Wir können das besser! - Stephanie zu Guttenberg - E-Book

Wir können das besser! E-Book

Stephanie zu Guttenberg

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Beschreibung

Die meisten Menschen in Deutschland leben bereits jetzt ebenso online wie offline. Statt Digital Detox möchten sie viel lieber ver­stehen, wie sie die neuen Apps und Netzwerke besser nutzen können und was auf den Bildschirmen ihrer Kinder flimmert. Sie sind wütend, weil nach zwei Jahren Corona-Pandemie in den Schulen "digitaler Unterricht" immer noch für ruckelige Videokonferenzen mit schlechter Ausstattung und verunsicherten Lehrern steht. Mit diesem Buch möchte Stephanie zu Guttenberg den Menschen die Möglichkeit geben, die Digitalisierung aktiv mitzugestalten. Sie möchte die Leserinnen und Leser zu einer neuen Souveränität im Netz geleiten und ihnen mit praxisnahen Tipps helfen, ihr digitales Leben – und das ihrer Kinder – komfortabler, sicherer und ja, auch schöner zu machen.

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Wir können das besser! • Stephanie zu Guttenberg

STEPHANIE ZU GUTTENBERG

WIRKÖNNENDASBESSER!

Erziehung,Bildung undLeben inder digitalenRealität

Dieses Buch entstand in Zusammenarbeit mit dem Journalisten Tarek Barkouni.

Copyright © 2022 by Stephanie zu Guttenberg

Copyright 2022 © Börsenmedien AG, Kulmbach

Coverfoto: Frank Bauer

Gestaltung Cover: Daniela Freitag

Gestaltung und Satz: Sabrina Slopek

Lektorat: Christoph Landgraf

Korrektorat: Sebastian Politz

Druck: GGP Media GmbH, Pößneck

ISBN 978-3-86470-864-0

eISBN 978-3-86470-865-7

Alle Rechte der Verbreitung, auch die des auszugsweisen Nachdrucks, der fotomechanischen Wiedergabe und der Verwertung durch Datenbanken oder ähnliche Einrichtungen vorbehalten.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über <http://dnb.d-nb.de> abrufbar.

Postfach 1449 • 95305 Kulmbach

Tel: +49 9221 9051-0 • Fax: +49 9221 9051-4444

E-Mail: [email protected]

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Für Anna und Mathilda –und alle jene, welche sich für die Zukunft der neuen Generationen einsetzen.

INHALT

Kapitel 1Die Blondine in High Heels, die den Rasenmäher repariert

Kapitel 2Eine Entscheidung fürs Leben: Das erste Handy

Kapitel 3„Nein, das darfst du nicht!“schützt unsere Kinder nicht immer

Kapitel 4Deutsche Schulen sind schlechter digitalisiert als japanische Altenheime. Wie kann das sein? Und vor allem: Wie können wir das ändern?

Kapitel 5Wenn Kinder die digitalen Regeln bestimmen würden, hätten wir ein Problem weniger

Kapitel 6Von Fake News bis Fake Shops – wie wir unsere digitalen Sinne trainieren müssen

Kapitel 7Mein Kind will Influencer werden – gut so!

Kapitel 8Der Beste in zwei Welten: Wie wir auch im Digitalen gute Menschen sein können

Danksagung

Quellenverzeichnis

Muster eines Mediennutzungsvertrags

VORWORT

Liebe Leserin, lieber Leser, wenn Sie dieses Buch in der Hand halten, habe ich Hoffnung. Hoffnung, dass mein Anliegen Gehör findet und endlich eine Entwicklung in Deutschland stattfindet – hin zu einem angstbefreiten Umgang mit Digitalität. Denn ich bin der festen Überzeugung, dass wir eine solche Bewegung brauchen.

Seit ich aus den USA zurückgekehrt bin, wurde mir immer klarer, wie groß die Probleme in Deutschland sind: wenn ich mit Freunden über das Thema Digitalisierung gesprochen habe, wenn ich mit Behörden zu tun hatte oder wenn ich gesehen habe, wie Kinder und Jugendliche ihr Recht auf Bildung in der Coronakrise praktisch verloren haben.

Mit jedem Tag, der verging, ist die Erkenntnis größer geworden, wie viel wir in Deutschland noch zu tun haben. Wir sind es den jungen Generationen schuldig, ihnen wenigstens die Chance auf eine gute, moderne Bildung zu geben. Und damit eine Chance für den Arbeitsmarkt und die Welt von heute und morgen.

Dabei ist mir besonders wichtig, zu betonen, dass ich nicht über die aktuelle Situation verbittert bin. Ja, wir haben Probleme, aber ich bin zuversichtlich, dass es noch nicht zu spät ist.

