Wiedersehen in Irland- oder: Übermorgen kommt das Glück - Melissa Hill - E-Book
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Wiedersehen in Irland- oder: Übermorgen kommt das Glück E-Book

Melissa Hill

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Beschreibung

Können sie ihre Freundschaft retten? Der gefühlvolle Roman »Wiedersehen in Irland« von Melissa Hill jetzt als eBook bei dotbooks. Die eigenwillige Robin lebt in New York und scheint fest entschlossen, nie wieder nach Dublin zurückzukehren – zu schwer wiegen die Ereignisse, die sie vor fünf Jahren von hier fortgetrieben haben. Als eine Lesereise sie zwingt, wieder Heimatboden zu betreten, kann sie nicht mehr länger vor der Vergangenheit davonlaufen. So folgt sie dem Wunsch ihrer Jugendfreundin Leah und versucht, ihre Freundinnen von einst wieder zusammenzubringen. Doch Olivia ist gefangen in der Trauer um ihren kleinen Sohn – und Kate kann Robin nicht verzeihen, dass sie nicht für Olivia da war. Robin spürt, dass nur die Wahrheit ihre Freundschaft retten kann. Doch werden die vier Frauen den Mut aufbringen, sich ihrer Vergangenheit zu stellen? »Von Anfang bis Ende ein absolutes Vergnügen!« Irish Independent Jetzt als eBook kaufen und genießen: Der bewegende Freundinnenroman »Wiedersehen in Irland« von Melissa Hill wird Fans von Katie Fforde und Maeve Binchy begeistern. Wer liest, hat mehr vom Leben: dotbooks – der eBook-Verlag.

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Seitenzahl: 570

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Über dieses Buch:

Die eigenwillige Robin lebt in New York und scheint fest entschlossen, nie wieder nach Dublin zurückzukehren – zu schwer wiegen die Ereignisse, die sie vor fünf Jahren von hier fortgetrieben haben. Als eine Lesereise sie zwingt, wieder Heimatboden zu betreten, kann sie nicht mehr länger vor der Vergangenheit davonlaufen. So folgt sie dem Wunsch ihrer Jugendfreundin Leah und versucht, ihre Freundinnen von einst wieder zusammenzubringen. Doch Olivia ist gefangen in der Trauer um ihren kleinen Sohn – und Kate kann Robin nicht verzeihen, dass sie nicht für Olivia da war. Robin spürt, dass nur die Wahrheit ihre Freundschaft retten kann. Doch werden die vier Frauen den Mut aufbringen, sich ihrer Vergangenheit zu stellen?

»Von Anfang bis Ende ein absolutes Vergnügen!« Irish Independent

Über die Autorin:

Melissa Hill ist eine USA-Today-Bestsellerautorin aus dem irischen County Wicklow. Ihre Romane über Familie, Freundschaft und Liebe erschienen bislang in über 26 Sprachen. Ihr Roman »Ich schenk dir was von Tiffany’s« wurde von Reese Witherspoons Produktionsfirma »hello sunshine« für Amazon Prime mit dem Titel »Weihnachtsgeschenke von Tiffany« verfilmt.

Die Website der Autorin: melissahill.info

Auf Facebook: facebook.com/melissahillbooks

Auf Instagram: instagram.com/melissahillbooks/

Bei dotbooks veröffentlichte die Autorin ihre gefühlvollen Romane »Ich schenk dir was von Tiffany’s«, »Wiedersehen in Irland«, »Der Himmel über Castlegate«, »Die Schwestern von Killiney«, »Wiedersehen in Dublin« und »Das Glücksarmband«.

***

eBook-Neuausgabe März 2024

Die englische Originalausgabe erschien erstmals 2005 unter dem Originaltitel »Never Say Never« bei Poolbeg, Dublin. Die deutsche Erstausgabe erschien 2006 unter dem Titel »Übermorgen kommt das Glück« bei Droemer Knaur.

Copyright © der englischen Originalausgabe 2005 by Melissa Hill

Copyright © der deutschen Erstausgabe 2006 für die deutschsprachige Ausgabe by Knaur Taschenbuch. Ein Unternehmen der Droemerschen Verlagsanstalt Th. Knaur Nachf. GmbH & Co. KG, München.

Copyright © der Neuausgabe 2024 dotbooks GmbH, München

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Titelbildgestaltung: Covergestaltung: Wildes Blut – Atelier für Gestaltung Stephanie Weischer unter Verwendung mehrerer Bildmotive von © shutterstock

eBook-Herstellung: Open Publishing GmbH (mm)

ISBN 978-3-98690-929-1

***

Liebe Leserin, lieber Leser, wir freuen uns, dass Sie sich für dieses eBook entschieden haben. Bitte beachten Sie, dass Sie damit gemäß § 31 des Urheberrechtsgesetzes ausschließlich ein Leserecht erworben haben: Sie dürfen dieses eBook – anders als ein gedrucktes Buch – nicht verleihen, verkaufen, in anderer Form weitergeben oder Dritten zugänglich machen. Die unerlaubte Verbreitung von eBooks ist – wie der illegale Download von Musikdateien und Videos – untersagt und kein Freundschaftsdienst oder Bagatelldelikt, sondern Diebstahl geistigen Eigentums, mit dem Sie sich strafbar machen und der Autorin oder dem Autor finanziellen Schaden zufügen. Bei Fragen können Sie sich jederzeit direkt an uns wenden: [email protected]. Mit herzlichem Gruß: das Team des dotbooks-Verlags

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Besuchen Sie uns im Internet:

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blog.dotbooks.de/

Melissa Hill

Wiedersehen in Irland

Roman

Aus dem Englischen von Grace Pampus

dotbooks.

DANKSAGUNGEN

Ich möchte auch diesmal nicht versäumen, Kevin für alles zu danken und ihn meiner Zuneigung zu versichern. Ich finde nicht genug Worte des Dankes für alles, was du für mich getan hast, vor allem deine Fahrdienste waren immer sehr willkommen. Irgendwann werde ich den Führerschein schon bestehen – mit viel Glück.

Dank auch an Homer, der mich immer wieder zu Spaziergängen einlädt und dafür sorgt, dass ich an die frische Luft komme.

Mam und Dad, vielen Dank für die fantastische Unterstützung und die ermutigenden Worte – die anderen beiden nicht zu vergessen, die unermüdlich Werbung für mich gemacht haben. Sie werden in diesem Buch noch gesondert erwähnt.

Auch Fiona, Breda, Aine und Lisa gebührt mein Dank. Sie brachten mich immer wieder auf den richtigen Weg, wenn ich in der Handlung einmal auf Abwege geriet (keine Angst, ihr seid sicher)! Besonders erwähnen möchte ich die frisch gebackene Mama Maria (die übrigens nichts mit der jungen Mutter in dieser Geschichte zu tun hat). Herzlich willkommen, Baby Cathal!

Dank auch an Ger Nichol, der mir stets mit Rat und Tat zur Seite stand. Dank an das ganze Team bei Poolbeg: Kieran, Brona, Claire, Lynda und vor allem Paula, die wie immer unerschütterlichen Beistand leisteten. Ich könnte mir keinen besseren Verlag wünschen. Besonderen Dank auch an Gaye, die stets humorvolle und geduldige Lektorin.

Vielen Dank an alle bei AP Watt, insbesondere an Tania, Linda und die immer freundliche Sheila Crowley für ihre Begeisterung über meine Arbeit. Vielen Dank, dass ihr euch für mich entschieden habt.

Großen Dank an alle Mitarbeiter von Eason, Hughes & Hughes, Argosy, Dubray, Byrne Group und an die Buchhändler des Landes für die riesige Unterstützung, die sie meinen Büchern angedeihen lassen – ich weiß es zu schätzen. Mein besonderer Dank gilt meinen hiesigen Buchhändlern: Bridge Street Books, Wicklow, Dubray, Bray, The Wexford Bookshop, The Book Nook, Cashel and Eason, Clonmel.

Ebenso möchte ich mich bei Donan’s Super Valu für die große Hilfe bedanken, und bei meinen Freunden und Nachbarn in Wicklow und in meiner Heimatstadt Cahir, die mich und meine Bücher sehr unterstützt haben. Vielen Dank an alle, es bedeutet mir sehr viel!

Dank an Tony Butler, Lynne Glanville, Tipp FM, East Coast FM und an alle Journalisten bei Presse, Rundfunk und Fernsehen für die große Unterstützung.

Vielen Dank an Sarah Webb, die für mich unterhaltsame Veranstaltungen, Ausflüge und Dinner mit irischen Mädchen arrangiert hat. Ohne euch wären wir in der Arbeit versunken!

Gute Arbeit, Colleen O’Neill! Du hast dir einen besonderen Platz in Wiedersehen in Irland verdient. Hoffentlich gefällt es dir, Colleen. Dank an alle, die ebenso wichtig waren, ich hätte euch gern erwähnt, aber das würde das Buch um viele Seiten verlängern!

Zuletzt noch großen, großen Dank an alle Leser. Ich freue mich über jeden, der meine Bücher kauft und liest. Vielen Dank an alle, die mir auf meine Website www.melissa-hill.info erfreuliche Nachrichten und positives Feedback geschickt haben. Es bedeutet mir viel, und ich freue mich über jede Mitteilung.

Ich hoffe sehr, dass Ihnen allen Wiedersehen in Irland viel Freude bereitet.

Für meine lieben Schwestern Amanda & Sharon.

Euch sei dieses Buch gewidmet!

PROLOG

Ende der neunziger Jahre

»Wenn der Mensch plant, hat Gott etwas zu lachen.« Bei den Gesprächen der anderen musste Robin an das alte jüdische Sprichwort denken. Sie fühlte sich nie ganz wohl, wenn es um die »Zukunft« ging.

