Wiedergeburt - Andy Hermann - E-Book

Wiedergeburt E-Book

Andy Hermann

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Beschreibung

Ein Politthriller aus der nahen Zukunft. Wieviel Einfluss hat Don Pedro, der berühmte Peruaner, die Reichen und Mächtigen dieser Welt zur Vernunft zu bringen, bevor er einem Anschlag zum Opfer fällt? Vera, Chefredakteurin eines Internet & TV Channels will ihm helfen, doch die Geheimdienste dieser Welt haben andere Pläne. Kann es Frieden ohne Spiritualität geben, wenn Terroristen jede Friedensbemühung in die Luft jagen? Kann Europa neu geboren werden, wenn die EU das größte Problem darstellt? Oder versinkt alles in Chaos und Diktatur der grünen Truppen, die Wohlstand und Demokratie einem radikalen Umweltschutz opfern wollen. Kann stattdessen eine geistige Wiedergeburt die Menschen zu Frieden und Wohlstand führen und dabei die Umwelt gerettet werden? Wie wenige Menschen braucht es, damit das gelingen kann? Dieser Thriller zeichnet eine Utopie, die so manche Grenzen sprengt.

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Inhaltsverzeichnis

Vorbemerkung

Teil 1 – Flucht

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Teil 2 – Chaos

Kapitel 20 – 3 Monate später

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24 – Einige Monate später

Kapitel 25

Kapitel 26

Kapitel 27 – 3 Jahre später

Kapitel 28

Kapitel 29

Kapitel 30

Kapitel 31

Kapitel 32

Kapitel 33

Kapitel 34

Kapitel 35

Teil 3 – Freiheit

Kapitel 36

Kapitel 37

Kapitel 38

Kapitel 39

Kapitel 40

Kapitel 41

Kapitel 42

Kapitel 43

Kapitel 44

Teil 4 – Zukunft

Kapitel 45 – 1 Jahr später

Kapitel 46

Kapitel 47

Kapitel 48

Kapitel 49

Kapitel 50

Kapitel 51

Kapitel 52

Kapitel 53

Kapitel 54

Kapitel 55

Kapitel 56 – 6 Monate später

Kapitel 57

Kapitel 58 – Einige Monate später

Kapitel 59

Kapitel 60

Nachwort

Vorbemerkung

Diese dystopisch und utopische Geschichte spielt in einer Zukunft, die vielleicht schon sehr nahe ist.

Die darin handelnden Personen und Organisationen sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden Personen, Organisationen oder politischen Parteien sind erkennbar, es wird aber keiner real existierenden Person oder Partei unterstellt, die im Roman beschriebenen Handlungen zu planen oder solche Meinungen zu vertreten. Es handelt sich bei dieser Geschichte um reine Fiktion.

Dagegen sind die dargestellten Probleme und Herausforderungen heute für die Menschheit sehr real. Demokratie und Umwelt sind in Gefahr, das ist leider wahr.

Auch sind die Verwerfungen in der heutigen Gesellschaft allgemein spürbar und durch Covid-19 mitverursacht. Im Roman verursacht ein Beinahe-Asteroideneinschlag ebensolche Verwerfungen und Vertrauensverluste in die Obrigkeit, wie es durch Covid-19 tatsächlich geschehen ist.

In diesem Roman dagegen nimmt die Geschichte eine ganz andere Wendung, die sich heute nur die wenigsten vorstellen können.

Was heute noch als Utopie gilt, kann in Zukunft vielleicht als absolute Notwendigkeit gelten.

Teil 1 – Flucht

Kapitel 1

Die Gulfstream G650 setzte zum Landeanflug am Kairo International Airport an. Als Vera aus einem tiefen traumlosen Schlaf erwachte flogen sie bereits tief über der Altstadt von Kairo.

Vera sah, dass Henry bereits hellwach war und seine Nase an der Scheibe seines Kabinenfensters plattdrückte, doch war von den Pyramiden im Smog der Millionenstadt nichts zu sehen.

Henry war ihr achtjähriger Sohn und Vera bedachte ihn mit einem liebevollen Blick.

Sie war immer noch verblüfft, wie locker Henry die Abenteuer der letzten Wochen weggesteckt hatte. Es schien ihm richtig Spaß zu machen, ständig vor irgendwelchen Verfolgern und Attentätern auf der Flucht zu sein. Dabei sollte er längst wieder in Wien und in der Schule sein. Nur die Umstände ihrer Flucht, zuerst von Wien nach Peru, dann quer durch Peru und jetzt nach Ägypten hatten das verhindert.

Don Pedro und Abdullah Ibrahim, der Großmufti von Ägypten, Scheich und Groß-Imam der al-Azhar Moschee in Kairo saßen im vorderen Teil der Kabine an einem Konferenztisch und unterhielten sich leise und angeregt.

Der Scheich hatte Don Pedro, Vera und Henry mit der Gulfstream aus Cusco abgeholt und sie nonstop nach Kairo gebracht. Hier waren sie vorerst vor allen Verfolgern in Sicherheit. In Kairo sollte Don Pedro bei einer großen Friedenskonferenz für die arabische Welt einen Vortrag halten. Die Konferenz sollte bereits in vier Tagen stattfinden. Viel Zeit für Vorbereitungen blieb da nicht.

Der Scheich versprach sich viel von Don Pedro. Er wollte alle verfeindeten Lager und Glaubensrichtungen versöhnen und einen dauerhaften Frieden in der Region stiften. Don Pedro sollte ihm dabei helfen.

Denn Don Pedro war seit einer Woche eine Weltberühmtheit, da die halbe Menschheit glaubte, er habe mit seiner Massenmeditation mit Millionen von Teilnehmern via TV und Internet die Menschheit vor einem Asteroiden gerettet. Die anderen dachten, es sei bloß Zufall gewesen, dass der acht Kilometer große Asteroid plötzlich seinen Kurs ein klein wenig geändert hatte, und nicht vor Grönland in den Atlantik gestürzt war. Stattdessen hatte er die Erdbahn nahe Kairo in nur fünfundachtzig Kilometer Distanz gekreuzt und war danach wieder in den Weiten des Weltalls verschwunden.

Bei einem Impact wäre die Erde auf Jahrzehnte hinaus unbewohnbar gewesen und die Menschheit wäre durch die Zerstörungen und durch Hunger im darauffolgenden jahrelangen dunklen und kalten Winter ausgestorben, wie einst die Dinosaurier. So aber waren durch die Druckwelle der nahen Begegnung nur Fensterscheiben zu Bruch gegangen.

Dann hatte der Astronom George Michaelson, der Entdecker des Asteroiden, schlüssig nachweisen können, dass die Kursänderung durch einen Masseauswurf von verdampfendem Eis aus dem inneren des Asteroiden exakt zu dem Zeitpunkt erfolgt war, als Don Pedros Massenmeditation mit hundertfünfzig Millionen Teilnehmern ihren Höhepunkt erreicht hatte. Die Präsentation von George Michaelson hatte sich rasend schnell im Internet und im TV verbreitet, sodass sich fast alle Menschen auf diesem Planeten die Frage stellen konnten, war das Zufall oder nicht?

Dadurch war Don Pedro einigen Regierungen dieser Welt viel zu mächtig und einflussreich geworden, insbesondere seit herausgekommen war, dass die Regierungen die Menschen nicht vor dem Asteroiden gewarnt, sich selbst aber in abgelegenen Regierungsbunkern in Sicherheit gebracht hatten. Proteste und gewalttätige Demonstrationen gegen die Obrigkeit waren in vielen Ländern seither an der Tagesordnung. Manche Geheimdienste hatten die Ausschaltung Don Pedros ganz oben auf ihrer Agenda.

Vera musste mit Schaudern an den letzten Anschlag zurückdenken, als MP-Salven die Wohnung durchsiebten, in der sie gerade zu Besuch waren. Nur durch den sechsten Sinn von Don Pedro hatten sie unverletzt fliehen können. Ihre jetzige Ägyptenreise war eine Flucht aus Peru, welche ihnen die Konferenzeinladung des Scheichs ermöglicht hatte.

Die Gulfstream kam an einem Seitengebäude des Kairoer Airports zum Stillstand, eine Gangway wurde herangefahren. Es gab in diesem Bereich des Airports keine Gates, stattdessen hielten einige weiße Stretchlimousinen direkt neben dem Flugzeug.

Sie waren im VIP-Bereich des Flughafens und Vera wusste, dass nun viel Arbeit auf sie zukommen würde. Sie war die Chefredakteurin des österreichischen Privat-TV Senders „Power of Family“, kurz POF-TV genannt und hatte die Internetauftritte von Don Pedro in Peru organisiert. Hier in Kairo würde Don Pedro ebenfalls ihre Hilfe brauchen. Hoffentlich kam das Team, welches ihr Rüdiger Baumgartner, der CEO von POF-TV, versprochen hatte, bald hier in Kairo an. Denn ohne Assistenz und Technik konnte sie nicht viel tun.

