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Scheich Kalen bietet seiner jungen Frau ein Leben voller Luxus. Dabei wünscht Keira sich nur das Eine … seine Liebe. Vergeblich: Der Wüstenprinz scheint sie nur als Gespielin zu sehen. Umso erstaunter ist Keira, als er sich plötzlich als ihr Ehemann ausgibt.
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Seitenzahl: 191
IMPRESSUM
Willkommen im Land der Liebe erscheint in der HarperCollins Germany GmbH
© by Jane Porter-Gaskins Originaltitel: „The Sheikh’s Virgin“ erschienen bei: Mills & Boon Ltd., London Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l.
© Deutsche Erstausgabe in der Reihe JULIABand 1762 - 2007 by CORA Verlag GmbH & Co. KG, Hamburg Übersetzung: Veramaria Schwallbach
Umschlagsmotive: Harlequin Books S.A., GettyImages
Veröffentlicht im ePub Format in 09/2018 – die elektronische Ausgabe stimmt mit der Printversion überein.
E-Book-Produktion: GGP Media GmbH, Pößneck
ISBN 9783733711788
Alle Rechte, einschließlich das des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten. CORA-Romane dürfen nicht verliehen oder zum gewerbsmäßigen Umtausch verwendet werden. Sämtliche Personen dieser Ausgabe sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig.
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Ein Mädchen wird zu einer Ehe gezwungen?
Aus ihrem Heim gerissen? Als Geisel über den Atlantik verschleppt? Solange von ihrer Familie und ihren Freunden isoliert, bis sie nachgibt, sich dem Willen ihres Vaters fügt und heiratet – selbst wenn der Mann zwanzig Jahre älter ist als sie?
Scheich Kalen Tarq Nuri hatte schon Schlimmeres gehört.
In aller Ruhe trank er seinen Martini aus und schob das leere Glas zur Seite.
Gerade hatte er in New York ein ziemlich großes Geschäft abgeschlossen, das er jetzt bei einem Abendessen mit seinen Spitzenleuten feierte, die die feindliche Übernahme für ihn arrangiert hatten. Obwohl die Firma nicht hatte verkaufen wollen, hatte Scheich Nuri sein Ziel erreicht.
Er bekam, was er wollte. Immer.
Es gab schlimmere Dinge, als eine junge Frau zu einer Heirat zu zwingen.
Zum Beispiel Verrat. Einen Mordversuch. Und die Aufdeckung einer Verschwörung mit dem Ziel, nicht nur Kalens Bruder – den Sultan von Baraka – zu ermorden, sondern auch seine kleinen Söhne.
Niemand tat der Familie von Kalen Nuri etwas. Niemand durfte Malik oder seine Kinder verletzen. Niemand. Nicht einmal Omar al-Issidri, der Vorsitzende des Kabinetts seines Bruders und heimliche Unruhestifter.
Von einem Informanten wusste Kalen, dass Omar plante, seine Machtposition in Baraka durch die Ehe seiner Tochter mit Ahmed Abizhaid, einem radikalen Fundamentalisten und Kritiker des Sultans, zu festigen.
Omar war gefährlich, weil er schwach war. Ahmed war gefährlich, weil er gewalttätig war. Zusammen könnten sie die Nuris vernichten.
Kalens Finger umklammerten den Stiel des Martiniglases. Die Heirat zwischen der dreiundzwanzigjährigen Keira al-Issidri und Ahmed Abizhaid musste verhindert werden. Um jeden Preis, denn es war eine gefährliche Beziehung, ein Bündnis, das Ahmed nicht nur Ansehen, sondern auch Zutritt zum Palast verschaffen würde.
Wenn Kalen nicht unverzüglich etwas dagegen unternahm. Daher musste er schleunigst aktiv werden, um diese Hochzeit zu verhindern. Höchstpersönlich. Und genau das beabsichtigte er zu tun.
Sie würde so gern noch einmal von vorn beginnen.
Das Band bis zu dem Zeitpunkt zurückspulen, von dem an alles schiefgelaufen war. Diese Nacht. Diese Party. In der Woche, als sie sechzehn geworden war.
Wenn sie ihrem Vater nicht den Gehorsam verweigert hätte …
Wenn sie sich nicht aus dem Haus geschlichen hätte, um an etwas Verbotenem teilzunehmen …
An einem Ort, den brave Mädchen aus Baraka nicht besuchen sollten.
