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Der neue Bestseller der erfolgreichen »Hundeflüsterin«
Ergreifend und fesselnd erzählt die Hundeflüsterin Maike Maja Nowak von ihren faszinierenden Begegnungen mit Hunden und ihren Menschen: von dem alten Ehepaar, das einen Straßenhund rettet und sich ärgert, dass der erfahrene Leithund sich ihnen und ihrem Leben verweigert, von der jungen Frau, die über ihren Hund ihre tiefsten Ängste überwindet und von der Polizistin, die darum kämpft, dass ihr Hund an seiner Sucht nicht zu Grunde geht. Humorvoll wird es bei einem riesigen Mastiff und seinem duftenden Geheimnis und bei einem West Highland Terrier, der ein unglaubliches Hobby verfolgt.
Mit ihrem außergewöhnlichen Einfühlungsvermögen zeichnet Maike Maja Nowak tierisch menschliche Beziehungsstrukturen nach und stellt sich und ihren Lesern die Frage: Wie viel Mensch braucht ein Hund wirklich? Und wie viel Mensch verträgt er?
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Seitenzahl: 343
Buch
Humorvoll und fesselnd erzählt die Hundeflüsterin Maike Maja Nowak von ihren faszinierenden Begegnungen mit Hunden und ihren Menschen: von dem alten Ehepaar, das einen Straßenhund rettet und nicht versteht, warum sich der erfahrene Leithund ihnen und ihrem Leben verweigert, von der jungen Frau, die über ihren Hund ihre tiefsten Ängste überwindet und von der Polizistin, die darum kämpft, dass ihr Hund nicht an einer Sucht zu Grunde geht. Humorvoll wird es bei einem riesigen Mastiff und seinem duftenden Geheimnis und einem West Highland Terrier, der ein unglaubliches Hobby verfolgt.
Mit ihrem außergewöhnlichen Einfühlungsvermögen zeichnet Maike Maja Nowak erneut tierisch menschliche Beziehungsstrukturen nach und stellt sich und ihren Lesern die Frage: Wie viel Mensch braucht ein Hund wirklich? Und wie viel Mensch verträgt er?
Weitere Informationen zu Maike Maja Nowak sowie zu lieferbaren Titeln der Autorin finden Sie am Ende des Buches.
Maike Maja Nowak
Wie viel Mensch braucht ein Hund
Tierisch menschliche Geschichten
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Originalausgabe Oktober 2013
© Wilhelm Goldmann Verlag, München,
in der Verlagsgruppe Random House GmbH, Neumarkter Str. 28, 81673 München.
Umschlaggestaltung: Eisele Grafik Design
Umschlagfoto: Bernd Reufels (Cover) und dageldog/Stockphoto (Rückseite)
Autorenfoto hintere Klappe: knut koops photography, Berlin
Redaktion: Manuela Knetsch
Satz: Uhl + Massopust, Aalen
MK / CB · Herstellung: IH
ISBN 978-3-641-10670-6V002www.mosaik-goldmann.de
Inhalt
Dank
Vorwort
Rette sich, wer kann
Eingeschneit
Die Zwangsjacke
Ein Dach für Benny
Das Ende des Kampfes
SehnSUCHT
Aus Versehen ein Junkie
Loslassen
Solisten unter sich
Begeisterung sieht anders aus
Geschenke
Die Wundertüte
Und ich bewege mich doch
Das Kleid
Kleine Menschen- und Hundekunde
Ein paar Worte vorab
Die Kraft der Energie
Wer bin ich, wer ist mein Hund?
Präsenz
Zu guter Letzt
Dank
Ich danke meiner Mutter. Sie musste einen schweren Weg gehen, und deshalb war auch mein Weg nicht einfach. Wäre er einfach gewesen, könnte ich nicht gegen Schwierigkeiten bestehen. Ich danke ihr dafür, dass sie mich immer liebt, im Schwierigen wie im Einfachen.
Ich danke meinem zweiten Vater dafür, dass er immer da war, wenn ich die Hilfe brauchte, die er mir geben konnte.
Ich danke meinen Hunden für ihre unverbrüchliche Freundschaft. Ihre Geduld, Sanftmut und Kraft erlaub(t)en mir, langsam zu wachsen und zu spüren, wann Beschleunigung falsch ist.
Ich danke meiner Freundin Annerose für ihre dreißigjährige Freundschaft. Ihre liebevolle Treue ist ein fester Boden inmitten all des Flüchtigen.
Ich danke allen Mitgliedern meines Teams, die immer bereit waren sich weiterzuentwickeln. Die gewachsene Form, sich aufeinander einzulassen, sich achtsam zu unterstützen, anzuregen und die Individualität jedes Einzelnen zu schätzen, ist eine große Kraft, die unsere gemeinsame Arbeit trägt.
Ich danke meinen Freunden, mit denen es möglich ist, so zu sein, wie man ist, und ein wenig auch so zu werden, wie man es sich wünscht.
Ich danke Nikoline, meiner Wunschschwester, die mein Leben bei jedem Treffen ein wenig schöner macht, und Ulrike für ihre unerschöpfliche Tatkraft und ihren Mut im Leben. Svenia und Conny danke ich für die liebevolle Betreuung meiner Hunde in der Vergangenheit und Gegenwart. An Suse, Maike und Kai einen großen Dank für ihren zuverlässigen Beistand. Gabi danke ich für die lieben Worte und die leckersten Marmeladen, die mir gleichermaßen guttun. Dir, liebe Bärbel aus Wolgast, danke ich für deine Courage und dass du nie aufgibst. Ulla danke ich für die Wiederaufnahme unserer Freundschaft. Und der sanften Inga mit ihrer weisen kleinen Tochter Annalena danke ich für die Geduld, meine Freunde zu sein, auch wenn es oft an Zeit fehlt.
Ich danke allen Hunden, die ich während meiner Arbeit kennenlernen durfte, obwohl ich ihnen nichts beibringen musste, weil sie ja selbst am besten wissen, wie es ist, ein Hund zu sein. Dafür konnte ich lernen, wie man ihnen stets dort begegnen kann, wo ihre Natur noch gesund ist – selbst dann, wenn diese vom Menschen schon völlig zerstört scheint. So gewann ich das Vertrauen darauf, dass in jedem Wesen etwas zu finden ist, das heil geblieben ist, wenn man nur seiner Natur folgt.
Ich danke auch den Menschen, die zu mir kamen, um über ihren Hund in ihrem Leben nach neuen Wegen zu suchen. Ihr Vertrauen machte mir immer wieder bewusst, wie kostbar es ist, was ich tun darf.