Sie hatte Rüdiger erst in der Luft über dem brasilianischen Regenwald via Satellitenverbindung aus dem Bett geklingelt und darüber informiert, dass sie nach Kairo zu einer kurzfristig einberufenen Nahost Friedenskonferenz unterwegs war und nicht wie geplant nach Österreich kommen würde.

Dieser war gar nicht überrascht darüber, dass es schon wieder neue Pläne gab.

Denn seitdem Papst Sylvester der Fünfte vor zwei Tagen nach einer Audienz mit Don Pedro das Papstamt abgeschafft und die Kurie aufgelöst hatte, konnte ihn bei Vera und Don Pedro nichts mehr überraschen. POF-TV war als einziger Sender live dabei gewesen, als der Papst die Abschaffung verkündete und anschließend selbst zurückgetreten war.

Vera musste jetzt noch lächeln, wenn sie an die geschichtsträchtige Papstaudienz in Cusco dachte, denn das war wohl ein Jahrtausendereignis gewesen, bei dem sie nicht nur live dabei sein hatte können, sondern bei der sie auch die Liveschaltung organisiert hatte.

Aber jetzt mussten sie einmal an den hohen islamischen Würdenträgern vorbei, die zur Begrüßung von Don Pedro neben den Limousinen Aufstellung genommen hatten. Der Scheich hatte nicht mit Aufwand gespart. Mehr als zwanzig Geistliche waren zu begrüßen, doch Don Pedro winkte ihnen bloß zu und zog sich mit „Der Friede sei mit Euch“ auf Spanisch aus der Affäre, anstatt alle einzeln zu begrüßen.

Vera und Henry gingen drei Schritte hinter Don Pedro. Abdullah Ibrahim ging neben Don Pedro und nickte den Würdenträgern freundlich zu, um dann die Gruppe zur wartenden Stretchlimousine zu bugsieren.

Es gab keine Passkontrolle oder Einreisestempel für die Gruppe, die Limousine fuhr direkt zu einer seitlichen Flughafenausfahrt. Dass dies später für sie ein Problem sein würde, ahnten sie jetzt noch nicht.

Vera musste an die Worte Don Pedros denken, die er ihr vor dem Abflug aus Cusco gesagt hatte: „In Ägypten sind wir sicher, denn hier werde ich als der Mann aus dem globalen Süden gesehen, der zuerst die Welt gerettet hat, dann den Papst erledigt hat und nun hier den Frieden bringen soll.“

Kapitel 2

Joe Gruner, oberster CIA-Chef, saß angespannt an seinem Schreibtisch und konnte einen seiner gefürchteten Wutausbrüche nur mit Mühe unterdrücken. Sein Gesicht war rot angelaufen, er sagte aber noch nichts, da er das Ende des Berichts von Frank Wohlfahrt, CIA Deputy Assistant Director im Department for special operations, abwarten wollte, der mit ihm per Videocall verbunden war.

Frank Wohlfahrt schätzte diese Videocalls sehr, da er damit nicht im selben Raum mit Joe Gruner war.

Die ganze Welt schien in Aufruhr und nichts konnte Joe Gruner mehr aufregen als eine Gefährdung der bestehenden Ordnung. Die Sicherheit der Welt stünde auf dem Spiel, dachte er. Dabei meinte er nur seine eigene Sicherheit und seine Macht über die CIA, die ihm irgendwie zu entgleiten drohte.

Frank Wohlfahrt hatte ihm über das schmähliche Scheitern des Einsatzes gegen Don Pedro in Cusco informiert. Der Einfluss der CIA hatte nicht mehr ausgereicht, Killer vor Ort anzuwerben. Alle lokalen Mafiabosse hatten sich geweigert, gegen Don Pedro vorzugehen und die eingeflogenen CIA-Agenten hatten danebengeschossen.

Als Frank Wohlfahrt dann die allerneuesten Erkenntnisse über Don Pedro berichtete, war es um Joe Gruners Selbstbeherrschung endgültig geschehen.

Er tobte und schrie in voller Lautstärke: „Welche Idioten haben wir in unserem Verein, wenn sie nicht einmal einen unbewaffneten Schamanen aus Südamerika erledigen können. Wieso konnte dieser Prediger mit einem Privatjet des Saudischen Königshauses entkommen? Das darf nicht wahr sein!“

Frank Wohlfahrt wartete den Ausbruch ab und erklärte dann ruhig: „Die Zeit war zu knapp, das zu verhindern. Denn die Flucht hat Abdullah Ibrahim, der Großmufti von Ägypten organisiert, nicht die Saudis. Der Großmufti ist westlich orientiert, den hatten wir nicht so sehr am Radar, wie üblicherweise die Saudis.“

„Warum wurde der Jet nicht abgeschossen“, tobte Joe Gruner weiter.

„Das hätte internationale Verwicklungen gegeben“, erklärte Frank Wohlfahrt, der merkte, wie sich Joe Gruner in immer größeren Irrsinn hineinsteigerte.

„Wir haben erst davon erfahren, wie der Jet in Kairo gelandet ist, wir hatten in Cusco keine Leute am Flughafen, da unser Team auf der Flucht nach Bolivien war.“

„Versagen auf der ganzen Linie, das wird ein Köpferollen geben, das verspreche ich, der Jet hätte über dem Südatlantik spurlos verschwinden müssen“, schrie Joe Gruner.

Dann beruhigte er sich wieder und gab Anweisungen, wie sich die in Ägypten stationierten CIA-Agenten zu verhalten hätten. Jetzt mussten sie erst einmal abwarten, bevor sie aktiv werden konnten. Ägypten war schließlich ein wichtiger Verbündeter, dort konnte nicht einfach Wildwest gespielt werden. Das würde die Ägypter verärgern und sie waren auf deren Mithilfe angewiesen. Sie mussten herausfinden, was Scheich Abdullah Ibrahim in Kairo geplant hatte, bevor sie einschreiten konnten.

Kapitel 3

Vera hatte ihren Laptop aufgeklappt und checkte ihre Emails, während sie in der Stretchlimousine durch Kairo zu ihrem Hotel fuhren. Sie versank beinahe in der weichen Lederpolsterung.

Sie fuhren über sechsspurige Schnellstraßen, die auf Stelzen in das scheinbar unendliche Häusermeer Kairos hineingequetscht waren. Die Häuser waren so dicht an die Straße herangebaut, dass Vera den Leuten in die Wohnzimmer hätte sehen können, wenn sie ihren Blick vom Laptop gehoben hätte. So aber sah sie die imposante und verschachtelte Stadtlandschaft von Kairo gar nicht. Nur Henry bekam alles mit, da er seine Nase gegen die Scheibe gepresst hatte und staunend die Eindrücke der fremden Stadt in sich aufnahm.

Eine solche Fahrt hatte er noch nie erlebt. Die Limousine wurde von vier Polizeimotorrädern begleitet, die mit Blaulicht für freie Fahrt sorgten. Trotz des dichten Nachmittagsverkehrs kamen sie zügig voran und mussten an keiner Ampel oder Kreuzung halten. Es sah aus, wie wenn sie auf Staatsbesuch wären. Der Staatsgast war aber kein Staatschef, sondern Don Pedro, vom Brotberuf ein einfacher Fremdenführer aus Peru, der über spezielle Fähigkeiten und viel schamanisches Wissen verfügte. Vera war jetzt von ihm zu seiner Kommunikationschefin ernannt worden.

Rüdiger hatte ihr geschrieben, Redakteur Janko Franitsch werde morgen in Kairo eintreffen und das mitgebrachte Team leiten. Mit ihm kämen ein Kameramann, eine Tontechnikerin und ein Assistent. Er könne ihr nicht mehr schicken, denn der Sender habe im Augenblick eine sehr ausgedünnte Personaldecke, hatte Rüdiger geschrieben.

Vera war ein wenig frustriert, denn das war das absolute Minimum an Personal. Andere Sender würden mit zehn oder mehr Leuten anreisen. Es galt schließlich jede Menge Interviews zu führen, den Konferenzfortgang zu beobachten und die Artikel für POF-TV und für das Internet zu schreiben, selbst Statements abzugeben und den Sehern live aus Kairo zu berichten.

Aber dann musste sie daran denken, dass die Produktionsbedingungen in Peru weit schlimmer gewesen waren und sie trotzdem fast die ganze Welt erreicht hatten. Es hatte nur einen einzigen einheimischen Techniker und ihren Laptop gegeben, sonst nichts. Der Techniker musste alle Aktivitäten über das Darknet organisieren, da ihr Aufenthalt in Peru geheim war und niemand wissen durfte, wo sich Vera mit ihrem Sohn aufhielt.

Ein internationaler Haftbefehl war auf sie ausgestellt worden, da sie wegen des Mordes an ihrem Schwiegervater, Heinrich Rauhenstein, fälschlicherweise von Interpol gejagt wurde. Dabei war der Mord auf das Konto eines Geheimdienstes gegangen, der eine alte Rechnung mit der Familie Rauhenstein begleichen wollte. Wegen dieses Haftbefehls hatte sie die Flucht nach Peru angetreten.