Ich würde mich sehr freuen, wenn ich mit diesem Buch dazu beitragen und bei Ihnen für einen offenen Blick auf das Thema werben kann. Vielleicht haben Sie nach der Lektüre weniger Angst, wenn Sie im Internet unterwegs sind, und sind ein bisschen neugieriger auf die Welt geworden, die uns Erwachsenen oft verborgen bleibt: die sozialen Netzwerke.

Nun wünsche ich Ihnen viel Freude bei der Lektüre.

1

DIE BLONDINEIN HIGH HEELS,DIE DEN RASENMÄHERREPARIERT

Könnt Ihr mich jetzt sehen und hören?“ – „Und jetzt?!“ – „Nur sehen, aber nicht hören, okay, verstehe!“ – „Moment bitte, ich wähl’ mich noch mal ein!“Vielleicht haben Sie einen dieser Sätze in den letzten Jahren häufiger gehört oder selbst ausgesprochen und sich über die abreißende Internetverbindung maßlos geärgert. Oder Sie hatten einen Riesenkrach mit Ihrem Pubertier, weil es auf dem Sofa lieber Youtube-Videos schaut, anstatt ein „ordentliches“Buch zu lesen. Oder Sie haben schon einmal ein ellenlanges Anmeldeformular auf einer Behörden-Website ausgefüllt, nur um kurz vor dem Ziel zuerst den Website- und anschließend den eigenen Nervenzusammenbruch zu erleben. Warum? Weil Sie am Ende doch wieder die Hotline anrufen, in der Sie eine halbe Stunde einem quälend belanglosen Kaufhausfahrstuhl-Song zuhören müssen, dessen abruptes Ende Sie so überrascht wie die Ansage vom Band, dass Sie es doch bitte später versuchen sollen, die Leitungen seien gerade überlastet, gefolgt vom gut gemeinten Tipp, das Anmeldeformular „online“auszufüllen. Grrrrrrrrrrrrrrrrrrr!

Wenn Sie gerade beim Lesen geschmunzelt haben, wissen Sie, wovon ich rede: An jeder Ecke wartet ein anderes digitales Ärgernis. Auf Sie. Auf mich. Auf uns alle. Manche lassen mich mit den Augen rollen, andere mit dem Kopf schütteln, aber oft pfeffere ich aus Wut mein Handy in die Handtasche. Es ist immer dasselbe Gefühl: Himmel, Arsch und Zwirn – wir leben im Land, in dem der erste Computer stand. Das muss doch besser gehen!

Wie geht es Ihnen damit? Meine Vermutung: Ich bin mit diesem Gefühl nicht allein. Ärgern Sie sich auch über ein digitalfeindliches Bildungssystem für unsere Kinder, in dem das Smartphone – das heute in fast jeder Hosentasche steckt – keine Rolle spielt? Vielleicht protestieren Sie jetzt auch mit erhobenem innerem Zeigefinger und verweisen auf Jugendliche, die nur noch auf Instagram hängen, TikTok-Videos drehen (ein bei Jugendlichen sehr beliebtes soziales Netzwerk, über das ich noch oft sprechen werde) und sich von sogenannten Influencern die Welt erklären lassen?

Unter uns: Ich fühle mich auch oft sehr alt, wenn mir meine Töchter (19 und 21 Jahre alt) von den neuesten Trends auf TikTok erzählen. Ich fühle mich manchmal schon überfordert, wenn mir meine Nachrichten-Apps alle paar Minuten „Breaking News“als Pushnachrichten schicken. Aber: Ärgern reicht nicht! Die digitale Transformation unserer Lebenswelt lässt sich nicht mehr zurückdrehen. Die Digitalisierung hat unser Leben innerhalb weniger Jahre verändert, unsere Sprache, unser Konsumverhalten, selbst unsere Sport-, Sex-, Schlaf- und Essgewohnheiten neu geprägt. Das verunsichert viele. Mehr noch: Im Freundes- und Bekanntenkreis fangen viele an, über diese Verunsicherung zu sprechen. Sie fordern mehr Regeln für die digitale Welt. Doch nur mit Verboten können wir unsere Kinder nicht von sozialen Netzwerken fernhalten. Ein digitaler Entzug, wie ihn mancher Experte in Büchern vorexerziert, macht uns auch nicht plötzlich wieder zu aufmerksameren Menschen. Und eine verblichene Folie auf einem verstaubten Overheadprojektor regt im digitalen Zeitalter die Fantasie der Schüler nicht an. Oder wie war das damals bei Ihnen, als das Licht im Klassenzimmer gedimmt wurde? Für viele meiner Klassenkameradinnen und mich war das oft das Signal, ein bisschen Schlaf nachzuholen.

