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Eine Liebe, die Rettung verspricht – aber auch alles zerstören kann
Elena Gonzalez braucht dringend Geld. Ein Job als PR-Agentin bei einem Formel-1-Team ist die Lösung. Während der neuen Saison soll Elena das angeknackste Image des ebenso launischen wie attraktiven britischen Rennfahrers Jax Kingston wiederherstellen. Das Problem: Jax ist süchtig. Süchtig nach Tabletten, Alkohol, Adrenalin. Und seit er Elena kennt, hat er eine neue Sucht, gegen die er mit allen Mitteln ankämpft: sie. Wie soll sie ihren Job erledigen, wenn er sie immer wieder boykottiert – und im nächsten Moment heftig mit ihr flirtet? Aufgeben ist für Elena keine Option, doch je näher sie Jax kommt, desto mehr überschreitet sie ihre Grenzen. Und desto stärker werden ihre Gefühle für ihn. Kann sie ihn wieder auf die richtige Spur führen, oder wird sie mit ihm aus der Kurve fliegen?
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Elena Gonzalez braucht dringend Geld. Ein Job als PR-Agentin bei einem Formel-1-Team ist die Lösung. Während der neuen Saison soll Elena das angeknackste Image des ebenso launischen wie attraktiven britischen Rennfahrers Jax Kingston wiederherstellen. Das Problem: Jax ist süchtig. Süchtig nach Tabletten, Alkohol, Adrenalin. Und seit er Elena kennt, hat er eine neue Sucht, gegen die er mit allen Mitteln ankämpft: sie. Wie soll sie ihren Job erledigen, wenn er sie immer wieder boykottiert – und im nächsten Moment heftig mit ihr flirtet? Aufgeben ist für Elena keine Option, doch je näher sie Jax kommt, desto mehr überschreitet sie ihre Grenzen. Und desto stärker werden ihre Gefühle für ihn. Kann sie ihn wieder auf die richtige Spur führen, oder wird sie mit ihm aus der Kurve fliegen?
Lauren Asher hat eine überbordende Fantasie und verbringt ihre Freizeit mit Lesen und Schreiben. Ihr Traum ist es, an all die Orte zu reisen, über die sie schreibt. Sie genießt es, Figuren mit Ecken und Kanten zu erschaffen, die man einfach lieben muss. Wenn sie nicht gerade schreibt, durchforstet Lauren YouTube, schaut alte Episoden von »Parks & Recreation« und sucht nach neuen Restaurants auf Yelp. Sie arbeitet am liebsten direkt nach ihrem Morgenkaffee und würde nie ein Nickerchen verweigern.
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Dreamland Billionaires – Terms and Conditions
Dreamland Billionaires – Final Offer
Love Redesigned – Lakefront Billionaires
Love Unwritten – Lakefront Billionaires
Throttled
Collided
LAUREN ASHER
Dirty Air
Band 3
ROMAN
Aus dem Amerikanischen von Constanze Wehnes
WILHELM HEYNE VERLAG MÜNCHEN
Die Originalausgabe WRECKED erschien erstmals 2020 im Selfpublishing und 2024 bei Bloom Books, USA.
Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.
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Deutsche Erstausgabe 12/2024
Copyright © 2020. WRECKED by Lauren Asher
The moral rights of the author have been asserted.
Copyright © 2024 der deutschsprachigen Ausgabe by Wilhelm Heyne Verlag, München, in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH, Neumarkter Str. 28, 81673 München
(Vorstehende Angaben sind zugleich Pflichtinformationen nach GPSR)
Redaktion: Anita Hirtreiter
Umschlaggestaltung: ZERO Werbeagentur nach dem Originalcoverdesign von Books and Moods
Satz: satz-bau Leingärtner, Nabburg
ISBN 978-3-641-32858-0V001
www.heyne.de
An alle, die schon einmal mit einer Angststörung zu kämpfen hatten – dieses Buch ist für euch.
Lasst euch nicht unterkriegen.
Elena
Wenn du in fünf Minuten nicht fertig bist, gibt’s keine Geschichte mehr. Du bist jetzt vielleicht zwölf, aber ins Bett geht es trotzdem immer noch um acht.« Die Stimme meines Vaters dröhnt durch unser Haus.
Also renne ich ins Bad, denn ich habe eine Mission. Ich muss mich so schnell wie möglich fürs Bett fertig machen, weil ich heute viel zu lange für die Hausaufgaben gebraucht habe. Nachdem ich mir die Zähne geputzt habe, flechte ich meine welligen Haare hastig zu einem Zopf und tausche meine Kontaktlinsen gegen eine Brille.
Dreißig Sekunden vor Ablauf der Zeit schaffe ich es ins Bett und lande schwungvoll auf der weichen Matratze. Die Schritte meines Vaters hallen den Flur entlang, dann steckt er den Kopf durch die Tür. Ich grinse breit, kreuze die Beine und verschränke die Hände.
Papi schiebt die Tür weiter auf und sieht mich mit seinen braunen Augen eindringlich an. »Hast du auch die Zahnseide nicht vergessen? Soll ich mal lieber nachsehen?«
Ich schüttle den Kopf und unterdrücke ein Kichern.
»Nicht dass wir noch dein Sparschwein plündern müssen, damit wir genug Geld für den Zahnarzt haben.«
»Morgen, versprochen. Ich will unbedingt noch mit dir lesen, und die Hausaufgaben haben ewig gedauert. Warum kann ich nicht mit meinen Freundinnen zur Schule gehen? Die sind immer nach einer Stunde durch.«
Seit mein Vater vor ein paar Jahren Botschafter für Mexiko wurde, hat sich unser Leben verändert. Ich wurde an einer Privatschule angemeldet, wir sind in eine bessere Gegend gezogen und haben jetzt genug Geld, um auch mal zu verreisen. Mami bleibt zu Hause, während papi zwischen hier und den USA hin- und herreist und wichtige Dinge für die Regierung erledigt.
»Weil du mir eines Tages danken wirst, dass ich dich gezwungen habe, auf eine amerikanische Schule zu gehen. All die Stunden, die ich damit verbringe, schlechte Menschen hinter Gitter zu bringen und Mexiko zu einem besseren Land zu machen, zahlen sich endlich aus.«
»Aber ich muss da den ganzen Tag Englisch sprechen«, jammere ich.
Er tippt mir auf die krausgezogene Nase. »Und was du jetzt für eine tolle Aussprache hast! Ich bin froh, dass die Gebühren es offenbar wert sind. Und ich freue mich auf den Tag, an dem du bei deiner Abschlussfeier an einer amerikanischen Uni auf die Bühne gerufen wirst.«
Dann setzt er sich neben mich, und mein Bett gibt unter seinem Gewicht nach. Er schlägt das nächste Kapitel von The Hunger Games auf, aus dem er mir immer vorliest. Mit seiner Position geht eine Menge Verantwortung einher, was leider oft dazu führt, dass er unser Abendritual verpasst.
»Bereit?« Mein Vater zeigt mir die erste Seite des Kapitels.
»Jaaa!«
»Du weißt ja, wie es läuft.« Liebevoll streicht er mir eine lose Strähne aus dem Gesicht, die sich aus meinem Zopf gestohlen hat.
Ich kämpfe gegen den Drang an, die Augen zu verdrehen. »Jaha. Du fängst an, ich lese zu Ende. Yay. Na, los jetzt!«, sage ich und mache kleine Kreise mit dem Zeigefinger, um ihm weniger reden, mehr lesen zu bedeuten.
Mit seiner rauen Stimme fängt er genau da an, wo wir vor zwei Wochen aufgehört haben. Ich kuschle mich in meine Rüschenkissen, lausche auf jedes Wort, bin ganz gefesselt davon, wie Katniss das Füllhorn überlebt.
Nach der Hälfte des Kapitels reicht er mir das Buch. Während ich lese, korrigiert mein Vater mich immer wieder, mein Akzent wird stärker, je aufgeregter ich werde. Das Kapitel fliegt nur so dahin, und ich lechze nach mehr, als es mit einem Cliffhanger endet.
»Ein Kapitel noch? Bitte!« Ich klimpere mit meinen dunklen Wimpern. Sie sind so lang, dass sie meine Brillengläser streifen. Was ziemlich nervig ist, weshalb ich diese Unannehmlichkeit meistens mit Kontaktlinsen umgehe.
Er schüttelt den Kopf. »Ich wünschte, ich könnte, chiquita. Aber ich soll mami noch mit dem Abwasch helfen, bevor wir ins Bett gehen.«
Ich klammere mich an ihn, ziehe alle Asse aus dem Ärmel. »Aber du warst ewig weg, du schuldest mir mindestens zehn Kapitel.«
»Diez? No mames.« Er kichert und drückt mich an sich. »Morgen lesen wir drei Kapitel, das ist mein letztes Angebot.«
Ganz betrübt löse ich mich von ihm und verschränke die Arme vor der Brust. »Na schön. Wenn es nicht anders geht.« Ich wedle mit der Hand und lasse mich dramatisch seufzend in meine Kissen fallen.
