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Ein ganz neues Leben … Der berührende Schicksalsroman »Wo die Träume wohnen« von Ann Roth jetzt als eBook bei dotbooks. Kann Freundschaft auch dort erblühen, wo es unmöglich scheint? Mary Beth’ Leben scheint perfekt zu sein – bis zu jedem schicksalshaften Tag, an dem ihr Mann stirbt ... und sie außerdem erfahren muss, dass er eine zweite Ehefrau und eine kleine Tochter vor ihr geheim hielt. Während sie noch versucht, diese Ungeheuerlichkeit zu begreifen, drohen die Schulden ihres Mannes sie immer mehr zu erdrücken. Und dann, in ihrer dunkelsten Stunde, steht plötzlich Caroline vor ihr, die zweite Frau, die ebenfalls nach Antworten sucht … Aus Feindschaft wird schließlich Verständnis, aus Verständnis ein zerbrechliches Band der Freundschaft. Als Mary Beth ihr Zuhause verliert, bietet Caroline ihr sogar an, in ihrer kleinen Villa Zuflucht zu finden. Doch können die beiden Frauen all die Zweifel und Verletzungen der Vergangenheit wirklich hinter sich lassen? »Eine unvergessliche Geschichte.« New-York-Times-Bestseller-Autorin Susan Wiggs Jetzt als eBook kaufen und genießen: Der bewegende, warmherzige Freundinnen-Roman »Wo die Träume wohnen« von Ann Roth wird Fans von Jojo Moyes und Beth O'Leary zum Lachen und zum Weinen bringen. Wer liest, hat mehr vom Leben: dotbooks – der eBook-Verlag.
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Seitenzahl: 341
Über dieses Buch:
Eine Freundschaft, die heller leuchtet als jeder Stern – die immer da ist, auch in der dunkelsten Stunde der Nacht … Mary Beth’ Leben scheint perfekt zu sein, doch dann stirbt ihr Mann – und am Grab erfährt sie von seiner zweiten Ehefrau und seiner kleinen Tochter. Während Mary Beth noch versucht, diese Ungeheuerlichkeit zu begreifen, droht der Schuldenberg ihres Mannes über ihr zusammenzubrechen. Und dann, in ihrer schwärzesten Stunde, steht plötzlich Caroline vor ihr, die zweite Frau, die ebenfalls nach Antworten sucht … Aus Feindschaft wird schließlich Verständnis, aus Verständnis ein zartes Band der Freundschaft. Als Mary Beth ihr Zuhause verliert, bietet Caroline ihr an, in ihre kleine Villa in San Francisco zu ziehen. Doch können die beiden Frauen die Zweifel und Verletzungen der Vergangenheit wirklich hinter sich lassen?
»Eine unvergessliche Geschichte.« New-York-Times-Bestseller-Autorin Susan Wiggs
Über die Autorin:
Ann Roth lebt mit ihrem Mann, ihren drei Töchtern und einer launischen Katze in der Nähe von Seattle. Sie studierte Betriebswirtschaft, arbeitete als Bankangestellte und in der Unternehmensentwicklung, bevor sie sich ganz dem Schreiben widmete. Ann Roth veröffentlichte bereits über 35 Romane – stets mit garantiertem Happy End.
Mehr über Ann Roth erfahren Sie auf ihrer Website: annroth.net/blog/
Ann Roth veröffentlichte bei dotbooks auch ihren Schicksalsroman »Die Magnolienvilla«.
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eBook-Neuausgabe März 2020
Dieses Buch erschien bereits 2010 unter dem Titel »Morgen fängt das Leben an« bei Weltbild.
Copyright © der amerikanischen Originalausgabe 2007 by Ann Schuessler
Die amerikanische Originalausgabe erschien 2007 unter dem Titel »Another Life« bei Zebra Books, Kensington Publishing Corp., New York.
Copyright © der deutschen Erstausgabe 2010 by Verlagsgruppe Weltbild GmbH, Steinerne Furt, 86167 Augsburg
Copyright © der Neuausgabe 2020 dotbooks GmbH, München
Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.
Titelbildgestaltung: Nele Schütz Design unter Verwendung von shutterstock/ANCH, Parka 38, Hauk_Shalunts, sakdam und sumroeng chinnapen
eBook-Herstellung: Open Publishing GmbH (rb)
ISBN 978-3-96148-794-3
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Ann Roth
Wo die Träume wohnen
Roman
Aus dem Amerikanischen von Margarethe van Pée
dotbooks.
In liebendem Gedenken an Karl Schuessler.
Mein besonderer Dank gilt Sophia Bell Lavin und Andie Scoggins, deren juristische Expertise mir bei diesem Buch sehr geholfen hat. Und Mr. Thuong-Tri Nguyen, der sich die Zeit genommen hat, meine Fragen zu beantworten.
Irrtümer oder Fehler im Text gehen einzig auf mein Konto.
Mary Beth Mason kam zu spät, weil sie ihre Schlüssel nicht finden konnte. Wo hatte sie sie nur gelassen? Sie stand mitten in der Küche, wo sie in der vergangenen Stunde einen Hühnchen-Brokkoli-Auflauf zubereitet hatte, und versuchte, sich zu erinnern, wo wohl die Schlüssel abgeblieben waren.
Ihr Handy hatte geklingelt, als sie nach der Gartenbauvereinssitzung den Wagen in die Garage fuhr. Susan Andrews wollte mit ihr über die bevorstehende Spendenveranstaltung für die Ballettschule sprechen, und – ins Gespräch vertieft – war sie hineingegangen und hatte die Schlüssel … ja, wohin hatte sie sie geworfen? Es fiel ihr einfach nicht mehr ein.
Nervös kaute sie auf der Fingerbeere ihres Daumens. Das war zwar bei Weitem nicht so befriedigend wie Nägelkauen, schadete aber ihrer Maniküre nicht. Gut, dass Stephen nicht da war, weil er jede Art von Finger- oder Nägelkauen »ungehobelt« fand.
Was hatte er letzte Woche gesagt, als sie ihre Sonnenbrille nicht finden konnte? »Vierzig Jahre und schon senil.«
Das war scherzhaft gemeint, das Vorwurfsvolle klang dennoch durch. Stephen mit seinen fast sechzig Jahren war auf neurotische Weise organisiert und verlegte nie etwas. Er verstand Menschen nicht, denen so etwas passierte. Vor allem nicht seine Frau.
Der Minutenzeiger auf der Art-déco-Küchenuhr rückte weiter vor. Atemlos, wie sonst nur beim Tennisunterricht, durchsuchte Mary Beth Küche, Speisekammer, Wohn- und Esszimmer und selbst die Gästetoilette, aber sie hatte kein Glück. In den Schlaf- und Badezimmern oben waren die Schlüssel ebenso wenig wie in ihrer Handtasche oder ihrem Mantel.