An einem milden Abend Ende Mai, kurz vor den Abschlussprüfungen des University College Dublin, saßen Robin und ihre Freunde am Seeufer von St. Stephen’s Green im Gras und unterhielten sich über die Frage: »Wo stehe ich wohl in fünf Jahren?«

»Andrew wird ein großer Sportstar«, erklärte Amanda, schmiegte sich an die breite Brust ihres Freundes und strich sich eine blonde Locke aus dem hübschen Gesicht. Kate verdrehte die Augen. »Dafür musstest du wohl Überstunden an der Kristallkugel machen«, bemerkte sie bissig. Nach der Uni wollte Andrew sich um einen Vertrag bei einem bekannten irischen Rugbyclub bemühen.

Amanda warf Kate einen verächtlichen Blick zu. »Du wirst zweifellos in der Politik landen und uns wie immer Vorträge halten.«

Andrews Freundin Amanda und Kate konnten sich nicht ausstehen. Sie schafften es immer wieder, sich zu streiten, dachte Robin schmunzelnd, und keine von beiden machte einen Hehl aus ihrer Abneigung.

»Was ist mit dir, Honey?«, fragte Andrew und widmete ihr, die sich immer nach Zuwendung sehnte, seine ganze Aufmerksamkeit. »Was willst du mal werden?«

Amanda kicherte. »Berühmt, natürlich«, antwortete sie zuversichtlich. »Ich werde entweder in der Musikbranche, als Model oder vielleicht sogar im Fernsehen bekannt.« Wieder strich sie sich das blonde Haar aus dem Gesicht.

»Ja, ich sehe es schon vor mir: Die Amanda-Langan-Show!«, meldete sich Peter lachend zu Wort.

Kate schnaubte, und Amanda warf ihr wieder einen strafenden Blick zu.

»Was ist mit dir, Peter?«, wollte Kate wissen.

Peter studierte Radiologie und interessierte sich sehr für die Umwelt. Das hatte er von seiner langjährigen Freundin Olivia übernommen, die gleichzeitig auch Robins beste Freundin war. Er war wohl der attraktivste Mann der Gruppe. Durch seine wunderschönen dunklen Augen, das markante Gesicht und den hellen Teint war er eine atemberaubende Erscheinung.

»Da musst du meine Frau fragen«, entgegnete Peter und zwinkerte Robin zu.

Amanda fuhr herum und blickte ihn entsetzt an. »Du hast doch nicht etwa um ihre Hand angehalten?«

Robin unterdrückte ein Lächeln. Wenn überhaupt ein Paar dieser Gruppe zum Altar schreiten wollte, dann waren es Amanda und Andrew. Auf keinen Fall würde Amanda zulassen, dass sich dieses spießige, durchschnittliche Paar Olivia Dunne und Peter Gallagher zuerst verlobten und ihr die Show stahlen!

Peter erriet ihre Gedanken und lachte. »Falls ich mich dazu entschließen sollte, wirst du es als Erste erfahren.«

Mit weit aufgerissenen, strahlend blauen Kulleraugen schmiegte Amanda sich an Andrew. Robin warf Kate heimlich einen Blick zu. Beide konnten sehen, dass Amanda im Geiste schon Pläne schmiedete, wie sie Andrew dazu bringen konnte, um ihre Hand anzuhalten, bevor Olivia und Peter sie um Haaresbreite schlugen. Sie grinsten beide.

»Also, abgemacht«, sagte Andrew und zählte die genannten Wünsche an den Fingern auf. »Amanda wird ein Fernsehstar, ich ein Sportstar, die beiden Turteltauben Peter und Olivia retten die Welt, Kate erledigt die Schreibarbeiten ...« Zu Amandas Verdruss zwinkerte er Kate zu. »Und Leah wird natürlich ihr eigenes Restaurant führen.«

Robin lächelte stolz. Ihre Freundin Leah machte eine Lehre auf der Hotelfachschule und war eine ausgezeichnete Konditorin. Sie war sehr engagiert und fleißig, deshalb war sich Robin sicher, dass sie am ehesten Karriere in ihrem erwählten Beruf machen würde.

»Wer fehlt noch?«, fuhr Andrew fort, und Robin bemühte sich, ihr Unbehagen zu verbergen. Sie hasste diese Gespräche, weil sie immer an den Tag brachten, dass sie selbst weder Talent noch Ausstrahlung hatte. Sie war nicht so hübsch wie Amanda, nicht so talentiert wie Leah und auch nicht fürsorglich und mütterlich wie Olivia. Sie war die Außenseiterin, still und ein wenig sonderbar, sie schien im Hintergrund zu verblassen.

In diesem Augenblick gesellte sich Peters Freundin Olivia zu ihnen, gleich dahinter kam die angehende Zuckerbäckerin Leah.

»Hey, es wird aber auch Zeit!«, rief Peter. »Wo seid ihr so lange gewesen?«

»Wir haben Süßigkeiten besorgt«, antwortete Leah mit vollem Mund und setzte sich.

Robin schmunzelte. Leah schien ständig zu essen, als angehende Köchin blieb ihr auch nichts anderes übrig. Erstaunlicherweise nahm sie dabei nicht ein Gramm zu. »Möchte jemand Schokolade?« Sie wedelte mit einem Schokoriegel. »Oh, entschuldige, Robin, das hätte ich fast vergessen!« Rasch entfernte sie die Tüte mit den Süßigkeiten aus Robins Reichweite. »Es ist wohl besser, wenn du nicht damit in Berührung kommst.« »Danke!« Robin grinste.

»Ich sage nicht nein.« Amanda griff nach der Tüte. »Ich muss schließlich nicht auf meine Figur achten.«

»Haben wir etwas verpasst?«, fragte Olivia und machte es sich auf dem Rasen bequem.

»Amanda hat die Kristallkugel gerieben und uns die Zukunft vorhergesagt«, informierte Kate sie und verdrehte dabei demonstrativ die Augen, um allen zu zeigen, wie albern sie dieses Gespräch fand.

»Oh, ich liebe solche Gespräche!« Olivia war sofort Feuer und Flamme und beugte sich gespannt vor. »Lass mich raten, Andrew wird eine Karriere als Sportler machen, Leah wird – mal sehen – eine berühmte Fernsehköchin oder ... was ist?« Sie verstummte, als sie Amandas giftigen Blick bemerkte. »Habe ich etwas Falsches gesagt? Leah hat von uns allen die größte Chance, ein Star zu werden.« Wohl wissend, wie ihre Bemerkung auf Amanda wirken musste, zwinkerte sie Robin verschmitzt zu.

»Und Robin wird ...« Olivia überlegte. Dann wandte sie sich an Robin: »Du wirst uns bestimmt noch alle in Erstaunen versetzen. Ich kann mir gut vorstellen, dass du einmal etwas machst, was anderen Menschen hilft, denn du bist bei weitem der gutherzigste und sensibelste Mensch von uns allen.«

Robin war tief berührt. Gutherzig, sensibel? Wie schön, dass Olivia eine so hohe Meinung von ihr hatte. Über die anderen konnte sie nichts sagen, aber Olivia, Leah und sie würden für alle Zeiten Freundinnen bleiben, egal, was jede von ihnen werden würde.

»Was hast du über mich und Peter gesagt? Warte, lass mich raten! Ich werde ... heiraten«, erklärte Olivia. »Ja, ich mache mein Examen als Tierärztin und arbeite nach unserer Hochzeit noch einige Jahre?« Sie blickte Peter auffordernd an. »Dann bleibe ich gern zu Hause und ziehe alle deine Kinder groß«, fügte sie grinsend hinzu.

»Heiraten, Kinder? Nie im Leben!«, rief er mit gespieltem Entsetzen.

»Viel Glück, Kumpel.« Andrew lachte und rückte ein Stück von Amanda weg.

Olivia zerzauste Peters dunkles Haar. »Naja, nach all den Jahren findest du sicher keine andere Frau, die dich erträgt!« Sie lachte.

Olivia und Peter gehen so unbeschwert miteinander um, dachte Robin, sie sind wie füreinander geschaffen und haben zweifellos eine gemeinsame Zukunft vor sich.

»Ich habe eine Idee«, verkündete Andrew und richtete sich aufgeregt auf. »Wir könnten bei den Buchmachern Wetten abschließen. Mal sehen, ob Amanda tatsächlich ein Fernsehstar oder Leah eine berühmte Köchin wird oder ob du und Peter heiraten werdet ...«

Peter brach in schallendes Gelächter aus. »Typisch Andrew, immer bereit zu einer kleinen Wette!« Er streckte sich aus und legte den Kopf auf den Ellbogen. »Andererseits ist die Idee gar nicht so schlecht. Wir könnten tatsächlich eine Wette abschließen und uns irgendwann wieder verabreden, um zu sehen, ob unsere Vorhersagen eingetroffen sind oder nicht.«

»Ich finde die Idee genial!«, begeisterte sich Amanda, die sich schon ausmalte, wie sie in Designer-Kleidung zu dieser verwöhnten Horde zurückkehrte. »Es macht bestimmt Spaß, zu erfahren, was wir aus unserem Leben gemacht haben und wo jeder gelandet ist ...«

Die ewige Skeptikerin Kate schüttelte frustriert den Kopf.

»Natürlich würde das Spaß machen«, warf Olivia begeistert ein. »Vielleicht bleiben nicht alle in Verbindung, also wäre die Wette doch ein guter Grund, wieder Kontakt aufzunehmen. Warum also nicht?«

»Ich weiß nicht«, meinte Kate. »Jeder gibt nach der Abschlussprüfung diese albernen Wunschprognosen ab, aber sie treffen nicht immer ein.«

»Nun ja, ich würde es darauf ankommen lassen. Was denkt ihr?«, fragte Olivia, und alle, außer Kate, nickten zustimmend.

