Throttled - Lauren Asher - E-Book

Throttled E-Book

Lauren Asher

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Beschreibung

Ihre Liebe ist verboten. Und gefährlich. Doch sie können nicht ohneeinander.

Noah Slade ist für Maya Alatorre tabu, denn er ist der neue Teamkollege – und größte Konkurrent – ihres Bruders. Zudem gilt die angehende Formel-1-Legende als unnahbar, egozentrisch und gnadenlos. Als Maya einen Blick hinter seine Fassade erhascht, will sie unbedingt herausfinden, wer Noah abseits der Rennstrecke ist, und beweisen, dass eine andere Seite in ihm schlummert. Je näher Maya ihm kommt, desto weniger kann Noah sich auf seinen Job konzentrieren, was bei der Formel 1 lebensgefährlich enden kann. Er sollte sie meiden, doch Maya weckt Gefühle in ihm, die er tief in seinem Inneren begraben hat. Kann Noah die Rennstrecke und Mayas Herz erobern? Doch selbst dann ist ihre Liebe verboten ...

Ab Frühjahr 2025 auch als Printausgabe erhältlich!

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Seitenzahl: 483

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Das Buch

Noah Slade ist für Maya Alatorre tabu, denn er ist der neue Teamkollege – und größte Konkurrent – ihres Bruders. Zudem gilt die angehende Formel-1-Legende als unnahbar, egozentrisch und gnadenlos. Als Maya einen Blick hinter seine Fassade erhascht, will sie unbedingt herausfinden, wer Noah abseits der Rennstrecke ist, und beweisen, dass eine andere Seite in ihm schlummert. Je näher Maya ihm kommt, desto weniger kann Noah sich auf seinen Job konzentrieren, was bei der Formel 1 lebensgefährlich enden kann. Er sollte sie meiden, doch Maya weckt Gefühle in ihm, die er tief in seinem Inneren begraben hat. Kann Noah die Rennstrecke und Mayas Herz erobern? Doch selbst dann ist ihre Liebe verboten …

Die Autorin

Lauren Asher hat eine überbordende Fantasie und verbringt ihre Freizeit mit Lesen und Schreiben. Ihr Traum ist es, an all die Orte zu reisen, über die sie schreibt. Sie genießt es, Figuren mit Ecken und Kanten zu erschaffen, die man einfach lieben muss. Wenn sie nicht gerade schreibt, durchforstet Lauren YouTube, schaut alte Episoden von »Parks & Recreation« und sucht nach neuen Restaurants auf Yelp. Sie arbeitet am liebsten direkt nach ihrem Morgenkaffee und würde nie ein Nickerchen verweigern.

LAUREN ASHER

THROTTLED

Dirty Air

Band 1

ROMAN

Aus dem Amerikanischen von Marion Herbert

WILHELMHEYNEVERLAGMÜNCHEN

Die Originalausgabe THROTTLED erschien erstmals 2020 im Selfpublishing und 2024 bei Bloom Books, USA.

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.

Der Verlag behält sich die Verwertung der urheberrechtlich geschützten Inhalte dieses Werkes für Zwecke des Text- und Data-Minings nach § 44b UrhG ausdrücklich vor. Jegliche unbefugte Nutzung ist hiermit ausgeschlossen.

Copyright © 2020. THROTTLED by Lauren Asher

The moral rights of the author have been asserted.

Copyright © 2024 der deutschsprachigen Ausgabe

by Wilhelm Heyne Verlag, München,

in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH,

Neumarkter Str. 28, 81673 München

Redaktion: Lisa Scheiber

Umschlaggestaltung: ZERO Werbeagentur nach dem Originalcoverdesign von Books and Moods unter Verwendung von Bildern von 24Novembers/Adobe Stock, Formatoriginal/Adobe Stock

Satz: satz-bau Leingärtner, Nabburg

ISBN 978-3-641-32856-6V001

www.heyne.de

Mom, danke für alles, auch für das Weihwasser, in dem du mich baden wirst, wenn du dieses Buch gelesen hast.

PROLOG

Noah

ZWEI JAHRE ZUVOR

Ich atme tief ein und genieße den Geruch von Gummi und Abgasen, bevor ich das Visier an meinem Helm hinunterschiebe. Dann lege ich die Hände ans Steuer meines Bandini-Rennwagens. Meine Finger in den Handschuhen beben von den Vibrationen des Motors, und die Karosserie scheppert. Das Publikum beim Großen Preis von Abu Dhabi jubelt, als die Crew meine Reifenwärmer abzieht.

Nach dem erfolgreichen Qualifying gestern stehe ich auf dem ersten Platz im Starterfeld, und wenn ich jetzt keinen Mist baue, gehört der Weltmeistertitel mir.

Ein rotes Licht nach dem anderen leuchtet über mir auf und spiegelt sich im glänzend roten Lack der Karosserie. Die Fans warten still. Dann gehen die Lichter aus und signalisieren damit den Start des Grand Prix. Ich trete aufs Gas, und mein Wagen schießt die Gerade entlang, bis ich die erste Kurve erreiche. Die Reifen schlittern über die Fahrbahn, hinter mir ertönt das Quietschen der anderen Fahrzeuge. Aber im Rennen habe ich einen Tunnelblick. Es gibt nur noch mich und die Strecke.

»Noah, kurze Info: Liam Zander ist hinter dir, gefolgt von Jax Kingston und Santiago Alatorre. Behalte dein Tempo bei und konzentrier dich auf die Kurven«, höre ich die Stimme des Teamchefs über Funk in meinem Helm.

Ich verteidige meine Position und mache es den anderen schwer, meinen Wagen in den Kurven zu überholen. Das Brummen des Motors stimmt mich euphorisch, während ich einen weiteren geraden Abschnitt mit über dreihundertzwanzig Stundenkilometern entlangfahre, vorbei an ausrastenden Fans. Sekunden vor der nächsten Kurve trete ich auf die Bremse, und die weichen Reifen kreischen auf dem Asphalt. Musik in meinen Ohren.

Die ersten paar Runden des Rennens verlaufen ohne Zwischenfälle. Adrenalin schießt durch meinen Körper, als Liams Fahrzeug in einer Kurve neben meinem auftaucht. Der unverkennbare stahlgraue Lack glitzert unter der Wüstensonne. Sein Motor heult auf. Ich wage ein riskantes Manöver und bremse einen kleinen Moment später als für Curbs empfohlen. Das Metall bebt, als die Räder auf der rechten Seite vom Boden abheben und dann wieder runterkrachen. Liam fällt zurück, er kommt nicht an mir vorbei, während mein Wagen vorwärtsrast.

Über Funk meldet sich ein Mechaniker. »Das war eine gefährliche Kurve. Entspann dich, du hast noch zweiundfünfzig Runden vor dir. Es gibt keinen Grund, unvorsichtig zu fahren.«

Sein Rat lässt mich schmunzeln. Nachdem ich mich in einer nervenaufreibenden Saison gegen Liam, Santiago und Jax durchgesetzt habe, steht nur noch ein letzter Großer Preis zwischen mir und dem Sieg bei der Weltmeisterschaft.

»Santiago hat sich in der letzten Kurve vor Liam geschoben. Unterschätze ihn nicht, er will den Titel«, höre ich weiter über Funk.

Wenn man vom Teufel spricht … Santiagos royalblauer Wagen erscheint in meinem Seitenspiegel. Kopfschüttelnd nehme ich die nächste Kurve. Der kleine Scheißer will ein bisschen zu sehr angeben, um sich bei seinem Team und auf der Formel-1-Rennstrecke einen Namen zu machen. Für einen Neuen fährt er nicht schlecht, aber nach zu vielen Beinaheunfällen in dieser Rennsaison will ich ihn nicht näher als notwendig an mich herankommen lassen.

Der Dreckskerl fährt bis an meinen Heckflügel und schließt damit die Lücke zwischen unseren Fahrzeugen – keine gute Idee bei den engen Krümmungen vor uns. Mein Herz schlägt schneller. Ich umklammere das Lenkrad und atme ein paarmal tief durch. Ein, aus – Yoga-Gedöns. Ich gebe meine Spitzenposition nicht auf, will meinen Wagen auf keinen Fall von Santiago überholen lassen. Die graue Fahrbahn rauscht an mir vorbei. Auf dem nächsten geraden Abschnitt fährt Santiago neben mich, sodass sich unsere Räder fast berühren – bis auf wenige Zentimeter.

Beide Motoren heulen auf, als wir die Gaspedale voll durchtreten. Bei der nächsten Kurve dränge ich mich wieder auf den ersten Platz; mein Frontflügel schiebt sich vor seinen.

Scheiße.

Statt einen Rückzieher zu machen, gibt Santiago Gas. Verdammter Vollidiot.

Das Ganze geschieht in Zeitlupe, wie im Film, ein Bild nach dem anderen. Und ich schaue tatenlos zu. Der Bandini-Teamchef brüllt mir ins Ohr, dass ich ausweichen soll, aber das Geräusch von knirschendem Metall sagt mir, dass es zu spät ist.