»Oh, Mann«, murmelte sie. Vielleicht wurde sie tatsächlich senil.
Heute war sie mit dem Fahrdienst an der Reihe. Aurora wartete nicht gern nach dem Schwimmtraining, das in genau fünfzehn Minuten zu Ende gehen würde. Mary Beth sah bildlich vor sich, dass ihre hübsche junge Tochter das Gesicht ebenso missbilligend verzog wie ihr Vater. Vater und Tochter teilten eine Intoleranz den Menschen gegenüber, die nicht so organisiert und pünktlich waren wie sie.
In der letzten Zeit hatte Aurora an Mary Beth sowieso ständig etwas auszusetzen gehabt. Mit ihren vierzehn Jahren drehte sich alles nur um sie, und sie erwartete, dass ihre Mutter auf jedes einzelne ihrer Bedürfnisse einging. Teenager!
Schlimmer schien jedoch, dass Aurora sich morgen Abend bei Stephen beklagen würde, wenn er aus Singapur anrief. Und der würde Mary Beth ausschimpfen.
»Unsere Familie besteht aus drei Personen, Mary Beth. Es kann doch wohl nicht so schwer sein, den Haushalt effizient zu führen?«, ahmte sie ihn leise nach. »Das kannst sogar du.«
»Ich möchte dich sehen, wenn du Frauenclub, Eltern-Lehrer-Ausschusssitzungen, Gartenbauverein und Wohltätigkeitsveranstaltungen für Oper, Konzert und Kunsthalle unter einen Hut bringen und dabei noch jedem Schwimmwettbewerb und jeder Klarinettendarbietung von Aurora beiwohnen müsstest«, murmelte sie.
Laut sprach sie das allerdings nie aus, denn Mary Beth vermied Konflikte. Aber im Moment war ja niemand in der Nähe.
Stephen fuhr Aurora nirgendwo hin, und er ging auch selten mit ihr zu ihren verschiedenen Freizeitterminen. Er war viel zu beschäftigt damit, Geld zu verdienen und nach Asien zu seinen Mandanten zu reisen. Er bezahlte die Rechnungen und kümmerte sich um die Bankgeschäfte. Mary Beths Aufgabe war es, das Haus zu führen und ihre Tochter großzuziehen, und das bedeutete natürlich auch, sie pünktlich abzuholen.
Es gab noch eine einzige Stelle, an die sie die Schlüssel möglicherweise gelegt haben konnte. Als sie in die Eingangshalle trat, klingelte das Telefon schon wieder. Ihr Blick fiel auf die Konsole mit der Marmorplatte neben der Eingangstür. Sie konnte sich zwar nicht erinnern, zur Haustür hereingekommen zu sein und ihren Mantel in den Wandschrank gehängt zu haben, aber da lag ihr Schlüsselbund.
Na, endlich hatte sie ihn gefunden. Die silbernen und goldenen Schlüssel klirrten, als sie sie aufnahm.
Das Klingeln hatte aufgehört, setzte aber fast augenblicklich wieder ein. Seltsam. Mary Beth blickte auf ihre Armbanduhr, eilte in die Küche und nahm ab.
»Hallo?«
»Spreche ich mit Mrs. Mary Beth Mason?«, fragte eine sachliche weibliche Stimme.
»Ja«, erwiderte Mary Beth und tippte ungeduldig mit den Zehen auf den Fußboden. Beeil dich, beeil dich.
»Barbara Collins. Ich verbinde Sie mit Dr. Suzanne Frank im Harborview Hospital in Seattle. Einen Moment, bitte.«
Seattle. Sie waren vor Jahren einmal im Urlaub dort gewesen, aber abgesehen davon kannte Mary Beth die Stadt nicht und auch niemanden, der dort lebte. Während sie wartete, dass sie verbunden wurde, ging sie im Kopf die Möglichkeiten durch. Von der Familie konnte es niemand sein, weil Stephen und Aurora ihre einzigen lebenden Verwandten waren. Stephen hatte einen zwölf Jahre älteren Bruder, der nicht so ganz gesund war, aber der wohnte in England. Geschäftspartner hatte Stephen auf der ganzen Welt, aber ihre Freunde lebten alle hier in San Francisco.
Es klickte in der Leitung. »Dr. Frank«, sagte eine weiche Frauenstimme. »Es tut mir leid, aber ich habe schlechte Nachrichten für Sie. Ihr Mann hat einen schweren Herzinfarkt erlitten.«
Mary Beth runzelte die Stirn. »Das muss ein Irrtum sein. Wie war noch einmal Ihr Name?«
»Dr. Suzanne Frank. Ich rufe aus dem Harborview Hospital an«, erwiderte die Frau. »Sie sind doch Mary Beth Mason, verheiratet mit Stephen Edward Mason III.?«
»Ja, aber …«
»Ihr Mann liegt bei mir auf der Intensivstation, Mrs. Mason.«
Die Schlüssel glitten aus Mary Beths Fingern und fielen klappernd auf die Fliesen.
»Aber das kann nicht sein.« Sie sank auf einen Küchenstuhl. »Stephen ist Partner in der Kanzlei Jones, Westin und Hawkins. Er ist Fachanwalt für Internationales Recht. Deshalb ist er auch in Singapur.« Sie schüttelte den Kopf. »Er kann nicht in Seattle sein.«
Die Ärztin räusperte sich. »Hören Sie, von den Reiseplänen Ihres Mannes weiß ich nichts. Ich weiß nur, dass Sie besser sofort hierherkommen sollten, wenn Sie ihn noch einmal sehen wollen. Ich glaube nicht, dass er die Nacht überleben wird.«
Mary Beth sank auf den beigen Plastikstuhl vor der kardiologischen Intensivstation des Harborview Hospital. Es war fast ein Uhr nachts. Vor acht Stunden hatte sie den Anruf erhalten und sich sofort auf den Weg gemacht. Sie war erst vor zwanzig Minuten im Krankenhaus eingetroffen, aber es kam ihr vor, als säße sie schon seit Stunden hier.
Stephen hatte einen zweiten Herzinfarkt erlitten, hatte die Krankenschwester am Empfang der Intensivstation sie informiert, und im Augenblick war er im OP, wo die Ärzte versuchten, sein Leben zu retten. Also saß sie einfach da wie betäubt und wartete. Quälende Fragen gingen ihr durch den Kopf.
Was hatte Stephen in Seattle gemacht, wo er doch eigentlich in Singapur sein sollte? Warum hatte er ihr nichts davon erzählt?
