Wochenendticket - Joachim Hesse - E-Book

Wochenendticket E-Book

Joachim Hesse

4,9

Beschreibung

Jahreswechsel 1996/97. Raus aus dem Proberaum, rein in den Zug. Mit dem Wochenendticket vom nordhessischen Frankenberg nach Hamburg. Kleine Augen entdecken die große Stadt. Als Highlight Tocotronic an Silvester in der Markthalle. Die Band liefert den Soundtrack einer ganzen Generation und ihre Texte die passenden Kapitelüberschriften für diesen Railroadtrip - mit freundlicher Genehmigung von Tocotronic. "Hesse schreibt (...) wie ihm der Schnabel gewachsen ist. Schöne Literatur ist das nie, aber kurzweilig immer." Stephan Gill - intro:kompakt

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Der Autor:

Joachim Hesse, geboren 1979 in Frankenberg/Eder. Trommelte bei Freies Belieben, die einst wie Tocotronic, Blumfeld oder Sterne klangen.

Bisher erschienen:

KLEINSTADTKRACH

Bandbiografie mit Dennis Dippel

(2008)

FUSSBALLFAHRTEN

Reise- und Fußballbuch

(2009)

FUSSBALLFAHRTEN 2

Bericht von der WM in Südafrika

(2011)

FUSSBALLFAHRTEN 3

Berichte aus dem Osten

(2014)

FRANKENBERGER

WEIHNACHTSGESCHICHTEN

Kurzgeschichten mit Tanja Schwarz

(2015)

FUSSBALLFAHRTEN 4

Bericht von der EM in Frankreich

(2016)

[email protected]

Die wichtigsten Personen:

Die Bands –

Durchbruch 98:

Ritchie - Gesang/Gitarre (berühmt für seine Chucks)

Jan – Bass (Azubi bei der Sparkasse)

Daniel – Gitarre (oft unfreiwillig komisch)

Tom – Schlagzeug (Schriftführer der Band)

Cleveland Hellriders:

Helge – Gitarre/Gesang (schüchternes Musikgenie)

Nico – Gitarre (mit drei TV-Programmen aufgewachsen)

Boris „Boss“ – Bass (TKKG-Junkie)

Kira – Schlagzeug (Nicos große Schwester)

Tocotronic:

Dirk von Lowtzow – Gesang/Gitarre

Jan Müller – Bass

Arne Zank - Schlagzeug

Maria – Singer/Songwriterin (beste Freundin von Helge)

Thurid – Cousine von Maria (aus Hamburg)

Ann-Kathrin – Beste Freundin von Thurid

Carlos – Der Macher in der Frankenberger Musikszene

Kessler – Inhaber der Musikkneipe Wildside

Tatjana Hasbargen – Thurids Mutter, Schwester von Marias Mutter

Thomas Hasbargen – Tatjanas Mann

Inhaltsverzeichnis

Teil 1: Frankenberg

Teil 2: Die Zugfahrt

Teil 3: Hamburg

Teil 1: Frankenberg

Aus den Lautsprecherboxen des alten Plattenspielers im Proberaum erklangen die letzten Sekunden des Liedes „Santamarghuaritanobiledimontepulciano“ von Diether Krebs. Begleitet vom leisen Knistern glitt der Tonarm weiter bis er sich schließlich erhob und mechanisch zurück zur Ausgangsposition bewegt wurde.

Ritchie, Jan, Daniel und Tom hatten es sich auf dem Sofa bei Kaffee und Kuchen gemütlich gemacht. Mit einer Dr. Oetker-Fertigmischung wurde Jan anlässlich seines Geburtstags überrascht. Schnell war absehbar, dass die kreativen Pausen bei der heutigen Probe von Durchbruch 98 noch länger dauern würden als sonst.

„Daniel, dreh doch mal die Platte um!“, bat Jan den näher am Plattenspieler sitzenden Gitarristen. Daniel sorgte stets unfreiwillig für die meisten Lacher und witterte ständig, Opfer eines Scherzes zu werden.

„Ihr wollt mich doch bloß wieder verarschen, dieses Mal falle ich nicht drauf rein.“

Die anderen drei Bandmitglieder schauten sich ratlos an.

„Wie meinst du das denn jetzt?“, fragte Ritchie.

„Na, ihr drei wisst doch genauso gut wie ich, dass man Platten nicht umdrehen kann. Auf der anderen Seite ist doch gar nichts drauf!“

Schallendes Gelächter brach los.

„Willst DU uns jetzt verarschen?“, hakte Tom nach. Er stand auf und klärte die Situation. Tom hob die schwarze Vinyl-Scheibe hoch und platzierte den Tonarm auf dem äußersten Rand. Der Plattenteller begann sich erneut zu drehen und bald war die B-Seite „Martins ganz einsame Weihnachten“ zu hören, sehr zu Daniels Verwunderung. Er stimmte in das Gelächter ein und freute sich über sein kleines Missgeschick und ein Weihnachtslied im Sommer.

„Tja, da habe ich wohl wieder etwas dazugelernt.“ Den Plattenspieler hatten die vier Jungs beim letzten Flohmarkt des örtlichen Rotary-Clubs erstanden, inklusive eines buntgemischten Haufens Singles. Im Gegensatz zu Jan besaß Daniel zu Hause keinen Plattenspieler und auch seine mittlerweile geschiedenen Eltern waren schon vor Jahren auf CD umgestiegen. So kam es dazu, dass er mit fast achtzehn Jahren erstmalig eine Schallplatte in den Händen hielt.

