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Ein psychologischer Kriminalroman mit Wortwitz und Schmäh. Wien, Resselpark, Samstagabend. Eben noch hat Bezirksinspektor Grohsman ein Klavierkonzert genossen, als er zum Salon Rettenbach zurückgerufen wird. Im Kofferraum der Pianistin befindet sich die Leiche ihres Freundes. Grohsman nimmt zusammen mit Kriminalpsychologin Nicky Witt die Ermittlungen auf. Mit jeder neuen Spur, die sie verfolgen, beginnt die glitzernde Wiener Kulturszene weiter zu bröckeln. Als dann ein mysteriöses Manuskript von Franz Liszt auftaucht, ergibt sich langsam ein erschütterndes Bild . . .
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Seitenzahl: 465
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Mina Albich ist Wienerin mit Leib und Seele. Aus der Reihe tanzen, sich in keine Schublade stecken lassen, so könnte ihr Motto lauten. Ihre Vielseitigkeit spiegelt sich in ihren Ausbildungen wider, unter anderem soziale Verhaltenswissenschaften, literarisches Schreiben, klassischer Gesang und Mentaltraining. Müsste sie ihre Hauptinteressen in drei Worte fassen, so wären dies Menschen, Sprache und Musik – am liebsten eine Verbindung aus allen dreien. So erklärt sich auch ihre Leidenschaft, in ihren Krimis Menschen psychologisch zu skizzieren und mit individuellen Sprachmelodien auszustatten.
Dieses Buch ist ein Roman. Handlungen und Personen sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder toten Personen sind nicht gewollt und rein zufällig.
© 2023 Emons Verlag GmbH
Alle Rechte vorbehalten
Umschlagmotiv: lookphotos/age fotostock
Umschlaggestaltung: Nina Schäfer, nach einem Konzept von Leonardo Magrelli und Nina Schäfer
Umsetzung: Tobias Doetsch
Lektorat: Uta Rupprecht
E-Book-Erstellung: CPI books GmbH, Leck
ISBN 978-3-98707-052-5
Originalausgabe
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Für Nana, Papa –
und für dich
Prolog
April 1940
»So wenig?« Nur ein Hauchen. Sie sank in sich zusammen.
»Du hast die Wahl, Drecksgöre. Nimm es und kauf dir eine Bahnkarte. Oder steig in den Zug dort drüben ein, die Fahrt kostet nichts.«
Wie ihr sein Mundgeruch in die Nase stach! Zaghaft streckte sie die Hand aus. Er warf ihr zwei Scheine vor die Füße. Grunzte verächtlich, als sie sich danach bückte. Sein Tritt brachte sie ins Straucheln. Sie stürzte. Griff hastig nach den Scheinen, stopfte sie in die Jackentasche. Wollte sich davonstehlen.
»Und, wie sagt man?«
»Danke.« Ein Wispern.
»Danke … und weiter?«
»Danke, lieber Herr.«
»Geht doch. Und jetzt hau ab, Drecksgöre.«
Nur noch aus dem Augenwinkel sah sie, wie er gierig nach der Mappe griff. Mit dem Finger die Goldlettern auf dem Deckel befühlte. Er schnalzte mit der Zunge, als er seine Fracht vorsichtig in den Aktenkoffer legte.
Ein letzter wehmütiger Blick, bevor sie in die kalte Nacht hinausschlich.
Samstag, 14.Oktober
1
Träge zogen Nebelschwaden über das Wasser. Grohsman konnte den sumpfigen Geruch des Canal Grande fast riechen. Venedig. Eine schwarze Gondel, die den brackigen Kanal überquerte. Der Gondoliere hatte die traurige Aufgabe, einen Toten zur letzten Ruhestätte zu geleiten. Lautlos tauchte er das Ruder in die Wellen, der imposante Bug schnitt durchs Wasser.
»Trauergondel Nr. 1 – La lugubre gondola«, ein Spätwerk von Franz Liszt, wie Grohsman dem Programmheft entnahm. Welch düstere Stimmung die sanften Klaviertöne hervorriefen. Die Akkorde verhallten wie eine schaurige Vorahnung. Das intensive Spiel von Dorothea Zauner evozierte ein Venedig des ausgehenden 19. Jahrhunderts, den Totenzug Richard Wagners, dessen sterbliche Überreste nach Bayreuth überführt wurden. Ein gewagter Coup, dieses schwermütige Stück ans Ende eines Konzertes zu setzen. Eben diese Finessen waren es, die den Musiksalon der Kunstmäzenin Marie Rettenbach auszeichneten. Niemals das Alltägliche erwarten.
Die junge Pianistin zog ihr Publikum in den Bann. Sie war erst zweiundzwanzig und stand am Beginn ihrer Karriere. Grohsman zuckte zusammen, als sie einige Akkorde schonungslos in die Tasten schlug. Sofort wechselte sie wieder zu versöhnlichen Klängen. Das waren nicht bloß Töne, sie erzählte mit ihrer ausdrucksstarken Interpretation eine Geschichte.
Diese ausgereifte Kunstfertigkeit … Nicky Witt hätte die Pianistin als »alte Seele« bezeichnet. Wieso fiel ihm die Psychologin ausgerechnet jetzt ein? Er hatte schon eine Weile nichts mehr von ihr gehört. Seit … ach, war das schon so lange her?
Dorothea verharrte in der Bewegung. Warf Blicke in den Klavierkorpus und wieder zurück auf die Tasten, atmete schwer. Diese Aufführung war die Generalprobe vor ihrem Debüt im Wiener Konzerthaus. Klar zeigte sie Nerven. Rund viermal im Jahr hielt Marie Rettenbach, Eigentümerin des eleganten Stadtpalais beim Resselpark, ihren Musiksalon ab. Bei ihr eingeladen zu werden – als Interpretin oder als Gast –, war eine Adelung erster Güte.
Bis vor zwei Jahren hatte Grohsman den Salon häufig besucht, mit seiner Frau. Seiner Caro. Und dann … Nur langsam hatte er sich nach ihrem Tod aus der Isolation herausgewunden. Seit letztem Jahr hatte er begonnen, sich wieder mit seinen Freunden zu treffen. Frau Rettenbach war ihm eingefallen, die »Gräfin«, wie sie von den Gästen hinter ihrem Rücken liebevoll genannt wurde. Die elegante Dame erinnerte nicht nur ihn an die »Madame« im Film »Aristocats«.
Ein Glitzern auf Dorotheas Wange. Tränen oder Schweiß? Wie bedrohlich die Bässe klangen. Gleich darauf perlten hohe Töne, wie Regentropfen, die gegen eine Fensterscheibe prasselten.
Da war er wieder, der gehetzte Blick der Pianistin. Mit schreckgeweiteten Augen sah sie sich nach Frau Rettenbach um, deutete mit spitzem Finger auf das Innere des Flügels. Ein Bösendorfer Imperial. Die Gräfin erhob sich und winkte Severin, ihrem Majordomus, wie sie ihn bezeichnete. Der huschte zum feudalen Instrument, zuckte kurz zurück und entfernte dann mit einer Kuchenzange ein Taschentuch aus dem Klavierkorpus. Hatte jemand im letzten Moment Fingerabdrücke auf dem schwarzen Hochglanzlack entdeckt? Dafür hätte es arge Sanktionen gegeben.
Langsam. Da waren doch einige roten Pünktchen auf dem Tuch. Blut? Blödsinn, schalt sich Grohsman. Sicher nur das Muster. Als Kriminalpolizist sah er schon Verbrechen, wo es weit und breit keine gab.
Dorothea griff sich an die Schläfen, betupfte sich Stirn und Lippen mit einem Tuch. Sie starrte auf die Spuren, die der Lippenstift hinterlassen hatte. Grohsman sah, wie ihr das Tuch aus den Händen glitt und zu Boden segelte. Sie guckte nervös zur Seite, ihre Blicke trafen sich. Grohsman nickte ihr aufmunternd zu, scheu erwiderte sie das Lächeln. Sie legte die Finger auf die Klaviatur. Senkte und hob kurz den Kopf, als würde sie die Tasten als ihre Freunde begrüßen. »Trauergondel Nr. 2«. Wie im Rausch trieb sie das Tempo voran und hauchte das mahnende Thema wie ein delikates Seidengespinst in den Salon.
Ein leises Seufzen holte Grohsman zurück aus der Traumwelt. Sally. Seine Hündin, optisch eine Kreuzung zwischen Zwergschnauzer und Ziege. Ihr schmaler dunkelgrauer Kopf mit den Kippohren und der grauen Irokesenlocke lag auf den dunklen Pfoten. Nur die Pfotenspitzen lugten hervor, weiß, als wäre sie durch Mehl getrippelt. Hunde waren im Salon gestattet, wenn sie sich artig benahmen. Wie Sally, sein kleiner Klassikfan.
Wieder grollten die Basstöne. Grohsmans Gedanken wanderten zu dem Taschentuch. Für ein Muster waren die Punkte zu unregelmäßig gewesen. Doch Blutspuren? Auf die Distanz sah er allerdings nicht mehr scharf. Sicher kamen ihm diese Assoziationen wegen des sinistren Werkes.
Es dauerte einige Augenblicke, bis der Applaus der Gäste aufbrandete. Dorothea erhob sich und stürmte aus dem Salon. Erst nach einer Weile kam sie zurück und deutete einen Hofknicks an. Sie nahm ein weiteres Mal Platz und spielte als Zugabe Liszts »Liebestraum Nr. 3«. Ein versöhnlicher Ohrenschmeichler nach dem düsteren Epos.
Frau Rettenbach bedankte sich bei der jungen Pianistin mit einem Biedermeiersträußchen und eröffnete das Büfett.