Aber das alles lag Jahre zurück, und jetzt waren Keira Gordons Finger schon ganz taub, weil sie das Telefon so krampfhaft umklammerte. „Ich heirate ihn nicht. Ich kann ihn nicht heiraten, Dad, das ist unmöglich.“
Omar al-Issidri holte ungeduldig Luft. „Das Einzige, was unmöglich ist, ist, dass du mit dreiundzwanzig immer noch ledig bist! Du machst unserer Familie Schande.“
Keira wusste, dass junge Frauen in Baraka früh heirateten, um ihren Ruf zu schützen. Aber Keira war keine Barakanerin, war es nie gewesen. Doch als Engländerin fühlte sie sich auch nicht, obwohl sie den größten Teil ihres Lebens bei ihrer liberalen intellektuellen Mutter in Manchester verbracht hatte.
„Er ist ein bedeutender Mann, Keira. Er hat Beziehungen, ist mächtig und einflussreich …“
„Das interessiert mich nicht.“
Schweigen. „Du musst verstehen, Keira, dass diese Heirat sehr wichtig ist. Für uns alle. Du musst heiraten. Sidi Abizhaid hat dich auserwählt. Du solltest dich durch sein Interesse geehrt fühlen.“
Ihr Vater hörte ihr überhaupt nicht zu. Aber ihrer Mutter zufolge hörte ihr Vater einer Frau sowieso niemals zu. Das war nur einer der Gründe, warum sie ihn vor vielen Jahren verlassen hatte.
Keira rieb sich die Stirn. Ihr lag etwas an ihrem Vater. Sie mochte ihn wirklich, aber er hatte keine Ahnung, wie sehr sie sich von dem verschleierten Leben einer Frau in Baraka entfernt hatte. Baraka, ein Königreich in Nordafrika voller rosafarbener Berge, goldener Sanddünen und wunderschöner Hafenstädte, die eher europäisch als orientalisch wirkten. „Ich lebe in Dallas, Dad. Ich habe hier einen Job und wunderbare Freunde. Menschen, denen wirklich etwas an mir liegt.“
„Aber keinen Ehemann.“
„Ich will keinen Ehemann.“ Die Frustration verlieh ihrer Stimme einen schärferen Ton. „Ich bin gerade erst mit dem Studium fertig und habe noch nicht einmal angefangen, im Beruf wirklich Fuß zu fassen und meine Karriere aufzubauen.“
„Karriere?“
„Allerdings. Ich will doch Karriere machen. Ich bin intelligent …“
„Das ist alles das Werk deiner Mutter. Ich hätte ihr nie erlauben dürfen, dich außer Landes zu bringen, sondern dich hierbehalten sollen. Sie hatte nicht das Zeug dazu, ein Kind aufzuziehen.“
Überwältigt von aufsteigendem Zorn biss Keira sich auf die Zunge. Über Jahre hatten ihre Eltern verheerende Machtspiele miteinander gespielt und sie dabei für ihr bösartiges Tauziehen missbraucht.
„Die Heirat ist eine Ehre“, fügte ihr Vater hinzu. „Und eine gute Heirat würde für uns alle Ehre bedeuten.“
Für mich nicht, dachte Keira. „Aber ich will nicht heiraten“, wiederholte sie mit erstickter Stimme. „Es ist nicht das, was ich mir für mein Leben erträume.“
„Aber es ist das, was ich mir für dich gewünscht habe. Du bist mein einziges Kind. Meine Zukunft.“
„Nein.“
Er schnaubte verärgert. „Mach mir keine Schande, Keira al-Issidri. Mach der Familie keine Schande.“ Das war eine deutliche Warnung, aber obwohl sie die Frustration ihres Vaters nachempfinden konnte, gab es doch nichts, was sie dagegen tun konnte. Sie würde nie die sein können, die er sich wünschte.
