Wie ich Arzt wurde - Horst Conrad - E-Book

Wie ich Arzt wurde E-Book

Horst Conrad

0,0

Beschreibung

Der Internist, Tierarzt und Landwirt Dr. Dr. Horst Conrad (geb. 1932) war Leitender Oberarzt der Inneren Medizin im Krankenhaus Landsberg am Lech. Er verbrachte eine romantische Kindheit in einem Bauerndorf in Niederschlesien. Neben dem Alltag schildert er seine Erlebnisse mit den Tieren des Bauernhofs und macht die Zeitgeschichte mit zahlreichen Anekdoten lebendig. Die tragischen Ereignisse des Zweiten Weltkriegs gaben seinem Leben eine ernste Wendung. Seine Großfamilie musste fliehen und verlor neben allem Hab und Gut auch die geliebte Heimat. Was bewog ihn in der Folge dazu, drei Berufsausbildungen abzuschließen und zweimal zu promovieren? Wie fand er seinen Lebensweg als mittelloser Flüchtling, von den Eltern getrennt, bis zum hingebungsvollen Arzt? Horst Conrad beschreibt einfühlsam, was ihn prägte und wie er seine Berufung zum Beruf machen konnte.

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern
Kindle™-E-Readern
(für ausgewählte Pakete)

Seitenzahl: 67

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Zum Autor:

Dr. Dr. Horst Conrad (geb. 1932) ist Internist (Nephrologe), Tierarzt und staatlich anerkannter Landwirt. Während seiner Kindheit zu Kriegszeiten in Niederschlesien musste er mehrfach fliehen und studierte schließlich in Berlin, Hannover und München. Er war bis zum Ruhestand Leitender Oberarzt der Inneren Medizin im Krankenhaus Landsberg am Lech.

Meinen Enkeln

Victoria Brixner und Cornelius Conrad

gewidmet

Wenn dich die Lästerzunge sticht,

So lass dir dies zum Troste sagen:

Die schlecht‘sten Früchte sind es nicht,

Woran die Wespen nagen.

Gottfried August Bürger

Deutscher Dichter (1747–1794)

Inhalt

Auftakt: Ich erinnere mich an einen Patienten

Kapitel 1: Oh Heimat, ach Heimat, wie schmerzt mich dein Verlust

Kapitel 2: Unsere Großfamilie

Kapitel 3: Erlebnisse mit Pferden

Kapitel 4: Kindheit in der Kriegszeit

Kapitel 5: Auf der Flucht

Kapitel 6: Wiederanfang und erneute Flucht

Kapitel 7: Berufsausbildung zum Landwirt

Kapitel 8: Studium der Tiermedizin

Kapitel 9: Tätigkeit als Tierarzt

Kapitel 10: Angstvolle Familienbesuche

Kapitel 11: Studium der Humanmedizin

Kapitel 12: Tätigkeit als Arzt

Zugabe: Rede zur Hochzeit von Claudius und Amy

Anhang: Lebenslauf

Bildnachweise

Auftakt

Ich erinnere mich an einen Patienten

Es war wieder einmal ein Wochenende, ein Samstag, und der Dienstplan hatte mich für den Bereitschaftsdienst eingeteilt. Ich war noch zu Hause, war aber schon zum Aufbruch in die Klinik bereit, um die Visiten und die anstehenden Injektionen bei Patienten auf der Privatstation zu erledigen.

Da klingelte es an der Haustür, ich öffnete sie und sah am Gartentürchen ein junges Paar, etwa zwischen 20 und 30 Jahren alt. Die junge Frau trug in ihren Armen ein in einer leichten Decke verpacktes »Etwas« und verlangte den Doktor Conrad zu sprechen, denn sie müsste etwas abgeben. Ich bestätigte meine Personalie.

In voller Erwartung ging ich zu ihnen auf die Straße und bat die junge Frau zu zeigen, was für mich gedacht sei. Es war merkwürdig: Beide jungen Leute hatten Tränen im Gesicht. Die Frau schlug die Decke kurz zurück, zum Vorschein kam ein mittelblondes Kinderköpfchen.