Grohsman schlenderte zu den Delikatessen. Sie ließ sich nie lumpen, die Gräfin. Heute hatte sie eine steirische Biohofkäserei eingeladen, wie ein dezentes Schildchen hinter den silbernen Tabletts verriet. Grohsman sog genussvoll den Geruch der Brötchen mit Schilcherlandkäse ein. Oder doch vom Kürbiskernkäse kosten? Er griff bei beiden zu.
Grohsman entdeckte die Gastgeberin. »Ein glanzvoller Abend, vielen Dank, Frau Rettenbach.«
»Ich bitt Sie – Marie genügt. Schön, dass Sie wieder zu unserer kleinen Runde gefunden haben. Wir haben Sie vermisst!«
Kleine Runde? Um die fünfzig Gäste zählte er. Er bezweifelte, dass er den anderen abgegangen war. Obwohl, nicht nur Frau Rettenbach hatte ein Faible für Schauergeschichten. Einige der Gäste waren stets näher gerückt, wenn er von einem gelösten Mordfall erzählt hatte. Jedes Detail, wie er den Täter zur Strecke gebracht hatte, hatten sie aus ihm herausgepresst. Caro hatte gelacht. »Denen erzählst du an einem Abend mehr als mir während der kompletten Mordg’schicht!«, hatte sie ihn geneckt.
»Lieber Herr Felix, gönnen Sie sich doch ein Glas Wein. Wie immer vom Mayer am Pfarrplatz, meinem Lieblingswinzer.«
»Ach natürlich, Frau Marie. Der subtile Musikbezug, das Lokal ist doch im Beethovenhaus angesiedelt!« Ein beliebter Heuriger, nicht nur bei Musikbegeisterten. In diesem Haus in Grinzing hatte Beethoven einige Zeit gewohnt und an seiner neunten Symphonie gearbeitet, hatte Grohsman mal gelesen.
»Das auch. Aber die sind ja fast Nachbarn von mir!«
»Nachbarn?«
»Ja, wussten Sie gar nicht, dass hier gleich ums Eck am Schwarzenbergplatz Wiens kleinster Weingarten liegt? Dort bauen sie den Gemischten Satz an. Den sollten Sie kosten.«
Ein Weingarten im ersten Bezirk? Musste er unbedingt erkunden. Grohsman entschied sich für ein Glas vom Gemischten Satz. Eine urösterreichische Spezialität. Keine Cuvée, bei der man jede Traubensorte einzeln vergor und erst kurz vor der Abfüllung vermischte, nein. Hier wurden verschiedene Rebsorten gemeinsam angebaut, geerntet und vergoren. Grüner Veltliner, Riesling, Rotgipfler und Zierfandler, las er auf dem Schildchen, das neben der Flasche stand. Dieses Bouquet – köstlich! Er schnupperte Nuancen von Birne, Zitrusfrüchten und Apfel.
Die Gräfin begrüßte drei Männer neben ihm, die in ein angeregtes Gespräch vertieft waren. »Wolfgang, Bernhard, Klaus! Wie schön, dass Sie kommen konnten. Ich hoffe, es hat Ihnen gefallen?«
»Wunderbar, was Dorothea gezaubert hat«, meinte einer der drei, ein groß gewachsener Mann mit aristokratischem Antlitz. Grohsman fragte sich, ob es sich um Wolfgang, Bernhard oder Klaus handelte. Und ob er Schauspieler war. Mit der sonoren Stimme wäre er dafür prädestiniert.
»Ihr steht sicher eine schöne Karriere bevor«, meinte mit einem Nicken der zweite Mann, der Grohsman bekannt vorkam. Aus dem Fernsehen?
»Ich bin sehr gespannt auf ihr Debüt im Konzerthaus!« Der dritte Mann hob sein Glas und prostete den anderen zu.
Der Austausch mit anderen Gästen über Gott, die Welt und vor allem über die Musik hatte Grohsman gefehlt. Üblicherweise mischten sich die Interpreten unter die Fachsimpler, Dorothea Zauner war jedoch nicht zu sehen.
»Wo versteckt sich unsere Künstlerin?«, fragte Grohsman die Gastgeberin.
»Ich werde nach ihr sehen. Sie ist so ein sensibles Mädchen, man hört es in ihrem Spiel. Durch dieses alberne Tüchl hat sie völlig die Contenance verloren!«
Die Contenance, die Fassung … Hier im Palais war die Zeit jedoch nur scheinbar stehen geblieben. Eine hochmoderne Soundanlage integrierte sich unauffällig in den Barocksalon, und mit ihrem sicheren Sinn für Ästhetik hatte Frau Rettenbach für die Wände Gemälde zeitgenössischer Künstler ausgewählt. Das alles fügte sich perfekt zu einem zeitlos modernen Ensemble.
Ob er nachfragen sollte, was es mit dem »Tüchl« auf sich hatte? Nein. Wäre ihr sicher unangenehm.
2
Frau Rettenbach hatte die Tür zur Künstlergarderobe einen Spalt offen gelassen, Grohsman hörte dahinter ein heftiges Schluchzen.
»Kindchen, ist doch alles gut!«, tröstete die Gräfin.
»Nichts ist gut. Da will mich jemand … mobben!«
Grohsman klopfte leise und steckte seinen Kopf zur Tür herein.
»Kommen Sie, Herr Felix!«, winkte Frau Rettenbach.
Seine Neugierde siegte. »Frau Zauner, es war herrlich, was Sie gespielt haben. Und wie Sie gespielt haben!«, purzelte es aus ihm heraus. Echt pulitzerpreisverdächtig, amüsierte sich Grohsman über sein Gestammel.
»Danke. Sehr lieb von Ihnen. Aber … das war … die wollen …«
»Niemand will dir etwas Böses, Liebes, das mit dem Tuch war ein dummes Missgeschick. Das wird ein Nachspiel haben.«
»Und wieso liegt es jetzt hier?«, schrillte Dorotheas Stimme. »Es ist … schmutzig! Angerotzt!«
Grohsman linste zu dem antiken Frisiertisch. Auf der Glasfläche thronte das Papiertaschentuch. Zerknüllt. Er hatte sich nicht getäuscht. Kein Muster, sondern kleine rote Flecken. Blut? Wie war das Tuch im Klavier gelandet? Und jetzt hier auf dem Tisch? Zu gern hätte er …
»Sie können ruhig schauen, da drüben liegt es. Ich bin doch nicht deppert!« Dorothea schniefte.
Zögernd trat Grohsman vor das Tischchen. Er nahm seinen Stift aus der Jacketttasche und fischte damit nach dem hellen Tuch. »Hat wirklich jemand … verwendet.« Und die roten Punkte sahen eindeutig wie Blut aus.
»Schweinderln gibt’s, das darf nicht wahr sein«, empörte sich Marie Rettenbach. »Ich werde sofort Severin fragen, wo er den Fetzen vorhin entsorgt hat. Sicher nicht hier. Wenn ich den erwische, der das war!«
»Die wollen mich fertigmachen«, zischte Dorothea Zauner.
Grohsman horchte auf. »Wer? Wie?«
»Ich weiß es nicht. Aber Mariusz ist nicht gekommen. Jetzt ist auch er gegen mich.«
»Wer ist Mariusz?«
»Mein Lebensgefährte.«
»Ein sehr talentierter Bursche.« Frau Rettenbach nickte. »Fast hätt ich ihn eingeladen, aber die Dorothea … Du spielst beseelter, Kindchen.« Aufmunternd tätschelte die Dame der Pianistin die Hand. Das Bild der faltigen Hand mit den Altersflecken auf Dorotheas glatter, junger Haut rührte Grohsman.
»Ihm ist sicher was dazwischengekommen, der ist dir doch nicht deinen Erfolg neidig«, beschwichtigte Frau Rettenbach.
Dorothea schüttelte heftig den Kopf. »Er wusste, wie wichtig dieser Abend für mich ist. Ich habe versucht, ihn zu erreichen – er geht nicht ran. Ständig Mailbox.«
»Merkwürdig … Aber du wirst sehen, das klärt sich auf. Jetzt komm mit und lass dich endlich von deinem Publikum feiern. Alle wollen dich bejubeln und mit dir Schampus trinken!«
Widerwillig ließ sich Dorothea aus dem Künstlerzimmer ziehen. Grohsman blieb zurück. »Kannst es wieder nicht lassen«, hätte Caro ihn geneckt. Und auch Magda hätte ihn ausgelacht. Die Tierärztin hatte letztes Jahr seine Hündin nach einer Giftattacke gerettet. Seither verband sie eine Freundschaft zwischen Hundenarren.
Grohsman starrte auf das Tuch. Dass es nun in der Garderobe lag … Hatte sich ein Scherzbold einen Streich erlaubt? Mit zwei spitzen Fingern griff er den Fetzen an einer Ecke. Die kleinen Blutflecken befanden sich deutlich neben eingetrocknetem hellen Sekret – nein, der Fachbegriff machte es nicht appetitlicher. Stammte also nicht von Nasenbluten, dazu waren die Fleckchen zu klein. Eher Blutspritzer, wie von …? »Du spinnst!«, schimpfte Grohsman mit sich selbst.
Er hörte, wie sich Schritte näherten, Damenstöckelschuhe. Reflexartig zog er einen Plastikbeutel aus seiner Jackentasche. Berufskrankheit. Flink versenkte er das Tuch in den Beutel und beförderte ihn in die Lade des Frisiertischs.
»Was machen Sie in der Garderobe meiner Tochter?« Selma Zauner, die Mutter der Pianistin, hatte sich schon zu Beginn des Konzertes in Szene gesetzt.
