Wirbel im Internat - Marie Louise Fischer - E-Book

Wirbel im Internat E-Book

Marie Louise Fischer

4,2

Beschreibung

Eltern und Schule sind stolz darauf, dass im Schlossinternat Hohenwartau die jungen Mädchen gut behütet sind. Was hat sich der Direktor nun wohl dabei gedacht, als er einen jungen und sehr attraktiven Lehrer anstellte? Als Dr. Herbert Jung nach den großen Ferien als neuer Lehrer in das Internat einzieht, sorgt er besonders in der 12. Klasse für Unruhe. "Alle hatte sich auf die erste Begegnung vorbereitet. Alle trugen ihre kürzesten Röcke, die engsten Pullover, die spitzesten Büstenhalter." Und Dr. Jung scheint die Mädchen zu bestärken. Verliebtsein, Enttäuschungen und Eifersüchteleien und Streitigkeiten sind die Folge unter den Mitschülerinnen. Wird eine von ihnen ans Ziel gelangen oder kommen andere zum Zug?-

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Marie Louise Fischer

Wirbel im Internat

SAGA Egmont

Wirbel im Internat

Genehmigte eBook Ausgabe für Lindhardt og Ringhof A/S

Copyright © 2017 by Erbengemeinschaft Fischer-Kernmayr, (www.marielouisefischer.de) represented by AVA international GmbH, Germany (www.ava-international.de)

Originally published 1971 by F. Schneider, Germany

All rights reserved

ISBN: 9788711719558

1. Ebook-Auflage, 2017

Format: EPUB 3.0

Dieses Buch ist urheberrechtlich geschützt. Kopieren für andere als persönliche Nutzung ist nur nach Absprache mit Lindhardt og Ringhof und Autors nicht gestattet.

SAGA Egmont www.saga-books.com und Lindhardt og Ringhof www.lrforlag.dk – a part of Egmont www.egmont.com

Tweedy

Es war der letzte Tag der großen Ferien.

Auf dem Schloßinternat Hohenwartau, sehr malerisch in den oberbayerischen Voralpen gelegen, herrschte lebhafter Betrieb. Ein Auto nach dem anderen rollte über das bucklige Kopfsteinpflaster in den Schloßhof und spuckte Internatsschülerinnen zwischen zehn und zwanzig Jahren aus.

Die meisten Mädchen wurden von ihren Eltern gebracht. Je nach ihrem Naturell nahmen sie gefaßt, erleichtert oder tränenreich Abschied von ihren Lieben. Ungeduldig ließen sie die allerletzten Ermahnungen über sich ergehen – „Schreib von nun an regelmäßig und, bitte, nicht immer nur dann, wenn du was brauchst!“ – „Zieh dich warm an, du weißt, wie leicht du dich erkältest!“ – „Gib dir ein bißchen Mühe, damit du deine Mathematiknote verbesserst!“ – Dann erstürmten sie, kaum aus der Sicht der Eltern, lachend und lärmend, die schweren Koffer von Stufe zu Stufe donnernd, die uralte, aber mit jedem Komfort der Neuzeit ausgestattete Burg.

Jetzt gesellten sich auch die anderen Mädchen dazu, die zu dreien, vieren oder fünfen in je einem Taxi von dem einige Kilometer weit entfernten Bahnhof Niederwartau eingetrudelt waren. Es gab ein großes Begrüßungshallo, aber das Wichtigste war nicht das Wiedersehen, sondern der Wettlauf um die besten Räume. Jede Klasse kam zu Beginn eines neuen Schuljahres in einen anderen Schultrakt, in dem die Zimmer und Betten nach der Devise verteilt wurden: „Wer zuerst kommt, mahlt zuerst.“

Helga und Yvonne, die beiden durch und durch verschiedenen Freundinnen aus der zwölften Klasse, hatten Glück. Es gelang ihnen, ein großes Eckzimmer zu erobern, von dessen Fenstern man einen herrlichen freien Blick über den Schloßpark, die Tennisplätze und das Schwimmbad auf die nahen Alpengipfel hatte.

„Hurra, das wäre geschafft!“ rief Yvonne und warf ihren Koffer mit viel Schwung aufs Bett.

„Ja, da haben wir wirklich Glück gehabt“, bestätigte Helga und riß ein Fenster auf, „die Aussicht ist bombig.“

Yvonne betrachtete ihr hübsches, ebenmäßig braungebranntes Gesicht mit den hellblauen Augen und dem weichfallenden blonden Haar wohlgefällig in dem kleinen Taschenspiegel. „Nur werden wir wohl wegen der furchtbaren Lernerei nicht allzuviel davon haben!“ gab sie zu bedenken.

