Wölfe der Straße - Lukas Hamann - E-Book

Wölfe der Straße E-Book

Lukas Hamann

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Beschreibung

Rennradfahren ist ein ambivalenter Sport. Außenstehende begegnen ihm mit einer Mischung aus Bewunderung und Verwunderung, wenn die Fahrer*innen steile Anstiege erklimmen oder sich in halsbrecherische Abfahrten stürzen. Sie selbst bewegen sich ständig zwischen Rausch und Schmerz, Euphorie und Leid. Sie lieben und bereuen ihre Passion zugleich. Was so viele Widersprüche in sich trägt, muss besonders sein. Und wie kommt man überhaupt dazu, sich freiwillig diesen tausenden von Kilometern und Höhenmetern Jahr für Jahr auszusetzen? In seinem Buch Wölfe der Straße geht der Autor diesen Aspekten nach. Dabei beleuchtet er sie aus der Sicht eines wenig talentierten, dafür aber umso leidenschaftlicheren Hobbyrennradlers.

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„Wir fahren, um zu erfahren wer wir sind.“

Marc Madiot

„Man muss die Dämonen ausblenden

und einfach entspannen.

Man denkt, man ist müde,

aber da geht noch was.“

Geraint Thomas

Aus der Liebe Deines Körpers,

Deines Herzens, Deiner Seele

hast Du sie erschaffen.

Die Flügel, die mich

kreisen lassen.

Für Lila

Inhaltt

Prolog

I. Der erste Rausch

II. Freiheit

III. Mit allen Sinnen

IV. Die Straße und ich

V. Alles ist Rhythmus

VI. Schönheit der Erschöpfung

VII. Im Windschatten der Gemeinschaft

VIII. Ehrensache und herrlicher Unfug

IX. Grenzgänge und „Straßenkämpfe“

X. Nichts als Betrug

XI. Auf den Spuren der Helden

XII. Flamme Rouge

Epilog

Vorwort zur 2. Auflage

Nach der ersten Veröffentlichung wurde ich von einigen Leser*innen gefragt, warum ich dieses Buch geschrieben habe. Dabei ist mir klargeworden, dass ich diese Frage womöglich nicht eindeutig genug beantwortet habe.

Eines Tages fragten mich meine Söhne, nachdem sie mit mir als Rennradfahrer aufgewachsen sind, warum ich denn so viel, an manchen Wochenenden über Stunden, im Sattel sitzen würde und was daran so toll sein solle. Als ich ihnen diese Frage beantworten wollte, wurde mir bewusst, dass ich das nicht kann, zumindest nicht mal eben in aller Kürze. Zu viele Gedanken gingen mir durch den Kopf. Da bemerkte ich, wie komplex und vielschichtig das Rennradfahren ist, auch, wenn man scheinbar nur in die Pedale tritt. Somit entstand die Idee all die Facetten dieses Sports, die ich über Jahrzehnte erlebt und erfahren habe, in erster Linie für sie aufzuschreiben. Ich wollte, dass sie verstehen, was ihr Vater da eigentlich macht, warum er sich eben über Stunden auf den Landstraßen herumtreibt. Sie waren es dann auch, die mit als erste das Buch gelesen haben und darauf bin ich sehr stolz. Sie wollten wohl doch wirklich wissen, was ihr alter Herr da macht und wie er tickt.

Während des Schreibens ist mir aufgefallen, dass das Buch mehr wurde als ein reines Radfahrbuch. Rennradfahren ist sehr eng verwoben mit einer bestimmten Lebenseinstellung. Das war mir bis dahin nie so richtig aufgefallen. Erst durch das Verfassen all der Gedanken wurde mir das immer mehr deutlich. Somit beinhaltet das Buch zwangsläufig auch gewisse Erfahrungen, Ansichten und Einstellungen, die mich widerspiegeln und die ich meinen Söhnen weitergeben wollte. Wenn sie diese in Erinnerung behalten, dann hat das Buch schon sein Ziel erreicht.

Obwohl man ein Buch im Entstehungsprozess mehrmals Korrektur liest, fallen einem auch nach der Veröffentlichung irgendwann Fehler auf, die sich durch das ständige Verändern und Überarbeiten von Gedanken und Formulierungen eingeschlichen haben. Auch diese wurden in der 2. Auflage (hoffentlich nahezu alle) ausgemerzt. Zudem wurde durch das Feedback einzelner Leser*innen der Wunsch geäußert, in einige Gedanken, Erfahrungen und Anekdoten noch genauer bzw. tiefer einzutauchen. Auch diesem Wunsch habe ich versucht nachzukommen. Ich danke allen Leser*innen für die positive, aber auch kritische Rückmeldung und für die Aufgabe an einer Überarbeitung feilen zu dürfen.