Santiagos Wagen trifft meinen bei etwa dreihundert Stundenkilometern. Von diesem katastrophalen Zusammenstoß werde ich mich nicht erholen. Ich fluche, als die Räder meines Fahrzeugs vom Boden abheben und ich in die Luft katapultiert werde. Ich fliege buchstäblich, bevor ich auf den Asphalt knalle.

Mein Rennwagen überschlägt sich zweimal und schlittert über die Fahrbahn, Funken stieben mir um den Kopf, der Beton ist in Reichweite. Ohne das schützende Halo-System wäre ich am Arsch. Das Kratzen von Stahl auf Asphalt schrillt mir in den Ohren, bis mein Fahrzeug zum Stehen kommt. Mein Atem dringt mühsam durch meine zugeschnürte Kehle.

»Noah, wie geht es dir? Bist du verletzt? Das Rettungsteam ist unterwegs.«

»Keine Verletzungen. Das Arschloch hat mich gerammt, mich einfach weggeschubst wie einen Scheiß-Autoscooter.« In mir steigt Wut auf über Santiagos Kaltblütigkeit. Ich will ihm eine reinhauen, sobald er nach dem Rennen in den Cooldown-Raum kommt. Ihm sein Sonnyboy-Lächeln aus dem Gesicht schrubben.

»Ach du Scheiße! Noah, pass auf!«

Mir läuft ein Schauder über den Rücken. Mein Körper ist gefangen, ich kann mich nicht bewegen. Ich sitze fest, während Jax’ Wagen ins Schleudern gerät und dann meinen rammt. Nach der Umdrehung bin ich einem weiteren Zusammenstoß hilflos ausgeliefert. Verdammte Scheiße! Es trifft mich mit voller Wucht, und ich schlage mit dem Kopf heftig gegen die Kopfstütze, während sich unsere Fahrzeuge unkontrolliert im Kreis drehen. Der Aufprall erschüttert meinen Körper, sodass er selbst an Stellen schmerzt, an denen ich es gar nicht für möglich gehalten hätte.

Jetzt kann ich die Meisterschaft vergessen. Nur wegen Santiago und seiner bescheuerten Idee, mit einer solchen No-Go-Aktion ein paar Sekunden zu gewinnen. Wie scheißrücksichtslos von ihm! Mir wird schwindelig, als das Adrenalin nachlässt und ich am ganzen Körper die Schmerzen wahrnehme.

»Fick dich, Santiago. Genieß deinen Meisterschaftssieg, denn es wird dein letzter sein.« Mir doch scheißegal, dass alle den Teamfunk mithören. Sollen die Fans und er doch wissen, wie sehr ich ihn hasse. Santiago kann jetzt einen auf Obermacker machen, aber ich werde mich rächen. Der Wichser hat sich mit dem Falschen angelegt.

Mir wird schwarz vor Augen. Die Kombination von zwei Zusammenstößen mit meiner Kopfüber-Position ist zu viel für meinen Körper. Ich fühle mich verdammt hilflos, während das Rettungsteam mein Fahrzeug wieder richtig herum dreht. Kochend vor Wut schlage ich mit den Händen im Takt meines rasenden Herzens auf das Lenkrad.

Missmutig lasse ich mich von den Sanitätern auf Verletzungen untersuchen. Bis auf ein angekratztes Ego und einen Blutdruck, der durch die Decke geht, trage ich keine Schäden davon. Das Rettungsteam bringt mich zurück zu den Bandini-Suiten, und ich dränge mich an der Boxencrew vorbei, denn ich habe keinen Nerv für Scherze oder lahme Schulterklopfer à la »Alles wird gut«. Ich will nicht hören, dass ich die Meisterschaft nächstes Jahr gewinnen werde.

Ich eile die Stufen zu meiner Suite hinauf und mache mich bereit für das, was mich hinter der Tür erwartet. Meine Lunge brennt, weil ich einen so tiefen Atemzug nehme. Scheiße, eher zehn Atemzüge, ein und aus. Irgendwann beruhigt mich der Rhythmus.

Ich öffne die Tür und stehe vor zwei Menschen, die ich eigentlich nicht so bald wiedersehen wollte. Am liebsten nicht in den nächsten zehn Jahren. Mein Vater geht in der kleinen Suite auf und ab, seine breiten Schultern füllen den Raum, seine Brust hebt und senkt sich im Rhythmus seiner Schritte. Sein dunkles Haar sieht ungewöhnlich zerzaust aus, und er fixiert mich mit seinen tiefblauen Augen. Meine herzallerliebste Mutter sitzt auf einer grauen Couch. Ihr eisiger Blick ist abgewandt, sie starrt auf ihre Fingernägel. Mit perfekt frisiertem blondem Haar posiert sie auf den Kissen wie das Model, das sie früher war. Zu ihrem Glück hat sie sich meinen Dad gekrallt und mit einem Sohn, der als berühmter F1-Pilot in die Fußstapfen ihres Mannes tritt, auch noch den DNA-Jackpot geknackt und den Eltern-Hauptpreis eingestrichen.

Nette Familie, was? In unserem beschädigten, verschmutzten Fotoalbum findet man verpasste Geburtstage, ausgefallene Feiertage und leere Tribünenplätze bei den meisten Formel-Rennen. Zu diesem Grand Prix sind meine Eltern nur gekommen, weil Dad in Erinnerungen schwelgen und Mom vor ihren Freundinnen damit angeben wollte, wie großartig das Leben ist, wenn man einen Rennstar geboren hat. Keiner von beiden ist meinetwegen hier.

»Was zur Hölle war das denn? Was bist du eigentlich für ein Versager?« Dads Stimme schabt mir über die Haut wie ein Rasiermesser. Sein stechender Blick trifft meinen und sucht nach Anzeichen von Schwäche. Er leidet an einem permanenten Arschgesicht, Fältchen durchziehen die empfindliche Haut um seine Augen. Zu meinem Unglück sehe ich ihm ähnlich. Dunkles, leicht gewelltes Haar, blaue Augen, die es mit dem Karibischen Meer aufnehmen können, und ein groß gewachsener Körper. Wir stehen direkt voreinander.

Ich lege eine Hand auf meinen Rennanzug. »Tja, Scheiße. Ich dachte, ich bin einer der besten Fahrer der Welt und starte für ein Top-F1-Team, aber da habe ich mich wohl getäuscht.«

»Und ich dachte, du wirst dieses Jahr Weltmeister, aber da habe ich mich wohl getäuscht«, erwidert mein Vater gereizt.

Ah, da ist sie wieder, die Schlange, die wir alle kennen und verabscheuen. Mein Dad ist zwar für die gesamte F1-Community eine Legende, aber für mich ist er ein Ungeheuer direkt aus den Tiefen der Hölle. Vom Teufel persönlich geschickt. Ein toxischer Mann, der mich immer nur beschimpft. Er finanziert meine Karriere, und als fetten Bonus faltet er mich bei jeder Gelegenheit zusammen. Aber vor anderen spielt er den liebevollen Papi, der meine Rennkarriere nicht nur finanziell, sondern auch emotional unterstützt. Er verdient einen Oscar für den besten NebendARSCHteller.

»So werde ich immerhin deinen dreifachen Titel nicht überbieten. Ich dachte, du freust dich, wenn ich in deinem Schatten bleibe und ewig weiter versuchen werde, den legendären Nicholas Slade zu überholen«, sage ich angewidert.

Er tritt an mich heran und packt mich an meinem Rennanzug wie in guten alten Zeiten. In seinen Augen brodelt kaum verhohlene Wut. Ich sehe ihm an, dass er überlegt, ob er mich schlagen oder verbal fertigmachen soll.

Gespielt gleichgültig verdrehe ich die Augen, obwohl mein Herz rast. »Deine Vorhersehbarkeit langweilt mich. Was willst du denn machen? Mir eine runterhauen als Erinnerung daran, was für ein Dreckskerl du bist?« Meine Stimme bleibt fest.

Die Geschichte von meinem Dad und mir ist – vorsichtig ausgedrückt – turbulent. Die ersten Jahre meines Lebens waren schön, aber als ich mit dem Kartfahren anfing, war Game over. Ironischerweise wurden die besten Jahre meines Lebens die schlimmsten. Nun hatte ich keinen Papa mehr, der mit mir zum Fahrradfahren oder Footballspielen in den Park ging. Er wurde von Jahr zu Jahr strenger, während ich immer nur wollte, dass er mit mir zufrieden war, und mich anstrengte, um einer der besten Gokartfahrer zu werden. Dann kamen die Formel-Rennen, bei denen ich immer noch auf seine Liebe und Anerkennung hoffte und dafür mit meiner Kindheit bezahlte. Ich hätte alles getan, um sein geheimes Ritual zu stoppen: die wöchentliche Tracht Prügel, die ich kassierte, wenn ich nicht auf dem ersten Platz landete. Die Fans wissen nicht, wer ich wirklich bin, welchen Scheiß ich gemacht habe, um meinen Dad zu beeindrucken. Mein Arsch konnte sich nie mit einem Gürtel anfreunden.

Aus Ohrfeigen wurden Schläge und später, als ich seine Größe erreichte, verbale Gewalt. Mein Dad nahm mir meine Kindheit und damit auch meine Menschlichkeit. Denn um das Schlimmste zu überleben, eignet man es sich an.

