Love Unwritten – Lakefront Billionaires - Lauren Asher - E-Book

Love Unwritten – Lakefront Billionaires E-Book

Lauren Asher

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Beschreibung

Vierzehn Tage. Ein Traumurlaub. Zwei Herzen, die sich nicht suchen. Aber finden?

Milliardär Rafael Lopez und Kindermädchen Ellie Sinclair verbindet nur eines: Rafaels Sohn. Im Alltag gehen sich der Workaholic und die erfolglose Songwriterin seit acht Monaten aus dem Weg, doch ein gemeinsamer Urlaub ändert alles. Notgedrungen verbringen sie Zeit miteinander und können dabei ihre schon lange unter der Oberfläche brodelnden Gefühle kaum noch unterdrücken. Doch obwohl Ellie Rafaels Aufmerksamkeit genießt, kann sie nicht aus ihrer Haut. Eine Beziehung mit ihrem Boss ist undenkbar! Und nach seiner schmerzhaften Scheidung hat Rafael sich geschworen, sein Herz um jeden Preis zu schützen. Auch wenn das bedeutet, Ellies zu brechen? Klar ist: Gute Vorsätze sind schwer zu halten, wenn Gefühle im Spiel sind ...

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Das Buch

Milliardär Rafael Lopez und Kindermädchen Ellie Sinclair verbindet nur eines: Rafaels Sohn. Im Alltag gehen sich der Workaholic und die erfolglose Songwriterin seit acht Monaten aus dem Weg, doch ein gemeinsamer Urlaub ändert alles. Notgedrungen verbringen sie Zeit miteinander und können dabei ihre schon lange unter der Oberfläche brodelnden Gefühle kaum noch unterdrücken. Doch obwohl Ellie Rafaels Aufmerksamkeit genießt, kann sie nicht aus ihrer Haut. Eine Beziehung mit ihrem Boss ist undenkbar! Und nach seiner schmerzhaften Scheidung hat Rafael sich geschworen, sein Herz um jeden Preis zu schützen. Auch wenn das bedeutet, Ellies zu brechen? Klar ist: Gute Vorsätze sind schwer zu halten, wenn Gefühle im Spiel sind …

Die Autorin

Lauren Asher hat eine überbordende Fantasie und verbringt ihre Freizeit mit Lesen und Schreiben. Ihr Traum ist es, an all die Orte zu reisen, über die sie schreibt. Sie genießt es, Figuren mit Ecken und Kanten zu erschaffen, die man einfach lieben muss. Wenn sie nicht gerade schreibt, durchforstet Lauren YouTube, schaut alte Episoden von »Parks & Recreation« und sucht nach neuen Restaurants auf Yelp. Sie arbeitet am liebsten direkt nach ihrem Morgenkaffee und würde nie ein Nickerchen verweigern.

Lieferbare Titel

Dreamland Billionaires – The Fine Print

Dreamland Billionaires – Terms and Conditions

Dreamland Billionaires – Final Offer

Love Redesigned – Lakefront Billionaires

LAUREN ASHER

LAKEFRONT BILLIONAIRES

BAND 2

ROMAN

Aus dem Amerikanischen von Bettina Hengesbach

WILHELMHEYNEVERLAGMÜNCHEN

Die Originalausgabe LOVEUNWRITTEN erschien erstmals 2024 bei Bloom Books, USA.

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.

Der Verlag behält sich die Verwertung der urheberrechtlich geschützten Inhalte dieses Werkes für Zwecke des Text- und Data-Minings nach § 44b UrhG ausdrücklich vor. Jegliche unbefugte Nutzung ist hiermit ausgeschlossen.

Deutsche Erstausgabe 08/2024

Copyright © 2024. LOVEUNWRITTEN by Lauren Asher

The moral rights of the author have been asserted.

Copyright © 2024 der deutschsprachigen Ausgabe by Wilhelm Heyne Verlag, München, in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH, Neumarkter Str. 28, 81673 München

Redaktion: Melike Karamustafa

Umschlaggestaltung: zero-media.net nach dem Originalcoverdesign von Books and Moods

Satz: satz-bau Leingärtner, Nabburg

ISBN 978-3-641-31640-2V001

www.heyne.de

Diese Liebesgeschichte enthält explizite Inhalte und potenziell triggernde Themen. Für eine detailliertere Liste mit Content Warnings scannt den QR-Code oder besucht:

https://laurenasher.com/love-unwritten-content-warnings

Für alle, die sich gebrochen fühlen.

Ich hoffe, ihr findet jemanden, der eure Narben bewundert und als das betrachtet, was sie sind: Zeichen eures Kampfes und ein Beweis für eure Stärke.

Kapitel eins

Ellie

Unglaublich.« Da ich mich offenbar gern selbst quäle, scrolle ich auf meinem Computer weiter durch den Artikel und ignoriere die Tatsache, dass sich mein Magen mit jeder Zeile heftiger zusammenzieht.

America’s Sweetheart und weltbekannter Folk-Popstar Ava Rhodes soll Angaben zufolge diesen Sommer ihr zweites Album bei MIA Records veröffentlichen. Darius Larkin vom Label hat sie entdeckt, als sie bei einem Open-Mic-Abend in einer Bar in Los Angeles ein Cover von Lies and Stolen Lullabies sang. Noch im gleichen Jahr veröffentlichte Ava ihr hochgelobtes Debütalbum Looking Glass, das ihr zum Durchbruch verhalf und einen Grammy einbrachte.

Im weiteren Verlauf des Artikels wird Avas Weg zum Ruhm detaillierter beschrieben. Album of the Year war die Kategorie, in der sie gewonnen hat – mit einem Album, an dem ich mitgeschrieben habe, obwohl das niemand weiß, da mein Name nirgendwo erwähnt wird.

Dank des unsichtbaren Dolches, den Ava mir vor einem Jahr in den Rücken gerammt hat, kehrt der dumpfe Schmerz in meiner Brust zurück.

»Alles okay?«

Als ich aufschaue, stelle ich fest, dass mich ein Paar dunkelbraune Augen eingehend mustert. Die Farbe und die vollen Untertöne mögen warm und freundlich wirken, der Mann, dem die Augen gehören, ist jedoch das genaue Gegenteil.

Nachdem ich nun schon seit acht Monaten als Nanny für Rafael Lopez’ Sohn arbeite, sollte man meinen, ich hätte mich an diesen einschüchternden Blick gewöhnt, aber er hat immer noch dieselbe Macht über mich wie bei unserer ersten Begegnung. Objektiv betrachtet sieht mein Boss gut aus. Er hat ein Gesicht, das einem Zeitschriftencover entsprungen sein könnte, eine tiefe Stimme, die von ruhiger Autorität zeugt, und er ist groß und muskulös genug, um mich – das hochgewachsene Mädchen aus dem Ort – klein und zierlich wirken zu lassen.

Heißer Single-Dad mit mehr emotionalem Gepäck als London Heathrow kurz vor Weihnachten? Check.

Brillanter Tech-Milliardär, der mit seinem Cousin Dwelling, die beliebteste Immobilien-App auf dem Markt, entwickelt hat? Check.

Peinlich klischeehaft und trotzdem beeindruckend? Check, check.

Philanthrop mit der Mission, misshandelte Tiere aufzuspüren und sie in seiner Scheune aufzupäppeln? Dreifach-Check und Dreifach-Gefahr.

Ich könnte die nächste halbe Stunde damit verbringen, Rafaels Qualitäten aufzulisten, aber nichts – und ich meine absolut nichts – könnte das aufwiegen, was dagegenspricht. Er ist mein Vorgesetzter. Meine alberne Schwärmerei für ihn, seitdem wir Teenager waren, spielt keine Rolle mehr, seitdem ich meinen Job als Nanny seines Sohnes angetreten habe.

Obwohl mein Herz zu Beginn jedes Mal schneller schlug, wenn mein alter Highschool-Crush mich ansah, bedurfte es nur ein paar Begegnungen, um die Fantasie auszulöschen, die ich von dem einsamen alleinstehenden Vater aus Lake Wisteria hatte. Dass ich meine Meinung über ihn revidiert habe, hat nichts damit zu tun, dass er seit seiner Scheidung vor zwei Jahren ständig im Holzfäller-Look rumläuft, sondern eher etwas damit, wie sich sein Charakter verändert hat. Mit seiner unfassbar großen Sammlung an Flanellhemden und dreckigen Cowboystiefeln kann ich leben, jedoch nicht mit seiner dauerhaft finsteren Miene, dank der ich mich ständig unerwünscht fühle, obwohl ich nun schon seit mehr als einem halben Jahr für ihn arbeite.

Auf der anderen Seite der Kücheninsel stützt er sich nun auf der Arbeitsplatte ab. »Was ist los?«

Ich zucke zurück. »Warum fragst du?«

Er kratzt sich den dichten, kurzen Bart, der die Hälfte seines Gesichts und Halses bedeckt. »Spielt das eine Rolle?«

Irgendwie schon, wenn man bedenkt, dass er mir diese – oder eine ähnliche Frage – noch nie gestellt hat. Anstatt mich also zu öffnen und verletzlich zu zeigen, bleibe ich bei meiner üblichen Antwort, die ich den meisten Leuten in solchen Fällen gebe. »Mir geht’s gut.« Mit einem überraschenden Maß an Selbstbeherrschung klappe ich meinen Laptop zu.

»Wenn du mir schon ins Gesicht lügst, dann schau mir dabei wenigstens in die Augen.«

»Ich lüge nicht.« Eilig wende ich mich halb ab.