Wuppertal, Oktober 2024

Prolog

Im Rhythmus, Tritt für Tritt, erklimme ich die steile Straße hinauf. Die Sonne brennt auf meinen Rücken, die Luft ist heiß und schwül, das Atmen fällt mir schwer. Den Blick nach vorne, mal nach unten auf den Asphalt gerichtet. Der Puls liegt konstant bei 140 Schlägen pro Minute. Das ist gut, das kann ich lange durchhalten, nur nicht den Rhythmus brechen, nicht übermütig werden, nicht die Kontrolle verlieren. Ich konzentriere mich auf jede Pedalumdrehung, spüre das leichte Brennen in meinen Beinen, der Schweiß glitzert auf meinen Unterarmen. Mein Tritt ist rund, ich drücke und ziehe, um die Kraft bestmöglich auszuschöpfen, verschiedene Muskelgruppen in meinen Beinen anzusteuern und dadurch die Belastung gleichmäßig zu verteilen. All das geschieht wie ein Automatismus, gelernt über Jahre im Sattel. Dennoch muss ich wachsam sein, denn die gefährlichsten Fehler passieren meistens den Erfahrensten. Die Straße ist steil, ordentlich steil. Mein Radcomputer zeigt 10% an. Kontrolliert weiter, immer weiter…

Autofahrer, die mir von oben entgegenkommen, schauen mich verwundert, teilweise ehrfürchtig an. Ich kann ihre Fragen förmlich von ihren Gesichtern ablesen: Warum macht man sowas? oder Wieso tut man sich das an? Nun, das sind berechtigte Fragen, die ich auch immer wieder von Freunden und Bekannten gestellt bekomme. Nicht nur das. Auch ich selbst hinterfrage oft, was ich da eigentlich mache: Was stimmt nicht mit mir? Was habe ich für ein Problem, dass ich mir freiwillig diese Schinderei auferlege? Ich könnte jetzt mit meiner Frau und meinen Kindern entspannt im Freibad liegen und die wunderschöne Berglandschaft von unten genießen!

Für Außenstehende, die diesen Sport nicht betreiben, die diese körperliche und mentale Beanspruchung nicht erleben, ist das wirklich schwer nachzuvollziehen. Für sie sind wir Rennradfahrer*innen wohl Sonderlinge, die in viel zu dünner Schutzkleidung die Straßen rasend unsicher machen und sich selbst bereitwillig in Gefahr und an den Rand der Erschöpfung bringen. Wenn man ihnen dann auch noch entgegnet, dass genau diese Schinderei und Erschöpfung bergauf einem am meisten Freude bereitet, wird das Unverständnis nur noch größer. Ich kann sie verstehen, denn es grenzt an Masochismus einen Alpenpass stundenlang hinauf zu fahren oder wiederum an Wahnsinn sich mit über 70 km/h in eine Abfahrt hinunter zu stürzen. Was für ein herrliches Unterfangen! Leidensgenoss*innen in Lycra-Hosen werden meine Entzückung verstehen, alle anderen wohl eher weniger.

Doch genau das möchte sich dieses Buch zur Aufgabe machen: Die Schönheiten dieses Sports für Enthusiasten in Worte fassen, Außenstehenden die Eigenarten näherbringen und natürlich Einsteiger*innen für die Besonderheiten begeistern.

Eines vorweg: Dies ist ein Buch eines Hobby-Rennradfahrers für Hobby-Rennradfahrer*innen. Es gibt viele tolle Bücher über den Radsport, über Helden wie Eddy Merckx, Bernard Hinault, Peter Sagan und viele mehr. Über die großen Rennen wie die Tour de France oder Mailand–San Remo. Über berühmte Anstiege wie den Mont Ventoux oder Alpe d`Huez. Sie alle sind lesenswert und ein Muss für jeden Radsportfan. Aber dieses Buch möchte eine andere Facette beleuchten. Die der „Asphaltfresser“, die Jahr für Jahr tausende Kilometer in die Pedale treten, die stundenlang Berge erklimmen und sich in halsbrecherische Abfahrten begeben, ohne auf abgesperrten Straßen zu fahren, vom Fahrbahnrand aus angefeuert zu werden oder hinterher auf einem Podium zu stehen. Es geht um all die Normalos wie mich, die versuchen nicht auf der Straße überfahren zu werden, die den Sport wirklich nur aus Begeisterung und Leidenschaft betreiben, ohne dafür Ruhm und Ehre zu erlangen. Diese Begeisterung und Leidenschaft aufzuzeigen, ist ein großes Bestreben der folgenden Kapitel.

Also, stecken Sie das Buch in Ihre Trikottasche und machen Sie sich auf den Weg. Auf eine schöne Ausfahrt allein oder vielleicht mit Freund*innen. Und wenn die Kaffeepause ruft oder ein kurzer Halt in der Natur, dann lesen Sie ein paar Seiten aus diesem kleinen Buch und erfreuen Sie sich an den persönlichen Gedanken, Erfahrungen und Anekdoten eines wenig talentierten, aber umso leidenschaftlicheren Pedalritters.

