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Tina hat die Schule abgeschlossen und will nun eine Lehre im Kaufhaus Meyer, im Herzen der Stadt, machen. Unter vielen Bewerbern konnte sie sich durchsetzen und jetzt hält sie Einzug in diese kleine Welt für sich. Genauso geht es Tina und Knut, Susie und Elfie, mit denen sie ab jetzt zusammen arbeiten wird. Für alle ist dieses glanzvolle Einkaufsparadies der Arbeitsplatz, an dem sie von morgens um neun Uhr bis zum Ladenschluss für den Kunden da sein müssen, aufmerksam, höflich, immer lächelnd. Obwohl ihnen das Lächeln nicht immer leichtfällt, da die jungen Leute verliebt, enttäuscht, manchmal ängstlich sind. Was Tina zunächst nicht weiß, im Kaufhaus wird sie auch ihre große Liebe finden.-
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Seitenzahl: 242
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Marie Louise Fischer
Roman
SAGA Egmont
Wilde Jugend
Wilde Jugend (Die Träume junger Mädchen, Mädchen mit fünfzehn)
Copyright © 2017 by Erbengemeinschaft Fischer-Kernmayr, (www.marielouisefischer.de)represented by AVA international GmbH, Germany (www.ava-international.de)
Originally published 1973 by Bertelsmann Verlag, Germany
Genehmigte eBook Ausgabe für Lindhardt og Ringhof Forlag A/S
All rights reserved
ISBN: 9788711719305
1. Ebook-Auflage, 2017
Format: EPUB 3.0
Dieses Buch ist urheberrechtlich geschützt. Kopieren für andere als persönliche Nutzung ist nur nach Absprache mit Lindhardt og Ringhof und Autors nicht gestattet.
SAGA Egmont www.saga-books.com und Lindhardt og Ringhof www.lrforlag.dk – a part of Egmont www.egmont.com
Tina Klimt hatte das ›Kaufhaus Meyer‹ schon so oft in ihrem jungen Leben gesehen, daß sie es gewöhnlich gar nicht mehr bewußt wahrnahm. Sonst waren es immer nur die riesigen Schaufenster im Erdgeschoß gewesen, die ihre Aufmerksamkeit auf sich gezogen hatten. Aber als sie heute, an einem heißen Morgen im August, aus der schattigen Kühle des Hauptbahnhofs trat, sah sie zum erstenmal, wie gewaltig das Gebäude tatsächlich war.
Die Schmalseite, die zum Bahnhofsvorplatz hin die Vorderfront bildete, war schon mächtig genug. Dabei mußte die Rückseite noch etwa doppelt so breit sein, denn die Geschäftsstraßen, die das Kaufhaus links und rechts flankierten, strebten zur Stadtmitte hin sternförmig auseinander. Tina schätzte, daß das riesige Haus mindestens fünf Stockwerke hoch war. Zählen konnte man sie von außen nicht, denn vom ersten Stock an waren die mit Kunststeinplatten verkleideten Wände fensterlos. Aber Tina erinnerte sich, daß sie zusammen mit ihrer Mutter schon einmal in den fünften Stock hinaufgefahren war, wo die Möbelabteilung lag.
Sie kannte sich gut im Inneren des Kaufhauses aus, das sie mit seinen wechselnden Dekorationen, dem gleichmäßigen künstlichen Licht, der lautlos arbeitenden Belüftung und der einschmeichelnden Musik aus unsichtbaren Lautsprechern fasziniert hatte, seit sie denken konnte.
Aber von jetzt an war es für sie nicht mehr nur ein Ort, an dem man günstig einkaufen oder sich an verregneten Nachmittagen die Zeit vertreiben konnte – im ›Kaufhaus Meyer‹ würde sie, wenn alles gutging, ihre Lehrstelle finden.
Tinas Herz tat ein paar schnelle Schläge, als sie daran dachte. Schon vor Wochen hatte sie sich mit dem Abschlußzeugnis der neunten Klasse und einem handgeschriebenen Lebenslauf bei der Kaufhausdirektion um eine Lehrstelle beworben, und für heute war sie von einem Herrn Sondermann, Leiter der Personalabteilung, zur persönlichen Vorstellung aufgefordert worden.
Es war acht Uhr vorbei. Tina beeilte sich, den Bahnhofsvorplatz zu überqueren. Die Glastüren des Kaufhauses waren noch geschlossen, es würde noch eine Stunde dauern, bis sie für das Publikum geöffnet wurden.
Tina mußte den Eingang zu den Büros der Verwaltung erst suchen. Sie zog das Schreiben der Personalabteilung aus ihrer schicken weißen Schultertasche und studierte den Absender: Bürgermeister-Karl-Straße sieben. Sie lief an den Schaufenstern entlang und um die Ecke herum.