„Ach, mach dir nur deshalb keine Sorgen!“ Helga ließ das Fenster offen und machte sich daran, ihren Koffer auszupacken. „Ich werde dir schon helfen!“

„Wollen wir’s hoffen.“ Yvonne seufzte abgrundtief. „Möchte bloß wissen, wozu das alles gut sein soll.“

„Damit wir das Abitur machen.“ Helga gab ihr einen freundschaftlichen Puff. „Nun hab’ dich bloß nicht so. In zwei Jahren haben wir’s geschafft!“

„Ja, aber dann sind wir neunzehn und könnten schon längst verheiratet sein.“

Helga stapelte Unterwäsche in die Fächer ihres Schrankes. „Hältst du das denn für so erstrebenswert?“

„Kommt drauf an, wen man sich angelt. Wenn es einem gelingt, sich einen reichen und schicken Knaben an Land zu ziehen, dann hat man das große Los gezogen. Nur darf man natürlich nicht so blöd sein wie meine Frau Mama und unentwegt im Geschäft mitarbeiten, anstatt die Wohltaten des Reichtums zu genießen.“

„Wahrscheinlich tut sie’s gerne“, erklärte Helga.

„Das ist ja eben das Blöde!“ Yvonne zog einen knallgelben Pulli und eine ebenfalls knallgelbe Baskenmütze aus dem Koffer. „Du, hier hab ich übrigens was für dich! Als ich die Sachen im Schaufenster sah, bin ich drauf geflogen. Ich wäre gestorben, wenn ich sie mir nicht hätte leisten können. Nachträglich mußte ich aber leider feststellen, daß sie mir zu meinem blonden Haar überhaupt nicht stehen.“ Sie warf der Freundin Pulli und Mütze zu.

Helga fing beides geschickt auf, und ihre großen braunen Augen strahlten vor Freude. „Du, die sind aber wirklich schnafte!“ rief sie begeistert. „Schmatz, schmatz! Fühl dich moralisch geküßt!“ Sie stülpte die Mütze auf ihr braunes Haar, hielt sich den Pullover vor und rannte in den Waschraum, um sich im Spiegel zu betrachten. Sie stellte fest, daß ihr das knallige Gelb tatsächlich wunderbar stand.

„Wenn ich dich nicht hätte, Yvonne!“ erklärte sie, als sie in das Eckzimmer zurückkehrte, „ich wüßte nicht, womit ich meine spießige Garderobe auf möbeln könnte.“

„Warum läßt du dir nicht mal zur Abwechslung von deinen Eltern ein Superding schenken?“ schlug Yvonne vor.

„Ach, denen …”, sagte Helga und verstaute Pulli und Mütze sehr sorgfältig, „mag ich mit so etwas gar nicht kommen. Du weißt, außer mir sind noch fünf Geschwister zu Hause. Da muß meine Regierung froh sein, wenn sie uns mit dem Notwendigsten versorgen kann. Ich habe es ja schon gut getroffen, weil ich die Älteste bin und von den anderen wenigstens keine abgetragenen Klamotten zu erben brauche.“

„Sechs Kinder!“ Yvonne rümpfte mißbilligend das Näschen. „Das ist aber auch reichlich ausschweifend. Von einer Empfängnisverhütung haben deine Leute wohl nie etwas gehört?“

Helga lachte, ohne eine Spur gekränkt zu sein. „So altmodisch sind sie nun doch nicht! Bloß … sie wollen gerne viele Kinder haben, und ich würde mich nicht wundern, wenn noch ein siebtes käme.“

„Ach du heiliger Bimbam!“ rief Yvonne in komisch übertriebenem Entsetzen. „Und da läßt sich gar nichts gegen tun?“

„Wie denn?“ gab Helga gelassen zurück. „Und außerdem: Ich finde es ja selber nett, einen ganzen Stall voll Geschwister zu haben.“

„Dann ist dir nicht zu helfen!“ erklärte Yvonne im Brustton der Überzeugung.

„Stimmt“, bestätigte Helga lächelnd.

Zehn Minuten später – Helga und Yvonne waren gerade beim Überziehen der Betten angelangt – stürmte Barbara Miller zu ihnen herein. Sie wurde Babsy genannt und war ein langbeiniges, ebenholzschwarzes Negermädchen.

Babsy nahm sich nicht die Zeit, die beiden zu begrüßen. Sie rief aufgeregt mit ihrer warmen, musikalischen Stimme: „Kinder, eine Sensation! Kommt rasch! Ein neuer Lehrer!“ Und schon war sie wieder draußen.