Bei einem Blick auf ihre Armbanduhr bemerkte sie, wie spät es schon war, und fühlte eine leichte Panik in sich aufsteigen, wenn sie an den Verkehr dachte. Wenn sie jetzt nicht sofort aufbrach … „Ich muss los. Ich kann es mir nicht leisten, zu spät zur Arbeit zu kommen.“
„Arbeit? Was arbeitet man denn an einem Sonntagmorgen?“
Noch etwas, was ihr Vater von ihr nicht wusste. Anscheinend wusste er überhaupt nicht, wer sie wirklich war. „Ich tanze.“
In der Leitung breitete sich ein bedenkliches Schweigen aus. Ihr Vater hatte ihre Ballettausbildung nie gebilligt, und als Keira in die Pubertät gekommen war, hatte sich sein Widerwillen gegen die Leidenschaft seiner Tochter fürs Tanzen noch einmal verstärkt. Und ihre Mutter, sonst immer trotzig und niemals verschüchtert, hatte nachgegeben und Keira geraten, mit dem Tanzen aufzuhören.
Du solltest deinen Vater nicht gegen dich aufbringen. Er ist nicht wie wir. Er könnte etwas tun, wenn er sich provoziert fühlt.
Nach acht Jahren täglichem Training in der Schule, in denen sie das Ballett geliebt, gelebt und geatmet hatte, nach acht langen Jahren hatte sie den Unterricht abgebrochen. Einfach so.
„Ich dachte, du hättest das Tanzen aufgegeben“, sagte ihr Vater jetzt.
„Das hatte ich auch“, erwiderte Keira leise. Und es hatte sie umgebracht, hatte ihr das Herz gebrochen.
„Jedenfalls muss ich jetzt gehen“, fügte sie hinzu. Sie wusste, dass nichts, was ihr Vater sagen konnte, sie umstimmen würde. In Amerika hatte sie endlich Frieden und Anerkennung gefunden, und um keinen Preis würde sie je nach Baraka zurückkehren.
Mochte Baraka noch so schön sein und mit seiner kulturellen Mischung aus Berbern, Beduinen, Arabern und Europäern ein interessantes Sprachengemisch und viele faszinierende Sitten und Gebräuche hervorgebracht haben. Frauen wurden dort noch immer beschützt, abgeschirmt und ausgegrenzt. Keira hatte zu viele Jahre in England und Amerika verbracht, um je wieder so leben zu können.
„Keira, du kannst dich deiner Verantwortung nicht entziehen.“
Zentnerschwer spürte sie das Gewicht auf ihren Schultern und die unüberbrückbaren kulturellen Unterschiede zwischen ihnen. „Es tut mir leid, aber ich bin mit einer arrangierten Ehe nicht einverstanden. Das ist für mich inakzeptabel, auch wenn die meisten Mädchen in Baraka nichts dagegen einzuwenden haben.“
Wieder herrschte ein bedrückendes Schweigen zwischen ihnen. Schließlich ergriff Omar al-Issidri das Wort. „Ich gebe dir vierundzwanzig Stunden, Keira, mehr nicht.“
„Nein.“
„Das ist keine Bitte. Das ist ein Befehl. Du kehrst innerhalb von vierundzwanzig Stunden freiwillig nach Baraka zurück, oder ich lasse dich herbringen.“ Damit legte er auf.
Einen Augenblick konnte Keira nur das Telefon anstarren, bevor auch sie langsam auflegte. Das konnte ihr Vater doch nicht ernst meinen. Er konnte nicht ernsthaft planen, sie mit Gewalt nach Hause zu verschleppen.
Benommen nahm sie ihren Beutel und ihre Handtasche und ging zu ihrem Wagen. Während sie zum Stadion fuhr, zitterten ihre Hände auf dem Lenkrad. Jemanden heiraten, den sie nicht kannte?
Ein Auge auf den Verkehr und das andere auf das Tastenfeld ihres Handys gerichtet, tippte sie die Nummer ihres Vaters ein.
„Ich kann nicht glauben, dass du das ernst meinst“, sprudelte sie heraus, sobald er sich meldete. „Ich kann nicht glauben, dass du mir mit so etwas drohst. Ich habe nie in Baraka gelebt. Ich bin seit sieben Jahren nicht mehr dort gewesen …“
„Und doch bist du Barakanerin, ob du es willst oder nicht. Ich habe viel Geduld mit dir gehabt und dir erlaubt, dein Studium in den Staaten abzuschließen, aber nun ist es an der Zeit, dass du nach Hause kommst.“
„Baraka ist nicht mein Zuhause!“ Sie schaltete herunter und bremste, als der Verkehr zum Stillstand kam und die vierspurige Schnellstraße zu einem Meer aus roten Bremslichtern wurde.