Im Vorbeigehen kontrollierte sie in den schimmernden Scheiben ihr Spiegelbild. Ihre Figur war tadellos, daran bestand kein Zweifel, nur war sie für ihre fünfzehn Jahre einfach noch zu klein und zu dünn, fand sie selber. Unwillkürlich nahm sie die Schultern zurück, damit ihr kleiner Busen besser zur Geltung kam. Ihr Rock war minikurz, denn sie hatte sich noch nicht damit befreunden können, ihre langen, geraden und sehr schlanken Beine – neben ihren klaren grauen Augen das Schönste an ihr, wie sie selber fand – zu verstecken.
An das letzte Schaufenster schloß sich eine Toreinfahrt an. Die Hausnummer stimmte mit der auf dem Absender des Briefes überein. Tina trat in einen Hinterhof, auf dem Männer mit karierten Hemden, Jeans und Schürzen dabei waren, Kisten von einem Laster zu wuchten.
Auf ihre Frage hin wies ein muskulöser Mann wortlos mit dem Daumen auf eine Tür an der Rückseite des Gebäudes. Sie bedankte sich und folgte seinem Wink. In dem hellen Aufgang erinnerte nur noch der Lastenaufzug, daß er zu einem Kaufhaus gehörte; sonst war alles nüchtern und praktisch.
Eine Metalltafel verkündete, daß sich die Personalabteilung im zweiten Stock befand. Tina stieg die Treppe hinauf, trat durch eine Schwingtür in den Flur und fand nach wenigen Schritten das Zimmer, in das sie bestellt worden war.
Einen Augenblick zögerte sie vor der geschlossenen Tür. Sie steckte den Brief fort, strich sich unwillkürlich noch einmal über ihr hellbraunes Haar, das sie im Nacken mit einer Schleife zusammengebunden hatte, weil es ziemlich kraus war und leicht unordentlich wirkte. Sie holte tief Atem und klopfte an.
Drinnen blieb alles still. Sie klopfte noch einmal, jetzt kräftiger.
Diesmal wurde die Tür aufgerissen, und sie sah sich einem jungen Mann gegenüber. Er war mehr als einen Kopf größer als sie und wirkte wie mindestens siebzehn. Ohne die Spur eines Lächelns sah er aus ausdrucksvollen haselnußbraunen Augen auf sie herunter.
Tina konnte ihn nur anstarren. Noch nie, schien es ihr, hatte sie einen so gut aussehenden und sympathischen Jungen gesehen. Wenn ihr bisher jemand etwas von Liebe auf den ersten Blick erzählt hatte, hatte sie nur gelacht. Doch jetzt stand sie von einer Sekunde zur anderen in Flammen.
Wortlos wandte der Junge sich ab und setzte sich auf einen der einfachen, modernen Stühle, die sich um einen kleinen Tisch gruppierten.
Erst jetzt merkte Tina, daß noch andere junge Leute im Zimmer waren. »Ich sollte mich als Lehrling vorstellen«, stotterte sie, leicht verwirrt. »Bin ich hier richtig?« Sie blickte den braunäugigen Jungen fragend an.
Aber er schwieg.
An seiner Stelle antwortete eines der Mädchen. »Genau. Wir sitzen alle im gleichen Boot.« Sie war groß, gut gewachsen und hatte ein rundes sympathisches Gesicht mit fröhlichen blauen Augen. »Ich heiße übrigens Susi Römer.«
Auch Tina nannte ihren Namen. Sie hatte die ganze Zeit über den braunäugigen jungen Mann so unauffällig wie möglich beobachtet. Auf den zweiten Blick erschien er ihr, wenn möglich, noch attraktiver. Er hatte braunes, gepflegtes Haar, eine kurze Nase und einen festen Mund. Auch seine Figur war prima, und er kleidete sich genauso, wie Tina es bei Jungen mochte: Er trug eng sitzende Cordhosen und einen ledernen Lumberjack.
Sie nahm allen Mut zusammen und wendete sich ihm zu. »Ja, jetzt müßten wir nur noch wissen, wie Sie heißen!«
Einen Augenblick sah es aus, als wenn er überhaupt nicht antworten würde. Dann öffnete er mit sichtlicher Überwindung die Lippen und sagte: »Ralf Wells.«
Ehe Tina noch versuchen konnte, das Gespräch mit ihm weiterzuführen, wurde er aufgerufen.
Ohne ihn schien ihr der Raum auf einmal leer und kalt, und sie hatte keine Lust, sich weiter zu unterhalten. Auch die anderen schwiegen und warteten mit steigender Nervosität.
Ralf Wells war lässig hinter der Sekretärin hergeschlendert, die ihn durch ihr Vorzimmer in den Raum des Personalchefs lotste.
Herr Sondermann saß in seinem Sessel zurückgelehnt hinter einem imponierend großen Schreibtisch. »Bitte, nehmen Sie Platz!« Er musterte Ralf Wells durch die blitzenden Gläser einer randlosen Brille und wies ihm mit einer Handbewegung den Stuhl gegenüber zu.