»Pardon. Grohsman, Felix Grohsman. Ich bewundere das Spiel Ihrer Tochter. Wie ärgerlich, dieser Zwischenfall.«
»Ach, das.« Wie eine Katze, die nach der Beute pratzelte, ließ die Mutter eine manikürte Hand vorschnellen. Blutrot lackierte Fingernägel, teure Ringe. »Dorothea regt sich so furchtbar schnell auf. Und nimmt alles persönlich. Bestimmt hatte jemand einen Niesanfall und ist hinausgeeilt, um das Konzert nicht zu stören. Dabei ist ihm das Tüchl aus der Hand gefallen. Eine Lappalie. Morgen lachen wir darüber.«
»Auch Ihre Tochter?«
»Aber ja. Sie ist so emotional! Deshalb spielt sie ja so himmlisch. Sie hat einen Spundus vor dem Auftritt im Konzerthaus. Wenn sie den erst mal geschafft hat, wird sie wieder klarer sehen.«
»Sie ist außergewöhnlich begabt, Ihre Tochter.«
»Vielen Dank! Ich werde es ihr weitersagen.« Das Feuer in ihren Augen ließ das Gesicht der Frau leuchten. Sollte er sie nach diesem Mariusz fragen? Nein. Es ist nicht dein Fall, mahnte er sich. Weil es gar kein Fall ist. Punkt.
3
Nickys Muskeln brannten. Sie hatte sich gewaltig verausgabt. Beim Rudern hatte sie die Anstrengung in Armen und Beinen nicht so arg wahrgenommen. Aber jetzt? Wie kleine Nadelstiche in den Muckis. Und es hatte sich voll ausgezahlt. Ehrfürchtig legte sie ihre Medaille auf den Wohnzimmertisch. Den dritten Platz hatte sie gewonnen, wie cool war das denn! Dabei war sie in den letzten Monaten nur selten zum Rudertraining erschienen. Ihr lag nicht die Bohne an Wettbewerben.
Paul, der Vereinsobmann vom Ruderclub Odysseus, hatte wieder einmal gepenzt. »Geh, komm, Nicky, wenn wir nicht genug Teilnehmer haben, streichen die unseren Bewerb aus der Landesliste. Kriegst auch das beste Skiff.« Paul mit seinen wettergegerbten Lachfalten. Dass er demnächst in Pension ging, sah man ihm nicht an. Er war für sie zu einem väterlichen Freund geworden. War schon eine Weile her, dass er sie einfach ins Ruderboot geschnallt und mit seiner Begeisterung für diesen Sport angesteckt hatte. Paul, der ihr verständnisvoll zuhörte, wenn sie am Telefon eine Stunde absagte, weil sie keine Zeit hatte. Was in den letzten Monaten oft vorgekommen war. Viel zu oft.
Zunächst hatte sie sich geweigert, an dem Wettbewerb teilzunehmen. Vor vier Wochen hatte sie dann in ihrem Briefkasten eine Ansichtskarte von Daniel gefunden. Aus Japan. Vom Fujiyama, wie poetisch. Aufgegeben im Juni. Drei Monate hatte die Karte gebraucht, war offenbar mit der Schneckenpost gekrochen. Daniel hatte damals geschrieben, er vermisse sie. Wolle sie im Arm halten. Schnee von gestern, wie der auf dem Fujiyama.
Nicky hatte ihre Trainingssachen in ihren Rucksack gepfeffert. Und im Skiff, dem Einer-Rennruderboot, ihren Zorn mit den Rudern in das Wasser der Alten Donau gedroschen. Dabei war sie sonst so pingelig mit ihrem lautlosen Ruderstil. Zwei Stunden lang hatte sie damals das Boot traktiert. Saublöde Idee. Am Abend hatten die Muskeln gebrannt, als hätte sie Chilisoße injiziert.
Bei der nächsten Session hatte sie sich zum Wettbewerb angemeldet und die Karte vom Fujiyama zu jedem Training mitgenommen. Und sie beim Wettkampf ins Boot geklebt. Hatte funktioniert.
»Du bist spitze, Nicky!« Paul hatte ihr ein Krügel Bier in die Hand gedrückt. Halbisotonisches Getränk, scherzten sie immer wieder. Moni und Lisa, die begeisterten Ruderteenies, waren zu ihr gehüpft. »Das nächste Mal müssen wir gemeinsam im Vierer antreten. Die Sascha will auch. Girliepower! Oder ist dein Daniel schon zurück?«
Nicky hatte ihr Krügel in einem Zug geleert und mit einem Krachen auf den Tisch gestellt. Woher sollten die Teenies wissen, dass er nicht mehr ihr Daniel war? Ihre Antwort war knapp ausgefallen. »Sorry, bin hundemüde, hab morgen einen langen Tag …«
Nun hockte Nicky daheim auf ihrem Ledersofa und nahm überlaut wahr, wie die große Wanduhr tickte. Die vom Urlaub mit Daniel in der Toskana stammte. Aus Carrara. Sie waren spontan eine Woche weggefahren, um zu testen, wie kompatibel sie waren. Hatte zunächst alles so harmonisch ausgesehen. Ein paar Unterschiede würzten doch das Zusammenleben, hatte sie damals gefunden. Weil sie die rosarote Brille nicht abnehmen wollte. Nachdenklich starrte sie auf das edle Ziffernblatt aus Alabaster.
Sie schaltete den CD-Player ein. Rebekka Bakken sang »Ghost in this House«. »Ich bin nur ein Geist in diesem Haus, ich bin nur ein Schatten innerhalb dieser Mauern. Still wie eine Maus spuke ich durch die Räume …« Nicky drehte den Player schnell wieder ab. Sie öffnete das Fenster und atmete die laue Oktoberluft ein. Beobachtete ein Pärchen, das sich kichernd umarmte. Sie schluckte den dicken Kloß runter.
Mit Sonja herumalbern, den Frust weglachen, das wär’s jetzt. Ihre Freundin war jedoch im Theater. »Muss das Turnier ausgerechnet an diesem Tag sein? Da hab ich Karten für Hamlet, den muss ich unbedingt sehen! Weißt du, der Yannick spielt den Horatio. So ein Schnuckel …«
Trotzig griff Nicky nach ihrer Medaille. Hätte sie doch im Clubhaus vom Ruderverein bleiben sollen? Paul hatte auf die Karte gedeutet. »Ist von dem Burschi, stimmt’s? Um den brauchst ned weinen. So ein sauberes Mädel wie du! Wenn der des ned sieht, ist er selber schuld. Weißt was? Nächste Woche gehen wir gemeinsam rudern. Dann polieren wir an deiner Technik, und du erzählst mir von deinem Kummer.«
Paul, der gutmütige Bär und Beschützer der Mitglieder des Ruderclubs. Immer noch ein exzellenter Ruderer, eine Zweierpartie mit ihm war eine Auszeichnung. Aber sie hatte die Nase voll von Reden. Hatte halt wehgetan, das Aus. Per WhatsApp. Nicht einmal angerufen hatte Daniel. Elender Feigling. Sie war sich vorgekommen wie ein Hund, den man auf dem Rastplatz aussetzte.
Nicky schnappte sich eine Flasche Chardonnay, schenkte sich ein Glas ein und inhalierte die noblen Aromen von reifer Birne und Tropenfrüchten. Sie legte die CD ihrer Lieblingssängerin Lisa Stansfield ein. »Never, never gonna give you up«, dröhnte es aus dem Lautsprecher. Passte grad nicht. Nächster Song. »This is the right time to believe in love« – okay, definitiv die falsche CD. Was lief im Radio? Phil Collins. »You can’t hurry love …« Na toll. Und was hatte der Fernseher zu bieten? »Tatsächlich … Liebe«. Jetzt? Im Oktober? Das war doch ein Weihnachtsfilm! Mit einem Schnaufen drehte sie ab. Doofe Glotzkiste.
Sie nahm ihr Handy, scrollte in den Kontakten. Karin hob nicht ab – die war sicher mit ihrem neuen Freund im Kino. Waren die überhaupt noch zusammen? Nicky überlegte. War schon eine Weile her, der letzte Mädelsabend. Bernadette hatte unlängst verschnupft gemeint, dass Nicky nur anrufe, wenn sie was brauche. Hatte auch Siggi gelästert. Stimmte gar nicht. Überhaupt, wieso musste immer sie sich melden und nicht die anderen? Conny! Nein, die hatte doch ein Baby bekommen und … oje.
Nicky trat mit dem Fuß gegen den Tisch. Ein Berg Skripten purzelte herunter. Auch das noch. Kostete jede Menge Zeit, das Studium Forensische Psychologie in Konstanz. Sie fand die Blockseminare dort eine willkommene Abwechslung zum Alltag. Praktische Studien und Arbeiten erledigte sie in Wien. Sie hob die Skripten auf und legte sie sanft zurück auf den Tisch. Liebevoll strich sie über eines der Bücher. Taugte ihr eben, diese Welt.
Sie schlich zum Fenster. Das erdige Aroma von Herbstlaub brachte ihre Lebensgeister in Schwung. Sie tippte eine WhatsApp-Nachricht an Karin, Siggi, Bernadette und Conny. »Hey, hab den dritten Platz beim Rudern gewonnen! Würd gern mit euch feiern – habt ihr Zeit? Am 31. Oktober, kleine Halloweenparty am Abend?«
Bing. Bingbing. Prompt kamen die Antworten. »Du bist so eine krasse Powerlady, Nicky! Halloween wär bombig!«, schrieb Karin. »Darf ich mein Baby mitbringen?«, fragte Conny. Und Bernadette meinte, dass das eine Superidee wäre, ein gemeinsames Treffen. Sie hätte dringend was zu erzählen …
Ging doch. Nicky nahm die Alabasteruhr von der Wand und legte sie in den Karton mit den Sachen für den Flohmarkt.