Ich blicke meinem Vater in die Augen und sehe das Monster, das mich erschaffen hat. Sein Wunsch hat sich erfüllt. Um ihm zu gefallen und mich zu schützen, wurde ich irgendwann wie er, nur dass ich niemanden verhaue. Ich bin ein Arschloch hinter Mauern, die höher sind als der Grand Canyon.

Er grinst mich höhnisch an und stößt dann zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor: »Ich habe Tausende verloren wegen deiner peinlichen Shitshow da draußen. Glückwunsch zum Vizemeister. Muss sich schön anfühlen, ein ganzes Lebensjahr in die Tonne zu treten. Du kannst nicht in meinem Schatten bleiben, denn du verdienst es nicht mal, dieselbe Luft zu atmen wie ich.«

Meine Mutter sitzt einfach da und beobachtet seinen Wutausbruch ungerührt. Ihre Augen sind so kalt und tot wie ihre Persönlichkeit. Sie ist überflüssig, eine nutzlose Puppe, die die Rolle einer Mutter spielt, wenn ihr gerade danach ist. Nie reagiert sie, wenn er so wird; die Gleichgültigkeit in ihrem leeren Blick ist offensichtlich. Ich würde ernsthaft vergessen, dass sie überhaupt sprechen kann, wenn sie mich nicht ab und zu anrufen würde, um mich nach VIP-Tickets und Backstagepässen zu fragen.

»Dann hau doch ab. Komm mir nicht zu nahe, denn zu versagen, soll ansteckend sein.« Ich packe ihn an den Händen und stoße ihn von mir weg.

Er weicht nicht zurück, sondern sieht mir fest in die Augen und spottet: »Du bist so ein Loser, schon seit deiner Geburt. Nur dank mir und meinen Investitionen bist du so weit gekommen, denn niemand sonst hätte einen Jammerlappen wie dich gesponsert. Einen aufgeblasenen, ungezogenen Bengel, der den harten Kerl raushängen lässt, aber nachts heimlich in sein Kissen flennt, weil Mami ihn nicht lieb hat und Papi ihm jede Woche den Arsch versohlt.«

Ich zucke mit den Schultern und versuche, unbekümmert zu wirken. Innerlich kocht mein Blut, und Streitlust steigt in mir auf – ein unglückliches genetisches Erbe von diesem Mann.

»Oh, sorry, Dad. Möchtest du dir vielleicht mit ein paar Hundert-Dollar-Scheinen die Tränen trocknen? Was für eine Enttäuschung, jemanden großzuziehen, der schon drei Weltmeistertitel hat.«

»Die Enttäuschung war nicht, dich großzuziehen. Sondern zu sehen, was für ein Weichei du geworden bist. Viel Spaß bei deiner Siegesparade für den zweiten Platz. Bei mir ist es ja schon eine Weile her, aber soweit ich mich erinnere, hat man vom ersten Platz auf dem Podium immer noch die beste Aussicht.« Mit einem hämischen Grinsen wendet er sich ab.

Schach-fucking-matt.

KAPITEL EINS

Maya

Maya Alatorre, Bachelor of Arts in Communications.« Der Sprecher verkündet meinen Abschluss auf Englisch und Spanisch. Meine Eltern und Santi strahlen mich von ihren Plätzen seitlich der Bühne an und winken mit Schildern zwischen anderen Eltern von Absolventen der Universitat de Barcelona. Endlich halte ich das kostbare Blatt Papier in den Händen. Ich spüre die raue Textur zwischen den Fingerspitzen und denke daran, was für ein steiniger Weg es war, bis ich heute mein Studium abschließen konnte.

Ich setze mich wieder in das Meer von Studierenden in billigen Polyester-Talaren. Es folgen noch ein paar Reden, dann legen wir die Quaste auf die andere Seite des Huts zum Zeichen, dass unsere Unizeit vorbei ist. Fünf schwere Jahre und zwei Fachwechsel später kann ich glücklich sagen, dass ich einen Abschluss habe. Wie sich herausstellte, war ich nicht für ein Biologiestudium gemacht; als meine Kommilitonin in einem Sezierkurs einem Ferkel den Bauch aufschnitt, fiel ich in Ohnmacht. Und Jura war auch nicht ganz das Richtige für mich; bei meiner ersten Debatte übergab ich mich in den nächstbesten Abfalleimer und verlor so, noch bevor die Fragen begannen. Andere würden diese Neustarts als Misserfolge betrachten, aber ich glaube, sie haben meinen Charakter gefestigt. Und mich gelehrt, Rückschläge zu verkraften.

Ich brauchte zwei Praktika, bis ich mein Interesse für Film und Produktion entdeckte. Nun kann ich mich zu den arbeitslosen Akademikerinnen zählen, denn einen Job in der Filmbranche zu kriegen, ist viel schwerer, als ich gedacht hätte.

Meine Familie erwartet mich draußen vor der Kulisse Barcelonas. Die kühle Dezemberluft streicht mir über die Haut, die durch die billige Abschlussrobe kaum geschützt ist. Wir umarmen uns alle gemeinsam, dann machen meine Eltern Fotos von mir. Ich werde mit Glückwünschen und Küssen überhäuft, und mein Bruder Santiago steckt mir einen Umschlag zu.

»Für die Absolventin. Hat ja lange genug gedauert.« Er lächelt mich an und klopft mir dann auf den Hut. Wir ähneln uns zwar, sehen aber Gott sei Dank doch ziemlich unterschiedlich aus. Wir haben beide dunkles, dichtes Haar und dazu passende hellbraune Augen, lange Wimpern und olivfarbene Haut. Damit enden unsere Gemeinsamkeiten aber auch schon. Santi hat von einem entfernten Verwandten ein Wachstums-Gen geerbt, während ich seit der achten Klasse nicht mehr größer geworden bin. Er rasiert sich gern eine Woche lang nicht den Bart und hat ein breites Grinsen, während mich eher ein verschmitztes Lächeln und dazu funkelnde Augen auszeichnen. Er macht sieben Tage die Woche Sport, während ich das Treppensteigen zu meinen Seminaren als mein tägliches Work-out betrachte.

Santis Handy klingelt, und er tritt beiseite, um dranzugehen.

Meine Mutter lässt mich posieren und macht noch mehr Bilder. Wir sind beide klein und haben die gleichen honigfarbenen Augen und welligen Haare mit genug Volumen, dass sie schon direkt nach dem Aufstehen gut aussehen.

»Wir sind sehr stolz auf dich. Unsere Babys haben es beide weit gebracht«, sagt meine Mom und fotografiert mich, wie ich die Augen verdrehe. Sie hat einen klangvollen Akzent, was daran liegt, dass sie Englisch von den Gästen bei ihrer Arbeit im Hotel gelernt hat.

Ich stöhne, als sie mir einen dicken Kuss auf die Wange gibt und dabei einen Abdruck ihres Lippenstifts hinterlässt.

Mein Dad murmelt, sie müsse mich endlich wie eine Frau und nicht mehr wie ein Kind behandeln. Und hey, ich habe gerade meinen Bachelorhut hochgeworfen, ich bin jetzt eine reife Erwachsene. Dads Lächeln geht bis zu seinen braunen Augen, sodass sich in den Augenwinkeln Fältchen bilden, als er zu mir herunterschaut. Er hat dichtes Haar wie Santi, einen kurzen Bart und eine schlanke Statur. Santi sieht aus wie eine jüngere, muskulösere Version von unserem Dad.

»Wollen wir jetzt zu Abend essen?«, fragt Dad und reibt sich über den Bauch.

Santi tritt wieder zu uns und wirkt ungewöhnlich blass. Er stellt sich neben mich und flüstert mir ins Ohr: »Tut mir echt leid. Aber sie werden sauer, wenn sie’s nicht von mir erfahren.«

Ich sehe ihn verwirrt an, verstehe nicht, warum er sich entschuldigt.

Santi holt tief Luft und sagt dann lächelnd: »Mein Agent hat mir gerade mitgeteilt, dass Bandini mir für die nächste Saison einen Vertrag anbietet.«

Tja, Pech für mich.

Santi hat es nicht nötig, mir die Show zu stehlen, er stiehlt mir gleich das gesamte Festival.

* * *

Ich stelle Santis grünen Smoothie auf den Tisch neben seine Trainingsbank. Die mickrigen hundertzwanzig Milliliter Saft sind der klebrige Beweis dafür, dass ich in absehbarer Zukunft jede Küche weiträumig meiden sollte. Insbesondere weil in dieser immer noch grüne Flüssigkeit von der Decke tropft. Was für eine Sauerei! Es lief großartig, bis ich vergessen habe, den Deckel auf den Mixer zu setzen, sodass sich der Inhalt in alle Richtungen verteilt hat, einschließlich auf meine Haare und Klamotten.

»Ich will nicht, dass du mich bedienst. Unternimm lieber noch was Schönes, denn wir werden eine Weile von zu Hause weg sein.« Er hebt stöhnend ein Gewicht über seine Brust.

»Ich möchte mich nützlich machen und dir etwas dafür zurückgeben, dass ich kostenlos bei dir wohnen kann.« Ich knete meine Finger, während er seine Wiederholungen zählt und seine tiefen Atemzüge die Stille füllen.