»Danke«, sagte Ralf und setzte sich. Er hielt dem prüfenden Blick stand und stellte fest, daß Herr Sondermann ein ausgesprochen gepflegter Herr Anfang der Dreißig war, der aussah, als wenn er einen heroischen Kampf gegen die Fettpolster austrug, die sich um seine Taille gebildet hatten. Außerdem begann sein blondes Haar schütter zu werden und zog sich merklich aus der Stirn zurück.
»Sie sind also Ralf Wells«, sagte Herr Sondermann mit seltsamer Betonung.
Ralf ließ sich nicht aus der Fassung bringen. »Sie haben es erraten«, gab er gelassen zurück.
Herr Sondermann räusperte sich und machte sich angelegentlich mit einigen Papieren zu schaffen, die vor ihm auf der Schreibtischplatte lagen. »Sie sind also der junge Mann, der vom Gymnasium geflogen ist!« Er machte eine erwartungsvolle kleine Pause.
»Weil ich mit einer Mitschülerin im Physiksaal erwischt worden bin«, ergänzte Ralf, »falls es das ist, was Sie von mir hören wollen.«
Herr Sondermann sah auf. »Warum haben Sie das bloß getan?!«
»Im Physiksaal?« Ralf grinste. »Weil uns in der Schule leider keine wirklich bequeme Stätte für die Liebe zur Verfügung stand.«
»Sie wissen genau, daß ich das nicht mit meiner Frage gemeint habe.«
»Sie wollen mich doch wohl nicht etwa allen Ernstes fragen, warum ich ein Mädchen geliebt habe?! Sie sind selber ein Mann, also werden Sie’s doch wissen!«
»Als ich so jung war wie Sie …«
Ralf fiel ihm ins Wort. »Eigentlich bin ich nicht gekommen, um mit Ihnen über Sex zu diskutieren. Ich habe mich um eine Lehrstelle beworben.«
Herrn Sondermanns rundes Gesicht lief rot an. »Es ist eine meiner Aufgaben, Sie auf Ihre Eignung zu prüfen.«
»Indem Sie sich nach meinem Liebesleben erkundigen?«
Herr Sondermann legte die Fingerspitzen gegeneinander. »Ihre charakterliche Haltung, mein lieber junger Freund, ist für Ihre Arbeit bei uns mindestens so wichtig wie Ihre fachliche Eignung. Falls Sie vorhaben, Ihre Sexspiele vom Gymnasium hierher in das Kaufhaus zu verlegen …«
»Da kann ich Sie beruhigen. Die Absicht habe ich nicht.«
»Ich bin nicht sicher, ob ich Ihnen das glauben kann. Ihre ganze Haltung ist einigermaßen … ehem … renitent, um nicht zu sagen aufsässig …«
Ralf erhob sich langsam und sah von seiner Höhe von einem Meter achtzig auf Herrn Sondermann herunter. »Sie wollen mich also nicht haben … auch gut. Ich kriege schon eine Lehrstelle, verlassen Sie sich drauf. Bloß finde ich es ziemlich unfair, daß Sie mich überhaupt hierhergelockt haben. Schließlich habe ich in meinem Lebenslauf nichts verschwiegen.«
Herr Sondermann richtete sich kerzengerade auf. »Aber ich bitte Sie, Herr Wells, jetzt haben Sie mich aber ganz falsch verstanden! Setzen Sie sich wieder. Sie wollen Lehrling in unserer Rundfunk- und Fernsehabteilung werden? Dafür bringen Sie natürlich alle Voraussetzungen mit!«
Langsam ließ Ralf sich wieder auf seinen Stuhl sinken und saß mit verschlossenem Gesicht dabei, während der Personalchef seiner Sekretärin die nötigen Angaben für den Lehrvertrag machte.
Die jungen Bewerber wurden jeweils nach ihrer Unterredung mit Herrn Sondermann direkt in den Gang hinaus entlassen, und so wußte Tina nicht, als sie endlich an die Reihe kam, wer angenommen und wer abgelehnt worden war, was ihre Unsicherheit noch erheblich steigerte.
Zu allem Überfluß reichten, als sie endlich dem Personalchef gegenübersaß, ihre Füße nur knapp auf den Boden, und sie kam sich sehr winzig und unbedeutend vor.
»Ihr Abschlußzeugnis ist ausgezeichnet«; sagte Herr Sondermann.
»Das Lernen ist mir nicht schwergefallen«, bestätigte Tina.
Herr Sondermann legte die Finger gegeneinander und betrachtete sie nachdenklich.
»Falls Sie ein gutes Gefühl für Einteilung und Ordnung haben …«
»O ja, das habe ich!« warf Tina hastig ein.
» … und dazu noch gern mit Zahlen umgehen …«, fuhr er fort.