Helga und Yvonne stürzten ihr nach in das große gemeinsame Wohnzimmer, dessen Fenster zum Hof hinausführten. Ellen, ein muskulöses Mädchen mit honigblondem Haar und braunen Augen – ihr Vater lebte als Botschafter in Afrika – lehnte weit über die Brüstung und starrte hinunter. Babsy hatte sich neben sie gequetscht, und die rothaarige Uschi öffnete gerade das zweite Fenster und spähte hinab. „Wo? Wo? Wo?“ rief sie aufgeregt.

Yvonne drängte sie unbekümmert zur Seite. „Nimm dir ein Vergrößerungsglas, dann wirst du ihn schon entdecken!“

Die kurzsichtige Uschi, die aus Eitelkeit wieder mal keine Brille trug, reagierte empfindlich: „Ich kann sehr gut sehen! Wenn ihr bloß nicht so gemein sein und mir sagen würdet …“

Ellen fiel ihr ins Wort: „Peil das knallrote kleine Auto genau gegenüber an! Der junge Mann mit der Tweedjacke, der ist es!“

Uschi konnte nichts als einen verschwommenen roten Fleck erkennen. Sie raffte sich nun doch dazu auf, in ihr Zimmer zu laufen und sich ihre Brille zu holen.

Yvonne hatte sich auf die Brüstung geschwungen: „Eine tolle Type“, stellte sie fest. „Wie der seinen Regenmantel über dem Arm trägt, einfach lässig.“

Helga war nicht so leicht zu beeindrucken. „Sieht nicht schlecht aus“, gab sie zu, „aber woher wollt ihr überhaupt wissen, daß er ein Lehrer ist?“

„Das kannst du dir doch an deinen fünf Fingern abzählen!“ erklärte Babsy. „Er ist zu jung, um Vater einer Schülerin zu sein, und außerdem ist er auch ganz allein gekommen …“

„Vielleicht will er eine kleine Tochter für eines der nächsten Jahre anmelden!“

„Ausgerechnet heute?“ fragte Ellen. „Nein, das ist nicht sehr wahrscheinlich. Dr. Hansemann ist im vorigen Jahr ausgeschieden, und ich wette, Tweedy ist unser neuer Lehrer für Deutsch und Englisch.“

Ihr war selber nicht bewußt, daß sie in diesem Augenblick für den jungen Mann in der sportlichen Tweedjacke den Spitznamen gefunden hatte, der sofort in den Wortschatz ihrer Kameradinnen überging.

„Dein Wort in Gottes Ohr“, sagte Yvonne, „ein schnafter Lehrer, das wäre endlich mal ein Lichtblick in unserem trüben Dasein!“

Die anderen lachten.

Tweedy stand einen Augenblick unschlüssig unten im Hof und versuchte, sich in dem Gewimmel von Eltern, Schülerinnen und Erzieherinnen zu orientieren. Sein blondes, langes Haar, das sich glatt um seinen markanten Hinterkopf schmiegte, schimmerte in der Sonne wie ein goldener Helm.

„Süß!“ hauchte Uschi, die nun endlich ihre Brille aufhatte und den sensationellen Neuling des Schloßinternats erkennen konnte.

Helga wollte ihr gutmütig ihren Fensterplatz überlassen. „Komm, rutsch vor, dann kannst du besser sehen!“

Aber Uschi wehrte ab. „Nein, nein, ich halte mich lieber im Hintergrund!“

„Kamel“, sagte Helga, denn sie begriff, daß Uschi Angst hatte, der junge interessante Lehrer könnte einen Blick zu ihnen heraufwerfen und sie mit ihrer Brille entdecken.

Unten tat sich etwas Neues. Fräulein Gertrud Pförtner, Turn- und Handarbeitslehrerin des Internats, die Tochter des Direktors, trat auf den Neuling zu und begrüßte ihn mit Handschlag.

„Seht! Seht!“ rief Yvonne. „Trudchen kennt ihn!“

„Das ist doch klar, wenn ihr Vater ihn engagiert hat“, sagte Ellen nüchtern.

Trudchen war eine anziehende junge Frau, die geradezu blendend hübsch hätte aussehen können, wenn sie nicht auf jegliches Make-up verzichtet und ihre schlanke, sportliche Figur nicht unter allzu weiten und allzu langen Kleidern verborgen hätte.

Jetzt sprach sie lächelnd auf Tweedy ein. Was die beiden sagten, konnten die Mädchen oben nicht verstehen. Dann sah sie zu, wie er seinen Gepäckraum aufschloß.