Im Hintergrund näherte sich Diether Krebs dem Refrain:

„Weihnachtszeit, du stille Zeit,

der Lichter und Geschenke.

Jedes Jahr, ab Mitte August,

freu ich mich wenn ich aaaan dich denke.“

„Geil, dass ist ja ’n cooler Refrain. Wollen wir die Nummer covern?“ Ritchie, Sänger und Rhythmus-Gitarrist der Band, wollte immer gleich jedes halbwegs brauchbares Stück aus den letzten vierzig Jahren Populärmusik nachspielen und daraus selbstverständlich eine „drückende Punkversion“ machen. Die anderen drei von Durchbruch 98 waren da nicht so schnell, vor allem weil sie wussten wie rasch er seine Ideen wieder verwarf, weil er bereits den nächsten Song aus den 50ern oder 60ern im Visier hatte.

„RITCHIE!!!“ wurde er von seinen Bandkollegen ermahnt, mehr brauchte zu diesem Vorschlag nicht gesagt werden.

„Aber der Text ist echt cool!“, versuchte er sich zaghaft zu verteidigen. „Apropos Weihnachtszeit. Was machen wir denn eigentlich dieses Jahr an Silvester?“. Parties feiern, zu organisieren und zunächst Unbeteiligte zu überreden, diese Veranstaltungen auszurichten, war eine seiner größten Leidenschaften.

„Sei mir nicht böse Jan, aber die Grillhütte bei euch im Garten muss es nicht noch mal sein. Also jedenfalls nicht Ende Dezember.“

Jetzt müssen wir wieder in den Übungsraum

Die dortige Feier wurde im vergangen Jahr in die Kategorie „Nicht wiederholenswert“ eingestuft. Die Band bestand zu diesem Zeitpunkt bereits, auch wenn erst seit wenigen Monaten. Ein Mal in der Woche wurde öffentlich geprobt. Öffentlich bedeutete, dass immer zur Freitagsprobe zehn bis fünfzehn Gäste eingeladen wurden. Die Gästeliste bestand aus Kumpels, sowie attraktiven jungen Damen aller Art. Wobei streng darauf geachtet wurde, dass der Frauenanteil an diesen Spätnachmittagen bei mindestens 50% lag. Bei dieser Regelung, die bei einer Bandinternen Abstimmung mit 4:0 Stimmen durchkam, ging es weniger um Emanzipation, sondern um Hormone – gelebte Frauenquote wie sie sein sollte. Weiter wurde beschlossen, dass es eine Ehre sei, diesen exklusiven Proben beiwohnen zu dürfen. Daher wurde festgelegt, dass jeder Gast etwas mitzubringen hatte: Chips, Bier, Cola, Wein, Zigaretten oder Schokolade standen zur Auswahl. Jeder auserwählte Teilnehmer oder noch besser jede Teilnehmerin wurde von Tom, dem Schriftführer der Band auf einer Liste vermerkt: Dennis – Wein, Charlotte – Zigaretten…

Öffentliche Probe, Gästeliste, Frauenquote und die Idee, dass Essen und Getränke selbst mitzubringen sind hatte Jan aus einer Metal-Zeitschrift – irgendeine Band hatte das in ihren Anfangstagen ebenfalls so praktiziert. Der Bassist hatte, zwar etwas großspurig, aber dennoch nachvollziehbar darüber referiert, dass man sich als Band schon früh rar machen müsse, aber nicht zu rar, besonders nicht für die Damen-Welt. Über allem stand jedoch der Hinweis „Was umsonst ist, hat keinen Wert“, deswegen hatte jeder Gast etwas mitzubringen.

Die Party am 31.12.1995 war so etwas wie die erste Jahreshauptversammlung der Band gewesen. Jans Eltern waren bei Freunden eingeladen und hatten ihrem Sohn erlaubt in der Gartenhütte zu feiern. Verbunden mit etlichen Auflagen wie „seid nicht zu laut und was kaputt geht wird bezahlt“. Vom Haus durfte nur der Keller betreten werden zum Benutzen des dortigen Klos. „Ansonsten ist das Haus tabu, außer dir übernachtet hier keiner. Wenn ihr wollt, könnt ihr ja mit Schlafsäcken in der Hütte pennen! Wir kommen nicht so spät wieder, ich hoffe die Katze lebt dann noch…“, waren die letzten Worte von Jans Vater.

Am Nachmittag hatte es angefangen zu schneien, bis zum Abend sollte es nicht mehr aufhören. Unermüdlich bereiteten die vier Mitglieder, der damals noch namenlosen Band, alles vor. Zwei Heizstrahler wurden aufgestellt, der Kühlschrank mit Bier und Würstchen gefüllt und der Grill wurde an einer schneegeschützten Seite der Hütte platziert. Wie das One-Two-Three-Four am Anfang jedes Songs der Ramones stand selbstverständlich fest, dass es bei der Silvester-Party Bratwürstchen vom Holzkohlegrill geben würde. So ein Schnick-Schnack wie Raclette oder Fondue kam nicht in Frage. Bockwurst mit Kartoffelsalat war zu spießig für Silvester und schied daher von vornherein aus.

Rechtzeitig, um im HR noch Dinner for one gucken zu können war alles hergerichtet und die befreundetet Band Cleveland Hellriders wie vereinbart eingetroffen.

