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Früher war mehr Liebe? Von wegen!
Mitte vierzig ist ein komisches Alter, findet Bea. Mal fühlt sie sich jung und knackig wie eh und je, dann wieder melden sich Hitzewellen und Stimmungsschwankungen. Dass sich der Versöhnungssex mit ihrem Freund als Abschiedssex herausstellt, hebt ihre Laune auch nicht gerade. Warum gerät sie immer an die Falschen? Der Frust ist komplett, als Mutter Rosi, 64, und Tochter Mona, 19, mit neuen Liebhabern auftauchen – beide in Beas Alter. Geht gar nicht! Bea beschließt, erst mal männerlos glücklich zu werden. Aber dann steht mit Theo ein Mann vor ihr, der zwar definitiv der Falsche ist, ihr jedoch einen Hitzetsunami nach dem anderen beschert ...
Drei Frauen aus drei Generationen suchen die Liebe – und finden sie dort, wo sie sie am wenigsten vermuten.
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Seitenzahl: 477
Ellen Berg, geboren 1969, studierte Germanistik und arbeitete als Reiseleiterin und in der Gastronomie. Heute schreibt und lebt sie mit ihrer Tochter auf einem kleinen Bauernhof im Allgäu. Ihre Romane »Du mich auch. (K)ein Rache Roman«, »Das bisschen Kuchen. (K)ein Diät-Roman«, »Den lass ich gleich an. (K)ein Single-Roman«, »Ich koch dich tot. (K)ein Liebes-Roman«, »Gib’s mir, Schatz! (K)ein Fessel-Roman«, »Zur Hölle mit Seniorentellern! (K)ein Rentner-Roman«, »Ich will es doch auch! (K)ein Beziehungs-Roman«, »Alles Tofu, oder was? (K)ein Koch-Roman«, »Blonder wird’s nicht. (K)ein Friseur-Roman«, »Ich schenk dir die Hölle auf Erden. (K)ein Trennungs-Roman, »Manche mögen’s steil. (K)ein Liebes-Roman« und »Wie heiß ist das denn? (K)ein Liebes-Roman« liegen im Aufbau Taschenbuch vor und sind große Erfolge.
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Früher war mehr Liebe? Von wegen!
Mitte vierzig ist ein komisches Alter, findet Bea. Mal fühlt sie sich jung und knackig wie eh und je, dann wieder melden sich Hitzewellen und Stimmungsschwankungen. Dass sich der Versöhnungssex mit ihrem Freund als Abschiedssex herausstellt, hebt ihre Laune auch nicht gerade. Warum gerät sie immer an die Falschen? Der Frust ist komplett, als Mutter Rosi, 64, und Tochter Mona, 19, mit neuen Liebhabern auftauchen – beide in Beas Alter. Geht gar nicht! Bea beschließt, erst mal männerlos glücklich zu werden. Aber dann steht mit Theo ein Mann vor ihr, der zwar definitiv der Falsche ist, ihr jedoch einen Hitzetsunami nach dem anderen beschert...
Drei Frauen aus drei Generationen suchen die Liebe – und finden sie dort, wo sie sie am wenigsten vermuten.
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Ellen Berg
Wie heiß ist das denn?
(K)ein Liebes-Roman
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Prolog
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
Kapitel 18
Kapitel 19
Kapitel 20
Kapitel 21
Kapitel 22
Kapitel 23
Kapitel 24
Kapitel 25
Kapitel 26
Kapitel 27
Kapitel 28
Kapitel 29
Kapitel 30
Kapitel 31
Kapitel 32
Kapitel 33
Kapitel 34
Kapitel 35
Epilog
Nachweis
Impressum
Leseprobe aus: Myriam Klatt – Liebe geht immer
Bea Lindemann war in ihrem Element. Beherzt kletterte sie eine steile Leiter hinauf, bei der es sich sogar Eichhörnchen zweimal überlegt hätten. Mit der rechten Hand hangelte sie sich höher, mit der linken umklammerte sie einen Lüster. Ein ziemlich ausgefallenes Exemplar – genau hundert Glühfadenbirnen an armlangen Kabeln, die von einer roten Lackschleife zusammengehalten wurden. Rudelbildung nannte Bea dieses Designprinzip: Nimm etwas, was dir gefällt, nimm viel davon und mach was draus.
Innenarchitektur war ihr Beruf – und ihre große Passion. Wochenlang hatte sie sich den Kopf über die Gestaltung des neuen veganen Coffeeshops zerbrochen. Hatte über den verrücktesten Visionen gebrütet, alles akribisch durchgeplant und bis zum letzten Moment selbst Hand angelegt. Jetzt erstrahlte die ehemalige Fertigungshalle einer Fahrradfabrik im Glanz des neuen Designs, einer Kombination aus Shabby Chic und Neo-Barock.
Über die Schulter warf Bea einen Blick nach unten, wo ihre Freundin Wanda stand, die frischgebackene Besitzerin des Coffeeshops. Den Kopf in den Nacken gelegt, betrachtete Wanda fast andächtig das Glühbirnenbündel, wobei sie einen enormen Blaubeermuffin vertilgte.
»Was machst du da?«, rief Bea ihr zu.
»Korrektur einer karmischen Ungerechtigkeit«, erwiderte Wanda kauend. »Das Universum wollte mich korpulent, im Gegenzug genehmige ich mir was Leckeres.«
Bea deutete mit dem Kinn auf mehrere Kartons, aus denen weiße Tassen aus Wolken gekräuselter Holzwolle herauslugten.
»Solltest du nicht langsam das Geschirr auspacken? Warte, ich helfe dir gleich.«
»Hmmmpff.«
Seelenruhig biss Wanda von dem Muffin ab. Manchmal beneidete Bea ihre Freundin darum, dass sie unerschütterlich wie ein Buddha in sich ruhte. Ganz im Gegensatz zu Bea, deren Puls deutlich beschleunigt war. Und das lag nicht nur an der schwindelerregenden Höhe, in der sie herumturnte. Dieser Coffeeshop hatte ihre Kreativität auf eine harte Probe gestellt. Noch vor zwei Monaten wäre niemand auf die Idee gekommen, hier auch nur ein Glas Wasser zu trinken, geschweige denn einen Kaffee. In dem hohen, zugigen Raum mit rohen Backsteinwänden und einem schadhaften Betonboden hätten sich nicht mal Mäuse wohl gefühlt.
»Die Tassen können warten«, verkündete Wanda, »Hauptsache, der Schampus steht kalt. Kein pestizidverseuchter Château Blamage wohlgemerkt, sondern feinster Bioprosecco. Möchtest du einen Schluck?«
»Nur zu, bin immer offen für dumme Ideen«, lachte Bea. »Falls ich beschwipst von der Leiter falle, kannst du mir ja was Schönes auf den Gips malen.«
Sie konzentrierte sich wieder auf das Glühbirnenbündel sowie auf die Frage, ob die Halterung fest genug verankert war. Vorsichtig ruckelte sie an dem Haken herum, den sie eigenhändig in die Decke gedübelt hatte. Dann hängte sie den Lüster ein. Er hielt. Bombenfest. Und sah einfach wunderschön aus, wie Bea fand.
Puh, geschafft. Sie atmete einmal tief durch. Von hier oben wirkte der Coffeeshop besonders eindrucksvoll. Bea hatte die Wände in verschiedenen Cappuccino-Schattierungen streichen lassen, passend zum neuen Natursteinboden in Graubeige – einer Farbe, die sie Greige nannte. Über die gesamte Längsseite des Raums erstreckte sich ein Tresen aus weißem Glas. Davor standen altmodische Barhocker mit roten Ledersitzen, die Bea günstig bei einer Auktion ersteigert hatte. Als Tische dienten rote Holzkisten mit weißen Glasplatten, die barocken Lehnsessel mit den rotsamtenen Bezügen stammten aus dem Fundusverkauf des örtlichen Opernhauses. Für die Wanddekoration hatte sich Bea ebenfalls etwas Originelles ausgedacht: Neben schnörkeligen Spiegeln hingen nostalgische Fahrräder, ein augenzwinkernder Hinweis auf die ehemalige Funktion des Coffeeshops.
Mit klopfendem Herzen kletterte sie die Leiter wieder hinunter. Unten angekommen, rückte sie die Träger ihrer staubfleckigen Jeanslatzhose gerade. Auch ihr weißes T-Shirt und die Sneakers wirkten nicht mehr ganz taufrisch. Aber das machte ihr nichts aus. Was gab es Schöneres, als mit Leib und Seele etwas Einzigartiges zu erschaffen? Sie ordnete ihre braunen Locken, die ihr bis auf die Schultern fielen, und schaute hoch zum Lüster. Gerührt, auch ein bisschen stolz. Und mit jenem Lampenfieber, das sie immer dann befiel, wenn sie einem Kunden die fertige Einrichtung präsentierte.
»Na, was sagst du, Wanda? Operation gelungen?«
Erwartungsvoll sah sie zu ihrer Freundin, deren Aufmachung von einem eher schrägen Sinn für Ästhetik erzählte. Auf Wandas indischem Wallekleid in deftigen Rottönen prangte eine giftgrüne Buddhakette, ihr Haar verbarg ein buntkariertes Glitzertuch. Auch die violett bestickten braunen Wildlederstiefel zeugten von einem eigenwilligen Geschmack.
»Wenn der Verstand tanzt und das Herz atmet – dann fühlt man sich wohl in einem Raum.«
»Das heißt …?«
Pure Begeisterung malte sich auf Wandas rundem Gesicht.