Schicke Geräte glänzen unter den Deckenleuchten und zeigen, wie ernst er die Formel 1 nimmt. Sein neues Zuhause hat nichts mehr mit dem Zimmer gemeinsam, das wir uns als Kinder und Jugendliche geteilt haben. Dieses neue Haus hat sieben Zimmer, einen Fitnessraum, einen Mini-Kinosaal und einen Pool in olympischer Größe. Unfassbare fast sechshundert Quadratmeter.

Er seufzt. »Geld spielt keine Rolle mehr.«

»Ja, ich weiß. Aber ich will auf eigenen Beinen stehen, denn ich kann nicht ewig in deinem Schatten leben.« Meine Hand zuckt. Ich unterdrücke meinen nervösen Tick, mir eine Haarsträhne um den Finger zu wickeln.

Ich glaube nicht, dass ich jemals vergessen werde, wie abartig viele Nullen Santis Kontostand hat. Von seinem ersten F1-Gehalt hat er meine gesamten Studiengebühren bezahlt. Anstandslos. Er hat, ohne mit der Wimper zu zucken, den Scheck unterschrieben, als wäre es selbstverständlich für ihn, nun, nachdem er groß rausgekommen ist, die gesamte Familie zu finanzieren. Aber niemand hätte das von ihm erwartet. Wir sind dankbar für alles, was Santi für uns tut. Er will helfen, so viel er kann, und macht das von Herzen und nicht aus Pflichtgefühl.

Als wir jünger waren, hatten unsere Eltern jeweils zwei Jobs, um jeden Cent für Santis Rennkarriere zu sparen. Mein Dad reparierte nebenbei Karts, und meine Mom ging am Wochenende bei Privatleuten putzen. Im Gegensatz zu den meisten reichen »Treuhandfonds-Kids« in der F1 sind meine Eltern im besten Fall Mittelklasse. Santi hat sich ohne Finanzspritzen oder berühmte Eltern einen Namen gemacht. Jetzt hat er endlich Sponsoren, die an ihn und seine Fähigkeiten glauben, was sein Leben leichter und das Rennfahren gleich sehr viel entspannter macht.

»Ich freue mich, wenn du mich in dieser Saison zu den Rennen begleitest. Du kannst dir das Jahr Zeit nehmen, um herauszufinden, wie es für dich weitergehen soll. Und wir werden eine Menge Spaß haben, denn endlich können wir mal gemeinsam reisen.« Er grinst mich über seine Langhantel hinweg an.

Santi lebt jetzt seinen Traum als Top-F1-Pilot für Bandini – das Spitzenteam im Motorsport. Für Bandini zu fahren, war schon immer der größte Wunsch meines Bruders. Als er mir anbot, ihn zu begleiten, zögerte ich nicht, denn mein großer Bruder ist sozusagen ein Superstar. Als er bei meiner Abschlussfeier vor ein paar Wochen die Bombe platzen ließ, fand ich das unfair, aber ich habe ihm verziehen, denn er hatte ja einen guten Grund, weil er nicht wollte, dass wir es von den Paparazzi erfahren. Im Gegensatz zu anderen Geschwistern macht es mir nichts aus, das Rampenlicht zu teilen.

»Das ist der Plan. Deine Assistentin hat mir schon alle Reiseinfos und Buchungen geschickt.«

Allein die Tatsache, dass er eine Assistentin hat, fühlt sich komisch an. Sie kümmert sich um alle praktischen Dinge wie das Einchecken in die Hotels, die wöchentlichen Lebensmitteleinkäufe und das Aufsetzen von Sponsorenverträgen.

»Hast du die Kamera bekommen, die ich für dich ausgesucht habe?«

Ich habe keine Ahnung, wie ich mich je für seine Großzügigkeit revanchieren kann, besonders wenn er mir so teure Geschenke macht. Er kauft mir Sachen, obwohl er sowieso schon alles bezahlt. In letzter Zeit schwanke ich zwischen Schamgefühlen und Dankbarkeit.

»Ja, danke noch mal. Ich habe alles eingerichtet und freue mich schon total auf das Vloggen. Ich habe mir auch noch ein Handstativ dazugekauft.« Ich lächle zu ihm hinunter.

Ohne eine Pause zu machen, hebt er das Gewicht wieder über seine Brust und erwidert: »Ich bin jetzt schon gespannt auf deine Videos. Und hast du auch alle deine Sachen gepackt?«

»Ja, Papa, ich habe alles seit zwei Tagen fertig, wie du es wolltest.« Ich verdrehe die Augen.

Er schmunzelt und sieht mich mit seinen Mandelaugen an. »Ich hoffe, du redest nicht die ganze Saison so mit mir. Mit deinen Teenie-Hormonen komm ich nicht mit.«

»Du bist gerade mal ein Jahr älter als ich. Und da nennst du mich einen Teenie? Entspann dich. Das Hormon-Thema ist abgehakt. Ich bin dreiundzwanzig, nicht fünfzehn.«

Er knurrt. Gut so. Er muss lernen, auf seine Worte zu achten, denn er wird fast rund um die Uhr von Filmteams begleitet werden.

Er steht auf und wischt seine Sportgeräte ab, denn so ist er: ordentlich, organisiert und verantwortungsbewusst. Anständige Leute reinigen ihre Trainingsgeräte und räumen alles wieder an seinen Platz, während Leute wie ich ein Fitnessstudio gar nicht erst betreten.

Während Santi zuverlässig und selbstsicher ist, neige ich zu guten Vorsätzen und schlechter Umsetzung. Ich respektiere die Lebensentscheidungen meines Bruders, befinde mich aber selbst gerade in einer Übergangsphase. Darum darf ich um die Welt reisen, mich selbst kennenlernen und erwachsen werden. Allen in unserer Familie ist bewusst, dass ich mich allmählich am Riemen reißen muss. Und das werde ich bestimmt auch. Aber wie ein guter Wein lasse ich mir Zeit.

Und in dieser Zeit habe ich vor, am Pool Cocktails zu schlürfen, während Santi bei einundzwanzig verschiedenen Rennen auf der ganzen Welt antritt. Nein, Spaß beiseite. Wie es sich für eine echte Europäerin gehört, liebe ich die F1, also werde ich ihn natürlich bei jedem Schritt des Weges beziehungsweise jeder Reifenumdrehung anfeuern. Ist doch klar, oder?

Mein Bruder und ich haben schon als Kinder alles gemeinsam gemacht. Seine Gokartrennen waren unsere Familienzeit, und niemand war überrascht, als er F1-Fahrer wurde – und zwar im weltrekordverdächtigen Alter von einundzwanzig Jahren. Ich kann mir gar nicht vorstellen, was für eine Genugtuung es für Santi sein muss, dass Bandini sein Potenzial erkannt und für sich beansprucht hat. Sein neuer Vertrag krönt seine lebenslangen Bemühungen in der Rennfahrer-Community und ist das nächste Kapitel in seiner F1-Pilotenkarriere.

Ganz einfach: Mein großer Bruder hat das Talent und den Drive. Im wahrsten Sinne des Wortes.

In Santis Fitnessraum gebe ich ihm ein Versprechen: »Ich schwöre feierlich, dass ich kein Tunichtgut bin!«

Er runzelt die Stirn. »Zitierst du jetzt Harry Potter?«

»Nein, ich habe den Spruch abgeändert, damit er zu mir passt.«

Er lacht. »Eine Hexe bist du auf jeden Fall.«

Ach, geliebtes Bruderherz, wissen wir das nicht schon lange?

Eine Stunde später kommen unsere Eltern zum Sonntagsessen vorbei. Ich liebe den Duft von Moms selbst gemachter Paella und dazu das Aroma von Sangria. Als Santi und ich ihnen erzählen, dass ich ihn in der kommenden Rennsaison begleiten will, strahlen sie vor Stolz und Freude.

»All deine harte Arbeit hat sich ausgezahlt, auch die langen Tage auf den Dirt-Tracks, bevor du in die großen Rennserien aufgestiegen bist. Wir wissen, dass du dafür viel geopfert hast, sogar dein Studium«, sagt mein Dad zu Santi und hebt sein Glas, bevor er einen Schluck trinkt.

Unsere Eltern betonen gern, wie dankbar sie Santi für alles sind, was er für sie getan hat, seit er den großen Vertrag mit Bandini unterschrieben hat: Völlig selbstlos hat er den Rest ihres Hauskredits abbezahlt, ihnen ein Sparkonto eingerichtet und einen Urlaub geschenkt. Ich verspüre einen schmerzlichen Neid auf seine Fähigkeit, für unsere Familie zu sorgen. Die Unsicherheit, ob ich je etwas Ähnliches erreichen kann, bedrückt mich. Ich freue mich über seinen Erfolg – bitte nicht falsch verstehen –, aber ich befürchte, ich werde nie etwas auch nur annähernd so Großes zustande bringen.

»Wir freuen uns schon darauf, dich bei Bandini zu besuchen, wenn du in Barcelona dein Heimrennen fährst«, sagt meine Mom und klatscht in die Hände. Diese Geste habe ich von ihr übernommen. Ihre Augen glänzen unter dem Kronleuchter in Santis Esszimmer, und ihr braunes Haar liegt offen auf ihren Schultern.