Ich danke meinen Nachbarn Corinna, Dietmar und Angie für ihre unfassbar große Hilfsbereitschaft und Güte. Wie viel Sorge wegen ganz alltäglicher Dinge sie schon abwehren konnten, wissen nur sie und ich.
Ich danke Frank für seine liebevolle Begleitung in meinem Leben.
Ich bin dankbar, dass ich Georg kennenlernen durfte, einen der wenigen Menschen, der die Ausstrahlung eines Leitwolfes besitzt – stark, leise und mit großem Führungsinstinkt.
Ich danke Bernd für seine Kraft, Ruhe und seinen Mut, gemeinsam mit mir das Wagnis einzugehen, in Filmen die mögliche Kommunikation zwischen Menschen und Hunden zu zeigen, auch wenn es nie möglich ist, Kommunikation ohne Missverständnisse abzubilden.
Ich danke Monika, Claudia und Corinna für ihre Leidenschaft, mit der sie kompetent meine Bücher begleiten, und meiner Redakteurin Manuela, die mein zweites Herz in jedem Buch ist.
Ich danke den vielen Menschen, die mich in sehr bewegenden Briefen und E-Mails an ihrem Leben teilhaben lassen und mich ermutigen und stärken.
Ich bedanke mich für jeden respektvollen kritischen Ausdruck, denn er lässt mich die Dinge auch aus anderen Blickwinkeln betrachten.
Ich danke den Menschen, die meinen Mut, mich der Beurteilung anderer auszusetzen, für ihre eigenen Bedürfnisse, Machtspiele und finanziellen Interessen zu nutzen suchten. Durch ihre Vorgehensweisen durfte ich lernen, wie man einfach weitermacht und bei dem bleibt, was einem positive Energie gibt.
Ich verneige mich vor allen Menschen, die Tieren in Not helfen, und fast noch mehr vor denen, die die Kraft haben, auch den Verursachern dieser Not einen neuen Weg zu zeigen.
Maike Maja Nowak
Vorwort
Man muss einen Ort nicht verlassen, um Neues zu entdecken – besonders wenn es dort Wesen und Dinge gibt, die man zu kennen meint.
Alle Geschichten in diesem Buch sind wahr. Ich wählte sie nach einem ganz persönlichen Aspekt aus: Sie berühren mich.
Namen und Orte wandelte ich so ab, dass die Anonymität der Protagonisten gewahrt bleibt – es sei denn, die Inhalte sind in keiner Weise bedenklich und/oder es wurde mir ausdrücklich gestattet, sie zu beschreiben.
Heute geht es immer mehr um eine neue Lebensform mit Hunden, die ich Mensch-Hund-Kommunikation nennen möchte. Auf erlernte Reaktionen bei einem Hund zu verzichten, die lediglich durch Bestechung oder die Anwendung von Gewalt konditioniert wurden, und instinktiv mit seinen Instinkten umzugehen, bringt uns etwas sehr Wichtiges nahe – unsere eigene Natur.
Instinktiv sein zu dürfen, in einer Welt, die »kopfgemacht« ist, hat etwas von Nachhausekommen und von einer großen Freiheit.
So wie man einem Kind von Beginn an die Welt zeigt und nicht erst in einer künstlichen Parallelwelt für den »Ernstfall« trainiert, kann man auch einem Hund situativ mitteilen, wie er mit einer neuen Gegebenheit umgehen soll. Dafür muss man nur seine Art zu kommunizieren kennen und eigene Instinkte nutzen. Die Parallelwelt des Hundeplatzes darf sich dabei in eine Schule für Menschen wandeln, die diese Kommunikation erlernen wollen. Gelehrt werden dann Hundesprache, Neugier, Kompetenz und das Vertrauen in die eigene Wahrnehmung.
Viele Hunde werden nur als das behandelt, was unter dem Aspekt menschlicher Bedürfnisse in ihnen gesehen wird. Wer und was sie jedoch selbst sind – als einzelnes Hundeindividuum, als Angehörige einer bestimmten Hunderasse und als funktionales Rudelmitglied – bleibt dem Menschen häufig verborgen.
Oft führen sie, unerkannt in ihren angeborenen Fähigkeiten, in ihrer Form der Kommunikation und sozialen Struktur, ein ganz anderes Leben in unseren Wohnstuben und stützen einen Menschen, der die Unterstützung seiner eigenen Artgenossen verloren hat.
Hunde sind häufig nicht nur damit beschäftigt, ihr eigenes fehlendes Rudelgefüge auszugleichen, sondern auch damit, unsere emotionalen Defizite aufzufangen.
Jeder, der mit ihnen lebt, weiß, wie viel Hunde zu geben vermögen. Sie befrieden uns, machen uns glücklich, stimmen uns zärtlich, bringen uns in Kontakt mit anderen Menschen. Sie lassen uns lächeln, bewegen uns, bringen uns zum Staunen und lassen uns an uns selbst glauben.
Es ist an der Zeit, ihnen etwas davon zurückzugeben und sie dort zu entlasten, wo sie durch Verhaltensstörungen – die immer häufiger anzutreffen sind – eine deutliche Überlastung zeigen.
Hunde verdienen, im Wesentlichen mit uns leben zu dürfen, wie sie selbst miteinander leben: In einer sozialen Struktur aus Regeln, Grenzsetzungen, Zuneigung und Freiheit.
Ein Hund ist nicht dazu da, die Sehnsüchte, die unser eigener unangemessener Umgang miteinander hervorbringt, zu stillen. Wir schufen eine Menschenwelt, in der nicht nur Länder und Weltmächte gegeneinander Kriege führen, sondern jeder unzufriedene Privatmensch anonym, leise und ohne Blutvergießen seinen ganz persönlichen »Krieg« im Internet führen darf, oder, sich stark fühlend, mit anderen Anonymen »in den Krieg ziehen« kann. Die menschliche Sehnsucht nach Harmonie scheint inzwischen so groß, dass viele Hunde für eine künstliche Eintracht herhalten müssen, die mit Bestechung und Vermeidung von Regeln erreicht werden soll.
Nur weil wir untereinander unsere Grenzsetzungen gewalttätig missbrauchen, darf man sie einem Hund nicht vorenthalten. Hunde leben von Natur aus mit Regeln und angemessenen körperlichen Grenzsetzungen untereinander. Wir dürfen von ihnen lernen, wie so etwas auch ohne Gewalt funktioniert.