Kira, Helge, Nico und Boss hatten sich zwar einen Namen zugelegt, der nach großer weiter Welt klang, sie kamen aber genau wie Jan und seine Jungs aus dem verträumten nordhessischen Frankenberg. Auch sie sahen gerade so aus, als würde man ihnen im EDEKA Alkohol verkaufen. Nur Kira, Nicos Schwester, ging bereits stark auf die Zwanzig zu. Sie spielte Schlagzeug in der Band und hatte eigentlich keine große Lust mit den Kumpels ihres jüngeren Bruders Musik zu machen. Bis vor kurzem trommelte sie bei Devil Devil Bitch Bitch. Die Band bestand aus zwei befreundeten Pärchen, die Jungs waren quasi Devil Devil und Bitch Bitch stand stellvertretend für die beiden Damen. Leider nahm ihr mittlerweile Ex-Freund Alex, der Sänger der Band, das mit dem Devil etwas zu genau und Anna-Lena, die Bassistin, mutierte zur Bitch. Zwar waren Nico, Helge und Boss Kinder in Kiras Augen – immerhin studierte sie bereits, Ihre Instrumente beherrschten sie für ihr Alter dennoch erstaunlich gut. Die schüchterne Anfrage ihres kleinen Bruders kam Kira in dieser Situation, ohne Band dastehend und vom Freund betrogen, genau recht.

Zum Aufwärmen hatte Boris, der von allen nur noch Boss genannt wurde, seit er betrunken daran gescheitert war seinen Namen auszusprechen, einen besonderen Vorschlag gemacht. Parallel zu Miss Sophie und ihrem Butler James aus Dinner for one sollte jeder Getränke-Gang mitgetrunken werden, verbunden mit einem kräftig ausgerufenen „SKULL“, immer wenn Admiral von Schneider an der Reihe war. So standen Sherry, Weißwein, Champagner und Portwein bereit, selbstverständlich eingekauft von Kira.

Nicht verwunderlich, dass Boss bereits gegen neun Uhr einen seiner Lieblingssprüche zum Besten gab. „Ich glaube, ich kann nicht mehr fahren“. Auch wenn er Aufgrund seines Alters sowieso noch nicht fahren durfte.

Mittlerweile lag eine geschlossene Schneedecke, dies hielt Ritchie und Jan aber nicht davon ab den Grill in Gang zu setzen. Schnell zeigte sich, dass es für die knapp dreißig Gäste in der Hütte zu eng und kalt war um einen entspannten Abend verbringen zu können. Die Mädchen standen frierend vor den Heizlüftern, die Jungs hielten sich meist unter dem Vordach auf und rauchten. Es waren zwar alle gekommen, die eingeladen waren, aber Stimmung wollte nicht so recht aufkommen. Ursprünglich hatten die Mitglieder der beiden Bands geplant mit ihren Schlafsäcken in der Gartenhütte zu übernachten, stattdessen machten sie die Nacht durch und verabschiedeten sich, als es wieder hell wurde. Aus einem einzigen Grund blieb diese Silvester-Party dennoch in guter Erinnerung. Die Band von Daniel, Tom, Jan und Ritchie war an diesem Abend zu ihrem Namen gekommen. Als die vier in den frühen Morgenstunden die letzten Würstchen aßen und gemeinsam um den Grill standen sagte Jan einen besonders bedeutungsschweren Satz.

„Bis zum Sommer in zwei Jahren müssen wir es mit der Mucke geschafft haben, dann bin neunzehn und mit der Ausbildung bei der Sparkasse fertig.“

Die vier glaubten tatsächlich daran eines Tages groß rauszukommen.

„Irgendwie wird das doch schon klappen und wenn es mit einem von Ritchies Coversongs ist. Die Bates haben’s doch auch über den Weg hingekriegt.“ Jaja, die Bates… DAS Beispiel, es auch von der nordhessischen Provinz aus zu etwas bringen zu können.

Jan konnte es sich beim besten Willen nicht vorstellen, bis zur Rente bei der Bank zu bleiben. Tom, Daniel und Ritchie, allesamt noch Schüler wollten ihm diese Hoffnung nicht nehmen und hatten auch nichts gegen ein Leben voller Sex, Drugs and Rock ’n’ Roll. Jetzt schon aufzugeben und sich einzugestehen, dass er Karriere als Kundenberater statt als Rockstar machen würde, wäre für ihn einem Todesurteil gleich gekommen. Er brauchte diesen Traum um morgens überhaupt aufstehen zu können.

„Klar schaffen wir das!“, nach einer kurzen Pause versuchte Tom die Stimmung wieder etwas aufzulockern. „Warum benennen wir uns nicht einfach danach? Wird doch Zeit, dass wir endlich ’n vernünftigen Bandnamen finden!“.

„Wie danach benennen? Soll die Band jetzt Unser Bassist will nicht bis zur Rente bei der Sparkasse bleiben heißen?“ fragte Jan nach.

„Mmmh… Keine schlechte Idee, aber doch eher maximal für einen Songtitel. Nein, ich dachte da an was anderes. Du wirst im Sommer in zwei Jahren mit der Ausbildung fertig. Wäre doch nicht schlecht, wenn wir bis dahin wüssten, ob das auf Dauer was mit der Band gibt.“

„Klingt logisch“, stimmte Jan zu.

„Also… im Sommer in zwei Jahren haben wir 1998. Warum nennen wir uns nicht Durchbruch 98! Wie ist das?“

Jan umarmte Tom als erstes, weil sich dieser Bandname so stark auf seine Situation bezog. Daniel und Ritchie schlossen sich an, so dass Tom bald im Mittelpunkt stand wie ein Torschütze, der von seinen Mitspielern gefeiert wurde – dies war dem zurückhaltenden Schlagzeuger sichtlich unangenehm.