»Beim Buddha – absoluter Hammer!«
»Hach«, Bea fiel ein Stein vom Herzen, »bin ich froh, dass es dir gefällt.«
»Von gefallen kann keine Rede sein, es ist genial!« Enthusiastisch riss Wanda die Arme hoch. »Willkommen im Biker’s Coffee!«
Das war der Name des Etablissements, ein Zugeständnis an den anglophilen Zeitgeist. Auch Beas Laden kam neuerdings ziemlich englisch daher: Wohn(t)räume– Interior Design by Bea Lindemann. Damit hoffte sie, neue Kunden anzulocken, denn die Geschäfte liefen, na ja, nicht so doll. Doch diesen erhebenden Moment hier konnte ihr niemand nehmen. Den Moment, in dem sich alles fügte und auch der Auftraggeber zufrieden war. Vor lauter Glück hätte Bea tanzen und jubeln mögen.
»Danke, Wanda! – Jetzt müssen wir uns aber wirklich sputen, damit alles rechtzeitig fertig wird.«
»Immer hektisch, die emsige Frau Lindemann«, spöttelte Wanda und schob sich den Rest des Muffins in den Mund. »Klarer Fall von spiritueller Unterernährung.«
»Bin halt nicht so esoterisch unterwegs«, verteidigte sich Bea.
»Du solltest es mit Yoga versuchen, um Kontakt mit deinem Inneren aufzunehmen. Na, wenigstens den Kontakt mit dem Äußeren hast du perfekt drauf, wie man sieht.«
Ja, der Coffeeshop konnte sich sehen lassen. Das i-Tüpfelchen jedoch blieb unsichtbar: die Musik. Hier würden ausschließlich Opernarien erklingen, im Kontrast zur einfallslosen Plastikmusik, die einem anderswo die Gehörgänge verklebte. Auch das war Beas Idee gewesen, denn sie liebte Opern über alles – romantische Liebesgeschichten, große Gefühle, himmelstürmende Leidenschaften. Gerade erschallte »La donna è mobile« durch den Raum, Giuseppe Verdis Arie über wankelmütige Frauen.
»O wie so trügerisch sind Weiberher-her-zen«, schmetterte Bea los. »… oft spielt ein Lächeln um ihre Zü-hü-ge, oft fließen Tränen, alles ist Lü-hü-ge.«
»Na, das Liebesleben der Männer ist aber auch nicht gerade fusselfrei«, warf Wanda ein.
Wohl wahr. Bea hörte auf zu singen.
»Eher wisch und weg«, bestätigte sie. »Doch der Komponist war halt ein Mann, und Männer verteidigen ihre Artgenossen.«
Wissend nickten sie einander zu. Beide waren sie Mitte vierzig, da machte man sich keine Illusionen über Männerherzen mehr. Im Laufe der Jahre waren aus Ansprüchen Kompromisse geworden, und selbst die gab es offenbar nur mit Verfallsdatum. Bea verfügte über eine umfangreiche Sammlung freiheitsliebender Exfreunde und hatte ihre inzwischen erwachsene Tochter Mona allein großgezogen. Wanda war lange glücklich liiert gewesen, hatte sich jedoch vor kurzem getrennt – die Beziehung sei am emotionalen Hochleistungssport gescheitert, wie sie betonte.
»Erst heißt es: Ich dich auch, irgendwann nur noch: Du mich auch«, philosophierte Bea, während sie eine angeschlagene Tasse aussortierte. »Die Zeit dazwischen ist schön, aber leider viel zu kurz.«
»Ich bevorzuge das Geben und Nehmen: Gib’s mir, aber nimm dich bloß in Acht!«, lachte Wanda. »Egal, starke Frauen kann nichts erschüttern. Du bist eine Künstlerin, das wird jetzt standesgemäß gefeiert. Koffeinhaltig.«
Sie verschwand hinter dem perlweißen Tresen, wo sie der funkelnagelneuen Profi-Kaffeemaschine zwei große Latte macchiato entlockte. Bea sah ihr lächelnd zu. Wem außer Wanda wäre schon so etwas wie ein veganer Coffeeshop eingefallen? Mit Kaffeespezialitäten auf der Basis von Sojamilch und tierbefreiten Snacks?
»Was sagt eigentlich Eddy dazu, dass du nicht mehr in seinem Bioladen arbeitest?«, erkundigte sie sich.
»Eddy …« Wanda verdrehte schwärmerisch die Augen. »Er ist ein Engel, der versteht’s. Er wusste immer, dass ich nicht bis an mein Lebensende Ökotomaten für ihn verkaufe. Vom Sprung in die Selbständigkeit habe ich schon lange geträumt.«
Bea konnte es bestens nachvollziehen. Auch sie hatte alle möglichen Jobs durchprobiert, bevor sie ihre Berufung gefunden hatte. Deshalb war sie sogleich mit im Boot gewesen, als Wanda aus ihrer Schwäche für alles, was Koffein enthielt – eine Schwäche, die sie mit Bea teilte –, ihre neue Mission machen wollte. Einen veganen Coffeeshop der Extraklasse. Stylish, aber gemütlich; anspruchsvoll, aber mit erschwinglichen Preisen.
Im Hochgefühl der gelungenen Gestaltung nahm Bea auf einem Barhocker Platz. Wanda stellte die gefüllten Gläser auf den Tresen und gab jeweils zwei Zuckerstückchen hinein, dann kosteten die beiden Freundinnen einen Schluck. Voller Behagen schloss Bea die Augen. Der Latte macchiato schmeckte so verführerisch, wie er duftete: einfach verboten gut.
»Ohne Träume keine Realität«, sinnierte sie und leckte sich genüsslich etwas Milchschaum von den Lippen. »Wenn man Mitte vierzig ist, stellt sich die Sinnfrage: War das schon alles? Du hast dir die Frage selbst beantwortet.«
Wanda ließ zwei weitere Zuckerstückchen in ihren Latte macchiato plumpsen.
»Ja, und zwar bevor ich stimmungsmäßig auf der Felge schramme. Wusstest du, dass die menschliche Zufriedenheitskurve die Form eines großen U hat?«
»U?«, wiederholte Bea. »Wie unzufrieden?«
Wanda stützte ihre Ellenbogen auf den Tresen.
»Alles wissenschaftlich erforscht. Mit zwanzig ist man super drauf, voller Pläne, voller Energie, danach geht die U-Kurve steil runter. Mit sechsundvierzig kratzt man – statistisch – am Tiefpunkt, weil man feststellt, dass nichts so klappt, wie man es sich vorgenommen hatte. Aber ab fünfzig geht’s wieder bergauf.«
»Na toll, ich werde demnächst vierundvierzig, was nach deiner Theorie bedeutet, dass die schlimmsten Jahre erst noch kommen«, stöhnte Bea. »Immerhin – du hast es richtig gemacht mit dem Coffeeshop. Du startest durch. Bei dir geht es jetzt richtig los!«
»Und bei dir?«
Nachdenklich betrachtete Bea den Milchschaum in ihrem Glas. Träume sind Schäume, dachte sie, und so vergänglich wie ein Latte macchiato. Seit zehn Jahren führte sie nun schon ihren Laden Wohn(t)räume für originelles Einrichtungsdesign. Doch nicht jeder in dieser Stadt hatte Sinn für das Besondere, eine Tatsache, die sich zurzeit auch an ihrem Kontostand ablesen ließ.
»Alles okay so weit«, behauptete sie, weil sie Wanda nicht entmutigen wollte.
»Und Mona? Wie kommst du damit klar, dass sie weggezogen ist?«
»Geht so.«
Gar nicht, wäre die ehrlichere Antwort gewesen. Mit ihren knapp zwanzig bewohnte Beas Tochter neuerdings eine eigene Studentenbude in der Nachbarstadt, eine gute Autostunde entfernt. Obwohl Bea wusste, wie wichtig dieser Schritt für Monas Entwicklung war, vermisste sie ihre Tochter jeden einzelnen Tag.
»Ist ein bisschen still zu Hause. Macht nichts. Mona kann nun lernen, was Freiheit, Unabhängigkeit und Selbstbestimmung heißt. Und ich hab rund um die Uhr sturmfreie Bude.«
»Apropos – was ist mit Fred?«, fragte Wanda.
Oha. Fred. Nervös rührte Bea in ihrem Latte-macchiato-Glas herum. Fred, das ewige Fragezeichen. Eine On-Off-Beziehung, die ihren Gefühlshaushalt kräftig durcheinanderwirbelte. Die Uhr tickte. Sicher, Bea fühlte sich noch einigermaßen jung mit ihren knapp vierundvierzig, war leidlich in Form und tönte die ersten grauen Strähnen ihrer Lockenmähne in feschem Kastanienbraun. Doch der Lack war ab. Sie sehnte sich nach etwas Festem, ohne Wenn und Aber. Ein verwegener Wunsch für eine Frau, der niemand mehr hinterherpfiff, wenn sie eine Straße entlangging? Sie hob den Kopf.
»Ich bin jetzt in einem Alter, in dem ich weiß, was ich will – nur bin ich leider aus dem Alter raus, in dem ich es auch bekomme.«
»Das heißt, das Ding mit Fred wackelt gewaltig«, stellte Wanda fest. »Ziehst du immer noch das Kommunikationsembargo durch? Oder bist du etwa schwach geworden?«
Natürlich war Bea schwach geworden. Hatte Fred wider besseres Wissen Nachrichten gesendet, auf seine Mailbox gesprochen und ihm Herz-Smileys geschickt wie ein liebeskranker Teenager. Aber wie heißt es doch so schön? Vernünftig ist wie tot. Nur vorher. Und Bea war sehr lebendig.