Tina strahlte. »Rechnen war immer meine ganz starke Seite!«
Herr Sondermann ließ sich nicht unterbrechen. » … dann«, schloß er, »möchte ich Ihnen doch vorschlagen, in eines unserer Büros einzutreten.«
Die Enttäuschung traf Tina wie ein Schlag in den Magen. »Bitte nicht!« rief sie. »Büroarbeit liegt mir bestimmt nicht … ich brauche etwas Lebendiges … Umgang mit Menschen und mit schönen Dingen!«
»Eine Lehre als Bürokaufmann würde Ihnen eine solide Basis für einen schnellen Aufstieg verschaffen«, beharrte Herr Sondermann.
»Aber die kriege ich als Verkäuferin doch auch!« erklärte Tina. »Oder etwa nicht? Ich will mindestens Abteilungsleiterin werden … Einkäuferin wäre natürlich noch besser …«
»Dann müssen Sie Ihre Grundausbildung aber noch anschließend durch ein weiteres Jahr ergänzen, in dem Sie sich die nötigen kaufmännischen Kenntnisse verschaffen.«
»Warum nicht?«
Tina schlug die Beine übereinander, stellte aber, als sie Herrn Sondermanns Blick sah, die Füße rasch wieder nebeneinander.
»Klar mach’ ich das. Bloß lassen Sie mich, bitte, bitte, jetzt als Verkäuferin anfangen!« Sie streckte den rechten Arm aus und ballte die Hand zur Faust. »Ich bin nicht so schwach, wie Sie vielleicht glauben … da, sehen Sie bloß meinen Bizeps! Und außerdem wachse ich ja noch!«
Herr Sondermann seufzte leicht. »Na schön, wie Sie wollen. Schließlich geht es um Ihre Zukunft.«
»Ebendrum«, erklärte Tina unerschütterlich, »und ich weiß genau, was für ein Beruf mir liegt!«
Nachher, im Gang, als sie den Lehrvertrag glücklich in der Tasche hatte, merkte sie, daß sie ihre Jacke im Wartezimmer hatte hängen lassen. Ohne anzuklopfen, denn sie kannte sich jetzt schon aus, trat sie ein. Sie ging geradewegs zum Garderobenständer.
Ein junger Mann, der an der Wand gelehnt hatte, wollte ihr in die Jacke helfen.
»Danke«, sagte sie, »ich nehme sie über den Arm.«
»Na, wie ist der Alte?« fragte der Junge. Er hatte langes, rotblondes Haar, grasgrüne Augen und Sommersprossen auf der Nase.
»Ein bißchen verstaubt«, sagte Tina, »aber sonst sehr süß.«
»Stellt er blöde Fragen?«
»Worauf du wetten kannst.«
»Gib mir ’nen Tip!«
Sie musterte ihn von Kopf bis Fuß. »Also … falls du tatsächlich als Lehrling hier anfangen willst, wirst du dir deinen Kopfputz scheren müssen.«
Er griff sich in seine rotblonde Mähne. »Irrtum«, verkündete er, »ich mache auf Dekorateur, da kann ich meine Wolle behalten.«
»Na, hoffen wir es für dich«, sagte Tina und wandte sich zur Tür.
Er vertrat ihr den Weg. »Nicht so eilig! Ich bin gleich an der Reihe. Wie wäre es, wenn du auf mich warten würdest?«
»Sonst nichts?«
»Wir könnten irgendwo ’nen Milchshake trinken und unsere Erfahrungen austauschen.« Sein Grinsen wurde breiter, und seine spitzen Eckzähne wirkten ausgesprochen frech. »Ich spendiere dir auch was Härteres, wenn du magst.« Mit einer übertriebenen Verbeugung fügte er hinzu: »Übrigens … ich heiße Knut Küppers! Nur für den Fall, daß du Wert auf Formen legst.«
»Reizend von dir«, gab Tina zurück, »aber ich bin trotzdem verabredet.«
Jetzt ließ Knut sie vorbei. »Na, dann ein andermal«, sagte er, durchaus nicht beleidigt.
Tina machte, daß sie nach draußen kam. Nachher ärgerte sie sich, daß sie Knut einen Korb gegeben hatte. Er war zwar nicht ihr Typ, aber immerhin doch ganz nett. Zu albern von ihr, daß sie sich ausgerechnet in diesen anderen verguckt hatte, diesen Ralf Wells, der doch sichtlich nichts von ihr wissen wollte.
Tina war entschlossen, ihn aus ihrem Herzen zu reißen. Wenn sie erst im Kaufhaus arbeitete, davon war sie überzeugt, würde sie eine Menge nette Jungen kennenlernen und viel Gelegenheit zum Flirten haben.