»Netter Versuch. Beim nächsten Mal solltest du den Blickkontakt halten.«

Kurz stelle ich mir vor, meine Hände um seine Kehle zu schließen. Ich bin kein aggressiver Mensch, aber irgendetwas an Rafael bringt meine schlimmste Seite zum Vorschein.

Nun verengt er seine Augen. »Stellst du dir wieder vor, mich umzubringen?«

»In den schillerndsten Farben.«

»Mit Gift?«

»Ich würde dich erwürgen.«

In seinen Augen blitzt etwas auf. »Mal was anderes.«

»Es war Nicos Idee.«

»Mein Sohn gibt dir Mordratschläge?«

»Überrascht dich das ernsthaft? Sein Lieblingscomic handelt von einem Bösewicht.«

Seine Mundwinkel biegen sich ganz leicht nach oben. Eine winzige Bewegung, die meine schlechte Laune vertreibt, in die der Artikel über Ava mich versetzt hat. »Du hast gelächelt!«

»Nein.« Er presst die Lippen zu einem Strich zusammen, doch es ist zu spät.

»Ich weiß, was ich gesehen habe.«

Mit einem unterdrückten Grinsen gehe ich zur beschreibbaren Magnettafel am Kühlschrank und setze einen Punkt unter die Kopie seines Fotos aus seinem Highschool-Jahrbuch.

Ich war erst in der neunten Klasse, als er in der zwölften war, aber jeder wusste, wer Rafael Lopez war. Alle an der Wisteria High waren besessen von ihm, ich eingeschlossen, obwohl ich das niemals zugegeben hätte. Tatsächlich war es unmöglich, nicht von ihm angetan zu sein, denn er sah unglaublich gut aus, war ein grandioser Sportler und ebenso charmant wie nerdy.

Obwohl Nico und ich nun schon eine ganze Weile mitzählen, wie oft Rafael lächelt, habe ich das strahlende Grinsen aus den Highschool-Jahren bisher noch nicht wieder gesehen. Das Foto dient als Beweis, dass es einst existiert hat.

Es ist nur schwer zu glauben, dass der Typ, der in der Schule den Best-Smile-Award gewonnen hat, in den letzten drei Monaten, das heißt seitdem ich offiziell mitzähle, um die Anspannung im Haus zu vertreiben, lediglich zwölfmal – jetzt dreizehnmal – gelächelt hat.

Da Nico seinen Vater stets auf Abstand hält und Rafael alles dafür tut, um unangenehme Situationen mit seinem Sohn zu vermeiden, können die beiden eine Extraportion Humor in ihrem Leben gut gebrauchen. Ich bin zwar eher die Freundin, an die sich die Menschen wenden, wenn sie einen Schnaps brauchen oder sich ausweinen müssen, als diejenige, zu der sie kommen, wenn sie herzhaft lachen möchten, aber ich tue mein Bestes.

»Eines Tages werde ich dieses Foto in tausend Stücke reißen«, verkündet Rafael hinter mir.

»Dann hänge ich stattdessen ein Babyfoto von dir auf.« Ich schließe den Stift und befestige ihn über der Tafel.

Wieder verengt er die Augen. »Wovon sprichst du?«

»Deine Tante hat eine ganze Menge Fotoalben mit Bildern von dir.«

Er blinzelt zweimal. »Die hat sie dir gezeigt?«

»Jepp. Bevor sie die alten Home-Videos rausgeholt hat.« Mein Blick huscht zu ihm. »Für jemanden, der so mürrisch und eigenbrötlerisch ist, hast du als Kind ganz schön viel Aufmerksamkeit gebraucht. Aber deine Karaokemaschine war auch tatsächlich legendär.«

»Die hat Lily gehört, nicht mir.«

»Wirklich? Dafür hast du aber ziemlich viel gesungen.«

»Sie und Dahlia haben mich gezwungen.«

Die Tatsache, dass er seine Kindheitsfreundinnen als Ausrede benutzt, weckt in mir den Wunsch, ihn weiter bloßzustellen, auch wenn ich weiß, dass die Karaokemaschine tatsächlich den Muñoz-Schwestern gehört hat.

»Aber bestimmt hat dich niemand gezwungen, so viel Leidenschaft in deine Spice-Girls-Darbietung zu legen.«

Mittlerweile ist er knallrot angelaufen. »Ich habe keine Ahnung, wovon du sprichst.«

Augenblicklich hole ich mein Handy hervor. »Ich hab da dieses Video, falls ich deinem Gedächtnis auf die Sprünge helfen muss. Gib mir nur einen Moment …«

»Du hast es abgefilmt?«

»Aber klar doch. Wenn Nico und ich einen schlechten Tag haben, sorgt dein Sporty-Spice-Outfit immer wieder für gute Laune.«

»Ich war schließlich selbst Sportler.«

»Der zufällig auch den gesamten Text von Wannabe auswendig kannte.«

Er seufzt, als wäre ich die größte Bürde in seinem Leben. »Warum hab ich dich noch mal eingestellt?«

»Weil du deinen Sohn mehr liebst, als deine Aversion gegen mich groß ist.«

Eine tiefe Falte bildet sich auf seiner Stirn. »Ich hab keine Aversion gegen dich.«

»Magst du mich denn?«

Er fährt sich mit der Hand über seinen kurzen Bart. »Ich bin noch unentschlossen.«

»Kann ich irgendetwas tun, um den langen Entscheidungsprozess zu beschleunigen?«

»Kündigen?«

Als ich leise lache, fällt sein Blick auf meine Lippen.

»Was?«, frage ich und wische mir mit der Hand über den Mundwinkel.

Er schüttelt den Kopf. »Nichts.«

Ich ziehe mein Handy hervor und überprüfe zur Sicherheit, ob ich irgendetwas zwischen den Zähnen habe.

»Ellie!«

Als ich Nico vom anderen Ende des Hauses meinen Namen rufen höre, gleitet mir das Handy aus der Hand und landet klappernd auf dem Boden. Leise fluchend bücke ich mich, um es aufzuheben. Dabei fällt mir mein blondes Haar vor das Gesicht und versperrt mir die Sicht auf alles außer mein Handy. Als mein Nacken zu kribbeln beginnt und ich über die Schulter sehe, stelle ich fest, dass Rafael seinen Blick auf meinen Hintern gerichtet hat.

O mein Gott, warum schaut er mich an?

Ich bewege mich leicht, um zu testen, ob sein Blick mir folgt, was tatsächlich der Fall ist.

Wäre er jemand anders, würde ich es als Kompliment auffassen, zu viele Jahre habe ich damit verbracht, mich über meine kleinen Brüste, meinen zu kleinen Hintern und meine kaum vorhandenen Kurven zu beschweren. Aber wir reden hier von Rafael. Dennoch spüre ich einen Anflug von Aufregung.

Ich richte mich so schnell wieder auf, dass mir kurzzeitig schwindelig wird.

Ehe ich die Chance habe, auch nur ein Wort zu sagen, wirkt sein Blick nicht mehr brennend, sondern mit einem Mal gelangweilt.

Wäre ich nicht so schockiert über sein Interesse an mir, wäre ich beeindruckt, wie schnell er zu einer neutralen Miene zurückkehren kann. In all den Monaten, in denen ich für Rafael arbeite, hat er weder Interesse an mir noch an irgendeiner anderen Frau im Ort gezeigt. Gerüchten zufolge war er seit der Scheidung von seiner Ex-Frau Hillary vor mehr als zwei Jahren mit keiner anderen mehr zusammen. Nachdem ich nun schon acht Monaten für ihn arbeite, kann ich bestätigen, dass er nicht einmal versucht, eine platonische Bindung aufzubauen, auch wenn er der begehrteste Junggeselle des Ortes ist.

Nico ruft erneut nach mir, diesmal ungeduldiger.

»Ich komme!« Im nächsten Moment steuere ich auf die Küchentür zu.

»Eleanor?« Rafas tiefe Stimme lässt mich innehalten.

Eine Gänsehaut bildet sich auf meinem Rücken, als ich mich zu dem mürrischen Riesen umdrehe. »Warum nennst du mich immer so?«

Ich bin überrascht, dass er trotz seiner Muskelmasse so mühelos mit den Schultern zucken kann.

Ich verkneife mir eine bissige Bemerkung. »Alle nennen mich Ellie.«

»Das weiß ich«, erwidert er nach einer langen Pause.

»Und dennoch bestehst du darauf, mich aus irgendeinem irritierenden Grund mit meinem vollen Namen anzusprechen.« Normalerweise bin ich ein gelassener Mensch, aber Rafael treibt mich immer wieder zur Weißglut.

»Hast du ein Problem damit?« Sein trockener Tonfall macht mich noch wütender.

Ich bin mir nicht sicher, ob ich ihm aufrichtig antworten oder seinen offensichtlichen Versuch, mich zu ärgern, ignorieren soll.

»Ellie!«, ruft Nico nun lauter.

»Jetzt komme ich wirklich!« Nachdem ich ein paar Schritte in Richtung Flur gemacht habe, halte ich erneut inne. »Wolltest du irgendwas?«, frage ich Rafael betont freundlich.

»Nicht mehr.« Er geht zum Kühlschrank und reißt dermaßen energisch die Tür auf, dass die Flaschen klappern.

Seine abweisende Antwort nehme ich nicht persönlich, denn immerhin hat er in den letzten paar Minuten mehr mit mir gesprochen als in der gesamten bisherigen Woche.

Rafael war schon immer launisch, aber im vergangenen Monat konnte ich ihn kaum dazu bringen, mehr als ein paar Worte am Stück zu sagen. Die meisten Unterhaltungen enden damit, dass ich mich frage, warum ich mir überhaupt die Mühe gemacht habe, ihn anzusprechen. Menschen wie Rafael und Menschen wie ich passen nicht zusammen. Ich fühle zu viel, und er hat kaum Gefühle. Gegensätze ziehen sich nicht an, ganz egal, was uns unsere Lehrer im Wissenschaftsunterricht der vierten Klasse mithilfe von Magneten weismachen wollten.