„Du bist in Atiq geboren. Hier hast du deine Kindheit verbracht.“
„Bis ich vier war.“ Natürlich, sie war in der Haupt- und Küstenstadt Atiq zur Welt gekommen, aber sie war Engländerin, nicht Barakanerin. Und ihre Erinnerungen an Baraka waren die eines Gastes – Erinnerungen, die sie bei ihren alljährlichen Besuchen bei ihrem Vater gesammelt hatte.
Je älter sie geworden war, desto mehr hatte ihr vor diesen Reisen in jedem Sommer gegraut. Denn von Jahr zu Jahr gab es mehr Spannungen, weil sie langsam vom Kind zum jungen Mädchen heranwuchs. Jedes Jahr bedeuteten diese Besuche etwas weniger Freiheit, weniger Gelegenheiten, Kontakte zu knüpfen und zu pflegen – einfach sie selbst zu sein.
„Ich komme nie wieder zurück“, sagte sie jetzt auf Englisch, wechselte dann aber ihrem Vater zuliebe ins Arabische. „Ich würde eher sterben als zurückzukehren.“
Ihr Vater schwieg lange und sagte dann mit eiskalter und schneidender Stimme: „Sei vorsichtig mit dem, was du dir wünschst.“ Und er legte auf.
Schon wieder.
Hätte er gewusst, wie seine Tochter ihre Freizeit verbrachte, wäre Omar al-Issidri sehr betrübt gewesen.
Scheich Kalen Nuri beobachtete die Gruppe schöner junger Frauen, die durch den dunklen Stadiontunnel zur Halbzeit hinaus auf das sonnige Spielfeld stürmte.
Aus den Lautsprechern ertönte Musik, und Kalen sah zu, wie die schönen Mädchen, die nur aus glänzenden Armen und Beinen zu bestehen schienen, ihren Formationstanz begannen. Sie trugen enge Tops, die verführerisch viel Haut zeigten und ihre perfekten Brüste zur Geltung brachten, dazu winzige weiße Shorts und kniehohe weiße Stiefel.
Kalens Blick wanderte über die Reihen der Blondinen, auf der Suche nach der Dunkelhaarigen in der hinteren Reihe, deren langes schwarzes Haar ihr bis zur Taille reichte. Keira al-Issidri. Omars Tochter.
Was würde Omar tun, wenn er wüsste, was seine Tochter hier vor sechzigtausend Zuschauern tat?
Keira al-Issidri war in ernsthaften Schwierigkeiten – in mehr als einer Hinsicht.
Obwohl es schon Ende September war, kam es Keira auf dem Spielfeld wie im Hochsommer vor. Unter der sengenden texanischen Sonne begann es sich in ihrem Kopf zu drehen, während sie auf dem Rasen tanzte. Sie spürte, wie ihr übel wurde. Doch das kam nicht von der Sonne, sondern von der erschreckenden Einsicht, dass sie ihren Vater nicht kannte. Und dass es – sollte er seine Drohung wahr machen – keinen Ort gab, an dem sie sich vor ihm verstecken konnte.
Ihr Vater hatte zu viel Geld und zu viele Beziehungen. Wenn er sie nach Hause holen wollte, würde ihm das auch gelingen.
Wegen eines Druckgefühls auf der Brust konnte sie nicht mehr durchatmen. So sehr Keira auch versuchte, sich auf die Tanzschritte zu konzentrieren, die Stimme ihres Vaters und die Erinnerung an seine Drohung ließen sich nicht vertreiben.
Stunden später lehnte sie am Balkongeländer einer schicken Dachwohnung und hielt ein Glas Wein in der Hand, aus dem sie nicht trank.
Weil sie nicht in der Stimmung war, mit Leuten zu plaudern, die sie nicht kannte, hatte sie eigentlich nicht mit zur Party gehen wollen. Aber einer der Eigentümer des Teams hatte sie eingeladen und ihr zugeflüstert, dass er einen wichtigen Gast habe und zu Ehren dieses Gastes auf ihre Anwesenheit hoffe.