4
»Na komm, Kampfameise!« Grohsman zog sanft an der Leine seiner Hündin. Klar verstand er sie. Sally war beim Konzert mucksmäuschenstill unter dem Sessel geblieben, ziemlich langweilig für sie. Der Büfetttisch hatte ihr schon eher zugesagt, weil immer wieder ein Stückchen Käse runtergefallen war.
Jetzt widmete sie sich hoch konzentriert dem »Zeitungschnuppern«. Nicht ihre übliche Gegend, lauter unbekannte Hundegerüche. Sie schnüffelte mit halb offenem Schnäuzchen und verklärten Augen.
Grohsman flanierte über die Ringstraße. Die prächtigen Ringstraßenbauten nahm er in seiner Müdigkeit kaum wahr. Sally hatte sich einen ausgiebigen Spaziergang verdient, dennoch zog es ihn zurück in seine gemütliche Wohnung. Mal so richtig ausschlafen. Den Sonntag zelebrieren. Sein Neffe Lukas hatte sich für morgen angesagt. Nach einigen Jahren wieder einmal gemeinsam Fußball spielen!
Grohsmans Gedanken verselbstständigten sich. Dieses Taschentuch mit Blutspuren. Skurrile Erlebnisse waren beim Musiksalon im Palais Rettenbach eher selten. Bemerkenswert, wie Marie Rettenbach Haltung bewahrt hatte. Im Gegensatz zu Dorothea Zauner, der jungen Pianistin, die später beim Stehbüfett wie ein aufgescheuchtes Huhn herumgelaufen war. Ihre ätherische Erscheinung auf dem Podium hatte sich verflüchtigt, ihre sanfte Stimme war in ein aufgeregtes Gackern gekippt.
Sallys Diskant riss ihn zurück in die Gegenwart. »Aha, genug getrödelt. Na, dann los!«
War ein ordentlicher Fußmarsch vom Palais beim Resselpark bis zur Oberen Augartenstraße, seiner neuen Wohnadresse. Nur einen Spaziergang von der Leopoldsgasse entfernt, wo sich die Polizeiinspektion befand, seine Dienststelle. Na, meistens fuhr er trotzdem mit dem Auto zur Arbeit, kam zu oft vor, dass er schnell zu einer Befragung musste. Das großzügige Apartment im Dachgeschoss hätte Caro gefallen, und der benachbarte Augarten war ein Hundeparadies.
Wie oft hatten sie über eine Übersiedlung gesprochen? Das für Kinder gedachte Zimmer hatten sie zu einem Atelier für Caro umfunktioniert, obwohl der Raum dafür zu dunkel gewesen war. Doch solange es leer stand, hatte es ihnen ständig vor Augen geführt, dass der Kinderwunsch ausgeträumt war.
Grohsman hatte sich erst geweigert, die Wohnung aufzugeben, die er so viele Jahre mit seiner Frau geteilt hatte. Bis er endlich begriff: Hier gab es keine tröstenden Erinnerungen, im Gegenteil. Die Leere jener Räume, in denen Caros Lachen noch widerhallte, ließ ihn seinen bitteren Verlust nur noch deutlicher spüren. Dann hatte er diese Maisonette gefunden. Hell, großzügige Dachterrasse … eine perfekte Junggesellenwohnung. Obwohl, groß genug war sie, falls doch irgendwann … »Komm, Sally. Dein Herrl denkt nur Blödsinn«, brummte er.
Lag sicher an dem Musikprogramm heute. Diese intensiven Musikstücke, die »Trauergondeln«, versetzten ihn in eine melancholische Stimmung. Magda fiel ihm ein, die Tierärztin mit dem prickelnden Lachen, das ihn an Champagner erinnerte. Gerne wäre er mit ihr zum Konzert gekommen, aber Magda hörte lieber Hip-Hop. Nicht seine Musik. Und das war nicht das einzige Thema, bei dem ihre Meinungen auseinandergingen.
Wolken zogen auf. Kam heute noch ein Gewitter? Grohsman überquerte die Augartenbrücke, unter der sich der Donaukanal wie ein schwarzes Ungeheuer durchschlängelte. Der Pensionist kam ihm in den Sinn, der sich vor vielen Jahren von dieser Brücke gestürzt hatte. Grohsman, damals neu bei der Kriminalpolizei, hatte den Selbstmord angezweifelt. War hartnäckig geblieben. Weil »ein komisches Gefühl« in seinem Magen rumorte. Er hatte recht behalten. Der reizende Sohn hatte sein Erbe nicht abwarten wollen. Oh, war der sauer gewesen auf den »frischg’fangten Krimineser«! Pech. Aus der Traum vom gemachten Nest. Schwedische Gardinen waren sicher nicht so einladend.
Sein Sturschädel hatte ihm zu einer respektablen Aufklärungsrate verholfen. Der Karriere stand sein Querdenken allerdings im Weg. Zwar war ihm bald die Leitung einer Einheit übertragen worden, befördert wurden dennoch andere Kollegen. Weil er nie kuschte. Diplomatie im Umgang mit den Chefitäten? Wozu? Wen kümmerte ein Dienstgrad? Die Beförderung zum Bezirksinspektor heuer, da war den Vorgesetzten nichts anderes mehr übrig geblieben.
Fast hätte er das Vibrieren seines Handys nicht bemerkt. War lautlos geschaltet.
»Herr Inspektor, können Sie kommen? Es ist etwas … passiert.«
Sofort erkannte Grohsman die Stimme der Gräfin. Wie sie um Fassung rang … Steckte doch mehr hinter diesem Taschentuch mit den Blutspuren? Er drehte am Stand um. Sally wüffte begeistert, als er in den Laufschritt fiel.
5
Vor dem Palais winkte ihm Frau Rettenbach hektisch entgegen. »Herr Felix, bitte hier entlang.«
Grohsman hastete der Dame nach. Niemand würde sie auf über siebzig schätzen. Ob sie den aufrechten Gang als Kind mit einem Buch auf dem Haupt geübt hatte? Keine Zeit für belangloses Zeugs, ermahnte er sich.
Die Gräfin führte ihn zur Tiefgarage gleich neben dem Palais, Grohsmans Schritte hallten im Kellergeschoss. Spärlich beleuchtet, es roch modrig. Und nach Benzin. Die grob verputzten Wände waren grau von den Abgasen. Hier standen verdammt wenige Autos. Okay, die Garage gehörte zu einem Bürogebäude, und es war lange nach Büroschluss.
Ein Schluchzen zerriss die Stille. Es kam von Dorothea Zauner. Ihre Mutter hatte schützend die Arme um sie gelegt und wiegte sie wie ein kleines Kind. Strich ihr beruhigend über den Kopf.
Da, hinter den beiden Frauen, stand ein alter, verkratzter VW Passat. Der geöffnete Kofferraum verhieß Unheil. Grohsman drückte Marie Rettenbach stumm Sallys Leine in die Hand und eilte zum Heck des Autos, starrte in den Kofferraum.
Er hatte es schon so oft gesehen. Der Anblick eines Toten schreckte ihn nicht. Gehörte eben zu seinem Beruf. Und dennoch … Tatortanalyse, spuckte sein Hirn aus.
Auf Mitte zwanzig schätzte er den Mann. Zusammengekauert wie ein Baby, den Kopf auf die linke Hand gebettet. Dunkles Haar, kinnlang, sorgfältig hinter das Ohr gestrichen. Seine Augen waren geschlossen. Als ob er bloß schliefe. Der Anblick hatte beinahe etwas Anrührendes, Friedliches. Wäre da nicht die dicke Blutkruste an der Schläfe, die die Harmonie zerschnitt.
»Weiß jemand, wer das ist?«, fragte Grohsman in die Runde.
»Das ist Mariusz …«, schniefte Dorothea Zauner.
»Kindchen, ich hab dir gleich gesagt, dass ihm etwas Ernstes dazwischengekommen sein muss«, meinte Frau Rettenbach unbeholfen.
»Mariusz … und wie noch?« Grohsman zückte seinen Block. Ohne den verließ er nie das Haus.
»Ich schreib’s Ihnen auf, Herr Felix.« Frau Rettenbach nahm ihm Block und Stift aus der Hand, notierte schwungvoll einen Namen und reichte ihm beides zurück.
»Mariusz Lión«, las Grohsman laut.
»Er ist mein Lebensgefährte. Na ja, Freund. Also … war er …« Wieder schluchzte Dorothea.
Wie ferngesteuert griff Grohsman zum Handy. Spurensicherung, Amtsarzt. Und seine Kollegin Joe Kettler.
6
Joe stampfte den Groove mit. Cooler Gig. Die gaben ordentlich Gas, die Jungs. The Flying Monkeys – eine Freundin hatte ihr den Tipp gegeben. Funky Rock vom Feinsten. Ein bisschen wie die Red Hot Chili Peppers. Überhaupt die letzte Nummer, die fetzte gewaltig!
Kurze Pause zum Durchschnaufen. Sie ließ sich auf einen der Barhocker fallen und stemmte die Ellbogen auf den polierten Tresen. Lässiges Plätzchen. Wie viele Stunden hatte sie in diesem Szenelokal verbracht? Taugte ihr, die gediegene Atmosphäre mit hippen Einflüssen. Die Plakate vergangener Events und Konzerte erzählten von der Geschichte des Lokals. Lauter angesagte Bands und Comedians, die schon auf dieser Kellerbühne aufgetreten waren.
Vom Mitjohlen war Joes Kehle rau, da half sicher ein gepflegtes Bier.