»Ich wusste, dass dir die neue Schule guttun würde. Sieh dich nur an, du bist ja bereits eine richtige kleine Lady. Und du liest schon viel flüssiger. Ich bin so stolz auf dich.« Mein Vater gibt mir einen sanften Kuss auf die Stirn und schließt die Tür hinter sich.
Ich knipse meine Lampe aus. Dann mache ich die Augen zu, doch in Gedanken bin ich noch bei dem Buch und dem Ende des Kapitels. Vor lauter Neugier, wie es wohl weitergeht, kann ich nicht einschlafen, also nehme ich die kleine Taschenlampe aus der Nachttischschublade, die ich dort für ebensolche Abende aufbewahre.
Ich greife nach dem Buch und schlüpfe in meinen Schrank. Würden meine Eltern mich an einem normalen Schultag so spät noch beim Lesen erwischen, dürfte ich mir aber etwas anhören. Um uns das allen zu ersparen, verstecke ich mich am gewohnten Platz hinter meinen Klamotten und ein paar Pappkartons. Das Licht meiner Taschenlampe vertreibt die Schatten, und ich schlage das nächste Kapitel auf.
Mein Finger führt mich von Wort zu Wort, während ich weiter Lesen übe. Katniss flieht vor den anderen, um nicht getötet zu werden. Sie ist so mutig und cool.
Plötzlich dringt ein Schrei von irgendwo unten an meine Ohren. Das muss meine Mutter gewesen sein. Ich bekomme eine Gänsehaut, so unheimlich klang es. Kurz darauf lässt mich die laute Stimme meines Vaters aufschrecken, das Buch entgleitet meinen zittrigen Fingern und fällt mit einem lauten Plumps zu Boden.
Ich halte den Atem an und versuche zu begreifen, was ich da gerade gehört habe. Glas zersplittert, und beim fernen Bitten meiner Mutter werde ich panisch. Mein Herz klopft schneller, als mein Vater von Englisch zu Spanisch wechselt und um Gnade fleht. Fremde Stimmen antworten laut, und dann geht wieder etwas zu Bruch.
Papi hat mich gewarnt, dass so etwas passieren könnte. Er hat mir eingeschärft, in diesem Fall in meinem Zimmer zu bleiben und zu warten, bis er oder mami mich holen.
Wieder schreit meine Mutter, und mir stockt der Atem. Wie festgeklebt bleibe ich auf dem Schrankboden hocken, meine Finger umklammern fest die Taschenlampe.
Die laute, bettelnde Stimme meines Vaters dringt durch die geschlossene Tür meines Schlafzimmers. Ich bebe am ganzen Körper.
Dann ertönt ein furchtbar lauter Knall, als hätte unten jemand eine Rakete abgefeuert. Mein Vater ruft nicht mehr, und meine Mutter kreischt gequält auf.
Mit zitternden Fingern schalte ich die Taschenlampe aus. Das Klicken klingt viel zu laut und durchdringt die Stille, doch jetzt bin ich in schützende Dunkelheit gehüllt. Es knallt noch ein paarmal, und daraufhin verklingt auch das Schreien meiner Mutter. Ein kalter Schauer läuft mir über den Rücken.
Eins, zwei, drei.
Meine Augen füllen sich mit Tränen, ich ringe nach Atem, und über das Rauschen des Bluts in meinen Ohren kann ich nicht mehr richtig hören. Tief in meinem Innern weiß ich, dass etwas ganz und gar nicht stimmt, denn meine Eltern sind verstummt. Ich schüttle den Kopf, als könnte ich so die Sorge daraus vertreiben. Der Gedanke daran, dass ihnen etwas Schlimmes passiert sein könnte, ist zu viel für mich.
Als meine Schlafzimmertür sich knarzend öffnet, ziehe ich scharf die Luft ein.
Das war’s. Sie werden mich finden.
Durch die geschlossene Schranktür höre ich gedämpfte Schritte. Also mache ich mich so klein wie möglich und drücke mich in die hinterste Ecke hinter den Kisten und herabhängenden Kleidern.
Ich bin nicht wie Katniss Everdeen. Feige, wie ich bin, verstecke ich mich, zu einem Häufchen Elend zusammengerollt. Die Schranktüren öffnen sich, und bei dem Geräusch kriecht mir Säure die Kehle hinauf. Ich wage es nicht einmal, zu schlucken, aus Angst, der Fremde könnte mich hören.
Ein paar Kleiderbügel klappern, und meine Schuhe werden hin und her geschoben. Ich kämpfe gegen den Drang an, nach Luft zu schnappen. Dann stößt etwas gegen den Karton direkt vor mir. So schnell, wie der Unbekannte gekommen ist, schließt er auch wieder die Tür.
»Seine Tochter ist nicht hier. Vielleicht übernachtet sie ja bei Verwandten? Oder sollen wir in den anderen Zimmern nachsehen?«
Ich drücke mir die Hand auf den Mund, damit mir auch ja kein Laut entweicht. Tränen benetzen meine Finger, doch ich bleibe mucksmäuschenstill.
»Olvídalo. Wir haben’s erledigt. El jefe wird stolz auf uns sein und uns bestimmt befördern. Eduardo geht ihm schon seit Jahren auf die Nerven.«
Mit aller Kraft zwinge ich mich dazu, mich nicht zu übergeben, um mich nicht zu verraten. Katniss würde nicht weinen. Sie wäre aus diesem Schrank marschiert und hätte etwas getan. Irgendetwas.
Aber ich bin ein jämmerlicher Feigling und schaffe es gerade so, leise zu atmen und mich nicht zu übergeben.
Irgendwo unten knallt eine Tür zu.
Mami und papi werden mich holen. Es geht ihnen gut. Vielleicht sind sie etwas verletzt, aber sie werden kommen.
Minuten verstreichen, doch das Haus bleibt völlig still. Noch immer laufen mir Tränen über die Wangen, während ich bete, dass papi mich hier findet und ins Bett trägt.
Stundenlag rühre ich mich nicht vom Fleck, denn ich habe Angst, den Schrank zu verlassen. Meine Augen gewöhnen sich an die Dunkelheit, während ich vor- und zurückschaukele, um mich zu beruhigen.
Schließlich krabble ich doch aus meinem Versteck, und mein Magen wird bleischwer, als ich die Schranktür aufdrücke. Ich halte inne, lausche auf jemanden, der vielleicht weiß, dass ich hier bin. Minuten vergehen, ehe ich mich traue, mich wieder zu bewegen.
Ich atme tief ein und öffne meine Zimmertür. Sie ächzt laut wie in einer Folge von Scooby-Doo. Mein Herzschlag beschleunigt sich, und ich stoße zittrig den Atem aus.
Ich hasse die Dunkelheit. Unser Haus kommt mir unheimlich vor, wenn alle Lichter aus sind und Schatten in den düstersten Ecken lauern. Die Haut in meinem Nacken kribbelt. Ich umklammere meine Taschenlampe, während meine Füße mich die Treppe hinuntertragen. Pure Verzweiflung gibt mir die Kraft, weiterzugehen.
»¿Mami? ¿Papi?«
Stille. Totenstille und Dunkelheit lassen die Ader an meinem Hals pulsieren. Ich kämpfe gegen den Drang an, einfach wieder die Treppe hinaufzurennen und mich unter meiner Bettdecke zu verstecken. Katniss wäre mutig in der Dunkelheit – stark und furchtlos.
Auf dem Weg in die Küche stolpere ich über etwas. Unwillkürlich senke ich den Kopf. »Nein! Nein, nein, nein, nein.«
Die Taschenlampe knallt neben meinen Füßen auf den Boden und rollt davon. Meine Beine geben unter mir nach, meine Knie knicken ein, und meine Finger umklammern die Hand meiner Mutter, die kalt in meiner liegt und sich so ganz anders anfühlt.
Tränen strömen mir aus den Augen, laufen mir über die Wangen und fallen auf sie. Ich beuge mich über ihren Körper und ziehe sie an mich. »¡Mami! ¡Despiértate!« Mit zitternden Fingern streiche ich ihr die Haare aus dem Gesicht, und beim Anblick ihrer leeren Augen zieht sich mein Herz schmerzhaft zusammen.
Kalte, leblose Augen, ohne ihre Wärme.
»Mami, ¿qué te pasa? Regresa a mi.« Meine Hände werden glitschig, und ich kann den Körper meiner Mutter nicht mehr halten. Ich sehe auf meine Hände hinunter, doch in dem spärlichen Licht kann ich nicht erkennen, warum sie so nass sind. Meine Sicht verschwimmt, und ich taste wieder nach meiner Taschenlampe. Ihr Licht landet auf meinem Vater, der neben meiner Mutter liegt. Hinter ihm verläuft eine Blutspur.
Ein Schluchzer entringt sich meiner Kehle. Ich krieche zu papi hinüber, umarme ihn und drücke ein Ohr an seine Brust, in der Hoffnung, dass er noch lebt. Ich kann einen Arzt rufen oder abuela, sie könnte mir helfen.