Ein Freund der Familie, Kurt Oberleitner, Oberstleutnant im Abwehramt in Wien, hatte ihr geholfen, sich und ihren Sohn in Sicherheit zu bringen, wobei sie die längste Zeit nicht wusste, dass Kurt über den bevorstehenden Impakt informiert war und Peru wegen der viertausend Meter Seehöhe als Ziel gewählt hatte. Dorthin würden die Flutwellen nicht kommen.

Aber das waren Angelegenheiten von gestern, ihre Unschuld war bewiesen worden und der Impakt hatte nicht stattgefunden. Jetzt musste sie an Otto denken, mit dem sie seit acht Jahren verheiratet war. Otto wäre beinahe in Georgien vom selben Geheimdienst liquidiert worden, der seinen Vater in die Luft gesprengt hatte.

Vera hatte seit ihrer Flucht nach Peru nur selten mit Otto telefonieren können, da ihr das Chaos rund um den Beinahe-Asteroideneinschlag keine Zeit gelassen hatte. Auch Otto war in Tiflis für längere Zeit nicht erreichbar gewesen, da er wegen des Mordes an seinem Vater ebenfalls unschuldig auf der Fahndungsliste stand.

Er hatte ihr am Telefon bloß erzählt, er habe eine Entlastungszeugin, die seine Unschuld bezeugen könne. Otto war wohl schon in Wien eingetroffen, um seine Angelegenheiten zu regeln. Das Erbe seines Vaters konnte er wohl erst antreten, wenn sich alle Verdachtsmomente gegen ihn in Luft aufgelöst hätten.

Vera wäre jetzt liebend gerne bei Otto gewesen, um in seine Arme zu sinken, aber die Konferenz in Kairo hatte ihr Wiedersehen um ein gutes Stück in die Zukunft verschoben. Sie würde ihn vom Hotel aus anrufen, wenn sie endlich ohne Zuhörer mit ihm reden konnte.

Dank der Polizeieskorte fuhren sie bald am Eingang des Grand Nil Tower Hotels vor, einem imposanten Fünfsternehotel mit geschätzten vierzig Stockwerken, das sich direkt am Nil in den smogverhangenen Himmel Kairos reckte. Es lag an der Nordspitze der Nilinsel Roda, nahe dem Stadtzentrum von Kairo, welches mittlerweile mehr als einundzwanzig Millionen Einwohner hatte.

Für Vera und Henry war eine Luxussuite in den oberen Stockwerken reserviert. Don Pedro bezog eine eigene Suite direkt neben der ihren.

Die nächsten Stunden und Tage würden sehr stressig werden. Zuallererst musste Vera für neue Garderobe sorgen, denn ihr gesamtes Gepäck hatten sie in Peru lassen müssen, als sie aus Daniels Wohnung zum Flughafen von Cusco flüchteten. Daniel war ihr Ex, der mit seiner Frau Maria, einer Peruanerin, seit acht Jahren in Peru lebte, seit Vera ihn verlassen hatte. Maria hatte Vera und Henry zu Don Pedro gebracht, da sie bei ihm in Sicherheit seien, wie sie gedacht hatte. Doch es war ganz anders gekommen und Don Pedro und Vera hatten die Welt verändert oder gerettet. Das wurde von verschiedenen Leuten auf der Welt unterschiedlich gesehen.

Aber jetzt hatten sie nur das zum Anziehen, was sie gerade am Leib trugen. In ihrem ramponierten Survival Kit, das sie seit ihrer Flucht aus Wien ständig getragen hatte, konnte sie keine Interviews geben und nicht vor die Kameras treten. Sie brauchte eine komplett neue Garderobe und Zubehör.

Auch Henry sah recht abgerissen aus und brauchte dringend frische Sachen. Nur Don Pedro trug einen weißen neuen Anzug, den er sich in Cusco für seinen letzten großen Auftritt in Peru besorgt hatte. Darin sah er aus wie ein leibhaftiger Fernsehprediger, der er nicht war, denn sein Einfluss auf das Weltgeschehen war in Wahrheit weit größer.

Endlich am Zimmer angelangt, versuchte Vera sofort, Otto zu erreichen. Doch schon wieder eine Enttäuschung, sein Smartphone war in keinem Mobilnetz eingeloggt. Sie konnte ihm nur eine Nachricht schicken: „Sind gut in Kairo gelandet. Ich kann die nächsten Tage nicht nach Wien kommen, ruf mich bitte an, damit ich dir mehr sagen kann.“

Sie hatte keine Ahnung, wann und ob Otto die Nachricht überhaupt lesen würde. Hier schien schon wieder etwas nicht zu stimmen.

Aber sie konnte sich jetzt nicht darum kümmern, sie musste die nächsten Stunden und Tage planen. Um 17:00 Uhr war eine Lagebesprechung mit Leuten des Scheichs angesetzt, in der es um die Konferenz ging. Bis dahin waren es noch drei Stunden. Dann musste sie wieder im richtigen Outfit einer Chefredakteurin sein.

Henry konnte inzwischen durch die Fernsehkanäle des Hotels zappen. Vielleicht fand er einen deutschsprachigen Kanal, wenn nicht, dann würde er sein Englisch verbessern können.

Kapitel 4

Ein kräftiger Wind wehte vom Mittelmeer her und hatte den Smog über Kairo weggeblasen. Henry stand an einem Fenster ihrer Suite und konnte erstmals die Pyramiden von Gizeh in der Morgensonne auf der anderen Seite der Stadt leuchten sehen.

Er interessierte sich brennend für Altertümer. Er war zwar erst acht Jahre alt, aber irgendwie schien es, als ob er schon viel älter wäre.

Die letzten vier Tage waren eine einzige Qual gewesen, da Vera kaum Zeit für ihn gehabt hatte. Es gab keine Besichtigungen und kein Programm für ihn. Ständig war seine Mutter in Meetings, saß an ihrem Laptop oder telefonierte mit wichtigen Leuten.

Für Henry blieben nur Videospiele oder das Internet. Das langweilte ihn bald.

Daher hatte er so lange gebettelt, bis sie ihm einen Privatguide für eine Besichtigung des Gizeh Geländes organisiert hatte, der heute mit ihm dorthin fahren würde. Lieber wäre Henry mit seiner Mutter zu den Pyramiden gefahren, aber die hatte keine Zeit, da sie auf dieser Konferenzeröffnung sein würde.

Vera warf einen letzten Blick in den Spiegel und betrachtete ihr Outfit kritisch. Ihr dunkelgraues Businesskostüm saß perfekt. Nur der wadenlange Rock störte sie ein wenig, aber das ging hier in Ägypten nicht anders, hatte man ihr gesagt. Das Kopftuch hatte sie verweigert, sie trug ihre brünetten Haare offen und wenn sie lächelte, konnte sie unwiderstehlich sein. Lächeln war aber heute nicht angesagt. Sie musste vielmehr ernst und würdevoll wirken. Sie fand, das Businesskostüm verberge viel zu viel von ihrer Figur, aber das konnte sie nicht ändern. Heute war Konferenzbeginn und sie hatte nicht mehr viel Zeit.

Sie trat ans Fenster zu ihrem Sohn und ermahnte ihn: „Bitte mach keine Extratouren, bleib immer bei deinem Guide, das Gelände dort ist riesig, da kannst du dich leicht verlaufen. Abdullah war sehr entgegenkommend, dass er dir den Guide organisiert hat, als ich ihn darum gebeten habe. Also mach bitte keine Probleme. Du weißt, ich kann von der Konferenz nicht weg. In einer Woche ist alles vorbei, dann sind wir wieder in Wien in unserer Wohnung, das verspreche ich dir.“

Henry musste daran denken, was er seinen Schulkameraden alles berichten konnte, wenn er endlich wieder in seiner Klasse war. Er würde der Schwarm aller Mädchen sein, da war er sich sicher.

Dann nahmen sie den Lift und fuhren in die Lobby. Gefrühstückt hatten sie schon in ihrer Suite. Das Zimmerservice in diesen Suiten war äußerst extravagant und das Frühstück war opulent gewesen. Henry hatte kräftig zugeschlagen, Vera eher wenig, da sie nebenbei noch ihre neuesten Mails checkte.

Don Pedro wartete schon auf sie. Auch er war neu eingekleidet. Heute trug er einen dunklen Anzug mit einer roten Krawatte. Rot als Farbe Perus und der Liebe, wie er sich ausdrückte.

Draußen an der Auffahrt wartete ein Audi A8 mit Chauffeur, um sie sicher ins Konferenzzentrum zu bringen.

Der Guide für Henry war auch schon da und übernahm den Jungen. Der Guide hatte ein großes Lunchpaket dabei und sprach einwandfreies Deutsch: „Guten Morgen Henry, ich bin Aladin und werde dir heute die Pyramiden zeigen. Freust du dich schon?“

Henry war begeistert und nickte. Endlich war etwas los und er kam von diesem faden Hotel weg.