Santi lächelt unsere Eltern an. »Ich freue mich auch schon darauf, nach Hause zu kommen und in Spanien zu starten. Heimrennen sind für alle Fahrer das Größte.«

Wir stoßen alle auf Santis Worte an.

»Es ist toll, dass du ihm folgst und ihm Gesellschaft leistest, Maya. Auf Reisen ist es bestimmt einsam. Und dann hast du deinen Vlog«, sagt Mom zwischen zwei Bissen.

Ich bin dankbar, dass sie mich in das Gespräch einschließt. Sie unterstützt meinen gesamten Entwicklungsprozess und schickt mir Artikel und Videos darüber, wie ich mich vermarkten und Follower gewinnen kann.

Ich habe nicht vor, Santi einfach nur von Land zu Land zu folgen, denn das wäre langweilig. Meine Ideen bedeuten mir etwas, auch wenn Vlogs natürlich nicht so spannend sind, wie die schnellsten und teuersten Autos der Welt zu fahren.

»Ich kann alles filmen, weil Santi mir eine Kamera gekauft hat. Hoffentlich treffe ich unterwegs Leute und knüpfe Kontakte, denn ich will etwas tun, während er beschäftigt ist.« Ich strecke das Kinn vor, um ein Selbstbewusstsein auszustrahlen, das ich im Moment nicht wirklich fühle.

»Wir freuen uns, dass du ihn begleitest. Deine Mom und ich sorgen uns um dich und hoffen, dass du deinen Weg findest. Mit deinem Abschluss kannst du viel machen.« Mein Dad streicht sich durch das graue Haar. Er meint es gut, und da ich mich bisher nicht gerade mit Ruhm bekleckert habe, kann ich es ihm nicht verübeln. Bei seinem Kommentar kommen mir erneute Selbstzweifel, aber ich schiebe sie beiseite.

»Santi hat Glück, dass sein Leben so gelaufen ist, wie er es sich gewünscht hat. Mit vierundzwanzig ist er ein großer Star. Ich bin erst dreiundzwanzig, habe also noch alles vor mir«, scherze ich und ignoriere die wachsende Panik, meine Eltern zu enttäuschen.

»Ich bin mit Maya ein paar Grundregeln durchgegangen, ihr wisst schon, damit sie nicht in Schwierigkeiten gerät. Ich will sie ja nicht wieder betrunken und zu einem Jonas-Brothers-Song heulend im Bad auf dem Fußboden finden.«

Ich werfe mit meiner Stoffserviette nach Santi. »Das ist ein einziges Mal passiert! Ich hatte Geburtstag, und sie hatten gerade ihr Comeback verkündet. Ich war total emotional, okay? Ich hatte mir gerade die Hände gewaschen, als plötzlich diese ganzen Gefühle über mich hereingebrochen sind.«

Alle am Tisch lachen.

»Und ich habe ihr gesagt, dass sie nicht irgendwelchen Fremden ihre Kamera geben soll – ihr erinnert euch …« Santis Augen funkeln schelmisch.

Ich verziehe das Gesicht. »Wie hätte ich denn ahnen sollen, dass irgend so ein Typ mit meinem Handy abhaut, wenn wir ihn um ein Foto bitten? Wer tut denn so was? Das verstößt gegen sämtliche Regeln des guten Benehmens.« Zugegeben, ich bin schon öfter in kleinere Schräglagen geraten, weil ich zur falschen Zeit am falschen Ort den falschen Menschen vertraut habe.

»Leute ohne Moral, die tun so was. Nimm dich vor solchen Menschen in Acht, wenn du unterwegs bist. Die Leute sollten öfter in die Kirche gehen.« Meine Mom bekreuzigt sich zur Bekräftigung.

Tja, Mom glaubt, Religion würde jedes Problem lösen. Die gute Seele.

Ich genieße das restliche Essen mit meiner Familie und bin froh, als sich das Gespräch nicht mehr um mich dreht. Niemand versteht, wie schwer es ist, mit alldem mitzuhalten, was mein Bruder tut. Das will ich auch gar nicht, aber Santi hat dermaßen vorgelegt, dass ich überhaupt nicht hinterherkomme. Nun will ich aber alles Negative beiseiteschieben und mich auf die Reisen freuen, die auf unserem Plan stehen.

Denn was ist schlimmer, als sich über einen großen Bruder zu beschweren?

Sich über einen großen Bruder zu beschweren, der die ganze Zeit so verdammt perfekt ist.

KAPITEL ZWEI

Noah

Ich ziehe mir ein Kissen über den Kopf, um mich vor dem Licht zu schützen, das durchs Fenster hereinströmt. Neben mir raschelt das Laken, und eine warme Hand greift unter der Decke nach meinem Schwanz.

»Okay, jetzt ist es an der Zeit, dass du deine Sachen packst und gehst.« Ich deute auf die Tür und drücke mir mit dem anderen Arm das Kissen aufs Gesicht. Bitte mach jetzt keine Szene.

»Du schmeißt mich aus dem Bett, während ich dir einen runterholen will? Das letzte Mal ist drei Stunden her.« Sie kann ihr Erstaunen nicht verbergen.

Sie ist clever und hat die Zeit im Blick.

»Jep, wir hatten letzte Nacht ganz viel Spaß, aber ich muss jetzt zum Training. Schön war’s. Danke.«

Sie reißt mir das Kissen vom Gesicht, und ich sehe eine empörte Frau mit völlig zerzaustem blondem Haar und verschmiertem Make-up. Da habe ich wohl ganze Arbeit geleistet, grinse ich innerlich.

Aus ihren Augen schießen Giftpfeile, die zu ihrem verächtlichen Gesichtsausdruck passen. »Du bist genauso unglaublich, wie alle sagen. Bist du immer so ein Arschloch?«

Ich muss ein paarmal blinzeln. Auf so eine Diskussion habe ich jetzt echt null Bock. Wenn das mal keine Hundertachtzig-Grad-Wendung ist seit letzter Nacht! Da soll mal einer mitkommen!

»Schön, dass mir mein Ruf vorauseilt. Meine Gastfreundschaft endet hier, also mach, dass du verschwindest, bis ich aus der Dusche komme.« Liegen zu bleiben, hat keinen Zweck. Also stehe ich auf, mit nacktem Arsch und in der Luft baumelndem Schwanz. Ihr klappt die Kinnlade runter, als ich ihr die Badtür vor der Nase zuschlage und unser Gespräch damit beende. Bis ich wieder rauskomme, sind sowieso immer alle weg.

Ich dusche extra lange, um die Blondine nicht noch mal sehen zu müssen. Amber, Aly, wie auch immer sie heißt – was weiß ich denn, in meiner Erinnerung verschwimmen alle miteinander und werden ein bedeutungsloses Sex-Date nach dem anderen. Jetzt, da die Saison wieder anfängt, werde ich nicht mehr trinken wie letzte Nacht. Ich muss mich konzentrieren und die Sponsoren zufriedenstellen. Ich besaufe mich sowieso nicht oft, denn ich muss körperlich top in Form bleiben.

Schließlich bin ich einer der Besten der Formel 1, was bedeutet, dass ich auf mein Image achten muss.

Um die Frage der Blondine zu beantworten: Ja, ich bin ein Arschloch. Aber ich spiele mit offenen Karten. Leute wie sie schlafen nicht mit Leuten wie mir in der Hoffnung, dass ich nach einem guten Fick mit ihnen kuschele und Liebesschwüre flüstere. Ich kann überhaupt nicht nachvollziehen, was sich Frauen wie sie dabei denken, wenn sie sich nach einer netten Bettgeschichte so aufregen und mich mit allen möglichen Beschimpfungen überhäufen. Was kann ich denn dafür, dass ich der Ex-und-hopp-Typ bin? Und die Mädels kennen die Spielregeln, stehen Schlange in den Nachtclubs, um mir die Gucci-Loafer zu küssen für die Chance, mit mir nach Hause zu gehen. Sie benutzen mich genauso wie ich sie: ein schneller, unbekümmerter Fick, um Dampf abzulassen.

Und ich habe eine Menge Dampf abzulassen.

Vor ein paar Wochen hat Bandini Santiago Alatorre als zweiten Fahrer unter Vertrag genommen. Mein Rivale ist jetzt mein Teamkollege. Ein provokanter kleiner Pisser, der gern Vollgas gibt und sich einen Dreck um die Konsequenzen schert.

Ich respektiere die Tatsache, dass er gut fährt, aber er hat über den Sport noch viel zu lernen. Eine ganze Menge Lektionen, die ich ihm liebend gern erteile. Zum Beispiel, wann er verdammt noch mal nachgeben soll oder wie man sich nach einem fast tödlichen Crash entschuldigt. Solche Scheiße eben.

Unglaublich, dass Bandini ihn trotz unserer durchwachsenen Geschichte genommen hat.

Also tat ich, was jeder vernünftige Mensch tun würde, um sich in der Winterpause in Monaco die Zeit zu vertreiben. Ich habe mich letzte Nacht volllaufen lassen, aus einem Drink wurden fünf, und hier bin ich nun und werde mal wieder von einer Tussi als Arschloch beschimpft. Manche finden mich nett. Ich achte immer darauf, dass sie mehrmals kommen, bevor ich dran bin, denn schließlich hat meine Nanny einen Gentleman großgezogen. Meinen Eltern habe ich das jedenfalls nicht zu verdanken.