»Zwei Wochen lang war Funkstille, aber vor einer Stunde hat er sich gemeldet. Heute Abend will er vorbeischauen. Zum Reden. Ehrlich gesagt habe ich Angst, dass er Schluss macht – womit ich mal wieder in den Single-Charts platziert wäre.«
Wanda nahm ihr Tuch ab und strich durch ihr Haar. Seit neuestem trug sie es kurz und platinblond, mit einer kecken grünen Strähne. Die Frisur einer Frau, die sich nicht mehr darum scherte, was andere für schön hielten. So wie sie auch nicht mehr mit ihrem Übergewicht kämpfte, sondern es zu ihrer karmischen Bestimmung erklärte. Bea merkte ebenfalls, dass sich der Stoffwechsel mit den Jahren verlangsamt hatte. Ihre Klamotten waren auf rätselhafte Weise geschrumpft, und selbst ihre uralte Latzhose saß nicht mehr so locker wie früher.
»Heute Abend kommt Fred also vorbei«, nahm Wanda den Faden wieder auf.
»Ja, um neun.«
»Das wirft einen gewissen Hoffnungsschimmer auf die Sache.«
»Wieso?«, fragte Bea.
»Na, denk doch mal nach.« Wanda hob verschwörerisch die Augenbrauen. »Schluss macht man heute per WhatsApp, oder man ändert einfach den Beziehungsstatus auf Facebook …«
»Also bitte, Fred ist doch kein Schuljunge mehr.«
»Hat nichts zu sagen«, schob Wanda den Einwand beiseite. »Auch gestandene Männer führen sich mittlerweile wie Schuljungen auf. Vor allem die Männer, die du dir aussuchst.«
Bea zuckte mit den Schultern. Es war sinnlos, diese Einschätzung abzustreiten.
»Hmmmja«, stimmte sie zögernd zu. »Ich habe eindeutig eine Schwäche für Hallodris, wenn ich meine Exfreunde so betrachte. Allesamt charmant, verspielt und völlig verantwortungslos.«
»Ein Kaffee zwischendurch ist bei Trennungen ebenfalls sehr beliebt«, setzte Wanda ihre Erläuterungen fort. »Natürlich auf neutralem Terrain, am besten in einem Coffeeshop wie diesem, damit Tränenausbrüche und zerdeppertes Geschirr jenseits der Wahrscheinlichkeit liegen.«
»Und – weiter?«, fragte Bea verständnislos.
»Fred kommt zu di-hir!«, trällerte Wanda. »Abends! Ohne Zuschauer! Bringt einen Blumenstrauß mit, schaut dir tief in die Augen, hat vielleicht sogar einen Ring dabei …«
»Das ist so was von retro.« Beas Mundwinkel neigten sich nach unten. »Meiner Erfahrung nach wollen sich die Männer unseres Alters heutzutage auf keinen Fall mehr festlegen. Marco, Sven, Wolfram, Gerrit – es war immer dasselbe: Die wollten nur naschen, nicht das ganze Menü. Auch Fred scheint mir eher ein Naschkater zu sein.«
»Man muss die Männer so nehmen, wie sie sind – man darf sie nur nicht so lassen«, fachsimpelte Wanda. »Bieg ihn dir hin. Heute Abend hast du die ideale Gelegenheit dazu.«
»Aber seine chronische Polyamorie …«
»Fred hat eine Krankheit?«, erkundigte sich Wanda erschrocken.
»Am Herzen, ja. Poly wie viele und Amorie wie Liebe, verstehst du? Die schicke neumodische Bezeichnung für Untreue.«
Grübelnd nagte Wanda an ihrer Unterlippe.
»Wenn er mit leeren Händen kommt, mach dich aufs Schlimmste gefasst. Doch wenn er Blumen oder eine Flasche Wein dabeihat …« Sie wackelte mit den Hüften, als wollte sie einen Fruchtbarkeitstanz aufführen. »Bitte anschnallen und festhalten, das heißt – Versöhnungssex!«
Bea blieb der Mund offen stehen. »Waaaas?«
»Sex, Kuscheln und danach die Ausschüttung von Millionen Bindungshormonen. So segelt man an die lieblichen Gestade der ewigen Treue.«
»Wer glaubt denn schon ernsthaft an die Pattexkräfte der Hormone?« Bea schüttelte den Kopf. »Das ist doch so doof wie Freds ewiger Scherz, ein gewisser Kurt C.Hose habe die Shorts erfunden.«
»Beim Buddha! Jeder Mensch – und ausnahmsweise zähle ich mal Männer dazu – verdient eine zweite Chance. Vielleicht hat Fred sich weiterentwickelt? Zur Monoamorie?«
»Und warum hat er sich dann zwei volle Wochen nicht gemeldet?«
Wanda trank ihren Latte macchiato aus, dann langte sie zu einem Kuchenteller, der auf dem Tresen stand, und nahm sich einen weiteren Muffin, diesmal in der Geschmacksrichtung Schokolade.
»Der ist schon ganz braun, der muss weg.«
»Also?«, beharrte Bea auf ihrer Frage. »Warum ist Fred zwei Wochen lang stumm geblieben, wenn er angeblich eine Neuauflage unserer Beziehung will?«
Wanda schluckte geräuschvoll.
»Männer spielen gern mit ihrem Essen, bevor sie darüber herfallen. Möglicherweise wollte er dich nur weichkochen.«
»Aha, und jetzt bin ich für ihn quasi gar und verzehrfertig?«
»Durchaus denkbar. In diesem Falle wäre mein Serviervorschlag sexy Wäsche.«
Unschlüssig sah Bea ihre Freundin an. Auch wenn offener Optimismus verfrüht gewesen wäre, konnte die Berücksichtigung eventueller Eventualitäten nicht schaden, überlegte sie.
»Du hast noch drei Stunden«, befand Wanda nach einem raschen Blick zur Uhr. »Kauf dir heiße Dessous. Und halterlose Strümpfe, darauf stehen die Kerle wie nix. Leiste dir ein neues Parfum, was Feminines, momentan riechst du nämlich wie ein überteuerter Herrenausstatter. Edel, aber viel zu maskulin. Was mit Vanille wäre sinnlicher.«
»Also schön, dann schaue ich auf dem Nachhauseweg noch in einem Wäschegeschäft vorbei. Vielleicht besteht ja eine gewisse Chance auf eine, äh, Versöhnung.«
Das Wort Sex brachte Bea nicht über die Lippen, vielleicht deshalb, weil ihr die Versöhnung momentan wesentlich wichtiger war als der Sex.
»Sehr gut.« Wanda hob einen Daumen. »Nutze die Gelegenheit. Versuchungen stehen vor der Tür und läuten Sturm, aber eine Chance klopft nur einmal an.«
Bea spielte verlegen mit den Trägern ihrer Latzhose, weil jetzt der unangenehme Teil des Gesprächs kam.
»Ich bin momentan ziemlich knapp bei Kasse. Was meinst du, wann könntest du mir mein Honorar anweisen?«
»Hm, na ja«, auch Wanda räusperte sich. »Ich hatte irre viele Ausgaben. Die Möbel. Die Handwerker. Das Geschirr. Und der Fair-Trade-Bio-Kaffee kostet ein Vermögen. Da dachte ich, du könntest vielleicht …«
»Schon gut«, winkte Bea ab. »Gib mir das Geld einfach, wenn es passt. Oder in Raten. Ich warte, bis der Coffeeshop läuft.«
Obwohl sie sich so viel Großzügigkeit eigentlich gar nicht leisten konnte, brachte sie es nicht übers Herz, Wanda unter Druck zu setzen. Sie wusste ja selbst, wie schwierig der Start in die selbständige Existenz war. Und wie schwierig diese Existenz leider blieb.
»Danke, du bist ein Goldstück«, strahlte Wanda. »Dafür möchte ich dich wenigstens zum Essen einladen. Wie klingt ein Candlelight Dinner morgen Abend bei Antonio, dem besten Italiener der Stadt?«
»Kalorienreich.«
Beide brachen in Lachen aus.
»So, jetzt schnell, schnell, du hast was zu erledigen, den Rest schaffe ich hier allein«, versicherte Wanda.
Bea rutschte von ihrem Barhocker. Vielleicht wurde ja doch noch alles gut. Trotz der Reibereien, die zuletzt für Missstimmungen gesorgt hatten, war Fred letztlich der Richtige. Ein Mann, mit dem man lachen konnte, der handfest war, authentisch. Wenn bloß nicht sein Hang zur Untreue gewesen wäre und Beas Hang zur Eifersucht … Nach dem letzten großen Streit über dieses Thema hatte er sich türenschlagend verdrückt. Und alles offengelassen.
Nachdenklich schulterte Bea ihre Werkzeugtasche und sah Wanda zu, die begonnen hatte, den Tresen auf Hochglanz zu polieren. Nur nicht die Hoffnung aufgeben, sagte sie sich. Fred ist wirklich kein Romantiker, der hätte in der Tat mittels einer schlappen WhatsApp Schluss gemacht.