Während der Fahrt zum Konferenzzentrum musste Vera an ihr Telefonat mit Otto denken, den sie am Vortag endlich erreicht hatte. Irgendwie hatte sie eine Distanz zwischen ihnen gespürt. Es war ihr vorgekommen, wie wenn ihr Otto nicht alles gesagt hätte, was wichtig war. Er sei jetzt in Wien, es sei alles OK, aber es sei keine gute Idee, Henry jetzt mit der Austrian Airlines allein nach Wien zu schicken, damit er wieder in die Schule gehen könne, wie Vera ihm vorgeschlagen hatte. Denn was sollte Henry hier in Ägypten tun, in Wien wäre er viel besser aufgehoben.

Doch Otto hatte so seltsam herumgeredet, dass Vera daraus nicht schlau werden konnte.

Otto hatte erklärt, er habe so viel um die Ohren. Da sei die Sache mit dem Anschlag auf seinen Vater, die zerstörte elterliche Villa, die Anwälte und alles andere. Er habe recht viel Stress im Moment, da habe es Henry in Ägypten besser und ruhiger, denn in Wien könne er sich auch nicht um ihn kümmern. In einer Woche kämen Vera und Henry ohnedies wieder heim.

„Muss ich mir Sorgen machen, was da in Wien läuft“, dachte Vera, „oder ist mein lieber Otto einfach wirklich überfordert. Egal, da vorne ist schon das Konferenzzentrum. Es geht los.“

Das Kairo Convention Centre lag an der El Nasr Road und war eigentlich ein Messegelände, auf dem auch Konferenzen abgehalten werden konnten. In der Mitte des Geländes gab es einen eindrucksvollen Rundbau, der den Konferenzsaal umschloss.

Die Teilnehmer saßen im Konferenzsaal in mehreren konzentrischen Kreisen an großen Tischen, die aus Kreissegmenten gebildet waren und extra für diese Konferenz geliefert worden waren. Scheich Abdullah Ibrahim hatte keine Mühen gescheut und binnen vier Tagen diese Konferenz organisiert und samt Inventar aus dem Boden gestampft.

Die Terminkalender der Teilnehmer waren kräftig durcheinandergewirbelt worden, da viele gar keine Zeit gehabt hätten und anderwärtige Verpflichtungen absagen mussten. Aber hier nicht dabei zu sein, das ging schon gar nicht. Der Scheich hatte all seinen Einfluss aufgeboten, die Teilnehmer an diesen runden Tisch zu bekommen.

Im innersten Kreis saßen Don Pedro, der Scheich und hohe Geistliche aus dem Iran, Saudi-Arabien und der Türkei. Viele von diesen islamischen Geistlichen Würdenträgern hatten auch politische Funktionen inne.

Todfeinde aus dem schiitischen und sunnitischen Lager hatten hier friedlich nebeneinander Platz genommen.

Um den inneren Kreis gruppierten sich zwei weitere Kreise an denen die niederen Ränge und die Berater der hohen Würdenträger Platz genommen hatten.

Vera war mit ihrem Team im Journalistentross, der sich im Foyer drängte und die Würdenträger bei ihrer Ankunft zu Wortspenden nötigen sollte. Doch die meisten Würdenträger waren wortlos in den Konferenzsaal geeilt und hatten die Journalisten enttäuscht.

Dann aber durften auch die Journalisten in den Saal und nahmen hinter den Tischen Aufstellung, denn die Eröffnungsreden sollten um die Welt gehen und ein Millionenpublikum erreichen.

Vera stand dicht neben Janko Franitsch, der die Kamera und das Mikro selbst in der Hand hatte. Denn mehr als zwei Leute pro Team waren nicht in den Saal gelassen worden, da es einfach nicht mehr Platz gab und hunderte Journalistenteams aus der ganzen Welt angereist waren.

Janko Franitsch war kroatischer Abstammung, lebte aber schon seit seiner Geburt in Wien. Er war einer der Stützen von POF-TV und Vera war froh, ihn in diesem Gedränge an ihrer Seite zu haben.

Im Konferenzsaal saßen an die Hundertzwanzig Teilnehmer an den Tischen und warteten auf die Eröffnung.

Das Stimmengewirr beruhigte sich langsam und Vera war gespannt, wer die ersten Worte sprechen würde. Scheich Abdullah Ibrahim, Großmufti von Ägypten und Scheich der al-Azhar Moschee, würde es nicht sein, da er im Rang viel zu hoch oben stand, um die einleitenden Worte zu sprechen.

Da bemerkte Vera, dass im innersten Kreis zwei Stühle leer waren. Was hatte das zu bedeuten, wer hatte hier abgesagt?

Nun war es im Saal völlig still, alle warteten gespannt auf die Begrüßung, als eine Tür zu hören war. Plötzlich entstand Gemurmel und Getuschel. Ein Raunen ging durch den Saal. Vera konnte nicht sofort sehen, was los war, dann aber war sie sprachlos. Der israelische Außenminister und der palästinensische Außenminister kamen in den Saal und gingen nebeneinander direkt in den innersten Kreis und setzten sich auf die beiden freien Stühle.

Das war eine Überraschung, mit der niemand gerechnet hatte. Das Gemurmel der Konferenzteilnehmer wurde lauter, als der Scheich aufstand und das Wort ergriff. Das Gemurmel verstummte augenblicklich als er erklärte, weshalb die beiden Minister hier an der Konferenz teilnehme sollten. Dies sei eine Bedingung von Don Pedro gewesen, entweder sitzen alle Parteien an einem Tisch, oder er, Don Pedro würde das Land verlassen und die Konferenz müsste ohne ihn stattfinden.

Etliche feindselige Blicke wurden Don Pedro zugeworfen. Doch die Mehrheit der Anwesenden nickte zustimmend.

Dann übergab der Scheich an einen anderen Geistlichen, der die formelle Begrüßung übernahm und die Delegationen vorstellte. Das zog sich hin.

Danach trat ein Redner ans Rednerpult, der eine Lobeshymne auf Don Pedro und seine Friedensmission hielt.

„Auf einen Mann, wie Don Pedro hat die Welt gewartet. Er kann international den Frieden bringen. Er hat die Welt vor dem Impakt gerettet. Er kann in Stadien Millionen Menschen vom Frieden überzeugen. Er ist ein Mann des globalen Südens. Er kommt von ganz unten und steht jetzt ganz oben. Seine Teilnahme wird die Konferenz zu einem erfolgreichen Abschluss bringen.“

Der Scheich übernahm danach wieder und begann, die Konferenzregeln zu erklären. Dabei wartete er mit der nächsten Überraschung auf. Die Dauer der Konferenz war für eine Woche angesetzt worden. Doch der Scheich erklärte, wenn es nach dieser einen Woche keine klar erkennbare Friedenslösung für die ganze Region gäbe, dann gehe es in die Verlängerung. Das sei wie beim Fußball, allerdings ohne Elfmeterschießen, denn die Waffen müssen schweigen, wenn der Friede kommen soll.

„Das wird schwierig“, dachte Vera, „die Probleme der Region sind doch viel zu unterschiedlich, um alle auf einmal zu lösen. Das Israel-Palästina Problem, der Bürgerkrieg im Jemen, wo Saudi-Arabien kräftig mitmischt. Die Großmachtansprüche der Türkei, der Konflikt zwischen Iran und Saudi-Arabien, die Spannungen zwischen Sunniten und Schiiten, der Bürgerkrieg in Syrien und noch viele weitere Probleme von Irak bis Afghanistan. Was sagen die Amerikaner und die Russen dazu? Würden sie die Ergebnisse einer solchen Konferenz, bei der sie nicht eingeladen waren, akzeptieren können? Wie soll das alles in so kurzer Zeit gelingen?

Aber andererseits hat Don Pedro schon so viel erreicht, vielleicht passiert tatsächlich ein Wunder und es gab eine Idee, wie all diese Probleme tatsächlich gelöst werden konnten. Es brauchte schon ein Wunder, um die Teilnehmer zu überzeugen, über ihren Schatten zu springen und den gegenseitigen Hass zu überwinden, die Vergangenheit zurückzulassen, die Zukunft neu zu denken und über umsetzbare Lösungen zu diskutieren.

Kapitel 5

Staunend stand Henry vor dem Weltwunder der Antike, wie die Pyramiden auch bezeichnet werden, das älteste der sieben Weltwunder der Antike und das einzige, das heute noch erhalten ist.

Er löcherte Aladin mit Fragen, die dieser nur zum Teil beantworten konnte. Aladin war zwar ein Guide, hatte aber nur die offizielle Lehrmeinung der Ägyptologen in seinem Repertoire und Henry wollte unbedingt wissen, wer die Pyramiden wirklich gebaut hatte. Mit Cheops als Antwort wollte er sich nicht zufriedengeben.

Doch als er mit Aladin zusammen mit einer kleinen Reisegruppe ins Innere der großen Pyramide durfte und langsam die große Galerie hochstieg, kannte seine Begeisterung keine Grenzen mehr.

Er bewunderte die exakte Bauweise und wie die Steine fugenlos aneinandergefügt sind. Doch als sie in die Königskammer kamen, rief er enttäuscht aus: „Die ist ja leer“.

„Was hast du denn gedacht, dass Cheops hier auf dich wartet“, erklärte lachend der Führer der deutschen Reisegruppe, der sie sich angeschlossen hatten.