Als sie merkte, dass sie überstimmt war, hob Kate als Zeichen, aufzugeben, die Hände. »Na gut, wenn ihr unbedingt wollt«, stöhnte sie. »Ich finde die Idee nicht gut, denn jeder geht seinen eigenen Weg und will vielleicht von den anderen nichts mehr wissen. Außerdem kann alles ganz anders kommen. Wir dürfen das Schicksal nicht herausfordern. Wenn nun einer von uns stirbt oder so?« Kaum hatte sie es gesagt, zuckte sie zusammen.

»Kate!«, riefen Leah und Olivia wie aus einem Mund. »So etwas darfst du nicht sagen!«

Robin zog sich der Magen zusammen. War es Einbildung, oder richteten sich in diesem Moment wirklich alle Blicke auf sie?

»Entschuldigung, aber es stimmt doch, man kann nicht wissen, was passiert – niemand kann das.«

»Naja, wenn wirklich was passiert, kommt unser Treffen eben nicht zustande«, entgegnete Olivia übertrieben heiter. »Aber wenn wir es machen, müssen alle mitspielen. Also, bist du dabei oder nicht?«

Kate seufzte: »Na gut, dann mache ich eben mit.« »Prima!« Olivia, die gleich alles organisieren wollte, kniete sich auf den Rasen. »Wo sollen wir uns treffen? Auf dem Uni-Gelände?«

»Warum nicht hier, im St. Stephen’s Park?«, schlug Robin vor.

»Ja! Das wäre ideal«, stimmte Olivia zu. »Na?« Sie blickte in die Runde. Kate zuckte die Schultern, die anderen nickten.

»Gut, abgemacht. An dieser Stelle hier am See.« Olivia biss sich auf die Lippe. »Und wann?«

»Am frühen Abend, da hat jeder noch Zeit für eine Shoppingtour auf der Grafton Street«, meinte Amanda unbekümmert.

»Ich glaube, sie meinte wann – also in welchem Jahr«, zischte Kate.

»Oh, keine Ahnung ... vielleicht in fünf Jahren?«, schlug Amanda vor.

»Fünf Jahre? Ist das nicht zu lange?«, fragte Olivia in die Runde.

»Nicht lange genug«, flüsterte Kate, und Robin kicherte. »Abgemacht«, verkündete Olivia feierlich. »Nächste Woche sind wir mit der Uni fertig und gehen hinaus in die große, schlechte Welt, um unser Glück zu finden. Aller Wahrscheinlichkeit nach werden einige von uns Verbindung halten.« Sie warf Amanda und Kate einen Seitenblick zu. »Trotzdem, um unserer Freundschaft willen und weil wir gemeinsam viel erlebt haben, vereinbaren wir sieben, uns in fünf Jahren genau hier wieder zu treffen.« Sie blickte auf ihre Uhr. »Sagen wir, zur selben Zeit am selben Ort, also am achtundzwanzigsten Mai um fünfzehn Uhr.«

»Auf den achtundzwanzigsten Mai in fünf Jahren!« Leah erhob ihr Glas. Mit zufriedenen Gesichtern und voller Zuversicht taten es ihr die andern nach.

Mit Ausnahme von Kate, die immer noch skeptisch dreinblickte.

Amanda starrte sie an. »Heb endlich dein verdammtes Glas«, befahl sie.

»Das wird nie klappen«, murmelte sie kopfschüttelnd. Ihre Augen blitzten amüsiert auf, als sie widerwillig das Glas hob und ihren Freunden zuprostete. »In fünf Jahren? Und alle sieben sind immer noch befreundet? Ich sage euch, das klappt nie und nimmer.«

Sie sollte Recht behalten.

KAPITEL 1

Sieben Jahre später

Robin stand linkisch vor der Sicherheitsbeamtin.

Ihr Herz klopfte nervös, als sie sie bat – nein, ihr befahl –, die Arme hochzunehmen. Sie gehorchte und streckte die Arme zur Seite wie ein Kruzifix.

Sie tastete Robin rasch und teilnahmslos ab, und wieder einmal fragte sie sich, warum sie sich in solchen Situationen immer wie eine Verbrecherin fühlte, obwohl der Scanner vermutlich nur wegen der Münzen in ihrer Tasche piepste.

Ben stand auf der anderen Seite und lachte. Ihr Freund kam immer ohne Schwierigkeiten durch. Sogar wenn Robin ohne Zwischenfall den Scanner passierte (was nicht sehr häufig vorkam), holten sie die Sicherheitsbeamten fast immer zu einer gründlichen Durchsuchung heraus. Mit ihrem schulterlangen kastanienbraunen Haar und dem hellen Teint sah sie genauso irisch aus wie die Frau hinter ihr. Warum also holten die Sicherheitsbeamten des JFK-Flughafens ausgerechnet sie als mögliche Terroristin heraus? Sie seufzte, sicher ein Zeichen der Zeit. Noch vor ein paar Jahren konnte sie wie andere Amerikaner Flugzeuge und Busse besteigen und ohne Kontrolle von Stadt zu Stadt fliegen. Und wozu hatte das geführt? Eigentlich musste sie froh sein, dass die Beamten so misstrauisch waren.

Nach der Befragung gesellte sich Robin zu Ben in der Abflughalle.

Er schüttelte den Kopf. »Immer dasselbe«, grinste er. »Komm, wir müssen weiter.«

Robin beschleunigte ihre Schritte, und beide eilten zum Gate. Gott sei Dank sind wir noch rechtzeitig am Flughafen angekommen, dachte sie, der Freitagnachmittagsverkehr durch Manhattan ist unbeschreiblich. Sie wohnten nun schon seit sieben Jahren in Manhattan, aber sie hatte sich immer noch nicht an den unerträglichen Verkehr gewöhnt. Der Taxifahrer war wie ein Besessener gefahren, um sie rechtzeitig am Flughafen abzusetzen.

»Hast du die Bordkarten?«, fragte sie Ben, als sie zum Gate kamen.

»Wieso ich? Ich dachte, du hast sie eingesteckt?«, antwortete Ben mit ernster Miene, obwohl das listige Aufblitzen seiner Augen verriet, dass es ein Scherz war. Hoffentlich! »Jetzt ist nicht der richtige Zeitpunkt für Witze, Ben«, schalt sie ihn. »Wir verpassen noch unseren Flug.« »Ach was, die fliegen doch nicht ohne uns!«

»Aber ja«, entgegnete Robin und lächelte dem Steward zu. »Habe ich Recht?«

»Wir starten erst in zehn Minuten, Ma’am«, informierte dieser sie, »aber die Vorschriften ...«

»Ist schon gut, wir sind ja hier«, unterbrach Ben.

»Ihre Pässe, bitte.«

Robin und Ben übergaben ihre irischen Reisepässe und warteten auf die nächste Frage.

»Die Visa, bitte.« Der Mann studierte sorgfältig die Papiere und musterte die beiden von oben bis unten.

»Mein Gott«, sagte Ben, als sie die Gangway hinuntergingen, »haben diese Jungs keinen Sinn für Humor? Ich verstehe ja, dass alles sorgfältig gemacht werden muss, aber es ist doch nur ein kurzer Flug.«

»Wäre es dir lieber, wenn sie nicht so genau wären?« »Nein, aber ...«

»Dann sei still und genieße lieber unseren kleinen Ausflug.«

Als sie beim Einstieg des kleinen Intercity-Hoppers ankamen, zog Ben sie an sich. Robin freute sich sehr auf den Flug. Es war lange her, seit sie zuletzt Urlaub gemacht hatten. Es waren zwar nur wenige Tage in Washington, und sie hatten kaum Zeit, sich etwas anzusehen oder zu unternehmen, aber sie freute sich auf ihren ersten Besuch in der Hauptstadt. Manhattan war manchmal sehr hektisch, und da beide viel Stress bei ihrer Arbeit hatten, tat ihnen diese Abwechslung sicher gut.

Als sie ihre Bordkarte vorzeigte, stieg in Robin wieder das bekannte Gefühl von Angst und Unsicherheit auf.

»Weiter hinten, auf der rechten Seite, die Sitzplätze 10B und 10C«, erklärte ihnen die Stewardess freundlich. Robin lächelte erleichtert, als sie an ihr vorbeiging, weil sich die junge Dame keinen Kommentar erlaubte. Dann erinnerte sie sich, dass auf der Bordkarte keine besonderen Vermerke standen.

Sie bahnten sich langsam ihren Weg den Gang hinunter und stießen dabei gegen Fluggäste, die ihr Gepäck verstauten oder sich auf ihren Sitzen niederließen.

Robin erreichte die Reihe 10 und wollte sich gerade setzen, während Ben wie immer ihr Gepäck verstaute, als ihr plötzlich ein bekannter Geruch in die Nase stieg. Sofort drehte sie sich um und bedeutete Ben, ihr zu folgen.

»Was ist los, Liebes?«, fragte Ben, warf einen schnellen Blick auf die Sitze hinter ihnen und sah, was seine Freundin störte. »Oh, nicht schon wieder«, zischte er ärgerlich. »Können diese verdammten Leute nicht ein einziges Mal zuhören?«

»Setz dich einen Moment ... Ich rede mit ihnen.« Robin hielt nach einer Stewardess Ausschau.

»Bist du sicher, ich komme mit, wenn ...«

»Nein, ich möchte kein Aufsehen erregen«, entgegnete sie und verzog das Gesicht.

Als eine Stewardess ihr vom anderen Ende des Gangs entgegenkam, hielt Robin sie auf. Mit leiser Stimme, damit die anderen Passagiere in ihrer Nähe nicht mithören konnten, beschrieb sie ihr Problem.