Unter Tränen erzählten sie mir, dass es ein Bübchen sei, sie es heute Morgen tot im Bettchen vorgefunden hätten, obwohl sie es abends ohne irgendwelche verdächtigen Anzeichen ins Bettchen gebracht hätten. Ihre Schilderung schien mir glaubhaft.

Beim Anblick dieses kleinen toten Kindes überfiel mich eine derartige schmerzliche Trauer, dass ich fast mit den jungen Eltern auf der Straße geweint hätte. Nur hinter der beruflichen Maske konnte ich meine seelische Erregung verbergen und ordnete an, dass wir in die Klinik, dort in die Leichenhalle gehen müssten, um das tote Kind in eine Kühlbox abzulegen, damit es in der folgenden Woche in Augsburg, in der Pathologie, obduziert werden könne, um möglicherweise die Todesursache zu finden.

Seit der Ablage dieses blonden toten Kindes in die Kühlbox der Klinik habe ich nie wieder etwas von dem jungen Paar gehört. Aber der Tod dieses mittelblonden Bübchens rührt meine Seele heute noch bei den unterschiedlichsten Anlässen, zum Beispiel bei Begegnungen mit ganz kleinen lachenden Kindern.

Ja, ich kann diesen Jungen bis heute nicht vergessen nach all den vielen vergangenen beruflichen und außerdienstlichen Jahren im Ruhestand.

Dr. Dr. Horst Conrad Landsberg am Lech, im September 2019

Kapitel 1

Oh Heimat, ach Heimat, wie schmerzt mich dein Verlust

Kein Ort auf der Welt bewegt mich seelisch ständig derart, dass er immer in meiner geistigen Gegenwart Empfindungen mit den verschiedensten Erinnerungsbildern bereichert: Es ist mein Geburtsort, mein Heimatort Seichau in Niederschlesien. Ich kann ihn wegen meiner vielen schönen, romantischen Kindheitserlebnisse nicht vergessen. Die Erde dieses Ortes hängt an meiner Seele wie ein gutartiger Tumor; er ist da, hat keinen Nutzen, aber man leidet! Was da uns Vertriebenen die Politiker angetan haben, ist unbeschreiblich schmerzhaft.

Die Historie Seichaus ist sehr informativ. Die Informationen habe ich entnommen von ein paar DIN-A4-Blättern von H. Kirschke und Helga Ludwig, die ich von Bruder Hubertus Conrad bekommen hatte. Seichau wurde erstmalig 1217 urkundlich erwähnt. Es gehörte wie andere Orte (Arnoldshof, Schlaup, Schlauphof) zum Zisterzienserkloster Leubus. Die wirtschaftliche Bedeutung des Ortes lag ausschließlich auf landwirtschaftlichem Gebiet. Seichau (Sichów) war ein wohlhabendes Bauerndorf. In der Anlage war es ein zwei Kilometer langes Straßendorf mit 850 Einwohnern (1945). Es gab eine evangelische (mit 75% der Einwohner) und eine katholische Kirchengemeinde.

Seit dem 16. Jahrhundert gab es eine dreiklassige evangelische und eine katholische Volksschule. Im Dorf gab es zwei Fleischer, zwei Bäcker, zwei Schuhmacher, einen Klempner, zwei Barbiere, einen Damen- und Herrenschneider, drei Tischler, zwei Stellmacher, zwei Schmiede, einen Sattler, einen Korbmacher, zwei Gärtner, einen Baumeister und Zimmermeister, einen Müllermeister, vier Kolonialwarenhändler, drei Markthändler, eine Malerei, eine Poststelle mit Telefonvermittlung, eine Arztpraxis, acht Gasthäuser (darunter Goldener Frieden mit großem Saal, Mittelschenke mit Saal und Bühne, Brauerei mit Saal und Bühne, Gasthaus Jungnitsch am unteren Dorfausgang) und eine Polizeistation.