Das traurige Gegenteil der Menschen, die einen Hund ausschließlich mit Licht, Liebe und Bestechung erziehen wollen, ist die Tatsache, dass es noch immer Menschen gibt, die ihre eigene Ohnmacht im Leben in der Gewalt gegen und über ihren Hund loszuwerden suchen. Jeder aber, der über einen Hund nur Macht haben möchte, wird nur Macht haben, mehr nicht. Ein vertrauensvolles Miteinander wird er so nicht kennenlernen, obwohl ihm genau dieses Geschenk helfen könnte, sich selbst zu vertrauen und der Ohnmacht zu entkommen.
Auch in anderen Bereichen besteht Handlungsbedarf: Darf man aus Gründen des »Tierschutzes« frei lebende Hunde ihrer Freiheit berauben, die diese »Rettung« weder wollen noch ihrer bedürfen? Sollten sich nicht auch Tierschützer, die wie jede Personengruppe der Welt aus kompetenten und nicht kompetenten Menschen besteht, mitunter dafür verantworten müssen? Warum kann man auf der anderen Seite aufgrund unzureichender Gesetze nur ganz wenigen Tieren helfen, die unter unzumutbaren Verhältnissen in deutschen Haushalten leben, ohne sich strafbar zu machen?
Warum ist so wenig bekannt darüber, dass auch Hunde – ähnlich wie wir Menschen – Ängste, Süchte und Traumata zeigen, und warum gibt es bislang so wenig therapeutische Ansätze für sie?
Ich danke den Protagonisten meines Buches dafür, dass sie mir erlauben abzubilden, wie wir alle leben.
Maike Maja Nowak
Rette sich, wer kann
Eingeschneit
Die Reifen meines Geländewagens fräsen sich einen Weg durch den unberührten Schnee. Vor einer der kleineren Villen im Grunewald halte ich. Ich arbeite mich, bis zu den Knöcheln im Schnee versinkend, zum Tor der Villa vor. Während meine Hände nach der Klingel tasten, bleibt mein Blick an der Statue eines riesigen, würdevollen Hundes im Garten hängen, die fast im Weiß verschwunden ist.
Meine Finger finden den Klingelknopf. Kaum habe ich ihn berührt, ertönt schon der Summer. Ein wohl vor Kurzem freigeschippter und bereits fast wieder zugeschneiter Pfad führt zum Haus. Um die etwas weiter entfernte Hundestatue näher zu betrachten, beuge ich mich so weit nach vorn, wie es meine Balance zulässt. Der Ausdruck der Statue wirkt aus dieser Perspektive nicht mehr ruhig, sondern abweisend und seltsam verschlossen. Ich meine jedoch, ein lebendiges Glänzen in den Pupillen zu erkennen, und stelle mich hoch auf die Zehenspitzen, um mich noch weiter nach vorne beugen zu können. Im selben Moment rutsche ich aus und kippe vornüber in den Schnee.
Als ich mich hochrappeln will, spüre ich etwas Heißes über mir. Ich drehe mich um und blicke auf die Schnauze eines Hundes, der mir mit großer Gelassenheit seinen warmen Atem entgegenbläst. Er ist, soweit ich unter all dem Schnee erkennen kann, ein riesiger Herdenschutzhund. Obwohl seine Schnauze auf mich gerichtet ist, bleibt sein Blick abgewandt. Ich muss nicht zu der Statue schauen, um mich zu vergewissern, dass sie verschwunden ist.
Der Hund steht ruhig über mir und wartet. Im selben Moment höre ich, wie sich eine Tür öffnet. Ein Mann ruft: »Komme gleich, ich bekomme die Stiefel nicht an!«
Der Hund verharrt währenddessen weiter über mir und jeder, der schon einmal einen Herdenschutzhund im Einsatz erlebt hat, weiß, warum auch ich ruhig liegen bleibe. Aus meiner Perspektive sehe ich nur zwei Gummistiefel auf mich zukommen, in denen braune Cordhosen stecken.
Ich höre, wie ein Karabiner in das Halsband des Hundes klickt. Sein Kopf wird nach hinten gezogen. »Kommst du runter, aber dalli!« Der Mann reißt hart und ruckartig an der Leine. Die Lefzen des Hundes heben sich und sein Kopf wendet sich drohend in Richtung des Mannes.
»Würden Sie bitte ruhig bleiben«, sage ich, unter dem Hund hervorblickend. »Das ist gerade nicht ganz ungefährlich.«
»Aber der hört ja sonst nicht«, antwortet der Mann. »Den muss man immer erst anbrüllen. Das ist es ja.«
Ich kläre ihn nicht darüber auf, um wen ich Angst habe, und versuche es dieses Mal mit Nachdruck: »Es wäre gut, wenn Sie zurücktreten und den Hund ruhig rufen!«
Tatsächlich entfernen sich die Gummistiefel und kurz darauf höre ich den Mann etwas weniger zackig sagen: »Henry! Zurück da!« Der Hund dreht sich zu dem Mann um, in seinem Blick liegt ein Zögern. Das plötzliche Ablassen des Mannes scheint ihn zu überraschen. Er tritt gemächlich nach hinten und geht zur Seite weg. Ein kleiner, schlanker, weißhaariger Herr taucht in meinem Blickfeld auf und beugt sich über mich, um mir aufzuhelfen. Ich rappele mich hoch und klopfe mir den Schnee ab: »Das wäre eine tolle Schlagzeile geworden: Hundetrainerin von Hund im Schnee begraben. Es hätte mir jedoch geholfen, vorher zu wissen, dass er bereits im Garten ist und es sich um einen Herdenschutzhund handelt.«
Der alte Herr schaut mich mit großen Augen an: »Ein Herdenschutzhund? Uns wurde gesagt, es ist ein reinrassiger Mastin Español. Wir wollten nämlich was Reinrassiges.«
Nun werden meine Augen groß: »Aber das sind doch Herdenschutzhunde!«, sage ich und weise dabei auf den ungefähr achtzig Kilo schweren und etwa fünfundsiebzig Zentimeter hohen Hund. Er wirkt bullig und bärenstark. Sein Fell ist sandfarben, mit einer schwarzen Fellfärbung im Gesicht. »Ich staune, dass er mich nicht verwarnt hat, als ich hereinkam, und auch nicht aufstand, als ich Ihr Grundstück betreten habe«, füge ich hinzu. »Das ist sehr untypisch für diese Rasse.«
Der alte Herr hebt seine rechte Hand und antwortet mit einer wegwerfenden Bewegung: »Dieser Hund ist entweder total apathisch oder aggressiv. Irgendetwas in der Mitte haben wir bei ihm noch nicht erlebt.«
Ich blicke auf den Hund, der sich wieder in den Schnee gelegt hat und von uns wegsieht. Auf mich wirkt er weder apathisch noch aggressiv. Ich habe eher den Eindruck, dass er einfach nichts mit uns zu tun haben will.