»Dass er vorbeikommen will, könnte durchaus ein positives Zeichen sein«, sagte sie. »Vielleicht ist ihm inzwischen aufgegangen, dass die Vorteile des monogamen Lebens zu zweit den Reiz der freien Wildbahn übertrumpfen.«
»Das Dumme ist, du hast dein Herz bei ihm geparkt«, seufzte Wanda mitfühlend. »Deshalb wünsche ich dir, dass dir das Universum bloß keinen Strafzettel aufbrummt.«
»Falls Fred weiterhin andere Frauen abschleppen will, schicke ich ihn in die Vergangenheitsform. Ich will keine Männer mit Macken mehr. Ich will einen, der perfekt zu mir passt, kein verkappter Junggeselle ist und sich nur für mich entscheidet.«
»Und weiter?«, fragte Wanda. »Was ist der Plan B? Ich meine – du weißt schon, wie man Frauen nennt, die hohe Ansprüche an einen potenziellen Partner stellen?«
»Nein?«
»Single.«
»Tja, in unserem Alter nach dem perfekten Mann fahnden ist wahrscheinlich so sinnlos wie Weihnachten noch nach Ostereiern suchen«, erwiderte Bea achselzuckend. »Falls Fred mich abserviert, ist das mit den Männern erst mal durch. Ich bin es müde, permanent mit Fragezeichen zu leben. Entweder ein schönes, großes Ausrufezeichen, oder ich lege das Thema Beziehung vorerst auf Eis und werde Single aus Leidenschaft.«
*
Als Bea zwei Stunden später aus der Dusche stieg, hatte sich ihr schwankender Pessimismus bereits in vorsichtigen Optimismus verwandelt. Mit stetig steigender Laune trocknete sie sich ab, cremte sich sorgfältig ein und warf das hübsche Nichts eines schwarzen Spitzenhemdchens über. Dazu zog sie die neuen halterlosen Strümpfe an. Nun war das ebenfalls neue Parfum an der Reihe, ein warmer, sinnlicher Duft, in dem Vanille dominierte. Ob Fred sich damit ködern ließ?
»Oh, wie so trügerisch sind Männerher-her-zen …« vor sich hin summend, tapste Bea auf bloßen Strümpfen ins Schlafzimmer.
Lange schaute sie fragend in den silbergerahmten Spiegel, der an der Stirnwand des Raums hing. Bin ich das wirklich? Bea hatte sich irgendwie jünger in Erinnerung. Irritiert betrachtete sie die feinen Linien auf der Stirn, die Fältchen um die Augen, ihren Hals, dessen Haut sich munter vervielfältigte. Okay, sie sah immer noch ganz gut aus, und doch waren sie da, die Spuren des Älterwerdens. Mist. Bea hatte immer gedacht, ihr könnte das nicht passieren. Das mit dem Älterwerden. Forever young? Auch so eine Illusion, die sich verflüchtigt hatte. Allein die Lesebrille, die sie seit kurzem benötigte, empfand Bea als persönliche Beleidigung. Beipackzettel gingen schon lange nicht mehr ohne. Kontoauszüge auch nicht. Noch setzte Bea die Brille nur auf, wenn niemand zugegen war. Aber bald würde sie dauernd mit dem Ding auf der Nase durch die Gegend laufen, weil sie kaum noch die Preise im Supermarkt erkennen konnte.
Sie sah sich im Schlafzimmer um. Neben dem Spiegel stand ein antiker chinesischer Kleiderschrank in warmem Rot, auf dessen Türen zwei geschnitzte Drachen ihr Unwesen trieben. Der schlichte, ebenfalls rote Futon passte perfekt dazu, die seidene Bettwäsche schimmerte silbergrau, so wie das Nachtschränkchen, auf dem ein silbern gerahmtes Foto von Fred stand. Selbstverständlich hatte Bea alles mit Bedacht durchgestylt, denn die mit abstrakten Mustern bedruckte Tapete wiederholte die Farbkombination Rot und Silber.
Die Dekoration hatte Bea ebenso liebevoll ausgewählt. Den handbemalten chinesischen Fächer an der Wand, die dezent geblümten Seidenkissen auf dem Futon, die Stehleuchten mit den zartrosafarbenen Stoffschirmen, die ein sanftes Licht verbreiteten. Alles in allem wirkte dieses Zimmer sehr weiblich, sehr edel und unendlich geschmackvoll. Bea seufzte. Fred hatte das Schlafzimmer nie ausstehen können. Der träumte von einem rustikalen Polsterbett mit gedrechselten Pfosten, von puffigen Nachttischleuchten und einem XXL-Flatscreen, um bequem vom Bett aus fernsehen zu können. Fehlte nur noch die Fototapete mit Sonnenuntergang. Aber Fred war Geschichte. Oder würde er heute ein neues Kapitel aufblättern?
Nach längerem Überlegen schlüpfte Bea in ein schwarzes, ärmelloses Kleid. Kurz genug, um sexy zu wirken, lang genug, um Freds Aufmerksamkeit auf ein fundiertes Beziehungsgespräch zu lenken. Leicht geistesabwesend stieg sie anschließend in schwarze hochhackige Pumps. Versöhnungssex? Wirklich? Einfach so?
Der Gedanke elektrisierte und verwirrte sie gleichermaßen. Zuletzt hatten sich die Intimitäten auf einen lauen Gutenachtkuss beschränkt, danach war das immergleiche Programm abgelaufen: Fred hatte sich umgedreht (demonstrative Schnarchgeräusche von sich gebend), und Bea hatte die Nase in einen Roman gesteckt (ohne Lesebrille, also halb blind), bis ihr lendenlahmer Lover eingeschlafen war.
Sie beschloss, noch ein wenig aufzuräumen, bevor Fred kam. Genauer gesagt, würde sie alles entfernen, was nach einsamer Frau im besten Alter aussah. Die Beziehungsratgeber (ich und verzweifelt? Quatsch), Diätbücher (ich bin so was von happy mit meiner Figur, ehrlich) und die Liebesgedichte (nein, ich flüchte nicht in Traumwelten), die sich neben dem Futon stapelten, verschwanden im Kleiderschrank. So wie die Lesebrille, die Reste der Trostschokolade und der große braune Teddybär, den sie in Ermangelung eines Partners abends an sich drückte. Danach war das Badezimmer dran. Die Anti-Aging-Cremes, die Bea jüngst gekauft hatte, verstaute sie unsichtbar im Kosmetikschrank. Das Gleiche galt für die Wärmepflaster gegen Rückenschmerzen, die genauso unsexy wirkten.
Nach einer weiteren Stunde war Bea so hibbelig, dass sie kaum noch einen klaren Gedanken fassen konnte. Wieder und wieder zog sie die halterlosen Strümpfe hoch, die sich als ziemlich haltlos entpuppten. Sosehr sie auch daran herumzuppelte, offenbar hatte sie es mit dem Eincremen übertrieben, denn die innen liegenden Gummiränder weigerten sich, ordnungsgemäß an ihren Schenkeln zu haften. Zwei, drei Schritte, und sie hingen auf den Knöcheln. Sehr erotisch.
Zehn vor neun. Bea ging hinunter in den Flur. In ihre Willkommenszone, wie sie den schmalen Raum nannte. Im Allgemeinen wurden Flure stiefmütterlich behandelt, bei Bea strahlte der Flur in einem hellen, sonnigen Mandarinenton. Zur Aufbewahrung von Kleinigkeiten hatte sie mehrere schmale Weidenkörbe in hellen Naturnuancen an die Wand gehängt, in denen Autoschlüssel, Schals und Mützen genauso Platz fanden wie ihre kuscheligen Hausschuhe. Als Garderobe dienten senkrecht gespannte Schiffstaue mit Knoten, an denen verschiedenfarbige Holzbügel hingen.
Ein echter Blickfang war das in Augenhöhe angebrachte türkisfarbene Regalbrett, auf dem zartorange Vasen in allen erdenklichen Formen und Größen standen – ein weiteres Beispiel für das Konzept der Rudelbildung. Darunter stand ein orientalischer Lederpuff in hellem Braun mit türkisfarbenen Mustern. Der gleichfalls türkisfarbene, genoppte Linoleumboden rundete das Bild ab. Dies war kein einfacher Flur, es war der Traum von einem Flur.
Bea überlief eine Gänsehaut, als sie sich auf dem Lederpuff niederließ. Wieder und wieder schaute sie zur Uhr. Und wenn Fred sie nun versetzte?
Es wäre nicht das erste Mal gewesen, dass er sie hängenließ, so wie er sich generell nur ungern auf etwas festlegte. Bea hingegen hatte überhaupt keine Schwierigkeiten damit. Sie war ein echtes Beziehungs-Ass. Hätte niemals Freds Geburtstag vergessen (3.Mai), kannte all seine Leibgerichte (Steak, Rippchen, Königsberger Klopse), seine Lieblingsfilme (Stirb langsam, Teil 1 bis 10), seine Schlafgewohnheiten (kein Pyjama, nur T-Shirt), liebte den Duft seiner Haut (irgendwas zwischen Strandspaziergang und Schnee im Gebirge) und wusste, was ihm gegen Erkältungen half (rohe Zwiebelscheiben in Wollsocken beim Schlafengehen). Konnte man mehr von einer Frau verlangen?
Als es um Punkt neun Uhr klingelte, schrak sie zusammen. Mit zitternden Fingern zog sie ihr Kleid glatt und noch einmal die Strümpfe hoch, dann stand sie auf und öffnete die Tür.
Holla. Da stand er. Fred, groß, breitschultrig und mit kunstvoll verstrubbeltem dunkelblonden Haar. Wie stets trug er Jeans und T-Shirt. In seinem gutgeschnittenen Gesicht mit den intensiv leuchtenden Augen und den verheißungsvoll geschwungenen Lippen malte sich eine gewisse Überraschung.
»Hi.«
Mehr sagte er nicht. Nun, ein Mann der großen Worte war Fred nie gewesen. Dafür sprachen seine Augen Bände. Die Art, wie er Bea musterte, konnte man durchaus als Appetit auf eine verzehrfertige Portion Erotik deuten.
»Schön, dass du da bist«, hauchte sie, was Fred mit einem schlichten »Siehst super aus« quittierte.
Auch Beas Augen gefiel, was sie sahen. Fred hielt einen Blumenstrauß in der Hand. Gut, ihr Sachverstand in puncto Design verriet ihr, dass es ein Strauß von der Tanke war, fünf erschlaffte rote Gerbera in einer quietschlila Plastikverpackung, aber immerhin.