Endlich war das Thema abgehakt. Wie wohl die ganzen bekannten Bands zu ihren Namen gekommen sind? Darüber erfährt man immer so wenig. Aerosmith soll sich in den Ohren der Musiker „einfach nur gut angehört“ haben. Den Jungs von Led Zeppelin hatte man zu Beginn ihrer Karriere prognostiziert, dass „die Band abstürzen würde wie ein bleierner Zeppelin“. Nun hatte eben der Schlagzeuger einer Band ohne Namen behauptet, dass sie bis 1998 den Durchbruch schaffen würden, also vielleicht schaffen würden...

Die Tatsache, dass die Band endlich einen Namen hatte war das einzig Positive der letzten Silvester-Party gewesen. Ansonsten hatte sich heraus gestellt, dass die Gartenhütte von Jans Eltern eher zum Grillen im Sommer geeignet war. Unbequem wurde es, wenn sich mehr als acht Personen gleichzeitig in ihr aufhielten. Außerdem war es dort im Winter trotz der zwei Heizlüfter einfach zu kalt gewesen.

Maria, eine gute Freundin der Band, hatte es sogar geschafft nach dieser Party eine Woche krank auszufallen. Betrunken auf dem kalten Betonboden der Hütte sitzend war sie eingeschlafen. Als es hell wurde und Durchbruch 98 Geburtsstunde feierte, kam Maria wieder zu sich. Der Rücken schmerzte, sie konnte kaum aufstehen. Ihr Zustand verschlechterte sich am Neujahrstag zusehends die Nase lief, die Stimme war weg. Mit einer Tasse Tee in der Hand pendelte sie in der folgenden Woche zwischen Sofa und Bett. Die Ferien hätte die Klavier spielende Sängerin lieber damit verbracht, Demo-Versionen ihrer Lieder aufzunehmen. Stattdessen sah sie sich melancholische Liebesfilme an, hin und wieder kam ihr eine Zeile für einen neuen Song in den Sinn.

Genau wie für die Jungs stand auch für Maria fest, dass Silvester 96/97 in einer anderen Location gefeiert werden musste.

Ihr redet nur von den Projekten...

„OK, die Gartenhütte ist raus“, fasste Jan zusammen. „Gibt es denn konstruktive Vorschläge von den Anwesenden?“, fragte er die anderen drei Bandmitglieder.

„Also ich fand’s in der Hütte gar nicht sooo schlecht“, war Daniels Reaktion.

„DANIEL!“, riefen die anderen gleichzeitig.

„Ja, ist doch gut. Von mir aus können wir auch woanders feiern.“

Spontan hatte keiner eine zündende Idee.

„Wir können doch nachher mal bei den Hellriders nachfragen, vielleicht haben die ’n Plan“, beendete Jan das Thema.

„Genug Kuchen gegessen. Lasst uns noch mal was schaffen.“

Was hat dich bloß so ruiniert von den Sternen hatte Ritchie kürzlich rausgehört. Nach drei halbwegs geglückten Durchgängen wurde die Probe beendet.

Tom, Daniel, Jan und Ritchie machten sich zu Fuß auf den Weg zum Café Kleeland.

Das Kleeland lag am Stadtrand von Frankenberg und wurde von Helges Oma betrieben. Der schüchterne Gitarrist hatte hier mit seiner Band ein zu Hause gefunden. Oma Gisela führte das Café nach dem Tod ihres Mannes vor allem zum Zeitvertreib. Sie ging mittlerweile auf die siebzig zu und hatte die Öffnungszeiten stark reduziert. Das Ausflugslokal war nur noch an Feiertagen, sowie donnerstags, samstags und sonntags geöffnet. Am Montag und am Freitag durfte ihr Enkel mit seinen Freunden in der Kegelbahn proben so lange sie wollten. Seit es die Bowling-Bahn im Industriegebiet gab wurde sie nur noch selten genutzt. Mit der großzügigen Oma hatte es die befreundete Band gut getroffen. Durchbruch 98 hingegen durften den Partykeller von Daniels Mutter nutzen. Nachdem es zwei Mal etwas länger geworden war, drehte sie den Strom immer pünktlich um halb zehn ab Die Eltern hatten sich scheiden lassen als er noch sehr klein war. Beide hatten ein schlechtes Gewissen und zu viel Geld. Sie war als Grundschullehrerin tätig, der Vater als Rechtsanwalt. Also bekam der kleine Daniel von Anfang an immer nur das Beste. Ritchie und Jan spielten Epiphone-Instrumente. Kaum zu glauben, aber Daniel hatte zur Konfirmation eine Gibson Les Paul bekommen. So lange das schlechte Gewissen der Mutter dafür sorgte, dass sie der Band den Partykeller regelmäßig zur Verfügung stellte, gab es schlimmeres. Das Ende der Probe um 21:30 Uhr konnten die vier verschmerzen und stellte keinen wirklichen Wettbewerbsnachteil gegenüber den Cleveland Hellriders dar.

Die hatten es allerdings deutlich einfacher bei der Namensfindung für ihre Band. Mit Cleveland wurde einfach das englische Gegenstück zu Kleeland „gefunden“. Die Idee zu Hellriders kam vom großen Motörhead-Fan Boss, es klang ähnlich wie Hellraiser, einem seiner Lieblingsstücke der Band. Er machte daraus die Hellriders, weil er vor kurzem von Nicos Mofa herunter gefallen war.