»Wo bleibst du denn mit Frau Nowak?«, ruft in diesem Moment eine ältere Dame, die in der Haustür aufgetaucht ist. Sie ist klein und zierlich, und das Weiß ihrer Haare changiert ein wenig ins Lilafarbene.
»Guten Tag. Endlich. Jetzt wird hoffentlich alles gut«, – mit diesen Worten schüttelt sie mir überschwänglich mit beiden Händen die rechte Hand. »Bitte treten Sie ein.«
Sie geht voran und weist mir den Weg in das Wohnzimmer. Der Raum ist klein und wirkt mit seinen alten schweren Möbeln eng und dunkel. Nur die überall verteilten weißen Spitzendeckchen hellen die Atmosphäre etwas auf. Ich nehme in dem mir zugewiesenen Sessel Platz und versuche, die bisherigen Eindrücke zu verarbeiten: Ein desinteressiert wirkender Herdenschutzhund und zwei nette ältere Leute, die leider nicht wissen, was für einen Hund sie da haben …
»Sie sagten ja bereits am Telefon, dass Sie sich mit Henry überfordert fühlen«, leite ich das Gespräch ein.
»Ja«, ergreift der alte Herr sogleich das Wort.
»Wir haben ihn über den Tierschutz bekommen. Er saß in einem spanischen Tierheim, nachdem er gerettet wurde. Wir wohnen ja so schön hier am Grunewald im Hundeauslaufgebiet. Aber dieser Hund weiß das überhaupt nicht zu schätzen. Wenn er ohne Leine läuft, rennt er weg. Also läuft er an der Leine, aber wir können ihn gar nicht mehr halten, seit er nun plötzlich auf andere Hunde losgeht. Meine Frau und ich sind sehr enttäuscht von ihm. Wir hätten mehr Dankbarkeit erwartet.«
Der Mann stößt laut die Luft aus, als habe ihm diese Klage schon lange auf der Brust gelegen.
Ich frage, um das Gesagte für mich zu sortieren: »Weshalb wurde er denn von Tierschützern gerettet?«
»Na, weil er auf der Straße lebte«, erwidert der Mann mit großen Augen.
»War er denn in Gefahr?«, frage ich nach.
»Natürlich!« Empörung färbt plötzlich seine Stimme. »Schließlich kann der Hund ja überfahren werden oder Giftköder fressen, sagen die Tierschützer.«
Ich nicke und schweige, weil ich spüre, dass es besser ist, seinen Bericht erst einmal nicht weiter mit meinen Fragen zu stören. Er erzählt mir daraufhin Folgendes:
»Wir sind jetzt beide siebzig Jahre alt. Wir hatten immer Hunde, alle vom Züchter. Jetzt wollten wir einmal einem Hund, der noch kein gutes Leben hatte, ein schönes Heim bieten. Henry bekommt das beste Futter und hat ein schönes Hundesofa, auf dem er übrigens nicht schläft! Er kommt inzwischen gar nicht mehr ins Haus. Anfangs gingen wir mit ihm in den Grunewald, und er durfte dort auch frei laufen. Aber er rannte dann überallhin, und wir hatten mit unseren Rufen überhaupt keinen Einfluss auf ihn. Unsere anderen Hunde haben immer gehört. Henry bewegt nicht einmal die Ohren. Er ignoriert uns völlig. Also holten wir einen Hundetrainer. Der sagte uns, dass dieser Hund ein Dominanzproblem hat. Er versuchte, Henry auf den Rücken zu werfen, woraufhin Henry ihn in den Arm geschnappt hat. Es hat nicht geblutet, aber der Trainer hat das Training sofort beendet und gesagt, dass wir richtige Probleme mit so einem Hund bekommen werden. Zu der Zeit hat sich Henry aber noch mit allen Hunden verstanden, er war bei einer Begegnung die Ruhe selbst. Wir beschäftigten dann sofort einen neuen Trainer, und der arbeitete mit einem Vibrationshalsband. Damit sollte Henry lernen zurückzukommen, wenn wir ihn rufen. Da wir ja aus der Distanz keinen Einfluss haben, sollte das Halsband ihn bestrafen, wenn er nicht kommt.«
»Ich wollte das nicht«, unterbricht die alte Dame ihren Mann. »So etwas macht man doch nicht mit einem Hund, hab ich ihm gesagt. Mit Fernbedienung.« Sie schüttelt den Kopf.
»Ach Hermine, lass mich doch erzählen. Das haben wir doch schon so oft besprochen. Schlimm ist so eine Vibration nicht. Aber bewirkt hat das Ganze sowieso das Gegenteil. Gleich beim ersten Training begann Henry auf Hunde loszugehen. Wir konnten danach nur noch mit der Leine mit ihm laufen. Er zieht aber so schlimm daran.« Der Mann hebt beide Arme und die Schultern. »Meine Frau und ich bekamen wirklich Schmerzen davon. Wenn Henry einen Hund sieht, können wir ihn gar nicht mehr halten. Deshalb können wir auch nicht mehr mit ihm spazieren gehen. Er ist jetzt nur noch im Garten. Wir wissen nicht, warum er plötzlich so ist, denn laut Aussage der Tierschützer führte er in Spanien auf der Straße lange Zeit ein ganzes Hunderudel.«
Das Ehepaar blickt mich nach diesem Bericht erwartungsvoll an. Ich habe Mühe, mir nicht die Augen zu reiben vor Unglauben. Ein erwachsener Leithund, der mit seinem Rudel frei lebte, gewohnt, Entscheidungen zu treffen, für eine ganze Gruppe zu sorgen, wird von Tierschützern prophylaktisch »gerettet«. Für ein Leben in einem winzigen Gartengefängnis in Berlin-Grunewald. Langsam bekomme ich ein Gefühl für die Teilnahmslosigkeit, die von dem Hund ausging, als ich den Garten betrat. Vielleicht gibt es für ihn hier einfach nichts zu beschützen. Außer seiner eigenen inneren Welt.
Ich schlucke meine aufsteigende Fassungslosigkeit über die Situation des Hundes hinunter. Ich spüre, dass das Ehepaar und ich in unseren Auffassungen über den Hund noch an ganz verschiedenen Haltestellen stehen und ich mich zuerst auf sie zubewegen muss, um ihnen auch meinen Eindruck nahebringen zu können.
»Möchten Sie den Hund denn behalten?«, frage ich.