Mary Beth drückte ihre Prada-Tasche fest an sich. Sie war kalt und hart, und dabei hätte sie eher eine warme, tröstliche Umarmung oder zumindest ein mitfühlendes Lächeln gebraucht. Aber um diese Uhrzeit war sie der einzige Besucher im Wartebereich.
Hätte sie doch nur Aurora mitgenommen. Ihre Tochter hatte unbedingt mitkommen wollen, aber Mary Beth wollte nicht, dass sie ihren Vater so krank sah. Also hatte Mary Beth ihre langjährige und beste Freundin Ellie Saunders angerufen und sie gebeten, bei Aurora zu bleiben.
Stephen konnte Ellie, die nie geheiratet hatte, nicht leiden. Ihr Vater hatte schon einmal wegen Scheckbetrugs im Gefängnis gesessen, und sie arbeitete in einer Non-Profit-Kanzlei, die auf Immigrationsfragen spezialisiert war. Für Mary Beth jedoch war sie die liebste Freundin überhaupt, und sie wohnte ganz in der Nähe, in Oakland. Ellie war sofort gekommen und hatte angeboten, so lange bei Aurora zu bleiben, bis Mary Beth mit Stephen nach Hause kam.
Die Aufzugtüren glitten mit einem Ping auseinander und eine erschöpft aussehende, aber wunderschöne Frau trat heraus, einen großen Becher Starbucks-Kaffee in der einen und eine Riesentafel Godiva-Schokolade in der anderen Hand. Sie trug Schuhe mit hohen Absätzen, in denen ihre Füße schmerzen mussten, und schwarze, schimmernde Strümpfe. Ihre Beine waren lang und wohlgeformt, und sie ging wie eine Frau, die an solche Schuhe gewöhnt ist – eine Kunst, die Mary Beth niemals beherrscht hatte.
Die Schöne blies sich eine Strähne ihrer fülligen blonden Haare aus dem Gesicht und setzte sich gegenüber von Mary Beth in den Wartebereich.
Die Haare waren schulterlang, leicht gewellt und glänzend, und die Farbe wirkte natürlich. Sie stellte ihre Sachen ab und schlüpfte aus ihrem schwarzen Mantel, der aussah wie aus Kaschmir.
Der Kaffee roch gut. Mary Beth schob sich ihre strähnigen, kinnlangen Haare, die sie färbte, um das Grau zu verstecken, hinter die Ohren. Sie und die Blonde wechselten ein müdes, trauriges Lächeln.
Die Frau war gut zehn Jahre jünger als sie. Dem eng anliegenden schwarzen Cocktailkleid nach zu urteilen, schien sie schlanker und wohlgeformter, als Mary Beth jemals gewesen war. Sie nahm schon zu, wenn sie bloß an Süßigkeiten dachte, aber diese Frau konnte wahrscheinlich so viel Schokolade essen, wie sie wollte, ohne auch nur ein Gramm zuzunehmen.
Mary Beth beneidete die Fremde. Auf einmal kam sie sich ungepflegt und dick vor. Sie zog ihre graue Strickjacke über die breiten Hüften und wünschte, sie hätte sich umgezogen, bevor sie zum Flughafen gefahren war.
Aber was machte das schon aus, wenn sie sich anders anzog? Sie war schon immer pummelig gewesen.
Die Frau ignorierte ihren Kaffee und riss die Schokoladentafel auf. Unwillkürlich sah Mary Beth auf ihre Nägel. Kurz, aber nicht abgekaut und kein Nagellack. Mary Beth hingegen hatte gepflegte Kunstnägel, die geschmackvoll rosa lackiert waren. Stolz bewegte sie die Finger. In der Nagelabteilung war sie der Frau eindeutig voraus.
Die andere Frau bemerkte, dass Mary Beth sie musterte, und schluckte rasch ein Stück Schokolade hinunter.
»Ich heiße Caroline.«
Mary Beth errötete. Sie schämte sich plötzlich ihrer Gedanken, wo doch ihr schwer kranker Mann im OP lag und um sein Leben kämpfte. »Das ist ein hübscher Name.«
»Danke.« Caroline hielt ihr die Schokolade hin. »Möchten Sie ein Stück?«
Mary Beth schüttelte den Kopf. »Danke, besser nicht. Ich heiße Mary Beth.«
»Freut mich, Sie kennenzulernen«, erwiderte Caroline. »Ich komme mir in dieser Kleidung im Krankenhaus so albern vor«, sie wies auf ihr enges Kleid und die hochhackigen Schuhe, »aber mein Mann und ich wollten heute unseren zehnten Hochzeitstag feiern. Wir leben auf Bainbridge Island, und er sollte mich an der Anlegestelle abholen, weil wir essen und tanzen gehen wollten. Aber während er auf mich gewartet hat, ist er zusammengebrochen. Schwerer Herzinfarkt.«
Stirnrunzelnd wickelte sie Schokoladenpapier um ihren Finger.
»Ich habe noch nicht zu Abend gegessen, deshalb habe ich wahrscheinlich so einen Hunger.« Sie legte die Schokoladentafel auf den Tisch, ergriff ihren Kaffeebecher und prostete Mary Beth damit zu.
»Das tut mir leid«, sagte Mary Beth. »Sie kommen mir viel zu jung vor. Herzinfarkt ist doch eher eine Krankheit für ältere Jahrgänge.«
»Mein Mann ist um einiges älter als ich. Er war Witwer, als ich ihn kennenlernte. Ich war damals noch fast ein Baby, gerade zwanzig, aber ich wusste ganz genau, dass er der Mann war, den ich heiraten wollte.«
Mary Beth nickte. »Da haben wir etwas gemeinsam. Ich habe auch mit zwanzig geheiratet, und mein Mann ist zwanzig Jahre älter als ich. Er war damals seit einiger Zeit geschieden und wollte unbedingt wieder heiraten. Und ich auch.«
Sie lächelte bei der Erinnerung. Sie und Stephen waren so verliebt gewesen, dass sie so schnell wie möglich heiraten und eine Familie gründen wollten. »Er hungerte nach weiblicher Aufmerksamkeit.«
»Ja, ich weiß, was Sie meinen. Mich um meinen Mann zu kümmern war so zeitaufwendig, dass ich drei Jahre gebraucht habe, um alle Scheine für mein Grafikdiplom zusammenzubekommen.«
»Na, zumindest haben Sie es.« Mary Beth hatte eigentlich ihr Geschichtsstudium auch mit einem Bachelor abschließen wollen, aber Stephen hatte gesagt, sie bräuchte keinen Abschluss, weil er für den Rest ihres Lebens für sie sorgen würde. Und sie hatte sich gefügt, weil sie es ihm recht machen wollte.