Da er auch der Mann war, der ihren Gehaltsscheck ausstellte und sie sonst nie um etwas bat, hatte sie sich widerwillig auf den Weg zur Party gemacht.
Nun stand sie auf dem Balkon, der glücklicherweise dunkel war, und versuchte sich bei dem Blick über die Lichter von Dallas zu entspannen. Aber die Drohung ihres Vaters geisterte durch ihre Gedanken. Er hatte geschworen, sie nach Hause zu holen und zu dieser Heirat zu zwingen.
Was sollte sie nur tun? Wohin konnte sie gehen? Und vor allem: Zu wem könnte sie gehen?
Seit vierzehn Jahren diente ihr Vater dem Sultan von Baraka – beinahe während seiner gesamten Regierungszeit. Daher verfügte er über Macht, Beziehungen und Reichtum. Wer würde der Tochter von Omar al-Issidri helfen?
Keira runzelte die Stirn und rieb sich die Schläfen. Das Denken tat ihr weh. Nach diesem scheußlich langen Tag saß sie jetzt auch noch hier auf diesem Balkon fest. Warum hatte sie sich nur überreden lassen? Die Musik war zu hart und zu laut. Die Leute gehörten zu einer anderen Welt. Die Nacht war heiß und feucht.
Und sie war müde. Am Boden zerstört. Von Panik überwältigt. Das war kein guter Aufenthaltsort für sie – er war nicht sicher.
Obwohl es Jahre zurücklag, hasste sie Partys noch immer. All diese Jahre, und die Hitze, der Lärm und die vom Alkohol angeheizte Stimmung auf Partys brachten sie noch immer aus der Fassung. Man kann der Vergangenheit eben nicht davonlaufen, dachte sie resigniert.
„Nicht springen“, sagte eine spöttische Männerstimme hinter ihr kühl. Eine Stimme mit einem fremden Akzent – britisch, kultiviert und trotzdem exotisch.
Trotz des seltsamen Kribbelns im Rücken drehte Keira sich nicht um. „Ich habe nicht die Absicht zu springen“, antwortete sie nicht minder kühl und sah weiterhin auf die Silhouette der Stadt, während sie ihr Weinglas an die Lippen hob und einen Schluck trank.
„Obwohl Sie hoffnungslos in der Falle sitzen?“
Mit aller Macht unterdrückte sie das Aufflackern der Angst, ignorierte den Adrenalinschub. „Finden Sie das nicht etwas anmaßend?“
„Nicht wenn man über jemanden so viel weiß wie ich über Sie.“
Ihr gefiel weder sein Ton noch seine großspurige Haltung. Arrogante Männer mochte sie nicht.
„Ich könnte Sie jetzt als Angeber entlarven, aber mir liegt nichts daran, diese Unterhaltung fortzusetzen.“
„Dann bringe ich Sie jetzt dazu, Farbe zu bekennen, Lalla Keira al-Issidri.“
Arabisch. Und nicht nur einfach Arabisch, sondern barakanisches Arabisch.
Er kannte ihren Vater. Er musste ihren Vater kennen. Schließlich hatte er sie Keira al-Issidri genannt.
Um ihm ins Gesicht zu sehen, drehte sie sich um, aber auf den Balkon fiel kaum Licht von innen, und sein Gesicht lag im Schatten. „Wer sind Sie?“
„Ein Freund der Familie.“
Also war es schon geschehen. Ihr Vater hatte jemanden zu ihr geschickt. Er hatte nicht einmal acht Stunden gewartet. Keira atmete tief ein, um ihre Nerven zu beruhigen. „Was wollen Sie?“
„Ihnen eine Wahlmöglichkeit geben.“
Sie traute keinem Mann, und schon gar nicht einem Mann aus Baraka. „Ich verstehe nicht.“
„Ich denke schon, dass Sie mich verstehen.“
Da war etwas in seinem Ton, das sie nervös machte, eine Vertrautheit, die ihr unangenehm war. „Treten Sie bitte ins Licht“, sagte sie forsch und versuchte, so viel Festigkeit wie möglich in ihre Stimme zu legen. „Ich will Sie sehen.“
„Warum?“
„Weil ich den feigen Mann sehen will, dem es Spaß macht, Frauen einzuschüchtern.“
„Wenn das so ist.“ Damit trat er aus dem Schatten in den gelblichen Lichtschein, der durch die geöffnete Balkontür nach außen fiel.