Ich sage: Wenn wir so weitermachen, verspielen wir die Zukunft unserer Kinder, die Briefe, Papierakten und Overheadprojektoren höchstens noch im Archiv finden werden. Als führende Industrie- und (zumindest früher) Bildungsnation muss unser Anspruch höher sein. Und wäre es nicht schöner, die Welt von morgen gemeinsam mit unseren Kindern zu erleben und zu gestalten, statt sie in sozialen Netzwerken allein zu lassen, weil wir befremdlich finden, was da passiert, und es nicht verstehen? Ich möchte Sie einladen, gemeinsam die Möglichkeiten zu bestaunen, die ein digitales Leben erlaubt. Wie viel komfortabler ein Fingerwisch auf dem Smartphone sein kann. Wie Tausende Kleinanleger aus einem Forum einen Hedgefonds zum Straucheln bringen und dabei Milliarden Euro verdienen (und verlieren). Das heißt nicht, dass wir jede neue Trend-App herunterladen oder Oma nur noch über FaceTime besuchen müssen. Aber lassen wir uns auch nicht von den Entwicklungen einschüchtern, die uns scheinbar unkontrollierbar überrollen. Nur wer versteht, was da gerade hinter den Retinascheiben unserer Smartphones vorgeht, wird dieses mulmige Gefühl los. Auch wenn Sie nach dem Lesen dieses Buches nicht zu einem Digital-Enthusiasten werden, werden Sie Ihre Kinder sicher besser verstehen, sie bei ihrem Weg durch das digitale Dickicht begleiten können. Denn auch wenn die „Digital Natives“ (das ist die Generation, die schon im Kindesalter Zugang zu Internet und Smartphones hatte) mehr Zeit im Internet verbracht haben als wir, plagen sie oft die gleichen Sorgen und Probleme. Wir teilen mit unseren Kindern dieselben universellen Werte – nur auf unterschiedliche Art und Weise.

Selbst der kurzweilige Zeitvertreib auf Youtube kann zur Kraftprobe werden, wenn unter den Apfelkuchen-Tutorials der lieben Oma die Kommentarspalte mit fiesen Sprüchen vergiftet ist. Dafür gibt es eine Lösung: Bildung! Nicht nur für Kinder und Jugendliche – wir Erwachsene brauchen genauso „Nachhilfe“, wenn es um Anstand in den sozialen Netzwerken geht, wenn wir uns fragen, wann wir Mails von unserem Chef noch lesen (und beantworten) oder warum wir beim Onlineshopping fast immer mehr (und auch andere!) Sachen kaufen, als wir uns eigentlich vornehmen.

Aus diesen Gründen habe ich in den vergangenen Jahren mein Bücherregal mit Büchern über das digitale Zeitalter vollgestellt (und lese sie sogar!), mit Expertinnen und Experten gesprochen, Vorträge an Schulen und auf Kongressen gehalten und erlebe fast täglich, mit welchen Fragen Schüler, Eltern, wir alle zu kämpfen haben. Dafür braucht es auch praktische Hilfe. Seit drei Jahren bin ich Teilhaberin an dem Start-up BG3000 (www.bg3000.de). Unser Ziel: Wir möchten die neuen Möglichkeiten der digitalen Welt an die nächste Generation weitergeben, Impulse liefern. Dafür geben wir unter anderem Digitalisierungskurse an Schulen und Ausbildungsstätten. Kinder, Jugendliche und Lehrer erzählen mir in diesen Kursen immer wieder von ihren persönlich gefärbten Unsicherheiten, von Mobbing in den sozialen Medien und der ständigen Ablenkung via Youtube und Twitch (einer App, bei der man anderen beim Computerspielen zuschauen kann). Andererseits saugen die Kinder begierig auf, was populäre Influencer erzählen, die wir zu den Kursen einladen, und verwirklichen eigene Ideen für digitalen Unterricht, die oft weit von den üblichen Möglichkeiten an ihren Schulen abweichen.