»Mal sehen, was ich tun kann, Ma’am«, antwortete die Stewardess vorsichtig. »Aber sehen Sie selbst, es sind fast alle Fluggäste an Bord – es könnte schwierig werden, Ihnen neue Plätze zuzuweisen.«

»Ich verstehe, aber ich habe bei meiner Buchung darauf bestanden, dass eine Regelung gefunden werden muss ... «

»Ja, aber Sie haben einen Platz in den vorderen Reihen – das bereitet Ihnen doch sicher keine großen Probleme, oder?«

»Sehen Sie«, sagte Robin leise und versuchte, ruhig zu bleiben. »Es ist vielleicht schwer zu verstehen, aber es kann tatsächlich große Probleme verursachen. Ich mache Sie ja nicht dafür verantwortlich, aber ich habe bei der Buchung extra darum gebeten, und mir wurde zugesichert ... « Sie verstummte, als sie merkte, dass eine Frau in der Reihe neben ihnen ungeniert zuhörte. »Ich wäre Ihnen sehr dankbar, wenn Sie nachsehen könnten, ob nicht ein Bereich für mich abgetrennt wurde. Vielleicht kann auch jemand die Plätze mit uns tauschen?« Robin lächelte hilfesuchend und hoffte, dass ihre freundliche Bitte erhört würde.

»Na schön, ich werde sehen, was ich für Sie tun kann«, antwortete die Stewardess und entschwand in den vorderen Teil des Flugzeugs.

Robin spürte die Blicke der Passagiere, als sie auf die Rückkehr der Stewardess wartete. Trotz ihrer Beteuerung, die Angelegenheit allein regeln zu können, war sie froh, als Ben sich zu ihr gesellte.

»Was hast du erreicht? Werden sie uns umsetzen?«

»Das werden wir gleich wissen«, meinte sie, als die Stewardess zurückkam. Ihrem Gesichtsausdruck war jedoch zu entnehmen, dass ihre Buchungswünsche nicht beachtet worden waren. Immer dasselbe!

»Es tut mir leid, aber es wurde nichts für sie reserviert, Ma’am«, entschuldigte sich die Stewardess. »Ich kann Ihnen leider nicht sagen, was an unserem Ticketschalter passiert ist. Aber offensichtlich wurde Ihr Buchungswunsch nicht an den Check-in-Schalter weitergegeben. Da dies leider nur ein kleines Flugzeug ist ... « Sie brach ab, als wollte sie sagen, dass in einem beengten Flugzeug wie diesem ein reservierter Bereich sowieso nicht gut möglich war.

»Das darf doch nicht wahr sein!«, warf Ben ein. »Immer dasselbe mit dieser verdammten Fluggesellschaft. Wie kommt es, dass AA und Delta es möglich machen, und nur Ihr Laden ...«

»Ben, lass es gut sein«, besänftigte ihn Robin, obwohl sie ebenso frustriert war wie er. Ihr verdammtes Problem verdarb ihnen wieder einmal das Wochenende! Manchmal wunderte sie sich, wie er das ertrug. »Sehen Sie«, sagte sie zur Stewardess, »ich habe bei der Buchung extra darum gebeten, und man hat mir versichert, dass es in Ordnung geht.« Den letzten Teil des Satzes zischte sie durch die Zähne, als sie aus dem Augenwinkel sah, wie die neugierige alte Dame wieder die Ohren spitzte.

»Vielleicht haben unsere Mitarbeiter Sie falsch verstanden«, meinte die Stewardess. »Wie wär’s, wenn ich die besagten Passagiere bitte, sie während des Fluges einzustecken? Wir teilen sie sowieso nicht mehr aus. Würde Ihnen das helfen?«

Robin hasste es, wenn die Leute sie ansahen, als wäre sie eine hysterische, hypochondrische Kuh – wie es die Stewardess gerade tat. Aber die Menschen kapierten nicht, dass es ihr nicht um Aufmerksamkeit oder Bevorzugung ging. Sie hatte tatsächlich ein ernsthaftes Problem.

»Ich fürchte, das ist alles, was wir jetzt noch tun können«, erwiderte Robin frustriert. Sie folgten der Stewardess zu ihren Plätzen. Ein Blick auf Ben, und sie wusste, dass er vor Ärger fast platzte. Robin wahrte die gebührende Distanz, als Ben und die Stewardess vor den Passagieren in der Reihe hinter ihren Plätzen stehen blieben.

»Entschuldigen Sie, Ma’am«, sagte die Stewardess freundlich zu der übergewichtigen Dame, offensichtlich in Begleitung ihres Ehemanns und ihres Sohns, »ich möchte Ihnen keine Unannehmlichkeiten bereiten, aber wäre es möglich, dass Ihr Sohn für die Dauer des Fluges sein Knabberzeug wieder einsteckt? Oder möchten Sie lieber im vorderen Teil des Flugzeugs Platz nehmen? Wir haben heute einen Passagier an Bord, der besondere ...«

»Was soll das?« Die Frau kniff ärgerlich die Augen zusammen. »Ich habe diesen Platz extra gebucht, weil ich mit meinen Nieren in der Nähe der Toilette sitzen muss. Wo ist das Problem? Verbietet die Sicherheitsbehörde neuerdings das Essen in Flugzeugen?«

»Nein, nein, natürlich nicht, Ma’am«, lenkte die Stewardess ein. »Nach dem Start servieren wir Ihnen gratis Erfrischungen und Snacks. Wenn Sie nun so freundlich wären und ...«

»Gratis? Das ist ja wohl selbstverständlich, bei den überhöhten New Yorker Preisen!«, mischte sich der Gatte in rüdem Ton ein. »Ihr habt die Triebwerke noch nicht angeworfen, und mein Junge hier hat Hunger.« Er starrte die Stewardess an. »Steht hier etwa irgendwo ›Essen verboten‹?« Mit diesen Worten beugte er sich vor und zog ein Päckchen Erdnüsse aus der Sitztasche. Instinktiv wich Robin zurück.

»Ich bitte Sie nur höflich, genau diese wieder einzustecken, Sir«, wiederholte die Stewardess ihren Appell. »Ich kann Ihre Verwirrung verstehen, aber Sie wollen sich ja nicht umsetzen. Leider haben wir in der Reihe vor Ihnen einen Fluggast mit einem medizinischen Problem.« Der Mann beugte sich vor und blickte zu Ben auf. »Bist du süchtig nach Junkfood oder so was?«, fragte er höhnisch.

»Nein, meine Freundin leidet an einer Erdnussallergie«, verkündete Ben laut. »Ihr Erdnussstaub kann eine allergische Reaktion auslösen und die Fluggesellschaft« – er wandte sich an die Stewardess – »ist wie die meisten Fluggesellschaften verpflichtet, für Allergiker einen erdnussfreien Bereich zur Verfügung zu stellen.«

»Ben, reg dich nicht auf«, sagte Robin verschämt, als alle Fluggäste in ihrer Nähe sich umdrehten, um zu sehen, was los war. Weiter hinten reckten einige neugierig die Hälse, um den Grund der Aufregung zu erfahren. Eine andere Stewardess, die spürte, dass die Situation eskalierte, kam hinzu.

»Na, na, ich halte ihr ja keine Erdnüsse unter die Nase, oder?«, meinte der Mann verwirrt.

»Darum geht es nicht«, erklärte Ben. »Sie ist hypersensibel. Sie kann schon eine allergische Reaktion bekommen, wenn sie den Erdnüssen so nahe ist wie ich jetzt.«

»Ich kann doch nichts dafür, wenn ihr euch nicht unter Kontrolle habt«, fuhr der Mann uneinsichtig fort. »Ich habe meinen Flug bezahlt, wie alle anderen, und lasse mir nicht vorschreiben, was ich zu tun und zu lassen habe!« Um seine Behauptung zu unterstreichen, riss er eine Tüte Erdnüsse auf und stopfte sich eine Hand voll in den Mund.

»Bitte, Sir, wir starten in wenigen Minuten. Es tut mir wirklich leid, wenn ich Ihnen Unannehmlichkeiten bereiten muss, aber ... «

»Hey?«, rief er ärgerlich und starrte die Stewardess feindselig an.

Ben wurde rot vor Zorn und konnte sich kaum noch beherrschen.

»Ich und meine Familie haben seit heute Morgen nichts mehr zu futtern gekriegt, und uns knurrt der Magen! Wir setzen uns nicht auf andere Plätze und verzichten für eine hochnäsige Central-Park-Lady auch nicht auf unsere Erdnüsse, weder ich, noch meine Frau, noch mein Sohn – basta!« Er lehnte sich zurück, und seine Frau blickte ihn zustimmend an, offenbar stolz und zufrieden, dass ihr Mann diese lästigen Stadtmenschen in die Schranken verwiesen hatte.

»Deinetwegen kann sie eine schwere allergische Reaktion bekommen, du Idiot!«, zischte Ben, der sich nicht länger beherrschen konnte.

»Hey, hast du mich etwa Idiot genannt, Söhnchen?« Der Mann stand auf und baute sich in voller Größe vor Ben auf.

Ben wich keinen Millimeter zurück. »Wen sonst?« Wie ein Kampfhahn streckte er die Brust heraus.

»Ben, lass es gut sein, bitte!«, flehte Robin bestürzt, die solche peinlichen Szenen zur Genüge kannte, aber noch nie eine so aggressive Konfrontation erlebt hatte.