»Natürlich. Er gehört ja uns«, platzt es ungehalten aus dem Mann heraus. »Er hat dreihundertfünfzig Euro gekostet, plus die Trainerkosten und den Tierarzt. Zusammen ist das mehr als ein Hund vom Züchter.« Er hebt bedeutungsvoll die Augenbrauen.
»Wie sah das Training mit dem Vibrationshalsband denn aus?«, frage ich weiter.
»Das kann ich Ihnen zeigen, wir haben das schon für Sie vorbereitet.« Der Mann springt auf, geht zu einem DVD-Player und legt eine Disc ein: »Wir haben das Training mit dem Trainer gefilmt, damit wir danach alles richtig machen.«
»Wir haben es aber gar nicht mehr benutzt. Wirklich, musst du das jetzt zeigen!«, fügt die alte Dame auffällig hastig hinzu.
Der Film startet. Grunewald. Seekulisse. Ein ungefähr vierzigjähriger, großer Mann hält den Hund rechts an einer kurzen, straffen Leine. In der linken Hand hält er die Fernbedienung des Vibrationshalsbandes, das der Hund trägt. Einige frei laufende Hunde kommen den beiden entgegen. Der Mastin Español wedelt ihnen mit sehr weichen Bewegungen seines aufgerichteten, buschigen Schwanzes eine Begrüßung zu. Er beginnt zu ziehen, um mit der vorgestreckten Nase ihren Geruch besser aufnehmen zu können. Seine Körperhaltung ist aufgerichtet, ohne steif zu sein. Er zeigt die typische Haltung eines souveränen Leithundes, der eine natürliche Dominanz ausdrückt, die ganz frei ist von Aggression.
In diesem Moment ruft der Trainer: »Wenn er zieht, sofort ›pfui‹ rufen und drücken!« Zeitgleich bedient er die Fernbedienung.
Der Hund schreit auf, springt ruckartig in die Höhe und zur Seite weg. Mir wird aus mehreren Gründen ganz kalt. Einer davon ist, dass ein Vibrationshalsband eine solche Wirkung nicht hervorrufen kann.
Der Hund zieht nun nicht nur nach vorn, sondern auch seitlich vom Trainer weg, um der Situation zu entkommen. Immer wieder drückt dieser deshalb die Fernbedienung, und Henry zuckt aufschreiend zusammen. Seine Augen sind aufgerissen, und er sieht fassungslos zu dem Gesicht des Mannes auf, der den Blick starr nach vorn gerichtet hält.
Als jetzt ein neuer Hund auftaucht, senkt sich der Schwanz des Herdenschutzhundes bereits. Mit angelegten Ohren scheint er auf die Bestrafung zu warten, die ihn immer dann ereilt, wenn ein anderer Hund in Sicht kommt und er sich diesem zuwenden will. Auch das Verhalten der ihm entgegenkommenden Hunde hat sich schnell verändert. Während sie anfangs noch ruhig an Henry vorbeigelaufen waren oder sich ihm langsam und respektvoll näherten, reagieren die meisten Hunde jetzt unsicher und nervös auf den riesigen, angespannten Hund. Einige beginnen zu bellen, andere beschleunigen ihren Gang, um rasch an dem Rüden vorbeizukommen, der verdächtig steif läuft und ab und zu aufschreit, wenn ein neuer Stromschlag ihn trifft.
Zwei Spaziergänger starren auf das Schauspiel. Eine Frau ruft empört: »Was machen Sie denn da? Hören Sie gefälligst auf damit!« Der Trainer ignoriert ihre Aufforderung und wendet seinen Blick nicht vom Weg ab. Aus dem Off ertönt die Stimme der alten Frau: »Sie können das nicht verstehen, er hat gerade Training.« Die empörte Hundebesitzerin tippt sich mit dem Zeigefinger an den Kopf, und man sieht, dass sie gern etwas tun würde, aber nicht weiß, was. Dann verschwindet sie aus dem Bild.
Der Herdenschutzhund bleibt plötzlich heftig atmend stehen und blickt den Trainer mit einer eindeutig ernst gemeinten Drohung an. Der Trainer zerrt ihn an der Leine weiter. Henry sperrt sich und warnt mit seinem Blick ein letztes Mal. Der Mann ignoriert auch diese Möglichkeit, sein Tun zu beenden und will weitergehen. Daraufhin schnappt ihn der Hund mit einem Warnbiss in den Arm.
Das Gesicht des Mannes färbt sich weiß. Es hat den Ausdruck äußerster Wut angenommen, die in großem Gegensatz zur Ruhe und dem der Situation immer noch angemessenen Verhalten des Hundes steht.
Den Warnbiss quittiert er mit einem dreimaligen Drücken auf die Fernbedienung. In Henrys Schreie mischt sich nun ein dunkler gefährlicher Ton. Beim nächsten entgegenkommenden Hund geht er trotz Halsbandbestrafung nach vorn und bellt tief. Drei Hunde später, während derer sich Henry immer aufgebrachter gebärdet, gibt der Trainer auf: »Ich würde ihn einschläfern lassen. Der ist eine Waffe auf vier Beinen, die Sie niemals kontrollieren können«, ruft er mit noch immer zornweißem Gesicht.
»Sie können ausmachen, bitte«, bringe ich leise hervor. Gern würde ich mich auf den lachsfarbenen Hochflorteppich übergeben, um meine Gefühle zum Ausdruck zu bringen, aber um mich geht es hier nicht. Ich versuche mich darauf zu konzentrieren, wie ich dem Hund helfen könnte, um der Situation zu entkommen.
»Können Sie mir bitte das Halsband zeigen?«
Die alte Dame erhebt sich und kramt in einem Fach in der Schrankwand. »Hier ist es, aber wir nehmen es nicht mehr, weil es ja nur alles schlimmer gemacht hat«, erklärt sie beschwichtigend. Ich halte das Ding in den Händen und sehe wie erwartet Elektroden, die aus der kleinen Box am Halsband schauen und am Hals ihre Wirkung tun.
»Sie wissen, dass dies kein Vibrationshalsband, sondern ein Elektrohalsband ist, aus dem Elektroschocks gesendet werden, und dass es auf Stufe 15 eingestellt ist, also auf die stärkste Stufe, die es überhaupt gibt?« Die beiden älteren Herrschaften blicken betroffen auf das Halsband. Sie wirken jedoch nicht wirklich überrascht. Eher unangenehm berührt von einer Tatsache, die sie vielleicht selbst vermuteten oder von der sie wussten.