»Hey, wollt dich grad fragen, ob du was trinken willst«, tönte eine Stimme neben ihr. Männlich. Sehr männlich, wie Joe fand. Der Gitarrist! Wie genial war das denn? Gänsehaut. Sie grinste ihn an. Wow, diese Augenfarbe, wie … Waldhonig. Goldpunkte schimmerten darin. Passten zu seinen frechen goldbraunen Locken, die er sich aus dem Gesicht strich.
»Schnapp dir halt auch ein Bier und heben wir gemeinsam einen!« Sie nahm ihr Glas. »Ich bin übrigens die Joe.«
»Joe? Abgefahren. Ich heiß Ronnie.«
»Coole Gitarrenriffs, die Fender hat einen spitze Ton. Und dass du eine Dobro hast, total stark. Voll krasser Klang.«
»Hey, du kennst dich aus – spielst du auch?«
»Nö. Aber ich steh auf Funkrock.«
»Dann musst du zu unserem nächsten Gig kommen. Am Donnerstag sind wir in Perchtoldsdorf, in der Burg. Das wird so was von funky!«
»Die Burg? Da sind doch bloß klassische Konzerte.«
»Nicht nur. Burg, Felsen, auf Englisch rock, haben die auch behirnt, dass sich das matcht.«
Joes Handy vibrierte. Grohsman. Ein Einsatz? Ausgerechnet jetzt? »Bin auf dem Weg«, seufzte sie ins Telefon. Sie schüttelte den Kopf. »Sorry, ich muss los. Dienst.«
»Um die Zeit? Was ist das für eine Hack’n?«
»Kripo«, erwiderte Joe knapp.
»Boah, echt? Geil.«
»Geht so. Die Dienstzeiten sind nicht immer lustig.«
»Na, als Musiker hab ich auch keine fixen Bürozeiten. Und jetzt musst du zu einem … Mord?«
»Zu einem Toten.«
»Hammer!«
»Hätt mir lieber das zweite Set angehört.« Sie schob ihr Bier zu Ronnie und nickte ihm zu. »Na dann, bis Donnerstag … vielleicht …«
»Hey, ruf mich an, kriegst ein Gratisticket!«
Joe starrte auf den Zettel, den Ronnie ihr entgegenhielt. Mit einer Telefonnummer. »M-mach ich!«
7
Verflogen war Grohsmans Müdigkeit. Er war selten als Erster vor Ort. Konzentriert scannte er die Umgebung. Der Garagenboden war mit einer schmierigen Staubschicht überzogen. Nirgends Schleifspuren. Auch kein Blut. Der Kofferraum war ebenfalls relativ sauber. Schläfenverletzungen bluteten heftig, das hätte eine ordentliche Sauerei gegeben. »Ist also nicht der Tatort«, murmelte Grohsman. Ein Gewaltverbrechen in jedem Fall.
Selma Zauner stand auf und kam näher. Frau Rettenbach pflanzte sich demonstrativ in einigem Abstand zum Auto auf. Grohsman dankte ihr mit einem Kopfnicken. Seine Hündin ahmte die Gräfin nach und reckte ihr Köpfchen in die Höhe. Die Stille wurde nur von gelegentlichen Schluchzern unterbrochen. Und von der monotonen Stimme der Mutter.
»Wer hat den Toten gefunden?«, fragte Grohsman.
»Severin, mein Majordomus. Er ist dort drüben.« Frau Rettenbach deutete zur Wand, wo ein Häufchen Elend auf dem Boden hockte. »Er hat Frau Zauner geholfen, die Blumen, die Noten und das Kleid zu tragen. Severin wollte alles im Kofferraum verstauen … und dann das …«
»Herr Severin, war der Kofferraum versperrt?«
Der Mann betupfte sich die Stirn. »Nein. Der war offen. Ganz sicher.«
»Wir möchten jetzt gehen«, herrschte die Mutter Grohsman an.
»Einen Moment Geduld, ich bin gleich bei Ihnen.«
»Geduld, Geduld«, keifte sie und stampfte mit dem Fuß auf.
Grohsman bemühte sich, die Frauen auszublenden. Mit seinem neuen Handy fotografierte er den Kofferraum und das unversehrte Schloss. Unbemerkt schoss er auch ein Foto von Selma Zauner, die mechanisch die Schulter ihrer Tochter streichelte und auf sie einredete.
Endlich tauchten die Kollegen der Kriminaltechnik auf, im Affentempo riegelten sie den Bereich ab. Grohsman hörte ein Schuhklappern. Joe im Laufschritt. Mit Pumps? Hatte er an ihr noch nie gesehen. Sie bildeten einen erfrischenden Kontrast zu ihrer schwarzen Lederkluft.
Joe ordnete ihre zerzausten, kurzen Locken und wischte sich über die geröteten Wangen. »’tschuldigung, Boss, ich bin so schnell gekommen wie möglich …«
»Passt schon. Der Tote heißt Mariusz Lión und ist der Freund der jungen Frau hier. Dorothea Zauner, Pianistin, ist heute in Marie Rettenbachs Musiksalon aufgetreten.« Grohsman deutete auf die Gräfin. »Er wurde im Kofferraum von dem VW Passat gefunden. Ihr Auto?«, fragte er die Pianistin.
Dorothea nickte.
»Tag!«, grüßte Joe knapp und drehte sich zum Auto. »Kann ich mal schauen?« Sie ging zum Kofferraum. »Wie ist er da hineingekommen?«, flüsterte sie.
»Also, von selber ist er nicht hineingekraxelt«, meinte Frau Rettenbach. Das Zittern ihrer Stimme verriet Grohsman, dass der Tod des jungen Mannes ihr an die Nieren ging.
Die gespenstische Stille von vorhin war einem Treiben wie in einem Termitenbau gewichen. Dorothea schniefte in ihr Taschentuch, ihre Mutter klopfte genervt mit der Fußspitze. Nicht nur die stickige Luft engte Grohsman ein. Sein Kopf dröhnte. Er musste die Frauen loswerden.
»Frau … Marie, Sie können jetzt alle zurück ins Palais gehen. Wir sehen uns später im Salon.«
Frau Rettenbach klatschte in die Hände. »Kommen Sie, meine Damen. Trinken wir ein Glaserl Wein auf den Schock und lassen den Herrn Felix arbeiten.« Sie reichte der verdutzten Joe die Hundeleine. Dann drehte sie sich um und schritt energisch davon. Ihr langer Samtrock schwang elegant mit.
Grohsman atmete durch. Schon besser.
8
»Was war das jetzt?« Joe starrte erst auf den Hund, dann hinter den drei Frauen und dem älteren Mann her, die fluchtartig die Tiefgarage verließen.
»Ich war heute im Konzert von Dorothea Zauner, das Marie Rettenbach organisiert hat. Dorotheas Gemüt war den ganzen Abend schon, sagen wir mal, ›umwölkt‹. Ein deplatziertes Taschentuch hat sie aufgeregt. Da fällt mir ein … das hab ich oben in die Lade gegeben.«
»Boss, du sprichst in Rätseln.«
War ihm klar. »Ich war schon am Heimweg, da hat mich Frau Rettenbach zurückgerufen. Und jetzt …« Er brach ab. Deutete auf das Auto. Wieder kein Wochenende. Keine freien Abende. Er schüttelte den Gedanken ab. Sah den Kollegen zu, wie sie Scheinwerfer justierten, Fotos schossen. Und die Leiche auf eine Plane auf den Boden legten. Die Arme des Toten fielen schlaff zur Seite. Die düsteren Akkorde der »Trauergondel« klangen in Grohsmans Kopf nach.
Der Kollege aus der Gerichtsmedizin kniete sich neben den Toten.
»Schlesinger, du kommst persönlich her?«, fragte Grohsman überrascht. »Welche Ehre!«
»Na ja, hat sich nach einem gewaltsamen Tod angehört, da haben die Kollegen mich gleich direkt verständigt. Die Leiche landet ja sowieso auf meinem Tisch. Je weniger Dilettanten vorher dran herumfingern, umso besser für mich. Ist sowieso alles befremdlich.« Wie bedächtig und leise Schlesinger sprach. Als ob er den Toten nicht erschrecken wollte.
»Was ist seltsam?«
»Na, das ist eindeutig nicht der Tatort.«
»Hab ich mir schon gedacht.«
»Ah, ja? Dann hätt ich mich ja gar nicht herbemühen müssen.« Mit einem Stupser rückte Schlesinger seine Nickelbrille zurecht. Obwohl schon über vierzig, wirkte er immer noch wie ein Student. Knopfaugen wie ein Koboldmaki, nur dunkel. Das kupferfarbene Haar sauber in der Mitte gescheitelt. Joe hatte mal gemeint, er erinnere sie an Percy Weasley, den Oberstreber aus »Harry Potter«. Schlesinger ging im Zweifelsfall immer von einem Gewaltdelikt aus. Ein weiterer Grund, warum Grohsman sich mit ihm verstand, selbst wenn er den Humor des Leichenaufschneiders nicht teilte. Der war nicht tiefschwarz, sondern lichtabsorbierend.
»Geh, Schlesinger, spiel doch nicht gleich beleidigte Leberwurst. Ich wollte doch nur beweisen, dass deine Schnelleinführungen bei mir Wirkung zeigen.«
»Ja, ja, so ein Crashkurs ist fein, stimmt’s?«
Joe stemmte die Hände in die Hüften. »Fehlendes Blut deutet darauf hin, dass das Opfer woanders gestorben wurde.« Sie richtete ihre ganzen ein Meter fünfundsechzig auf und streckte das Kinn vor.
»Gestorben wurde, haha, der könnt von mir sein!«, lachte Schlesinger.