»Nein, Robin, dieser Mann ist total verrückt. Was bildet der sich eigentlich ein?«

»Er kann doch nichts dafür.« Sie blickte die Frau flehend an, kam jedoch aus Angst vor dem, was sie in der Hand hielt, nicht näher. »Es tut mir leid, es ist nicht Ihre Schuld.«

Offensichtlich bemerkte die Frau die Angst in Robins Augen, denn sie verschloss sofort die Erdnusstüte und steckte sie ein. »Setz dich, Max«, befahl sie ihrem Gatten, der erstaunlicherweise nach einem Augenblick gehorchte, ohne seinen wütenden Blick von Ben abzuwenden.

»Er meint es nicht böse«, sagte sie zu Robin. Dann zu der Stewardess gewandt: »Aber mein Junge hier wird ganz kribbelig, wenn er hungrig ist, genau wie Max. Deshalb haben wir uns noch schnell Erdnüsse gekauft. Wir wollten Ihnen wirklich nichts antun. Und mit meinen Nieren ist es auch nicht so schlimm, wir können uns ruhig woanders hinsetzen.«

»Vielen Dank, Ma’am, aber wir starten gleich. Wenn Sie und ihr Mann die Erdnüsse wieder einstecken, dürfte es keine weiteren Probleme geben.«

»Wenn Sie unserer Bitte nachgekommen wären, eine erdnussfreie Zone zu schaffen, gäbe es überhaupt kein Problem«, fauchte Ben mit wütend zitternder Stimme. »Aber das interessiert Sie ja nicht, oder? Sie stopfen so viele Idioten in Ihr Flugzeug, wie Sie können. Was macht das schon, wenn jemand wegen Ihrer Fahrlässigkeit schwer krank wird.«

Wenn Fluggesellschaften eines fürchteten, dann den Vorwurf der Fahrlässigkeit.

»Sir, ich verstehe Ihre Notlage«, meldete sich nun die andere Stewardess zu Wort, »aber wir können leider nicht länger warten ...«

»Aber wirklich keinen Deut!« Ben war in voller Fahrt, was man von den anderen Fluggästen des Flugs Nummer 81268 nicht behaupten konnte. »Das ist unzumutbar, und ich lasse mir das nicht bieten!«

Er stand auf, öffnete die Klappe der Gepäckablage und nahm zu Robins Entsetzen ihr Gepäck heraus. »Komm, Robin, wir gehen!«

»Was?«

»Sir, bitte setzen Sie sich wieder hin ...«

»Ich sagte, wir gehen! Warum sollen wir uns das bieten lassen? Sie hat darum gebeten und auf die Gefahr hingewiesen, aber Sie haben es trotzdem einfach ignoriert. Geben Sie sich keine Mühe! Wir sind zum letzten Mal mit Ihrer verdammten Fluggesellschaft geflogen, darauf können Sie Gift nehmen!«

Robins Blick wanderte von Ben zur Stewardess, dann zu den Erdnussessern und wieder zurück zu Ben. In diesem Moment war es ihr gleichgültig, wohin sie gingen, Hauptsache weg von hier, weg von den neugierig starrenden Leuten, weg von den Fingern, die auf sie zeigten, weg von dem Getuschel.

»Komm, Liebling.« Ben führte sie den Gang hinunter zum Ausgang. »Das müssen wir uns nicht länger gefallen lassen.«

»Sir, es ist wirklich nicht nötig ...« Die Stewardess verstummte, als sie merkte, dass Ben nicht zu besänftigen war.

»Es tut mir wirklich sehr leid«, sagte Robin peinlich berührt, als eine andere Stewardess gerufen werden musste, um die Tür zu öffnen. »Entschuldigung.«

Eine erdnussfreie Zone für Fluggäste wie Robin zu schaffen, lag im Ermessen der Fluggesellschaft. Ben hatte eigentlich kein Recht, so hart mit ihnen ins Gericht zu gehen. Aber vermutlich hatte er es satt, dass ihre Allergie ihr gesamtes Leben bestimmte.

Während der ganzen Taxifahrt zurück nach Lower East Side zu ihrem Apartment litt Robin unter der Peinlichkeit des Vorfalls. Schon wieder war ein Wochenende ins Wasser gefallen.

»Ich habe es bei der Buchung wirklich deutlich gesagt, Ben. Bitte, glaube mir«, jammerte sie, wohl eher, um sich selbst zu überzeugen, als ihn. Zerknirscht blickte sie ihn an.

Ben wandte sich zu ihr und nahm ihre Hand. »Hey, dich trifft keine Schuld, es war meine Entscheidung, wieder auszusteigen. Ich wollte nicht, dass uns alle Leute den ganzen Flug nach Washington anstarren, du etwa?« Er grinste. »Also, sei nicht dumm«, fügte er hinzu und fuhr ihr zärtlich durchs Haar. »Es gibt noch andere Wochenenden, außerdem kannst du ja nichts dafür.«

Trotzdem, dachte Robin traurig, ist die Tatsache nicht zu übersehen, dass es ohne meine Allergie keine Probleme gegeben hätte.

Natürlich war es ihre Schuld – wie immer.

KAPITEL 2

Eine Woche später hängte sich Robin ihre Tasche über die Schulter und eilte in nördlicher Richtung den Broadway hinunter. Es war Anfang April, aber es war bereits so schwül, dass nur abgehärtete, erfahrene New Yorker dieses Wetter ertrugen. Sie konnte kaum die hohen Frühlingstemperaturen ertragen, ganz zu schweigen von den stickig heißen Sommern. Jetzt hatte sie Feierabend und kam gerade aus ihrem klimatisierten kühlen Büro. Kaum war sie auf die Straße hinausgetreten, rötete sich auch schon ihr Gesicht, auf ihrer Stirn bildeten sich Schweißperlen, und die leichte Baumwollbluse klebte ihr an Brust und Rücken.

Lange feuchte Strähnen des kastanienbraunen Haars bedeckten Gesicht und Nacken. Nicht zum ersten Mal zog sie in Erwägung, in den sauren Apfel zu beißen und es abschneiden zu lassen. Allerdings hatte es sehr lange gedauert, bis es diese Länge erreicht hatte. Das lange Haar war praktisch und brauchte wenig Pflege, ausgenommen an Tagen wie heute, an denen sie wie jemand aussah, der monatelang im tiefsten Dschungel gefangen gehalten worden war.

Jetzt wird es auch nicht gerade leichter, dachte sie missmutig, als sie die U-Bahn-Station Wall Street erreichte und die Treppe hinunterging. Die U-Bahn war zu den Hauptverkehrszeiten immer überfüllt, also konnte sie froh sein, wenn sie überhaupt Luft bekam, geschweige denn frische Luft.

Gerade als sie ihren Fahrschein in die Ticketschranke schieben wollte, klingelte ihr Handy. »Ausgerechnet jetzt«, murmelte sie und trat rasch beiseite, als sich abgehetzte Pendler an ihr vorbeidrängten. Zwei Sekunden später, und sie hätte in dem Tunnelgewirr keinen Empfang mehr gehabt. Sie blickte auf das Display und sah enttäuscht, dass es Bens Nummer war.

»Hallo, Ben«, sagte sie wenig begeistert. Ein Anruf zu dieser Zeit bedeutete meistens, dass er länger arbeiten musste, was in letzter Zeit sehr häufig vorkam. Auch ein Grund, warum der geplante Ausflug nach Washington eine willkommene Abwechslung gewesen wäre.

Schade, an einem Abend wie diesem wäre es schön gewesen, die alten Schiebefenster ihres Apartments zu öffnen und beim Abendessen dem Treiben auf der Straße zuzusehen. Beide genossen das schöne Wetter. Wahrscheinlich, weil es in ihrer Kindheit in Irland nur selten schöne Sommertage gegeben hatte, dachte sie, und wir diese auch damals schon zu schätzen wussten.

Aber Robin irrte sich.

»Robin, es geht um die kleine Kirsty, sie hatte einen schweren Anfall, und Sarah musste sie ins Krankenhaus bringen.«

»Ach, nicht schon wieder! Arme Kleine, geht es ihr sehr schlecht?« Bens vierjährige Nichte Kirsty litt an chronischem Asthma und kam nicht zum ersten Mal ins Krankenhaus.

»Sarah meinte, es ist ziemlich schlimm. Sie hat wieder vergessen, ihr Inhaliergerät zu benutzen. Sie wird gerade mit dem Vernebler behandelt.«

Robin schüttelte den Kopf. »Ist sie im St. Vincent?« »Ja, wie beim letzten Mal.«

»Gut, wir treffen uns dort. Braucht Sarah irgendetwas?« Bens Schwester war bestimmt völlig fertig.

»Nein, nur ein wenig seelischen Zuspruch«, antwortete Ben grimmig. »Brian ist nicht da. Ich habe Sarah versprochen, alles Notwendige aus ihrer Wohnung zu holen und habe deshalb das Büro etwas früher verlassen. Ich bin schon auf dem Weg ins Krankenhaus. Bis gleich also.« »Ja, bis dann.«

Sarah und ihr Mann Brian wohnten etwa eine Autostunde außerhalb der Stadt. Brian war offensichtlich wieder auf Geschäftsreise. Sarah hatte ihren amerikanischen Mann bei einem Sommerurlaub in New York kennen gelernt. Sie hatte sich Hals über Kopf in ihn und sein Land verliebt und sich für immer hier niedergelassen. Seit Kirstys Geburt lebten die beiden in New Jersey.

Das Krankenhaus lag ganz in der Nähe. Sie entschied sich gegen die stickige Luft in der U-Bahn und ging zu Fuß. Aber auch in der Stadt war es drückend heiß, so dass sie völlig außer Atem beim Krankenhaus ankam und sich gut vorstellen konnte, wie sich die kleine Kirsty fühlen musste.

»Robin, danke, dass du gekommen bist – wieder einmal«, begrüßte Sarah sie, als sie die Station betrat. Sarah sah schlecht aus und hatte seit ihrer letzten Begegnung deutlich abgenommen.