»Por favor, papi, no me abandones.«
Stille.
Kein Herzschlag. Kein Atem. Nichts.
»Nein, nein, nein.« Ich schluchze gequält auf. Weine an seiner Brust, verliere die Kontrolle über mich selbst. Er riecht ganz anders als sonst. Meine Finger umklammern seinen Anzug, schütteln ihn, als könne ich ihn so wieder lebendig machen.
Damit er wieder bei mir ist.
»Lass mich nicht allein«, krächze ich mit brechender Stimme.
Niemand antwortet. Niemand hört mein Flehen. Niemand kann meine Eltern retten. Sie sind fort.
Tot.
Ermordet.
Meine Hände glänzen im Zwielicht, blutig und glitschig. Übelkeit überkommt mich. Ich schaffe es vielleicht einen halben Meter weit, ehe mein Abendessen sich durch meine Kehle hocharbeitet. Dann würge ich, bis nichts mehr kommt.
Mit zittrigen Händen stütze ich mich auf dem Holzfußboden ab. Eine Glasscherbe bohrt sich in meinen Mittelfinger, der scharfe Schmerz entlockt mir ein Zischen. Als ich das große Stück zerbrochenen Glases aus meinem Finger ziehe, strömt Blut hervor.
Tränen tropfen von meinen Wangen auf den Boden, verschwinden in der Blutspur, die mein Vater hinterlassen hat.
Auf dem feuchten Boden kauernd, ziehe ich die Knie an die Brust und wünsche mir, die Mörder hätten auch mich getötet. Mit bebendem Körper wiege ich mich hin und her. Ich schalte die Taschenlampe aus und lasse die Schatten herankriechen. Sie umzingeln mich, und die Stille schlägt ihre Klauen in das letzte bisschen Ruhe, das mir geblieben war.
Jax
Jax, dein Frühstück wird kalt! Was machst du denn den ganzen Morgen in deinem Zimmer? Deine Playboy-Sammlung haben wir doch schon vor Jahren entsorgt!« Die Stimme meiner Mutter klingt summend durch die Haussprechanlage in meinem alten Zimmer.
So ist es jedes Mal, wenn ich in der Winterpause meine Familie besuche. Nichts schreit doch so schön Urlaub wie frühmorgendliche Weckrufe und Wichs-Anschuldigungen noch vor der ersten Tasse Tee.
Ächzend wälze ich mich aus dem Bett und drücke den Knopf am Lautsprecher. »Ich bin wirklich enttäuscht von dir. Das Letzte, was ich kurz vorm Kommen hören will, ist die Stimme meiner Mutter.«
Ihr Gelächter klingt scheppernd aus dem winzigen Lautsprecher in meinem Zimmer. »Du bist so was von ekelhaft! Was habe ich bei deiner Erziehung bloß falsch gemacht? Komm jetzt runter – dein Dad ist zu einem Meeting gegangen, und ich esse nicht gern allein.«
So eine Familie sind wir, mit Haussprechanlagen und Dienstpersonal, weil mein Dad mal Profiboxer war, der allein mit seinen Fäusten für uns ein Luxusleben aufgebaut hat. Mittlerweile kämpft er nicht mehr, aber seine Geldanlagen sprechen für sich.
Und nun gehören wir auch zu den oberen Zehntausend wie die feinen Pinkel, die Dad früher ausgelacht haben, weil er aus ärmlichen Verhältnissen stammt. Selbstverständlich haben wir Treuhandfonds und halten wahrscheinlich mehr Aktien als die Börse.
»Bin gleich da.« Ich gehe in mein Bad, um mir die Morgenbenommenheit wegzuwaschen.
Eigentlich hatte ich gar nicht geplant, vor Beginn der nächsten Formel-1-Saison zu Besuch zu kommen, aber Mum hat mich angefleht. Ist schwer, ihr etwas auszuschlagen, vor allem, wenn sie mir vorhält, dass ich ja an Ostern ebenfalls nicht da sein werde. Außerdem hatte ich sowieso nichts Besonderes vor, schließlich hat Liam Sophie, und Noah verbringt auch seine ganze Freizeit mit Maya. Von unserem ehemaligen Trio bin nur noch ich übrig.
Tja, kann man nichts machen.
Ich fische mein Medikamentenfläschchen aus meinem Kulturbeutel. Eine hübsche weiße Tablette hebt sich von meiner braunen Haut ab und lockt mich mit dem Versprechen, einfach mal ein bisschen runterzukommen. Dank der kurzen Wirkungsdauer, der Freigabe durch einen amerikanischen Arzt und der Formel-1-Klausel zu mentaler Gesundheit kann ich mir eine Xanax einwerfen, wann immer mir danach ist. Und in letzter Zeit scheint das leider viel zu oft der Fall zu sein.
Ich – Formel-1-Fahrer und Arschloch vom Dienst – leide an einer Angststörung. Sollte die Öffentlichkeit davon erfahren, lacht sie sich vielleicht schlapp, aber dann werde ich ihr in den Hintern treten und allen zeigen, was passiert, wenn ich mal ganz anders angespannt bin. Vielleicht merkt man mir nicht an, dass ich mir ständig Sorgen mache, doch in meinem Innern herrscht das reinste Chaos.
Damit hatte ich schon als Kind zu kämpfen. Mein Hirn führt sich auf wie ein Hamster im Laufrad, kommt da einfach nicht raus. Zu der Angststörung haben sich dann auch noch Panikattacken gesellt. Und wenn die zuschlagen, dann drohen meine Knie nachzugeben, meine Brust schnürt sich zusammen, und meine Finger zittern so stark, dass ich sie nicht mehr benutzen kann.
Die Panikattacken fingen erst vor ein paar Jahren an, was meiner Laune und Produktivität einen enormen Dämpfer verpasst hat. Normalerweise treten sie auf, wenn ich wirklich total gestresst bin, zum Beispiel, wenn ich mich mit meinen Eltern rumschlagen muss oder ich von meinen Zukunftsaussichten überwältigt werde. Im vergangenen Jahr sind sie immer schlimmer geworden. Und nach einer nicht besonders auffälligen Panikattacke mitten in einem Rennen, die McCoy als »technisches Versagen« abgetan hat, entschied ich, dass Tabletten die einzige Lösung wären. Ich hatte keinen Bock auf eine Therapie, also suchte ich mir einen amerikanischen Arzt, der das Problem für mich lösen sollte, ohne dass ich ihm mein Seelenleben mitteilen musste. Dank Xanax mache ich mir jetzt keine Sorgen mehr, dass ich während des nächsten Rennens gegen die Absperrung krache.
Meine Panikgefühle sehe ich als Teil meiner Buße, weil ich mein Leben in vollen Zügen genieße, während meine Mutter leidet. Die ganze Scheiße, die ich ertragen muss, ist eine ständige Erinnerung an Mums sehr ähnliche Symptome. Chorea Huntington ist richtig hinterhältig und stiehlt ihr Jahr um Jahr immer mehr Augenblicke. Es macht sie krank und zerbrechlich. Meine Mutter, die immer für mich da war und die ich über alles liebe, erhält die schlimmste medizinische Diagnose, und trotzdem führe ich ein ausschweifendes Leben bei der F1. Angststörungen und Panikattacken wirken im Vergleich dazu harmlos.
Aber wie die Profis sagen: Eine Xanax am Morgen vertreibt Kummer und Sorgen.
Ich schlucke die Tablette und gehe dann aus meinem Zimmer, denn ich habe keine Lust mehr, meinen Gedanken nachzuhängen. Meine Schritte auf den Marmorböden hallen in den Fluren unseres luxuriösen Hauses wider. Die hellen Wände passen zu den sanften Farben, die Mum ausgesucht hat, und erschaffen einen einladenden Ort, den ich manchmal nur schwer wieder verlassen kann. Die vielen Hotelzimmer, in denen ich sonst lebe, reichen da nicht ran.
Meine Mum lächelt mich an, als ich die Küche betrete, die eigentlich für einen Chefkoch gebaut worden ist. »Wenn das nicht mein Lieblingssohn ist!«
»Ich bin dein einziges Kind und damit automatisch dein Lieblingssohn.« Ich gehe zu ihr, gebe ihr einen Kuss auf die Stirn und setze mich ihr gegenüber an den Tisch.
»Du musstest schon immer das letzte Wort haben, und Komplimente konntest du noch nie gut annehmen.« Mit zitternden Fingern zupft sie an ihren glatten blonden Strähnen.
Ich bin das liebevoll in die Welt gesetzte Produkt aus der schwedischen Herkunft meiner Mutter und den Schwarzen Londoner Genen meines Vaters. Früher haben die anderen Kinder mich »Mischling« genannt. Das war nicht schön, aber mittlerweile habe ich gelernt, dass meine vollen Lippen, die ich von meinem Vater geerbt habe, und meine braungrünen Augen, ein Gemeinschaftsprojekt meiner Eltern, bei Frauen richtig gut ankommen. Ganz zu schweigen von den weichen Locken, die ich momentan an den Seiten ganz kurz und auf dem Kopf ungezähmt trage.