»Wie heiß ist das denn?« Freds Stimme klang eigentümlich heiser. »Habe ich eine Halluzination, oder trägst du halterlose Strümpfe?«
Bea schaute an sich herab. Verflixt. Die Spitzenränder hingen knapp über ihren Knien, was Fred jedoch nicht weiter zu stören schien.
»Du wolltest – reden?«, fragte sie mit belegter Stimme.
»Später.« Er ließ die Blumen auf den Lederpuff fallen und umfasste ihre Hüften. »Komm her, meine Süße.«
»Fred, wir müssen dringend klären, wie …«
Der Rest ging in Gemurmel unter, denn Fred versiegelte ihre Lippen mit den seinen, als wollte er Bea für immer zum Schweigen bringen. Dann hob er sie einfach hoch und trug sie durch den Flur, die schmale Treppe hinauf und geradewegs ins Schlafzimmer.
»Hör mal, Fred, wir sind aus dem Alter raus, in dem wir uns beeilen müssen, weil die Eltern nach Hause kommen könnten«, protestierte sie schwach.
»Psst, nicht reden, Süße.«
Bea wusste kaum noch, wie ihr geschah, als sie wie von selbst auf den Futon sanken.
»O Mann, wie ich das vermisst habe«, raunte Fred, während er begann, an ihrem rechten Ohrläppchen zu knabbern.
Das? Oder dich?, fragte Beas innere Stimme streng. Egal – Versöhnungssex!, hallte Wandas Juchzer durch ihren Kopf.
Freds Mund wanderte tiefer, streifte ihren Hals, ihre Schlüsselbeine. Ließ sich Zeit, in der zarten Grube zwischen ihren Brüsten zu verweilen. Nahm sich sodann die Innenseite ihrer Handgelenke vor, eine äußerst empfindsame Zone, und machte mit den Kniekehlen weiter. Kurz gefasst, er trieb Bea in den Wahnsinn. Wie in Trance ließ sie es geschehen, gab sich einfach den überwältigenden Zärtlichkeiten hin und versuchte, an gar nichts mehr zu denken. Auch sie hatte das alles vermisst, Freds Lippen, seine Hände, den vertrauten Geruch, das berauschende Gefühl, mit Haut und Haar begehrt zu werden.
Sanft drehte er sie auf die Seite. Mit einem sirrenden Geräusch öffnete sich der Reißverschluss ihres Kleides, das eine Sekunde später neben dem Futon landete. Freds Jeans flogen hinterher. Auf einmal lag sie auf ihm. Wie durch einen rosaroten Nebel nahm sie sein lächelndes Gesicht wahr, seine geschlossenen Augen, seinen Mund, der Unverständliches stammelte. Und nun, ja, nun liebten sie sich, laut und hemmungslos, als gäbe es keine Nachbarn, umklammerten einander, stöhnten sich herrliche Unanständigkeiten ins Ohr und holten alle Sterne vom Himmel.
Eine ekstatische Ewigkeit später sank Beas Kopf auf seine nackte Brust.
»Fred …«
»Pssst, nicht reden.« Träge wühlten seine Finger in ihren Locken. »Reden zerstört alles.«
So viel zur Ansage, er sei zum Reden vorbeigekommen. Bea betrachtete das neue Tattoo zwischen seinen Brusthaaren. Ein Herz, auf dem ein Schmetterling saß. Sie malte die Konturen mit dem Zeigefinger nach.
»Das Herz ist schön, aber wofür steht der Schmetterling?«
»Die Gebrauchsanweisung findest du weiter unten«, murmelte Fred schläfrig.
Bea rutschte etwas tiefer und entdeckte einen tätowierten Schriftzug auf seinem beneidenswert straffen Bauch. Wer auf die Schmetterlinge hört, der weiß, wie Gitterstäbe schmecken. Sie rückte ein wenig von Fred ab.
»Das musst du mir erklären.«
»Na ja, ist so meine Philosophie.« Er hörte auf, in ihren Haaren zu wühlen. »Man sollte sich nicht zum Gefangenen seiner Gefühle machen. Sonst fühlt man sich eingesperrt, verstehst du?«
Das Wort Gefangener beunruhigte Bea. Sie setzte sich auf.
»Hast du dir etwa eigens dieses Tattoo stechen lassen, um mir etwas mitzuteilen?«
»Siehst du, jetzt zerredest du schon wieder alles.«
Gähnend dehnte er seine Glieder, dann stand er ohne weitere Erklärung auf, schnappte sich seine Jeans und stieg hinein. So eilig, dass Beas Hoffnungen zu bröckeln anfingen. Er wollte gehen? Jetzt?
»Fred, was tust du da? Ich dachte, ich meinte, wir beide …«
»Es liegt nicht an dir, Bea, ehrlich, ganz bestimmt nicht«, versicherte er treuherzig. »Du bist eine Klassefrau, wir hatten eine tolle Zeit, aber ich bin nun mal nicht so der Beziehungstyp. Das Leben ist bekanntlich kurz. Ich habe einfach Lust, mich noch ein bisschen auszuprobieren.«
Woraufhin Bea nicht übel Lust bekam, auszuprobieren, wie es sich wohl anfühlte, ihm einen Tritt vors Schienbein zu verpassen. Selbstverständlich tat sie nichts dergleichen. Hielt nur die Tränen zurück, die von innen auf ihre Augen drückten. Da war irgendetwas, was er ihr verschwieg, das spürte sie.
»Mit wem probierst du dich denn zurzeit so aus?«, fragte sie ins Blaue hinein.
»Spielt keine Rolle. Ist alles ganz unverbindlich.« Geschäftig hakte er den Dorn seiner Gürtelschnalle ins Leder und zog den Gürtel stramm. »Mach bitte kein Drama draus, okay? Wir können Freunde bleiben.«
»Wer – ist – sie?«, bohrte Bea nach.
Ein Anflug von Schuldbewusstsein huschte über sein Gesicht, machte jedoch sofort einem neutralen Lächeln Platz.
»Sie ist jung, sie ist nett, sie sucht noch keinen Mann fürs Leben. Wenn du öfter auf Facebook wärst, wüsstest du es schon. Alles ganz transparent. Ab und zu muss man halt seinen Horizont erweitern, was Neues wagen. In den Social Media findet man zum Glück jede Menge experimentierfreudiger Menschen.«
Das war ein Schlag. Bea wusste nicht recht, ob sie wütend oder todtraurig sein sollte.
»Als die Leute noch nicht auf Facebook waren, standen sie sich irgendwie näher«, merkte sie bitter an. »Was wird denn nun aus uns?«
»Eine wunderschöne Erinnerung.« Freds Lächeln bekam etwas Durchtriebenes. »Nimm’s nicht so tragisch. Wir können ja noch ab und zu …«
»Nein, können wir nicht«, schnitt Bea ihm das Wort ab, obwohl ihre brüchige Stimme bereits den unmittelbar bevorstehenden Tränenausbruch verriet. »Du denkst, du kannst sie alle haben, was? Parallel, synchron und gleichzeitig? Nicht mit mir. Ich bin nämlich sehr wohl der Beziehungstyp.«
»Gratulation. Bestimmt findest du was Besseres als mich.«
»Sicher«, krächzte Bea mit tränenerstickter Stimme. »Männer gibt’s ja wie Sand in der Sahara.«
»Dann viel Glück dabei.«
Fred ließ sich dazu herab, ihr einen flüchtigen Kuss auf die Wange zu hauchen. Als er sich wieder aufrichtete, war jedes Feuer in seinen Augen erloschen. Ein halbherziges Winken noch, und leise pfeifend zog er von dannen. Die Stufen der Holztreppe knarrten unter seinen Stiefeln, das Tapptapp seiner Schritte unten im Flur wurde schwächer, krachend fiel die Haustür zu.
Bis jetzt hatte Bea standhaft die Tränen unterdrückt, nun schluchzte sie los. Und das nicht nur aus tiefster Enttäuschung, sondern auch, weil sie sich arglistig getäuscht fühlte. Da hatte sie gewähnt, sie schwelge in Versöhnungssex, und musste nun feststellen, dass es sich um Abschiedssex gehandelt hatte.
Sie ärgerte sich über sich selber. Wie behämmert, dass sie ernsthaft geglaubt hatte, mit dem richtigen Knowhow könnte sie ihre Pechsträhne in Sachen Männer beenden. Nahezu manisch hatte sie alle erreichbaren Beziehungsratgeber verschlungen, vor allem den Bestseller »Zehn unschlagbare Eigenschaften, die Männer an Frauen lieben«. An erster Stelle stand Unkompliziertheit (was bedeutete, dass Bea sowohl Freds Launen als auch seine Unzuverlässigkeit ertragen hatte), an zweiter Humor (tapfer hatte sie über seine Witze gelacht, auch über die dämlichen), an dritter sexy Outfits (nein, sie hatte die Steaks nie in Strapsen gebraten), an vierter Stelle ein echtes Eigenleben führen (tja, sie hatte gearbeitet, was denn sonst?).
An Punkt fünf bis zehn erinnerte sie sich nicht mehr so genau. Ohnehin waren die vermeintlich unschlagbaren Eigenschaften darauf hinausgelaufen, sich alles gefallen zu lassen, keine Widerworte zu geben und die kochende Geliebte ohne eigene Meinung zu sein. Das Resultat sprach für sich.
Und nun? Als sich der Tränenschleier ein wenig lichtete, fiel Bea wieder ein, dass es einen Plan B gab. Und das mit Grund. Die Theorie Beim nächsten Mann wird alles anders hatte sich als irreführend herausgestellt. Solange sie von einer Beziehung in die nächste schlitterte, würde sie immer wieder vor die Wand laufen. Also Schluss mit Männersuche, Männermania, Männerfrust. Eine Auszeit musste her. Ein Männermoratorium.