»Darf ich einem von Ihnen einmal das Halsband ans Handgelenk machen?« Beide lehnen sich erschrocken zurück.
»Ein solches Mittel zu verwenden bedeutet, das Vertrauen eines Hundes zu verspielen. Wie soll ein Wesen Ihnen vertrauen, wenn Sie ihm solche Schmerzen zufügen? Und noch dazu in einem Moment, in dem er etwas ganz Normales tut. Ich habe hier einen Hund gesehen, der sich für andere Hunde interessierte. Da ihn die Leine und ein wildfremder Mensch daran hinderten, zu den Hunden Kontakt aufzunehmen, hat er gezogen, um dorthin zu kommen. Dafür wurde er bestraft.
Stellen Sie sich vor, Sie würden einen Waldweg entlanggehen. Plötzlich kommt Ihnen ein Mensch entgegen. Sie wollen einen Blick auf ihn werfen, um festzustellen, was er für Absichten signalisiert. Sie lächeln, um Ihre eigene friedvolle Haltung auszudrücken, und in genau diesem Moment bekommen Sie einen elektrischen Schlag. Sie erschrecken sehr, glauben aber vielleicht noch an einen Zufall. Dann kommt der nächste Spaziergänger Ihnen entgegen, und Sie erhalten den nächsten Schlag. Wie viele Menschen bräuchte es, bis Sie Menschen fürchten, die Ihren Weg kreuzen? So ist es Henry ergangen.«
Die alte Dame blickt mich mit schreckgeweiteten Augen an: »Aber das muss der Trainer doch gewusst haben?«
Ich hebe die Achseln.
»Ja, aber er hat gesagt, dass es bei der Größe von Henry nicht anders geht«, protestiert der Mann.
Schweigen. Der Mann verschränkt die Arme vor der Brust. Die Frau wischt sich nervös mit der rechten über die linke Hand.
»Durch den Schmerz, der Henry immer dann zugefügt wurde, wenn ein anderer Hund auftauchte, wurde der andere Hund in Henrys Vorstellung offenbar zum Auslöser dieses Schmerzes gemacht. Verständlich, dass er diesen Auslöser nicht mehr in seiner Nähe haben wollte und ihn nun inzwischen mit Drohgebärden von sich fernzuhalten sucht.«
Der Mann lehnt sich weit zurück, und seine ganze Körperhaltung drückt Distanz zu meiner Zusammenfassung aus. Die Frau wirkt unentschieden. Sie scheint meiner Wahrnehmung folgen zu können, sie aber nicht zulassen zu wollen oder zu können.
»Sie sind nicht schuld, dass dies geschehen ist«, sage ich und versuche damit, die Situation zu entspannen. »Sie haben sich Hilfe geholt und sich darauf verlassen, dass sie gut ist. Sie wollten ja etwas positiv verändern und konnten nicht wissen, was passiert.« Das Ehepaar atmet synchron aus. Die Stimmung hellt sich auf.
»Lassen Sie uns doch schauen, wie es weitergehen kann«, schlage ich vor. Der Mann löst die verschränkten Arme und nickt. Die Frau beugt sich nach vorn.
»Ja, so kann es nicht weitergehen«, bestätigt der Mann. »Schließlich wollten wir keinen Hund, der abgesondert im Garten lebt. Wir haben ja alles versucht.«
»In Ihrem Sinne schon. Aber im Sinne des Hundes könnten Sie erst etwas tun, wenn Sie sein Wesen akzeptieren und wertschätzen.«
»Wieso denn wertschätzen?«, fragt der Mann jetzt ungehalten. »Ein Hund hat zu hören! Ich kann doch nicht wertschätzen, dass er so einen sturen Kopf hat und knurrt, wenn man ihm sein Halsband ummachen will.«
»Ich meine damit, dass Sie anerkennen, wie dieser Hund vorher lebte, als Leithund, mit einer Gruppe, frei. Er hat offenbar noch niemals Entscheidungen von Menschen akzeptieren müssen. Wenn Sie den Plan haben, ihn zu behalten, müssten Sie die mentale Kraft dieses Hundes verstehen und anerkennen und viel über Führung lernen. Die Führung eines Leithundes ist natürlich eine besondere Herausforderung, denn führen Sie einmal einen Führer. Hier ist viel Kooperation gefragt.«
Der Mann beginnt unruhig hin und her zu rutschen. Die Frau atmet laut hörbar ein und wieder aus.
»Aber führen kann doch nur der Mensch«, äußert der Mann sein Unverständnis.
»Ich könnte Ihnen einmal mit Henry zeigen, was ich meine«, schlage ich vor.
»Bitte.« Der Mann klingt verstimmt.
Ich erhebe mich: »Gut, dann gehe ich zuerst einmal allein hinaus, ohne Sie, ja?«
Das Ehepaar wirkt fast erleichtert über meinen Aufbruch.
»Sie können aber gern am Fenster zusehen«, verabschiede ich mich nach draußen.
Im Garten liegt der Hund noch immer bewegungslos im Schnee. Ich lehne mich ein paar Meter entfernt mit dem Rücken zu ihm an einen Baum. Ich möchte ihm signalisieren, dass ich seinen Distanzwunsch respektiere. Nach ein paar Minuten beginne ich umherzuschlendern und sehe aus den Augenwinkeln heraus, wie seine Nase sich schnüffelnd in meine Richtung bewegt. Etwas später höre ich Schritte im Schnee, dann taucht sein riesiger Hundekopf neben mir auf. Seine Nase bewegt sich gelassen an meinen Hosenbeinen auf und ab, und er nimmt ruhig die Gerüche auf, die ich an mir trage. Durch meine zahlreichen Kontakte mit Hunden rieche ich sicher wie »Tausendundeine Hundenacht«. Ich gebe ihm Zeit, mich kennenzulernen, und gehe dann wieder von ihm weg. Es ist eine sehr entspannte Stimmung zwischen uns.
Ich beginne, Hirschwurst in die Rinde eines Baumes zu schieben, und lade ihn freundlich ein, sich das Ganze mit der Nase »anzusehen«. Ich zeige auf die betreffende Stelle und blicke ihn kurz an. Dieser Hinweis reicht für einen Hund, um ihn zu verstehen. Während ich zum nächsten Baum weitergehe, nähert Henry sich der von mir angezeigten Stelle. Seine Nase ist dabei hoch in die Luft gereckt. Die Köstlichkeit von meinem Frohnauer Hundefleischer scheint Wirkung zu zeigen. Hätte der Hund darauf nicht angesprochen, hätte ich mir etwas anderes einfallen lassen. Ich plane meine Aktionen nicht vorher, sondern handle rein instinktiv und richte mich ausschließlich nach der Situation sowie dem Verhalten und Wesen des jeweiligen Hundes.
