen Grenzübertritten gekommen. Diese hatten sich jedoch auf Versuche einzelner Personen oder kleiner Gruppen über den Landweg beschränkt, die mangels ausreichender Logistik oftmals mit der Verhaftung durch die Briten endeten. Eine andere Variante war die Einreise mit einem Touristenvisum, um danach auf die Heimreise einfach zu „vergessen“. Auch wurde versucht, unter dem Vorwand einer Weiterreise nach Persien oder in den Irak an ein Transitvisum zu gelangen oder durch Vorlage von Empfehlungsschreiben renommierter Firmen an ein Geschäftsvisum, um angeblich Niederlassungen in Palästina zu gründen oder Geschäftsbeziehungen zu knüpfen.17 Größere und vor allem erfolgreiche heimliche Einwanderungsaktionen hatte es bis zum Besuch von Krivoshein bei Perl allerdings nur zwei gegeben. Im Sommer 1934 hatten die in Griechenland ausgelaufenen Schiffe Velos und Union zusammen knapp 450 jüdische Einwanderinnen und Einwanderer nach Palästina gebracht. Aber schon auf ihrer zweiten Reise, dieses Mal vom bulgarischen Varna aus, wurde die Velos von den Briten aufgebracht und in den Hafen von Piräus zurückgeschickt. So fanden die illegalen Transporte ein Ende.

Willy Perl, 1932

Perl, von seinem Freund und Weggefährten Reuben Hecht später einmal als der „praktische Erfinder“ der illegalen Einwanderung nach Palästina bezeichnet, hatte sich mit dem Thema spätestens seit 1935 beschäftigt.18 Auf dem Gründungskongress der NZO in Wien hatte er ein Referat über die illegale Einwanderung nach Palästina gehalten – wohl vor dem Hintergrund, dass die Mitglieder der revisionistischen Bewegung seit dem Bruch mit der WZO keinen Anspruch mehr auf die in ihrer Zahl stark limitierten Zertifikate hatten, die für eine legale Einwanderung notwendig waren. Diese waren in mehrere Kategorien unterteilt, deren Vergabe unterschiedlich streng gehandhabt wurde. So gab es in der Kategorie A für Personen mit eigenem Vermögen unter anderem die sogenannten „Kapitalistenzertifikate“, für die ein Nachweis über ein Eigenkapital von 1000 Palästina-Pfund erbracht werden musste. Nur diese wurden direkt von den Briten über ihre Konsulate vergeben, während alle anderen Zertifikate über die Palästina-Büros der Jewish Agency zu erhalten waren.19 Diese war der operative Arm der WZO in Palästina sowie das offizielle Vertretungsorgan der dortigen jüdischen Bevölkerung und damit der alleinige Ansprechpartner der britischen Mandatsmacht. Für Jabotinskys Revisionisten war die illegale Einreise daher in den meisten Fällen der einzige Weg nach Palästina, da sie in der Regel wenig Geld hatten und von der Jewish Agency nach dem endgültigen Bruch mit der WZO nur mehr wenige Zertifikate zugewiesen bekamen.

Perl als rational denkender Mensch war sich auch der Tatsache bewusst, dass die heimliche Immigration nur dann eine ernstzunehmende Option sein konnte, wenn sie von erfahrenen Seeleuten durchgeführt wurde, um Fehlschläge zu vermeiden. Erfahrung in heimlichen Operationen auf See konnte man den griechischen Schmugglern schwerlich absprechen, also erklärte er sich bereit, Krivosheins Vorhaben den anderen Mitgliedern der Aktion zu weiteren Beratungen vorzustellen. Nachdem Krivoshein den von Perl vorgeschlagenen Änderungen zugestimmt hatte, kontaktierte Perl umgehend seine Freunde und noch am selben Abend fand ein Treffen in einem kleinen Lokal statt. Bei einem Glas Bier wurde nicht nur die Ausführung von Krivosheins Plan in Perls abgeänderter Version beschlossen, sondern auch gleich ein Motto für die Geheimunternehmung entworfen. Man einigte sich auf die hebräischen Worte Af Al Pi – „Trotz allem“.