Geräuschvoll putzte sich Bea die Nase. Ein Männermoratorium – jawohl. Ein, zwei Jahre mindestens würde sie durchatmen, zu sich kommen, herausfinden, wer sie wirklich war, um nicht gleich wieder auf die nächste Niete reinzufallen. Kein Flirt also, keine Dates, kein Herzschmerz.
Es war, als fielen Zentnergewichte von ihren Schultern. Und je länger sie darüber nachdachte, desto machtvoller wuchs in ihr die Überzeugung, dass es ein absolut fabelhafter Plan war.
Drei Monate später
»Entschuldigung«, ertönte eine wohlklingende Männerstimme, »bin ich hier richtig bei Bea Lindemann?«
Ach du liebes bisschen. Ein Kunde? Um diese späte Uhrzeit?
Bea schaute von den Seidenkissen auf, die sie auf einer pfirsichfarbenen Ledercouch hin und her geschoben hatte. Sie konnte es einfach nicht lassen. Nicht mal heute, am Vorabend ihres Geburtstags. Obwohl die Uhr bereits kurz nach acht zeigte und Bea das Buffet für die morgige Party vorbereiten musste, war sie noch schnell in ihren Laden geschlüpft, um das Arrangement im Schaufenster zu überprüfen. Ohnehin neigte sie zum Perfektionismus, außerdem hatte sich für den folgenden Morgen ein potenzieller Auftraggeber angesagt. Da musste alles tipptopp aussehen. Dummerweise hatte sie vergessen, die gläserne Eingangstür abzuschließen.
»Frau Lindemann?«
»Ja, ich …«, flüchtig musterte sie den Eindringling, einen hochgewachsenen Herrn mit Hornbrille, »das heißt, nein, der Laden ist schon geschlossen, und ich habe leider noch zu tun. Deshalb muss ich Sie auf morgen vertrösten. Ab zehn Uhr stehe ich wieder zu Ihrer vollen Verfügung, wenn’s recht ist.«
»Verstehe.«
Er sah sich interessiert um. Beas Laden in der Fontanestraße sieben war ja auch absolut sehenswert. Zwei Räume, einer hellgrün, einer dunkelviolett gestrichen, angefüllt mit originellen Designermöbeln: Beistelltische aus verwittertem Treibholz, pyramidenförmige Schränke mit pastellfarbenen Schleiflackflächen, bunte Kunstleder-Sitzsäcke, Lampen aus recycelten Industrieblechen. Im Durchgang zwischen den Räumen stand ein Strauß weißer Gladiolen in einem achteckigen Schirmständer aus gehämmertem Aluminium.
»Sehr aparte Sachen haben Sie hier«, sagte der Mann anerkennend.
Sein Lob tat Bea gut. Sie war stolz auf ihr ungewöhnliches Sortiment – auch wenn die Wohn(t)räume immer noch bedenklich vor sich hin dümpelten. Die meisten Leute rannten eben lieber in seelenlose Möbelhäuser, wo man weder Qualität noch Einzigartiges bekam, aber billig shoppen konnte. Ex und hopp, hieß die verbreitete Devise. Irgendwelche Schnäppchen ergattern, die nach wenigen Jahren auf dem Sperrmüll landeten, und dann wieder was Neues.
Selbst die Großkunden setzten mittlerweile auf Massenware. Gerade war Bea ein wichtiger Auftrag durch die Lappen gegangen, die Neugestaltung des Hotels Residenz. Buchstäblich im letzten Moment war der Geschäftsführer abgesprungen. Nun saß sie auf fünfzig weißen Stoffrollos, die sie bereits bestellt hatte und weder zurückgeben noch bezahlen konnte. Nur abstottern. Ohne ihre Mutter, die ihr dann und wann finanziell unter die Arme griff, wären Bea und ihr Laden längst erledigt gewesen.
»Danke schön«, sie räusperte sich, »freut mich, dass es Ihnen gefällt.«
Der Mann nickte, während seine rechte Hand über eine Tischplatte aus bemalten Jugendstilkacheln strich. Sympathischer Typ eigentlich, dachte Bea, die ihn jetzt erst richtig wahrnahm. Groß, kultivierte Ausstrahlung, markantes Gesicht, dem die Hornbrille einen intellektuellen Touch verleiht. Nicht übel. So sehen Kunden aus, die das Individuelle zu schätzen wissen. Außerdem verströmte sein heller, leicht verknitterter Leinenanzug genau jene nachlässige Eleganz, die sie bei Männern mochte.
Sein Blick verweilte kurz auf ihr, um dann wieder über die Möbel zu schweifen. »Wirklich sehr apart.«
Eine heiße Welle überlief Bea. Für den Bruchteil einer Sekunde hatte er sie durch seine Brillengläser hindurch angefunkelt, mit Augen, unergründlich blaugrau wie das aufgewühlte Meer bei Gewitter. Oha. Sie legte einen Handrücken auf ihre Stirn. Entweder war dies der wärmste September seit Menschengedenken, oder sie hatte Spontanfieber. War doch nicht normal, dass ihr der Schweiß ausbrach. Einfach so, aus heiterem Himmel.
Tja, Bea-Schatz, der interessiert sich nicht nur für deine Möbel, wisperte ihre innere Stimme.
»Wie gesagt, äh, morgen früh … also, ich habe jetzt absolut keine, hm, Zeit«, stammelte sie.
Ungerührt setzte sich der Mann in einen nierenförmigen Sessel, der mit schwarz-rosa gefärbtem Kuhfell bespannt war. Auch so ein extravagantes Teil, nichts für den Durchschnittsgeschmack.
»Gefällt mir außerordentlich«, verkündete er und schlug die Beine übereinander. »Eigenwillig, aber überraschend bequem.«
Sympathisch, aber überraschend hartnäckig, korrigierte Bea ihren ersten Eindruck. Hatte sie denn nicht laut und deutlich gesagt, sie habe keine Zeit? Wieso konnten Männer Autos reparieren, Herzen verpflanzen und zum Mond fliegen, aber nie, wirklich nie zuhören? Sie musste noch Berge von Gemüse schnippeln, die Garnelen anbraten, den Nudelteig für selbstgemachte Ravioli fabrizieren und die Dekoration für ihre Geburtstagstafel zusammenstellen.
Dennoch zögerte sie. Wann verirrte sich schon mal ein attraktiver Mann in ihre Wohn(t)räume? Denn attraktiv war er, so viel stand fest.
Blödsinn, ermahnte sie sich. Schon vergessen? Das Thema Männer hast du doch auf Eis gelegt. Nach Fred ist erst mal Sendepause, so hast du es beschlossen, so hast du es allen gesagt: Leute, kein Mitleid, keine Kuppelversuche, keine Dates, ich bin vorerst bedient. Gebt mir Luft zum Atmen. Mindestens ein, zwei Jahre lang werde ich wie eine Nonne leben, um herauszufinden, wer ich bin und was ich will. Ohne Mann.
So weit der Plan. Doch seit Fred sie verlassen hatte, weil er sich lieber mit Frauen vergnügte, die halb so alt wie Bea waren, kam sie sich ganz schön abgehängt vor. Da konnte sie froh sein, wenn sie wenigstens ein Kompliment für ihren Laden einheimste. Von einem attraktiven Mann wohlgemerkt, noch dazu im richtigen Alter. Sie schätzte ihn auf Anfang, Mitte vierzig. Im selben Moment wurde ihr bewusst, dass sie ausgerechnet jetzt ihre ausgebeulte Latzhose trug, die nur bei langbeinigen Siebzehnjährigen mit Hammerfigur als vorteilhaft durchging.
»Der Tisch dort – der sieht aus, als sei er aus Schiffsplanken gezimmert«, sprach der hartnäckige Kunde weiter und deutete auf einen wuchtigen Esstisch. »Sehr ungewöhnlich, sehr eindrucksvoll. Offenbar sind Sie eine bemerkenswert stilbewusste Frau.«
Lächelnd schaute er sie nun direkt an. Wow. Sein Blick, prüfend und eine Spur amüsiert, ging ihr durch und durch, was nicht ohne Wirkung auf ihre ohnehin erhöhte Körpertemperatur blieb. Sie sah auf die Uhr. Das Buffet machte sich nicht von selbst, daher wusste sie, was zu tun war – sie würde diesen ungebetenen Besucher eins, zwei, drei hinauskomplimentieren.
»Ich muss Sie jetzt wirklich bitten zu gehen.« Bea erwiderte sein Lächeln nur schwach. »Wie bereits erwähnt, habe ich zu tun.«
Unverwandt schaute er sie an, dann holte er tief Luft.
»Damit du mich erhörst, machen sich meine Worte manchmal so zart wie die Spuren der Möwen auf dem Strand…«
Wie war das? Verzückt hielt Bea inne, auch ein wenig verwirrt. Soeben hatte er eine empfindsame Saite in ihr angezupft, ließ sie sacht erzittern, brachte sie zum Klingen.
»… und ich sehe sie fern von mir, meine Worte. Deine sind sie mehr als meine. Sie klettern an meinem alten Schmerz empor wie Efeu«, vollendete sie die Zeile.
Dann starrte sie in seine blaugrauen Augen, in denen auf einmal eine deutlich spürbare Wärme lag. Dieser Mann war eine zwölf auf einer Skala bis zehn. Wenn Bea nicht jedem Flirt abgeschworen hätte, wäre es einer jener magischen Momente gewesen, in denen zwei Menschen einander anschauten und sich schon ewig zu kennen meinten. Gott sei Dank war sie immun gegen solche Momente.