Aber darin hatte Tina sich getäuscht. Es gab zwar im Kaufhaus viele sympathische junge Männer, wenn auch die Mädchen in der Überzahl waren, aber zum Flirten blieb, wenigstens in den ersten Wochen, für die frisch gebackenen Lehrlinge keine Gelegenheit. Sie waren voll und ganz damit beschäftigt, sich in der Abteilung, der sie zugewiesen waren, zurechtzufinden, sich die guten Lehren einzuhämmern, mit denen sie von früh bis spät eingedeckt wurden, zu fegen, Staub zu wischen, die Tische und Kästen zu polieren und hinter den Verkäuferinnen herzuräumen. Sie hatten zwar die Vierzigstundenwoche, doch trotzdem war besonders für die Lehrlinge im Verkauf der Übergang von der Schule ins Berufsleben sehr schwer, denn sie waren es nicht gewohnt, so viele Stunden auf den Beinen zu stehen. Da gab es schon Momente, wo ihr Eifer erlahmte und sie voller Verzweiflung dachten, ob sie es nicht doch in der Fabrik oder im Büro leichter gehabt hätten.
Tina hatte besonderes Pech gehabt. Sie hatte gedacht, es ganz schlau zu machen, als sie sich für die Lederwarenabteilung entschied.
Taschen, so hatte sie überlegt, konnten so, wie sie waren, weggeräumt werden und brauchten nicht zusammengefaltet zu werden wie Pullover oder Wäsche.
Aber dann stellte sich heraus, daß auch die Taschen ihre Mukken hatten. Tina mußte sie polieren, wo feuchte Finger Flecken hinterlassen hatten, bevor sie sie in Plastikbeutel oder Filzsäckchen stecken und wegordnen durfte.
Doch das war es nicht, was ihr am härtesten zusetzte, sondern die Tatsache, daß sie sich auf Anhieb mit Fräulein Trude Gleinz, ihrer Abteilungsleiterin, nicht verstand. Fräulein Gleinz war eine sehr gepflegte und sehr selbstsichere junge Dame, die als ausgesprochen charmant galt. Nur auf Tina wirkte ihr berühmter Charme überhaupt nicht. Sie fand Fräulein Gleinz einfach abscheulich.
Es fing damit an, daß die Abteilungsleiterin sie dauernd ›Kleine‹ nannte. »Komm mal her, Kleine«, sagte sie und: »Ein bißchen ordentlicher bitte, Kleine«, und: »Das müßtest du dir allmählich merken, Kleine!«
Tina fand es zum Auswachsen. Überhaupt war alles sehr enttäuschend. Verkaufen durfte sie vorerst überhaupt noch nicht. Davon konnte erst in einem halben Jahr die Rede sein, wenn sie sich bis dahin gut gemacht hatte. Und gerade darauf hatte sie sich so gefreut!
Am ersten Freitag im Oktober war Hochbetrieb. Die Leute hatten ihre Löhne und Gehälter bekommen und wollten sich nun anscheinend so schnell wie möglich alle Wünsche erfüllen. Fräulein Gleinz und die beiden Verkäuferinnen mußten immer neue Taschen aus den Regalen holen und vor den Kunden ausbreiten. Tina kam beim besten Willen mit dem Aufräumen nicht nach. Trotz der ständig gleichmäßig kühlen und frischen Luft brach ihr der Schweiß aus.
»Die großen Einkaufstaschen sind alle«, stellte die Abteilungsleiterin, die gerade von einer Kundin kassiert hatte, fest. »Lauf mal eben ins Lager hinunter, Kleine, und hol’ noch ein paar … am besten gleich zehn Stück, die aus Plastik in verschiedenen Farben!«
Tina strahlte auf. »Wird gemacht, Fräulein Gleinz!« Sie ließ alles stehen und liegen und machte, daß sie fortkam. Ins Lager hinunter zu dürfen bedeutete immer eine Abwechslung und Erholungspause, und gerade heute kam ihr dieser Auftrag besonders gelegen.
Durch die Tür mit der Aufschrift ›Notausgang‹ schlüpfte sie in das rückwärtige Treppenhaus. Hier war es, im Gegensatz zu dem Menschengewimmel in den Verkaufsräumen, ausgesprochen still.
Tina hüpfte die Stufen hinunter. Sie hätte den Spaziergang gerne ausgedehnt, aber sie wußte, daß sie in ihrer Abteilung gebraucht wurde, und beeilte sich pflichtgemäß.
Die Lagerräume nahmen den Keller ein; sie erstreckten sich unter dem Tiefparterre, in dem die Lebensmittelabteilung, das Restaurant und die Kantine lagen. Tina kannte sich schon aus.
Sie wollte nach links zu den Lederwaren laufen, als sie von rechts, aus dem Werkzeuglager, Ralf auf sich zukommen sah – Ralf Wells im blauen Overall, besser aussehend denn je.
Unwillkürlich verhielt Tina den Schritt und starrte ihn an. Er grüßte sie mit einem halben Lächeln, bei dem seine melancholischen braunen Augen ganz ernst blieben, und schlenderte an ihr vorbei zum Lastenaufzug hin.
Von einer Sekunde zur anderen verdrängte Tina aus ihrem Kopf, was sie eigentlich hier unten gewollt hatte. Der Wunsch, Ralf näherzukommen, war stärker als alles andere. Sie folgte ihm und holte ihn gerade in dem Augenblick ein, als die Türen des Aufzuges sich öffneten.