Ich verlasse die Küche, ehe Nico mich suchen muss. Meine flauschigen rosa Socken, die er mir zu Weihnachten geschenkt hat, weil er der Ansicht war, dass ich zu viel Schwarz trage, dämpfen meine Schritte, als ich durch den langen Flur ans andere Ende des Hauses gehe.

Obwohl Rafael genug Geld hat, um auch noch seine Ur-Ur-Ur-Urenkel zu Milliardären zu machen, hat er ein Grundstück am Rande von Lake Wisteria gekauft – weitab von dem beliebten See und der begehrten Aussicht. Zuerst habe ich vermutet, dass er diese Entscheidung getroffen hat, weil er Platz für den Schuppen und die vielen Tiere brauchte, aber mittlerweile kenne ich die Wahrheit. Rafael versteckt sich vor der Welt. Doch trotz der Abgelegenheit herrscht im Haus dank der lebhaften Farben, die Nico ausgesucht hat, des Kinoraums mit den bequemen verstellbaren Sesseln, der neuesten Blockbuster, die wir ausgesucht haben, und meines Zimmers, das dreimal so groß ist wie meine frühere Wohnung in Los Angeles, eine warme Atmosphäre. Ich habe sogar meinen eigenen Eingang, einen privaten Wohnbereich, ein wunderschönes Spa-ähnliches Badezimmer und ein Himmelbett, in dem ich mich wie eine Prinzessin fühle.

Ich finde Nico neben dem Fahrstuhl vor, den Rafael hat einbauen lassen, damit sich sein Sohn besser in dem dreistöckigen Haus zurechtfindet. Mit genervter Miene klopft er mit seinem Turnschuh auf den Holzfußboden. Aufgrund der Gene seines Vaters ist er größer als die meisten Kinder seines Alters, sodass er häufig älter geschätzt wird.

»Warum hast du so lange gebraucht?« Er packt meine Hand und zieht mich in den Aufzug.

»Ich wurde aufgehalten.«

»Wovon?«

»Dein Dad hat gelächelt.«

»Echt?« Nico starrt mich hoffnungsvoll an.

Dieser Blick ist der Hauptgrund dafür, dass ich begonnen habe mitzuzählen, wie oft Rafael lächelt; denn auch wenn ihm das vielleicht nicht bewusst ist, macht er seinen Sohn damit unendlich glücklich. Ein Lächeln bedeutet Hoffnung und Frohsinn – Dinge, die in letzter Zeit in diesem Haus gefehlt haben, auch wenn ich nicht genau weiß, warum.

Ich greife über Nicos dunklen Haarschopf hinweg und betätige die Taste für den Keller. »Es war nur ein kleines Lächeln, aber mir ist es nicht entgangen.«

»Wow. Zwei Tage hintereinander«, merkt Nico ungläubig an.

»Sieht aus, als könnte ich die Wette tatsächlich gewinnen«, necke ich ihn halbherzig.

Wenn Rafael dreißig Tage hintereinander lächelt, hat Nico versprochen, mir einen Monat lang seine Lieblings-Actionfigur auszuleihen. Für ein Kind ist dieser Einsatz mehr wert als für mich ein Lottogewinn, der es mir ermöglicht, mich mit fünfundzwanzig zur Ruhe zu setzen.

»Oh nein«, sagt er gespielt besorgt.

»Es ist okay, wenn du verlierst. Wir können uns auf geteiltes Sorgerecht einigen.«

Er stupst mich lachend mit der Hüfte an, worauf ich ihm das dunkle Haar verwuschele. Doch auf einmal verschwindet sein Lächeln, und er sieht mich aus schmalen Augen an.

»Was ist los?«

»Nichts.« Sein abweisender Tonfall überrascht mich. Bei seinem Vater würde mich diese Art von Reaktion nicht überraschen, für Nico dagegen ist sie absolut ungewöhnlich. Er nimmt stirnrunzelnd seine Brille ab und wischt die Gläser mit dem Saum seines blauen T-Shirts ab. Seine Outfits wählt er immer selbst aus. Heute hat er sich für ein rotes Brillengestell entschieden, das zu seinem Comic-T-Shirt und den roten Sneakers passt.

Die Fahrstuhltür öffnet sich, doch er ist zu sehr darauf fokussiert, seine Brillengläser zu reinigen, also halte ich eine Hand in die Lichtschranke und warte. Obwohl er sichtliche Mühe mit der Aufgabe hat, sehe ich davon ab, ihm zu helfen, ganz egal, wie sehr ich es will. Wie jedes andere achtjährige Kind möchte Nico eigenständig sein, besonders seitdem er vor anderthalb Jahren die Diagnose Retinitis pigmentosa erhalten hat. Laut meinen nächtlichen Google-Recherchen ist es wichtig, ihm seine Eigenständigkeit zu lassen, besonders weil er immer mehr auf die Hilfe anderer angewiesen sein wird, je schlechter seine Augen werden.

Schließlich setzt er sich die Brille mit zusammengepressten Lippen wieder auf.

»Alles okay?«, frage ich.

»Jepp.« Er kneift die Augen zusammen und schaut mir ins Gesicht.

»Bist du dir sicher?«

»Ja«, erwidert er scharf, ehe er sich an mir vorbeidrängt und den Fahrstuhl verlässt.

Ich bin überrascht, wie sehr sein schroffer Tonfall dem seines Vaters ähnelt, schüttele den Gedanken jedoch eilig ab. »Alles klar, Sir. Kannst du bitte nett mit mir reden, sonst zwinge ich dich heute dazu, Blockflöte zu üben«, scherze ich.

Meine Bemerkung scheint ihn aufhorchen zu lassen. Schließlich seufzt er. »Tut mir leid.«

»Schon in Ordnung. Wir sind alle mal grummelig«, beschwichtige ich und folge ihm in den Keller.

Kurz nachdem ich von Nicos nachmittäglicher Musiklehrerin zu seiner Nanny befördert wurde, hat Rafael den unfertigen Keller in ein Musikstudio für seinen Sohn umgebaut. Dort kann er unter anderem auf dem Schlagzeug spielen, das ihm seine Patentante geschenkt hat. Die Wände sind schallisoliert, und alles wurde nach den neuesten Standards der Technologie entworfen. Außerdem gibt es so viele Instrumente, dass ich hier ein ganzes Album aufnehmen könnte, wenn ich wollte. Angesichts des Gedankens zieht sich mein Magen zusammen, doch ich rufe mich schnell zur Räson.

Ich drehe den Ring an meinem kleinen Finger, der das Tattoo bedeckt. »Was möchtest du heute spielen?«

Nicos Blick huscht zwischen den Streich- und Blechinstrumenten an der Wand und dem Schlagzeug hin und her, ehe er auf den Flügel deutet. »Klavier.«

»Wirklich?«

Wenn Rafael nicht darauf bestehen würde, dass Nico mindestens zweimal pro Woche Klavier und Geige übt, würde er sich vermutlich mit nichts anderem beschäftigen als dem Schlagzeug. Oft muss ich ihm die Drumsticks förmlich aus den Händen reißen.

»Heute will ich was Neues ausprobieren.« Der gequälte Blick, mit dem Nico den Klavierhocker ansteuert, versetzt mir einen Stich ins Herz.

Während ich mich neben ihn setze, unterdrücke ich den Drang, ihn zu fragen, was los ist. »Dann zeig mal, was du draufhast, kleiner Rockstar.«

Kapitel zwei

Ellie

Als ich Nico an diesem Abend ins Bett bringe, bin ich vollkommen erschöpft von unserer besonders langen Musikstunde. Nico soll für seinen Auftritt auf dem Erdbeerfest im Juli üben; heute habe ich gespürt, dass er zusätzliche Zeit braucht, um seinen Gefühlen freien Lauf zu lassen, sodass ich ihm Gesellschaft geleistet habe, während er seine Wut an den Klaviertasten ausgelassen hat. Wenn Nicos Herzschmerz einen Klang hätte, wäre es eine sentimentale Progression – voller Emotionen und so hoffnungsvoll, dass es sich anhören würde wie eine quälende Sehnsucht. Selbst die Musik, die er heute beim Duschen gehört hat, war melancholisch, aber ich habe so getan, als würde es mir nicht auffallen, obwohl mir kein Ton entgangen ist, während ich in seinem Zimmer nebenan Wäsche gefaltet habe.

»Kannst du mir was vorlesen?«, fragt Nico nun.

Ich werfe einen Blick auf die Superhelden-Uhr auf seinem Nachttisch. »Das würde ich gern, aber es ist spät, und du hast morgen Schule.«

»Bitte.« Er legt flehend seine Hände zusammen. »Nur eine Geschichte, versprochen.«

Ich hatte schon immer Schwierigkeiten, Nico einen Wunsch abzuschlagen. Es ist eine meiner größten Schwächen, besonders wenn mich kleine Kinder mit Hundeblick ansehen und ihre guten Manieren als Superkraft einsetzen. Wenn Rafael hier wäre, würde er die Augen verdrehen und mir einen Vortrag halten, aber er hat sich heute in seinem Büro verschanzt.

Seit ein paar Monaten ist das Abendritual mit Nico meine Aufgabe. Ich weiß, dass Rafael aufgegeben hat, weil zwischen ihm und seinem Sohn ständig diese unangenehme Spannung herrscht. Obwohl ich versucht habe, ihn zu einem weiteren Versuch zu überreden, behauptet Rafael, dass Nico nur Geschichten von mir hören möchte.