»Ich arbeite von zu Hause aus erfolgreich als selbstständige Grafikdesignerin«, sagte Caroline stolz. »Was machen Sie?«
»Im Vergleich zu Ihnen nicht viel. Ich bin Hausfrau und Mutter. In der letzten Zeit habe ich jedoch häufiger darüber nachgedacht, wieder zur Universität zu gehen – ich weiß nur nicht, welches Fach ich belegen soll – und mir dann einen Job zu suchen. Unsere Tochter ist fast erwachsen, und ich muss etwas finden, um meine Zeit sinnvoll auszufüllen.«
Konsterniert schloss Mary Beth den Mund. Sie hatte ihren Traum noch nie laut ausgesprochen, und jetzt vertraute sie ihn einer Fremden an!
Caroline hob den Daumen. »Das hört sich gut an, Mary Beth. Ich würde sagen, legen Sie los!«
»Ja, vielleicht.« Aber Stephen würde es nicht gefallen, dass sie arbeiten gehen wollte. Er war in dieser Hinsicht so altmodisch. »Aber ich warte lieber noch ein bisschen. Mein Mann hat genau wie Ihrer einen schweren Herzinfarkt gehabt.«
Mary Beth blickte auf die geschlossene Schwingtür der Intensivstation.
»Merkwürdig ist nur, dass ich gar nicht weiß, was er in Seattle macht.« Sie massierte ihre Schläfen, die angefangen hatten zu pochen. »Wir leben in San Francisco, und eigentlich sollte er geschäftlich in Singapur sein.«
»Sie sind ja über zwölfhundert Kilometer von zu Hause entfernt.« Caroline blickte sie aus ihren großen blauen Augen voller Mitgefühl an. »Wenn der schlimmste Fall eintritt, was Gott verhüten möge, dann sollte es doch wenigstens in der Heimatstadt passieren. Mein Mann reist auch immer nach Singapur. Er ist Anwalt.«
»Ach, das ist ja witzig. Meiner auch. Er ist auf Internationales Recht spezialisiert. Wer weiß, vielleicht kennen die beiden einander ja. Für wen arbeitet er?«
»Er ist selbstständig. Aber das wäre doch wirklich ein Zufall.« Carolines Mundwinkel verzogen sich zu einem traurigen, kleinen Lächeln. »Sie könnten sich unter ihren Sauerstoffmasken miteinander unterhalten.«
Mary Beth musste unwillkürlich lächeln. Wenn jemand sie belauscht hätte, wäre er sicherlich empört gewesen über dieses Geplänkel, aber die Unterhaltung mit dieser netten Fremden lenkte sie ein wenig ab.
»Haben Sie Kinder?«, fragte sie.
»Eine Tochter, Jax.« Caroline drehte eine Haarsträhne zwischen den Fingern. »Sie ist sieben und der Augapfel ihres Vaters. Wie viele Kinder haben Sie?«
»Nur eins, ebenfalls eine Tochter. Aurora ist vierzehn und ihrem Vater sehr ähnlich. Er ist ihr Held, der Mann, der nichts falsch machen kann.« Mary Beth blickte erneut zu der Tür der Intensivstation und biss sich auf die Unterlippe. »Wenn ihm etwas passiert …«
»Ich weiß.« Caroline ergriff Mary Beths Hand und drückte sie.
Einen Moment lang schwiegen sie, jede in ihre angstvollen Gedanken versunken. Den Schmerz mit jemandem zu teilen, der einen verstand, war ein großer Trost.
»Aurora stellt ihren Vater also auf ein Podest«, sagte Caroline nach einer Weile. »Stehen Sie auch da oben?«
»Das wäre schön. Aber ihr Vater ist so häufig weg, dass an mir all die unliebsamen Dinge hängen bleiben. Sie wissen schon: Dafür sorgen, dass sie die Hausaufgaben macht, darauf achten, dass sie nicht zu lange vor dem Computer sitzt. Wenn ich nicht auch das Telefonieren und Fernsehen begrenzen würde, täte sie in ihrer Freizeit nichts anderes. Deshalb bin ich eher die böse Mutter.«
»Jax hat noch kein Handy, und sie chattet auch nicht, aber ansonsten ist es wie bei Ihnen: Ich bin die Strenge.« Caroline seufzte. »Warum zwingen Ehemänner eigentlich ihren Frauen immer die böse Rolle auf?«
»Das liegt doch auf der Hand. Sie wollen besser wegkommen.«
»Oh. Ja, so habe ich es noch nie gesehen, aber Sie könnten recht haben.«
»Ich habe eine Weile gebraucht, um das herauszufinden, aber ich bin auch zehn Jahre länger als Sie verheiratet. Ihnen wäre es sicher früher oder später ebenfalls klar geworden. Aber wenn Sie denken, Sie haben es schwer, dann warten Sie nur, bis Jax in der Pubertät ist«, fügte Mary Beth hinzu. »Dann wird es erst richtig lustig.«
»Das habe ich mir schon gedacht.« Caroline zog die Nase kraus. »Ist es wirklich so grauenhaft, wie alle behaupten?«
»Schlimmer.«
Sie lächelten einander an.
Plötzlich schwang die Tür zur Intensivstation auf, und eine schlanke Frau in den Fünfzigern in blutbeflecktem Operationskittel kam auf den Wartebereich zu. Mary Beth hielt die Luft an.
»Ich bin Dr. Suzanne Frank.« Sie blickte Mary Beth an. »Mrs. Mason?«
Mary Beth sprang hastig auf. »Ja?«
Caroline erhob sich ebenfalls. »Ich bin Mrs. Mason«, sagte sie und warf Mary Beth einen seltsamen Blick zu.
»Na, das ist ja wirklich ein Zufall«, sagte Mary Beth. »Wir haben beide denselben Nachnamen und Ehemänner, die nach Singapur reisen und hier auf der Intensivstation liegen.«
Die Ärztin runzelte die Stirn und blickte von einer zur anderen. »Wir haben nur einen Patienten mit dem Nachnamen Mason - Stephen. Wer von Ihnen ist Stephen Masons Frau?«
»Ich.«
»Das bin ich.«
Mary Beth und Caroline antworteten gleichzeitig.
Die blonde Frau musste sich irren. Mary Beth starrte sie an. »Ich muss doch wissen, wer mein Ehemann ist. Wir sind schließlich seit zwanzig Jahren verheiratet.«
»Es tut mir leid«, sagte die Ärztin mitfühlend. »Ich muss Ihnen leider mitteilen, dass er während der Operation gestorben ist.«
Mary Beth starrte auf Stephens leblosen Körper, der mit einem Laken zugedeckt war. Er war so weiß. So still.
Tot.