»Das macht doch nichts«, entgegnete sie und umarmte Sarah herzlich, bevor sie sich Kirsty zuwandte, die klein und zerbrechlich in dem großen Krankenhausbett lag. Gott sei Dank hing sie nicht mehr am Vernebler.

Robin versteckte eine Hand hinter dem Rücken. »Hallo, Liebes, schau mal, wer mir gefolgt ist, um dich zu besuchen!«

Kirsty grinste und bekam leuchtende Augen, als Robin ein kleines Beanie-Bag-Krokodil hervorholte. Sie hatte es auf dem Weg zum Krankenhaus in einem Spielzeugladen entdeckt. Obwohl sie wusste, dass ein furchterregend aussehendes Krokodil für eine Vierjährige nicht unbedingt das Richtige war, hätte sie Kirsty nur ungern ein Stoff- oder Felltier gekauft, das einen weiteren Asthmaanfall hätte auslösen können.

»Es geht ihr schon viel besser, Gott sei Dank«, berichtete Sarah und bot Robin einen Stuhl neben Kirstys Bett an. »Aber im Auto auf dem Weg hierher ... « Sie verstummte und schüttelte den Kopf.

»Es ist sehr schwül heute«, beruhigte sie Robin, denn sie befürchtete, dass Sarah sich die Schuld an Kirstys erneutem Anfall gab. Sie hatte immer ein schlechtes Gewissen, weil sie Kirsty nicht begreiflich machen konnte, dass es gefährlich war, das Inhaliergerät zu vergessen. »Ich habe auch kaum Luft bekommen und kann mir gut vorstellen, wie es ihr geht.«

»Seit sie in die Schule geht, ist es schlimmer geworden«, sagte Sarah leise. »Ich glaube, sie schämt sich wegen des Inhaliergeräts. Aber an Tagen wie heute ist die Luft voller Pollen ... Ich weiß auch nicht ...« Sie tupfte die Stirn des Kindes mit einem feuchten Tuch ab. »Liebling, wir haben doch darüber gesprochen, dass du dein Inhaliergerät nicht vergessen darfst, oder?«

Das kleine Mädchen nickte. Sie atmete wieder gleichmäßig, obwohl ihre Augen müde und ängstlich wirkten.

»Ich glaube, sie möchte es nicht benutzen, wenn andere dabei sind«, bestätigte Robin und streichelte Kirstys kleine Hand. »Wahrscheinlich will sie kein Aufsehen erregen. Mir ging es als Kind genauso.« Sie erinnerte sich, dass ihre Mutter wegen ihrer Erdnussallergie stets in Sorge gewesen war, und lächelte. »Es sind eben Kinder, die in der Schule für alles eine Ausrede haben ... « Ihr Lächeln galt diesmal Kirsty. »Aber du bist ein braves Mädchen und wirst beim nächsten Mal bestimmt daran denken. Nicht wahr, Liebes?«

Kirsty nickte, umarmte ihr niedliches Krokodil und grinste. Das Kind hing sehr an ihr und Ben. Robin nahm sich vor, Brian und Sarah künftig öfter in New Jersey zu besuchen. In letzter Zeit hatte Kirsty sie leider nur zu Gesicht bekommen, wenn sie krank war. Aber da sie beide sehr viel arbeiteten – Robin als Financial Controller in einem Unternehmen im Financial District und Ben bei einem Grafik-Design-Unternehmen an der Lexington Avenue –, gingen sie am Wochenende lieber ins Kino oder entspannten sich bei einem schönen Dinner.

Seit einiger Zeit hatte Ben an den Wochenenden freiberuflich noch zusätzliche Arbeit angenommen, denn sie hofften, bald aus Manhattan wegziehen und sich ein Haus am Stadtrand kaufen zu können.

»Entweder das, oder wir gehen zurück nach Hause«, hatte er eines Abends im italienischen Restaurant verkündet. Robin hätte fast das Weinglas, das sie in der Hand hielt, zerdrückt.

»Du meinst doch nicht zurück nach Dublin?«, fragte sie und wartete mit klopfendem Herzen auf seine Antwort. Sie wollte nicht zurück nach Dublin – nicht jetzt und auch nicht später. Sie lebte gerne in New York. Seit den Angriffen vom 11. September empfand sie tiefe Verbundenheit und Loyalität mit Amerika, Gefühle, die sie für ihre Heimat nie aufgebracht hatte. Sie passte hierher, gehörte in dieses Land und hatte bis jetzt angenommen, dass Ben genauso empfand.

»Wäre das nicht schön?« Bens dunkle Augen leuchteten. »Ein völlig anderer Lebensstil, gemächlicher und lockerer als diese wahnwitzige Hetzerei.«

Robin war entsetzt. Warum blickten die im Ausland lebenden Iren immer durch eine rosarote Brille auf ihr »old country« zurück? Als hätte Dublin nie das 21. Jahrhundert erreicht und alle würden noch im Schneckentempo arbeiten und sich in Pferdekutschen fortbewegen! Robin telefonierte regelmäßig mit Leah, und danach zu urteilen war Dublin heute ebenso hektisch wie Manhattan. Alles war teuer, und neuerdings gab es eine Straßenbahn, die endlose Staus auf den Hauptstraßen verursachte. Neulich hatte Robin auf der Internetseite des Irish Independent Online gelesen, dass eine Fehlplanung bei der neuen U-Bahn zu einer jahrelangen Verzögerung führen würde.

»Was hast du denn vor?«, fragte Robin, die nicht genau wusste, ob es Ben ernst oder ob es nur Wunschdenken war. »Willst du wirklich deinen Job aufgeben, obwohl du so schwer für deine Karriere gearbeitet hast?« Ben war leitender Angestellter.

»Arbeit ist doch nicht alles.« Robin ahnte, dass dieses Gespräch wieder einmal zu einer Diskussion über das Thema »warum gründen wir nicht eine Familie« führen würde.

»Ben ...«, begann sie. Zum Glück brachte die Kellnerin gerade die Pizza, und der Moment war vorbei.

Jetzt betrachtete Robin Sarahs müdes sorgenvolles Gesicht, während diese zärtlich die Hand ihrer Tochter streichelte. Warum nur wollen alle Menschen Kinder, fragte sie sich. Diese Mühen und Sorgen – warum nahmen die Menschen das auf sich? Sie liebte Kirsty, eigentlich mochte sie fast alle Kinder, und Kinder mochten sie, aber tief in ihrem Herzen wusste sie, dass sie selbst keine gute Mutter wäre, dazu war sie einfach nicht geboren.

»Wie geht es ihr?« Der Kinderarzt riss sie aus ihren Gedanken. Sie stand auf, um ihm Platz zu machen. Er warf einen Blick auf das Krankenblatt des kleinen Mädchens. »Das ist schon die dritte Einlieferung in fünf Monaten, Mrs. Freyne«, stellte er fest. »Warum setzt sie nicht ihr Inhaliergerät ein?«

Der unterschwellige Vorwurf entging weder Robin noch Sarah, und beide senkten beschämt den Blick. Was soll das, dachte Robin verärgert, einem so kleinen Kind wie Kirsty konnte man nicht klarmachen, wie wichtig es ist, ihre Atmung zu kontrollieren und das Inhaliergerät zu benutzen. Sie ist gerade mal aus dem Kleinkindalter heraus, verdammt noch mal! Robin konnte sicher davon ausgehen, dass Sarah nicht freiwillig eine Stunde Fahrt auf sich nahm, um ihr Kind ins Krankenhaus zu bringen und die Rechnung für die Benutzung des Beatmungsgeräts zu bezahlen. Der Arzt tat ja gerade so, als missachteten Sarah und vor allem Kirsty absichtlich seine Anweisungen. Was nahm er sich heraus? Am liebsten hätte sie ihn gefragt, wie er es anstellen würde, ein kränkliches Kind Tag und Nacht nicht aus den Augen zu lassen. Diese allwissenden Götter in Weiß! Robin hatte als Kind genug von dieser Sorte kennen gelernt. Sie waren alle gleich!

Sie nahm sich vor, Bens Schwester öfter bei der Beaufsichtigung von Kirsty zu entlasten. Das Mindeste, was sie und Ben tun konnten, war, das Kind jedes zweite Wochenende zu sich zu nehmen, damit Sarah und Brian auch einmal Zeit für sich hatten. Diese Unterstützung würde ihnen, und natürlich auch Kirsty, sicher guttun.

Ja, das machen wir, dachte Robin, als sie bemerkte, wie sehr sich Kirsty freute, als Ben ins Zimmer trat. Hoffentlich deutete Ben das nicht als Zeichen ihrer Bereitschaft, endlich Mutter zu werden. Falls er sich mit diesem Gedanken trug, müsste sie ihn enttäuschen. Robin spürte, dass sie noch lange nicht bereit war, Mutter zu werden. Vielleicht nie!

KAPITEL 3

Leah holte tief Luft – sehr tief. Was ihr jetzt bevorstand, machte ihr mehr Angst, als alles andere in ihrem Leben. In den letzten Jahren hatte sie oft Dinge getan, vor denen sie sich fürchtete: Bungeejumping in Frankreich, White-Water-Rafting in Belgien, und auch vor dem Wagnis ihrer Existenzgründung in Irland war sie nicht zurückgeschreckt. Aber was sie jetzt vorhatte, übertraf alles.

Krank vor Nervosität, hatte sie letzte Nacht nicht einschlafen können und die meiste Zeit in der Küche verbracht und neue Rezepte für selbst gemachte Pralinen ausprobiert. Jedenfalls war es keine Zeitverschwendung, dachte sie schmunzelnd, denn sie hatte delikate Trüffel aus zarter weißer Schokolade mit Himbeeren gezaubert. Berrylicious wollte sie ihre neue Kreation nennen.