Henry stemmte trotzig die Hände in die Hüften und erklärte altklug: „Hier fehlen die Maschinen, hier ist ja keine Energie mehr drinnen.“

„Das ist die Grabkammer von Cheops“, ermahnte der Führer.

Da mischte sich eine Dame aus der Reisegruppe ein: „In dem Sarkophag ist nie jemand gelegen und das Grab von Cheops ist bis heute nicht gefunden worden. Das weiß ich ganz genau, das hat schon Däniken gesagt.“

Der Führer reagierte ärgerlich: „Däniken ist kein Archäologe, das ist ein Scharlatan, der nur Unsinn behauptet.“

Plötzlich war eine Diskussion im Gange, da sich auch die anderen Teilnehmer der Gruppe einmischten. Meinung prallte auf Meinung, denn die meisten waren der Ansicht, dass die Ägypter mit ihren damaligen technischen Möglichkeiten die Cheopspyramide unmöglich in zwanzig Jahren gebaut haben konnten, wie die offizielle Lehrmeinung besagt.

„Jeder Bahnhofneubau dauert in Deutschland länger, wenn ich an Stuttgart 21 denke, und dort haben sie die modernsten Maschinen. Da sollen wir glauben, dass die Ägypter dieses Riesending hier in nur zwanzig Jahren mit Kupfermeißeln aus dem Boden gestampft haben“, erklärte ein Reiseteilnehmer.

„Aber die Beweise der Archäologen gibt es doch“, hub ein anderer Teilnehmer zum Widerspruch an.

„Welche Beweise? Da sind keine Beweise. Der einzige Hinweis auf Cheops ist eine falsch geschriebene Königskartusche in einer der Entlastungskammern“, kam die Dame jetzt in Fahrt. „Von der niemand weiß, ob sie nicht eine Fälschung des Entdeckers Howard Wyse ist. Das schreibt schon Däniken und dem glaube ich.“

Plötzlich rief Henry mit lauter Kinderstimme aus: „Warum gräbt denn hier niemand weiter, da hinten, ein paar Meter hinter dieser Wand ist ein großer Raum randvoll mit Gerätschaften.“

Der Führer trat die Flucht nach vorne an: „Herrschaften, die Zeit wird knapp, wir müssen wieder zum Ausgang gehen. Die nächste Gruppe wartet schon.“

„Wieso weißt du das schon?“, fragte die Dame Henry, „Bei der neuesten Durchleuchtung der Pyramide mit High Tech Geräten wurde hinter der Königskammer noch ein weiter Raum gefunden.“

„Keine Ahnung, ich habe das nicht gelesen, sondern es ist einfach so ein Gefühl, dass es da hinten weitergeht“, erklärte Henry jetzt etwas verlegen.

Doch dann wurde die Unterhaltung durch den Führer abgebrochen, der sie zum eiligen Rückmarsch nötigte. In den engen Gängen konnten sie nicht mehr weiter diskutieren.

Als sie wieder im Sonnenlicht waren und die deutsche Reisegruppe in ihren Bus gestiegen war, wollte Aladin mit Henry ein Eis essen gehen. Henry wollte aber unbedingt vorher die Chephrenpyramide sehen.

Aladin musste mit, innerlich murrend, denn er wollte jetzt Pause machen und sich in Ruhe hinsetzen können. Es nervte ihn, für einen Achtjährigen den Fremdenführer spielen zu müssen, der noch dazu glaubte, alles besser zu wissen und seltsame Theorien zum Besten gab.

Aber wenigstens eine Zigarette könne er vertragen, wenn er schon keinen Kaffee bekam. Er blieb stehen, um sich eine anzustecken, Henry aber lief weiter und wurde immer schneller, da er unbedingt zur Pyramide wollte. Drei Reisegruppen aus China mit je hundert Personen kreuzten seinen Weg.

Als Aladin genüsslich an seiner Zigarette zog, war Henry nicht mehr zu sehen, da er durch die Gruppe der Chinesen einfach durchgelaufen war.

„Wo ist der Kleine“, murmelte Aladin und drängte sich ebenfalls durch die Chinesen durch.

Dann war er durch die Gruppe durch und konnte Henry immer noch nicht sehen.

Henry lief auf die Pyramide zu und wich einer weiteren Reisegruppe aus, die im Weg stand und ihrem Guide lauschte. Schließlich war noch eine Reisegruppe zu umrunden und dann noch eine. Erst danach dachte er daran, sich nach Aladin umzusehen, der doch eben noch hinter ihm war. Aber da war kein Aladin. Sein Guide war verschwunden.

„Ich war zu schnell, ich muss ein Stück zurücklaufen“, dachte Henry und rannte wieder von der Pyramide weg, die er schon fast erreicht hatte.

Doch Reisegruppen versperrten die Sicht und zur selben Zeit lief Aladin zur Chephrenpyramide, allerdings nicht ganz den gleichen Weg. So rannten sie aneinander mit dreißig Meter Abstand vorbei, ohne sich zu sehen.

Aladin beschloss, bei der Pyramide zu warten, der Kleine müsste doch hier auftauchen. Doch die Kantenlänge der Pyramide betrug mehr als zweihundert Meter, wo sollte er sich hinstellen und wo würde Henry bei der Pyramide ankommen? Sie hätten einen Treffpunkt vereinbaren sollen, falls sie sich verlieren sollten. Aladin hatte nicht gedacht, dass das bei einer einzelnen Person notwendig sein würde.

Henry war auch bei der Pyramide, aber ums Eck bei der nächsten Seitenfläche und suchte Aladin.

So wurde das nichts, langsam wurde ihm etwas mulmig, wie sollte er ohne Aladin wieder ins Hotel kommen. Ihr Wagen stand draußen am Parkplatz, er hatte sich aber nicht gemerkt, wo genau.

Ohne Aladin konnte er auch nicht in die Pyramide hinein, da dieser die Tickets hatte. Wo war der Eingang? Henry konnte keinen Eingang sehen. Nur Unmengen von Touristen standen herum oder schleppten sich ermattet über das riesige Gizeh Gelände.

Aladin beschloss, nach Henry zu suchen und durchstreifte planlos das Gelände. Wenn er den Kleinen nicht fand und wohlbehalten zum Hotel zurückbrachte, war er seinen Job mit Sicherheit los. Aber war es seine Schuld, wenn der Kleine einfach davonrannte, ohne auf ihn zu warten?

Henry wurde langsam müde, die Aufregung ließ nach und er wusste nicht, wo der Ausgang war. Irgendwie hatte er sich jetzt verlaufen. Er wusste jetzt auch nicht mehr, vor welcher Pyramide er stand. Da kam ihm sein neues Smartphone in den Sinn, da kann er Mama anrufen. „Die ist zwar furchtbar beschäftigt, aber sie soll mich abholen kommen“, dachte er.

Vera hatte das Telefon auf lautlos geschaltet, doch am Display sah sie, dass der Anruf von Henry kam. Ihr war sofort klar, das kann nichts Gutes bedeuten. Sie saß mit dem POF-Team in der Cafeteria, da die Konferenz begonnen hatte und hinter verschlossenen Türen stattfand. Alle Journalisten hatten den Saal verlassen müssen. Das hatte auch für sie gegolten, obwohl Don Pedro für sie gerne eine Ausnahmeregelung gehabt hätte. Doch der Scheich ließ es nicht zu, sonst würden alle anderen auch in den Saal wollen. Vera wurde schmerzlich bewusst, POF-TV hatte hier keine Exklusivrechte an der Übertragung. Sie war nur eine unter vielen.

Sie nahm das Gespräch an und Henry schilderte den Sachverhalt. Er konnte ihr aber nicht sagen, wo genau er sich befand. Vera ließ sich von ihm beschreiben, was er sehen konnte. Dann war es für sie nicht sehr schwer über Google Maps zu erkennen, wo er sich befinden musste. Eigentlich konnte man sich am Gizeh Gelände nicht verlaufen, da die Pyramiden immer zu sehen sind, aber das galt natürlich nicht für einen achtjährigen Jungen, der plötzlich allein dort herumlief.

Vera konnte ihren Sohn nicht dort lassen und darauf vertrauen, dass der Guide ihn wieder finden würde. Wer wusste schon, wo der Guide hingeraten war. Ihr war klar, dass sie sich die letzten Tage viel zu wenig um Henry gekümmert hatte. Das war jetzt das Ergebnis. Henry allein bei den Pyramiden. Das war viel zu gefährlich, Kindesentführungen kamen ihr in den Sinn.

„Halte dich in der Nähe von Reisegruppen auf, riet sie ihm. Wenn du Deutsch hörst, dann bleib bei denen, sie sollen dich zum Ausgang bringen, ich komme dich holen. Steig bloß bei keinem Fremden in den Bus.“

Vera erklärte Janko Franitsch, der neben ihr in der Cafeteria saß, dass sie unbedingt ihren Sohn von den Pyramiden abholen müsse. Der Guide habe schrecklich versagt. Die erste Pressekonferenz war erst für den späteren Nachmittag angesetzt, bis dahin würde sie wieder zurück sein. Falls Unvorhergesehenes geschehe, solle er sie unbedingt anrufen, dann würde sie vom Taxi aus via Smartphone live bei der Konferenz dabei sein.