Sie trat hinter ihm ein. Der Aufzug glitt nach oben. Sie waren allein.
Tina zerbrach sich den Kopf, wie sie ein Gespräch anfangen konnte. »Ist bei euch auch so viel los?« fragte sie endlich, und sie merkte selber, daß das eine ziemlich lahme Einleitung war.
»Es geht«, erwiderte er uninteressiert.
Tina verkrampfte die Hände. Der Aufzug glitt unaufhaltsam nach oben. Gleich würde er am Ziel sein, und die einmalige Gelegenheit, mit Ralf allein zu sein, war endgültig vertan.
Plötzlich hielt der Aufzug mit einem harten Ruck. Gleichzeitig ging das Licht aus.
»Was ist das?« rief Tina.
»Scheint ein Kurzer zu sein«, erklärte Ralf gleichmütig, »reg dich nicht auf.«
»Ich kriege keine Luft mehr!«
»Einbildung!« Er legte im Dunkeln seinen Arm um ihre Schultern.
»Ich habe Angst!« Sie drängte sich an ihn. »Bitte, Ralf, kann man denn gar nichts tun?«
»Doch«, sagte er, »das Beste draus machen!« Sie fühlte seine Lippen auf ihrem Mund, seine Hände an ihrem Körper.
Tina wollte sich wehren. Aber sie hatte, plötzlich keine Kraft mehr. Sogar die Knie gaben unter ihr nach, und wenn Ralf sie nicht gehalten hätte, wäre sie zu Boden gestürzt.
So glitt sie ganz sanft in seinen Armen herunter. Sie hatte das Gefühl, ohnmächtig zu werden, doch sie verlor keine Minute das Bewußtsein. Trotzdem war alles wie ein Traum für sie – Ralfs Nähe, seine Leidenschaft, seine Lippen, seine Hände. Wie hatte sie sich danach gesehnt.
Sie verlor jedes Gefühl für Ort und Zeit, vergaß, daß sie sich im Lastenaufzug befanden, und wußte auch nicht, wie lange sie zusammen waren.
Endlich nahm sie die Geräusche von außen wahr – das Klopfen, die Stimmen, die aufgeregten Fragen.
»Wir müssen antworten, Ralf«, flüsterte sie und löste sich aus seinen Armen.
»Wozu?« gab er zurück. »Bildest du dir etwa ein, die würden sich ernsthaft Sorgen um uns machen?«
»Vielleicht doch.«
»Mensch, du hast Begriffe.«
Sie spürte, wie er sich aufrichtete, und plötzlich fühlte sie sich sehr winzig und sehr verloren. »Ralf …«, sagte sie zaghaft. Sie hätte so gern ein liebes Wort von ihm gehört, aber sie wagte nicht, ihn darum zu bitten. Von einer Sekunde zur anderen war er ihr wieder ganz fremd geworden.
Jemand klopfte auf das Dach der Kabine, daß der Aufzug bebte. »Noch ein bißchen Geduld, gleich haben wir es!«
Dann gab es einen Ruck, das Licht ging an, und sie sackten einen Meter ab.
Tina schrie auf, denn ihr war, als wenn sie ins Bodenlose stürzten. Aber dann kam die Kabine, zitternd und polternd, wieder zum Stillstand.
Sie stemmte die Handflächen gegen die Wand, versuchte sich aufzurichten und blickte Ralf flehend an, in der Hoffnung, daß er ihr helfen würde. Aber er stand an der entgegengesetzten Seite des Lifts, die Hände in den Taschen seines blauen Overalls, den Blick seiner haselnußbraunen Augen weit in die Ferne gerichtet, die Lippen wie zu einem Pfeifen gespitzt. Er tat, als wenn er sich ihrer Anwesenheit gar nicht bewußt wäre.
»Jetzt!« rief jemand draußen. »Moment noch!«
Wenn jetzt die Tür aufging und man sie hier liegen sähe! – Bei diesem Gedanken kam Tina mit einem Satz auf die Beine. Sie zog sich die Strumpfhose hoch und strich sich den Rock zurecht.
»Wie sehe ich aus?« fragte sie unsicher.
»Wie immer«, erklärte er trocken.
Aber das beruhigte sie durchaus nicht. »Sehr höflich bist du nicht gerade!« sagte sie und merkte mit Entsetzen, daß ihre Stimme zitterte. Das hatte noch gefehlt, daß sie ihn merken ließ, wie zerschmettert sie war. Sie preßte die Lippen zusammen und nahm sich fest vor, kein Wort mehr zu sagen. Aber sie konnte nicht verhindern, daß sich ihre Augen mit Tränen füllten.
So standen sie sich also schweigend, durch die ganze Breite der Kabine getrennt, gegenüber. Es fiel ihr schwer, sich vorzustellen, daß sie sich seinen leidenschaftlichen Ausbruch nicht nur eingebildet hatte. Sie hätte etwas darum gegeben, wenn es so gewesen wäre.