Ich bin nicht nur eine Blondine in High Heels

Ja, ich weiß, ich kenne all die Klischees da draußen. Für viele bin ich die Blondine in High Heels, die keine Glühbirne eindrehen kann. Die Wahrheit ist: Seit mein Vater in den frühen 1990er-Jahren den ersten Computer in sein Arbeitszimmer gestellt hat, bin ich fasziniert von diesen Geräten. Ja, ich gebe es zu: Ich bin ein Technik-Freak! Ich hatte sogar den Plan, nach dem Abitur Mathe zu studieren. Bis heute bin ich bei uns zu Hause diejenige, die nicht nur Glühbirnen austauscht, sondern auch den kaputten Toaster und den röhrenden Rasenmäher repariert. Würden Sie mir nicht zutrauen, oder? Mein Mann staunt manchmal auch Bauklötze. Mittlerweile ruft er zuerst mich, bevor er zum Hörer greift und Handwerker ins Haus bestellt. Schon als Kind habe ich alle technischen Geräte, die mir in die Finger gerieten, auseinander- und wieder zusammengebaut. Ich wollte unbedingt verstehen, was unter der Plastikschale vor sich hinarbeitet, welche Kabel wohin funken. Ich fühle mich großartig, wenn ich etwas repariert habe, den Einschaltknopf drücke und der Toaster auf einmal wieder das macht, was er soll: Toasts toasten. Und unter uns: Supercomputer (nichts anderes sind unsere Smartphones) sind stinknormalen Toastern nicht unähnlich. Sie tun nur das, was wir ihnen vorgeben. Jeder Computer ist kontrollierbar, kein Computer auf der Welt hat ein Eigenleben – auch wenn uns manch ein Hollywood-Blockbuster vom Gegenteil überzeugen will.

Aus der Mathematik ist damals nichts geworden. Trotzdem habe ich während meines Studiums so viel Zeit wie möglich an den noch sehr langsamen und umständlich zu bedienenden Computern verbracht. Kennen Sie noch diese großen grauen Kästen und die sackschweren Monitore mit der kantigen Auflösung? Die Arbeit an diesen Maschinen erforderte eine irrsinnige Fummelei. Für eine einfache Grafik habe ich manchmal Stunden gebraucht, mit Schere und Kleber wäre ich meist schneller gewesen. Damals hat sich das angefühlt, als ob ich mit einer Maschine aus einem Science-Fiction-Film „kommunizieren“würde. Ein Gefühl, das ich lieben gelernt habe und heute immer wieder erlebe, wenn ich einen Wocheneinkauf ins Smartphone tippe und Klopapier und die Zutaten für eine Bolognese schneller da sind, als ich mir die Jacke angezogen habe. Meine Wanderkarten sind schon lange keine großflächigen Papiermonster mehr, die sich nie so zusammenfalten lassen, wie ich sie gekauft habe. Stattdessen stapfe ich mit meinem Handy durch die Natur. Einem zwölf Zentimeter kleinen Gerät, das ich locker in meine Hosentasche stecken kann und das mir in Echtzeit zeigt, welche Abbiegung ich im Wald nehmen sollte, wie viele Kilometer ich bereits gegangen bin, die Anzahl der verbrauchten Kalorien präsentiert, den Wetterbericht einblendet und, und, und. Was für eine Erleichterung!

Das Internet hat meine Technik-Begeisterung auf ein neues Level gehoben. Vor mir eröffnete sich plötzlich eine Wunderwelt, in der alles möglich war. Ich habe meine ersten Gehversuche in der Anfangszeit des Internets unternommen, eine Zeit, in der überall AOL-CDs für den Internetzugang rumlagen und Boris Becker im linearen Werbefernsehen fragte: „Bin ich schon drin?“ (Schon dieses Beispiel zeigt, wie lange das her ist!) Die reale Welt zog damals ins Internet: Von da an mühten sich die Menschen nicht mehr in Videotheken, sondern liehen sich DVDs über das Internet aus. Am 10. März 1998 verschickte Reed Hastings, der Gründer von Netflix (ja, genau das Netflix), die erste DVD per Post, die Horrorkomödie „Beetlejuice“. Hastings hatte sich damals bei „Blockbuster Video“, der größten Videothek-Kette der Welt, als Führungskraft beworben und war abgelehnt worden. Also schuf er sein eigenes Imperium. Die Legende sagt: Netflix war einer der maßgeblichen Gründe, warum Blockbuster Inc. im Jahr 2010 Insolvenz anmelden musste. Aus kleinsten Erfolgen zimmern gestern wie heute Gründer riesige Unternehmen: 1995 versteigerte ein 28-jähriger iranisch-französischer Programmierer namens Pierre Omidyar seinen kaputten Laserpointer auf einer Website, die er am Wochenende zuvor programmiert hatte. Letztes Angebot 14,83 Dollar, drei … zwei … eins … meins. Der Käufer: ein Sammler kaputter Laserpointer. Es war der erste verkaufte Gegenstand auf Ebay – damals bekannt als Auction Web – ein Start-up, das heute mehr als zehn Milliarden US-Dollar wert ist. Ein Haufen Nerds mischte mit Krimskrams aus Garagen und Kellern die Welt auf. Was für eine Revolution! Ich war elektrisiert!