Henry leckt mit der Zunge das Wurststückchen aus der Rinde. Ich gehe währenddessen weiter zum nächsten Baum. Die Bewegungen des Hundes werden schneller und fließender. Man spürt, dass ihm die Sache Spaß zu machen beginnt. Daraufhin verstecke ich die Wurst in einer kleinen Mulde etwas höher im Baum und bleibe daneben stehen, als Henry sich nähert. Erst zögert er, entschließt sich aber dann, meine Nähe in Kauf zu nehmen und nach dem verborgenen Schatz zu suchen. Den nächsten Baum erreichen wir bereits zusammen. Nach mehreren gemeinsamen Aktionen drehe ich mich ganz leicht zu ihm ein und überrasche ihn mit einer neuen Wendung: »Sssst.«
Ich bewege meine Schulter dabei leicht auf ihn zu, um seine Vorwärtsbewegung abzubremsen. Er bleibt sofort stehen und scheint überrascht. Ich nehme sofort den Druck heraus und entferne mich weiter zu einem Baum. Henry bleibt abwartend an der Stelle, an der ich ihn ausbremste. Ich verstecke die Wurst und rufe: »Okay, schnapp es dir, Junge.«
In Henrys Augen scheint plötzlich eine Tür aufzuspringen. Ein angedeutetes Grinsen bricht daraus hervor. Er holt sich das Futter, setzt sich neben mich und blickt mich mit sanften dunklen Augen an. Von diesem Moment an weiß ich, dass dieser Hund alles kann. Auch, sich in einem ganz neuen Leben zurechtzufinden. Wenn das Leben zu ihm passt.
Ich blicke zu dem Ehepaar auf seinem Beobachtungsposten hinter der Fensterscheibe und winke den beiden alten Leuten auffordernd zu. Ihre Köpfe verschwinden. Henry hat noch viel Zeit, Wurststücke zu suchen, ehe die Haustür sich öffnet – eine winterliche Vermummungsaktion braucht ihre Zeit.
»Ja, aber mit Leckerlis locken, das können wir auch«, ruft der Mann, als er den Garten betritt.
»Also Kurt! Ich fand es sehr schön, dass Henry mal mitgemacht hat. Das hat er doch noch nie gemacht!«, beschwichtigt seine Frau.
Henry legt die Ohren nach hinten. Es wirkt, als wolle er sie vor der Lautstärke des Ehepaares verschließen.
»Quatsch, wir haben es nur noch nie so probiert. Sicher nimmt er es einfach nicht aus der Hand, sondern man muss es irgendwo hinlegen.« Die Stimme des Mannes wird energischer. Ich kann nicht anders, als Henry ein Stück Wurst hinzuhalten. Er nimmt es sehr sanft aus meiner Hand.
»Siehst du, er hat es auch aus der Hand genommen!«, ruft die Frau aufgeregt. Beide haben uns erreicht.
»Geben Sie mir mal was her«, verlangt der alte Herr forsch. Als er auf mich zutritt, weicht Henry einen Schritt zurück.
»Bitte.« Ich reiche einige Wurststückchen in die Lederhandschuhhand, die sich mir entgegenstreckt.
Der Mann beugt sich nach vorn und nimmt den Hund ins Visier. »Henry! Hierher!« Henry gähnt ruckartig und in einem sehr tiefen leisen Ton. Dann entfernt er sich langsam und mit hängendem Kopf. Der Mann öffnet den Mund, ohne dass dieses Mal ein Laut herauskäme.
»Aber warum findet er das denn jetzt plötzlich langweilig? Er hat das doch gern gefressen«, wundert sich die Frau.
»Er langweilt sich nicht. Das Gähnen ist ein Versuch, Stress abzubauen. Ich habe Henry ja eben ein wenig kennenlernen dürfen. Sie haben einen Hund, der weder Lautstärke noch Druck mag. Die gute Nachricht dabei ist, Sie dürfen mit ihm ganz leise sein. Wollen Sie es einmal probieren?«, frage ich, an die Frau gewandt.
»Ich? Um die Erziehung hat sich bisher mein Mann gekümmert. Ich habe auch etwas Angst vor Henry. Er hat mich schon angeknurrt, wenn ich ihm das Halsband ummachen wollte.«
Ich strecke ihr eine Hand mit Wurst hin: »Sie können Ihre Chance nutzen, die Angst loszuwerden. Dieser Hund ist ganz und gar nicht aggressiv. Er verbittet es sich nur, wenn jemand ihm etwas aufzwingt, was er nicht möchte. Und auch das tut er angemessen. Wenn er Sie hätte beißen wollen, hätte er es getan und nicht nur geknurrt; wenn er den Trainer hätte verletzen wollen, hätte er es trotz Elektroschock getan und nicht nur einen Warnschnapper abgegeben. Er ist ein ruhiger Leithund. Mit so einem Hund müssen Sie kooperieren lernen, nicht kämpfen. Den Kampf würden Sie immer nur verlieren. Und der Hund würde auch etwas verlieren. Nämlich sein freundliches Wesen. Sie würden ihn dazu zwingen.«
»Wir zwingen den doch nicht zu beißen«, sagt der Mann, nach Luft schnappend.
»Lass doch die Frau Nowak mal zu Ende reden, Kurt. Ich finde das sehr interessant«, erwidert die alte Dame und widerspricht damit zum ersten Mal ihrem Mann.
»In diesem direkten Sinne zwingen Sie ihn natürlich nicht«, gebe ich ihm Recht. »Sie können einen Hund jedoch nicht führen, wenn Sie ärgerlich und ungehalten mit ihm umgehen. Das legt er Ihnen als Schwäche aus. Er selbst«, ich weise auf Henry, der wieder zur Schneestatue erstarrt ist, »verliert seine Stärke nicht und bleibt ruhig, auch wenn Sie ihn anschreien. Man kann viel von diesem Hund über Führung lernen.«
»Also jetzt passen Sie mal auf. Wir haben Sie nicht geholt, damit wir was von ihm lernen.« Der alte Herr betont das »wir« und das »ihm« auf sehr nachdrückliche Weise.
Die alte Dame verschwindet hinter seinem Rücken, verdreht von ihrem Mann ungesehen die Augen und bewegt beide Hände in kurzen Stößen nach unten. Was heißen könnte: »Nehmen Sie es nicht krumm, aber Kritik verträgt er gar nicht, besser Sie hören damit auf.«
»Ich habe immer Hunde gehabt, und ich habe eine Firma geleitet. Verstehen Sie? Ich muss nichts lernen. Er muss das tun.« Das Gesicht des Mannes ist jetzt zornesrot, als er mit dem Zeigefinger auf den Hund weist.