Sie wartete auf den Kummer, den Schmerz, aber sie fühlte gar nichts. Sie konnte nicht denken, nicht weinen, hatte das Gefühl, als sei sie von einem dicken, weißen Nebel eingehüllt. Seltsam losgelöst und doch zutiefst interessiert an jedem Detail beobachtete sie sich wie aus großer Ferne.
Ein Schauer überlief sie, und sie begann zu zittern. Ihr war kalt bis ans Herz. Zu kalt, um irgendetwas zu spüren.
Vielleicht stand sie unter Schock. Wenn sie doch nur in ihr Ehebett kriechen und sich unter die Kaschmirdecken kuscheln könnte, dann würde es ihr vielleicht warm werden und sie könnte aus dem Albtraum erwachen.
Aber die Frau, die ihr gegenüberstand, war kein Traum. Dicke Tränen rollten über die glatte Haut ihres Gesichts.
Caroline Mason. Ich fasse es nicht! Wie kann sie es wagen, Stephen als ihren Ehemann zu bezeichnen?
Glühende Wut drang durch den Nebel, so scharf wie ein Blitz. Mary Beth kniff die Augen zusammen und richtete sich auf. Mit ihren ein Meter einundsechzig war sie zwar mindestens zehn Zentimeter kleiner als die andere Frau, aber es gelang ihr, sie von oben herab zu mustern.
»Ich weiß nicht, wer Sie sind oder was Sie wollen. Aber wenn Sie auch nur einen Funken Anstand oder Mitgefühl besitzen, lassen Sie mich mit meinem Mann allein.«
Die jüngere Frau blickte auf. Sie hob das Kinn und wischte sich mit dem Handrücken die Tränen ab. »Stephen ist mein Mann.«
Was für eine Frechheit! Zitternd verschränkte Mary Beth die Arme und stieß hervor: »Das ist eine Lüge, und das wissen Sie.«
»Ich weiß«, erwiderte Caroline hitzig, »dass Stephen und ich heute seit genau zehn Jahren verheiratet sind – nein, seit gestern. Fünfzehnter Januar. Hier.« Sie zog ihren Ehering ab, einen Platinring mit Diamanten. »Lesen Sie die Inschrift.«
Der Ring lag heiß in Mary Beths eiskalter Hand. Stephen und Caroline – zwei Menschen, ein Herz war innen eingraviert. Das Datum war der fünfzehnte Januar vor zehn Jahren, wie die Frau gesagt hatte.
Ihr Trauring trug die gleiche Inschrift, nur dass statt »Caroline« dort »Mary Beth« stand und als Datum der elfte Juli vor zwanzig Jahren. Ihr Herz krampfte sich zusammen. Sie nahm ihren Vierzehn-Karat-Goldring vom Finger und reichte ihn schweigend der anderen Frau.
Caroline studierte die Gravur. Sie schniefte einmal, sagte aber nichts. Schweigend gab sie ihr den Ring zurück, und wie in geheimem Einverständnis streiften sie beide ihre Ringe über den Mittelfinger der linken Hand.
»Anscheinend waren wir beide zur gleichen Zeit mit demselben Mann verheiratet«, sagte Caroline. »Eigentlich sollte in unseren Ringen stehen Drei Menschen, ein Herz.«
Unter anderen Umständen wäre die Bemerkung sicher witzig gewesen, aber im Moment hätte Mary Beth die andere Frau am liebsten geohrfeigt. »Das ist nicht der richtige Zeitpunkt für Witze.«
»Glauben Sie, das weiß ich nicht? Stephen ist – war – ein Bigamist. Diese dreckige, stinkende Ratte.«
Caroline zog ein Taschentuch aus der Tasche und putzte sich die Nase. Dann knüllte sie es zusammen und steckte es wieder ein. »Wenn er nicht schon tot wäre, würde ich ihn umbringen.«
Mary Beth lächelte nicht. Sie hatte vergessen, dass sie vor Kurzem Caroline noch nett gefunden hatte, attraktiv und lustig, und dass ihre Anwesenheit ihr tröstlich vorgekommen war. Jetzt verabscheute sie die Frau.
Aber den Gedanken an Mord konnte sie nachvollziehen.
Zehn Jahre lang führte Stephen ein Doppelleben, ohne dass sie etwas gemerkt hatte. Ihre Gedanken überschlugen sich. War sie so blind und naiv gewesen? Wie hatte er ihr und Aurora das nur antun können und warum? Was für ein entsetzliches Chaos! Zum Glück waren Stephens Eltern schon tot, denn diese Schande hätten sie nicht überlebt. Der Himmel wusste, was sein Bruder darüber denken würde – ihn könnte das umbringen, schließlich war er schwer krank.
Mary Beths Vater war schon gestorben, als sie noch auf der Highschool war. Ihre Mutter folgte ihm zwei Jahre später, kurz bevor Mary Beth Stephen kennenlernte und heiratete.
Sie hatte immer bedauert, dass ihre Eltern nicht mehr erleben konnten, was für ein schönes Leben er Aurora und ihr bereitete. In diesem Moment war sie zum ersten Mal froh darüber, dass beide tot waren.
Aurora hingegen war sehr lebendig und sicher außer sich vor Sorge. Sie wartete bestimmt gespannt auf eine Nachricht über den Gesundheitszustand ihres Vaters.
Wie soll ich ihr bloß von Caroline erzählen?
Sie konnte nicht darüber nachdenken. Ellie würde sicher wissen, was zu tun war.
Was soll ich unseren Freunden sagen? Weiß jemand davon?
Sie stieß einen tiefen Seufzer aus.
Ach herrje.
Die Zeiger der Küchenuhr bewegten sich auf Mitternacht zu, aber Mary Beth kam es so vor, als sei es viel, viel später. Sie saß zusammengesunken am Küchentisch, das Kinn in die Hände gestützt, und warf Ellie, die ihr gegenübersaß, einen müden Blick zu.
»Ich fühle mich wie im Fegefeuer«, sagte sie. »Wahrscheinlich sehe ich auch so aus.«
Ellie zog die Augenbrauen zusammen. »Ich will nicht lügen, du hast schon besser ausgesehen. Aber nach der Woche, die hinter dir liegt …« Sie schüttelte den Kopf.
Die Tragödie schien auch an Ellie nicht spurlos vorbeigegangen zu sein. Ihr schmales Gesicht zeigte sich blass vor Müdigkeit, und ihre braunen Augen hinter ihrer schicken, randlosen Brille waren tot unterlaufen. Sie war Mary Beth nicht von der Seite gewichen, seit sie sie vor sechs Tagen vom Flughafen abgeholt hatte, und kannte die ganze schmutzige Wahrheit über Stephen. Schockiert und entsetzt war sie bei Mary Beth geblieben, um zuzuhören und zu trösten, wann immer sie gebraucht würde.