»Sie kennen die Liebesgedichte von Pablo Neruda?« Der Kunde strahlte. »Das nenne ich eine Fügung!«
Ja, Bea kannte diese Gedichte und liebte sie so sehr wie Opern. Weil sich darin eine bessere Welt auftat, eine Welt der innigen Gefühle, weit weg von der trostlosen Wirklichkeit irgendwelcher Beziehungen.
»Na ja, noch seltener kommt vor, dass Männer Gedichte kennen.«
»Die Liebe zum Wunderbaren gehöre dem Poeten, meinte der olle Goethe, und ich stimme ihm zu«, erklärte er. »Lieben Sie auch das Wunderbare, Frau Lindemann?«
»Also, ich …«
Sie verstummte, denn in diesem Moment flog die Eingangstür auf, und wie ein frischer Wirbelwind kam ihre Tochter Mona hereingestürmt. Ihr bezauberndes kleines Mädchen, das mittlerweile zu einer bezaubernden jungen Frau herangewachsen war. Beas Herz vollführte einen Hüpfer. Sobald Mona zu Hause reinschneite, war die starke Supermami, die Unabhängigkeit predigte, einfach abgemeldet. Dann wollte Bea nur noch ihren kleinen Liebling an sich drücken und nie wieder loslassen.
»Mein Hase, wie schön, dass du da bist!«, rief sie überschwänglich und breitete die Arme aus.
Auch ihre Tochter breitete die Arme aus. Zu Beas größter Verblüffung steuerte Mona jedoch nicht sie, sondern den Kunden an, der sich vom Sessel erhoben hatte. Vertraulich hängte sich ihr Töchterchen an den wildfremden Mann und hauchte ihm nun auch noch einen – Himmel, nein! – einen Kuss auf die Wange?
»Hey, hey, wie ich sehe, haben sich meine beiden Lieblingsmenschen schon geadded, also, miteinander bekannt gemacht!« Monas herzförmiges Gesicht strahlte, übermütig schüttelte sie ihr langes dunkles Haar im spiegelglatten Sleek-Look. »Mami, das ist Julian. Ist er nicht mega?«
Wie ein begossener Pudel stand Bea da. Ach, so lief das also. Seit Wochen war Mona nahezu versessen darauf, sie mit irgendwelchen Herren zu verkuppeln. Unter Missachtung des heiligen Männermoratoriums natürlich. Deshalb war dieser Typ nicht der erste Kandidat, den Mona gaaanz zufällig mitbrachte, und er würde vermutlich auch nicht der letzte sein, den Bea postwendend nach Hause schickte.
»Freut mich, Ihre Bekanntschaft zu machen, Herr – äh, Julian«, sagte sie kühl. »Doch nun habe ich private Verpflichtungen, weshalb Ihre Anwesenheit – entschuldigen Sie bitte vielmals – äußerst unpassend wäre.«
Mona stemmte entrüstet die Hände in die Hüften.
»Also wirklich, Mami! Das ist voll Panne!«
Gott, wie peinlich. Bea lag es überhaupt nicht, schroff aufzutreten. Allerdings blieb ihr in diesem speziellen Fall wohl nichts anderes übrig, als ihre Worte deutlicher zu wählen.
»Hase, es ist sehr lieb, dass du mir jemanden mitbringen wolltest, aber – nein, besten Dank.«
»Mami?« Mona tauschte einen kurzen Blick mit dem Mann, dessen schiefes Lächeln zeigte, wie unbehaglich ihm zumute war. »Hey, der gehört zu mir! Julian ist mein Lover, mein neuer – Freund!«
Um ihre Worte zu unterstreichen, schmiegte sich Mona eng an den fremden Mann. Wie vom Donner gerührt starrte Bea das Bild an, das sich ihr präsentierte. Ein Bild des Grauens. Ihre Tochter? Mit diesem Typen?
Auf der Stelle verwandelte sich ihre anfängliche Sympathie in erbitterte Ablehnung. Was für ein mieser, fieser Mistkerl. Ein abgefeimter Lüstling, besser gesagt. Mona war doch noch ein halbes Kind! Heute sah sie besonders mädchenhaft aus in dem hellrosa geblümten Hängerkleid und den weißen Ballerinas. Bea fasste es nicht. Ihr kleiner Hase in den Klauen eines Mannes, der ihr Vater hätte sein können – das war mehr, als sie ertrug. Der würde doch nur mit Mona rumspielen, ihr schwuppdiwupp das Herz brechen und sich dann grußlos aus dem Staub machen.
»Julian Weischenberg«, stellte er sich vor.
»Pro-fes-sor Dok-tor Julian Weischenberg«, ergänzte Mona, wobei sie jede Silbe der akademischen Titel einzeln betonte. »Ist voll der intellektuelle Durchblicker, er biegt den Studis die Literatur bei.«
»Spezialgebiet Liebeslyrik«, präzisierte der miese, fiese Mistkerl.
Beas Erbitterung steigerte sich zu blankem Hass. Ein Professor, der sich eine blutjunge Studentin angelte? War das überhaupt erlaubt? Wäre es nach ihr gegangen, hätte man diesen Unhold sofort in Handschellen abgeführt. Sicherheitsverwahrung, aber dalli! Sie kochte, innerlich und äußerlich. Unter ihrer Haut brodelte es heiß, darüber bildeten sich unaufhörlich weitere Schweißtröpfchen. Mona hingegen schienen jedwede Bedenken fernzuliegen, rettungslos naiv, wie sie in ihrem Alter nun mal war. Zärtlich fuhr sie dem Mann durchs dunkelblonde Haar, das an den Schläfen bereits leicht ergraute.
»Honey ist Granate, der macht mich total an mit diesem ganzen Poesiezeug, und das, obwohl ich Jura studiere«, sprudelte sie lachend hervor, offenbar krampfhaft bemüht, die heikle Situation zu überspielen. Immer noch lachend wandte sie sich an ihren Freund. »Aber meine Mutter, die fährt voll auf Liebesgedichte ab. Stimmt’s, Mami?«
Ja, es stimmte. Aber bei diesem Weischenberg war der Hang zur Poesie offensichtlich nur eine billige Masche, das lag ja wohl auf der Hand. Es war Honeys Trick – immer ein paar honigsüße Verse auf den Lippen, und dann ab in die Kiste mit dem jungen Gemüse. Bea schnappte nur noch nach Luft. Der feine Herr Professor hingegen hatte die Stirn, sich in Positur zu werfen, bevor er mit volltönender Stimme zu rezitieren begann:
»O Mädchen, Mädchen, wie lieb ich dich! Wie blickt dein Auge! Wie liebst du mich! So liebt die Lerche Gesang und Luft, und Morgenblumen den Himmelsduft.«
Mona belohnte ihn dafür mit einem weiteren Kuss auf die Wange, Bea hatte es nun völlig die Sprache verschlagen. Sie zitterte vor Wut. Ja doch, sie gönnte Mona alles Glück der Erde. Liebe bis zum Wahnsinn, sogar wilden Sex mit wilden Jungs. Aber ein uralter gewissenloser Halunke, der junge Mädchen mit Lyrik zudröhnte? Ging ja gar nicht.
»Mami? Was ist denn?« Mit großen Augen sah Mona sie an. »Du siehst so abgespaced aus – fühlst du dich nicht wohl? Brauchst du ’n Glas Wasser oder so was?«
Eine kalte Dusche wäre Bea lieber gewesen. Sie hatte das Gefühl, als würde sie im nächsten Augenblick platzen. Ihre Haut brannte, mittlerweile lief ihr der Schweiß in Strömen den Rücken hinunter.
»Nein, nein«, presste sie hervor. »Sei so gut, Süße, und schließ die Tür ab, bin gleich wieder da.«
»Kein Stress, Mami. Honey und ich wollten nur kurz reinschauen. Wir sehen uns dann morgen Abend bei der Party. Natürlich kommen wir schon etwas früher und helfen dir.«
»Wird mir ein Vergnügen sein«, beteuerte der unmögliche Professor.
Bea spürte, wie eine würgende Übelkeit in ihr hochstieg. Abrupt drehte sie sich um und rannte durch den Hinterausgang des Ladens über den gepflasterten Innenhof zu ihrer Wohnung. Bei jedem Schritt trommelte ihr Herz lauter gegen die Rippen. Was hatte sie bloß falsch gemacht? Warum flog eine intelligente junge Frau wie Mona auf so einen schwurbelnden Schwerenöter?
Ich muss ihm das Handwerk legen, war Beas einziger Gedanke, als sie mit dem Fuß die Eingangstür zu ihrer kleinen Maisonette-Wohnung im Hinterhaus aufstieß. Ich muss ihn unbedingt wegekeln, und zwar bevor er Mona etwas Böses antun kann.
Am ganzen Leib bebend trat sie in den Flur. Aus der Küche strömten ihr die Düfte des italienischen Buffets entgegen, mit dessen Vorbereitung sie bereits in der Mittagspause angefangen hatte. Es würde ein wahres Festessen werden: marinierte Garnelen, Vitello tonnato, frittierte Zucchini mit Knoblauch, frischen Kräutern und Pinienkernen, Mozzarellasticks an Tomatensugo, selbstgemachte Ravioli mit Feigen-Walnuss-Füllung, dazu eine große Platte mit aromatischem italienischen Käse. Und das war längst nicht alles, was Bea ihren Gästen servieren würde.