»Dann kann ich Sie nur bitten, Henry die Chance zu geben, bei anderen Menschen zu leben, die ihn so wollen, wie er ist. Sie könnten dafür einen Hund finden, der besser zu Ihnen passt und Ihre Erwartungen erfüllt. Dieser hier wird das nicht tun. Niemals«, sage ich sehr ruhig und sehe dem Mann dabei in die Augen.
Die Frau hinter seinem Rücken hält sich wohl in Erwartung eines Donnerwetters die Hand vor den Mund. Trotz seines Ärgers scheint dem Mann plötzlich dennoch der Ernst der Lage aufzugehen. Er kratzt sich mit der Lederhandschuhhand am Kopf.
»Aber ich habe schon viel investiert in den Hund. Wer zahlt mir das?«, sagt er und wagt sich damit einen vorsichtigen Schritt in die von mir vorgeschlagene Richtung.
»Niemand«, gebe ich zu. »Und der neue Hund würde ja auch wieder kosten«, gibt er weiter zu bedenken.
Ich hebe die Achseln.
»Kurt, schau mal. Es wäre doch gut, wenn wir nicht mehr so große Sorgen mit dem Hund hätten. Schließlich wollten wir doch wirklich einen, der so mit uns lebt wie die anderen vorher. Die Hunde aus dem Tierschutz sind eben eigen, da lässt man lieber die Hände von. Immerhin haben wir ihn gerettet, nicht?« Sie sucht Zustimmung in meinem Gesicht.
Ich spüre etwas in mir aufsteigen, dem ich nur sehr schwer eine sachliche sprachliche Form geben kann. Ich versuche es dennoch: »Stellen Sie sich vor, Sie gehen mit Ihrem Mann spazieren.« Ich weise dabei in Richtung Straße. »Sie tun das schon Ihr ganzes Leben mit Freude und natürlich selbstständig. Plötzlich landet ein Ufo, und Ihr Mann wird hineingezerrt und entführt. Sie bleiben allein zurück. Ihrem Mann wird mitgeteilt, dass er nun in Sicherheit sei, weil man ihn gerettet habe. Es könne ihn schließlich ein Auto überfahren oder ihm ein anderes Unbill zustoßen. Die fremden Wesen sind sehr freundlich, weil sie es bedauern, dass er so viel erleiden musste. Schließlich musste er eine Firma leiten, Menschen führen, Entscheidungen treffen. Jetzt soll er in einem speziellen Haus Schutz finden. Darin wird er zwar gefangen gehalten, jedoch gut versorgt. Die Wesen entscheiden, wann Ihr Mann was tun darf. Sie sind dabei sehr laut und aufgeregt und probieren viele verschiedene Dinge mit ihm aus. Ihr Mann spürt instinktiv, dass sie ihn nicht verstehen können und keine Ahnung haben, was er wirklich braucht und möchte. Sie verlangen Dinge von ihm, die seiner Kultur völlig fremd sind. So soll er zum Beispiel auf einem Bein hüpfen, wenn er auf einen anderen entführten Menschen trifft, weil die Wesen eine solche Begrüßung als passend empfinden. Sie hüpfen selbst so herum. Gibt Ihr Mann einem anderen entführten Menschen aber in Menschenart die Hand, wird er hart bestraft, weil die Wesen einen Händedruck als Ausdruck von Aggression empfinden.
Ich könnte diese Geschichte jetzt noch lange so weiterspinnen, aber wie mir scheint, haben Sie mich auch so schon verstanden.«
Beide starren mich entgeistert an.
»Sie haben es ganz sicher gut gemeint, und Sie haben Henry nicht entführt, sondern die entsprechende Tierschutzorganisation. Ich möchte nur, dass Sie verstehen, was für einen Hund man Ihnen da gegeben hat und was die Situation für ihn bedeutet.«
Das Paar blickt synchron auf den Hund. Der Mann greift sich in den Nacken und scheint zu überlegen. Die Frau blickt auf ihren Mann. »Und wie werden wir den Braten jetzt wieder los?«, ringt sich der Mann in einem halb scherzhaften Tonfall ab.
»Ich würde jetzt gern erst einmal bei den Tierschützern anrufen, die ihn hergeholt haben. Sicher steht ja in Ihrem Vertrag, dass Sie ihn nicht einfach so abgeben dürfen?« Die Frau nickt und gibt mir die Wurststückchen wieder, die sie die ganze Zeit über in der Hand gehalten hat, für eine Übung, die nun nicht mehr stattfinden wird.
»Ja, der Henry ist ein Riesenkerl. Er lag mit seinem Rudel in Spanien immer an einem bestimmten Platz, wenn er nicht mit ihnen umherzog«, sprudelt es am Telefon aus einer fröhlichen Tierschützerin heraus. »Die Anwohner kannten ihn schon lange, er muss also schon älter sein. Dann wurde ein junger Hund aus dem Rudel überfahren, und da haben wir die ganze Gruppe gerettet.«
»Ich verstehe«, antworte ich. »Aber warum gingen Sie davon aus, dass auch Henry überfahren wird, wenn er doch schon so viele Jahre auf der Straße überlebt hat?«, frage ich weiter.
Stille.
»Na, das ist jetzt aber eine doofe Frage. Das kann doch jederzeit passieren.«
Ich kann die Frau empört durch die Leitung atmen hören.
»Ich finde die Frage gar nicht so doof«, entgegne ich in verbindlichem Tonfall. »Wenn ein Mensch überfahren wird, entführt man doch auch nicht alle, die um ihn herumstanden, um sie vor dem künftigen Unfalltod zu bewahren.«
Stille. Hörbares Ein- und Ausatmen.
»Das kann man ja wohl nicht vergleichen. Die Hunde auf der Straße brauchen die Hilfe des Menschen. Sie sind ja nicht unabhängig von uns. Deshalb helfen wir.«
»Damit Sie mich nicht missverstehen: Ich habe selbst vier Hunde aus dem deutschen Tierschutz, die aus anderen Ländern kommen, weil sie dort nicht überlebt hätten. Meine Hunde waren schwer krank, traumatisiert oder wie im Falle meines letzten Hundes nicht vermittelbar. Die Mitglieder dieser Tierschutzorganisationen sind für mich die wunderbarsten Paten meiner Hunde, und ich habe bis heute