Der Junge und ich standen uns nicht immer so nahe, denn er hat große Probleme damit, anderen Menschen zu vertrauen. Doch unsere ursprüngliche Verbindung über die Musik hat sich langsam, aber sicher auch auf andere Aspekte unseres Lebens ausgeweitet. Wir haben beide geschiedene Eltern und lieben Formel 1. Mittlerweile haben wir eine Bindung zueinander aufgebaut, die ich sehr zu schätzen weiß.

»Ellie?« Nico tippt mir auf die Schulter.

Ich stoße ein schweres Seufzen aus. »In Ordnung. Rutsch rüber.«

Vorsichtig nimmt er die Actionfiguren von der linken Seite seines Bettes und stellt sie in einer Reihe auf seinem Nachttisch auf. Im Gegensatz zu all seinen anderen Spielsachen, die unbeachtet im Haus herumliegen, bis er wieder bereit ist, mit ihnen zu spielen, gibt er sich besondere Mühe mit den Figuren, die Rafael mit seinem 3-D-Drucker für ihn gemacht hat. Er hat sie selbst entworfen und angemalt – eine Tatsache, die ich entschlossen verdränge, weil sich bei dem Gedanken daran, dass er monatelang für seinen Sohn daran gearbeitet hat, ein warmes und kribbeliges Gefühl in mir ausbreitet.

Nico klopft neben sich auf die Matratze und grinst.

Ich greife nach den beiden neuesten Büchern im Regal und halte sie ihm hin. Da er sich zwischen einem Comicbuch über seinen Lieblingssuperhelden und einem kurzen Kapitel in Blindenschrift entscheiden kann, weiß ich schon jetzt, auf was seine Wahl fallen wird.

»Wonach fühlst du dich heute Abend?«

Mit zusammengekniffenen Augen betrachtet er lange beide Cover. Wenn man bedenkt, dass er schon seit einem Monat davon redet, wie sehr er sich auf den neuen Comic freut, lässt er sich ganz schön viel Zeit mit seiner Entscheidung.

»Ich gebe dir drei Sekunden. Eins … zwei …«

Als er nach dem Buch in Blindenschrift greift, ziehe ich die Brauen zusammen und lege den Handrücken an seine Stirn. »Bist du krank?«

»Nein.« Er schiebt meine Hand weg und schlägt entschlossen das Buch auf.

Ehe er die Chance hat, einen Satz zu lesen, nehme ich ihm das Buch wieder ab und setze mich auf die Bettkante. »Hey!« Er versucht, mir das Buch zu entreißen, aber ich halte es außer Reichweite. »Was ist los mit dir?«

»Nichts.« Er starrt geradeaus.

»Ich will dich nicht bedrängen …«

»Dann lass es.«

»Ich mache mir aber Sorgen um dich.«

Er schweigt und erstickt mich fast mit der Anspannung, die auf einmal zwischen uns herrscht. Falls sich Rafael ähnlich fühlt, wenn Nico sich vor ihm verschließt, kann ich verstehen, warum er oft so schlecht drauf ist.

»Du kannst immer mit mir sprechen. Über alles. Ganz egal, wie schlimm es ist.«

Er senkt den Blick auf seine geballten Fäuste, mit denen er die Decke umklammert. »Nein, kann ich nicht. Nicht darüber.«

Sanft lege ich ihm meine Finger unter das Kinn und zwinge ihn, mir in die Augen zu sehen. »Warum nicht?«

»Weil ich Angst habe.« Seine gepresste Stimme ist beim Rauschen der Klimaanlage kaum zu hören.

»Wovor?« Ich warte geduldig, während er tief durchatmet, nur um enttäuscht zu werden, als er schweigt. »Hat es etwas mit deiner Mom zu tun?«, frage ich vorsichtig.

Er schüttelt heftig den Kopf.

»Mit deinem Dad?«

Seine Unterlippe bebt, und seine Augen füllen sich mit Tränen.

Oh verdammt. Was hat Rafael getan?

Ich beiße mir auf die Lippe, um diese und zehn weitere Fragen nicht laut auszusprechen.

»Versprichst du, nichts zu sagen?« Seine Stimme ist kaum zu hören.

Mein Magen zieht sich vor innerer Zerrissenheit zusammen. Eigentlich sollte ich Versprechen dieser Art nicht geben, aber im Moment ist es der einzige Weg, Nico zum Reden zu bringen.

Schließlich nicke ich. »Klar.«

Es dauert weitere dreißig Sekunden, während denen mein Herz rast, ehe er sein Schweigen bricht. Eine einzelne Träne läuft seine Wange hinab.

»Ich kann immer weniger sehen. In letzter Zeit ist es schwer, im Dunkeln Dinge zu erkennen, und der Tunnelblick wird stärker.«

Ich fühle mich, als hätte mir jemand die Faust in den Magen gerammt. »Ach, Nico.«

Eine weitere Träne löst sich aus seinem Augenwinkel. »Das macht mich nervös.«

»Natürlich.« Ich atme tief durch. »Warum hast du deinem Dad nichts davon erzählt?«

»Weil ich ihn nicht wieder traurig machen möchte.«

Mein Herz zieht sich zusammen, als ich in seine schmerzerfüllte Miene blicke. Da ich nicht weiß, was ich sagen soll, drücke ich ihn an mich und wünschte, ich könnte etwas anderes tun, als rumzusitzen und darauf zu warten, dass ihm die Zeit auch das letzte bisschen Sehkraft raubt.

Eines Tages wird Nico kaum noch etwas sehen können, wenn er nicht sogar vollkommen blind wird. Ein Kind hat es verdient, sein Leben ohne so eine schreckliche Diagnose zu genießen, die es ständig daran erinnert, dass es sich von anderen unterscheidet.

Ich streiche ihm das Haar aus den Augen. »Dein Dad würde bestimmt wissen wollen, wenn dich etwas bedrückt.«

»Nein, würde er nicht.«

»Doch, natürlich. Warum glaubst du das?«

Nico braucht so lange, um zu antworten, dass ich schon glaube, er sei eingeschlafen. »Beim Arzt hat er geweint«, erwidert er schließlich mit zittriger Stimme.

Ich erstarre. »Wann?«

»Im Januar.« Sein Kinn bebt. »Ich habe ihn … auf der Toilette gehört.«

»Bist du dir sicher?«

Er nickt.

Mich überrollt eine neue Welle Mitgefühl für die beiden Lopez-Männer, denn ich weiß, dass sie still leiden, obwohl sie einander Halt geben könnten. Egal wie sehr ich versuche, ihre Bindung zueinander zu stärken, weigern sie sich starrsinnig.

»Er hat keine Ahnung, dass ich es mitbekommen habe.« Nico schnieft.

Ich drücke ihn ein wenig fester. »Es ist okay, zu weinen. Das ist vollkommen normal und kann sogar gesund sein.«

»Ja, nur nicht dann, wenn man selbst der Grund dafür ist.« Er senkt den Blick.

»Aber du hast ihn nicht zum Weinen gebracht, sondern er hat um dich geweint.«

Ich bin mir nicht sicher, was mein Herz mehr schmerzen lässt – Rafael, der wegen der Krankheit seines Sohnes zusammenbricht, oder Nico, der seinen Vater bei einem vermeintlich geheimen Gefühlsausbruch erwischt. Ich finde es schwer, mir meinen emotionslosen Boss weinend vorzustellen.

Auch wenn es nicht das erste Mal ist, denn plötzlich kommt mir eine lange vergessene Erinnerung in den Sinn. Einmal habe ich Rafael als Teenager an Heiligabend weinend in seinem Wagen auf einem Parkplatz gesehen. Ihm war nicht bewusst, dass ich in dem Auto neben ihm saß. Zu dem Zeitpunkt hatte ich keine Ahnung, warum er weinte, aber mittlerweile weiß ich Bescheid, denn Josefina hat einmal erwähnt, dass der Todestag seiner Mutter der dreiundzwanzigste Dezember ist.

Die Erinnerung verblasst, als Nico einwendet: »Das macht es aber nicht besser.«

Ich schließe die Arme noch fester um ihn. »Es tut mir leid.«

Er schmiegt sich an mich. »Es ist nicht deine Schuld.«

»Nein, aber es tut mir trotzdem leid. Die ganze Zeit hast du das alles mit dir herumgeschleppt …«

Ich hätte ihn doch mehr bedrängen, ihm häufiger Fragen stellen und mir mehr einfallen lassen sollen, als zu zählen, wie oft Rafael lächelt, um Nico und seinen Dad wieder zusammenzubringen.

Ich nehme einen tiefen Atemzug, ehe ich das ausspreche, was Nico garantiert nicht hören will. »Du wirst ihm davon erzählen müssen.«

Er umschlingt mich fester. »Das werde ich.«

»Und wann?«

Er zuckt zusammen. »Nach unserem Trip?«

Ich ziehe mich zurück, um ihn besser anschauen zu können. »Nein, damit kannst du auf keinen Fall drei Wochen warten.«

»Warum nicht?«

»Weil er dein Dad ist und es verdient hat, zu erfahren, was mit dir los ist. Damit er dir helfen kann.«

»Es ihm zu erzählen, wird aber keinen Unterschied machen.« Er lässt die Schultern sinken, als würde ihn die Last der gesamten Welt runterziehen. »Dadurch werden meine Augen auch nicht besser.«

Sosehr ich mir wünsche, ich könnte ihm widersprechen, gibt es an seiner Diagnose nichts zu rütteln, da hat er recht. Aber das bedeutet noch lange nicht, dass Nico die Sache allein durchstehen muss. Er kann darauf zählen, dass wir ihn unterstützen.