»Bitte entschuldige. Wo sind bloß meine Manieren?«
»Wahrscheinlich auf dem Weg von Monaco hierher verloren gegangen. Von deiner Nacht im Casino redet Jackie immer noch.«
»Die Story hat ja sogar Prinz Harrys Trip nach Las Vegas überlebt. Damit bin ich dann vielleicht sogar der krassere Brite.« Ich wackle mit den Augenbrauen.
Das Dienstmädchen der Familie, Jackie, stellt mein Frühstück und eine Tasse Tee vor mir ab. »Nur weil deine Mutter dich wie ihren kleinen Prinzen behandelt, bist du noch lange kein Royal.«
»Autsch! Du wirst mir noch die Stiefel küssen, wenn ich erst zum Ritter geschlagen bin.« Ich zwinkere ihr zu.
»Von wem denn? Der Typ, der dir den Schampus an deinen VIP-Tisch bringt, zählt nicht.« Jackie verschränkt die Arme vor der Brust und lehnt sich gegen die Kücheninsel.
Meine Mutter lacht laut auf. »Musst du wirklich nächste Woche weg?«
»Du bist die Einzige, für die ich jemals in Erwägung ziehen würde, die F1 auch nur für zwei Sekunden aufzugeben.« Ich schüttle den Kopf über sie.
»Das ist immerhin eine Sekunde mehr als gestern. Stell dir bloß vor, ich könnte dich monatelang hierbehalten, dann würde ich dich schon noch weichkochen.« Meine Mutter hebt mit zitternden Fingern die Teetasse an ihre Lippen. Der Inhalt schwappt gefährlich hin und her, dann ergießt sich ungefähr die Hälfte des Tees auf ihre Hände und über ihr Kleid.
»Shit! Warte, ich helfe dir.« Mit meiner Stoffserviette tupfe ich den verschütteten Tee auf, wische ihr ein paar Tropfen von der blassen Haut.
»Wie peinlich!« Sie seufzt.
Beim Anblick ihres resignierten Gesichtsausdrucks zieht mein Herz sich schmerzhaft zusammen. Eine panische Welle erhebt sich in meiner Brust, das Brennen schmerzt bei jedem Atemzug in meiner Lunge. Xanax, du darfst jetzt jederzeit wirken.
Ich strahle eine Ruhe aus, die so gar nicht zu meinem beschleunigten Puls passt. »Was hat der Arzt gestern gesagt?«
Sie schenkt mir ein kaum merkliches Lächeln. »Du musst dir keine Sorgen um mich machen.«
»Mum …«
Sie verdreht genervt die Augen, setzt dann aber eine kecke Miene auf. »Okay, na schön. Er hat gesagt, wir können die neu aufgetretenen Symptome anhand meiner Stimmung und mit Bewegung in Schach halten. Aber alles in allem mache ich mich ganz gut. Sie haben große Hoffnungen.«
»Das sind also gute Nachrichten? Vielleicht ist es ja gar nicht so schlimm, wie sie denken.«
Ihre zitternde Hand legt sich an meine Wange. »Na ja, sie sagen, ich habe vielleicht doch noch ein paar Jahre mehr als angenommen.«
»Also um die fünfzehn Jahre bei uns, mehr oder weniger?« Ich hasse es, wie wacklig meine Stimme klingt.
»Sicher ist gar nichts. Ich wünschte, ich könnte dir mehr sagen, aber mehr weiß ich selbst nicht.« Ihr Lächeln flackert.
Ich schiebe meinen Teller beiseite, mir ist der Appetit vergangen. »Und hat er gesagt, was gegen den Tremor helfen könnte?«
»Wir können nur beobachten, wie schlimm es wird. Oh, und er sagte, um den Stress zu reduzieren, sollte mein Sohn nicht mehr so stur sein und …«
»Vergiss es.«
»Aber …«
»Die Antwort lautet nein.« Ich seufze. »Es tut mir leid. Ich will dich nicht enttäuschen, aber es hat keinen Sinn.« Unter dem Tisch zittern meine Hände.
»Versuchen muss ich es ja. Jedes Mal, wenn ich zum Arzt gehe, mache ich mir solche Sorgen um dich. Ich muss immer daran denken, was für ein Kummer auf dir lastet, und dann die Pillen, die du seit letztem Jahr nimmst. Benzodiazepine sind nicht gut für dich, also spiel das nicht herunter. Ich frage mich, ob das Zittern am …«
»Mum, bitte hör auf, dir Sorgen um mich zu machen.« Meine Stimme ist nur noch ein Flüstern. Shit, ich hasse es, wie sie mir zusetzen kann wie niemand anderes, doch ich muss hart bleiben. »Können wir dieses Thema bitte lassen? Lass uns einfach unsere letzte Woche genießen, bevor ich wieder wegmuss. Ich weiß nicht, wann ich das nächste Mal kommen kann, jetzt, da Liam weg ist und sich bei McCoy alles ändert.« Meine Stimme trieft nur so vor Verzweiflung, sie klingt rau und brüchig, und ich starre Mum mit weit aufgerissenen Augen an.
»Okay – fürs Erste. Aber nur, weil ich jedes Mal auf deinen Dackelblick reinfalle. Darum hattest du auch schon mit fünf Jahren vier Löcher in den Zähnen.«
»Ich war halt schon immer ein Charmeur.« Ich schenke ihr mein strahlendstes Lächeln und hoffe, damit all ihre Sorgen zu diesem Thema vertrieben zu haben.
»Glaub mir, ich habe deine Daily Mail-Schlagzeilen gesehen. Damit hast du mich bereits mehr als einmal fast dazu gebracht, mir die Augen auszustechen.«
Ich krümme mich innerlich. »Sorry, Mum.«
»Ich freue mich auf den Tag, an dem du endlich die richtige Frau kennenlernst und nachts nicht mehr durch die Clubs ziehst.«
Ich lache. »Kennenlernen und eine Beziehung eingehen sind zwei Paar Schuhe.«
»Bei deinem frechen Mundwerk, wer könnte dir da widerstehen?«
Jackie räumt meinen halb leeren Teller ab. »Jede Frau, die bei Verstand ist und nicht nur an das eine denkt.«
Mum unterdrückt ein Lachen. »Jackie, du bist wirklich furchtbar.«
»Ich sage es nur, wie es ist.« Jackie zuckt mit den Schultern und geht zur Spüle.
»Nachdem du mir jetzt schon den Appetit verdorben hast, kannst du deiner armen Mutter wenigstens mal eine Freude machen. Du weißt, was ich mehr als alles andere liebe.«
»Dad?«
Sie schnaubt. »Der war gut. Offenbar hast du deinen Humor doch von mir. Werter Herr, bitte geleiten Sie mich an unser Plätzchen.«
»Nur weil du es bist.« Ich stehe auf und halte ihr meine tätowierte Hand hin.
Sie stützt sich auf mich, während ich sie durchs Haus in das große Wohnzimmer führe. Der glänzende Flügel steht mitten im Raum. Nachdem ich sie in einem bequemen Sessel abgesetzt habe, lasse ich mich auf dem Klavierhocker nieder und sehe sie an.
Sie schlägt die Hände zusammen und lächelt. »Die beste Entscheidung, die ich als Mutter jemals getroffen habe, war, dich zum Musikunterricht zu zwingen.«
»Ach ja? Ausgerechnet das?«
»O ja. Dein Vater ist ja leider völlig unmusikalisch, also musstest du das lernen.«
Ich lächle und wende mich dem Flügel zu. Meine Finger streichen über die Elfenbeintasten, dann schlage ich die ersten Töne der Titelmelodie von Jurassic Park an.
Über die Musik höre ich meine Mutter sagen: »Es stört mich nicht mal, dass du nie die Klassiker spielen wolltest.«
»Einmal Rebell, immer Rebell.«
»Das musst du mir nicht sagen. Was glaubst du, wo du das herhast? Schließlich habe ich dir zum Einschlafen all die Geschichten erzählt, wie ich meine Familie verlassen habe, ohne es je zu bereuen.«
»Du warst aber auch Rebellin aus gutem Grund. Und das sind die allerbesten.«
»Vergiss das niemals.« Sie zwinkert mir zu. »Als Nächstes Clocks. Ich weiß, das liebst du auch.«
Ich verliere mich in der Musik. Wie durch ein Ventil lasse ich meine Gedanken austreten, die Sorgen meines Lebens mit den Klängen davontreiben.
Die Melodie ist schmerzlich schön und wird von der hohen Decke zurückgeworfen. Meine Mutter lächelt die ganze Zeit. Sie ist diesen ganzen Trip wert, auch wenn es mich jedes Mal innerlich zerreißt, wenn ich sehe, wie sie kämpfen muss.
Als ich die Tasten abdecke und Mum die Treppe ins Schlafzimmer meiner Eltern hinaufhelfe, kehrt das wahre Leben zurück. Ihre zittrigen Beine und der Gehstock in ihrer Hand entreißen mir die gute Laune, und mein Glück weicht der Verzweiflung.