»Du bist die beste Freundin, die ich je hatte, Ellie. Ich weiß gar nicht, wie ich die letzten Tage ohne dich überstanden hätte.«
Ellie machte eine abwehrende Geste mit der Hand. Sie trug keine Ringe, und ihre Nägel waren kurz geschnitten.
»Du würdest für mich das Gleiche tun. Aber ich könnte einen Drink vertragen.« Sie wies mit dem Kinn auf die Flasche Whiskey, die sie aus der gut bestückten Esszimmerbar geholt hatte. »Was hältst du davon, wenn ich uns beiden einen Bourbon auf Eis mache?«
Alkohol war das Letzte, was Mary Beth im Augenblick brauchen konnte. Sie hatte noch nie viel vertragen, und wenn sie jetzt etwas trank, würde sie all ihre Selbstbeherrschung verlieren. Vielleicht tat sie dann etwas Verrücktes, wie zum Beispiel durch das gesamte Haus zu fegen und Stephen zu verfluchen. Da Aurora sie oben wahrscheinlich hören konnte, war das sicher keine gute Idee. Sie schüttelte den Kopf »Für mich nicht, aber mach du dir ruhig einen.«
»Möchtest du einen kleinen Imbiss? Du hast heute kaum etwas gegessen, und wir haben tonnenweise Essbares im Haus.«
Den ganzen Tag über waren Freunde und Bekannte gekommen, um zu kondolieren und etwas zu essen zu bringen. Mary Beth schaute auf die Kuchen, Pasteten und Brote, die sich auf der Küchentheke aus Granit türmten. Auch der Kühlschrank war voll mit Aufläufen, Salaten und noch mehr Pasteten. Aber allein schon bei dem Gedanken an Essen wurde ihr schlecht. Wieder schüttelte sie den Kopf.
Ellie zuckte mit den Schultern. Sie mixte sich ihren Drink und prostete Mary Beth zu. »Auf bessere Tage.«
»Haha«, erwiderte Mary Beth freudlos.
Ihre Freundin betrachtete sie besorgt. »Ganz gleich, was Stephen getan hat, du hast ihn geliebt. Es ist okay, um ihn zu trauern und zu weinen.«
Auf der rationalen Ebene hatte sie recht, aber Mary Beth fühlte sich wie erstarrt. Wie vor neun Tagen, als sie vor seiner Leiche gestanden hatte, spürte sie nichts.
Er hatte sie betrogen und zum Narren gehalten. Und er hatte Aurora mehr verletzt, als einer Heranwachsenden zuzumuten war. Allerdings hatte Mary Beth ihrer Tochter nicht die entsetzliche Wahrheit über ihren Vater erzählt. Noch nicht. Das trauernde Kind könnte das nicht ertragen.
Wie konntest du uns nur so verletzen, Stephen?
»Ich kann nicht trauern oder weinen«, sagte sie. »Dazu bin ich viel zu verärgert.« Sie umklammerte die Tischkante. »Er hat dieser Frau erzählt, er sei Witwer«, sagte sie wütend. Sie brachte es nicht über sich, Carolines Namen auszusprechen. »Witwer!«
Die Wut in ihrer Stimme brachte Ellie nicht aus der Ruhe.
»Wut ist gesund.« Sie ließ den goldenen Whiskey im Glas kreisen. »Zumindest hat er dich gut versorgt zurückgelassen. Eine große Lebensversicherung und das schöne Haus sind nicht zu verachten.«
»Er kann sich nicht freikaufen.« Mary Beth kniff die Augen zusammen und schüttelte drohend die Faust.
»Hörst du mich, Stephen«, rief sie, den Blick zur Zedernholzdecke gerichtet. »Du bist ein Scheißkerl, und ich hoffe, du schmorst in der Hölle!«
Ellie verzog die Mundwinkel. »Sag ihm die Meinung, Schwester.« Sie hob ihr Glas. »Auf die Wut.«
Aber der kurze Ausbruch hatte Mary Beth erschöpft. Müde seufzend rieb sie sich die trockenen Augen.
»Du solltest ins Bett gehen«, riet ihre Freundin. »Wir sollten beide versuchen zu schlafen. Morgen wird ein harter Tag.«
Sie dachte an die Beerdigung, die um eins begann, direkt nach dem regulären Sonntagsgottesdienst. Danach würde es einen großen Empfang hier im Haus geben.
Wenn man bedachte, was Stephen getan hatte, verdiente er eigentlich keine Trauerfeier, aber natürlich musste es eine geben, für Aurora und für die Öffentlichkeit. Mary Beth hatte alles mit Reverend Smigel von der Calvary Presbyterian Church besprochen, der Kirche, in die die Familie Mason schon seit Generationen ging. Mit dem Empfang jedoch wollte sie nichts zu tun haben und hatte Ellie deshalb mit der Adresse eines Lieferservice und ihrer Kreditkarte ausgestattet.
Mary Beth zuckte zusammen, als sie an morgen dachte. All diese Menschen auf der Beerdigung und dann in ihrem Haus. Sie würden sie beobachten, und sie konnte noch nicht einmal weinen.
Wie Blei drückte die Angst auf ihren Magen. Ihre Nerven waren zum Zerreißen gespannt. Wenn sie nun die Beherrschung verlor und sich und Aurora blamierte?
Wie sie merkte, dass sie nervös auf ihrem Daumen kaute, ließ sie die Hand sinken. »Meinst du, jemand weiß über Stephen Bescheid?«
Sie stellte Ellie diese Frage nicht zum ersten Mal, und wahrscheinlich konnte die sie langsam schon nicht mehr hören, aber als gute Freundin zeigte Ellie das nicht. Sie schüttelte nur den Kopf.
»Wenn das der Fall wäre, würdest du es merken, glaub mir.«
Mary Beth dachte an ihre und Stephens Freunde, die Whitakers, die Jacksons und die Andrews. Sie waren konservativ, und Stephen kannte die meisten von ihnen seit seiner Kindheit. Die Männer waren seine Partner bei Jones, Westin und Hawkins. Ais Mary Beth Stephen geheiratet hatte, freundete sie sich mit den Frauen an, obwohl Marsha Jackson und Susan Andrews zwanzig Jahre älter waren und schon erwachsene Kinder hatten. Pam, die sechsundvierzig war und Kevin Whitaker geheiratet hatte, nachdem seine erste Frau an Krebs gestorben war, kannte die anderen ebenfalls gut, da sie alle aus den reichen und mächtigen Familien der Stadt stammten.
Mary Beth hingegen kam aus einer Arbeiterfamilie. Stephens Freunde akzeptierten sie als seine Ehefrau, aber selbst zwanzig Jahre später hatte sie immer noch das Gefühl, nicht so ganz dazuzugehören. Aber sie waren nett zu ihr, vor allem seit Auroras Geburt. Aurora besuchte dieselbe Privatschule, die auch ihre Kinder besucht hatten, und ihre beste Freundin war Kristi Whitaker, die Tochter von Pam und Kevin.