Aber ich kann meine miese Laune nicht auf eine beleidigte Blondine schieben. An meinem Ärger ist ganz allein Bandinis neuer Vertrag mit Santiago schuld. Jetzt habe ich einen Kerl im Team, den ich nicht ausstehen kann. Wir sind Erzrivalen, seit er mich beim Großen Preis von Abu Dhabi angefahren hat. Das war heftig – mein Fahrzeug war nach dem Unfall nicht mehr wiederzuerkennen, manövrierunfähig und völlig verbogen. Mein Verlust war Santiagos Gewinn. Dank des Zusammenstoßes gewann er die Weltmeisterschaft. Und ich glaube nicht, dass er deswegen je ein schlechtes Gewissen hatte.

Santiago wirkt täuschend leichtsinnig. Aber selbst in den angespanntesten Situationen berechnet er ganz genau, welche Manöver er auf der Strecke macht, und tut alles, um auf dem Treppchen zu landen. Draufgängerischer Drecksack!

Seit unserer Kollision habe ich wenig Respekt vor ihm, aber ich nehme es ihm nicht so übel, wie die Leute denken. Damals schon. Aber nach längerem Nachdenken kam ich zu der Schlussfolgerung, dass nicht er mich die Weltmeisterschaft gekostet hat, sondern ich selbst. Der wahre Grund, warum ich ihn nicht leiden kann, ist, dass seine Rücksichtslosigkeit mich fast ins Krankenhaus gebracht hätte, und diese Erfahrung ist nicht leicht zu vergessen.

Ich werde fair zu ihm sein, weil wir uns wie Teamkollegen verhalten müssen. Wir brauchen keinen Schwanzvergleich, um rauszufinden, wer der Beste ist, denn mein Fahrstil sagt schon alles. Er kommt in mein Team und mein Haus, um seine Fähigkeiten zu beweisen. Ich kann mich also entspannt zurücklehnen, während er erst mal zeigen muss, dass er die Kohle, die er dieses Jahr gekriegt hat, auch wirklich verdient. Ich bin gespannt, wie es läuft und wer besser abliefert. Keine Ausreden mehr, denn gleiche Bedingungen bedeuten, dass der bessere Fahrer gewinnt. Und wir alle wissen, wer das ist.

Mein Handy klingelt auf meiner Kommode. Vater.

Ich schwanke, ob ich drangehen oder warten soll, bis sich die Mailbox einschaltet. Ich entscheide mich für Letzteres und gehe weg, bevor das Handy noch mal klingelt. Aber der Mann ist nicht dumm, er weiß, dass ich ihm ausweiche. Um das Unvermeidliche nicht länger hinauszuzögern, nehme ich den Anruf schließlich doch an.

»Dad. Wie geht’s?« Ich klemme mir das Handy zwischen Schulter und Ohr und greife nach meiner Sporttasche.

»Ich habe gelesen, dass Bandini diesen Jungspund ins Team geholt hat. Was fällt denen ein? Wir wissen doch gar nicht, was er kann«, schallt seine barsche Stimme aus dem kleinen Lautsprecher. Die Höflichkeiten spart er sich.

»Freut mich auch, von dir zu hören«, erwidere ich gewohnt bissig, denn die Arschloch-Gene liegen in der Familie.

»Lass den Bullshit, Noah. Das hier ist ernst, vor allem, weil er dich schon mal fertiggemacht hat. Du musst dich in dieser Saison ranhalten und nicht zulassen, dass er die Oberhand gewinnt.«

»Den Crash können wir vergessen, der ist schon ewig her. Ich mache mir keine Sorgen, nur weil ein Fahrer ein Mal Glück hatte.« Ich prüfe, ob die Tussi von vorhin weg ist, weil ich sie nicht noch mal treffen will. Die Luft ist rein. Ich nehme den Schlüssel und schließe meine Wohnung ab.

»Ich hab kein Vermögen in den Laden investiert, damit die jetzt deine Karriere aufs Spiel setzen. Wenn sie glauben, ein solcher Grünschnabel verdient die beste Ausstattung, ohne seinen Wert unter Beweis zu stellen … Da haben sie sich verrechnet.«

Ich reibe mir die Augen. »Schauen wir erst mal, wie er sich schlägt, bevor du dich bei Bandini beschwerst. Ich bezweifle, dass er mich noch mal so ausschalten kann, denn das war reiner Dusel. Ein Glückstreffer, der mich aus der Bahn geworfen hat.«

»Das wird er ganz sicher nicht. Bau bloß nicht noch mal Mist; du willst ja nicht auf dem Höhepunkt deiner Karriere unter dem Druck einknicken.«

Wie lieb von dir, Dad.

»Jep, das würde zu mir passen. Bis bald. Tschüss.« Ich lege auf, ohne seine Antwort abzuwarten.

Mein Dad ist einfach ein Arsch, aber die Leute mögen ihn. Seinen aufgestauten Frust lässt er am liebsten an mir aus. Und am Ende kriegt er sowieso immer, was er will. Probleme löst er mit Geld, Drohungen und indem er den großen Macker raushängen lässt. Auch mein Umzug quer über den Atlantik hat nicht genug Abstand zwischen uns gebracht. Trotz der krassen Zeitverschiebung zwischen Europa und Amerika lässt er mir keine Ruhe.

Alle Rennen, die er mit seiner Anwesenheit beehrt, enden in einer Shitshow. Die Fans nennen mich einen F1-Royal, einen amerikanischen Prinzen, wegen meines Dads, dem fantastischen Nicholas Slade. Der immer noch als einer der größten Rennfahrer in der Geschichte der F1 gilt. Und ich habe das Glück, dass er mir bei allem, was ich falsch mache oder wo ich mich verbessern kann, die Hölle heiß macht. Ja, er hat meinen Karrierestart beschleunigt. Ich bin dankbar für jedes seiner Investments, um mir auf meinem Weg zu helfen, aber ich fahre jedes Wochenende Rennen und beweise damit ihm und allen anderen, dass ich auch eine Legende sein werde. Die Formel-1-Welt hat sich stark verändert, seit er vor zwanzig Jahren zum letzten Mal angetreten ist. Die Autos, die ich heute fahre, stellen jede Blechkiste in den Schatten, die er gelenkt hat, und machen den Sport zu dem, was die Fans heute lieben. Einem Sport mit viel Spannung, hohen Geschwindigkeiten und großen Risiken.

Auf meinem Handy kommt eine neue Nachricht an.

Dad (24.12. 10:29 Uhr): Flug nach Barcelona gebucht.

Dir auch frohe fucking Weihnachten, Dad.

KAPITEL DREI

Maya

Drei Monate sind vergangen, seit Santiago seinen neuen Vertrag bei Bandini Racing unterschrieben hat. Ich beschäftige mich mit meinem Vlog, mein Computer ist vollgepackt mit Recherchen zu Unternehmungen in den jeweiligen Städten, wenn Santi für die Rennen trainiert. Ich bin richtig stolz, dass ich schon so weit vorausgeplant habe.

Ich atme den exotischen Duft von Melbourne, Australien, ein. Okay, es riecht hier am Flughafen nicht ganz so exotisch, wie ich gehofft hatte. Eine Mischung aus Autoabgasen und Kerosin liegt in der Luft, denn das Outback ist ganz schön weit entfernt. Das muss fürs Erste reichen. Aber es fühlt sich trotzdem fremd an, und ich freue mich über meinen ersten Besuch auf einem anderen Kontinent.

Beim Aussteigen aus dem Flugzeug sage ich zu einer der Flugbegleiterinnen: »G’day mate!« Da bin ich wohl ins Fettnäpfchen getreten. Sie wirkt überhaupt nicht amüsiert über meinen lahmen Versuch, einen Scherz zu machen, also lösche ich den Spruch von meinem Handy, sobald ich den Flughafen betrete.

Um mich nicht zu blamieren oder zumindest nicht mehr als sonst, habe ich mir eine Liste mit den gängigsten Höflichkeitsformeln aus jedem Land abgespeichert, das wir besuchen. Notiz an mich: Prüfen, welche Ausdrücke albern klingen.

Meine Muskeln sind dankbar, als ich nach dem zwanzigstündigen Flug von Madrid meine schmerzenden Beine strecke. Santi holt die Koffer vom Gepäckband, und ich suche solange die Bandini-Limousine.

Wir werden vor dem Hotel abgesetzt, in dem das Team wohnt. Ich sehe mich in der eleganten Lobby um und lenke mich mit einem schrillen Kunstwerk ab, während Santi an der Rezeption steht. Per Textnachricht bittet er seine Assistentin, in jeder Unterkunft nach einer Suite mit zwei Schlafzimmern zu fragen, damit wir zusammenwohnen können, denn manchmal ist er anhänglich wie ein kleiner Junge.

Unsere Suite wirkt modern und schick, mit gedeckten Farben und einem Balkon mit Blick auf die Rennstrecke. Ich lasse mich auf die Couch im Wohnzimmer fallen. Bequeme Kissen umfangen mich wie eine herzliche Umarmung nach einem langen Tag.