I. Der erste Rausch

Als ich zwölf Jahre alt war, schenke mir mein Großvater das erste Rennrad. Ich weiß eigentlich nicht warum, denn ich hatte bereits ein BMX-Rad und ein Mountainbike, die zu der Zeit in Mode kamen. Vielleicht dachte er, dieser hyperaktive, in der Schule nicht auf seinem Platz sitzen bleiben wollende Junge braucht die volle Palette, um seine Eltern und Lehrer*innen nicht zu überstrapazieren. Er fuhr zudem jede Woche mit mir Schwimmen und wir unternahmen regelmäßig lange Wanderungen. Ich genoss diese Zeit sehr und fühlte mich von ihm immer verstanden. Eines Tages stand ein Rennrad vor seinem Garagentor. Ich betrachtete es ausgiebig. Der Lenker und die dünnen Reifen lösten Verwunderung in mir aus. Als er mir dann eröffnete, dass es für mich sei, war ich erst recht skeptisch. Es war ein rotes Rennrad und es war mir viel zu groß. Dennoch nahm ich es dankend an und inspizierte das Gefährt zunächst auf „Herz und Nieren“. Es machte mich neugierig. Gerade, weil mein Großvater anscheinend der Meinung war, dass ich mich wohl mit ihm befassen und in Bewegung setzen sollte. Ich drehte eine Runde um das Haus. Eine unmittelbare Begeisterung wollte sich nicht einstellen. Die Schaltung konnte mit der Präzision der des Mountainbikes nicht mithalten (zumal es auch noch eine Rahmenschaltung hatte) und die Reifen waren, wie gesagt, so dünn, dass ich mich fragte, wie man da unversehrt wieder nach Hause kommen sollte. Zudem hatte die rechte Pedale eine kleine Unwucht, die man bei jeder Umdrehung leicht spürte. Ich habe versucht diese selber zu reparieren, doch es gelang mir nicht. Vor meinem Großvater wollte ich mir die Blöße nicht geben, dass ich an seinem Geschenk etwas auszusetzen hatte oder dass ich nicht in der Lage war dies selber zu beheben, denn er war wirklich ein toller Handwerker und darin sehr begabt. Also gewöhnte ich mich bei den Ausfahrten an diese kleine Unwucht, auch, wenn ich sie immer wahrgenommen habe. Ich habe sie akzeptiert und damit unwissend eine erste wichtige Lektion gelernt. Warum erzähle ich das? Weil diese Beschwerlichkeit durch die Pedale sehr viel über die Einstellung in diesem Sport aussagt (worauf ich zu einem späteren Zeitpunkt noch eingehen werde). Obwohl mich das Rennrad nicht sonderlich überzeugt hatte, nahm ich es dennoch ab und zu aus dem Keller, um einige erste Ausfahrten damit zu unternehmen.

Relativ schnell bemerkte ich, dass diese Ausfahrten mit dem „Renner“ ganz anders waren als die mit den beiden anderen Rädern. Während ich mit dem BMX geschickt Tricks und Sprünge machen konnte und das Mountainbike mich mit seinen breiten Reifen sicher über Stock und Stein transportierte, war das Fahren mit dem Rennrad zunächst eins: unbequem. Dies lag nicht nur an der bereits genannten Unwucht. Die ganze Haltung war unbequem. Die starke Neigung des Oberkörpers nach vorne, die Erschütterungen bei jeder Bodenwelle, die nervöse Lenkung, die Nackenschmerzen, die tauben Finger nach einer gewissen Zeit. Es war irgendwie ein komisches, altes Rad und ich hatte mit ihm zu kämpfen.

Doch da war etwas, das mich dennoch immer wieder zu Ausfahrten animierte. Es war nicht leicht dieses Rad zu beherrschen, als würde man ein wildes Tier zähmen wollen. Jedes Mal aufs Neue musste ich mich zu Beginn der ersten Kilometer an das Gefährt gewöhnen, an die Haltung, an das unruhige Fahrgefühl, und vor allem an die sensible Rahmenschaltung, die die Kette von Gang zu Gang springen ließ, wenn man sie nicht ganz präzise auf die jeweilige Übersetzung eingestellt hatte. Es war regelrecht essenziell sich in das Rad hineinfühlen zu müssen, damit die Technik nicht streikte und man in Fahrt kam. Heute, mit den modernen mechanischen und mittlerweile elektronischen Schaltungen, gehören diese Beschwerlichkeiten der Vergangenheit an, aber damals war es wirklich ein langer Prozess des Kennenlernens mit seinem Veloziped. Nach einer gewissen Zeit hatte ich den Dreh raus und dann war es der Wahnsinn auf zwei Rädern.

Das Erste, das mir damals beim Rennradfahren in den Sinn kam, war: Geschwindigkeit