»Wenn du Angst hast, kann ich gern mit ihm reden.«

Ein Anflug von Panik huscht über seine Züge, während er die Finger in meinen Arm gräbt, direkt über der Stelle mit den winzigen Schmetterlings-Tattoos. »Nein! Bitte, bitte, bitte, Ellie. Bitte sag ihm noch nichts! Warte wenigstens bis nach der Reise.«

»Warum willst du so lange warten?«

»Heute hat er gelächelt, und gestern hat er gelacht!«

Wieder zieht sich meine Brust zusammen, als ich an den Klang zurückdenke, der mich vollkommen überrascht hat. Auch wenn Rafaels Lachen nicht laut war, wirkte es glücklich und hat Nico für den Rest des Tages ein Lächeln ins Gesicht gezaubert.

»Sonst lacht er gar nicht mehr.« Als ich in Nicos feuchte Augen blicke, beginne auch ich zu weinen. »Ich will vor der Reise die Stimmung nicht ruinieren.«

Mein tiefer Atemzug hat zwar nicht die gewünschte beruhigende Wirkung, aber verschafft mir einen Moment, um einen klaren Kopf zu bekommen. »Ich möchte, dass du ehrlich bist und mir erzählst, wie schlimm es seit der Untersuchung im Januar geworden ist.«

Er erklärt mir, dass sein Sichtfeld an den Rändern mittlerweile dunkel geworden ist, als würde er die Welt durch ein Fernglas betrachten – ein Symptom, vor dem der Arzt Rafael gewarnt hat, da es anzeigt, wie weit die Krankheit bereits fortgeschritten ist. Sein Tunnelblick ist zwar nicht so schlimm, wie ich angenommen habe, bereitet mir angesichts seiner jungen Jahre aber dennoch Sorgen.

Auch wenn ich nur ungern meinen Job riskiere, indem ich meinem Boss etwas verschweige, bin ich mir nicht sicher, ob ich eine Wahl habe, wenn ich will, dass Nico mir auch in Zukunft vertraut. Stünde seine Sicherheit auf dem Spiel, würde ich, ohne mit der Wimper zu zucken, mein Versprechen brechen. Aber in diesem Fall ist es etwas anderes.

Schließlich stoße ich ein schweres Seufzen aus. »Ich gebe dir bis nach deiner Geburtstagsparty Zeit.«

Sein Gesicht wird bleich. »Aber die ist schon in einer Woche!«

»Das ist mein letztes Angebot, sonst erzählen wir es ihm gleich heute Abend.« Es widerstrebt mir, so hart durchzugreifen, besonders als Nico die Unterlippe vorschiebt.

»Ich möchte aber nicht, dass er vor unserem Urlaub traurig ist.«

»Das kann ich gut verstehen, aber du weißt, dass es nicht richtig ist, ihm so etwas zu verschweigen.«

Seine Antwort besteht aus einem schweren resignierten Seufzen.

Wieder lege ich ihm die Finger unters Kinn, damit er mich ansieht. »Es kann sein, dass er kurzzeitig traurig wird, aber auf der Reise wird sich seine Laune schon wieder bessern.«

»Glaubst du?«

»Das weiß ich sogar.« Okay, ich weiß es vielleicht nicht mit Sicherheit, aber ich habe noch von keiner einzigen Person gehört, die sich in Hawaii nicht prächtig amüsiert hat.

Rafael hat sich besondere Mühe gegeben, die Reise für seinen Sohn zu planen, und sogar die ursprünglich angedachte Europareise abgesagt, weil Nico seit diesem Jahr vollkommen besessen von Hawaii ist und sich unzählige Dokumentationen darüber angesehen hat. Ich hoffe also, dass alle den Urlaub genießen werden.

»Okay, na schön. Dann erzähle ich es ihm nach dem nächsten Wochenende.«

Dieser Mini-Lopez wird noch mein Untergang sein, denn während Rafael häufig schroff und missmutig ist und sein Herz hinter einer Mauer aus Eis verbirgt, trägt Nico sein Herz auf der Zunge. Ich würde alles dafür tun, ihn zu beschützen, selbst wenn das bedeutet, ihm zuliebe ein Geheimnis für mich zu behalten.

Kapitel drei

Rafael

Ich hasse es, eine Nanny im Haus zu haben, die mir in meinem Alltag ständig in die Quere kommt, aber für Nico würde ich fast alles tun. Auch wenn ich meinen Sohn mühelos mit der Hilfe meiner Familie großziehen könnte, bin ich der Ansicht, dass er eine Person in seinem Leben braucht, die rund um die Uhr für ihn da ist. Er braucht Ellie, so ungern ich das auch zugebe.

Genau das rufe ich mir einmal mehr in Erinnerung, als ich mich an die Wand ein Stück neben der Zimmertür meines Sohnes lehne und auf meine Richard-Mille-Uhr hinabschaue, wobei ich mit jedem Moment genervter werde. Die auffälligen Diamanten, die das Ziffernblatt einschließen, funkeln, während sich der kleine Zeiger unaufhaltsam auf die Zehn zubewegt. Normalerweise bin ich nicht sonderlich streng, was Schlafenszeiten angeht, aber in letzter Zeit war Nico reizbarer als sonst, woran ich seiner blonden Nanny die Schuld gebe, die ständig alle Regeln bricht. Ihr leises Lachen ist durch die Tür zu hören und schallt durch den Flur, gefolgt von Nicos hellem Kichern. Nur um diesen Klang zu hören, habe ich eine Frau ohne jegliche Vorerfahrung eingestellt, die mich noch dazu in den Wahnsinn treibt.

Seitdem Hillary vor mehr als zwei Jahren weggezogen ist, hat sich Nico verändert. Obwohl ich Verständnis dafür hatte, dass er launisch und leicht reizbar war, war sein Verhalten besonders deshalb unerträglich für mich, weil ich mich dafür verantwortlich fühlte. Ich bin derjenige, der die Scheidung eingereicht hat, und auch wenn Nico mir niemals explizit die Schuld dafür gegeben hat, dass seine Mom gegangen ist, hege ich trotzdem den Verdacht, dass er es insgeheim tut.

Seitdem er vor achtzehn Monaten die Diagnose bekommen hat, ist unser Verhältnis noch angespannter. Mit der Zeit wurde es immer schwieriger, seine Krankheit zu ignorieren, denn seine Sehkraft verschlechterte sich deutlich. Er vernachlässigte alles, was er vorher geliebt hatte – Freundinnen und Freunde, Familie, Musik und mich. Da Musik immer Nicos Art war, seine Gefühle herauszulassen, habe ich mich vor knapp einem Jahr entschieden, ihn für Musikstunden bei The Broken Chord anzumelden. Zuerst hat sich Nico geweigert, ein Instrument anzurühren, aber mit Ellies Hilfe hat er sich langsam wieder geöffnet.

Vier ganze Monate fühlte es sich an, als würden Nico und ich wieder gut miteinander klarkommen, aber seit Beginn des Jahres hat sich unser Verhältnis erneut verschlechtert. Ihn zu fragen, was nicht stimmt, hat bisher zu nichts geführt, und wenn ich ihm jeden Wunsch von den Lippen ablese, bessert sich seine Stimmung immer nur kurzzeitig. Die Europareise abzusagen und stattdessen einen Trip nach Hawaii zu buchen, hat mir zwar ein kleines Lächeln und ein geflüstertes »Danke« von ihm eingebracht, aber auch in dem Fall hat seine bessere Laune nicht lange angehalten. Zumindest nicht mir gegenüber.

Ellie reißt mich aus meinen Gedanken, als sie aus seinem Zimmer kommt, die Tür leise hinter sich schließt und sich dagegenlehnt. Ihre grünbraunen Augen sind geschlossen, und sie stößt ein schweres Seufzen aus. Das lange blonde Haar, das ihr bis zur Taille reicht, glänzt im Mondlicht, das durchs Fenster scheint, fast silbern.

Nur selten bekomme ich die Gelegenheit, Ellie anzuschauen, ohne dass sie es bemerkt. Normalerweise registriert sie jeden Blick, jedes Lächeln und jede Bemerkung von mir, als wäre ich ein Forschungsprojekt. Statt mich also sofort bemerkbar zu machen, nutze ich die Chance, sie eingehend zu mustern.

Ellie steht nicht auf bunte Accessoires oder auffällige Designerkleidung wie Dahlia Muñoz, mit der mein Cousin seit neun Monaten zusammen ist. Sie hält sich auch nicht über die neuesten Make-up- oder Haartrends auf dem Laufenden wie Lily, die andere Muñoz-Schwester. Genau genommen ist Ellie ausgesprochen gut darin, ihren Charakter im Verborgenen zu halten, wobei ihre in Schwarz, Weiß und Grau gehaltene Garderobe ihr Übriges tut. Ich bin überrascht, dass sie ihr Haar nicht schon dunkel gefärbt hat, denn das würde gut zu ihrem Edgy-Barbie-Look passen. Hätte sie nicht all diese kleinen filigranen Tattoos auf ihrem Körper, würde ich sie so interessant finden wie eine leere Leinwand.

Lügner.

Na schön. Sie ist so interessant wie eine Leinwand, die nur in einer Farbe bemalt wurde.

In Schwarz.

Ein voller dunkler Tintenton, der zu der Musik passt, die sie spätabends spielt, wenn sie glaubt, dass alle schlafen. Dabei ahnt sie nicht, dass ich manchmal heimlich lausche, denn es fällt mir schwer, der Anziehungskraft zu widerstehen, die sie auf mich ausübt. Ihre Musik spricht zu mir, wie es Worte niemals könnten.

Wenn es nur um die Musik geht, wie erklärst du dir dann, dass du besagte Anziehungskraft auch jetzt spürst?