»Darf ich euch einen Kaffee bringen, oder wenden wir uns wieder dem Fall zu?«, grantelte Grohsman. »Kann das hier ein Unfall gewesen sein, der vertuscht werden sollte?«
»Soweit ich das ohne Obduktion beurteilen kann: nein. Wäre er unglücklich gestürzt, würde die Wunde anders aussehen. Ich will mich noch nicht festlegen, gehe aber von einem vorsätzlichen Tötungsdelikt aus.«
Das deckte sich mit Grohsmans Vermutung. »Und was ist dir sonst noch aufgefallen?«
»Die Körpertemperatur.«
»Aha. Geh, Schlesinger, lass dir die Würmer nicht aus der Nase ziehen.«
»Nein, nein, Grohsman. Würmer gibt’s da noch keine. Die Leiche ist tadellos intakt. Nur ein bisserl kalt. Der Tote hat grad mal zwölf Grad.«
»Wie viel? Zwölf? Draußen hat es siebzehn Grad, und hier in der Garage kommt es mir noch wärmer vor. Der Körper ist also gekühlt gelagert worden?«
»Ist anzunehmen. Wird dadurch ein bisserl haarig mit dem Feststellen des Todeszeitpunkts.«
Grohsman stöhnte. »Wie schön. Und ob die Schädelverletzung die Todesursache war, weißt du auch erst später.«
»Richtig gemutmaßt.«
»Dann ruf bitte an, sobald du mehr sagen kannst.«
»Oder ich schick dir den Bericht per E-Mail. Oder die Kollegin holt ihn bei mir ab? Dann gibt’s auch ein Crashkurserl. Wollen S’, Frau …?«
»Kettler. Na ja, also … tät mich schon interessieren …«
»Ja bravo, Frau Kollegin! Sehr lobenswert, wenn die Jugend Interesse zeigt! Aber das Hunderl können Sie leider nicht mitnehmen!«
Grohsman sah auf Sally, die sich zu Joes Füßen zusammengerollt hatte und döste. »Die könnte vielleicht helfen, was Verdächtiges zu erschnüffeln.«
»Hundekekse?« Joe kicherte.
Grohsman nickte Joe zu. Anerkennend. Steile Entwicklung seit letztem Jahr, als er sie erstmals zu Tatorten mitgenommen hatte. Sie war anfangs noch blass ums Näschen geworden. Musste jeder seinen Weg finden, mit Leichen umzugehen. Und mit Morden. Sein eigener Zugang? Er hatte die Fähigkeit entwickelt, Tote als »vom Leben Abwesende« zu betrachten. Als »Beweisstück Nummer eins«, das es zu untersuchen galt.
Zwei Männer der Kriminaltechnik näherten sich. »Der Kofferraum wurde nicht aufgebrochen. Fingerabdrücke gibt’s jede Menge, die meisten verwischt. Wenigstens ist das noch ein Auto mit Schlössern, da findet sich vielleicht was Verwertbares.«
Grohsman blätterte in seinem Block. »Der Hausangestellte hat den Kofferraum geöffnet, seine Fingerabdrücke findet ihr sicher. Laut ihm war der Deckel unversperrt.« Hatte Dorothea Zauner schon aufgeschlossen? Er notierte sich die Frage.
»Der Tote hat übrigens nichts bei sich. Kein Handy, Schlüssel, Geldbörse oder Ausweise. Nur diese Eintrittskarte.«
Eine Eintrittskarte für die Sammlung alter Musikinstrumente in der Neuen Burg. Nicht gerade bahnbrechend. Er schoss ein Foto der Karte. »Also sind seine Taschen geleert worden, bevor er hier deponiert wurde. Leider nicht ungewöhnlich.«
Grohsman betrachtete den Toten. Lión hatte fein gemeißelte Gesichtszüge, hohe Wangenknochen, dunkle Haare. Ein fescher junger Mann. Vorsichtig hob Grohsman ein Augenlid. Augen wie Steinkohle. Oder sahen sie nur hier so dunkel aus?
Er stand auf. »Joe, komm, wir befragen die Zeuginnen. Dann siehst du das mondäne Stadtpalais, in dem Frau Rettenbach ihren Musiksalon abhält. Wenn du dich beeindruckt zeigst, hast du sie auf deiner Seite.«
»Und wenn sie …?«
»Was, den jungen Mann erschlagen hat? Und ins Auto gelegt? Sie ist sehr gut in Form – aber das traue ich ihr in keiner Hinsicht zu.«
9
Sie hätte heute echt im Ruderclub bleiben sollen. Nicky beendete nachdenklich den Anruf vom Hanusch-Krankenhaus, wo sie arbeitete. Ihr Patient Moritz Nieheim musste wieder künstlich ernährt werden.
»Wieso habt ihr mich nicht sterben lassen?«, hatte er geschrien, als er vor zwei Wochen im Spital das Bewusstsein wiedererlangt hatte. Nach einem Suizidversuch. Seither schwieg er beharrlich. Er sah Nicky in den Therapiesessions nicht einmal an. Erinnerte sie an eine Patientin im Vorjahr, ebenfalls ein missglückter Selbstmordversuch. Im Krankenhaus war die Patientin in einen katatonischen Zustand gefallen. Nur einmal hatte sie das Zimmer verlassen. Nicky hatte die Patientin damals gefunden, im Raum mit den Putzmitteln. Die Frau hatte sich erhängt.
Nicky war Klinische Psychologin. So was Ähnliches wie Psychotherapeutin, nur ganz anders, wie sie oft scherzhaft erklärte. Dieser Beruf bedeutete für sie viele Ups, aber natürlich auch einige Downs. Bei Patienten wie Moritz Nieheim kamen ihr Zweifel, ob sie diesen Job bis zur Pensionierung ausüben wollte. Mal sehen, wie sich das mit der Forensischen Psychologie entwickelte.
Sie strich über ihre Skripten. Wenn sie Gas gab, schaffte sie nächstes Jahr ihren Studienabschluss. Im Vorjahr war sie in einen Mordfall verwickelt gewesen. Ziemlich gruselig, wie sie damals mitten in der Nacht eine Tote entdeckt hatte. Der Inspektor, Felix Grohsman, hatte sie sogar kurz verdächtigt. Also hatte sie selbst recherchiert. Hatte ihr voll getaugt.
Okay, Forensische Psychologie hatte nichts mit Recherche im eigentlichen Sinn zu tun. Sie fand dieses Feld dennoch faszinierend. Ja gut, die Fotos, die sie im Rahmen des Studiums analysierten? Tatorte. Und Opfer von Gewaltverbrechen. War definitiv was anderes, ob jemand im Film tot »spielte« oder ob das Leben tatsächlich aus einem Menschen gewichen war. Bevor sie mit dem Studium angefangen hatte, war sie eine Runde durch das Wiener Kriminalmuseum gegangen. Echt heftig. Bis sie die Bilder im Analysemodus betrachtete. Das funktionierte.
Schon wieder das Handy. Unbekannte Nummer. »Ja bitte?«
»Spreche ich mit Frau Witt? Hier ist Pascal Vignaud vom Hanusch-Krankenhaus.«
Der neue Arzt. Vor ein paar Monaten war er in Nickys Abteilung gekommen. Bitte nicht die Nachricht, dass Moritz Nieheim verstorben war. »Ja …?«, sagte sie zaghaft. Ihr Herz trommelte gegen das Brustbein. »Wenn es wegen Herrn Nieheim ist …«
»Nur am Rande. Ich habe erfahren, dass die Pflegerin Sie angerufen hat. In Ihrer Freizeit. Das ist inakzeptabel von ihr.«
»Nein, das … Ich hatte sie gebeten, mich anzurufen, wenn sich sein Zustand drastisch ändert. Er ist mein Patient.« Nicky schluckte. »Sieht so aus, als würde ich bei ihm alles falsch machen.« Wieso war sie so schräg drauf? Sie war doch sonst nicht so pessimistisch.
»Das stimmt nicht, Frau Witt, Ihre Behandlung hat superb angeschlagen. Dank Ihnen hat er zuletzt wieder selbstständig gegessen. Bis heute. Der Besuch eines Arbeitskollegen hat ihn aus der Bahn geworfen und Ihre Erfolge zunichtegemacht. Deshalb der Rückfall. Und aus dem Grund wollte ich nicht, dass die Pflegerin Sie direkt anruft.«
»Danke.« Nicky ließ das Handy sinken. Wie aufmunternd die Worte von Dr. Vignaud klangen. Total nett von ihm, dass er extra anrief. Er stammte aus Frankreich und hatte den melodiösen Akzent nicht abgelegt. Einer der Gründe, warum er bei den Patienten beliebt war. Und bei den Patientinnen.
10
Im Palais Rettenbach herrschte nun Stille. Noch vor einer Stunde hatte es hier wie in einem Bienenstock gesummt. Grohsman sah zwei schwitzenden Männern zu, die im Salon Sessel auf einen Transportwagen stapelten. Zerstört war die feierliche Stimmung. Das Klavier stand verloren im Eck.
Marie Rettenbach kam ihm entgegen. Ihre Augen waren umschattet. »Ich habe alle Gäste hinauskomplimentiert. Dorothea und ihre Mutter sind im Kaminzimmer.«
Grohsman nickte. »Ich gehe sofort zu ihnen. Mit wem kann ich wegen der Videoüberwachung der Tiefgarage sprechen? Ich habe eine Kamera gesehen, die Aufzeichnungen brauche ich.«
»Darum kümmere ich mich, Herr Felix.« Sie entfernte sich.
»Danke.«
Grohsman schlug seinen Block auf und legte ihn auf eine Mahagonianrichte. Der Geruch der Möbelpolitur mit Bienenwachs weckte Kindheitserinnerungen. Hatte seine Mutter ebenfalls benützt.
»Feudaler Schuppen«, riss ihn Joe aus den Gedanken.