An diesem Abend, nachdem meine Mutter in Tränen ausgebrochen ist, weil ihr beim Essen dreimal die Gabel heruntergefallen ist, schreibe ich ein paar alte Party-Freunde an. Und als sei nichts gewesen, wird meine üble Laune von Alkohol und schlechten Entscheidungen davongespült.
Elena
Bei der Pflege, die Ihre Großmutter braucht, bin ich mir einfach nicht sicher, dass man ihren Bedürfnissen hier auch gerecht wird. Sie sollte in ein Heim für Langzeitpatienten, wo sie dann auch bleiben kann. Aber ob das mit Ihrem Budget überhaupt möglich ist?« Der Arzt sieht von seinem Klemmbrett hoch.
Am Ende geht es doch immer nur um Geld.
Wie viel ich habe? Nehmt einen Euro, häckselt ihn und werft ihn in den Müll, das würde meinen Kontostand ziemlich adäquat wiedergeben.
Jeden hart verdienten Euro habe ich entweder für die Pflege meiner Großmutter oder für Rechnungen ausgegeben. Erwachsensein ist hart, Erwachsensein mit Schulden allerdings noch viel härter.
Abuela hat mich gewarnt, auf eine amerikanische Uni zu gehen, aber ich habe nicht auf sie gehört. Ich wollte den Wunsch meines Vaters erfüllen, dass ich eines Tages in den USA einen Abschluss machen würde, doch dann musste ich feststellen, dass Träume auf dem Papier besser aussehen. Was der amerikanische Traum hätte sein sollen, stellte sich als ein Dauerschleife-Albtraum aus hohen Zinsen und exzessiven Krediten heraus. Meine Güte, der Kredit, den ich für mein Studium aufgenommen habe, könnte ein kleines Land einen Monat lang ernähren.
Der Schmerz in meiner Brust vervielfacht sich, als ich meine Großmutter ansehe – die einzige Verbindung, die ich noch zu meinem Vater habe. Ich würde alles tun, damit sie glücklich und gesund ist, solange sie lebt.
Ihre glasigen Augen finden meine. »¿Marisol?«
»Sí. Estoy aquí.« Ich unterdrücke den bitteren Groll gegenüber abuela. Wenn man eine Verwandte mit Alzheimer hat, sehnt man sich plötzlich nach den ganz einfachen Dingen, zum Beispiel, nicht beim Namen der Mutter genannt zu werden. Bei dem Gedanken ballt sich eine dunkle Wolke über meinem Kopf zusammen, doch ich kämpfe gegen die Traurigkeit an, die sich bei der Erinnerung an meine Eltern in mir breitmachen will.
Obwohl ich es verabscheue, wie sehr es mich ärgert, wenn abuela mich mit meiner Mutter verwechselt, finde ich es wundervoll, dass ich nach ihr komme. Die Leute sagen, ich sehe ihr zum Verwechseln ähnlich, habe ihre Kurven, die natürlich gewellten dunklen Haare und die durchschnittliche Größe geerbt. Das Einzige, was mir von meinem Vater geblieben ist, sind meine braunen Augen und langen Wimpern. Abuela hat immer gesagt, ich hätte von beiden das Beste abbekommen.
Ich wende mich dem Arzt zu. »Wie viel mehr kosten diese Einrichtungen denn normalerweise?«
»Im Moment würden da etwa viertausend Euro monatlich auf Sie zukommen.«
Das Zimmer dreht sich, während ich seine Worte verarbeite. Das sind 48 000 Euro mehr im Jahr, die ich nicht habe. Da ich in einer kleinen Wohnung in Monaco hause, die etwa so groß wie ein Kinderschuhkarton ist, komme ich gerade so über die Runden.
»Sie kann noch einen Monat bei uns bleiben, während Sie sich um alles kümmern, aber Sie müssen wirklich ein anderes Heim für sie finden. Ihr Zustand hat sich leider rapide verschlechtert, und unser Personal ist für solche Fälle nicht geschult. Das Medikament hat nicht angeschlagen.«
Ich kämpfe gegen meine Tränen an. »Und Sie können nichts weiter tun? Keine anderen Medikamente, die Sie ausprobieren könnten?«
»In diesen Fällen nicht, nein. Es tut mir furchtbar leid, Miss Gonzalez. Ich empfehle Ihnen, die Zeit, die Ihnen noch mit ihr bleibt, zu genießen und ihr einen Ort zu suchen, wo für sie gesorgt wird, bis sie …«
»Gut.« Ich muss mir auf die Zunge beißen, um nichts zu sagen, was ich später bereuen könnte.
»Wenn es für Sie in Betracht kommt, nach Mexiko zurückzuziehen, dort wäre alles sehr viel günstiger. Mit Ihren begrenzten Mitteln könnten Sie dort sicher eine sehr schöne Einrichtung finden.«
»Ich behalt’s mal im Hinterkopf.«
Wenn das kein guter Plan ist: meinen Job aufgeben und in das Land zurückziehen, in dem meine Eltern ermordet wurden. Eine Zukunft, so strahlend wie die Apokalypse.
Der Arzt verabschiedet sich steif und geht, gibt mir und abuela etwas Privatsphäre.
»Nena, wie geht’s Eduardito?« Abuela packt mich mit ihrer zerbrechlichen Hand am Arm. Ihre Worte schneiden mir förmlich ins Herz.
»Gut. Er arbeitet viel.« Seit dreizehn Jahren arbeitet er nicht mehr, aber wer zählt schon die Jahre?
Sei nicht so verbittert, Elena.
»Warum siehst du so traurig aus? Sag ihm, er soll öfter zu Hause bleiben, bei dir und der kleinen Elena. Ich habe ihm schon so oft gesagt, er soll weniger arbeiten, aber er hört ja nicht auf mich. Er ist genauso stur wie sein Vater.«
Ich stoße lange den Atem aus, spiele weiter meine Mutter. Es hat keinen Sinn, abuela daran zu erinnern, dass ich nicht ihre Schwiegertochter bin und ihr Sohn tot ist. Beim letzten Mal ist sie in Tränen ausgebrochen und hat gedroht, die Mörder eigenhändig aus dem Weg zu räumen. Zwei Pflegerinnen und eine Spritze mit irgendetwas Starkem waren nötig, um sie zu beruhigen. An diesem Tag habe ich begriffen, dass ich mit meinem Schmerz wirklich ganz allein dastehe. Abuela kann mit der Wahrheit nicht umgehen, außerdem ist das sowieso alles egal. Die beiden Gangster, die sich den Respekt eines zwielichtigen Gangbosses verdienen wollten, indem sie einen Botschafter umlegten, sind gestorben, ohne jemals einen Gerichtssaal von innen gesehen zu haben. So funktioniert das in Mexiko nun mal. In diesem kaputten System aus Korruption und Tod ist die Suche nach Gerechtigkeit sinnlos.
Eine weitere quälende Stunde lang sehe ich mit abuela fern und esse mit ihr. Ehe ich mich verabschiede, gebe ich ihr einen Kuss auf die Wange. Sobald ich den Fuß vor die Tür setze, bestürmen mich sorgenvolle Gedanken, wie um Himmels willen ich die Einrichtung für sie zahlen soll. Ich weiß nicht, wie ich ihr helfen kann, ohne dass das mein eigener Untergang wäre.
Option 1: Abuela in meine Wohnung verfrachten und mich 24/7 selbst um sie kümmern, während ich nebenbei von meinem Büro/Schlafzimmer aus arbeite.
Option 2: Nach Mexiko aka in die Vorhölle zurückkehren.
Option 3: Stripperin werden, obwohl ich mit zwei linken Füßen und ziemlichem Lampenfieber auf die Welt gekommen bin.
Die Idee, nach Mexiko zurückzuziehen, verwerfe ich sofort. Diese Option ist nicht nur Gift für meine mentale Gesundheit, sondern auch für meinen Job, beides bestärkt mich in meiner Entscheidung dagegen. Abuela braucht meine Hilfe, und deshalb muss ich meinen Job auf dieser Seite der Hemisphäre behalten. Ich habe Jahre damit verbracht, mir ein Netzwerk in Europa und der F1-Welt aufzubauen, und das werde ich jetzt nicht einfach so aufgeben. Mithilfe von Elías und den Connections zu den Rennställen habe ich mir ein kleines Business aufgebaut, in dem ich Athleten vertrete.
Gibt es größere PR-Agenturen, die meinen Job übernehmen könnten? Natürlich.
Gibt es Unternehmen, die wirklich alles geben, um ihren Kunden zu helfen, ganz egal zu welcher Zeit und in welcher Lage? Selbstredend.