Perl versetzte der Gedanke, Hunderten Juden auf einen Schlag die Einreise nach Palästina zu ermöglichen, in grenzenlose Euphorie. Den anderen Teilnehmern an der Zusammenkunft wie Paul Haller, dem eigentlichen Gründer der Aktion, und Erich Deutsch, mit dem Perl im vergangenen Sommer einen Urlaub im Baskenland verbracht und dabei den Ausbruch des Spanischen Bürgerkriegs beobachtet hatte, dürfte es ähnlich ergangen sein. Doch als sich diese anfängliche Begeisterung gelegt hatte, wurden sie schnell auf den Boden der Tatsachen zurückgeholt. Die ersten Probleme ließen nicht lange auf sich warten.

Die vorgebliche Reise zur Messe nach Tripolis sollte als Pilotprojekt genutzt werden, um die Zusammenarbeit mit den griechischen Schmugglern und die generellen Herausforderungen eines derartigen Unternehmens auszuloten. Doch Perl und seine Mitstreiter stellten rasch fest, dass sich in Österreich dafür kaum „Versuchskaninchen“ finden ließen: Trotz des inländischen Antisemitismus und der Bedrohung, die sich jenseits der Landesgrenze auf deutschem Boden abzeichnete, wollte sich niemand auf das Wagnis einer derartigen Reise einlassen. Perl machte dafür den relativen Wohlstand der heimischen Juden verantwortlich. Also musste die Aktion ihren Blick nach Osten richten, wo wegen weitverbreiteter Armut unter der jüdischen Bevölkerung eine höhere Bereitschaft zur Emigration bestand.

Diese Änderung stellte die Gruppe vor einen Finanzierungsengpass. Ursprünglich hatte der Plan vorgesehen, dass die Passagiere die Kosten von rund sechs britischen Pfund oder 30 US-Dollar pro Person selbst übernehmen sollten. Aber selbst diese relativ geringe Summe war den mittellosen jüdischen Gemeinden im Osten der Tschechoslowakei, in der Karpatenukraine und in Polen, die die Aktion kontaktierte, kaum zuzumuten. Daher mussten andere Geldquellen erschlossen werden. Perl und seinen Gefährten gelang es, den jüdischen Geschäftsmann Hans Perutz als Hauptfinancier zu gewinnen, und auch die Israelitische Kultusgemeinde Wien steuerte einen Teil bei – wobei allerdings auf größte Geheimhaltung Wert gelegt wurde. Offiziell wurde das Geld der Kultusgemeinde als Unterstützung für Durchreisende auf ihrem Weg nach Palästina verwendet.

Nachdem also die finanzielle Frage für den Anfang geklärt war, wurden die notwendigen logistischen Schritte eingeleitet. Der überwiegende Teil der aus dem Osten herbeigerufenen Juden hatte keinerlei Papiere und übte sich damit schon beim Überschreiten der österreichischen Grenze in „illegaler Einreise“. Diejenigen, die dabei von den österreichischen Ordnungskräften verhaftet wurden, konnte Perl als redegewandter Strafverteidiger mit Kontakten zu Justiz und Polizei gegen das Versprechen, sie schleunigst außer Landes zu schaffen, rasch wieder auslösen. Danach ging die Reise weiter ins 30 Kilometer südlich von Wien gelegene Kottingbrunn. Dort hatte die Aktion ein leerstehendes Gebäude aufgetrieben, das als Sammelpunkt für die Ausreisewilligen diente. Dass dies aus Gründen der Geheimhaltung geschah, erscheint aus heutiger Sicht zwar seltsam, da Fremde in einem verhältnismäßig kleinen Ort wie Kottingbrunn eher auffallen mussten als in der Metropole Wien. Jedoch hatte die Aktion beschlossen, nie mehr als drei Personen auf einmal in ihre Kottingbrunner „Burg“ zu bringen. Sicher dort angekommen, erhielten die osteuropäischen Juden eine Ausbildung, die sie auf ihr neues Leben vorbereiten sollte. Auf dem Stundenplan standen neben jüdischer Geschichte und Philosophie sowie Hebräisch auch Exerzieren und der Umgang mit Handfeuerwaffen. Die jungen Männer wurden auf ihre Mission geradezu eingeschworen und sahen sich längst nicht mehr nur als Emigranten. Vielmehr hatte, wie Wolfgang von Weisl es nannte, ein „Kreuzfahrergeist“ von ihnen Besitz ergriffen.20