Ein so grässlicher Skandal in ihren Kreisen würde ihr Weltbild erschüttern. Aber da sie sich bisher erwartungsgemäß verhalten hatten, wussten sie bestimmt nichts. Noch nicht.
Schon meldete sich die nächste Sorge. Würden sie sie ohne Stephen auch noch akzeptieren? Sie massierte sich die verspannten Nackenmuskeln. »Glaubst du, ich verliere sie als Freunde?«
»Meinst du Pam Whitaker, Marsha Jackson oder Susan Andrews? Ich weiß nicht.« Ellie zuckte mit den Schultern. »Entweder halten sie zu dir oder nicht.« Sie schnaubte verächtlich. »Ich weiß allerdings wirklich nicht, ob das so eine große Rolle spielt. Ich würde keine von den Frauen zur Freundin haben wollen.«
Sie hielten auch nicht viel von Ellie, wahrscheinlich wegen ihrer Herkunft. Sie hatte recht, es waren Snobs.
Aber trotzdem schätzte Mary Beth ihre Freundschaft. Sie arbeitete gern mit ihnen in den verschiedenen Komitees und Vereinen zusammen, genoss Einkaufsbummel und Mittagessen, Tennisstunden und Kartenspiel. Natürlich würde ihre Beziehung Stephens Tod überdauern.
Beruhigt schob sie diese Sorge beiseite und wandte sich der nächsten zu. »Was ist mit der Asche? Wir haben nur halb so viel wie üblich. Glaubst du, das merkt jemand?«
Bevor sie vor einer Woche Seattle verlassen hatte, hatte sie sich in einer erbitterten Auseinandersetzung mit Caroline darauf geeinigt, die Asche aufzuteilen.
»Du machst dir wirklich Sorgen darüber, ob jemand das mit der Asche herausfindet?«, erwiderte Ellie. »Das wäre ja ekelhaft. Das passiert auf keinen Fall.«
»Ich kenne Aurora. Sie schaut bestimmt nach. Stephen war groß, und sie wird sich wundern, warum nur so wenig von ihm übrig geblieben ist.«
Ihre Freundin schaute sie fassungslos an. »Sie ist erst vierzehn, Mary Beth. Sie hat noch nie die Asche eines Toten gesehen. Glaub mir, das findet sie nie heraus.«
»Aber wenn doch? Sie ist ein kluges Mädchen.«
»Dann musst du ihr eben die Situation erklären. Das musst du sowieso irgendwann.«
»Ich weiß.« Mary Beth fürchtete sich vor diesem Augenblick. Es würde ihre Tochter umbringen, wenn sie die Wahrheit erfuhr. Sie schlug die Hände vors Gesicht. »Oh, Gott.«
»Alles okay?«
»Wie ginge es dir denn an meiner Stelle? Vor der Beerdigung will ich Aurora auf gar keinen Fall etwas sagen. Sie soll um ihren Vater trauern können, ohne zu wissen, was für ein Schwein er ist. War.«
Ach verdammt, die Maniküre konnte ihr gestohlen bleiben. Sie biss auf einen Nagel, der auch sofort abbrach.
»Es ist schon schlimm genug, dass ich es meiner Tochter überhaupt erzählen muss. Der Himmel weiß, was passiert, wenn andere es herausfinden.«
Sie konnte nicht mehr weitersprechen. Ihre Kehle war wie zugeschnürt, und Übelkeit stieg in ihr auf. »Ich glaube, ich muss mich übergeben.«
»Du hast eine Panikattacke. Hol tief Luft und atme ganz langsam aus.«
Ellie atmete mit ihr ein, und sie stießen beide laut die Luft wieder aus. »Besser?«
Mary Beth nickte.
»Hör mir gut zu. Du musst einen Schritt nach dem anderen machen. Bis jetzt braucht niemand etwas zu wissen. Zuerst bringen wir die Beerdigung hinter uns. Danach gehst du zu Kevin Whitaker zur Testamentseröffnung und lässt dir die Lebensversicherung ausbezahlen.«
»Erzähle ich ihm vor oder nach der Übergabe des Schecks, dass Stephen ein Bigamist war?«, fragte Mary Beth bitter.
»Vielleicht brauchst du ihm gar nichts zu sagen. Wenn nicht ihre Namen im Testament auftauchen, was ich stark bezweifle, erfährt ja niemand von ihnen.«
Unter anderen Umständen hätte Mary Beth Mitleid für Caroline und ihr Kind empfunden. Aber in diesem Augenblick empfand sie nur Hass und Wut.
Sie schob sich die Haare hinter die Ohren. »Aber ich konnte noch nie gut lügen, und Kevin war Stephens bester Freund. Er will bestimmt wissen, warum Stephen in Seattle war statt in Singapur.« Eine neue Sorge fuhr ihr durch den Kopf. »Wenn nun diese Frau Kontakt zu ihm aufnimmt oder klagt oder so?«
»Ich bin zwar kein Anwalt, aber ich verstehe einiges davon, da ich ja in einer Anwaltskanzlei arbeite«, erwiderte Ellie. »Ich habe zum Thema Bigamie recherchiert. Caroline hat keinerlei Rechtsansprüche. In den Augen des Gesetzes ist sie nur eine Geliebte und Mutter von Stephens unehelichem Kind.«
Ellie schaute sie nachdenklich an.
»Vielleicht solltest du dir einen Anwalt nehmen, der mit der Materie vertraut ist, jemand, der nichts mit dieser verstaubten Kanzlei von Jones, Westin und Hawkins zu tun hat. Ich könnte meinen Chef ja fragen, ob er jemanden kennt.«
Mary Beth schüttelte den Kopf. »Nein, bitte nicht. Je weniger Leute, ob Freunde oder Anwälte, in dieses Chaos verwickelt sind, desto besser.«
»Wie du möchtest.« Ellie trank den letzten Schluck Whiskey. »Willst du es denn Kevin Whitaker erzählen oder nicht?«
»Ich weiß noch nicht.« Unentschlossen kaute Mary Beth auf ihrer Unterlippe. »Vielleicht nicht.«
»Wie auch immer du dich entscheidest, auf meine moralische Unterstützung kannst du dich jederzeit verlassen.«
»Danke, aber ich muss das allein regeln. Ich rufe dich danach an und erzähle dir alles.«
»Wenn nicht, rufe ich dich an. Es ist spät.« Ellie schob ihren Stuhl zurück und stand auf. Sie stellte ihr Glas in die Geschirrspülmaschine. »Wir sollten wirklich ins Bett gehen.«
Schweigend trotteten sie die Treppe hinauf. Ellie ging den Flur entlang zum Gästezimmer, während Mary Beth vor Auroras Zimmer stehen blieb. Ihre Tochter hatte die Tür einen Spalt offen gelassen, und die Leselampe brannte. Im weichen Licht wirkten Auroras zarte Züge entspannt. Ihre braunen Haare, die sie wegen des Schwimmtrainings kurz trug, standen stachelig vom Kopf ab, wie es auf ihrer Eliteschule gerade modern war. Aber in den Armen hielt sie den zerrissenen alten Teddybär, den Stephen ihr vor Jahren einmal mitgebracht hatte.