Janko erklärte, dies sei alles kein Problem, sie solle sich keine Sorgen machen. Ihr Sohn sei wichtiger, denn er glaube nicht, dass es heute Abend schon Wichtiges zu berichten gibt.

Kapitel 6

Plötzlich öffneten sich die Saaltüren und die Delegierten strömten ins Foyer. Damit hatte keiner der Journalisten gerechnet. „Konferenzpause“ hieß es plötzlich. Diese war nicht vorgesehen. Die Journalistenteams sprangen von ihren Sitzen und versuchten in die besten Interviewpositionen zu kommen. Jeder wollte als Erster wichtige Meldungen in die Welt schicken. Ein Gedränge und Geschiebe setzte ein.

Jetzt hatte Janko ein Problem, denn bei einer Pressekonferenz konnte er Vera dazuschalten, aber in diesem Tumult musste er um Interviewpartner kämpfen und das ging ohne Vera nicht so recht.

Don Pedro konnte er in der Menge auch nicht entdecken, denn dieser war dort, wo das Gedränge am dichtesten war. Dutzende Mikrofone wurden ihm unter die Nase gehalten und Fragen prasselten auf ihn ein.

„Was sagen sie zum Konferenzbeginn?“ „Gibt es schon Fortschritte?“ „Wird im Saal gestritten?“ „Wie ist die Stimmung unter den Teilnehmern?“

Doch Don Pedro ließ sich nicht aus der Ruhe bringen und lächelte milde: „Alles zu seiner Zeit, wir werden alle Fragen beantworten, aber erst bei der Pressekonferenz in zwei Stunden.“

Mit diesen Worten drängte er die Journalistenmeute einfach zur Seite und ging weiter.

Bald hatten es alle Journalisten begriffen, die Pause diente nur zum allgemeinen Aufsuchen der Restrooms. Da keiner der Teilnehmer etwas von der Konferenz versäumen wollte, war eine kurze Pause von zehn Minuten ausgerufen worden, damit jeder seine Bedürfnisse erledigen konnte.

Janko erblickte Don Pedro als dieser gerade wieder in den Saal zurückwollte. Der Tumult der Journalisten hatte sich schnell wieder gelegt, als diese erkannt hatten, weshalb es die Pause gab.

Janko war Don Pedro von Vera kurz vorgestellt worden, sodass er ihn direkt ansprechen konnte.

„Wo ist Vera?“, war die erste Frage von Don Pedro. Janko erklärte es, so rasch er konnte, denn er wollte doch einen Informationsvorsprung vor den anderen herausholen und die Pause war fast zu Ende, ohne dass er irgendetwas über die Konferenz erfahren hatte. Don Pedro beantwortete seine Fragen nur mit Stehsätzen, die gar nichts aussagten. Dabei lächelte er freundlich.

Dann ging die Konferenz auch schon weiter und Don Pedro verschwand im Sitzungssaal.

Drinnen ging es weiter mit der Vorstellung jeder Delegation. Jede Delegation war aufgefordert worden, das aus ihrer Sicht wichtigste Problem, das einer Friedensordnung im Weg stand, zu benennen und im Raum stehen zu lassen. Wie das Procedere zur Lösungsfindung aussehen würde, wusste zu diesem Zeitpunkt noch niemand außer vielleicht der Scheich oder Don Pedro. Aber auch das war nicht sicher.

Bisher war erst die Hälfte der Delegationen am Wort gewesen und es würde noch dauern. Der Scheich hatte schon angedeutet, dass es auch eine Abendsitzung geben könnte, wenn sie bis zum Dinner mit der Vorstellungsrunde nicht fertig würden.

Denn obwohl es Simultandolmetscher für Arabisch, Englisch und Französisch gab, brauchte jede Wortmeldung ihre Zeit, denn jeder Delegationsleiter sah das Problem seines Landes als das Wichtigste an und beanspruchte viel zu viel Redezeit.

Erkannte Don Pedro, worauf er sich mit der Teilnahme an dieser Konferenz eingelassen hatte? Bereute er gar schon, zugesagt zu haben?

Kapitel 7

Vera war mit dem Taxi durch halb Kairo gedüst. Zum Glück war der Taxifahrer ein Profi und das in Aussicht gestellte hohe Trinkgeld tat das seinige, sodass sie durch den dichten Stadtverkehr brausten, wie wenn sie eine Eskorte gehabt hätten.

„Taxis brauchen hier anscheinend gar keine Verkehrsregeln“, dachte Vera, als sie im Fond des Ford Mondeo wieder einmal bei einem plötzlichen Fahrspurwechsel herumgeschleudert wurde.

Dann waren sie endlich beim Haupteingang des Gizeh Geländes. Hier gab es keinen Stau mehr, da um diese Uhrzeit keine Busse mehr auf das Gelände fuhren. Für eine Besichtigung war der Nachmittag viel zu weit fortgeschritten.

Vera stieg aus dem Taxi und versuchte an der Kontrollstelle auf Englisch zu erklären, was ihr Problem war.

Die Dame, die hinter dem Schalter saß, schien zuerst nicht recht zu verstehen, doch dann sah Vera, dass Henry im Hintergrund auf einem Hocker saß und ihr zuwinkte.

Jetzt lächelte die Dame in der Kontrollstelle und sagte in einwandfreiem Englisch: „OK, das ist deine Mama, geh zu ihr.“

Henry fiel Vera um den Hals und beide waren erleichtert, dass alles gut ausgegangen war. Henry sprudelte heraus, dass er die deutsche Reisegruppe, mit der er in der Cheopspyramide war, plötzlich wieder getroffen hatte. Diese hatte mit dem Bus eine Rundfahrt über das Gizeh-Plateau mit ausgiebigen Fotostopps gemacht. Die Dame, mit der er in der Königskammer diskutiert hatte, hatte ihn vom Bus aus wiedererkannt und den Busfahrer zum Halten genötigt. „Was macht der Kleine da so allein mitten in der Landschaft“, hatte sie gerufen. Denn Henry wollte zum Ausgang, war aber falsch abgebogen und in die Wüste hinausgelaufen, wo sie ihn zum Glück rechtzeitig gefunden hatten.

„Das ist nur passiert, weil die Pyramiden auf allen vier Seiten so gleich aussehen“, erklärte er Vera ganz überzeugt.

Dass dies nicht stimmte, würde Henry sicher bald herausfinden.

Der Taxifahrer war auch ausgestiegen und lächelte, als er Mutter und Sohn so zusammenstehen sah. Vera griff in ihre Handtasche nach dem versprochene Extratrinkgeld.

Der Fahrer deutete hinter Vera und zeigte über die Stadt. Erst jetzt bemerkte Vera, dass man vom erhöhten Gizeh-Plateau einen wunderbaren Blick über fast ganz Kairo hatte.

Der kräftige Wind vom Mittelmeer hatte die Smogglocke der letzten Tage weggeweht und es gab eine für Kairo unübliche Fernsicht. Ganz in der Ferne konnte Vera den Turm des Grand Nil Tower Hotels in der Sonne glänzen sehen. Schräg rechts dahinter müsste das Konferenzzentrum liegen, das natürlich viel zu nieder war, als dass sie es hätte von hier sehen können.

Vera genoss den Augenblick, denn gleich würden sie wieder im beginnenden Kairoer Abendverkehr zurück zum Konferenzzentrum brausen. Auch Henry schaute, an Vera gelehnt, ganz fasziniert auf die gewaltige Stadt, die sich vor ihnen bis zum Horizont erstreckte.

Was aber war das? Am Horizont stieg eine gewaltige schwarze Rauchsäule in den Himmel und verbreiterte sich an ihrem oberen Ende rasch in alle Richtungen.

Das sah nach einem Großbrand aus. Die Rauchsäule stand genau dort, wo Vera das Konferenzzentrum vermutete, und sie wuchs immer noch weiter an.

Ein verdammt ungutes Gefühl bemächtigte sich ihrer. Sie kramte nach ihrem Smartphone und rief Franko an. Sie wolle sich nur überzeugen, dass dort alles OK war, denn die Rauchsäule war sicher nicht das Konferenzzentrum, redete sie sich ein.

„Keine Verbindung, der Teilnehmer ist in keinem Netz eingeloggt“, sagte ihr die automatische Stimme des Anrufbeantworters.

Das konnte nicht sein, Franko musste eingeloggt sein. Hier in Gizeh war der Empfang ausgezeichnet, daran konnte es also nicht liegen. Panik begann in ihr hochzusteigen.

Sie rief die Nummer von Don Pedro, es war dasselbe Ergebnis. Sie konnte auch keinen vom Team erreichen, alle waren wie vom Erdboden verschluckt, das konnte es doch nicht geben.

In dem Augenblick war sie sich nicht sicher, ob sie Don Pedro jemals wiedersehen würde. Wo war diesmal sein sechster Sinn gewesen, wieso hatte er die Gefahr nicht rechtzeitig erkannt?