»Ich habe ein paar Sponsorenmeetings und muss mich dann mit dem neuen Fahrzeug vertraut machen. Kommst du ohne mich klar?« Er sieht mich aus seinen braunen Augen an und setzt sich eine Bandini-Baseballkappe auf.

»Natürlich. Ich habe heute sowieso schon was vor. Mach dir um mich keine Sorgen«, antworte ich grinsend.

»Ich mache mir immer Sorgen um dich. Bei dir kann man nie wissen.«

Ich sehe ihn gespielt beleidigt an. »Jetzt mach mal halblang.«

Er winkt mir über die Schulter zu und verlässt dann das Zimmer. Ich schleudere ein Kissen Richtung Tür, aber sie geht zu, bevor es ihn trifft.

Ich schaue mich um. Diese Suite ist kein Vergleich zu Santis bisherigen Unterkünften. Unser Upgrade hat einen Fernseher in der Größe meines Bettes zu Hause, einen Esstisch, an dem acht Leute Platz hätten, und ein riesiges Ecksofa, das mich fast verschluckt.

Nachdem ich mir einen Badeanzug angezogen und meine Kamera herausgeholt habe, erkunde ich das Hotel. Auf meiner Tour knurrt mir der Magen, also esse ich schnell etwas und gehe dann an den Pool. Ich entspanne mich auf einer Liege und döse ein. Die Wärme der Sonne umhüllt mich wie eine Decke. Ein Nickerchen ist zu verlockend, sodass mein Körper dem Jetlag nachgibt, obwohl ich weiß, dass ich diese Entscheidung später bereuen werde.

* * *

Am nächsten Tag kommt Santi in mein Zimmer und setzt sich aufs Bett. Nach dem Training ist er ganz verschwitzt und klebrig.

»Ach, leg dich doch gleich in deinen dreckigen Sachen in mein Bett. Fühl dich wie zu Hause«, sage ich.

Er ignoriert mich und schnappt sich ein Kissen. Ich schminke mich weiter. Mein Look soll frisch und natürlich wirken, so mag ich es am liebsten. Nach meinem gestrigen langen Sonnenbad-Nickerchen hat meine Haut ordentlich Farbe bekommen.

Er stöhnt. »Ich habe heute eine Pressekonferenz und möchte, dass du mich begleitest. Noah ist ein Arsch, und du hältst mich im Zaum. Wenn du dabei bist, mache ich mich nicht zum Affen. Bitte komm mit.« Von seinen Worten abgelenkt, pikse ich mir mit dem Mascarastab ins Auge. Shit! Gibt es was Schmerzhafteres als Wimperntusche im Auge?

Beim Gedanken an Noah Slade schlägt mein Herz schneller. Er ist heiß, sieht teuflisch gut aus. Zerzaustes, so dunkles Haar, dass es schwarz erscheint, scharfkantige Wangenknochen und dazu Lippen, auf die jede Frau neidisch wäre. Überall sehe ich Bilder von ihm – in Anzeigen, Werbespots, Klatschzeitschriften. Er lässt nichts aus. Ganz zu schweigen davon, dass mein Bruder schon mehrfach neben ihm auf dem Podium gelandet ist. Ich habe mir das bestimmt zwanzigmal zu Hause im Fernsehen angesehen. Noahs Anblick, wie er unter einer Champagnerdusche auf dem Siegertreppchen steht und strahlend auf die Trophäe in seiner Hand schaut, ist schwer zu widerstehen.

Ich seufze. Noah ist der Typ Mann, den man nicht seinen Eltern vorstellt; er ist der Typ Mann, mit dem man Spaß hat, bevor man den Kerl findet, den man seinen Eltern vorstellt, und ihnen versichert, dass man seine wilden Zeiten hinter sich hat. Die Liste von Noahs Ex-Freundinnen ist länger als meine Einkaufs- und meine To-do-Liste zusammen. Abstoßend und doch seltsam faszinierend, dass Frauen auf so was stehen.

»Du weißt schon, dass du erwachsen bist, oder? Wie zur Hölle halte ich dich bitte im Zaum?«

»Ich werde nichts zu Gemeines sagen, wenn meine Schwester es hört.« Er klimpert auf eine alberne, herzerweichende Art mit seinen langen, dunklen Wimpern. Zum Teufel mit ihm und seinem Hundeblick! Ich falle jedes Mal wieder darauf rein und werde ein Opfer von Santis Kleinjungencharme.

»Deine Unschuldsmiene ist einfach unglaublich. Kriegst du damit die Mädels rum?«

Er wirft mir ein Kissen mitten ins Gesicht und verschmiert meine Wimperntusche damit noch mehr.

»Hey, du ruinierst mein Make-up! Schon gut, ich komme mit. Aber verschwinde von meinem Bett. Auf der Stelle.«

Er springt triumphierend auf, weil sein Plan funktioniert hat. Auf der ganzen Linie.

»Bis später. Ich schicke jemanden, der dich abholt, wenn es losgeht.« Er tippt etwas auf seinem Handy.

»Was ich für dich nicht alles tue … Ich werde mich bemühen, nicht mitten in der Konferenz einzuschlafen, aber ich kann’s nicht versprechen.«

Er lacht auf. »F1-Konferenzen sind spannend. Es wird dir gefallen, da bin ich mir sicher.« Er geht breit grinsend hinaus, und ich weiß nicht, ob er das ernst meint, denn er reibt sich die Hände wie ein böser Dschinn. Inklusive schiefem Seitenblick.

Ich mache mich fertig. Ein Assistent zeigt mir den Weg zum Presseraum, wo mein Bruder mir vom Konferenztisch aus zuwinkt. Ich erwidere sein Lächeln. Mir wird ganz warm ums Herz, als ich ihn in den unverkennbaren feuerroten Bandini-Sachen da oben sitzen sehe. Er lebt seinen Traum – seinen größten Wunsch, seit er ein kleiner Junge war.

Ich schieße schnell ein Foto für meine Insta-Story. Tut mir leid für die lechzenden Frauen da draußen, aber sein größter Fan bin ich. Nachdem ich mein Handy weggesteckt habe, schaue ich wieder hoch zum Panel und in Noahs blaue Augen – eine auffallend schöne Farbe, umrahmt von dunklen Wimpern und Augenbrauen. Seine vollen Lippen gehen nach unten, als er mich mustert. Mir wird heiß bei seinem taxierenden Blick, denn mir ist bewusst, was für einen schönen Menschen ich vor mir habe. Ich bin vielleicht blöd, aber nicht blind. Ich schaffe es nicht, mein rasendes Herz zu beruhigen, das gegen meine Rippen pocht, während ich ihn auf mich wirken lasse. Verdammt! Ich glaube, ich habe noch nie einen Kerl so attraktiv gefunden.

Er streicht sich mit einer Hand durch seine dichten, wirren Strähnen. Sein welliges Haar sieht aus, als würde er sich den ganzen Tag lang mit den Fingern hindurchfahren. Dann legt er seine gebräunten, definierten Arme wieder auf den Tisch. Bei seinen großen Händen kommen mir schmutzige Gedanken. Noahs muskulöser, aber schlanker Körper ist wie für den Rennsport gemacht. Und … shit, er ist auch dafür gemacht, es gegen eine Tür, in der Dusche oder auf der Küchenarbeitsplatte zu treiben. In meinem Kopfkino sehe ich Noah in eindeutigen Stellungen. Mein Körper kribbelt aufgeregt, als ich bemerke, dass Noah mich angrinst. Meine untere Hälfte kennt definitiv keinen Unterschied zwischen Gefahr und Reiz. Wie sich herausstellt, sind Pressekonferenzen sinnlicher, als ich dachte.

Beim Anblick seiner Arme lecke ich mir über die Lippen. Nichts bringt ein Mädchen mehr zum Schwärmen als ein Typ, der sein Sportprogramm durchzieht, aber dieser Typ ist seinen Fitnessgeräten treuer als jeder Frau. Er bemerkt meine Reaktion und zwinkert mir zu. Seine Aufmerksamkeit lässt mir die Hitze in die Wangen steigen. Wie peinlich, dass man mir meine Begeisterung so ansieht! Könnte es noch offensichtlicher sein?

Frust verscheucht meine Gedanken an seine Lippen auf meinen und seine Hände in meinem Haar. Wie um alles in der Welt soll ich in der Nähe von jemandem, der so aussieht, eine ganze Saison überleben?

Gott spielt mir fiese Streiche. Gerade nachdem ich versprochen hatte, brav zu sein, treibt er mich dem Teufel in die Arme. Männer wie Noah sind für die Sünde geschaffen.

Ich zwinge mich, woanders hinzuschauen, und suche nach etwas Interessantem im Raum. Oh, da ist ein älterer Mann, der sein Mikro anschließt. Faszinierend! Der Mann starrt mich missmutig an und grummelt dann etwas über heiße Schnitten, die nicht in den Presseraum gehören.