Wieder holte sie tief Luft und blieb noch einige Minuten in ihrem kleinen Ford Fiesta sitzen. Du schaffst das schon, ermutigte sie sich. Du hast Erfolg im Beruf, also wirst du auch hier nicht versagen – du schaffst das! Leider drang die Nachricht nicht bis zu dem Kribbeln in ihrem Bauch durch.

Obwohl sie ursprünglich Pastetenbäckerin werden wollte, hatte ihr Auslandsaufenthalt nach dem Abschluss der Lehre ihre Karriere im Hotel- und Gaststättengewerbe in eine völlig andere Richtung gelenkt.

Um Erfahrungen zu sammeln, hatte sie nach der Lehre einige Jahre in Frankreich bei einem berühmten belgischen Dessertkoch und Chocolatier gearbeitet. Eigentlich hatte sie sich auf dem College auf Backwaren und Desserts spezialisiert. Aber durch die Arbeit an der Seite dieses Künstlers und Meisters seiner Zunft hatte sie ihre Liebe zu dem komplizierten Handwerk des Chocolatiers entdeckt. Um ihre neuen Kenntnisse zu erweitern, blieb sie noch achtzehn Monate in Brüssel. In dieser Zeit fand sie Geschmack an der Kombination raffinierter Aromen mit feinster Schokolade, an unwiderstehlichen Kreationen und himmlischen Genüssen.

Nachdem sie ihre Lehrzeit beendet und ihre Fähigkeiten perfektioniert hatte, ließ die Kunst der Pralinenherstellung sie nicht mehr los. Kein Zweifel, die Richtung ihrer Karriere stand damit fest. Wieder zurück in Irland hatte sie sich vorgenommen, sofort ins Pralinengeschäft einzusteigen.

Das lag nun schon zwei Jahre zurück. Das Land befand sich noch im wirtschaftlichen Aufschwung. Mit riesigem Vertrauensvorschuss (und einem ähnlich großen Existenzgründungskredit von ihrer Bank) hatte Leah ihr eigenes Spezialgeschäft für handgemachte Pralinen eröffnet. Sie nannte es »Elysium«, das kam aus dem Griechischen und bedeutete »vollkommenes Glück«. Ihre Kreationen machten diesem Namen alle Ehre.

Vorher hatte sie allerdings Erkundigungen über den Markt eingezogen und herausgefunden, dass die Branche für handgemachte Pralinen zwar blühte, aber nur sehr wenige, künstlerisch hochwertige Produkte als Geschenkartikel hergestellt wurden. Durch ihre Erfahrungen in Belgien mit unterschiedlichen Vertriebsmethoden und Schokoladeboutiquen wusste sie, dass die Qualität der Verpackung und der Auslagen ebenso wichtig war wie die Elysium-Pralinen selbst. Rot-gold-verzierte Schachteln, mit wunderschöner Seide ausgelegt – ihr Markenzeichen –, wurden in Geschenk- und Souvenirgeschäften rasch bekannt und beliebt.

Von den bescheidenen Anfängen in ihrer kleinen Küche hatte sie es schließlich zu einem winzigen Laden, kaum größer als eine Schuhschachtel, im Zentrum für Existenzgründer gebracht und unablässig daran gearbeitet, die wachsende Anzahl ihrer Großhändler zu beliefern. Es stimmt, dachte sie, wenn der Beruf zur Berufung wird, empfindet man es nicht als Arbeit. Sie liebte ihre Arbeit. Ihr Freund Josh beklagte sich häufig, dass sie zu viel arbeitete. Aber für sie war es der beste Job der Welt.

Vor Kurzem waren sie und Josh in ein kleines luxuriöses, leider nur gemietetes Apartment im Süden von Dublin gezogen. Ihre Beziehung lief wunderbar, das Geschäft lief wunderbar. Das Leben konnte nicht schöner sein – so wenige Monate vor ihrem dreißigsten Geburtstag.

Aber wenn ich das heute hinter mich gebracht habe, dachte sie, als sie schließlich aus ihrem Wagen stieg, wird mein Leben noch schöner. Wie Josh heute Morgen gesagt hatte, bevor er zur Arbeit ging: Sie konnte nur ihr Bestes geben. Leider wusste Leah aus Erfahrung, dass ihr Bestes nicht immer gut genug war.

Sie lief die Eingangstreppe hinauf und betrat das Gebäude. Ihr dunkler Pferdeschwanz wippte dabei auf und ab.

Eigentlich trug sie den Pferdeschwanz nur in ihrer Küche und fühlte sich jetzt nicht ganz wohl, denn mit dieser Frisur wirkte sie wegen ihres runden Gesichts und der großen Augen immer etwas kindlich. Olivia hatte ihr dazu geraten – mit einem Pferdeschwanz würde sie nie durchfallen, meinte sie. Offensichtlich hatte der Pferdeschwanztrick bei Olivia diese Wirkung nicht verfehlt, also glaubte ihr Leah. Sie wollte nichts unversucht lassen, um diese Nervenprobe zu bestehen.

Der gelangweilt dreinblickenden Empfangsdame schenkte sie ein freundliches Lächeln. »Leah Read«, verkündete sie, als die Frau nicht reagierte. »Ich habe um zehn Uhr einen Termin.«

Die Empfangsdame blickte sie so skeptisch an, als hätte sie behauptet, die Königin von England zu sein. Dieser Blick sollte wohl sagen: »Wenn du glaubst, es interessiert mich, wer du bist und warum du hier bist, dann hast du dich getäuscht.« Dieses Verhalten galt heute als »Service«. Sofort bereute sie ihre Freundlichkeit. »Lächle, und die Welt lächelt dir zu«, hatte ihre Mutter immer gesagt, um ihren Kindern gute Manieren beizubringen. Heute müsste es wohl heißen: »Lächle, und die Welt hält dich für einen Spinner«, dachte Leah mit übertrieben bescheidenem Grinsen.

Aus dem kurzen Nicken der Empfangsdame schloss sie, dass sie auf einem der Plastikstühle an der Wand Platz nehmen sollte. Sie lehnte sich zurück und rieb sich nervös die Hände, bis ihr einfiel, dass verschwitzte Hände bei einem Anlass wie heute nicht von Vorteil waren. Sofort hörte sie damit auf.

Sie nahm eine Zeitschrift zur Hand und wollte gerade ihr Horoskop lesen, als sie bemerkte, dass dieses Magazin über drei Monate alt war. Stattdessen schlug sie die Seite der Kummerkastentante auf, denn schwierige Ehepartner und heikle Affären kamen nie aus der Mode.

»Leah Read?« Sie hob verblüfft den Blick. Ein kleiner Mann mittleren Alters stand mit einem Klemmbrett in der Hand und – viel wichtiger – freundlich lächelnd vor ihr und blickte sie fragend an. Sein Gesicht erinnerte sie ein wenig an den Fernsehmoderator Pat Kenny, obwohl er fast kahl war. Sie nickte.

»Hier entlang, bitte.« Er ging voraus in sein Büro.

Erleichtert stand Leah auf. Dieser Mann wirkte wie ein Schmusekater. Vielleicht standen die Chancen doch gar nicht so schlecht, und es würde wenigstens keine Katastrophe werden.

Aber die Fragen waren ein Albtraum. Leah hatte am Vorabend schnell noch die Regeln überflogen, doch vor lauter Nervosität konnte sie sich jetzt nicht konzentrieren. »Schöner Tag heute, nicht wahr?«, plapperte sie drauflos, als sie ihm in sein Büro folgte. In Irland konnte man mit dem Wetter oder dem dichten Verkehr in Dublin immer eine Unterhaltung anfangen, aber über Verkehrsstaus konnte sie sich bei ihm wohl kaum beschweren. Jedenfalls nicht in dieser Situation.

Nach zwei Minuten war Leahs Vorstellung, dieser Mann sei ein Schmusekater, verblichen. Er verlangte ihren Führerschein. Als sie ihm das Dokument überreichte, zuckte er zurück, als hätte er sich verbrannt.

»Nehmen Sie ihn bitte aus der Plastikhülle, Miss Read«, sagte er ungerührt. Leah gehorchte. Der Anfang ließ sich nicht gut an.

Dennoch wappnete sie sich und versuchte, selbstsicher – aber nicht zu selbstsicher – zu wirken, als die Befragung begann. Die erste Frage war ziemlich einfach und lautete: Wann muss man das Fernlicht abblenden?

»Nun, ich fahre nur selten nachts«, antwortete sie freundlich, »deshalb trifft diese Frage auf mich nicht zu.«

Er blickte sie an. »Würden Sie bitte die Frage beantworten, Miss Read?«

Leah dachte einen Moment nach. »Ich glaube, wenn mir ein anderes Fahrzeug entgegenkommt, sonst würde ich den Fahrer blenden. Obwohl diese Regel von niemandem befolgt wird, deshalb fahre ich nicht nachts.« Er sagte nichts und kam direkt zur nächsten Frage, die das Vorfahrtsrecht im Kreisverkehr betraf.

Leah freute sich, diese Frage konnte sie sicher beantworten. Die Regeln waren sehr einfach.

»Wenn man in einen Kreisverkehr kommt, hat man automatisch Vorfahrt.«

Er blickte sie fragend an: »Würden Sie das bitte genauer erklären?«

»Wenn man in einen Kreisverkehr einfährt und ihn nicht umrunden, sondern geradeaus fahren will, hat man automatisch Vorfahrt.«

»Ich verstehe.« Er machte ein Gesicht, als wäre ihre Antwort falsch gewesen. Aber nein, der Kreisverkehr war ihr vertraut, diese Verkehrssituation beherrschte sie sicher. Das Problem war nur, dachte Leah ärgerlich, dass es immer einen gab, der nicht wusste, wie er sich im Kreisverkehr zu verhalten hat. Sie getraute sich nicht zu hupen, wenn diese Dummköpfe (meistens Männer) nicht wussten, was sie taten. Das Problem war nur, dass die anderen jedes Mal hupten.