»Ich bin mir nicht sicher, ob Frau Rettenbach deine Wortwahl billigt, aber dem Inhalt würde sie sich anschließen.«
Grohsman schwirrte der Kopf. Jeder neue Fall begann schwarz. Leer. Hohl. Das Zusammentragen der Daten war eine Art Puzzle. Es dauerte oft sehr lange, bis die Teile irgendeinen Sinn ergaben. Und nicht selten mogelten sich falsche Steinchen dazu. Wo sollte er anfangen? Mit der Gästeliste von heute Abend. Wer war wann gekommen und gegangen? In welchem Zusammenhang stand die Tat mit Dorothea Zauner? Welche Rolle spielte die unsägliche Taschentuchepisode?
Das Taschentuch!
»Ich komme gleich«, murmelte er und schlich ins Künstlerzimmer. Vorsichtig ließ er das Plastiksäckchen mit dem Tuch in seiner Jackentasche verschwinden. Sein Blick fiel auf den Spiegel. »Das werden wieder lange Tage«, grummelte er seinem müden Spiegelbild zu und eilte ins Kaminzimmer.
Er nickte Joe zu. »Los geht’s.«
»Wem gehört der Laden?«
»Dieser ›Laden‹, das Stadtpalais Rettenbach, ist in Familienbesitz. Frau Rettenbach ist reich verwitwet, mit viel Liebe hält sie das Haus instand. Und mit ihrem legendären Kunstsalon bietet sie vor allem jungen Künstlern eine Bühne. Ein echtes Privileg, hier Gast sein zu dürfen.«
»Mich hat sie noch nie eingeladen.« Joe rümpfte die Nase.
»Ich wusste nicht, dass Sie klassische Musik mögen«, meinte Marie Rettenbach, die leise hinzugetreten war. »Herr Felix, bringen Sie Ihre Kollegin das nächste Mal mit. Eine Frischzellenkur würde dem Salon nicht schaden. Wir benötigen junges Blut!«
»Sind das Vampirpartys?«, wisperte Joe Grohsman zu.
Die Gräfin lachte schallend. »Keine Sorge, Blutsauger schmeiß ich sofort raus. Wie heißen Sie?«
»Joe. Joe Kettler.«
»Lassen Sie mich raten. Johanna? Da klingt das französische Jeanne doch viel kräftiger.«
Joe schnaubte. »Erinnert mich an Jeanne d’Arc. Auf dem Scheiterhaufen will ich nicht landen.«
»Ah, Sie sind belesen? Hervorragend. Johanna war eine mutige Kämpferin. Ich wette, Sie lassen sich auch nichts gefallen!«
Grohsman räusperte sich. »Meine Damen, können wir die linguistischen und historischen Fragen auf ein anderes Mal verlegen? Frau Marie, wie gut kannten Sie den Toten?«
»Ach, Herr Felix … Am Klavier war er ein impulsives Jüngelchen. Feuer und Eis. Wenn er gespielt hat, ist er in eine Welt abgetaucht, zu der niemand außer ihm Zutritt hatte. Da war ein Lodern in seinen Augen, das besonders auf die Damen einen unwiderstehlichen Reiz ausgeübt hat. Eine Faszination. An wen erinnert Sie sein Gesicht?«
Grohsman sah auf eines der Fotos auf seinem Handy. »Hm, die langen dunklen Haare, der Mittelscheitel, das hagere Gesicht – ein bisschen wie Franz Liszt in jungen Jahren, oder?«
»Genau. Mariusz war ein charismatischer Teufel. Schauen Sie ins Internet. Auf seiner Seite hat er Musikvideos. Wenn Sie ihn spielen sehen, werden Sie verstehen, was ich meine.«
Internet. Die Frau überraschte ihn immer wieder. Er versuchte, sich vorzustellen, wie sich die Gräfin YouTube-Clips hineinzog. Sein Mundwinkel zuckte. »Danke, Frau Marie, werde ich machen. Und nun zu Mutter und Tochter Zauner.«
Frau Rettenbach nickte. »Dann störe ich nicht länger. Sie finden mich im Salon.«
Grohsman lächelte milde. Auch wenn Frau Rettenbach neuen Technologien gegenüber aufgeschlossen war, wusste er: Die Frau lebte gedanklich in einer Zeit, in der Musiksalons nicht als exotisch und ausgefallen galten. Vieles hatte sich seitdem geändert – aber nicht alles. Gemordet wurde damals ebenso wie heute.
»Da sind Sie ja endlich.« Selma Zauner war aufgesprungen. »Meine Tochter ist müde. Völlig fertig mit den Nerven.«
»Frau Zauner, bitte nehmen Sie wieder Platz.« Grohsman deutete auf ein sofaähnliches Möbelstück. Eine Chaiselongue, wie die Gräfin sagen würde.
Dorothea hatte ihre Konzertrobe gegen Jeans und einen bequemen Pulli mit ausladendem Wasserfallkragen gewechselt. Stand ihr gut, das jugendliche Outfit. Mit hängenden Schultern lümmelte sie auf dem Sofa und rutschte hin und her, bis ihre Mutter sie am Arm packte.
»Frau Zauner.« Grohsman sah die Pianistin an. Ihre Augenlider waren gerötet, die Schminke verschmiert. Ihre Unterlippe bebte. »Mariusz Lión … wenn ich das vorhin richtig verstanden habe, war er Ihr Freund?«
Sie nickte mit einem Schniefen und fuhr sich durch die kastanienbraunen Haare. Ihr achtlos gebundener Haarknödel rutschte bedenklich.
»Wie lange waren Sie ein Paar?«
»Meine Tochter kennt Mariusz schon länger. Sie sind sich beim Klavierspielen begegnet. Er spielte nicht schlecht.«
Eislaufmama?, überlegte Grohsman. Aus dem Augenwinkel bemerkte er, wie Joe die Mundwinkel verzog. »Frau Zauner, kann bitte Ihre Tochter …?«
»Mit Fragen, die ich auch beantworten kann, müssen Sie nicht Dorothea quälen. Haben Sie gar kein Mitgefühl?«
Grohsman entging nicht, wie sich Dorothea aus dem Arm der Mutter herauswand. »Eben aus Mitgefühl möchte ich verstehen, was in Ihnen, Dorothea, vor sich geht.«
Wieder nickte die junge Frau stumm und zog die Nase hoch. Ein unappetitliches Geräusch, das nicht zu ihr passte. Er hielt ihr ein Päckchen Taschentücher hin, langsam zog sie eines heraus und schnäuzte sich geräuschvoll.
»Also. Zurück zu Herrn Lión.«
»Wir sind beide am Mozart-Konservatorium. Er ist mir sofort aufgefallen. Wie er Chopin spielt … oder Liszt …«
»Kein Wunder, dass er die Ostblöckler spielen kann. Kommt selber aus Polen. Und hat eine polnische Lehrerin.« Selma Zauner schien ihn nicht unbedingt für den idealen Schwiegersohn zu halten. Weil er Konkurrenz für die Tochter bedeutete? Grohsman notierte »Eifersucht« und setzte ein Fragezeichen dahinter.
»Mama, das stimmt nicht. Er kann auch wunderbar Ravel spielen. Konnte …« Wieder schluchzte sie laut.
»Seit wann sind Sie zusammen?«
»Seit letztem Jahr. Er war in unserem Klassenabend und fand meinen Schubert toll. Wir haben schon davor viel über Musik diskutiert, aber diesmal war es … intensiver. Bei einem Konzert haben wir dann mal vierhändig gespielt, das war wie …« Dorothea brach ab. Sie knetete mechanisch das Taschentuch. »Irgendwann sind wir in seine Wohnung gefahren, er hat zwei Flügel. Die ganze Nacht haben wir musiziert. Seitdem ist er mein Freund.«
»Sie wohnten zusammen?«
»Nein, dazu sind unsere beiden Wohnungen zu klein. Da würden wir uns ums Klavier streiten. Aber wir haben uns oft gesehen. Wenn wir uns nicht auf einen Auftritt vorbereitet haben, wie jetzt.«
»Heute Abend, war er da vorher in Ihrer Wohnung?«
»Nein. Ich bin furchtbar nervös vor einem Auftritt, da halte ich niemanden um mich aus. Er wollte später zum Konzert kommen.«
»Wann haben Sie ihn zuletzt gesehen? Oder gehört?«
»Zuletzt … das letzte Mal … Nie wieder …« Dorothea heulte hemmungslos.
»Jetzt ist Schluss, Herr Grohsman. Er hat die Nacht bei ihr verbracht, wenn Sie’s schon so genau wissen müssen, und dann ist er heimgefahren. Hat ihr noch eine Nachricht geschickt. Alles Gute und bis später oder so. Das hat mir Dorothea erzählt. Können wir jetzt gehen?«
»War es so, wie Ihre Mutter gesagt hat, Dorothea?«
Sie nickte wortlos.
»Eines noch. Wer hat einen Schlüssel zu Ihrem Auto?«
»Das lässt sie vor Auftritten immer unversperrt, wenn sie in einer Garage parken kann. Sie vergisst immer irgendwas, die Sachen hole dann meistens ich.«
»Wann haben Sie zuletzt in den Kofferraum gesehen?«
»Na, vor dem Auftritt. Ihr Kleid lag drin.«
»Nein, Mama, das Kleid hatte ich auf die Rückbank gelegt. Zusammen mit den Schuhen. Der Kofferraum klemmt, den hab ich ewig nimmer aufgemacht.«
»Und Sie, Frau Zauner?«
»Diesmal hatte sie nichts vergessen, ich war erst jetzt vorhin unten. Mit dem Butler von Frau Rettenbach, der wollte das Kleid in den Kofferraum legen. Hat aufgemacht und … na ja. Sie wissen schon. Furchtbar.«
Es klang, als hätte man ihr gesagt, der Champagner sei aus. Als würde ihr der Tod des jungen Mannes persönlich Unannehmlichkeiten verursachen.