Wir sollten die furchtbaren Orte des Internets kennen

Aber es hat nicht lange gedauert, bis ich auch die Kehrseite dieser herrlichen neuen Welt kennenlernen musste. Im Jahr 2004 gab mir eine Bekannte vom Internationalen Roten Kreuz einen Ordner voller Studien über sexuellen Kindesmissbrauch im Internet. Es war ein Ordner unvorstellbaren Grauens. Ich las Geschichten von Kindern, die teilweise jahrelang misshandelt wurden. Kinder so alt wie meine beiden Töchter, die zu dem Zeitpunkt gerade drei und vier Jahre alt waren. Und von Tätern, die ihre Verbrechen filmten und im Internet teilten. Ich war tieftraurig, schockiert, empört, unfassbar wütend, manchmal alles gleichzeitig. Ich entschloss mich zu einer klaren Mission: Kinderpornografie und sexuellen Kindesmissbrauch zu bekämpfen. Als Teil der NGO „Innocence in Danger“, die sich gerade recht neu gegründet hatte, organisierten wir damals unter anderem Projektwochen, in denen betroffene Kinder teilweise zum ersten Mal so etwas wie Urlaub erleben durften. Wir malten mit ihnen, gaben ihnen Spielzeug und Zeit zum Spielen. Also alles, was für ein Kind selbstverständlich sein sollte. Am Ende einer dieser Projektwochen kam ein Kind auf mich zu. Es umarmte mich und flüsterte mir ins Ohr: „Danke, das war die schönste Zeit meines Lebens.“Ich musste an die furchtbaren Erlebnisse denken, die dieses Kind erfahren hatte, und daran, wie wenig gereicht hat, um diesem kleinen Menschen ein Lächeln ins Gesicht zu zaubern. Ich nahm das Kind in meine Arme und fing an zu weinen – und was machte dieses Kind? Es fragte mich, warum ich weinte. In diesem Moment begann ich den Spruch „Rette ein Leben und du rettest eine ganze Welt“zu begreifen.

Die Mehrheit der sexuellen Kindesmissbräuche findet im sozialen Umfeld statt: Mal ist der Täter Nachbar, mal der Bekannte oder sogar die Eltern selbst. Das gilt überall auf der Welt und für jede Gesellschaftsschicht. Es ist egal, ob vor den Häusern glänzende 7er-BMWs stehen oder rostende Mazdas. Wie wir mit Freunden und Bekannten schreiben und facetimen, so vernetzen sich die Täter im Darknet und bieten Fotos und Videos der sexuellen Gewalt zum Verkauf an. Ein verstörendes Milliardenbusiness.

In den Jahren meiner Arbeit bei „Innocence in Danger“hatte ich sehr viel Zeit, darüber nachzudenken, wie fundamental die Digitalisierung unser Leben verändert. Seit dieser Zeit werde ich auch immer wieder zu Vorträgen und Lehrgängen eingeladen. Im Jahr 2010 habe ich mit Anne-Ev Ustorf ein Buch geschrieben: „Schaut nicht weg! Was wir gegen sexuellen Missbrauch tun müssen“. Ich dachte, ich hätte die Digitalisierung verstanden. Aber während ich mich viel mit dem dunklen, verdeckten Teil des Internets beschäftigt habe, habe ich die Macht der neuen Öffentlichkeit im Netz unterschätzt.