An den Gewerken erkennt man, dass Seichau ein reiches und großes Bauerndorf war. Es stand auf fruchtbarem Boden, auf dem vor allem Weizen und Zuckerrüben angebaut wurden. Ein reicher Viehbestand war ein weiterer Wirtschaftszweig. Die produzierte Milch wurde in der örtlichen Molkerei verarbeitet. Die geernteten Zuckerrüben wurden auf der örtlichen Rübenniederlage zunächst gesammelt und schließlich mit LKWs in die Zuckerfabrik Alt-Jauer abtransportiert.

Meine Ahnen in Seichau waren Bauern, und ihre Stammbäume waren bis weit ins frühe 17. Jahrhundert verfolgbar gewesen. In den vor der Vertreibung geretteten Fragmenten von Stammbüchern ist dies nachlesbar. Vater erzählte mir, dass die Vorfahren sehr reich gewesen sein sollen. Man sprach in der Verwandtschaft davon, dass Brotschüsseln voller goldener Taler existiert haben sollen.

Das Landschaftsbild Seichaus zierte eine große, massiv gebaute holländische Windmühle, die Laufermühle. Sie stand nicht weit weg von unserem Hof auf einer kleinen

Windmühle Seichau (1936)

Anhöhe und war von überallher ankommend schon von Weitem zu sehen. Es war urig, wenn man davorstand und sah, wie sich die Flügel laut knarrend im Winde drehten. In ihr konnte man sehen, wie sich die Mühlsteine drehten und Mehl aus den Körnern mahlten, wie der Müllergeselle gestützt auf die Arme und Treppenhandläufe im Tempo die Treppen hinunterrutschte.

In diese historische Szenerie und durch die seit dem 17. Jahrhundert bekannte Ahnenreihe gelenkt, wurde ich, Horst Klaus Oskar Conrad, am 31.03.1932 in Seichau, Kreis Jauer, Regierungsbezirk Liegnitz, Niederschlesien, als Sohn des Landwirtes Oskar Friedrich Max Conrad und seiner Ehefrau Wanda Friederike Minna Conrad, geb. Günzel, geboren. Über meine ersten sechs Lebensjahre habe ich fast keine Erinnerungen. Lediglich zwei Fotografien von dem Seichauer Kindergarten, den ich besuchte, sind mir gegenwärtig. Die Bilder zeigten eine Kindergruppe mit den Kindergärtnerinnen und mir, einmal auf dem Dominium und ein anderes Mal am evangelischen Pfarrhaus.

Auch ist mir ein peinliches Badeerlebnis in unserer Bauernhofküche in Erinnerung. Jeden Samstag gab es in einer großen Zinkbadewanne der Reihe um ein gründliches Baden. Mich wusch einmal Mama. Am Ende der Prozedur bekam man zum Klarspülen einen großen Topf Wasser über den Kopf gegossen. Dabei muss ich erschrocken sein und ich schrie rasch: »Mama, du ne Sau, Sau, Sau.« Ebenso schnell gab mir Mama mit der flachen Hand einen derben Schlag auf den Hintern und ich wurde abgetrocknet. Da gab es nicht viel zu diskutieren!

Horsts Elternhaus nach dem Krieg (1964)

Das Leben auf einem Bauernhof war für uns Kinder erlebnisreich. Da waren die vielen verschiedenen Tiere, die verschiedenen Maschinen und unterschiedlichen Leute. Manchmal kam Vater morgens in unsere Schlafzimmer und befahl uns aufzustehen, weil die schwarze Jagdhündin Asta Junge oder die Stute ein Fohlen oder eine Kuh ein Kälbchen bekommen hatte oder weil Schweinchen geboren waren.

Im sechsten Lebensjahr wurde ich in die Seichauer evangelische Volksschule eingeschult. Meine erste Klasse war die sogenannte kleine Klasse mit den dunklen, durch