„Sieht aus, als wenn es ihr in allen Fingern juckte, ihm einen Koffer abzunehmen!“ rief Yvonne. „Tu’s nicht, Trudchen! Vergiß nicht, daß du eine Dame bist!“

Drei weitere Schülerinnen der zwölften Klasse, Margot, Hannelore und Ilse, polterten vom Treppenhaus her mit ihrem Gepäck in das Wohnzimmer. „Wir haben einen neuen Lehrer!“ riefen sie gleichzeitig und durcheinander. „Doktor Herbert Jung heißt er!“ – „Unterrichtet Deutsch und Englisch!“ – „Trudchen begrüßt ihn gerade!“

„Was ihr nicht sagt!“ gab Babsy zurück. „Glaubt ihr, wir wären blind? Wir beobachten Tweedys ersten Auftritt schon seit fünf Minuten von unseren Logenplätzen aus.“ Babsys Eltern waren berühmte Opernsänger. Ihre Mutter war in Mailand, ihr Vater in München engagiert, und so lag ihr der Vergleich mit den Gegebenheiten des Theaters sehr nahe.

„Jedenfalls ist er Klasse“, stellte Yvonne fest, „und ich bin wild entschlossen, ihn mir anzubändigen.“

„Ausgerechnet du? Also da möchte ich doch ohne falsche Bescheidenheit zu bedenken geben, daß ich größere Chancen habe”, erklärte Hannelore. Sie war schon neunzehn Jahre alt, eine sehr elegante Erscheinung mit kastanienrot getöntem Haar und einigen Erfahrungen.

„Ich warne euch! Macht euch auf meine Konkurrenz gefaßt!“ sagte Margot. „Euretwegen trete ich nicht zurück!“

„Das ist doch die Höhe!“ rief Yvonne. „Ich denke, du bist glücklich verlobt!“

„Drum prüfe, wer sich ewig bindet, ob sich nicht doch was Besseres findet!“ sagte Margot achselzuckend.

„Wenn eine von uns eine echte Chance hat, dann bin ich es“, behauptete die strohblonde, sommersprossige Ilse.

Yvonne und Margot lachten Hohn.

„Bevor du dir so was einredest, solltest du doch mal in den Spiegel sehen“, rief Margot.

„Doktor Jung ist Lehrer, das bedeutet, er ist ein intelligenter Mensch. Er sieht also bestimmt nicht zuerst auf die äußeren, sondern auf die inneren Vorzüge. Und ihr müßt zugeben, in dieser Hinsicht bin ich euch allen weit voraus!“ widersprach Ilse, ohne sich einschüchtern zu lassen. „An meine Schulleistungen kann keine von euch nur tippen.“

„Na wenn schon“, sagte Ellen, „aber man weiß doch nicht …“

Helga drehte sich zu den anderen um, die alle versuchten, aus einer möglichst günstigen Position heraus einen Blick auf den Lehrer zu werfen. „Kinder, mir scheint, ihr seid komplett verrückt! Bildet ihr euch denn wahrhaftig ein, daß Tweedy mit einer von euch einen Flirt anfangen würde? So bekloppt ist er bestimmt nicht, das würde ihn ja seine Stellung kosten! Ganz abgesehen davon finde ich, daß ihr doch ein bißchen zu alt sein solltet für so eine blödsinnige Schwärmerei!“

„Das ist keine Schwärmerei, das ist Liebe auf den ersten Blick!“ schrie Yvonne.

Kicki, die Jüngste der Klasse, ein pummeliges Chinesenmädchen, kam gemächlich herein und blieb verdutzt stehen, als sie die anderen alle an den Fenstern hängen sah. „Was ist denn los? Was gibt es da zu sehen?“

„Komm rasch!“ rief Ellen. „Letzte Gelegenheit! In der nächsten Sekunde ist er aus unserem Blickfeld!“ Sie winkte Kicki heran.

Aber ehe die kleine Chinesin dieser Aufforderung noch folgen konnte, brauste Fräulein von Zirpitz, die Erzieherin der zwölften Klasse, in das Wohnzimmer. „Meine Damen, meine Damen!“ rief sie und klatschte laut in die Hände. „Was muß ich da sehen? Unerhört! Eine Schande für die ganze Schule. Ich sehe mich gezwungen, dieses unqualifizierte Betragen dem Herrn Direktor zu melden!“

Die Mädchen verließen eilig ihre Fensterplätze und bestürmten Fräulein von Zirpitz, genannt die Zirpe, mit Entschuldigungen und Bitten um Gnade, ohne jedoch das geringste damit zu erreichen.