Aber diese Unternehmen können eben nicht dieselbe Sorgfalt an den Tag legen wie ich. Ich nehme immer nur ein paar Kunden auf einmal an, baue ihnen eine Social-Media-Präsenz auf und lasse sie im bestmöglichen Licht erscheinen, alles nach einem personalisierten Plan. Mit Elías’ Empfehlungen konnte ich mir einen stabilen und treuen Kundenstamm aufbauen. Das ist natürlich nichts im Vergleich zu einer großen PR-Agentur, doch ich bin meine eigene Chefin. Ich habe mir mein Business ganz allein aufgebaut und werde dem kein Ende setzen, indem ich nach Mexiko zurückgehe. Das kommt mir vor, als würde ich aufgeben, und papi hat mir beigebracht, niemals aufzugeben, ganz egal, wie hart es wird.
Ich mache mich auf den Heimweg zu meinem Wohnklo, das wahrscheinlich in einem Jahr wegen baulicher Mängel abgerissen wird. Normalerweise bin ich hart im Nehmen, aber einen Abend kann ich mir wohl gönnen, um mich in Selbstmitleid zu suhlen.
Ich erwäge, Elías anzurufen, entscheide mich jedoch dagegen, denn er ist momentan sehr mit den Vorbereitungen für die nächste F1-Saison beschäftigt. Selbst mein bester Freund kann mir nicht aus diesem Schlamassel helfen. Wenn ich Elías von meinen finanziellen Sorgen erzähle, bietet er mir jedes Mal Geld an. Und obwohl ich stets ablehne, tut er, was er kann, und stellt immer wieder Verbindungen zu weiteren F1-Rennställen her, die jemanden für ihre PR brauchen. Die empfehlen mich dann weiter, womit ich mir im Laufe der Zeit einen Namen als Imageretterin gemacht habe.
Letztes Jahr hatte ich meinen bisher größten Erfolg, nachdem einer meiner neuen Kunden mich an McCoy weiterempfahl, ein legendäres F1-Team. Ich sollte Liam Zander, einem der Topfahrer, mit seinem öffentlichen Ruf helfen. Und obwohl dieser Auftrag ein echtes Highlight war, hatte er leider auch ein Verfallsdatum, als Liam das Team wechselte.
Zu schnell bin ich zu Hause angekommen. Ich steige die wackligen Stufen hinauf und betrete mein Apartment. Meine Trübsal will sich nicht verflüchtigen, also überspringe ich das Abendessen, gehe duschen und lasse mich direkt ins Bett fallen. Da ich das Notwendige nicht länger aufschieben kann, nehme ich mein Smartphone in die Hand und verschaffe mir einen erneuten Überblick über meinen Kontostand.
Nicht einmal eine Minute später ist mir klar, dass ich echt geliefert bin. Ich werfe das Handy ans Fußende meines Bettes, während die pure Hoffnungslosigkeit meine letzten positiven Gedanken überwältigt. »Gott, ich weiß, in letzter Zeit haben wir uns nicht sonderlich gut verstanden, aber wenn du mir jetzt irgendwie helfen könntest, wäre ich dir auf ewig dankbar. Und mal ehrlich, ein bis drei Wunder wären auch nicht schlecht. Ich finde, ich habe meine Schuldigkeit bereits getan«, flüstere ich der Decke entgegen.
In meinem Kopf pocht es, während ich mich in mein Schicksal ergebe. Ich fühle mit meiner abuela und betraure den Verlust ihrer Erinnerungen. Ein weiteres Jahr, eine weitere fehlgeschlagene Behandlung. Die letzte Verbindung zu meinem alten Leben rinnt mir durch die Finger, und ich kann nichts dagegen tun. Abuela wird niemals meine Kinder kennenlernen, sich wahrscheinlich nicht einmal an mich erinnern. Die Trauer umhüllt mich wie ein Mantel.
Ich hasse es, wenn die Traurigkeit herankriecht wie dunkler Nebel, der mir mein ganzes Glück stiehlt. Dann schlägt dieses Gefühl seine unsichtbaren Klauen in mich, hält mich gefangen. Das passiert nicht oft, aber wenn, dann steht plötzlich mein ganzes Leben kopf.
Das Brummen meines Handys bricht in meine Gedanken. Ich strecke mich, um es vom anderen Ende des Bettes zu fischen. Eine unbekannte Nummer erscheint auf dem Bildschirm, und ich gehe ohne Zögern dran. »Hallo?«
»Hi, spricht da Elena Gonzalez?«, begrüßt mich eine männliche Stimme.
»Ja, genau.« Meine Stimme bricht.
»Super! Mein Name ist Connor McCoy. Ich habe Ihre Nummer, weil Sie letztes Jahr für Peter McCoy gearbeitet haben. Ich weiß nicht, ob Sie darüber im Bilde sind, aber er wurde auf unbestimmte Zeit beurlaubt, deshalb habe ich jetzt seine Stelle übernommen. Ich weiß, die Saison ist schon fast angelaufen, aber ich brauche Ihre Hilfe bei einem PR-Projekt.«
»Bei welchem denn?« Mit aller Kraft zwinge ich meine Stimme zur Ruhe, denn ich will auf keinen Fall zu verzweifelt klingen.
McCoy hat nur zwei Fahrer. Elías, der neu im Team ist, nachdem Liam nach der letzten Saison gegangen ist, und den anderen … tja … damit weiß ich wohl genug.
»Wir möchten Sie für einen privaten Auftrag engagieren. Das wird sehr zeitaufwendig, außerdem müssten Sie einen Ausschließlichkeitsvertrag und eine Geheimhaltungsvereinbarung unterzeichnen.«
»Und die Rahmenbedingungen?« Ich bleibe gelassen, obwohl es in meinem Körper vor Aufregung summt. In meiner derzeitigen Lage … Solange ich mich nicht ausziehen muss, bin ich bei allem dabei.
Wobei – selbst das klingt verlockend, nachdem ich meinen Kontostand gesehen habe.
»Wir zahlen Ihnen achttausend Euro im Monat, begrenzt auf zehn Monate, beginnend im März dieses Jahres. Plus zwanzigtausend Euro Bonus, wenn Sie bis zum finalen Grand Prix in der ersten Dezemberwoche Erfolg haben.« Der zweite Satz klingt ein wenig wie ein Gebet. »Wir wollen, dass Sie mit Jax Kingston arbeiten, und zwar ausschließlich. Sie müssten ihn im Auge behalten und dafür sorgen, dass er in den Medien positiv dargestellt wird.«
Einhunderttausend Euro? Für so viel Geld würde ich so ziemlich alles tun.
»Ich habe ein paar kleinere Projekte, die ich noch abschließen muss. Wenn das für Sie kein Problem ist, dann stehe ich zu Ihrer vollen Verfügung.«
Wir besprechen die wichtigsten Vertragspunkte, und Connor listet meine Aufgaben im Laufe der Saison auf. Sein Plan ist klug und gut durchdacht. Ohne viel Bangen stimme ich zu, schließlich weiß ich, dass ich der Antwort auf mein Gebet nicht widerstehen kann.
Nicht alle Helden tragen ein Cape. Wie sich herausstellt, gibt es auch welche mit coolen Tattoos und einem McCoy-Rennfahreranzug.
Jax
Als ich sieben Jahre alt war, hat mein Dad mich vor einen Boxsack gestellt, nachdem ich auf dem Podium nach einem Kartrennen einem anderen Kind eins übergezogen hatte. Ich war wütend auf das kleine Arschloch, das sich über die Beziehung meiner Eltern lustig gemacht hatte. An diesem Tag hat mein Dad mir fest in die Augen gesehen und mir eingeschärft, ich müsse meine Dämonen vertreiben. Unglücklicherweise und trotz all seiner Mühen sieht es wohl eher so aus, als sei ich neben ihnen hergerannt.
Dämonen gibt es in allen Formen und Farben. Wut. Angst. Abneigung gegenüber der Zukunft. Meine Dämonen verleiten mich dazu, mich ans Xanax zu verlieren, für ein Minimum an Seelenfrieden. Ich bin nicht tablettensüchtig. Wirklich nicht. Aber ich bin süchtig nach der flüchtigen Erleichterung, die das Xanax mir verschafft.
Den Himmel stelle ich mir in etwa so vor wie meinen Kopf, nachdem die Pillen wirken – still, ruhig und viel weniger düster.
Es war nicht vorgesehen, dass mein Leben in diesem Jahr eine so drastische Wendung nimmt. Während Mums Zustand sich immer weiter verschlechtert und Dad immer verzweifelter wird, weil er ihr irgendwie helfen will, werde auch ich immer labiler. Wenn es richtig hart wird, gebe ich meinen Lastern nach. Denn wenn ich das nicht tue, kommen die Ängste und überrollen mich wie ein Güterzug, wenn ich es am wenigsten erwarte.
Rennfahren sorgt dafür, dass ich nicht den Verstand verliere. Manche glauben ja nicht an Liebe auf den ersten Blick, aber bei mir war es so. Ich habe mich ins Adrenalin verliebt – eine fiese Geliebte, die mich genauso schnell wieder verlässt, wie sie zu mir kommt. Ich jage ihr nach, auf jede erdenkliche Weise. Ich trinke, ich fahre, ich ficke – sämtliche Adrenalin ausschüttende Tätigkeiten, um die Anspannung in meinem Innern einzudämmen.