Dann setzte sich die Kabine wieder in Bewegung. Diesmal schwebte sie nach oben, hielt, und die Tür glitt auf.
Tina wollte rasch hinausschlüpfen, aber da sah sie die Menschen, die auf dem Treppenabsatz standen und zu ihnen hineinstarrten. Verkäufer und Verkäuferinnen, Büroangestellte und Techniker, lauter wohlbekannte Gesichter, aber sie alle hatten einen sonderbaren Ausdruck, schien es Tina. Sie starrten sie an, als wenn sie nackt wäre.
Ganz vorne stand Knut Küppers in seinem weißen Dekorateurkittel, eine bunte Papprolle unter dem Arm, und seine grünen Augen glitzerten. »Na, hat’s Spaß gemacht?« fragte er halblaut und grinste so breit, daß seine frechen Eckzähne sichtbar wurden.
Unwillkürlich blieb Tina stehen. »So ein Quatsch«, sagte sie, aber ihre Hände flogen nach oben, und sie untersuchte, ob ihr Haar in Ordnung war. »Es war entsetzlich. Ich dachte, ich würde eingehen.«
»Du brauchst dich doch nicht zu entschuldigen«, sagte Knut und grinste.
Ralf schob sie beiseite und wollte sich unter die Umstehenden mischen.
Aber Fräulein Gleinz vertrat ihm den Weg und packte ihn beim Arm. »Nicht so schnell bitte, junger Mann«, sagte sie und streckte ihr Kinn vor.
»Was wollen Sie?« sagte er und versuchte sich loszureißen. »Hauen Sie ab. Sie haben mir gar nichts zu sagen.«
»Sie sollen sofort beim Personalchef erscheinen!« Sie funkelte Tina an. »Und du auch, Kleine!«
»Aber warum?« wehrte sich Tina. »Ich habe doch nichts verbrochen … was kann ich denn dafür, daß der blöde Aufzug …«
Fräulein Gleinz ließ sie nicht ausreden. »Das kannst du alles Herrn Sondermann erzählen!« Aber als Tina hinter Ralf her wollte, hielt sie sie zurück. »Wo sind die Taschen?«
»Wieso?« Tina merkte, daß sie dumm guckte, und klappte ihren Mund zu. »Ach so, die Taschen!« Erst jetzt fiel ihr wieder ein, daß Fräulein Gleinz sie ins Lager geschickt hatte, um noch ein paar von den großen Einkaufstaschen aus Plastik heraufzuholen. »Es waren keine mehr da!« behauptete sie.
Das war eine faustdicke Lüge, aber Tina hatte kein schlechtes Gewissen dabei. Hätte sie Fräulein Gleinz auch noch auf die Nase binden sollen, daß sie überhaupt nicht bis zum Lager gekommen, sondern hinter Ralf hergelaufen war? Das wäre das letzte gewesen!
Als Tina in der Personalabteilung erschien, war Ralf schon bei Herrn Sondermann drinnen, und sie mußte im Vorzimmer warten. Immerhin gab ihr das Gelegenheit, ihr Aussehen in Ordnung zu bringen. Sie hatte zwar ihr Beautytäschchen nicht bei sich, aber sie konnte sich vor einer spiegelnden Fensterscheibe mit dem Taschentuch den Mund abwischen, mit allen fünf Fingern das Haar kämmen und die Schleife im Nacken wieder ordentlich binden.
Sie fand sich sehr verändert, hohläugig und blaß. Aber vielleicht lag das auch nur an der Beleuchtung und daran, daß eine Fensterscheibe eben doch kein richtiger Spiegel war. Tina hatte irgendwo gelesen, daß man es einem Mädchen nicht ansehen konnte, wenn es zum erstenmal mit einem Jungen zusammengewesen war, und sie war sicher, daß das stimmte. Sie durfte sich jetzt nur nicht selber verrückt machen.
Und doch – wenn sie bloß gewußt hätte, was Ralf Herrn Sondermann erzählte! Sie wußte noch von ihrer Vorstellung her, daß der Personalchef seine Besucher nicht durch das Vorzimmer, sondern direkt auf den Gang hinaus entließ.
Als ihr das wieder einfiel, stürzte sie hinaus, um Ralf abzupassen. Aber als die Tür aufging, war es nicht er, sondern Herrn Sondermanns Sekretärin, die auf der Schwelle erschien.
»Da sind Sie ja«, sagte sie, »ich dachte schon …« Sie stockte.
»Was?« wollte Tina wissen.
»Daß Sie davongelaufen wären. Aber das wäre ein großer Fehler gewesen. Herr Sondermann ist gar nicht so.«
»Ich habe keine Angst!« behauptete Tina. »Warum sollte ich denn? Ich habe doch nichts verbrochen.«
»Um so besser für Sie.«
Die Sekretärin schob sie zur Tür von Herrn Sondermanns Zimmer.