Zu Beginn des Jahres 1937 erteilte die Aktion der ersten kleinen Gruppe den Marschbefehl und 16 Männer machten sich auf den Weg nach Palästina. Verworfen wurde allerdings die Idee, die Messe in Tripolis als Vorwand für die Reise zu nehmen. Stattdessen reiste Perls „Vorhut“ per Zug über die Balkanhalbinsel nach Athen. Dort wurde sie von Krivoshein in Empfang genommen, der schon zuvor nach Griechenland gefahren war und mit den Schmugglern die Konditionen der Schiffspassage ausverhandelt hatte. Wie improvisiert diese erste Unternehmung der Aktion war, zeigt die Ankunft der Gruppe in Palästina. Als Zielort hatte Krivoshein, der sich mittlerweile den hebräischen Namen „Moshe Galili“ zugelegt hatte, eine Stelle in der Nähe des E-Werks von Haifa gewählt. Dort schwamm er in einer mondlosen Nacht und bei äußerst frischen Wassertemperaturen an Land, um in einer nahen jüdischen Siedlung Unterstützung für seine 16 Schützlinge zu organisieren. Denn bislang hatte die Aktion keinerlei Vorkehrungen in Palästina selbst getroffen. Groß muss daher die Erleichterung in Wien gewesen sein, als am 14. April 1937 und damit einen Tag nach der Ankunft der Gruppe vor Haifa ein Telegramm in Wien eintraf und vom erfolgreichen Ausgang der Operation berichtete.

Perl und die Aktion hatten in Österreich bereits eine gewisse Infrastruktur aufgebaut und ihnen war klar, dass auch am anderen Ende der „Lieferkette“ etwas Entsprechendes dringend erforderlich war. Die Suche nach einem Partner in Palästina dauerte nicht lange, denn es gab dort eine Organisation, die für das Vorhaben der Aktion wie geschaffen war, nämlich die Irgun Zwai Leumi. Bei dieser handelte es sich um eine Untergrundmiliz, die den Revisionisten nahestand und aus der ersten landesweiten jüdischen Selbstverteidigungsorganisation in Palästina hervorgegangen war, der Hagana. Tatsächlich konnte Krivoshein, der sich ihr später anschließen und in einen Bombenanschlag in Rom verwickelt werden sollte, die Irgun zu einer Zusammenarbeit bewegen, sodass diese sich fortan um die Anlandung der von ihm nach Palästina geleiteten Flüchtlinge kümmerte.

Im August verließ er mit 68 Personen Wien per Zug in Richtung Griechenland, vier Monate später folgte eine fast doppelt so große Gruppe. Wieder stammte der überwiegende Teil der Passagiere aus Osteuropa. Um ausreichend Freiwillige für das Projekt der Aktion zu finden, sah Perl sich sogar gezwungen, persönlich in die Karpatenukraine und die Tschechoslowakei zu reisen und die Werbetrommel zu rühren. Dass ausgerechnet ihm diese Aufgabe zufiel, lag daran, dass er aufgrund seiner beruflichen Tätigkeit und seiner Redegewandtheit der „Außenminister“ und damit das „Gesicht“ der Aktion war. Nur sein Name war denjenigen, die sich für eine Auswanderung nach Palästina interessierten, bekannt.