Schwer atmend lehnte sie ihren Kopf an den Rahmen der Küchentür. Nach Feiern war ihr überhaupt nicht mehr zumute. Eine rauschende Geburtstagsparty hatte es werden sollen, samt Tochter, Mutter und ihren engsten Freunden. Ein Freudenfest. Aber wie sollte sie es genießen, wenn der abgehalfterte Hallodriprofessor an der Tafel saß und sich von Mona anhimmeln ließ? Gleich morgen werde ich ihm geharnischt die Meinung sagen, nahm Bea sich vor. Dieser Typ ist so was von angezählt.
Hallo?, meldete sich ihre innere Stimme. Und was ist mit dem magischen Moment? Kann es sein, dass du den Herrn Professor vor schlappen zehn Minuten noch ziemlich attraktiv fandst?
»Papperlapapp, ein Scheusal ist er!«, brachte Bea diese ebenso listige wie lästige Stimme zum Schweigen. »Ich werde ihm die Hölle heißmachen, bis er von selbst die Flucht ergreift! Ach was, grillen werde ich ihn, auf dem offenen Feuer meines Zorns! So wahr ich Bea Lindemann heiße!«
Die kalte Dusche war dringend nötig gewesen. Um sich auf eine normale Temperatur runterzukühlen, hätte Bea allerdings mindestens zwei Stunden in einer Wanne voller Eiswürfel verbringen müssen. Oje, oje. Noch immer pulsierten heiße Wellen über ihre Haut, und ihr Herzschlag war weit von normalen Werten entfernt. Ausgerechnet morgen, an ihrem Geburtstag, musste sie sich auf ein unerfreuliches Gespräch gefasst machen. Mit Professor-ich-lege-die-kleinen-Studentinnen-flach-Weischenberg.
Als sie vom Badezimmer ins Schlafzimmer wechselte, fiel ihr Blick auf Freds Foto. Auch so ein Hallodri, der nur spielen wollte. Drei Monate war sein unrühmlicher Abgang nun her. Doch noch immer musste sich Bea beherrschen, um nicht in Tränen auszubrechen, wenn sie Freds Foto auf dem Nachtschrank sah. Erschwerend kam hinzu, dass aus den Lautsprecherboxen »Lascia ch’io pianga« erklang, eine herzzerreißend melancholische Opernarie von Händel. »Lass mich mein grausames Schicksal beweinen…« Die verzagte kleine Melodie und der traurige Text wühlten sich mitten in ihr wundes Herz.
Sie starrte Freds Foto an. Getrennt. Ohne nähere Angabe von Gründen. Was sollte sie schon mit der Aussage anfangen, es liege nicht an ihr? An wem denn sonst?
Wie ferngesteuert griff sie zum Handy und tippte den Fotospeicher an. Am liebsten betrachtete sie die Bilder aus der Anfangszeit. Fred beim ersten Date, in einem schreibunten Hawaiihemd, das sie später unauffällig entsorgt hatte. Fred beim ersten gemeinsamen Frühstück, den Teller voller Kuchen, weil er behauptete, nach einer Nacht mit Bea müsse man dringend Kohlehydrate zu sich nehmen. Fred im ersten Urlaub an der Ostsee, mit einem kapitalen Sonnenbrand – der sie nicht daran gehindert hatte, sich nachts in der romantischen kleinen Pension leidenschaftlich zu lieben.
Wie so oft in letzter Zeit – viel zu oft, seit Fred davon gesprochen hatte! – ging Bea auf seinen Facebook-Account. Natürlich wäre es klüger gewesen, es bleiben zu lassen. Sie wusste genau, dass sie ihre Leiden verschlimmerte, konnte aber nicht widerstehen, die schlecht verheilten Wunden frohgemut wieder aufzureißen. Ihre Sehnsucht nach Fred war so groß, dass eine Sucht daraus geworden war, ihm wenigstens via Facebook nahe zu sein.
Gebannt betrachtete sie die neuesten Bilder, die Fred gepostet hatte. Eines zeigte ihn vor einem Teller mit Steak und Folienkartoffeln in einer unbekannten Küche. Ha! Scheußliche rosa Kacheln! So tief war er also gesunken! Und das Steak sah ziemlich verbrannt aus – also konnte die Neue nicht kochen! Das entschädigte Bea ein wenig für die Schmach, verlassen worden zu sein. Nur tat Fred ihr dummerweise nicht den Gefallen, einsam und unglücklich auszusehen. Im Gegenteil. Mopsfidel lachte er in die Kamera. Auch auf dem nächsten Foto präsentierte er eine unverschämt gute Laune, zusammen mit seinen Kumpels im Fußballstadion. Jedes einzelne Foto schien zu sagen: Ja, schau nur, Bea, ohne dich geht’s mir glänzender als je zuvor!
Ein Selfie mit seiner Neuen gab ihr den Rest. Die lachenden Gesichter eng aneinandergelegt, posierten Fred und eine junge Frau mit einem braunen Pagenkopf vor einer Kirmesbude. Pures Gift. Bea schämte sich ohnehin, dass sie litt wie ein Schulmädchen, statt Fred abgeklärt und souverän ad acta zu legen. Liebeskummer, so fand sie, gehörte sich nicht für eine erwachsene Frau. Dass sie ihrem Ex außerdem nachspionierte, war nicht nur unreif, es war ein schmerzhaftes Eigentor.
»Lass mich mein trauriges Schicksal beweinen«, klagte die weibliche Stimme aus den Lautsprechern. »Der Kummer zerbreche diese Qualen meiner Martern…«
Nein, das war nicht hilfreich. Bea legte das Handy beiseite, stellte die tränentreibende Musik aus und warf einen Blick in den Spiegel. Irgendwie hatte sie sich das anders vorgestellt mit dem Leben in den Vierzigern. Als Verlängerung der Jugend, mit dem Vorteil abgeklärter Reife. Und mit einer festen Beziehung. Na, das hatte ja hervorragend geklappt. Sie benahm sich unreif wie ein Teenager, knitterte vor sich hin und war Single.
Man ist so jung, wie man sich fühlt? Momentan fühlte sie sich uralt. Wer konnte denn schon locker die ersten Krähenfüßchen weglächeln, wenn sich gleichaltrige Männer reihenweise auf die nächste Generation stürzten?
Blaugraue Augen starrten sie aus dem Spiegel an. Nicht ihre. Die von Julian Weischenberg.
Damit du mich erhörst, machen sich meine Worte manchmal so zart wie die Spuren der Möwen auf dem Strand. Verdammt. Er hatte ihr Lieblingsgedicht von Pablo Neruda zitiert. Eine neue Hitzewelle rollte heran, und diesmal prickelte sie auf Beas Haut wie kochender Champagner. Das brachte sie noch mehr gegen ihn auf. Was für ein Schlitzohr. Niemand anderes als Mona konnte ihm verraten haben, welche Gedichte Bea liebte. Und er? Hatte den armen Neruda als Geheimwaffe eingesetzt, um sich bei der Mutter seiner kleinen Gespielin einzuschmeicheln.
Ihre Wangen glühten, ihr Puls raste. Nein, an dieser unmöglichen Knallcharge liegt es nicht, dass mir so heiß ist, fegte sie den Gedanken an Julian Weischenberg beiseite. Dann doch wohl eher an Fred.
Kurz erwog sie, ob Rache ihre Leiden lindern könnte. Zum Beispiel mit kleinen gemeinen Postings. Sie könnte Fred öffentlich zur erfolgreichen Überwindung seiner (erfundenen) erektilen Dysfunktion gratulieren. Oder sich nach dem Stand der Dinge erkundigen, was seinen (ebenfalls erfundenen) hartnäckigen Genitalherpes betraf. Aber das erschien ihr dann doch zu fies. Sie war es schließlich gewesen, die sich etwas vorgemacht hatte. Immer wieder. Sogar jetzt noch. Zum Schluss waren ganz schön die Fetzen geflogen, eine Tatsache, die Bea nur zu gern verdrängte. Im Rückspiegel wurden Beziehungen eben immer etwas unscharf, und so konnte man sie wunderbar verklären.
Jetzt half nur noch Lakritze. Neuerdings hatte Bea einen wahren Jieper auf das Zeug. Am liebsten verschlang sie extrasaure Lakritze mit einer dicken Salzschicht, eine eigenartige Geschmacksrichtung, doch sie schwor darauf und hatte überall Vorräte angelegt, im Nachtschrank, in der Küche, im Laden. Während sie sich eine Handvoll genehmigte, trottete sie nach nebenan, in Monas verwaistes Zimmer.
Immer noch hockten Stofftiere jeder Form und Größe auf der rot-gelb karierten Tagesdecke des Betts, darüber hingen gelbe Gardinen mit Sternchenmuster. Die angepinnten Plakate mit Rockstars und Internet-Berühmtheiten sowie eine leere Proseccoflasche zeugten hingegen davon, dass die Bewohnerin kein kleines Mädchen mehr war.
Bea setzte sich auf das Bett. Richtig gewohnt hatte Mona hier nie. Erst vor einem Vierteljahr war Bea in die Maisonette-Wohnung gezogen, zu einem Zeitpunkt, als Mona bereits in ihrer Studentenbude in der Nachbarstadt lebte. Vorher hatten sie zusammen bei Beas Mutter gewohnt. Im Dreimädelhaus, wie Oma Rosi es scherzhaft nannte. Bea war ganz selbstverständlich davon ausgegangen, Mona würde jedes Wochenende herkommen, doch ihre Tochter hatte unerklärlicherweise immer etwas anderes vor. Nun wusste sie, was Mona von regelmäßigen Besuchen abhielt: Julian Weischenberg.
»Zum Leiden bin ich auserkoren, denn meine Tochter fehlet mir, durch sie ging all mein Glück verloren– ein Bösewicht entfloh mit ihr«, summte sie die Arie der Königin der Nacht aus Mozarts »Zauberflöte«.