Dieser Gedanke rüttelt mich aus meiner Starre, und ich trete aus dem Schatten der Wand, wobei eine Diele unter meinem Stiefel knarrt.

Ellie reißt erschrocken die Augen auf. »Mein Gott! Wie lange stehst du schon da?«

Trotz meines rasenden Herzens halte ich meine Miene neutral. »Lange genug, um zu wissen, dass Nico heute viel zu spät ins Bett gegangen ist.«

Sie strafft die Schultern. Obwohl sie größer ist als die meisten Frauen im Ort, reicht sie mir ohne Schuhe gerade bis zum Kinn. »Wir haben Blindenschrift geübt.«

»Ich bin überrascht, dass ihr trotz des ganzen Kicherns so viel geschafft habt.«

Ihre Augen verengen sich. »Ich bin mir sicher, dass Humor für dich ein fremdartiges Konzept ist, aber die meisten Menschen lachen, wenn sie etwas Lustiges lesen.«

»Was du nicht sagst«, bemerke ich trocken.

Was immer sie erwidern wollte, bekomme ich nicht mehr zu hören, denn in dem Moment muss sie gähnen. »Ich sollte auch schlafen.« Sie macht Anstalten, an mir vorbeizugehen.

Ohne nachzudenken, halte ich sie am Ellbogen fest. Die Wärme ihrer Haut sickert durch meinen dünnen Schutzwall und jagt mir ein heißes Prickeln durch den Körper. Ich will sie loslassen und vor der Empfindung davonlaufen, doch mein Griff an ihrem Ellbogen bleibt fest.

»Wie läuft es?«

»Was meinst du?« Sie senkt den Blick auf die Gänsehaut, die sich auf ihrem Arm zeigt.

Ich lasse sie los und trete einen großen Schritt zurück. »Wie läuft es mit der Blindenschrift?«

»Ach so.« Sie schüttelt den Kopf. »Gut, auch wenn er leider deine Ungeduld geerbt hat.«

Ich mustere sie forschend. »Hat er Schwierigkeiten?«

»Ein bisschen, aber wir arbeiten dran. Wenn du ab und zu etwas Zeit erübrigen könntest, um auch mal mit ihm zu üben, würde es sicher nicht schaden.«

Die dauerhaft lauernde Angst löst Übelkeit in mir aus, und schon im nächsten Moment ertrinke ich in negativen Gedanken. Ich habe mich so sehr bemüht, mit Nico zu üben, aber mein Sohn hat sich in den letzten Monaten langsam immer mehr vor mir verschlossen, und ich weiß nicht, warum.

Nach den Weihnachtsferien hat sich irgendetwas verändert, und ganz egal, wie hartnäckig ich nachgebohrt habe, ich konnte den Grund dafür bisher nicht finden.

Du könntest Ellie fragen, was sie dazu meint.

Sofort verdränge ich den Gedanken, denn sie würde es nicht verstehen; immerhin haben sie und Nico eine ganz andere Art von Beziehung zueinander. Auf der einen Seite gefällt mir das, auf der anderen Seite widerstrebt es mir. Ich beneide Ellie um die sorglose, unkomplizierte Bindung, die sie zu meinem Sohn aufgebaut hat, auch wenn ich weiß, dass es unfair ist, deshalb einen Groll gegen sie zu hegen. Ellie bekommt genau das, wonach ich mich sehne. Nico liebt es, Zeit mit ihr zu verbringen, während er mich ausschließt, sodass ich mich oft nutzlos und zurückgewiesen fühle – zwei Emotionen, vor denen ich mich seit Jahrzehnten fürchte.

»Warum liest du nicht morgen Abend mit uns?«, fragt sie mit dieser sanften Stimme, die immer wieder droht, meinen Schutzwall einzureißen.

»Nein.« Ich klinge noch schroffer als sonst.

»Warum nicht?« Unter ihrem Blick wird mir unbehaglich zumute – nicht wegen der Art, wie sie mich ansieht, sondern weil ich Angst davor habe, was sie entdecken könnte, wenn sie zu genau hinschaut. Einen Feigling, der seine Scham lieber hinter einer Lüge verbirgt.

»Ich bin nicht sonderlich gut«, erwidere ich.

Die nachdenklichen Fältchen um Ellies Augen verschwinden. »Ich bin auch keine Expertin. Immer wenn ich ein Wort oder einen Satz nicht entziffern kann, sage ich stattdessen etwas Lustiges und bringe Nico damit zum Lachen.«

»Muss schön sein.« Ich kann meinen Sohn kaum dazu bewegen, sich länger als ein paar Minuten mit mir zu unterhalten, während Ellie ihn mühelos zum Lachen bringt.

Ihr eisiger Blick kehrt zurück. »Was soll das denn heißen?«

»Nichts. Ich würde ja gern, aber ich habe für morgen Abend schon Pläne mit Julian.«

Sie rümpft die Nase, so wie immer, wenn ich sie verärgert habe. »Seit wann?«

Seit zehn Sekunden. »Seit heute.«

»Danke, dass du mir in letzter Minute Bescheid gibst.«

»Hast du was Besseres zu tun?« Noch während ich die Frage ausspreche, höre ich, wie falsch sie klingt.

»Kein Wunder, dass du keine richtigen Freunde hast.«

»Es gibt Leute, die es vorziehen, keine Zeit mit bedeutungslosen Beziehungen zu verschwenden.«

Statt sich von meiner Bemerkung noch mehr auf die Palme bringen zu lassen, liegt nun etwas in Ellies Blick, das ich zu oft in den Augen der Menschen im Ort erkenne, wenn sie mich ansehen.

Mitleid.

»Leute wie du tun mir leid«, bestätigt sie meine Vermutung. »Du setzt alles daran, deine Mitmenschen auf Abstand zu halten, obwohl dir nur eine Person Grund dazu gegeben hat.«

Eher drei Personen, von denen zwei meine Eltern sind, denke ich, spreche es jedoch nicht laut aus. Stattdessen sage ich gar nichts. Es ist einfacher, meine Gefühle im Zaum zu halten, wenn ich ihnen nicht hinterherhänge. Man mag es Feigheit oder Verdrängung nennen, aber ich bevorzuge den Begriff Überlebensinstinkt. Wenn ich zu viel nachdenke, beginne ich, etwas zu empfinden, und ich bin mir nicht sicher, ob ich damit aufhören kann, wenn ich erst einmal angefangen habe.

Meine toxische Eigenschaft ist nicht die Tatsache, dass ich keine Gefühle habe, sondern dass ich zu viel auf einmal empfinde und meine Emotionen verdränge, statt zu lernen, damit umzugehen. So war ich schon immer, selbst lange bevor meine Mutter ihre Koffer gepackt und meinen Vater und mich verlassen hat.

Ellie schüttelt den Kopf. »Wie dem auch sei … Wenn du mich entschuldigen würdest, ich möchte ins Bett.« Sie geht an mir vorbei, doch der Duft von fruchtigem Duschgel hängt noch lange, nachdem sie fort ist, in der Luft.

Kapitel vier

Rafael

Ich habe einen langen Arbeitstag, denn Dwelling, meine Immobilien-App, hat technische Probleme, über die sich ein Investor beschwert hat, sodass ich Nico immer noch nicht sehen konnte.

Zu dem Zeitpunkt, zu dem ich Feierabend mache und mein Homeoffice verlasse, liegt er bereits im Bett, und Ellie ist nirgends zu sehen. Einen kurzen Moment bleibe ich vor seiner Zimmertür stehen und lasse mir noch einmal Ellies Worte von gestern Abend durch den Kopf gehen.

Wenn du ab und zu etwas Zeit erübrigen könntest, um auch mal mit ihm zu üben, würde es sicher nicht schaden.

Ehe ich die Chance habe, es mir anders zu überlegen, klopfe ich an Nicos Zimmertür.

»Ellie?«

Mit einem Kloß im Hals drehe ich den Türknauf. »Nein. Soy yo*.«

Nicos Lächeln verschwindet. »Hola, Papi**.«

Schmerz trifft mich wie ein gleißender Blitz in die Brust, als ich seine Enttäuschung erkenne, die ich jedoch ignoriere, während ich einen zögerlichen Schritt in den Raum mache. »Vine a decirte buenas noches.***«

Er zieht sich die Decke bis zum Kinn. »Buenas noches.****«

Als ich auf der Bettkante Platz nehme, fühle ich mich mehr wie ein Fremder als wie sein Vater. »Sollen wir zusammen eine Geschichte lesen, bevor ich mich mit Onkel Julian treffe?«

»Nein«, erwidert Nico eilig.

Obwohl die Zurückweisung wehtut, lasse ich mich nicht abwimmeln. »Ellie meinte, es wäre gut, wenn wir zusammen Blindenschrift üben.«

Panik huscht über seine Züge. »Warum?«

»Wahrscheinlich weil ich nicht sonderlich gut darin bin.«

Er stößt erleichtert die Luft aus. »Oh.«

Ich nehme das Buch von seinem Nachttisch. »Was meinst du?«

Er schüttelt den Kopf. »Ich möchte nicht mit dir üben.«

Obwohl er den Satz geflüstert hat, hätte er ihn ebenso gut brüllen können.

»Nicolas …« Ich atme so tief ein, dass meine Lunge schmerzt, um all meinen Mut zusammenzunehmen. »Habe ich etwas falsch gemacht?«

Er starrt verzweifelt auf das Buch in meinen Händen. »Nein.«

»Warum willst du dann keine Geschichten mehr mit mir lesen?«

Er presst die Lippen zusammen.

»Mit Ellie liest du doch auch.«

Sein bebendes Kinn lässt mein Herz schmerzen.