In Wien selbst wurde die Suche nach Teilnehmenden auch deswegen verkompliziert, weil sich dort mittlerweile der erste Widerstand gegen die Transporte formiert hatte. Dieser ging allerdings nicht von den Briten aus, die in dieser Phase noch gar nichts davon wussten.21 Vielmehr hatte das jüdische Establishment begonnen, der Aktion Probleme zu bereiten. Denn was der „Unruhestifter“ und „Revoluzzer“ Perl tat, hatte sich innerhalb der jüdischen Gemeinde herumgesprochen und wurde bei Weitem nicht von allen gutgeheißen. Vertreter der Kultusgemeinde befragten ihn zu seinen Tätigkeiten und verständigten die Eltern junger Männer und Frauen, um sie explizit vor ihm und seinen riskanten, illegalen Umtrieben zu warnen. Die Ereignisse im März 1938 führten dann allerdings rasch zu einem Umdenken.

Doch bevor die Nacht sich verhängnisvoll über Österreich senkte, erlebte Perl noch eine Begegnung mit langfristigen Konsequenzen – im positiven Sinn. Im Frühsommer des Jahres 1937, kurz bevor sich der zweite Transport der Aktion auf den Weg nach Palästina machte, unternahm er in einer schlaflosen Nacht einen Spaziergang durch den Wiener Stadtpark. Dort traf er auf eine lange Reihe verwaister Stühle, die vermutlich von einem Promenadenkonzert übriggeblieben waren. Doch nicht alle waren leer. Auf einem saß eine junge Frau und sie erregte Perls Aufmerksamkeit. Nach einigem Zögern sprach er sie an – und handelte sich prompt einen Korb ein. Doch er ließ sich davon nicht entmutigen und verwickelte die Unbekannte doch noch in ein Gespräch. Dem Gespräch folgten mehrere Verabredungen, und schließlich wurden der Jude Willy Perl und die Katholikin Leonore Marie Rollig, genannt Lore, ein Paar. Sogar das Thema Heirat wurde schnell spruchreif, jedoch wieder verworfen, weil Perl sich nur eine Jüdin als Frau vorstellen konnte und Lore nicht konvertieren wollte. Also trennten sie sich wieder, doch über Weihnachten 1937, als Perl einen Urlaub in Afrika verbrachte, beschloss er, für seine Liebe zu kämpfen. Der Tod seiner Mutter Camilla im darauffolgenden Januar bestärkte ihn darin. Er nahm das Werben um Lore wieder auf, die diesmal nachgab und einem Übertritt zum Judentum zustimmte. Wieder vereint, erlebten sie wenig später gemeinsam, wie die Wehrmacht die Grenze zu Österreich überschritt und Hitler die „Heimholung“ seines Geburtslandes ins Deutsche Reich verkündete.

3 — Devisenbeschaffung

Am 15. März 1938 stand Willy Perl am Fenster seines Büros und blickte auf den Wiener Stubenring. Erst im vergangenen November hatte er endlich getan, worauf er seit seinem Studienbeginn 1925 hingearbeitet hatte: Er hatte seine eigene Kanzlei eröffnet.22 Doch noch ehe seine Karriere als Jurist richtig begonnen hatte, war sie auch schon wieder so gut wie zu Ende. Jüdischen Anwälten würde die Ausübung ihres Berufs bald verboten sein. Verantwortlich dafür war der Mann, der an diesem Tag in Wien eingetroffen war: Adolf Hitler. Wohl mit einer Mischung aus Angst und Wut beobachtete Perl die Menschenmassen unten auf der Straße, die sich mit Hakenkreuzfahnen und Armbinden auf den Weg zum Heldenplatz machten, wo ihr „Führer“ in Kürze eine Rede halten sollte.