Heute stehen wir alle mal in der Öffentlichkeit

Ich stehe schon sehr lange in der Öffentlichkeit. Und ich gebe gern zu: Ich habe diese Öffentlichkeit zeitweise auch genossen. Ich hatte das Privileg, Aufmerksamkeit auf Themen zu lenken, die mir wichtig sind, und viele Menschen kennenzulernen, die ich faszinierend finde. Es ist schön, öffentlichen Zuspruch zu bekommen. Gleichzeitig weiß ich heute: „Wer hoch fliegt, kann auch tief fallen“ist kein hohler Spruch. Der sogenannten Klatschpresse war der Name Guttenberg immer eine Schlagzeile wert. Die meisten Journalisten haben mich oft als „die Frau an seiner Seite“abgestempelt und mir ein Prinzessinnenleben in einem Traumschloss angedichtet. Als junge Frau, die noch keine Erfahrung hatte, in was für eine Achterbahn sie sich da hineingesetzt hatte, war das eine verwirrende Erfahrung – und ja, nicht immer leicht. Besonders als ich die Kehrseite der Zuspruchmedaille kennenlernen durfte. Ich konnte dank der medialen Aufmerksamkeit sicher einige Privilegien genießen, keine Frage, aber ich habe sie mir mit einer eingeschränkten Freiheit erkauft. Keine Sorge, hier folgt kein bräsiges Lamento. Es ist das Wesen einer Achterbahnfahrt, dass es auf und ab geht, dass man in den eigenen Sitz gepresst und auf den Kopf gestellt wird. Sie erzeugt die unterschiedlichsten Gefühle: Freude, Angst, Erregung, Beklemmung. Fest steht: Mein Leben stand in dieser Zeit und steht noch heute unter strenger Beobachtung. Selbst bei Fotos von privaten Geburtstagsfeiern besteht immer die Gefahr, sie tags darauf in den Klatschpostillen zu sehen. Ich habe irgendwann aufgehört zu zählen, wie oft mein Mann und ich uns angeblich schon getrennt haben. Besonders habe ich jedoch die Behauptungen in bestimmten Medien gehasst, wenn ich mal wieder vermeintlich schwanger war – ich habe für dieses Buch nachgezählt: bis heute angeblich 35 Mal! Aber diese Behauptungen waren nicht das Schlimmste. Das Schlimmste war, dass sie mich in einer Lebensphase erwischt haben, in der ich mir tatsächlich sehnlichst ein Kind wünschte. Ich habe nie darüber gesprochen, aber mein Mann und ich haben sehr auf ein drittes Kind gehofft, wir haben das lange versucht und ich habe dafür Hormone genommen und bin von einem Arzt zum nächsten gepilgert. Jede Frau, die Ähnliches erlebt hat, weiß: Das ist keine einfache Zeit. Ich war oft sehr traurig. Vor allem, als sich herausstellte, dass sich die ganzen Mühen nicht gelohnt und die Hoffnung sich nicht erfüllt hatte. Und Sie können sich vielleicht vorstellen, wie sehr es mich getroffen hat, in einer solchen Situation Titel wie „Stephanie im Babyglück!“oder „Stephanie – endlich schwanger!“zu lesen.

Heute diskutieren wir in Deutschland zu Recht über Hassreden in den sozialen Netzwerken und analysieren Shitstorms. Ich habe schon 2011 erlebt, wie rasend schnell die öffentliche Wahrnehmung außer Kontrolle geraten kann und eine öffentliche Debatte zu Mobbing wird, indem man in Sippenhaft genommen wird. Ja, mein Mann hatte damals in seiner Doktorarbeit abgeschrieben. Er hat einen Fehler gemacht, den er zutiefst bereut hat. Und er hat sich für diesen Fehler entschuldigt. Auf einmal wurden wir jedoch von den „fabelhaften Guttenbergs“ – wie der SPIEGEL einmal ironisch titelte – zu Geächteten. Gefühlt das ganze Land stürzte sich auf unsere Familie. Plötzlich fühlten sich Zigtausende Menschen dazu berufen, sich an meinem Mann abzureagieren. Ich hatte mit seiner Doktorarbeit nichts am Hut und wurde trotzdem zur Zielscheibe. In dieser Zeit wachte ich jeden Morgen mit einer diffusen Angst auf, die mich den ganzen Tag nicht losließ. Jedes Mal, wenn mein Handy vibrierte, zuckte ich zusammen und fragte mich: „Oh Gott! Was kommt jetzt?“Wenn man an jedem Kiosk mit großen Lettern verschmäht wird, geht man nur noch ungern aus dem Haus. Mein Mann stand damals brutal unter Druck, lag nachts neben mir wach. Wie gesagt: Ich will mich nicht beschweren. Trotzdem bilden meine persönlichen Erfahrungen aus dieser Zeit die Basis, wie ich Shitstorms oder dem Thema Mobbing heute begegne. Ich möchte diese Erfahrungen aus meiner Sicht schildern, weil sie veranschaulichen, was in mir vorging. Denn damals war ich es, die unsere Familie zusammenhalten musste. Alles lief schief. Es war, als würde die Welt über mir zusammenbrechen. Offen gesagt: Ich war mit dieser Situation total überfordert. Und mein Mann stand vor komplett anderen Herausforderungen.