Mary Beth hatte den Bär schon mindestens drei Jahre lang nicht mehr gesehen, und der Anblick rührte sie. Ihre Tochter hielt sich schon für so erwachsen, aber heute sah sie sehr jung und verletzlich aus.
Erfüllt von Zärtlichkeit und Liebe strich sie die Bettdecke glatt. Das Mädchen schlug die Augen auf.
»Mommy?«
Diese Koseform hatte sie schon seit Jahren nicht mehr benutzt, und Mary Beths Herz wurde weit. »Ich decke dich nur richtig zu, mein Engel, schlaf weiter.«
Aurora nickte und schloss gehorsam die Augen. »Hab dich lieb«, murmelte sie.
»Ich dich auch.« Mary Beth küsste sie auf die Stirn. Sie schaltete das Licht aus und ging leise aus dem Zimmer.
Seit Stephens Tod war Aurora so süß und liebevoll wie vor der Pubertät, bevor sie sich in einen missmutigen, frechen Teenager verwandelt hatte.
Bewahr dir deine Unschuld, solange du kannst.
Allzu früh würde die schreckliche Wahrheit Auroras Glauben an ihren Vater zerstören. Stephens Verrat würde ihr den letzten Rest der Kindheit rauben.
Heiße Wut stieg in Mary Beth auf. Wie konnte er es nur wagen, seiner eigenen Tochter das anzutun! Empört stapfte sie ins zweite Gästezimmer. Sie ertrug es nicht mehr, in dem Bett zu liegen, das sie mit Stephen geteilt hatte.
Die Wut verging auch nicht, als sie sich wusch und in ihr Flanellnachthemd schlüpfte.
Warum, Stephen? Diese Frage quälte sie unablässig, auch als sie schon im Bett lag.
Lag es an ihrem Aussehen? Vielleicht hatte sie zu sehr zugenommen. Hatte es etwas mit ihrem Alter zu tun? Hätte er sich auf diese Frau auch eingelassen, wäre Mary Beth schlanker gewesen und hätte jünger ausgesehen? Vielleicht hätte sie sich wie Marsha oder Pam Botox spritzen lassen sollen. Oder sich liften lassen, so wie Susan. Aber ihr hatten die winzigen Falten um ihre Augen immer gefallen. Lachfältchen, hatte Stephen sie genannt. Sie hatte ihm geglaubt, als er sagte, sie sei ihm am liebsten so, wie sie war.
Dieser verdammte Lügner!
Ruhelos wälzte sie sich im Bett hin und her. Sie hatte bestimmt ihr Bestes versucht, um ihn glücklich zu machen. Zwanzig Jahre lang hatte sich alles nur um ihn gedreht. Sie hatte ihn geliebt und ihm ein angenehmes, bequemes Zuhause geschaffen.
Sie hatte das üppige Essen gekocht, das er liebte, ihr Haus in Weiß- und Cremetönen ausgestattet und mit den strengen, formellen Möbeln eingerichtet, die seinem Geschmack entsprachen. Wäre es nach ihr gegangen, hätte sie buntere Farben und weniger förmliche Möbel bevorzugt. Sie trug die Kleider, die Stephen gefielen und war Mitglied in San Franciscos besten Clubs und Vereinen. Abgesehen von Ellie waren alle ihre Freundinnen mit Männern aus Stephens Freundeskreis verheiratet. Ihr Leben hatte sich nur um ihn gedreht.
Und er hatte es ihr gedankt, indem er sich eine zweite Frau genommen hatte. Ein zweites Leben führte.
Ihr Magen krampfte sich zusammen, und sie ballte die Hände zu Fäusten. Sie warf sich auf den Rücken. Ob sie wohl jemals wieder schlafen könnte?
Auf Bainbridge Island rückten die Zeiger der Bond-Street-Uhr langsam auf Mitternacht zu. Caroline kuschelte sich in ihren Lieblingssessel, ein riesiges, mit buttergelbem Leder bezogenes Möbelstück, und schlang die Arme um sich, weil sie trotz des Feuers fror, das im Kamin im Wohnzimmer prasselte.
Ihr Vater, ebenfalls Witwer, saß im Sessel gegenüber und betrachtete seine Tochter besorgt. »Ist dir kalt, Liebling?«, fragte er.
Carolines Frösteln hatte nichts mit der Zimmertemperatur zu tun. Sie schüttelte den Kopf. Ihr sonst so energiegeladener Vater wirkte ebenfalls erschöpft und blickte sie aus seinen blauen Augen bekümmert an. Nach Stephens Tod vor neun Tagen war er sofort aus Sarasota gekommen, wo er Mitbesitzer und Kapitän eines Ausflugsbootes war. Durch den Zeitunterschied von drei Stunden war es für ihn fast schon Morgen.
»Es ist schon spät«, sagte Caroline. »Du solltest ins Bett gehen.«
»Ich kann wahrscheinlich sowieso nicht schlafen.«
Aus der Küche drangen leise Stimmen und das Klappern von Besteck und Tellern. Becca und Hank, ihre Schwester und ihr Schwager, bereiteten alles für den Empfang nach der Beerdigung morgen vor und räumten Kuchen, Pasteten und Auflaufgerichte weg, die Caroline bekommen hatte, aber nicht essen konnte. Die beiden besaßen ein Restaurant in Chicago, und obwohl eine anstrengende Woche hinter ihnen lag, hatten auch sie nicht viel geschlafen.
Zum Glück schienen wenigstens Jax und ihre Cousinen Meg und Molly schlafen zu können. Jax allerdings nur, wenn jemand bei ihr war, und selbst dann fuhr sie jede Nacht aus schlimmen Träumen auf. Eine Siebenjährige, die den frühen Verlust ihres Vaters verkraften musste.
Stephen hatte sicherlich nicht vorgehabt, so plötzlich zu sterben, und er hatte ein ganz schönes Chaos hinterlassen. Kein Wunder, dass er alle zwei Wochen verreist war, manchmal sogar mitten im Urlaub. Geschäfte in Singapur, du liebe Güte!