Du machst alles nur noch schlimmer.

Mit steifen Bewegungen lege ich das Buch zurück auf den Nachttisch und gebe Nico einen Kuss auf den Kopf. »Mach dir keine Gedanken. Ich werde allein üben und dich am Ende mit meinen Lese-Skills beeindrucken.«

Er kuschelt sich noch tiefer unter die Decke. »Ich hab dich lieb.«

Das dumpfe Pochen in meinem Kopf wird schwächer. »Te quiero, mijo. Con todo mi corazón.*****«

»Es tut mir leid«, murmelt er, als ich schon fast an der Tür bin.

»Dir muss nichts leidtun. Ich möchte nur, dass du weißt, dass ich immer Zeit für dich habe, wenn du mit mir lesen möchtest.«

Dein eigener Sohn will dich nicht in seiner Nähe haben, sagt eine Stimme in meinem Kopf. Zurückweisung ist nie leicht zu ertragen, aber es gibt nichts Schmerzhafteres, als sie von seinem eigenen Kind zu erfahren.

Sohn, Ehemann, Vater – ich bin bereits in so vielen Rollen gescheitert, dass ich nur mir selbst die Schuld daran geben kann. Ich war zu beschäftigt damit, meine Firma zu expandieren, sodass sich meine Frau einen anderen gesucht hat, der ihr die Aufmerksamkeit geschenkt hat, die ich ihr nicht geben konnte. Womit ich nicht gerechnet habe, war, dass meine Ex die Scheidung zum Anlass nehmen würde, mit ihrem neuen Freund nach Oregon abzuhauen und all ihre Pflichten zurückzulassen. Und damit auch ihren musikliebenden, heldenhaften Sohn.

Nico reißt mich aus meinen Gedanken. »Kannst du Ellie holen, bevor du gehst?«

Ich umklammere den Türknauf mit eisernem Griff. »Natürlich.«

»Ich war überrascht, als du mir gestern geschrieben hast, dass du dich heute mit mir treffen möchtest.«

Mein Cousin Julian lässt sich gegenüber von mir auf die lederne Bank der Sitznische fallen. Nach einem langen Arbeitstag auf einer seiner Baustellen sieht er erschöpft aus. Sein schwarzes Hemd ist mit Sägemehl bestäubt, und seine Wangen sind von der Sonne, die nun, Anfang Juni, stärker brennt, gerötet. Wir sind zwar keine Brüder, ähneln uns aber so sehr, dass man es ohne Weiteres annehmen könnte. Unsere braunen Augen, das dunkle Haar und den markanten Kiefer haben wir von unseren Vätern geerbt.

»Sag mal, besitzt du eigentlich eine Bürste?«, fragt er unvermittelt. Während Julian seine Wellen zähmt, indem er seine Haare kurz trägt, sind meine länger und müssten unbedingt mal wieder geschnitten werden – woran mich Julian jedes Mal erinnert, wenn er mich sieht.

»Ja.«

»Soll ich dir mal zeigen, wie man sie benutzt?«

Ich fahre mit den Händen durch mein dichtes Haar. »Deine Mom schneidet mir morgen die Haare.«

»Gut, denn du bist nur eine Woche von Man-Bun-Länge entfernt.« Er erschaudert übertrieben.

»Ich würde niemals zulassen, dass meine Haare so lang werden.«

Er wirft mir einen bedeutsamen Blick zu.

»Zumindest nicht noch einmal«, korrigiere ich mich.

Nachdem ich die Scheidung eingereicht und von Nicos Augenerkrankung erfahren hatte, habe ich mich selbst vernachlässigt. Ich hatte zu viele Probleme, um an irgendetwas anderes zu denken als meine gescheiterte Ehe und mein leidendes Kind.

»Wenn Ma ohnehin zum Schneiden vorbeikommt, könnte Dahlia sie begleiten und sich deinen Kleiderschrank ansehen. Sie würde dir auch liebend gern dabei helfen, ein paar Outfits für Hawaii zusammenzustellen, wenn du sie lässt.« Julians Augen leuchten. Immer wenn er über seine Partnerin Dahlia Muñoz spricht, die außerdem eine gute Freundin unserer Familien ist, bekommt er diesen albernen verklärten Blick.

Obwohl ich ihn am Anfang gewarnt habe, dass er sich von ihr fernhalten sollte, waren meine Sorgen unbegründet; mein Cousin war nie glücklicher als in den neun Monaten, seitdem er mit Dahlia zusammen ist. Im Gegensatz zu mir ist Julian niemals mit der falschen Frau ins Bett gegangen, nur um seine innere Leere zu füllen. Er war verantwortungsbewusst und geduldig, während ich unbedacht war und dringend eine Therapie nötig hatte. Verdammt, ich könnte immer noch eine Therapie gebrauchen, aber diese persönliche Reise habe ich kurzzeitig unterbrochen, denn ich bin noch nicht bereit, mich meiner Vergangenheit zu stellen. Es war schon schwer genug, herauszufinden, warum ich mich an jemanden wie Hillary gebunden habe. Daher brauche ich ein wenig Zeit, um all das zu verarbeiten, bevor ich die Therapie fortsetze. Vielleicht sogar ein paar Jahre.

Ich ignoriere den Kloß in meiner Kehle und frage: »Was stimmt denn nicht mit meinen Klamotten?«

Klar, früher habe ich mir mehr Mühe mit meinem Äußeren gegeben, aber nur weil mir die Meinung anderer Leute viel zu wichtig war. Ich wollte, dass man mich mag, mich begehrt. Jetzt möchte ich einfach nur meine Ruhe haben.

Er mustert mich von oben bis unten. »Willst du meine ehrliche Meinung hören?«

Eigentlich nicht, aber das hält Julian normalerweise nicht davon ab, sie mir trotzdem zu unterbreiten. Ich bin mir nicht sicher, warum sich meine Familie überhaupt um meine Outfits und meine Erscheinung schert, aber so oder so sind ihre Sorgen unbegründet. Nur weil ich nicht mehr versuche, andere mit meinem Äußeren zu beeindrucken, heißt das noch lange nicht, dass ich am Boden bin – zumindest diesmal nicht.

Er deutet auf mein Holzfällerhemd. »Deine Garderobe könnte vor dem Urlaub ein kleines Update vertragen.«

»Wer sagt das?«

»Alle, die dich lieben.«

Ich verdrehe die Augen. »Ihr liegt mir nur in den Ohren, weil ihr nichts Besseres zu tun habt.«

»Falsch. Wir liegen dir in den Ohren, weil wir durchschauen, was du tust.«

Automatisch verspanne ich mich. »Und das wäre?«

»Du verbirgst deine Unsicherheit hinter grässlicher Kleidung, zerzausten Haaren und deiner schroffen Art.«

»Kann ich mir wenigstens ein Bier bestellen, bevor du mir meine psychischen Probleme auseinandersetzt?«

»Um die zu besprechen, bräuchten wir was Härteres.«

»Pendejo******«, murmele ich.

»Cabeza dura*******.« Julian stößt ein leises Lachen aus und hebt die Hand, um dem Barkeeper ein Zeichen zu geben. Ehe ich die Chance habe, mein Portemonnaie rauszuholen, hat mein Cousin bereits seine schwarze Kreditkarte gezückt und ordert zwei Bier von einer Brauerei aus der Gegend. Dann verschränkt er die Arme vor der Brust, woraufhin ein wenig Sägemehl durch die Luft rieselt. »Also, was ist der wahre Grund für deinen Anruf?«

»Brauche ich einen Grund, um mit meinem Cousin abzuhängen?«

Er hebt eine Augenbraue. »Nein, aber in letzter Zeit hast du eher nach Ausreden gesucht, um nicht mit mir abzuhängen.«

Das Loch in meiner Brust wird größer. »Sorry. Die letzte Zeit war … hart.«

In den vergangenen Monaten fand ich es einfacher, mich von meiner Familie fernzuhalten, als ihre Fragen über mein Verhältnis zu Nico zu beantworten. Ich weiß, dass sie es nur gut meinen und ich dankbar für ihre Liebe und Aufmerksamkeit sein sollte, nachdem ich die ersten zehn Jahre meines Lebens damit verbracht habe, mir eine Familie wie sie zu wünschen, aber zuweilen fühle ich mich eingeengt. Besonders wenn es sich anfühlt, als würde ich nicht nur Nico im Stich lassen, sondern auch sie.

»Was ist los?«, fragt Julian.

Ich atme tief durch und stelle mich meiner Angst. »Nico und ich haben Probleme.«

Seine Augen werden groß. »Wirklich?«

Ich seufze. »Ja.«

»Ist das der Grund, warum du sonntags nicht mehr zu den Muñoz’ kommst?«

»Jepp.«

Die Muñoz’ und Lopez’ verbringen schon seit unserer Kindheit jeden Sonntag zusammen, aber in letzter Zeit habe ich alles darangesetzt, diesem Familienritual zu entgehen, indem ich an dem Tag Aktivitäten für Nico und Verabredungen mit seinen Freundinnen und Freunden geplant habe.

»Was bedrückt dich?«, fragt Julian.

»Nico verschließt sich vor mir und verhält sich merkwürdig, ich komme aber nicht dahinter, woran es liegt.«

Er reibt sich das Kinn. »Wann hat das angefangen?«

»Ungefähr zu Jahresbeginn.«

»Also zur gleichen Zeit, als seine Mutter ihren Besuch im Ort abgesagt hat?«

Ich nicke. »Und es kamen auch noch ein paar andere Dinge hinzu.« Zum Beispiel, dass Nico darauf bestanden hat, dass Ellie uns in den Sommerurlaub begleitet, obwohl ich mich deutlich dagegen ausgesprochen habe.