Noahs tiefes, kehliges Lachen jagt mir einen angenehmen Schauer über den Rücken. Seit wann klingt Lachen so sexy? Meinem Körper fällt es schwer, Noah zu ignorieren, mein Blick wird von ihm angezogen wie von einem Magneten. Ich kämpfe dagegen an, weil ich ihn nicht noch mehr ermutigen will. Mein Körper wird ganz starr, und meine Haltung war nie besser.

Mein Interesse an dem Reporter ist von kurzer Dauer, denn nun kommen Fragen aus allen Richtungen. Alle Journalisten wollen verzweifelt etwas beitragen und heben nach jeder Fragerunde begierig die Hände.

Nachdem ich mich wieder meinem Handy zugewandt habe, lässt mich eine Frage mein Scrollen durch Instagram unterbrechen.

»Was tun Sie beide dafür, dass es nicht noch mal so läuft wie in Abu Dhabi?«

Puh, das schon wieder?Gibt es denn keine interessanteren Geschichten? Noah scheint dasselbe zu denken, sein leises Stöhnen dringt bis zu mir und lässt mich aufhorchen.

»Sprechen wir jetzt ernsthaft über ein Rennen von vor zwei Jahren? Das hätte ich nicht von Ihnen erwartet, Harold. Suchen Sie sich neuere Dramen, denn Ihre Fragen langweilen mich.«

Wie sich herausstellt, ist Harold genau der Reporter, den ich zuvor beobachtet hatte. Mir bleibt der Mund offen stehen vor Staunen, dass Noah Slade diese Journalisten mit Namen kennt und sich nicht scheut, sie zurechtzuweisen.

Aber Harold will Noah nicht so leicht davonkommen lassen, erst recht nicht nach seiner bissigen Kritik.

»Der Konkurrenzkampf scheint noch nicht ausgefochten zu sein. Wie fühlt es sich an, so eng mit jemandem zusammenzuarbeiten, den Sie öffentlich als Ihren Rivalen auf der Strecke bezeichnet haben?« Harold leckt sich die Lippen bei seiner bohrenden Nachfrage. Stolz wie Oskar.

Noahs Kiefer zuckt, und seine rasiermesserscharfen Wangenknochen treten hervor. Bei seinem eisigen Blick gefriert mir das Blut. »Weil wir jetzt Teamkollegen sind, wirkt sich seine Leistung auf meine aus und umgekehrt. Ich wünsche Santi viel Glück; dieses Jahr wird für alle ein harter Wettkampf.«

Statt Noahs Vorlage zu nutzen, kann mein Bruder seine große Klappe nicht halten: »Wir haben über Teamstrategien und vermeidbare Situationen gesprochen. Ich bezweifle sehr, dass Slade denselben Fehler noch mal macht.«

Santi, so clever er im Rennen ist, so ungeschickt ist er im wahren Leben. Noah dreht den Kopf langsam zu meinem Bruder. Ich wische mir mit der Hand übers Gesicht, als könnte ich so das Bild von Noahs Todesblick und seinen zusammengebissenen Zähnen aus meinem Gedächtnis löschen. Lass es, Santi. Der Presseraum schweigt in gespannter Erwartung, wer wohl als Nächster etwas sagen wird.

Noah wendet sich wieder an die Kamerateams. »Wir alle lernen hier aus Fehlern. In diesem Sport geht es um Wachstum und persönliche Entwicklung auf der Rennbahn. Unfälle gehören dazu. Die Frage ist, wie man damit umgeht.«

Dieser Punkt geht an Noah Slade. Er entschärft die Situation wie ein Profi, der von einem PR-Berater gut ausgebildet wurde. Der Rest des Meetings verläuft ruhig nach dem Anflug von Skandal, nicht so spannend, wie mein Bruder versprochen hatte. Zu seinem Glück, denn er hat schon genug Unheil angerichtet.

Ich bin erleichtert, als ein Mitarbeiter das Ende der Pressekonferenz ankündigt. Er erinnert alle an die am Abend stattfindende Gala zu Ehren der Bandini-Piloten und informiert über weitere Pressetermine nach dem freien Training und dem Qualifying. Ich überlege jetzt schon, mit welchen Ausreden ich ihnen entkommen kann. Glücklicherweise wird Santi die meisten davon allein bestreiten, ohne Noah und mich.

Noah kommt vor dem Pressegebäude auf uns zu. Meine Haut prickelt, als er so nah vor mir steht. Er überragt mich um Längen, sodass ich mir noch kleiner vorkomme als sonst.

»Ich weiß ja nicht, wie es in deinem letzten Team aussah, aber überlass die Fragen für große Jungs besser mir. Du solltest dir die Aufnahmen aus Abu Dhabi noch mal anschauen, wenn du glaubst, dass ich einen Fehler gemacht habe, denn das habe ich ganz sicher nicht. Das sollte deine erste Amtshandlung hier sein. Und mir verdammt noch mal aus dem Weg zu gehen.« Er ballt die Fäuste, und sein Kiefer zuckt vor Anspannung.

»Das ist mir nur so rausgerutscht. Tut mir leid. Ich hab nicht drüber nachgedacht«, sagt mein Bruder aufrichtig.

»Offensichtlich. Du bist neu im Team, und wir haben hier Regeln. Blöde Antworten sind nicht drin. Du solltest vorher fragen, wenn du nicht weißt, wie es läuft.«

»Du hast keinen Grund, unverschämt zu ihm zu sein. Er hat sich doch entschuldigt«, antworte ich bissig und begegne Noahs kaltem Blick. Ich kann mir so etwas nicht anhören, nachdem mein Bruder bereits gesagt hat, dass es ihm leidtut. Santi wirkt tough, aber er nimmt sich alles sehr zu Herzen, und Gefühle brauen sich in ihm zusammen wie ein Tornado in Zeitlupe.

Noahs saphirblaue Augen mustern mich von oben bis unten. Er leckt sich über die Unterlippe und lenkt damit meine Aufmerksamkeit darauf, sodass mir auffällt, dass sie voller ist als die obere. Seine Lippen sehen weich und prall aus. Absolut zum Küssen gemacht.

Überall, wo sein Blick mich abtastet, wird mir heiß. Ich fühle mich betrogen von der Reaktion meines Körpers in seiner Nähe, als könnte ich die Anziehung, die Noah auf mich ausübt, nicht kontrollieren.

Er öffnet den Mund. »Affären nimmt man auch nicht zu solchen Veranstaltungen mit, also lass sie zu Hause. Vielleicht führst du dich dann weniger bescheuert auf.«

Ich schaue ruckartig auf. Wut steigt in mir hoch. Als hätte sich ein Schalter umgelegt. Er meint doch wohl nicht, was ich denke?

Bevor Santi oder ich etwas erwidern können, fährt er fort und sieht mich dabei aus seinen blauen Augen herausfordernd an. »Falls du dich je mit ihm langweilen solltest – ich bin frei. Mit dem Alter kommt die Erfahrung.« Er wirft mir ein unfassbar selbstgefälliges Lächeln zu, und ich kann es gar nicht erwarten, es ihm auszutreiben.

Ich gehe auf ihn zu und will ihm unangenehm nah kommen, denn Todesblicke wirken besser aus kurzer Entfernung. Santi hält mich an der Hand fest und hindert mich an dem Versuch, näher an Noah heranzutreten, aber er kann mir nicht den Mund verbieten. O nein! Mein Mund hat seine eigene Meinung, und die tut er, ohne zu zögern, kund.

»Santi ist mein älterer Bruder, du Arschloch. Siehst du etwa nicht, dass wir uns ähneln? Oder ist die Wolke der Überlegenheit um dich herum so dicht, dass dir das nicht aufgefallen ist?«

Ich stelle mir vor, wie es in Noahs Kopf rattert. Er schaut zwischen Santi und mir hin und her, auf unser dunkles Haar, die olivfarbene Haut und die gleichen honigbraunen Augen. Ich neige den Kopf zur Seite und grinse ihn triumphierend an.

Ihm klappt die Kinnlade herunter, und seine Wangen färben sich leicht rosa. Ich freue mich diebisch über seine Scham und feiere innerlich meine Schlagfertigkeit. Jeder weiß, was man über Leute sagt, die voreilige Schlüsse ziehen.

»Sorry. Ich hätte mit euch beiden nicht so sprechen sollen.« In seiner Stimme schwingt eine Spur Bedauern mit. Ich zucke die Achseln und ignoriere den Stich in meinem Herzen bei seiner Reue, denn ich gebe nicht nach, wenn ich sauer bin. Auf Arschlöcher stehe ich nicht, egal, wie hübsch sie sind.

Mein Bruder reicht ihm die Hand, denn er verhält sich wie ein richtiger Mann. Ich bemühe mich, nicht zu beachten, wie gut Noahs Po aussieht, als er weggeht, muss aber doch noch mal hinschielen, denn ich bin auch nur eine Frau. Er wirft mir über die Schulter einen letzten Blick zu, bevor er um die Ecke des Gebäudes verschwindet.

Ich seufze leise, und zum ersten Mal seit einer Stunde schlägt mein Herz wieder langsamer. Santi sieht mich prüfend an, bevor wir in entgegengesetzter Richtung davongehen. Wie es scheint, ist die Gala heute Abend gerade sehr viel interessanter geworden.

KAPITEL VIER

Noah

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