Nicky Witt kam ihm in den Sinn. Zum zweiten Mal heute. Hatte sie ihr Studium Forensische Psychologie beendet? Ob sie aus den beiden Frauen schlau würde?
Die Augen, Spiegel der Seele. Was las Grohsman in denen von Selma Zauner?
Nichts. Nicht einmal Müdigkeit oder Ärger. Auch nicht in ihrer Mimik. War vielleicht das Botox. Dass dieses faltenlose Gesicht nur an den erstklassigen Genen lag, konnte er sich nicht vorstellen. Irrelevant, seufzte er innerlich.
»Sagen Sie mir, was mit Mariusz passiert ist?« Dorothea sah Grohsman mit ihren großen grauen Augen an. Eine einnehmende junge Frau. Nicht unbedingt Kandidatin für das Cover eines Modemagazins. Aber eine Klassikzeitschrift würde sie veredeln mit ihrem frischen Gesicht. Wobei der verspielte Kragen ihres Pullis von der Strenge ihrer Mimik ablenkte und ihre Schlüsselbeine kaschierte. Achtete sie übertrieben auf ihre Figur oder vergaß sie über ihrer Musik aufs Essen?
Grohsmans Blick wanderte zwischen den Frauen hin und her. Die Mutter war einen guten Kopf größer als Dorothea. Gleiche Augen. Und Haarfarbe. Nicht das Einzige, wobei die Mutter der Natur etwas nachgeholfen hatte, vermutete er.
»Ja, Dorothea. Ich rufe Sie an. Sie können beide gehen.«
11
»Und jetzt?« Joe klappte die Hülle ihres Tablets zu. Erwartungsvoll inspizierte sie ein Tablett mit Häppchen. Mit hungrigem Magen konnte man doch keinen klaren Gedanken fassen.
Marie Rettenbach reichte Joe einen Teller. »Die Lachsbrötchen sollten Sie probieren. Edler schottischer Lachs, kein so billiges Zeug. Und ein Bier dazu? Oder Schampus?«
Fast schon stylish, die aufwendige Hochsteckfrisur der alten Frau. Das Make-up stammte auch von einer Könnerin. Zart und elegant. Joe verwendete kaum Schminke, ihr gefiel ihr frischer Teint. Das Haar hatte sie sich früher auch gelegentlich hochgesteckt. Bevor sie es ratzeputz abschneiden ließ. Obwohl, mittlerweile lockten sich die blonden Haare wieder. »Im Dienst weder noch, danke …«, meinte Joe sehnsüchtig. Schampus? Champagner? Davon konnte sie bei ihrem Lohnzettel bestenfalls träumen. Das Bier im Lokal hatte sie an Ronnie weitergegeben. Ließ er es sich mit einer anderen schmecken? Ihre Hand glitt in die Hosentasche, wo sie den Zettel mit seiner Handynummer ertastete.
Ihr Boss winkte ebenfalls ab. »Frau Marie, haben Sie eine Liste der Gäste, wenn möglich mit Kontaktdaten?«
Frau Rettenbach legte ein paar Blätter auf den Tisch. »Die Liste hab ich bereits ausdrucken lassen. Hier, mit Adresse, Telefonnummer und E-Mail. Ja, schauen S’ nicht so. Glauben Sie, ich weiß nicht, was eine E-Mail ist? Ach ja, bevor ich’s vergesse: Der Garagenwart hat sich gemeldet. Die Kameras haben nicht aufgezeichnet, Fehler im System, hat er gemeint. Ärgerlich.«
Ärgerlich? Das war ein absoluter Schmarren! »Kann das Sabotage gewesen sein?«, fragte Joe. »Schon auffällig, wenn die komplette Anlage ausfällt.«
»Den Verdacht hatte ich auch. Er hat versprochen, die Angelegenheit zu prüfen und Bescheid zu geben.«
»Danke, Frau Marie.« Wie müde der Boss aussah.
»Also, was ist jetzt, meine Lieben? Der Tag war ganz schön aufregend, da könnt ich ein Glaserl vertragen. Und Sie, Herr Felix, Frau Johanna?«
»Okay. Ich meine … ja bitte, gnädige Frau!«, besserte sich Joe rasch aus.
»Ah, Manieren – Sie sind goldrichtig! Aber Frau Rettenbach reicht völlig aus. So, und jetzt hol ich unsere Getränke!«
Abrupt war sie aufgestanden. Joes Blick fiel auf ein riesiges Gemälde.
»Das ist die Gräfin als junge Frau mit ihrem Gemahl. Ein stattlicher Mann, findest du nicht?«, flüsterte Grohsman.
»Und wie innig sie sich ansehen …«, antwortete Joe.
Frau Rettenbach stellte ein Tablett mit den Getränken auf den Tisch. Joe griff nach einer Champagnerschale. Oh, das kitzelte lustig auf der Nase, dieses Blubberwasser. Joe zog grinsend das Näschen kraus.
Die Gräfin lachte. »Ja, ja, Champagner trinkt man aus Schalen, weil die Kohlensäure die Gesichtshaut belebt. Fanden die Herren damals schon aufregend, Damen mit roten Bäckchen.«
Joe nickte. Aufregend. Wie die Begegnung mit Ronnie? Oder wie der neue Fall? Lachsbrötchen mit Champagner. Na, es gab sicher Schlechteres, um sich auf die nächsten schlafarmen Tage und Nächte einzustellen. Sie musste sich von Beginn an ordentlich reinhängen. »Frau Rettenbach, diese Gästeliste … kann ich die per E-Mail haben?«
Joe hatte schon Ideen, wo sie einhaken würde.
12
Nicky schaltete den Fernseher aus und wischte sich mit dem Handrücken über die Augen. So rührend, der Film »Best Exotic Marigold Hotel«. »Am Ende wird alles gut. Und wenn noch nicht alles gut ist, ist es noch nicht das Ende.« Stammte angeblich von Oscar Wilde, dieses Bonmot. Einer ihrer Leitsprüche.
Das Handy! Lass es bitte nicht das Krankenhaus sein, grummelte sie. Immer wieder hatte sie die Nachrichten gecheckt.
Nein, es war Felix Grohsman! Wie lange hatte sie nichts von ihm gehört? Wenn er jetzt anrief, nach elf Uhr in der Nacht, bedeutete das nichts Gutes. »Hallo, Felix! Was treibt dich in die Leitung, um diese Uhrzeit?«
»Hallo, Nicky. Ich wollte mich längst mal melden, tut mir leid, dass es so spät ist. Hab ich dich eh nicht geweckt?«
»Nein, alles gut.«
»Wie geht es dir? Was macht das Studium?«
Nicky hörte den nervösen Unterton. »Ganz okay, danke. Aber deshalb rufst du doch so spät nicht an?«
»Nein. Ich bin grad auf dem Heimweg … Wir haben wieder mal einen Mordfall. Da habe ich gleich zwei Mal an dich gedacht.«
»Ein Mordfall – benötigst du eine kriminalpsychologische Expertise?« Ihr Magen vibrierte wohlig.
»Das wär noch zu früh. Wir wissen selbst noch nicht, was genau passiert ist. Keine Ahnung, wie der Tote in den Kofferraum gelangt … und wie er gestorben ist. Den Obduktionsbericht krieg ich frühestens am Dienstag.«
»Kofferraum?« Wie mysteriös!
»Ja. Ich war grad auf dem Weg nach Hause von einem Nachmittagskonzert und wurde noch einmal zurückgerufen.«
»Und wen … also … wer …?« Nicky schüttelte den Kopf über ihr Stottern.
»Ein junger Mann. Mariusz Lión, Pianist. Der Freund von Dorothea Zauner, der Pianistin, die ich heute im Konzert gehört habe. Er ist in ihrem Auto gefunden worden, im Kofferraum.«
Na bravo. »Das ist ja ziemlich speziell. Ist er dort erstickt?«
»Er hat eine Kopfverletzung.«
»Du machst mich neugierig, Felix. Warum treffen wir uns nicht, wenn du mehr über deinen Toten weißt?«
»Hast du am Montag Zeit? So gegen vierzehn Uhr? Da ist die Teambesprechung sicher vorbei. Vielleicht im Café Schwarzenberg?«
»Am Montag hab ich im Krankenhaus Frühdienst, vierzehn Uhr passt perfekt. Aber sag, der Tote war im Kofferraum der Freundin? Auch nicht leicht für die Frau. Oder hast du den Verdacht, dass sie …?«
»Ich weiß es nicht. Heute hab ich nicht viel aus ihr herausbekommen, weil die Mutter ständig dazwischengequatscht hat. Wir werden sie sicher am Montag noch einmal befragen, vielleicht kannst du mitkommen? Wird aber sicher erst am späteren Nachmittag sein. Das ist nicht sehr praktisch für dich.«
»Ach, keine Sorge, ich muss am Montag sowieso auf die Unibibliothek. Außerdem kann ich mich nach deinem Briefing auf die Zeugin vorbereiten.« Nicky hörte ein leises Kläffen. »Bist du mit Sally unterwegs?«
»Ja. Sie musste beim Konzert leise sein. Und jetzt telefoniere ich auch noch. Sie könnte ja herumlaufen, findet sie aber nicht so lustig, wenn ich ihr nicht meine Aufmerksamkeit schenke.«
»Verstehe ich. Dann gib ihr ein Krauli von mir!«
Ein neues Abenteuer. Perfekt. Nicky war reif für eine Veränderung. Und wenn sie sich im Team der Kripo bewährte … Nein, langsam, ein Schritt nach dem anderen.
13