Da hatte der Taxifahrer sein Smartphone gezückt und hielt Vera einen ägyptischen Nachrichtenkanal unter die Nase. Dieser sendete gerade die ersten Aufnahmen von dem, was einmal das Konferenzzentrum gewesen war. Von dem runden Konferenzgebäude war nichts mehr übrig. Stattdessen stieg eine schwarze Rauchwolke in den Himmel.

„Das ist die Rauchwolke, die wir gerade sehen“, durchzuckte Vera die schreckliche Erkenntnis.

„Wir müssen hin, meine Leute und Don Pedro sind dort“, rief sie aus. Für Panik war jetzt keine Zeit, sie mussten sofort losfahren. Der Fahrer verstand und startete den Wagen, um sich noch schneller als bei der Herfahrt, den Weg zurück zu bahnen.

Während der Fahrt versuchte Vera laufend jemanden vom Team oder Don Pedro zu erreichen, doch alles war vergeblich.

Dann war plötzlich Rüdiger Baumgartner, der CEO ihres Senders in der Leitung: „Gott sei Dank, Vera, du lebst. Ich habe eben die Meldungen am Schirm. Die ganze Welt ist entsetzt. Ich kann außer dir niemanden erreichen, was genau ist passiert. Weißt du mehr über den Anschlag, das muss eine riesige Bombe gewesen sein, das ganze Gebäude ist weggesprengt worden.“

Sie berichtete Rüdiger kurz den aktuellen Sachverhalt. Dann war das Gespräch auch schon zu Ende, da sie Rüdiger keine neuen Informationen liefern konnte.

Sie sah Henry an, der neben ihr ganz verschreckt auf der Rückbank des Mondeos saß. Sie dachte, dass ihr Henry mit seinem Weglaufen das Leben gerettet hatte. Denn sonst läge sie auch tot unter den Trümmern.

Don Pedro war tot. Er, der die ganze Welt gerettet hatte, war von feigen Attentätern ermordet worden, die den Krieg wollten. Das war nicht zu ertragen. Im Autoradio redete der Nachrichtensprecher von nichts anderem als dem Anschlag, aber Vera konnte kein Arabisch und der Fahrer zu wenig gut Englisch, um sie über den Inhalt informieren zu können.

Als sie auf einer der Stadtautobahnen fuhren, sah Vera, wie einige Jets der ägyptischen Luftwaffe im Tiefflug über die Stadt donnerten. Hier gab es wohl Großalarm, dachte sie.

Je näher sie dem Ort des Konferenzzentrums kamen, desto mehr Blaulicht sah Vera. Hubschrauber knatterten über der Autobahn und versuchten zu landen. Der Verkehr kam zum Stillstand, Krankenwagen versuchten sich einen Weg durch die stehenden Kolonnen zu bahnen und drängten sich rücksichtslos durch. Polizisten in voller Kampfmontur waren plötzlich auf den Straßen zu sehen und versuchten vergeblich, den Verkehr zu regeln.

Der Taxifahrer kannte keine Bedenken und hängte sich hinter einen Krankenwagen, der vor ihm die Spuren freiräumte. So kamen sie rasch in die Nähe des Konferenzzentrums. Doch einige hundert Meter vorher hatte das Militär alles abgesperrt. Nur Einsatzkräfte ließen sie durch. Für das Taxi war hier Endstation.

Nachdem Vera den Fahrpreis nochmals verdoppelt hatte, erklärte der Fahrer, er werde bei Allah für Don Pedros Seele beten, dass es ihm im Himmel gut gehen möge.

Der Fahrer wünschte ihnen den Segen Allahs, wendete den Wagen und fuhr zurück. Vera und Henry gingen zu Fuß bis zum Posten vor und Vera zeigte ihren Konferenzausweis. Doch dieser beeindruckte die Soldaten des Postens wenig. „No entrance“, war das Einzige, was sie sagten und versperrten mit ihren Sturmgewehren den Weg.

Hinter der Absperrung konnte Vera das Chaos erkennen, das rund um das zerstörte Konferenzzentrum herrschte. Überall lagen Trümmerteile herum, Polizeiautos und Krankenwagen standen chaotisch dazwischen. Feuerwehrleute legten Schlauchleitungen.

Die Rauchsäule hatte sich bereits verzogen und Vera sah die Reste des Konferenzzentrums. Das runde Gebäude war komplett eingestürzt. Da gab es sicher kaum Überlebende.

Immer mehr ägyptische Journalisten fanden sich an der Absperrung ein. Aber auch diese wurden vom Militär nicht durchgelassen.

Vera telefonierte mit Rüdiger und lieferte via Smartphone eine kurze Videoreportage für den Sender in der sie die Ereignisse aus ihrer Sicht schilderte. Die Reportage war von Wien aus live auf Sendung geschaltet worden. Von ihrem Team hatte sie noch immer niemanden erreichen können.

Plötzlich war alles anders und mitten in der Reportage rief Janko Franitsch auf ihrem Smartphone an. Sie nahm das Gespräch an und improvisierte eine Dreierkonferenz mit Janko und Wien, die live im POF-TV zu sehen war. Emotionale Höchstspannung vom Härtesten, wie Rüdiger dachte.

„Franko, du lebst, wie geht es euch, sind alle wohlauf?“, fragte eine emotional aufgewühlte Vera.

Franko erklärte mit bewegter Stimme, was er erlebt hatte: „Im Saal gab es eine gewaltige Explosion, wir sind alle zu den Ausgängen gestürzt. Unser Team war in der Cafeteria gewesen, Journalisten hatten nicht in den Saal gedurft. Die Pressekonferenz war um eine Stunde nach hinten verschoben worden. Von der Cafeteria war es nur ein kurzer Weg nach draußen. Dann ist das ganze Gebäude in die Luft geflogen. Überall Trümmer und viele Tote. Da hat es auch viele Journalisten erwischt, die noch nicht draußen waren. Unser Team hat unverletzt überlebt, nur ich habe ein paar Metallsplitter von irgendeiner Verkleidung in den Oberschenkel abbekommen und bin in ein Krankenhaus gebracht worden, von wo ich jetzt anrufe. Viele Smartphones und technische Geräte sind bei der Flucht im Gebäude zurückgeblieben, daher können viele Leute jetzt nicht erreicht werden“, schloss er seine Ausführungen.

„Und was ist mit den Konferenzteilnehmern?“, war Veras nächste Frage.

„Ich weiß nicht, ob jemand überlebt hat, aber die erste Explosion im Saal war so heftig, dass es die Saaltüren aus den Angeln gerissen hat. Da sieht es nicht gut aus.“

Vera beendete mit erschütterter Miene die Liveschaltung und betonte in ihrem Schlusssatz, dass der Friede in der Region nun wohl wieder in weite Ferne gerückt sei und wir alle an Don Pedro und Scheich Abdullah Ibrahim, den Organisator der Konferenz gedenken sollen, die heute hier wahrscheinlich ums Leben gekommen sind, bei einem feigen und hinterhältigen Terroranschlag.

Dann sah sie Henry, der ein wenig Abseits stand und hemmungslos schluchzte. Sie nahm ihn in die Arme und konnte ihre eigenen Tränen nicht mehr unterdrücken.

„Warum sind die Menschen so böse“, klagte Henry.

Kapitel 8

Von all diesen Ereignissen hatte Otto Rauhenstein in Wien noch keine Ahnung. Er saß mit drei Anwälten und einem Notar in einer der noblen Anwaltskanzleien in der Inneren Stadt mit Blick auf den Burggarten und die neue Hofburg, in der einst der Kaiser residiert hatte.

Es war nun notariell bestätigt, dass sein Vater kein Testament gemacht hatte. Otto als einziger Sohn war der Alleinerbe, da es keine weiteren Verwandten gab, die erbberechtigt hätten sein können.

Die Anwälte seines Vaters hatten eine Vermögensaufstellung zur Sitzung mitgebracht und Otto hätte fast laut aufgejubelt, als er sie überflogen hatte.

Das waren weit mehr Werte, als er je gedacht hätte. Dabei hatte er immer geglaubt, über die Vermögensverhältnisse seines Vaters und seine Geschäfte bestens Bescheid zu wissen, doch das war ein Irrtum gewesen.

Es gab Firmenbeteiligungen, von denen er keine Ahnung hatte. Aktiendepots, deren genaue Werte erst ermittelt werden mussten. Etliche Grundstücke in Wien, in bester Lage waren auch dabei. Auf manchen dieser Grundstücke standen ertragreiche Zinshäuser innerhalb des Gürtels.

Die schönste Immobilie war selbstverständlich Schloss Rauhenstein im Waldviertel. Das allein war schon einige Millionen Euro wert. Falls es je zum Verkauf stünde und falls sich ein Käufer fand.

Selbst das Grundstück, auf dem einmal die väterliche Villa gestanden hatte, bevor sie in die Luft gesprengt worden war, hatte einen Wert von rund viereinhalb Millionen Euro, wie ihm einer der Anwälte versicherte.