Vier Tage zuvor, am 11. März, hatte Perl beim Abendessen die Radioansprache von Bundeskanzler Kurt Schuschnigg mitverfolgt, der das Ende Österreichs als eigenständiger Staat verkündet hatte. Wenige Stunden danach waren deutsche Truppen ins Land einmarschiert. In derselben Nacht hatten führende Köpfe der österreichischen Revisionisten die Flucht angetreten, unter ihnen Wolfgang von Weisl. Er war per Zug ausgerechnet nach Deutschland gereist und von dort weiter nach Frankreich. Das war nicht unklug gewesen, denn schon vor dem „Anschluss“ war es zu ersten Ausschreitungen gegen jüdisches Hab und Gut, aber auch gegen Leib und Leben gekommen. Perl hingegen war geblieben und ihm fiel es nun zu, die revisionistische Bewegung zu vertreten, als diese, wie andere politische jüdische Organisationen, von den neuen Machthabern vorgeladen wurde. Er wusste, dass er diese Vorladung nicht einfach ignorieren konnte, da ansonsten mit Repressalien zu rechnen war. Also trat er gemeinsam mit Erich Deutsch sowie zwei Repräsentanten des österreichischen Betar, Erich Wolf und Otto Seidmann, den Gang zu Adolf Eichmann an, und dies zutiefst beunruhigt. Denn die Revisionisten und vor allem die Aktion hatten sich seit Anfang der 1930er-Jahre gegen Hitler-Deutschland engagiert und mit Flugblättern zu einem Boykott deutscher Waren aufgerufen. Nun befürchtete Perl – zu Recht, wie sich bald zeigte –, dafür von den Nationalsozialisten zur Rechenschaft gezogen zu werden.

Eichmann, der als Mitarbeiter des Sicherheitsdienstes der SS am 16. März in Wien eingetroffen war, zeigte sich zwar interessiert an Perls Angebot, Wien „judenrein“ zu machen, und verlangte eine schriftliche Ausführung des Vorschlags. Dies änderte aber nichts daran, dass er Perl und seine Begleiter festsetzen ließ. Danach wurden sie zur Zentrale der Revisionisten in der Biberstraße gefahren, wo sich Eichmann persönlich auf die Suche nach belastendem Material machte. Perl rechnete schon mit dem Schlimmsten, und nur Erich Deutsch als Sekretär der Revisionisten war es zu verdanken, dass Eichmann nicht fündig wurde. Weil eine rechtzeitige Entsorgung nicht mehr möglich gewesen war, hatte Deutsch die Schachteln mit den Flugblättern einfach auf dem Flur vor dem Büro platziert, und das derart offensichtlich, dass Eichmann ihnen keine Beachtung schenkte und die Verdächtigen schließlich in die Freiheit entließ.23

Perl kehrte umgehend in seine Kanzlei zurück und begann, an dem von Eichmann verlangten Memorandum zu arbeiten, mit dem er sich dessen Unterstützung für die Aktion sichern wollte. Präzise legte er dar, wie er sich die als „visafrei“ umschriebene illegale Einwanderung nach Palästina vorstellte. Nachdem er die Meinung seiner Weggefährten eingeholt hatte, machte er sich keine 48 Stunden später mit dem Schriftstück auf den Weg ins Hotel Métropole, das die Gestapo als Hauptquartier requiriert hatte und in dem sie prominente Gefangene unterzubringen pflegte. Der ehemalige Bundeskanzler Kurt Schuschnigg war nach seiner Verhaftung ebenso dort inhaftiert wie der Bankier Louis Nathaniel von Rothschild. Angesichts der Tatsache, dass Hunderte Menschen Tag für Tag im Métropole verhört und zum Teil schwer misshandelt wurden, war es für seine Freunde unverständlich, dass Perl sein Memorandum persönlich überbringen wollte. Doch dieser wollte jedes Risiko ausschließen und sichergehen, dass Eichmann, der mit der Zentralstelle für jüdische Auswanderung bald ins arisierte Palais Rothschild im vierten Wiener Gemeindebezirk übersiedelte, das Schreiben auch erhielt.