Boss hatte mit nasser Badehose auf dem Gepäckträger des Gefährts gesessen, als sie sich auf dem Rückweg vom Schwimmbad befanden. Nico fuhr die steile Liehrstraße entlang. Plötzlich hörte er wie hinter ihm etwas auf den Asphalt knallte, im gleichen Moment wurde das Mofa schlagartig schneller. Mit Mühe konnte er das Gleichgewicht halten. Er bremste und drehte sich um. Boss war abgerutscht. Mit schmerzverzerrtem Gesicht lag er mitten auf der Straße und hielt sich die blutigen Knie.

Unabhängig von diesem Ereignis war Boss davon überzeugt, dass sie es nicht einfacher gehabt hatten einen Bandnamen zu finden, er war felsenfest davon überzeugt, dass seine Band schlicht und ergreifend kreativer war als die Jungs von Durchbruch 98.

...und von eurem neuen Stück

Im Proberaum der Cleveland Hellriders wurde gerade an einem neuen Stück gefeilt. Mit Maria war überraschend eine Gastmusikerin anwesend. Sie hatte ihr Keyboard direkt neben der Eingangstür zur Kegelbahn aufgebaut. Die Jungs von Durchbruch 98 betraten den Raum, grüßten kurz und lehnten sich lässig an die Heizungskörper. Die Hellriders spielten unbeirrt weiter. Das Piano von Maria war ein tragendes Element der Nummer, sie klimperte im Stile des Guns n’ Roses Keyboarders Dizzy Reed. Sie und die Jungs wirkten sehr eingespielt.

Als das Lied zu Ende war sagte Jan erst zu seinen Bandkollegen und dann etwas lauter zu Maria und den Hellriders „Echt nobel, das hat Art!!!“. Ritchie, Daniel und Tom applaudierten andächtig.

„Seit wann macht ihr fünf denn gemeinsame Sache?“, wollte Jan wissen.

„Ach wir haben uns überlegt“, antwortete Helge stellvertretend, „wir probieren mal was anderes aus. Klingt cool, oder?“.

Ja, klang verdammt cool. Da konnte man echt neidisch werden. Keine Frage, Helge und seine Jungs waren musikalisch weiter als Durchbruch 98 und näher dran am herbei gesehnten Durchbruch. Es wurde sogar gemunkelt, dass es nur noch eine Frage der Zeit wäre, bis sie ernsthaft von Carlos gemanagt würden. Carlos war mit seinen 27 Jahren so etwas wie der Grand Senior der Frankenberger Musikszene. Der Sohn eines Spaniers und einer Deutschen war gut mit Kessler befreundet, dem Inhaber des Wildside, DER Alternative- und Rockkneipe Frankenbergs. Offiziell studierte Carlos Medienwissenschaften in Marburg, tatsächlich war er den ganzen Tag damit beschäftigt Musik zu hören, Musikzeitschriften zu lesen, Pressekarten für Konzerte zu organisieren (er schrieb Konzertberichte für die Oberhessische Presse um seiner Mutter ein paar Mark zur Miete beisteuern zu können), außerdem buchte er die Bands für das Wildside und kümmerte sich am Tag der Konzerte exklusiv um die Musiker.

Auch wenn es den Anschein hatte, dass Carlos oft nur in den Tag hinein lebte, machte er sich dennoch ernsthaft Gedanken über seine Zukunft. Selbstverständlich war ihm nicht entgangen, dass sich bei den jüngeren Frankenberger Bands einiges tat. Wenn nicht er, wer sonst hätte das mitbekommen sollen? Er hatte sich in den Kopf gesetzt eine der lokalen Bands groß rauszubringen und deren fester Manager zu werden. Darüber hinaus konnte man fast den Eindruck bekommen, dass er mit Maria noch mehr vor hatte, wenn man mitbekam wie sich ihre Blicke immer wieder trafen…

„Ich wusste gar nicht, dass du so was Rasantes magst. Bis ja ’ne richtige Honky-Tonk-Woman!“, stellte Tom fest, da Maria sonst hauptsächlich für ihre von Weltschmerz und enttäuschter Liebe geprägten Klavier-Balladen bekannt war.

„Tja, siehste mal. Ich kann auch anders. Stille Wasser sind tief!“

Boss mischte sich ein.

„Also, zustande kommt das, weil Carlos neulich mal hier war. Der hatte uns mit der Nummer vor zwei Wochen beim Band-Contest im Korbacher Jugendhaus gesehen und meinte, dass das Lied der Hammer sei, aber ihm da noch was fehlen würde. Von ihm kam die Idee, dass wir es mal mit Maria und ihrem Klavier versuchen sollten“.

„Da hat er echt mal wieder ’n guten Riecher gehabt!“, war auch Daniel begeistert.

„Mmmh, mal was ganz anderes. Habt ihr euch schon mal Gedanken über Silvester gemacht?“

„Da seid ihr aber früh dran mit euren Planungen“, stellte Nico fest.

„Sorry Jan, nichts gegen dich persönlich, aber bei dir in der Gartenhütte muss nicht wieder sein. Du weiß ja wie das letztes Mal für mich ausgegangen ist. Brauch ich nicht wieder!“, merkte Maria an.

„Dann mach doch mal einen besseren Vorschlag“, fühlte sich Jan dann doch ein klein wenig auf den Schlips getreten.