Aus einer politischen Debatte wurde Hass. Dieser Hass war damals so groß, dass ihm ein Abgeordneter im Bundestag ernsthaft diesen Satz an den Kopf warf: „Früher hätten Sie sich dafür erschossen.“Jeder Mensch macht Fehler, aber kein Mensch verdient es, solche Sätze zu hören. Sogar meine Töchter wurden in Sippenhaft genommen. Als ich meine ältere Tochter in dieser Zeit an einer weiterführenden Schule anmelden wollte, erhielt ich einen Brief. Nicht von der Schulleitung, sondern von der Elternvertretung. Darin stand sinngemäß: Man wolle Kinder von Eltern wie uns nicht auf der Schule haben. Das Gefühl, wie sich damals beim Lesen des Briefes mein Hals zuschnürte, werde ich nie vergessen. Ich rief sofort bei der Schulleiterin an: „Sie haben da ein echtes Problem in der Elternschaft“, sagte ich ihr. Die Frau war zwar genauso geschockt wie ich und wollte mich beruhigen. Aber ich fragte mich: Wie geht man als Mutter damit um, wenn sich Mobbing und Hass mit Ressentiments paaren und direkte Auswirkungen auf das Leben der eigenen Tochter haben? Mein Entschluss stand fest: Meine Tochter geht nicht auf eine Schule, in der Vorurteile anscheinend eine größere Rolle spielen als Anstand und gegenseitige Wertschätzung.

Ein normales Leben erscheint mir in jenen Momenten unendlich weit weg. Gleichzeitig ist mir bewusst: Ich muss meine Familie mit allen Mitteln vor diesem Sturm beschützen. Deswegen entscheide ich mich für eine radikale Abschottung: Ich gehe kaum noch aus dem Haus, lese keine E-Mails oder Nachrichten mehr und meide soziale Netzwerke. So schaffe ich mir für kurze Zeit eine kleine Insel der Stabilität und hoffe, der Shitstorm zieht bald vorbei. Heute weiß ich: So eine Situation – darauf werde ich im Verlauf dieses Buches noch eingehen – lässt sich weder kontrollieren noch ignorieren. In schier endlosen Gesprächen mit meinem Mann wird uns klar, dass unser gewohntes Leben in Deutschland vorbei ist. Wir beratschlagen uns: „Wie machen wir weiter? Was ist das Beste für unsere Familie, unsere Kinder? Wie und wo können wir einen Neuanfang starten?“In einer Nacht-und-Nebel-Aktion beschließen wir, aus Deutschland in die USA auszuwandern.

Natürlich bin ich mir bewusst, dass nicht jeder die Mittel hat, in einem anderen Land einen Neuanfang zu starten. Trotz der beschriebenen Umstände waren mein Mann und ich in einer privilegierten Stellung: Wir hatten – Gott sei Dank – eine Wahl. Den meisten bietet sich keine Chance, ihr Leben komplett umzukrempeln. Trotzdem ist die Gefahr, wie ich einen Shitstorm zu erleben, für jeden Menschen noch nie so groß wie heute. Sie wird größer, je ausgiebiger wir uns in der Öffentlichkeit und vor allem in den sozialen Medien präsentieren. Ein Shitstorm – und sei es nur ein Stürmchen – kann sich jederzeit entwickeln. Es mag mit einer unbedachten Äußerung, einem fehlinterpretierten Foto oder noch viel weniger anfangen. Was daraus wird, ist aber ein volles Postfach aus Beleidigungen und Fake News, bis hin zu Morddrohungen. Jede einzelne Nachricht potenziert das Unwohlbefinden. Wenn der Mob dann endlich weiterzieht, löst sich der Shitstorm nicht einfach auf. Die Nachrichten, die Bilder, der Hass, alles bleibt für immer auf unseren und anderen Profilen stehen. Ich kann deshalb verstehen, warum sich Menschen aus dem Internet zurückziehen: Der Ton wird rauer und schärfer, die Debatten schriller und selbst die banalste Äußerung kann dazu führen, dass man ausgegrenzt wird und in einen „Sturm voller Scheiße“gerät, um es mal auf Deutsch zu sagen.

Doch auch wenn es manchmal raucht und zischt: Das Internet ist keine Höllenmaschine, wir machen es dazu

Trotz dieser Horrorgeschichten bin ich nie eine Gegnerin des Internets, neuer Technologien oder der Digitalisierung geworden. Ich habe nie ein Verbot von Facebook oder anderer Großkonzerne gefordert. In Vorträgen erkläre ich das immer mit einem Vergleich: Das Internet ist genauso ein Werkzeug wie eine Kettensäge – ein großartiges Gerät. Dank ihr sitze ich an einem Holztisch und Sie können dieses Buch auf Papier lesen. Andererseits ist so eine Säge auch gefährlich, wenn Sie nicht wissen, wie Sie damit umgehen müssen. Wussten Sie, dass sich in Deutschland jährlich über 500 Menschen mit Kettensägen verletzen? Trotzdem würde niemand auf die Idee kommen, Kettensägen zu verbieten, oder? Es sind Werkzeuge, die bei der Waldarbeit unersetzlich sind. Deswegen gibt es Kettensägen-Kurse, bei denen man den Umgang mit den Geräten lernt. Und genauso ist es mit dem Internet. Es ist ein fabelhaftes Werkzeug – unersetzbar, es vereinfacht und prägt unser Leben jeden Tag aufs Neue. So wie es für die schlimmsten Dinge benutzt wird, verbindet es uns enger mit unseren Lieben und fördert Kreativität und Geschäftssinn. Wir müssen nur lernen, damit umzugehen. Wir haben es selbst in der Hand, ob wir aus dem Internet eine Höllenmaschine oder ein Schlaraffenland machen.