Leah lehnte sich zufrieden zurück, in der Gewissheit, dass sie zumindest diesen Punkt in der Tasche hatte.

Jetzt war es Zeit für die Fahrprüfung. In Begleitung des Prüfers verließ Leah das Gebäude und führte ihn zu ihrem Wagen.

Zu ihrer Überraschung bat er sie, um das Fahrzeug herumzugehen, um nach zerbrochenen Spiegeln oder Lampen zu sehen. Ihren Einwand, dass natürlich alles funktioniere, schließlich sei das Auto ja erst zwei Jahre alt, ließ er nicht gelten. Dann demütigte er sie auch noch mit der Bitte, das Kennzeichen auswendig zu nennen. Wer merkt sich schon solche Nummern, fragte sich Leah. Sollte sie einmal vergessen, wo sie den Wagen geparkt hatte, musste sie doch nur den Alarmknopf an ihrem Schlüssel drücken und dem Geräusch der Alarmanlage folgen. Sie wusste, dass es eine Dubliner Nummer war, die sie vor zwei Jahren bekommen hatte, mehr nicht. Mein Gott, wie peinlich!

Ließ er sie wegen einer solchen Banalität etwa durchfallen? Sie legte den Gang ein und fuhr in Richtung Hauptstraße. Gott sei Dank hatte sie noch rechtzeitig das Anfängerschild am Wagen angebracht, nachdem Olivia sie erinnert hatte, dass sie sofort durchfallen würde, falls sie es vergaß. Es hatte sie fast eine Stunde gekostet, ein Geschäft zu finden, das diese dummen Dinger vorrätig hatte, und fast genauso lange, sie an die verdammte Windschutzscheibe zu kleben.

Leah warf einen kurzen Blick auf den Prüfer, der auf dem Beifahrersitz saß. Sie achtete darauf, dass ihr Pferdeschwanz nicht zu oft hin und her schwang. Das dürfe er nur, wenn sie in den Rückspiegel oder in die Außenspiegel blicke, hatte Olivia ihr geraten. Der Prüfer kreuzte Kästchen auf einer Liste an, und soweit Leah beobachten konnte, sah er ihr nicht einmal zu. Wie unhöflich, dachte sie. Monatelang hatte sie sich vor dieser Prüfung – bereits der dritten – gefürchtet. Seit Tagen hatte sie nicht mehr geschlafen, und nun machte dieser Mann sich nicht einmal die Mühe, sie ordentlich zu prüfen! Also stimmte es doch, dass schon im Voraus feststand, wen sie bestehen und wen sie durchfallen ließen, dachte sie und erinnerte sich an den Artikel über Führerscheinprüfungen, in dem es hieß, dass es entweder reine Glückssache war oder von der Laune des Prüfers abhing. Ihre Fahrkunst, das Schwingen des Pferdeschwanzes oder das Aufsagen der verdammten Autonummer hatten nichts mit dem Ausgang der Prüfung zu tun.

Leah hob den Blick und trat schnell auf die Bremse, als sie sah, dass sie fast über einen Zebrastreifen gefahren wäre – auf dem ihr natürlich gerade die obligatorische Mutter mit Buggy über den Weg lief. Mist! Sie umklammerte das Lenkrad und lächelte den Prüfer an. »Nun ja, zumindest konnten Sie meine Reaktionsfähigkeit prüfen, nicht wahr?«, sagte sie ein wenig irritiert über ihre eigene Forschheit. Offenbar bringt mich das Adrenalin durcheinander, dachte sie, und blickte in den Rückspiegel, bevor sie wieder anfuhr.

Auf der Straße war viel los. Der Verkehr kroch im Schneckentempo dahin, als wüsste die gesamte Dubliner Bevölkerung, dass Leah ihre Fahrprüfung absolvierte, und ihr deshalb das Leben schwer machen wollte. Zum Beispiel diese Person, dachte sie, als sie eine Frau in einem mächtigen Geländewagen erspähte, die vermutlich auf ihrer morgendlichen Schulrunde mit entschlossenem Blick direkt auf sie zukam. Als sie immer näherkam, wusste Leah plötzlich, dass diese Frau weder halten noch ausweichen würde.

Im Geiste wiederholte sie rasch noch einmal die Regeln der Vorfahrt. Auf der Seite der anderen Fahrerin parkten Autos, ihre Seite war frei, was bedeutete, dass sie Vorfahrt hatte, oder etwa nicht? Das hieß, dass sie weiterfahren durfte und die andere Fahrerin ihr ausweichen musste? Richtig, also musste Madame anhalten und sie vorbeilassen, bis die Straße wieder frei war.

Also fuhr sie weiter und ... O verdammt, diese Ziege ebenfalls! Sie kamen sich näher und näher, während sie sich unentwegt anstarrten. Keine der beiden Frauen war gewillt, auch nur einen Millimeter nachzugeben, bis Leah schließlich aus purer Verzweiflung über den Randstein auf den Gehweg fuhr. Natürlich fuhr Madame mit einem Gesichtsausdruck, der die Titanic zum Sinken hätte bringen können, an ihr vorbei. Kein freundliches Winken, kein dankbares Nicken, nichts! Leah lenkte nach rechts und holperte mit dem Ford Fiesta unsanft zurück auf die Straße.

Herzklopfen! So ein Mist! Wertete dieser Mann diese Aktion nun als Zeichen ihrer Entschlusskraft, oder ließ er sie durchfallen? Sie war sich nicht sicher. Nein, nein, nein, auf dem Gehweg durfte sie nicht fahren. In ihrem Lehrbuch hatte darüber allerdings nichts gestanden, aber ... Leah stöhnte innerlich und wünschte, sie könnte einfach die Beifahrertür öffnen und diesen entsetzlichen Prüfer zum Teufel schicken. Es sah nicht gut aus! Zuerst hatte sie seine Fragen nicht eindeutig beantworten können, dann wusste sie das Kennzeichen ihres Fiestas nicht, gleich darauf die Vollbremsung am Zebrastreifen – und nun das! Sie schien vom Pech verfolgt. Was würde noch alles schief gehen? Jetzt war schon alles egal, sie konnte nur weiterfahren und das Beste hoffen.

Im selben Augenblick, als Leah beschloss, mutig weiterzufahren, fiel ihr eines der Anfängerschilder, die sie so sorgfältig auf die Windschutzscheibe geklebt hatte, direkt in ihren Schoß. Nun, das war das Aus oder vielleicht doch nicht?

Das pure Entsetzen auf dem Gesicht des Prüfers beantwortete Leahs unausgesprochene Frage.

KAPITEL 4

Olivia putzte gerade ihr Badezimmer und fragte sich, ob Leah ihre Fahrprüfung heute Morgen wohl bestanden hatte, als das Telefon klingelte.

»Es tut mir sehr leid, dass ich stören muss«, hörte sie ihre Chefin Alma mit Bedauern sagen. »Ich würde dich bestimmt nicht anrufen, wenn es nicht dringend wäre. Aber wenn wir nicht schnell operieren, stirbt der kleine Kerl wahrscheinlich.«

Olivia erschrak. »O nein! Was ist passiert, Alma? Um welches Tier geht es?«

»Man hat ihn gerade gebracht. So wie es aussieht, wurde er überfahren und von einer barmherzigen Seele zum Sterben an den Randstein gestoßen«, fügte sie sarkastisch hinzu. »Ich weiß nicht, wie lange er dort gelegen hat. Heute Morgen hat ihn jemand beim Spaziergang mit dem Hund gefunden.« Ihre Stimme wurde sanfter. »Ich weiß nicht, ob wir ihn retten können ...«

»In Ordnung, ich bin in zehn Minuten da«, erklärte Olivia. Almas Patient blieb offenbar nicht mehr viel Zeit. Bereitschaftsdienst hin oder her, sie musste es wenigstens versuchen.

Sie warf den Hörer hin, riss Ellies Mantel, Schal und Mütze aus dem Schrank unter der Treppe und eilte zurück ins Wohnzimmer.

»Komm, zieh den Mantel an, Liebling. Wir fahren ins Tierheim«, erklärte sie. Olivia arbeitete dort halbtags als Tierärztin.

Nur ungern nahm sie ihre vierjährige Tochter mit, aber jetzt war keine Zeit mehr, einen Babysitter zu suchen. Normalerweise »half« Ellie ihr gern, aber in den nächsten Stunden hatten weder Alma noch Olivia Zeit, sich mit der Kleinen zu beschäftigen.

»Aber es ist nicht Angel, nicht wahr, Mummy?«, fragte Ellie mit weit aufgerissenen Augen, während Olivia ihr den Mantel anzog. Ellie und Angel, ein einsamer, schon etwas betagter Dackel, der schon seit sechzehn Monaten im Tierheim lebte, hatten auf Anhieb Freundschaft geschlossen. Ellie sah einer eventuellen Vermittlung Angels mit gemischten Gefühlen entgegen, ebenso wie Olivia. Alle Hunde, Katzen, Ponys und Frettchen hatten sich in die Herzen der Angestellten und ehrenamtlichen Mitarbeiter des Tierheims Paws & Tails geschlichen.

»Nein, der kleine Kerl wurde gerade gebracht«, erklärte sie, als sie die Haustür schloss und mit Ellie zum Wagen eilte. »Alma meint, er sei von einem Auto angefahren worden.«