„Also ich bin da dieses Jahr raus!“

„Wie du bist da dieses Jahr raus? Nur weil du letztes Mal ein paar Tage danach krank warst?“

„Nein, deswegen nicht. Ich fahr wahrscheinlich zu meiner Cousine nach Hamburg ihre Eltern feiern Silvester in Dänemark. Das heißt, Thurid und ich haben STURMFREI!“.

„Na du hast’s gut. Hamburg wär echt mal cool. Die Heimat von Tocotronic, Blumfeld, Sterne… Reeperbahn, Landungsbrücken… Wie kommst ’n hin, mit dem Zug?“

„Ja, so wie es aussieht fahre ich am 23.12. mit dem Wochenend-Ticket zu ihr.“

„Meinst du, du hältst es Weihnachten und Silvester ohne uns aus?“, versuchte sich Ritchie einzuladen. „Deine Cousine hat doch bestimmt noch für ein paar mehr Leute Platz. Ich denk die Eltern sind ausgeflogen, da ist doch garantiert noch Platz für zwei befreundete Bands aus Frankenberg. Komm, das kannst du uns echt nicht antun. Du in Hamburg und wir hier! Leg doch mal ’n gutes Wort bei ihr ein. Wir machen auch keinen Dreck, kennst uns doch!“

„Ja, Herr Ritchie, ich kenne euch – das ist ja das Problem… Ich denk mal drüber nach, OK?“

„OK! Na, das ist doch schon mal ’ne Option, Gentlemen“, wandte er sich an die Jungs.

Jungs hier kommt der Masterplan

Im Anschluss verschlug es die Meute wie jeden Abend während der Sommerferien noch ins Wildside. Kessler hatte im Hof der Kneipe eine improvisierte Flaschenbiertheke, Gartenmöbel und sogar eine alte Hollywood-Schaukel aufgestellt. Selbst den Kicker-Tisch hatte er rausgestellt. Boss spielte mit Nico gegen Ritchie und Tom, Cleveland Hellriders gegen Durchbruch 98. Kira, Helge und Maria waren noch in die Nachbearbeitung ihres ersten gemeinsamen Stücks vertieft und beschlossen, die Pianistin als festes Bandmitglied bei den Cleveland Hellriders aufzunehmen. Jan und Daniel ließen den Tag ebenfalls sportlich ausklingen. Der Bassist bewarf den Gitarristen mit den auf dem Tisch bereitstehenden Erdnüssen, Daniel versuchte diese mäßig erfolgreich mit dem Mund zu fangen.

Je später der Abend… Es war schon nach Mitternacht, als Carlos im Wildside auftauchte. Wie immer zog es ihn zunächst an die Theke um ein paar Worte mit Kessler zu wechseln. Kaum hatte er auf einem der Barhocker Platz genommen wurde ihm die obligatorische Flasche Karamalz überreicht. Er trank aus Prinzip keinen Alkohol, besser gesagt trank er keinen Alkohol mehr. Auf einer Klassenfeier vor einer gefühlten Ewigkeit war er um ein Mädchen buhlend alkoholisch etwas über das Ziel hinausgeschossen und hatte sich im Laufe des Abends unwahrscheinlich zum Affen gemacht. Bei dieser Gelegenheit hatte der Asthmatiker das Rauchen gleich mit eingestellt. Wenn ihm mal einer dumm kam, weil er keinen Alkohol trank, gab er stets als Antwort, dass er nichts trinken bräuchte, da er sowieso natural high sei.

Am folgenden Wochenende stand das Sommerfest der Kneipe an. Kessler hatte hierfür die Grillhütte am Frankenberger Dohlenfelsen angemietet. Für den Freitag waren die Kasseler Punks von Vollrausch und die Swoons aus Wolfhagen gebucht. Am Samstag stand eine große Blues Brothers-Party auf dem Programm. Zunächst sollte der Kino-Film auf einer großen Leinwand gezeigt werden, Carlos hatte extra einen dieser neumodischen Beamer auftreiben können, das würde eine Sensation werden – im Anschluss dann die Coverband Sweet Home Chicago. Er brachte den Wirt auf den neuesten Stand bezüglich der geplanten Vorberichte in der lokalen Presse und wandte sich den Gästen im Biergarten zu.

Er entdeckte die Damen und Herren von Durchbruch 98 und den Cleveland Hellriders und ging zu ihnen.

„Na, wie war’s beim Rehearsal mit Maria?“ fragte er Boss, da er sich bei ihm sicher war, dass er keine Ahnung hatte, was Rehearsal war.

„Äh, da muss ich passen. Frag sie doch selbst.“ Boss hatte keinen blassen Schimmer was das Wort zu bedeuten hatte, war aber auch um keine Ausrede verlegen.

„Nicht schlecht reagiert“, gönnte ihm Carlos diesen Teilerfolg. „Aber, lass mich raten, du weißt überhaupt nicht wer oder was Rehearsal ist. Stimmt’s?“

„Ja, stimmt“, reagierte der Bassist genervt. „Und was heißt es nun?“

„Mensch, lasst euch doch nicht so verarschen“, griff Kira ein. „Rehearsal ist englisch und heißt so viel wie Probe. Gut war’s, Carlos. Coole Idee von dir Marias Klavier einzubauen. Wir haben die neue Version von „Kissin’ the ground“ vorhin mal grob auf Kassette aufgenommen. Willste mal reinhören?“

Kira hatte das Tape und einen Walkman mit ins Wildside genommen da davon auszugehen war, dass Carlos im Laufe des späteren Abends auftauchen würde. Beobachtet von den Nachwuchsmusikern lauschte er den dreieinhalb Minuten bis zum Ende. Er nahm den Kopfhörer ab und kommentierte das soeben gehörte.