„Besser?“, fragte er und steckte die Hände in die Hosentaschen. „Können Sie den Feigling jetzt sehen?“
Scharf zog sie die Luft ein, ihre Augen weiteten sich vor Schreck, und sie wich vor dem zurück, was sie sah.
„Vielleicht ist es im Schatten doch besser“, meinte er, während er von der Tür wegtrat und langsam wieder auf sie zukam.
„Ja. Dann können Sie leichter tun, was auch immer Sie tun wollen.“
„Und was will ich tun?“ Das klang nur mäßig interessiert.
„Mich nach Baraka verschleppen.“
„Aha.“
Seltsamerweise klang dieses eine Wort unendlich verführerisch. Er blieb nicht weit von ihr entfernt stehen und lehnte sich an die Balkonbrüstung.
Im Dunkeln versuchte sie mithilfe des Mondlichts sein Gesicht und seinen Umriss auszumachen. In dem geisterhaft weißen Lichtschein erkannte sie glatte schwarze Augenbrauen, markant ausgeprägte Wangenknochen und ein starkes kompromissloses Kinn.
Diese Wangenknochen und das Kinn waren ihr vertraut. Viel zu vertraut, obwohl Jahre vergangen waren, seit sie ihn zuletzt gesehen hatte.
Keira schloss die Augen. Sie wollte sich nicht erinnern, denn an der Erinnerung hingen zu viel Leid und Schmerz. Kein Traum sollte so abrupt zerbrechen, nicht auf diese Weise, nicht, wie sie es erlebt hatte.
Als sie die Augen wieder öffnete, war sie sich in unangenehmer Weise und ohne ihn anzusehen seiner Gegenwart allzu bewusst, seiner kräftigen Statur, seiner Größe. „Mein Vater hat nicht einmal vierundzwanzig Stunden gewartet.“ Es gelang ihr nicht, ihre Bitterkeit zu unterdrücken. „Er hat gesagt, er würde mir vierundzwanzig Stunden geben. Er hat gelogen.“
Es blieb einen Moment still. Sie hätte schwören können, dass ein Lächeln auf seinem Gesicht lag, als er sagte: „Ich bin nicht der Abgesandte Ihres Vaters.“
Plötzlich konnte Keira kaum noch atmen. Ihr Kopf fühlte sich noch verwirrter an als zuvor, und eine unheimliche Furcht erfüllte sie. „Wer, zum Teufel, sind Sie dann?“
„Erinnerst du dich nicht an mich?“
Dass er diese Frage so sanft und leise stellte, brachte sie völlig aus der Fassung.
Natürlich wusste sie, wer er war, hatte es von dem Moment an gewusst, als er angefangen hatte zu sprechen. Doch sie hatte es nicht wahrhaben wollen, konnte es nicht glauben. Nicht nach all diesen Jahren.
„Ich bin sicher, dass du dich an mich erinnerst“, fügte er hinzu.
Ihre Adern füllten sich mit Eis. „Gehen Sie noch einmal ins Licht.“
„Sei nicht albern.“
Dann zündete er ein Streichholz an, und im Licht der kleinen gelben Flamme sah sie ihn. Klar und deutlich. Sie betrachtete sein Gesicht ganz genau.
Nicht nur glatte schwarze Augenbrauen und hohe kantige Wangenknochen, sondern auch von dichten schwarzen Wimpern gerahmte bernsteingoldene Augen.
Das Streichholz erlosch. Erschüttert sah Keira zur Seite. Sie wollte den Kopf schütteln, wollte die Vision abschütteln, die sich ihr für alle Zeit eingebrannt hatte.
Vielleicht konnte sie seine Augenbrauen vergessen, seine Wangen und sein Kinn, aber niemals würde sie seine Augen vergessen, diese bernsteingoldenen Augen.
Augen, die lange, dichte schwarze Wimpern umgaben. Augen, die nicht lächelten. Die direkt in ihr Inneres sahen, in ihr Herz, tief in ihre Seele.
Niemand sonst hatte solche Augen. Niemand sonst hatte sie jemals so angesehen wie er. Nein, niemand, außer Kalen Nuri.