Otto realisierte erst langsam, dass er ab nun, wenn er das Erbe annahm, zu den reichsten Leuten des Landes gehörte. Sein Vater hatte diesen Reichtum geschickt versteckt und ihm war gar nicht aufgefallen, dass das Vermögen so groß war.

Eigentlich ein schweres Versäumnis, musste Otto denken.

Erst heute Morgen hatte er einen Termin im Justizpalast gehabt. Er war zusammen mit Sylvia Rabenstein und einem seiner Anwälte vorgeladen gewesen.

Der Leiter der Oberstaatsanwaltschaft von Wien war in der Sitzung persönlich anwesend, was Otto als sehr ungewöhnlich empfand. Es war das erste Mal, dass er mit ihm persönlich zusammentraf. Er kannte ihn bisher nur aus Medienberichten. Otto fand, er sei ein unnahbarer Bürokrat mit verkniffenem Gesichtsausdruck und einer altmodischen Brille.

Ein weiterer anwesender Staatsanwalt hatte das Protokoll zur Einstellung aller Verfahren gegen Otto und Vera Rauhenstein verlesen.

Der Leiter der Oberstaatsanwaltschaft hatte sich anschließend für die falschen Verdächtigungen entschuldigt. Diese waren der Staatsanwaltschaft von dritter Seite zugespielt worden. Inzwischen wisse man, wer dahinterstecke. Aus Gründen des Amtsgeheimnisses und der Amtsverschwiegenheit könne er die Identität dieser Dritten Otto nicht mitteilen.

Nach den Urhebern des Anschlags auf seinen Vater werde weiterhin intensiv gefahndet, es gäbe im Augenblick aber keine heiße Spur, wie der Leiter der Oberstaatsanwaltschaft bedauernd feststellte.

Otto dachte: „Was redet der jetzt für einen Unsinn, wir alle wissen, wer dahintersteckt. Sylvia selbst hat es mir gesagt. Die konkreten Täter sind längst außer Landes. Aber die auftraggebende amerikanische Behörde gehört zur Verantwortung gezogen. Schließlich sind meine Eltern bei dem Anschlag ums Leben gekommen.“

Er wollte eben seinen Unmut in dieser Richtung Luft machen und setzte zu einer Entgegnung an, als ihn der Leiter der Oberstaatsanwaltschaft unterbrach: „Ich weiß, Herr Otto Rauhenstein, wie Sie fühlen, und was für ein schwerer Verlust der Tod Ihrer Eltern für Sie sein muss. Jetzt nachdem Sie von jedem Verdacht reingewaschen sind, darf ich Ihnen mein Beileid im Namen der gesamten Staatsanwaltschaft aussprechen.“

Otto wollte ihn unterbrechen, doch der Leiter ließ das nicht zu: „Ich bin noch nicht fertig. Ich möchte, dass Sie wissen, die Auftraggeber des Anschlags sind nicht in der Reichweite der österreichischen Justiz. Wenn Sie jetzt Lärm schlagen wollen, dann kann ich das zwar verstehen, ich kann Sie aber nur warnen, etwas zu unternehmen. Dann stünden wir nicht mehr auf Ihrer Seite, da alles, was Sie aufdecken oder glauben zu wissen, zu internationalen Verwicklungen führen würde. Und diese können wir uns im Augenblick nicht leisten, bei dem Chaos, das überall da draußen herrscht. Wir brauchen die Unterstützung befreundeter Dienste. Habe ich mich klar genug ausgedrückt?“

Otto seufzte und sah Sylvia an, die neben ihm saß. Diese senkte den Blick. Bevor sie die Seite gewechselt hatte und Otto unterstützte, war sie Teil des Teams gewesen, das Otto hätte töten sollen. Bei dieser Aktion in Tiflis wäre sie dann selbst fast im Kugelhagel gestorben. Otto hatte ihr das Leben gerettet, wofür sie ihm immer noch dankbar war.

Vor zwei Tagen hatte sie ihre Otto entlastende Aussage zu Protokoll gegeben und dabei ihre Rolle möglichst klein geredet.

Alle schwiegen, bis Ottos Anwalt das Wort ergriff: „Ich glaube, dass wir hier nicht weiter nachfragen sollten, denn du, lieber Otto, bist Geschäftsmann, an die internationale Politik solltest du nicht anstreifen. Da verbrennst du dir die Finger. Denk an unseren Termin heute Nachmittag“, spielte er auf den Notartermin an, bei dem es um Ottos Erbe ging.

Der Leiter der Oberstaatsanwaltschaft lächelte süffisant und meinte: „Das sind weise Worte. Und um Ihnen den Entschluss leichter zu machen, kann ich Ihnen etwas verraten, das kein Amtsgeheimnis ist. Das Finanzministerium hat die Weisung bekommen, nicht zu untersuchen, woher das Vermögen Ihres verstorbenen Vaters genau gekommen ist. Die Republik wird keine Untersuchung einleiten und keinerlei Ansprüche stellen. Das muss Sie doch unheimlich erleichtern.“

„Verdammt, was wissen diese Beamten und was vermuten sie nur. Wenn es aber stimmt, was er sagt, dann bin ich aus dem Schneider und kann das Erbe antreten“, überlegte Otto.

„Mein Erbe als Schweigegeld für die illegalen Machenschaften der Amerikaner“, musste Otto jetzt laut sagen.

Der Leiter hob entsetzt die Braue und wollte mit einer scharfen Entgegnung loslegen, doch diesmal deutete Otto, dass er noch nicht fertig sei: „Keine Aufregung, es musste hier einmal gesagt werden, was Sache ist. Damit stimme ich dem Deal zu und werde künftig in dieser Sache nicht lästigfallen. Das ist doch in Ihrem Sinne, Herr Oberstaatsanwalt.“

Dieser entspannte sich wieder und meinte: „Wenn Sie das so sehen, dann soll es mir recht sein. Hauptsache, es gibt keine internationalen Verwicklungen.“

Damit war die Unterredung beendet und Otto trat mit Sylvia vor dem Justizpalast ins Freie.

Lärm brandete ihnen entgegen. Demonstranten mit Megafonen und gefüllten Bierflaschen, die sie gegen Autoscheiben warfen, zogen am Justizpalast vorbei. Lautstark wurde der Rücktritt der Regierung gefordert. Anarchie lag in der Luft. Polizeihundertschaften in voller Ausrüstung kamen gerade erst auf den Plan. Die Demo war wieder einmal illegal und nicht angemeldet gewesen. Bald würde hier die nächste Straßenschlacht toben. Solche Szenen kamen in Wien inzwischen beinahe täglich vor.

Otto nahm Sylvia am Arm und zog sie rasch weg. „Schnell, da drüben ist ein Café, da sind wir sicher“, rief er aus. Sie machten sich rasch auf den Weg. Dabei drückte sie sich an den Arm von Otto.

Kapitel 9

Vera war mit Henry wieder in ihrer Suite im Grand Nil Tower Hotel angelangt. Ein gewöhnliches Taxi hatte sie vom zerstörten Konferenzzentrum zurück ins Hotel gebracht.

Wie gut war ihre Stimmung noch heute Morgen gewesen, voll Vorfreude auf die Konferenz und die Möglichkeit eines dauerhaften Friedens in der Region in Reichweite.

Nun war sie am Boden zerstört, Don Pedro tot, alles Positive vernichtet. Wie sollte es jetzt weitergehen? Hier in Ägypten hatten sie nichts mehr verloren. Sie sollten heimfliegen, war ihr erster Gedanke.

Henry hatte den riesigen Flatscreen aktiviert, der gegenüber der weitläufigen Sitzgruppe an der Wand hing und schmiss sich traurig in die Polsterung. BBC war schon voreingestellt, da Henry die letzten Tage viel Zeit vor dem Gerät verbracht hatte.

Es lief eben eine Sondersendung und ein Reporter berichtete aus Kairo. Vera erkannte, dass BBC zwei Teams in der Stadt gehabt hatte, eines im Konferenzzentrum und eines außerhalb, um Stimmungen einfangen zu können.

Vom Team aus dem Konferenzzentrum fehlte jede Spur. Anscheinend hatte von diesem Team niemand überlebt. Doch das andere Team war nahe genug am Geschehen, um live berichten zu können. Der Reporter war Ägypter, sein Englisch war perfekt.

Einen Moment war Vera neidisch auf die Ressourcen, die den BBC-Leuten zur Verfügung standen. Bei POF-TV sprach niemand Arabisch.

Es gab erste Erkenntnisse der ermittelnden Behörden, teilte BBC mit. Die Rettungsteams hatten in den zerstörten Sitzungssaal vordringen können. Dort hatte die erste Explosion stattgefunden. Der Sprengstoff war in den Stahlrohrrahmen der Tische versteckt gewesen, die extra für die Konferenz angeliefert worden waren. Die Stahlrohre waren mit Semtex randvoll gefüllt gewesen, welches durch kleine extra Sprengsätze per Fernzündung zur Explosion gebracht worden war. Semtex kann nur durch Druck gezündet werden, erklärte der Reporter.