Entgegen der Erwartung seiner Freunde, die in einem nahen Kaffeehaus auf seine Rückkehr warteten, wurde Perl nicht behelligt. Er überstand seinen Botengang unbeschadet, doch die Tage danach waren nicht minder nervenaufreibend. Während er Eichmanns Antwort harrte, wurde seine Kanzlei von verzweifelten Menschen, die einen Platz auf einem seiner Transporte ergattern wollten, regelrecht belagert. Von der anfänglichen Reserviertheit der jüdischen Bevölkerung Wiens gegenüber der Aktion war nichts mehr zu merken. Die Stubenring-Kanzlei wurde innerhalb kurzer Zeit zum Zentrum der illegalen Einwanderung nach Palästina, wie auch in Akten des Criminal Investigation Department Jerusalem der britischen Palestine Police und des britischen Kolonialministeriums zu lesen ist: „Natürlich war Wien schon seit den Tagen von Dr. Willy Perl und dem Stubenring-Büro mit seinen Gestapo-Partnern das berüchtigte Zentrum der jüdischen illegalen Einwanderung aus Deutschland und dem vom Deutschen Reich besetzten Gebiet.“24

Den Begriff „illegal+ lehnten die Mitglieder der Aktion jedoch ab und ersetzten ihn durch „frei“. Sie wussten aber auch, dass sie harte und unbarmherzige Entscheidungen zu treffen hatten. Denn selbst in einem idealen Szenario würden ihre Kapazitäten immer beschränkt bleiben, daher sollten vorwiegend junge und gesunde Menschen für eine Reise nach Palästina in Betracht gezogen werden, die mit den Strapazen der Reise und den mitunter harschen Bedingungen in ihrer neuen Heimat fertig werden konnten.25 Als logische Konsequenz ergab sich daraus, dass Familien unweigerlich getrennt werden würden.

Doch zunächst hatte es ohnehin den Anschein, als ob die Aktion auf ihrem Weg in einer Sackgasse angelangt wäre und kein weiterer Transport mehr nach Palästina aufbrechen würde. Denn als Perl einige Zeit später bei der Kultusgemeinde vorsprechen wollte, traf er im Wartezimmer zufällig auf Eichmann. Selbst Jahre später erinnerte er sich an den genauen Wortlaut der Antwort, mit der dieser ihn im Vorbeigehen – und ohne ihn eines Blickes zu würdigen – abspeiste: „Aus diesen Transporten wird nichts. Wir brauchen keine Verbrecherzentrale in Palästina. Die Juden werden atomisiert.“26

Perl interpretierte den letzten Satz zwar nicht im Sinne einer vollständigen Vernichtung, sondern als Zerstreuung der Juden in alle Himmelsrichtungen im Sinne einer neuen Diaspora, dennoch kehrte er zutiefst schockiert in seine Kanzlei zurück und berief umgehend eine Krisensitzung der Aktion ein. Seine Verzweiflung wich allerdings bald frischem Tatendrang, was erneut Moses Krivoshein zu verdanken war. Dieser machte Perl klar, dass jetzt nicht die Zeit war, den Kopf in den Sand zu stecken. Im Gegenteil, die Aktion musste in die Offensive gehen. Wenn Eichmann nicht auf sie hören wollte, mussten sie eben jemand anderen finden, der es tat.

Am besten in Berlin.

Perl hatte nicht geträumt. Am Tag nach seiner Begegnung mit Eichmann saß er mit Krivoshein in einem Zug auf dem Weg in die Reichshauptstadt. Die Reise verlief ruhiger, als Perl erwartet hatte. Zwischen der „Ostmark“, wie Österreich nun genannt wurde, und Deutschland gab es keine Grenze mehr, und bei den gelegentlichen Kontrollen ging er als Anhängsel Krivosheins durch, der als Einwohner Palästinas über einen von den britischen Behörden ausgestellten Pass verfügte. Als sich doch einmal ein Soldat nach dem Grund ihrer Reise erkundigte, gab Perl kurzerhand an, er reise in offizieller Mission und solle in Berlin die Massenauswanderung der Wiener Juden arrangieren. Das war zwar eine etwas übertriebene Version der Wahrheit, aber er wurde daraufhin nicht mehr behelligt.