»Hast du ihn gefragt, was nicht stimmt?«

»Klar.«

»Und?«

»Er will nie darüber reden, sondern macht einfach dicht.«

»Der Apfel fällt nicht weit vom Stamm.«

Ich funkele ihn an.

Julian richtete den Blick ins Leere und nippt an seinem Bier. »Hast du eigentlich in letzter Zeit mal daran gedacht, Ellie darauf anzusprechen?«

»Nein.« Das Wort kommt mir barscher über die Lippen als beabsichtigt.

»Meinst du Nein, du hast noch nicht darüber nachgedacht, oder Nein, du verhältst dich lieber weiterhin wie ein starrsinniger Idiot und vermeidest es um jeden Preis, um Hilfe zu bitten?«

Ich beiße die Zähne zusammen.

Julian legt den Kopf schief. »Letzteres also. Hab ich mir schon gedacht.«

Es missfällt mir, wie leicht Julian mich durchschauen kann. Da ich ihn schon fast mein ganzes Leben kenne, bin ich daran gewöhnt, aber das macht es nicht weniger nervig.

»Ich bezweifele, dass sie mir irgendwie helfen kann.« Wenn überhaupt, würde ich mich nach einem Gespräch mit ihr nur noch mehr wie ein Versager fühlen.

Er lehnt sich vor und stützt die Ellbogen auf den Tisch. »Erzähl mir nicht, du bist zu stolz, um sie zu fragen.«

»Das hat nichts mit Stolz zu tun.«

»Bist du dir sicher?«

»Absolut.« Ich habe nämlich keinen Stolz – den habe ich vor langer Zeit zusammen mit meinem Selbstvertrauen verloren.

Julian lacht leise in sich hinein. »Für jemanden, der so verdammt schlau ist wie du, kannst du dich manchmal echt dumm anstellen.«

Ich hebe mein Glas zu einem Toast. »Auf dich ist echt Verlass, wenn es darum geht, mich aufzuheitern.«

»Wir waren immer ehrlich zueinander. Ich fange jetzt bestimmt nicht damit an, dich anzulügen, nur um deine Gefühle nicht zu verletzen.«

»Aber deswegen musst du nicht gleich so hart zu mir sein.«

Julians Mundwinkel heben sich. »Ich mache es dir schwer, weil du mir wichtig bist.«

»Das ist mir klar.« Ich würde das Gleiche für ihn tun, selbst wenn er anschließend wütend auf mich wäre.

Er atmet tief durch. »Im Grunde weißt du, dass du mit Ellie sprechen musst, selbst wenn du nicht willst.«

Mit einem resignierten Seufzen lasse ich den Kopf in den Nacken sinken. »Ja. Ich weiß.«

* Soy yo: Ich bin’s.

** Hola, Papi: Hallo, Dad.

*** Vine a decirte buenas noches: Ich bin gekommen, um dir Gute Nacht zu sagen.

**** Buenas noches: Gute Nacht.

***** Te quiero, mijo. Con todo mi corazón: Ich liebe dich, Sohn. Von ganzem Herzen.

****** Pendejo: Idiot

******* Cabeza dura: Sturkopf

Kapitel fünf

Rafael

Fast habe ich gehofft, dass Ellie schon schlafen würde, wenn ich nach Hause komme. Macht mich das zu einem Feigling? Absolut, aber zumindest hätte es mir mehr Zeit verschafft, mich auf eine so tiefgründige Unterhaltung vorzubereiten.

Ich war immer gut darin, Empfindungen, die mir Unbehagen bereiteten, zu unterdrücken. Zuerst war es reiner Überlebensinstinkt, weil ich meiner Tante und meinem Onkel keinen Grund geben wollte, mich rauszuwerfen. Also habe ich gelernt, meine Gefühle in Bezug auf meine leiblichen Eltern mit ungesunden Verdrängungsmechanismen zurückzuhalten, und war bereit, alles für andere Menschen zu tun. Ein toxisches Verhalten, denn damit habe ich mit aller Macht dafür gesorgt, dass mich andere so sehr brauchten, dass sie mich nicht verlieren wollten. Ich war Captain des Fußballteams, Klassensprecher des Abschlussjahrgangs und Prom-King. Geliebter Neffe, aufopferungsvoller Vater und treuer Ehemann. Dadurch habe ich mich unbesiegbar und vollkommen gefühlt, zumindest bis mein Lügengerüst eingestürzt ist und ich innerhalb von wenigen Monaten mehr über mich selbst gelernt habe als in den einunddreißig Jahren zuvor.

Sanfte Gitarrenklänge begrüßen mich, als ich das Haus betrete. Ich folge dem Geräusch und bleibe schließlich in der Nähe der Wohnzimmertür stehen. Ellie hat mich noch nicht bemerkt, so wie immer, wenn sie in ihre Musik vertieft ist.

Obwohl es sich anfühlt, als würde ich in ihre Privatsphäre eindringen, möchte ich den Moment nicht ruinieren, indem ich mich bemerkbar mache, bevor sie die Chance hat, den Popsong zu Ende zu spielen, den ich sofort erkenne. Mir ist bewusst, dass es eine lahme Ausrede dafür ist, in der Dunkelheit zu lauern, besonders wenn man bedenkt, dass sie meist nahtlos von einem Song zum nächsten übergeht.

Ehe ich mich versehe, habe ich eine halbe Stunde gelauscht. Ihre Musik schafft es, meine Schutzmauer zu durchbrechen. Dass sie aufhört zu spielen, weil sie weiß, dass ich im Haus bin und zuhören könnte, will ich mit allen Mitteln verhindern. Allein der Gedanke daran, dass sie sich unwohl in meiner Gegenwart fühlen könnte, beunruhigt mich fast genauso sehr wie der andere Grund dafür, dass ich in Ellies Nähe verweile, ohne dass sie etwas davon ahnt.

Sie hat etwas an sich, das mich fasziniert und nichts mit Musik zu tun hat. Ich weiß selbst nicht recht, ob mein Interesse etwas mit ihrer Schönheit oder den Geheimnissen zu tun hat, die sie hinter ihrem schüchternen Lächeln und den Liedern versteckt, die mein Herz schmerzen lassen. Unter anderem auch, weil ich es nicht wissen will. Ich weiß nur, dass sie für jemanden mit einem so fröhlichen Lächeln und goldenem Haar, das mich an Sonnenstrahlen erinnert, verdammt gut darin ist, all das hinter herzzerreißenden musikalischen Progressionen und schwermütigen Melodien zu verbergen – die mir noch lange durch den Kopf gehen, nachdem sie abends aufgehört hat zu spielen. Ihre Musik hat eine melancholische Note, wodurch sie sich stark von den fröhlichen Liedern unterscheidet, die Nico für gewöhnlich spielt; und ich frage mich immer wieder, wer oder was sie zu diesen traurigen Melodien inspiriert.

Nachdem ich ein paarmal mit den Füßen aufgestampft habe, verstummt die Musik abrupt. Ein paar Sekunden später betrete ich das Wohnzimmer.

»Ich bin zu Hause«, verkünde ich.

Ellie dreht sich auf der Couch zu mir um und schaut mich an. »Ich dachte, du wolltest erst spät wiederkommen.«

»Hab’s mir anders überlegt.« Ich nehme auf dem Sofa gegenüber von ihr Platz.

»Wahrscheinlich sollte ich schlafen gehen. Nico möchte, dass ich morgen vor der Schule ein paar Geburtstags-Cupcakes für seine Freundin kaufe.« Sie erhebt sich und greift nach ihren Noten.

»Warte! Hast du einen Moment Zeit?«

»Klar.«

»Ich brauche deinen Rat.«

Sie deutet auf ihre Brust. »Meinen?«

»Ja«, presse ich zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor.

Ein paar Sekunden starrt sie mich an, ehe sie nickt. »Äh … okay.« Sie setzt sich wieder und legt ihre Gitarre auf den Beistelltisch. »Möchtest du einen Drink?«

»Verdammt, ja«, antworte ich, ohne nachzudenken.

Sie geht zum Barwagen und füllt ein Glas mit meinem Lieblings-Bourbon, den sie sich offenbar gemerkt hat. Als sie mir den Drink reicht, streifen sich unsere Finger, was meine Haut zum Prickeln bringt.

Eilig zieht sie ihre Hand weg.

»Danke.« Ich trinke einen Schluck.

»Besser?« Sie nimmt wieder Platz.

»Nein.«

»Wie schwer war es auf einer Skala von eins bis zehn, das zuzugeben?«

»Mindestens acht.«

Das schelmische Funkeln kehrt in ihre Augen zurück. »Besser als zehn.«

»Gib mir Zeit, da komme ich noch hin.« Meine Lippen zucken, aber ich reiße mich zusammen, ehe Ellie es noch als Lächeln für ihre alberne Liste wertet.

»Also, wozu brauchst du denn meinen Rat?«

Ich stoße den Atem aus. »Bestimmt ist dir aufgefallen, dass ich momentan keinen guten Draht zu Nico habe.«

Sofort ist ihre Belustigung zusammen mit dem Funkeln in ihren Augen verschwunden. »Ja.«

Ich hatte mit mehr gerechnet als mit einem Ja.

Du wusstest doch, dass es eine schlechte Idee war, sie um Hilfe zu bitten.

Julian hat sich getäuscht. Aufgrund der Tatsache, dass ihre Beziehung zu Nico eine ganz andere ist, wird sie mir nicht helfen können.

»Das tut mir leid«, fügt sie mit gesenktem Blick hinzu, ehe sie mich wieder ansieht.

»Hat er mit dir darüber gesprochen?«

»Nicht wirklich.«