„Das hat was. Habe ich mir doch gedacht, dass das funktioniert. Maria, du solltest vielleicht beim Refrain mitsingen!“

Die schüchterne Singer/Songwriterin errötete.

„Na Nico, der macht euch noch zur Girlband!“ Ritchie schlug seinem Kumpel herzhaft auf die Schultern. “Ehe du dich versiehst hat der dich, Boss und Helge ausgetauscht. Das geht ruck zuck, wäre schließlich nicht das erste Mal in der Musikgeschichte. Wo kommst’n jetzt überhaupt erst her?“, wollte er von Carlos wissen. „Haste noch zwei Stunden an deiner Matratze rumgefummelt?“

„Ach Ritchie, du kommst mir doch gerade recht“, reagierte der Älteste in der Runde schlagfertig.

„Ich habe zwar die letzten zwei Stunden auf meiner Matratze verbrachte, aber bestimmt nicht um zu schlafen. Ich hab da nämlich was für dich und deinen Durchbruch 98. Ihr wollt doch groß rauskommen, oder sehe ich das falsch?“

„Nein, das siehst du nicht falsch“, schaltete sich Jan ein, der wegen dem nahenden Ende seiner Ausbildung besonderen Wert auf den Durchbruch legte.

„Also Ritchie, da hörst du es“, wandte er sich erneut an den Sänger und Gitarristen. Ohne, dass dieser überhaupt eine Chance gehabt hätte, sich zwischendurch zu äußern.

„Heute ist wieder ein ganzer Schwung Promo-CDs mit der Post gekommen. Die letzten zwei Stunden, mein Gutster, habe ich damit verbracht mich durch diesen Haufen durchzuhören! Du coverst doch so gerne, richtig? Schon mal einen Nummer-Eins-Hit gecovert, bevor der überhaupt veröffentlich wurde?“

„Nee, hab ich nicht. Und wie soll das bitteschön funktionieren?“.

„Oh, Junge“, schaltete sich Tom ein, der eins und eins oft schneller zusammenzählen konnte als sein Bandkollege.

„das hat Carlos dir doch eben erklärt. Der zukünftige Hit wird wohl auf einer der CDs drauf sein.“

„Danke“, reagiert Carlos erleichtert ob des Geistesblitzes des Drummers. „Schon mal was von den Spice Girls gehört?“

Die Gruppe war den Anwesenden bisher völlig unbekannt. Der Name klang jedenfalls nicht nach potentiellen Thronfolgern von Iron Maiden.

„Jetzt seid ihr dran, Ritchie. EUCH macht er zur Girlgroup“ äußerte Kira eine leise Ahnung.

„So würde ich das nicht sagen“, ergriff Carlos erneut das Wort. „Also folgendes: Bei den Scheiben war auch was von den Spice Girls dabei. Die Single nennt sich Wannabe und kommt in zwei Wochen raus. Wenn das Ding nicht Nummer eins in den deutschen Charts wird, dann könnt ihr mich Carlotta nennen. Nummer eins… was sage ich? Das Ding wird sich über Wochen in den Top Ten halten!“.

„Und da lässt sich auch ’ne schön rasante Punk-Version draus machen?“, wollte Ritchie wissen, der von der Idee ganz begeistert war. Endlich musste er Daniel, Tom und Jan das Covern eines Liedes nicht aufdrängen, sondern bekam es von Carlos sogar nahegelegt – das hatte einen ganz anderen Stellenwert bei seinen Bandkumpels. Carlos besaß einfach ein Gespür für Musik. Wenn er meinte, dass dieses Wannabe etwas für sie sei, dann würde das schon stimmen.

„Da lässt sich auch bestimmt ’ne rasante Punk-Version draus machen“, bestätigte Carlos ohne den Hauch eines Zweifels. „Ich glaub an euch, ihr habt’s drauf! DURCHBRUCH 98“, rief er laut in Richtung der Band.

„DURCHBRUCH 98“, stimmten die Jungs ein.

Später fing Carlos Ritchie auf dem Rückweg vom Klo ab. Er drückte ihm eine CD in einer schwarz/weiß bedruckten Papphülle in die Hand.

„Hier ist das gute Stück, hör dir mal die Akkorde raus.

Kriegst du hin“.

„Danke, echt ’n cooler Vorschlag. Schön, dass du an uns gedacht hast“.

„Kein Ding“, spielte der engagierte Hobby-Bandmanager die Sache herunter. „Ich hab noch was für euch, aber sag’s den anderen erst nachher in Ruhe, ich mach mich gleich ab.“

„Was haste denn noch für uns?“

„Ich habe eben mit Kessler wegen nächstem Freitag gesprochen. Die erste Band, die beim Sommerfest spielen sollte, ist abgesprungen. Da haben wir an euch gedacht. Durchbruch 98 mit Vollrausch und den Swoons, das wär’ doch was!“

„Ja klar, auf jeden!“

„Dachte ich mir doch. Seid dann um fünf zum Soundcheck am Dohlenfelsen. Aufbau und Soundcheck. Vielleicht kriege ich ja dann schon ’ne Punkversion von Wannabe zu hören… Bis Freitag!“

„Bis Freitag und nochmal danke!“

Es ist gar nicht so leicht Musik zu machen

Anfang der kommenden Woche trafen sich Durchbruch 98 zur nächsten Probe. Ritchie hatte sich noch in der Nacht, nachdem er die Promo-CD der Spice Girls von Carlos erhalten hatte, hingesetzt und die Akkorde rausgehört. Krass, es war total einfach. Wie die meistens Hits aus den Charts, war auch diese Nummer nicht sonderlich anspruchsvoll. Fast wie bei den Ramones: total eingängige Melodien und leicht nachzuspielen. Da hatte Carlos mal wieder ein feines Händchen bewiesen, der Song würde es garantiert in die Top Ten schaffen.