Aber Tina blieb stehen. »Ist … Ralf noch drinnen?« fragte sie; nicht um alle Schätze der Welt hätte sie sich diese Frage verkneifen können.
»Nein«, sagte die Sekretärin, klopfte an, öffnete die Tür und meldete: »Fräulein Klimt, Lehrling im Verkauf!«
Der Personalchef saß hinter seinem imponierend großen Schreibtisch und musterte Tina durch die blitzenden Gläser seiner randlosen Brille.
Sie warf den Kopf in den Nacken, nahm die Schultern zurück und setzte ein Lächeln auf, das sicher wirken sollte. »Sie wollten mich sprechen?« fragte sie in herausforderndem Ton.
»Jawohl, wenn Sie nichts dagegen haben.«
»Selbstverständlich nicht«, erklärte Tina, »es ist nur … wir haben momentan wahnsinnig viel zu tun, und Fräulein Gleinz …«
»Fräulein Gleinz ist es, die mir den Zwischenfall gemeldet hat.«
»Das hätte ich mir denken können!« platze Tina heraus. Herr Sondermann hob die farblosen Augenbrauen. »Was wollen Sie damit sagen? Würden Sie so freundlich sein und mir das ein wenig näher erklären?«
»Ach, es bedeutet gar nichts, es ist nur …«, Tina wand sich. »Ich weiß eigentlich nicht, was ich hier soll, und ich hatte mir schon überlegt … also, ehrlich gestanden, Fräulein Gleinz hat von Anfang an einen Pik auf mich gehabt.«
»Warum sollte sie?«
»Woher soll ich das wissen?« fragte Tina zurück. »Vielleicht weil ich mindestens fünfzehn Jahre jünger bin als sie … und weil sie immer noch keinen Mann hat.«
Der Personalchef legte die Hand vor den Mund und räusperte sich.
»Nun setzen Sie sich erst mal«, sagte er, »und versuchen Sie, Ihre Aggressivität etwas zu dämpfen!«
»Ich?« rief Tina. »Aggressiv? Das hat mir noch niemand gesagt!«
»Na, vielleicht sind Sie es auch gewöhnlich nicht«, erklärte Herr Sondermann einlenkend, »nur im Augenblick … vielleicht bilden Sie sich ein, sich verteidigen zu müssen. Aber niemand will Ihnen einen Vorwurf machen. Nichts läge mir ferner, sozusagen.«
Tina nahm Platz und sah den Personalchef mit weit geöffneten Augen an. »Ich habe mir ja auch nichts zuschulden kommen lassen.«
»Sie waren gut zwanzig Minuten lang mit einem Jungen im Aufzug eingesperrt.«
Nicht länger? hätte Tina fast gefragt, aber sie bremste sich noch rechtzeitig und sagte statt dessen: »Es hat anscheinend einen Kurzschluß gegeben! Jedenfalls … ich habe die Knöpfe gar nicht berührt … und Ralf auch nicht.«
»Sicher nicht. Unsere Aufzüge sind nicht so konstruiert, daß man ohne weiteres einen Kurzschluß auslösen könnte.«
»Wenn Sie das wissen … was wollen Sie also von mir?«
»Nichts.« Herr Sondermann fuhr sich mit der fleischigen Hand über sein Haar, das schon aus der Stirne zurückzuweichen begann. »Ich wollte Ihnen nur Gelegenheit geben, sich auszusprechen.«
»Mich … was?« Jetzt war Tina ehrlich erstaunt.
»Nun, es könnte doch sein, daß Sie irgendwelche Klagen hätten.« Er runzelte die Stirn. »Es läge immerhin im Bereich des Möglichen, daß der junge Mann versucht hätte, die Situation auszunutzen … na, Sie wissen schon, deutlicher brauche ich wohl nicht zu werden.«
»Wie kommen Sie denn darauf!?« protestierte Tina, konnte aber nicht verhindern, daß sie flammend rot wurde. »Etwa wegen dieser blöden alten Geschichte im Physiksaal?«
»Das wissen Sie also schon!«
»Klar.« Tina warf den Kopf in den Nacken. »Jeder weiß es. So was spricht sich doch rum.«
Herr Sondermann schwieg und trommelte mit dem stumpfen Ende seines Kugelschreibers einen Marsch auf die blank polierte Schreibtischplatte. »Na schön, ich will ganz ehrlich sein«, sagte er endlich, »ja, gerade wegen dieser blöden alten Geschichte, wie Sie es nennen, frage ich Sie! Ich habe Herrn Wells nur unter … ehem … größten Bedenken eingestellt. Er ist ein fähiger und intelligenter junger Mann, aber seine … ehem … moralische Haltung ist, nun, zumindest gesagt, fragwürdig. Sollte er sich also Ihnen gegenüber irgendwelche Übergriffe erlaubt haben, so bitte ich Sie, mir das frei und offen zu sagen. Nicht der leiseste Schatten, das versichere ich Ihnen, würde dadurch auf Ihren guten Ruf fallen.«