Nach dem Umzug in die USA kann ich zum ersten Mal wieder durchatmen: Dort bin ich plötzlich nur Stephanie Guttenberg. Niemand kennt meine Familienstory, niemand jagt hinter uns her, ich bin ein Niemand. Und das fühlt sich großartig an! Erleichternd. Befreiend. Trotzdem lösen sich nicht alle Probleme in Luft auf, nur weil man umzieht. In Deutschland war ich noch der Überzeugung, die USA und die US-Amerikaner gut zu kennen. Was für ein Trugschluss! Ich kann mein deutsches Leben nicht einfach in die USA übertragen. Stillsitzen ist mir schon in Deutschland immer schwergefallen, es gab genug bei „Innocence in Danger“und anderen Projekten zu erreichen. In den USA muss ich auf einmal zu Hause bleiben, weil ich keine Arbeitsgenehmigung habe. Mein geliebtes Berlin ist weit weg, genau wie meine Freunde, die von da an ohne mich unterwegs sind. Hier wird mir bewusst: Social Media kann uns zwar mit Familie und Freunden vernetzen, es ist jedoch kein Ersatz für das „echte“Leben.

Ich habe damals dieses Leben zurückgelassen, weil es das Richtige für meine Familie war. Gegen die plötzliche Einsamkeit hat diese Einsicht jedoch nicht geholfen. Ich sitze in dieser Zeit oft allein in einem Haus in einem amerikanischen Vorort und versuche, das neue Leben für unsere Familie aufzubauen. Zwar überwiegt gerade am Anfang die Erleichterung, dem medialen Dauerfeuer entkommen zu sein, aber dennoch ist es nicht leicht, ein neues Leben zu beginnen. Es fällt mir lange schwer, neue Freunde zu finden, und ich sehne mich nach Deutschland und Europa zurück.

Irgendwann konnte ich dem Umzug auch etwas Gutes abgewinnen. Meine Kinder konnten ein freies Leben führen, ohne den Ballast der „Guttenberg-Affäre“, und ich durfte ein Land kennenlernen, das zwar viele Kontraste bietet, aber gerade im Hinblick auf die Digitalisierung zu den weltweiten Vorreitern gehört. Ja, in den USA habe ich auch vieles unangenehm empfunden: der Hang zu belanglosem Geplauder, der gnadenlose Wettbewerb, die tiefe Spaltung der amerikanischen Gesellschaft, in der Geld die einzige gesellschaftliche Währung ist. Doch die Amerikaner besitzen einige Eigenschaften, die ihnen helfen, sich in der neuen digitalen Welt besser zurechtzufinden – besser als wir.

Während wir in Europa gern an Altem festhalten, als könnte es uns vor der Zukunft beschützen, lechzen die Amerikaner danach, sich eine neue Zukunft aufzubauen. Besonders deutlich wird das an der Gründerlust. Wer in den USA eine Geschäftsidee hat, den bremst niemand mit Einwänden oder starren Verordnungen aus. Statt eines „Das funktioniert doch niemals!“höre ich dort: „Das ist eine geile Idee, ich möchte mitmachen!“Selbst wenn es nicht klappt: Scheitern ist in den USA kein Makel. Während in Deutschland ein abgebrochenes Studium oder eine Firmeninsolvenz für ewig den Lebenslauf „verschandeln“, haken die Amerikaner das als „experience“ – also Erfahrung, aus der man etwas gelernt hat – ab und basteln am „next big thing“. In Deutschland wird aus dem „nächsten großen Ding“meist nach quälenden TÜV-Vorgaben und DIN-Normen eher das nächste kleine Ding ganz unten im Papierkorb. Lange Zeit war das kein falscher Weg: Unsere Gewissenhaftigkeit und unsere Regeln haben uns als Land reich und mächtig gemacht. Wir werden in der Welt geachtet. Das kann uns jedoch nicht vor der digitalen Realität retten, die unseren Alltag schon heute grundlegend verändert hat.