»Du hast wirklich großen Mist gebaut.« Connor McCoy sitzt mir in seiner ganzen Pracht gegenüber. Statt mich vor Saisonstart in Melbourne auszutoben, darf ich meinen Hintern stattdessen in einem Konferenzraum parken.
»Ich habe einfach Scheiße gebaut. Du weißt es, ich weiß es, sogar Elías, mein neuer Teamkollege, weiß das.«
»Nein, das war besorgniserregend. Scheiße …« Connor schließt kurz die Augen und zwickt sich in die Nasenwurzel. »Bitte missbrauch nicht mein Vertrauen und zwing mich nicht dazu, eine andere Lösung für deine Ängste zu finden.« Sein britischer Akzent klingt ungewohnt scharf.
»Es wird nicht noch einmal passieren, das war mir eine Lektion. Die Pillen vertragen sich nicht mit Alkohol, ganz egal, was die ganzen Rapper behaupten.« Über mögliche Nebenwirkungen hatte ich gar nicht nachgedacht, weil ich Xanax als neuestes Heilmittel gegen meine Ängste erst kürzlich entdeckt habe.
Connors Kinn zuckt. »Hör schon auf. Es gab Videos von dir, wie du auf Tischen tanzt, du hast dich wie ein Wilder aufgeführt und bist dann neben einem Pissoir ohnmächtig geworden.«
Nur mit Mühe kann ich verhindern, dass ich mich vor Scham zusammenkrümme. »Ich muss leider zugeben, dass ich in den frühen Morgenstunden kein Mann von viel Klasse und Ehre bin.«
»Deine Performance könnte echt mit einer Reality Show auf Bravo mithalten.«
Mir klappt in gespieltem Entsetzen die Kinnlade herunter. »Jetzt bin ich aber beleidigt. Im Gegensatz zu diesen Sendungen hat mein Leben eine spannende Handlung.«
Connors düsterer Gesichtsausdruck weist mich in die Schranken. »Nimm das bitte ernst. Ich verstehe ja, warum du aufgebracht bist. Das mit deiner Mum tut mir leid. Meine Mum war letzte Woche bei ihr und hat mir erzählt, dass es nicht der schönste Besuch war.«
»Hör auf. Wir sprechen hier nicht über sie«, fauche ich.
Connors Mum soll gefälligst keine Geschichten über meine verbreiten. Man sollte denken, bei einer so großen Stadt wie London würden die Reichen doch bitte alle brav in ihren Villen bleiben. Aber nein, Connors Mum trifft meine Mum jede Woche bei einem schmutzigen Lesezirkel.
»Na schön. Wie wäre es, wenn du stattdessen dein öffentliches Bild überdenkst? Kinder schauen zu dir auf, verdammt noch mal! Was du da abziehst, ist deiner Karriere nicht unbedingt förderlich. Nicht nur Fans, sondern auch Sponsoren stellen deine Widerstandsfähigkeit infrage.«
»Dann hast du wohl Glück, dass mein Vertrag in einem Jahr ausläuft.«
Connor zupft an seinen blonden Haaren herum. »Nein. Du hast Glück, dass ich dich mag, obwohl du dich wie ein Vollarsch aufführst. Zumindest mag ich dich genug, um dich vor dem Vorstand und den Sponsoren zu verteidigen, die mich ohnehin nicht gerade vergöttern. Ich weigere mich, diesen faulen Säcken zu geben, was sie wollen, also reiß dich gefälligst zusammen! Da Liam jetzt weg ist, bist du unsere einzige Hoffnung auf einen Platz auf dem Podium.«
»Ich werde versuchen, mich zu bessern, wirklich.« Tatsächlich bereue ich, was ich getan habe. Connor hätte sich vor dem Vorstand nicht für mich auf die Hinterbeine stellen müssen, aber er hat es mir zuliebe getan. Und dafür bin ich dankbar.
»Ich will sicher sein, dass ich mich auch klar ausgedrückt habe.« Connors starrer Blick hat nicht dieselbe Durchschlagskraft wie der seines Vorgängers Peter. Aber zumindest ist er ein durch und durch positiver Mensch, weit weniger höhnisch und lässt mir außerdem so manches durchgehen.
»Ja, ich hab’s kapiert. Letzte Woche ist mir einfach meine Urteilskraft ein wenig abhandengekommen.« Schuldgefühle machen sich tief in meiner verdammten Brust breit, schnüren sich um meine Lunge zusammen wie eine Boa constrictor.
»Ich würde eher sagen, es war eine schwere Woche für deine Familie, und du hast sie zufällig aus nächster Nähe erlebt. Aber so wie es um deine Mum und um deine Unvorhersehbarkeit steht, kann ich das Risiko einfach nicht eingehen, dass so etwas während der Saison noch einmal passiert. Die Presse behauptet schon, du befindest dich im freien Fall, und das können wir nicht hinnehmen.«
»Ich werde mich bessern und keine Fehler mehr machen. Für mich ist das Glas halb voll.«
Letzte Woche war gelinde gesagt hart. Die Tortur, still dazusitzen, während Mum sich durch ihre ganz persönliche kämpft, habe ich mit Alkohol bekämpft. Der Tremor. Stimmungsschwankungen. Das ganze Spektrum ihrer Symptome hat unserer gemeinsamen Woche einen ziemlichen Dämpfer verpasst.
Connor funkelt mich an. »Ich mein’s ernst. Du weißt schon, dass es noch andere, bessere Möglichkeiten gibt, solche Angstsymptome in den Griff zu kriegen, oder?«
»Dann erzähl mal, wie sagt man, dass es einem egal ist, weil es eh keinen Sinn hat?«
»Ich sehe da durchaus einen Sinn, deshalb habe ich das Problem selbst in die Hand genommen. Ich bin jetzt dein netter Patenonkel, der dir dein kleines Happy End beschert.«
»Mir wäre Al Pacinos Version lieber als das Disneymärchen.«
»Dann mach dich auf mein Angebot gefasst, das du – im wahrsten Sinne des Wortes – nicht ablehnen kannst.«
Ich klatsche möglichst sarkastisch und langsam in die Hände. »Großartig! Ich bin ja so was von gespannt auf deinen Masterplan.«
»Da ich immer noch die ganze Scheiße, die Peter hinterlassen hat, aufarbeiten muss, habe ich jemand ganz Besonderes beauftragt. Ich dachte, ein PR-Profi würde dir guttun.«
Ich fluche leise und lasse den Kopf kurz gegen die Rückenlehne fallen. PR-Leute sind die Pest, sie bereiten einem nur Kopfschmerzen und Schuldgefühle.
Connor sieht mich mitfühlend an. »Die Sache mit deiner Mum werde ich nicht an die PR-Abteilung weitergeben, meine Mum würde mich umbringen. Aber dein Alkoholkonsum und die Partyeskapaden lege ich offen auf den Tisch. Wann immer du den Drang verspürst, dich mal wieder wie ein Arschloch aufzuführen, denk einfach an das Team und deine Chancen, dieses Jahr den Titel zu holen. Willst du die wirklich aufs Spiel setzen?«
»Nein, will ich nicht.« Ich atme tief durch, als sich die Tür öffnet und eine junge Frau erscheint.
Whiskeyfarbene Augen starren mich an, von dichten Wimpern umkränzt. Ihre schmale Nasenspitze neigt sich leicht nach unten, dann fällt mein Blick auf ihre vollen Lippen. Wie von einer Biene gestochen, aber das Bild reicht eigentlich nicht aus. Eher direkt in ein Wespennest gerannt, und ihre Lippen haben dann wohl den Kampf verloren, Ober- und Unterlippe in etwa gleich groß. Welliges, dunkles Haar fällt ihr über die Schultern, endet knapp über ihren Brüsten und streicht über ihre Seidenbluse. Sie trägt ein sehr körperbetontes Outfit, ihre Kurven sind unübersehbar und betteln geradezu darum, dass ich mich wie vor einem Schrein davor niederknie.
Elena ist wirklich voll mein Typ. Hüften, die meine Hände packen wollen, ein Po, den ich betrachten will, während ich sie von hinten nehme, und Titten, die ich gern mal mit Küssen bedecken würde. Aber bei ihr kann ich einfach nicht mit dem Schwanz denken.
Irgendwie schaffe ich es, nicht zu ächzen, während ich den Kopf von der Stuhllehne löse. »Elena, was für ein Zufall!«
»Hallo, Jax. Lange nicht gesehen.« Sie setzt sich mir gegenüber und streckt mir ihre kleine Hand entgegen, die ich mit meiner tätowierten packe. Als die falschen schwarz-weißen Knochen darauf ihre Finger umfassen und ich einmal fest zudrücke, durchfährt mich ein vertrautes Summen. Heißes, brennendes Verlangen lässt mich ihre Hand noch ein bisschen fester drücken, während mein Schwanz ihre Gegenwart registriert. Ich runzle die Stirn. Mir gefällt nicht, dass diese eine Berührung mich derart aus der Bahn wirft.