Unerklärliche Tränen brannten in ihren Augen, und sie umklammerte ihr Weinglas mit aller Kraft. Wie schrecklich verliebt sie gewesen war.
Was für eine alberne Schwärmerei.
„Scheich Nuri“, flüsterte sie seinen Namen, unfähig, ihn anzusehen.
Mit unbeteiligtem Gesichtsausdruck neigte er seinen dunklen Kopf und sagte: „S-salamu alikum.“
Die traditionelle Begrüßung in Baraka. Friede sei mit dir.
Die falsche Antwort von jemandem, der einmal der richtige Mann gewesen wäre.
Kalen Nuri war hier. Nur wenige Zentimeter neben ihr. Wieder überkam Keira Panik. Sie fühlte sich benommen, und ihre Nerven waren zum Zerreißen gespannt.
Vor Jahren hatte sie ihn zum letzten Mal gesehen … Und jetzt stand er hier, aber nicht als Freund, davon war sie überzeugt.
„Du willst doch wohl nicht behaupten, dass mein Vater dich nicht geschickt hat.“ Vor Ärger klang ihre Stimme ganz tief. „Du kannst mich doch nicht auch noch belügen.“
„Im Gegenteil, ich will dir die Wahrheit sagen. Aber du musst entscheiden, ob du mir zuhörst und ob du mir glaubst.“
„Ich will die Wahrheit hören.“
„Ich weiß, was dein Vater mit dir vorhat.“
Er vergeudete keine Zeit und sprach so unverblümt, dass sie ihren Blick nicht von ihm abwenden konnte. „Mein Vater arbeitet für deinen Bruder.“
Doch Kalen machte eine wegwerfende Handbewegung. „Dein Vater arbeitet für sich selbst.“
Ihre Augen verengten sich. „Du traust ihm nicht?“
„Nein.“ Der Scheich sah sie genauso unverwandt an, wie sie ihn vorher gemustert hatte. „Traust du ihm?“
„Er ist mein Vater.“
„Jugendliche Naivität.“
„Naivität?“
„Es klingt etwas netter als Dummheit.“
Der aufsteigende Ärger verstärkte das schmerzhafte Pochen in ihrem Schädel noch. „Was willst du?“
„Wie ich schon sagte: Dir eine Wahlmöglichkeit anbieten.“
Ohne zu antworten, starrte sie ihn nur an.
Kalen verzog seinen Mund, sah dabei aber nicht freundlich aus. „Du musst Ahmed Abizhaid nicht heiraten.“
Irgendetwas in ihrem Inneren verkrampfte sich. Nein, dachte sie spöttisch. Ich wollte eigentlich immer dich heiraten. „Wirklich? Und was gibt es denn an Mr. Ahmed Abizhaid auszusetzen?“
„Er ist alt, er ist behaart, und er ist korpulent.“
„Und?“
„Die Kinder aus seiner ersten Ehe sind älter als du.“
Sie blieb stumm.
„Er ist berüchtigt für seinen Fanatismus.“
Weil sie nichts sagen wollte, biss Keira die Zähne zusammen. Ganz eindeutig hatte sie das Gefühl, dass Scheich Nuri sich auf ihre Kosten amüsierte.
„Und er hat fragwürdige politische Ambitionen. Wenn du das alles natürlich ansprechend findest …“ Er sprach den Satz nicht zu Ende. Immer noch stumm sah Keira die flackernden Lichter der Stadt, die weit entfernten Ströme von weißen und roten Lichtern auf der Stadtautobahn.
„Er ist überhaupt nicht attraktiv, und das weißt du“, sagte sie schließlich.
„Du brauchst meine Unterstützung.“
„Ich will deine Hilfe nicht.“ Sie wollte von keinem Mann irgendetwas. Früher einmal war sie voller Vertrauen und tatsächlich naiv gewesen, aber jetzt war sie nicht mehr das dumme kleine Mädchen von damals.
„Wenn du meine Hilfe ablehnst, wirst du dich ins eigene Fleisch schneiden.“
„Was weißt du schon über mich, Scheich Nuri?“
„Zum Beispiel weiß ich, dass dieses hübsche Gesicht bald hinter einem Schleier verborgen sein wird, wenn du meine Hilfe nicht annimmst.“