Vom Refrain war Ritchie besonders begeistert, dieses

„You gotta get with my friends“, eignete sich perfekt um die Massen vor der Bühne zum Pogen zu bringen und bei „I wanna, I wanna, I wanna“ musste das Publikum einfach mithüpfen.

Da die anderen Bandmitglieder Wannabe noch nicht gehört hatten, legte Ritchie zunächst die CD in die Stereo-Anlage im Proberaum.

„Hört euch das erst mal an, bevor es wieder zu Diskussionen kommt, ob wir das nachspielen sollten oder nicht. Tut mir bitte den Gefallen. Und ja, ich habe die Griffe sicherheitshalber schon mal rausgehört.“ Im Raushören war er echt einsame Spitze, das musste man ihm lassen. Die warmen Worte an seine Bandkollegen zeigten, wie wichtig es ihm war, gerade dieses Lied zu covern. Obwohl, eigentlich ging das immer so, wenn er etwas „verpunken“ wollte, wie er zu sagen pflegte, dann wollte er es wirklich.

„Na, dich scheint es ja mal wieder richtig erwischt zu haben!“, stellte Jan fest.

„Ja, ja, macht euch nur lustig über mich. Ich cover halt gerne und manche Chartdinger sind einfach sau cool, bis auf das Problem, dass sie viel zu langsam gespielt werden!“.

„Is ja gut, brauchst dich nicht verteidigen. Lass erst mal hören. Push the button, baby!“, gab Daniel das Kommando und Ritchie tat wie befohlen.

Kaum zu glauben, bis auf einen kleinen Tumult, als Daniel das Kunststück fertig brachte, zwischendurch eine offene Flasche Bier umzuwerfen, schafften es die Jungs von Durchbruch 98 die knapp drei Minuten ruhig zu sein und sich einfach nur das Lied anzuhören. Ritchie schaute Jan an, dann Tom, dann Daniel um zu sehen wie sie reagierten. Tom hob den Daumen und zwinkerte ihm zu. Daniel sah das.

„Ja, Mann! Geil! Lass noch mal laufen!“ Er sprang auf, drückte die Play-Taste und hüpfte besonders bei den Rap-Parts grinsend mit umgehängter Gitarre durch den Proberaum.

„Da hat Carlos echt ’n Volltreffer gelandet, das passt ja wie Arsch auf Eimer zu uns. Zeig mal die Akkorde.“

Ritchie stöpselte seine Epiphone ein, stellte sie jedoch nicht zu laut und kramte umständlich einen zerknitterten Zettel aus seiner Hosentasche hervor.

„Den Text habe ich leider nicht komplett raushören können, grade wenn die Mädels rappen wird es schwierig. Aber ich denke das sollten wir eh ’n bisschen umschreiben, schließlich geht’s im Original um dieses Gangding zwischen den fünf Weibern und nicht um vier Jungs, wie bei uns… wobei ich mir bei Tom da manchmal nicht ganz…“

„Ihr seid doch echt total beknackt, warum wird immer auf dem Drummer rumgehackt? Bei den Beatles geht es immer nur um John, Paul und George, nie um Ringo. Oder KISS, da wird Peter Criss immer so dargestellt, als wäre er nicht in der Lage sich selbst den Hintern abzuwischen. Noch schlimmer die Bloodhound Gang, widmen dem Schlagzeuger von Def Leppard ’n ganzes Lied The drummer of Def Leppard as only got one arm. Und jetzt werden hier vage Vermutung über meine sexuelle Orientierung in den Raum gestellt? Ihr habt sie doch nicht mehr alle!“, regte sich Tom auf.

„Is doch gut. Seit wann ist es verboten diese steife Herrenrunde mit ein paar Sprüchen aufzulockern?“, fragte Ritchie.

„Steife Herrenrunde? War das schon wieder ’ne Anspielung von wegen schwul?“

„OK, Tommy-Boy, hast den Gag gefunden, darfst ihn behalten! Ich mach dann mal weiter im Programm. Also, den Text sollten wir in den Strophen noch mal überarbeiten.“

„Tom drück mal Play!“.

Da er, trotz vorangegangener Beleidigungen, kein Spielverderber sein wollte, brachte er die CD erneut zum Laufen.

Die Strophen untermalte Ritchie mit den passenden Akkorden, Daniel und Jan schauten ihm auf die Finger um spätestens im nächsten Durchgang einsteigen zu können. Beim ersten Refrain ging er in die Mitte des Raums und brachte sich hinter dem Mikro in Position. Den extrem eingängigen Chrous „If you wanna be my lover, you gotta get with my friends. Make it last for ever, friendship never ends“, sang er lauthals mit, als würde die Nummer aus seiner eigenen Feder stammen.

„Kriegen wir das bis Freitag hin? Ich will das unbedingt packen. Carlos würde sich garantiert freuen!“

„Klar, Mann!“, rief Daniel begeistert.