Als ich Elena das letzte Mal gesehen habe, hat Liam verkündet, dass er McCoy verlassen würde, nachdem er bei der Weltmeisterschaft den zweiten Platz belegt hatte. Danach dachte ich, ich wäre sie endlich los. Doch wie es sich für den Volltrottel gehört, der ich in letzter Zeit bin, lag ich damit wohl sehr falsch.
Ich bin nicht gern länger in ihrer Gegenwart als unbedingt nötig. Elena hat so eine Art an sich, wenn sie mich ansieht, als wüsste sie, dass mit mir etwas nicht stimmt. Als wollte sie mich sehen. Nicht den Typen, der jede Woche auf einem Podium steht. Nicht den Mann mit den zig Tattoos, der zwar auf dicke Hose macht, trotzdem aber immer wieder von den eigenen schlechten Entscheidungen in die Knie gezwungen wird. Und ganz sicher nicht den Typen, der sich durch die Betten vögelt, um die Leere in seinem Leben zu füllen, die er jeden Tag spürt.
Und wenn ich in den letzten Jahren, in denen ich meiner Mutter bei ihrem Kampf zusehen musste, eines gelernt habe, dann Folgendes: Ich kann es mir nicht leisten, dass jemand von meinen Geheimnissen erfährt. Doch ehrlich gesagt könnte Elena sich ohnehin kein Stückchen meiner Gedankenwelt leisten, selbst wenn sie dreimal in Folge im Lotto gewinnt.
Connor schlägt die Hände zusammen. »Ich habe Elena angerufen, nachdem ich gehört habe, dass sie letztes Jahr mit dir und Liam zusammengearbeitet hat. Ich dachte, es wäre besser, jemanden zu beauftragen, den du schon kennst.«
Wohl eher eine, die ich ficken will, aber gut, stets bemüht. »Lange nicht gesehen. Hattest du einen schönen Urlaub in der Hölle?«
»Ich soll dir vom Teufel ausrichten, du sollst ihn mal wieder besuchen. Er meint, er hätte auch ein hübsches Plätzchen für dich ausgesucht.« Ihr Akzent lullt die Wörter in einen melodischen Rhythmus ein, der mich in seinen Bann zieht.
»Nur wenn ich dich mit runternehmen kann. Schließlich brauche ich dort einen versierten Tourguide.«
Connor klatscht noch einmal in die Hände und lächelt uns nacheinander an. »Schön, dass ihr beiden euch so gut versteht, denn immerhin wird Elena in dieser Saison dein größter Fan sein.«
Mein Blick huscht von Connor zu Elena. »Ich hoffe wirklich, das bedeutet nicht das, wonach es klingt.«
Elena lacht über meinen schroffen Ton, ihre Augen glänzen noch ein wenig heller im Lampenlicht.
Connor reicht Elena einen F1-Exklusivzugang-Ausweis. »Elena wird dir dabei helfen, dein Image aufzupolieren. Während der Saison wird sie dich überallhin begleiten, damit nichts passiert.«
Meine Kiefermuskeln werden steinhart. »Und was soll das bitte heißen?«
»Elena hat einen Vertrag unterschrieben, dass sie bei dir wohnen und dafür Sorge tragen wird, dass du jederzeit die Interessen von McCoy vertrittst. Wir werden für all ihre Kosten aufkommen, damit sie sich voll und ganz darauf konzentrieren kann, dir zu helfen. Außerdem wird sie auch während der Sommerpause an deiner Seite sein, wo auch immer du dann sein wirst. Nachdem die letzte Woche alles andere als gut gelaufen ist, halte ich es für das Beste, wenn du die ganze Saison über beaufsichtigt wirst, auch während der Pause.«
Nicht genug, dass ich überhaupt Zeit mit diesem heißen Drachen verbringen muss, jetzt soll ich auch noch mit ihr zusammenleben? Verdammte Scheiße! So mieses Karma habe ich doch nun auch wieder nicht verdient.
»Das soll wohl ein Witz sein. Ich habe nirgendwo unterschrieben, dass ihr mir eine Eisenkugel ans Bein binden dürft«, knurre ich beinahe.
»Und ich habe nirgendwo unterschrieben, dass ich einen Fahrer will, der so viele Schrauben locker hat, dass er bei IKEA als Ersatzteilautomat arbeiten könnte.« Connor wirft mir einen aufgebrachten Blick zu.
»Und was erwartest du von uns? Dass wir Pizza bestellen und zusammen Filme gucken?«
Connors Blick gleitet von mir zu Elena, dann schenkt er ihr ein herzliches Lächeln. »Ignorier seine üble Laune einfach. Er wird sich schon an deine Gegenwart gewöhnen.« Ganz sicher nicht. »Ich denke mal, fürs Erste haben wir alles geklärt, aber schreib mir einfach, wenn es irgendwelche Fragen gibt.« Er sieht mich an und formt ein stummes Benimm dich mit den Lippen, dann steht er auf und geht aus dem Zimmer.
»Tja, du hast genau so reagiert, wie ich es erwartet habe.« Sie schlägt die Beine übereinander und lenkt dadurch meinen Blick darauf. Ihre Jeans schmiegt sich eng an ihren Körper und betont alles, was ich dringend ausblenden muss.
»Sieht so aus, als hätte man dich von der PR-Tante zur Promi-Babysitterin befördert. Klingt schon ein bisschen heiß. Hast du Lust auf Rollenspiele?«
Sie trommelt mit den manikürten Fingern auf ihrem Knie herum. »Nur wenn du versprichst, um zehn im Bett zu sein.«
»Das lässt sich einrichten – nach einem guten Fick.«
Eine leichte Röte steigt ihr in die Wangen, während mein Blick über ihren Oberkörper gleitet. Ich setze mich etwas aufrechter hin, genieße den Kick, den mir ihr prüfender Blick gibt. Anders als bei ihr fließt das Blut aus meinem Kopf in eine andere Körperregion. Die viel spaßbringendere, die Elena gern mal unter ganz anderen Umständen die Röte ins Gesicht treiben würde.
Ihre Augen werden schmal. »Kannst du nicht bei irgendeiner Netflix-Serie einschlafen wie alle anderen auch?«
»Aber das ist ja völlig witzlos.«
»Apropos, ich habe ein paar Regeln aufgestellt, da wir ja jetzt zusammenwohnen werden.« Sie wirft sich die Haare über die Schulter und weicht meinem Blick aus.
»War ja klar.«
Sie zieht ein iPad aus ihrer Handtasche, ohne zu bemerken, wie sehr ich auf sie abfahre. So sehr, dass meine Jeans bereits unbequem eng wird und mein Atem etwas schwerer geht. »Du hast gerade mal drei Monate ohne meine Hilfe durchgehalten. Ich habe mir deine Social-Media-Kanäle angesehen, und es sieht so aus, als hätten wir ganz schön viel Arbeit vor uns. Aber da dein Image schon ganz in den Keller gerauscht ist, kann es ja nur noch bergauf gehen.«
»Und was genau bedeutet das? Willst du meine Fake-Freundin spielen? Super Story.«
Sie verdreht die Augen. »Nicht einmal eine Freundin könnte deinen Ruf noch retten. Ich habe verschiedene öffentliche Auftritte geplant, um dich so vorbildlich darzustellen, dass du einem Disney-Channel-Star den Rang ablaufen könntest.«
Ich ziehe die Augenbrauen hoch. »Vor den Drogen und dem Alkohol?«
Elena lacht. Und ich hasse es, wie das klingt – weich, sorgenfrei, unbefleckt von Leid. Während ich mit verborgener Abgestumpftheit und Pessimismus ringe, strahlt sie nur so vor Hoffnung und Wärme. Ich hätte nicht übel Lust, zu sehen, wie lange es wohl dauert, ihre schillernd positive Seifenblase zum Platzen zu bringen.
»Klar. Aber bevor wir anfangen, musst du mir erst noch erzählen, was während deines One-Night-Stands mit diesem Pissoir abgegangen ist.«
Mir entfährt ein kehliges Lachen. Das Geräusch klingt fremd in meinen Ohren, vor allem nach meiner Woche in der Hölle. »Na ja, wenn ein Mann und eine Frau sich wirklich sehr liebhaben …«
Sie wirft einen Stift nach mir. Er prallt an meiner Brust ab und rollt über den Tisch zurück auf sie zu.
Ich streiche mir über die Brust. »Gewalt ist keine Lösung.«
»Sagt der Mann, der erst vor Kurzem die Kamera eines Paparazzos zerstört hat, die zweitausend Euro wert war.«
»Okay, dann eben: Gewalt ist meistens keine Lösung, aber bei den rassistischen Untertönen dieses Typs ist bei mir halt eine Sicherung durchgebrannt. Hey, aus PR-Perspektive: Immerhin habe ich die neue bezahlt.«
»Ihm eintausend Euro ins Gesicht zu werfen, gilt nicht.«
»Und trotzdem hat er sich schneller gebückt als mein letzter Fick, um alles aufzuklauben.«
Sie sieht mich finster an. »Also? Die Club-Geschichte?«...Ende der Leseprobe