Collided - Lauren Asher - E-Book

Collided E-Book

Lauren Asher

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Beschreibung

Eine Saison. Eine sinnliche Liste. Ein großes Geheimnis.

Liam Zander und Sophie Mitchell leben beide für die Formel 1 und kennen einander ewig. Sie weiß, dass er nicht der Goldjunge ist, als der er sich in der Öffentlichkeit präsentiert. Und er weiß von ihren geheimsten Begierden – die er ihr nur zu gern erfüllen würde. Jeder ist gegen ihre Freundschaft: Liams Vater, sein Chef, er selbst. Denn Sophie ist Teil des gegnerischen Teams und könnte ihn seine Vertragsverlängerung kosten. Trotzdem sucht er immer wieder ihre Nähe und schlägt schließlich einen Deal vor. Eine Saison lang wird er jeden Punkt auf der unanständigen Bucket List abhaken, die sie erstellt hat. Danach gehen sie auseinander. Sophie willigt ein. Doch keiner von beiden ahnt, was für Konsequenzen ihr Deal hat. Wer wird das Rennen machen: die Loyalität gegenüber ihren Teams oder Liams und Sophies Gefühle füreinander?

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Seitenzahl: 592

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Das Buch

Liam Zander und Sophie Mitchell leben beide für die Formel 1 und kennen einander ewig. Sie weiß, dass er nicht der Goldjunge ist, als der er sich in der Öffentlichkeit präsentiert. Und er weiß von ihren geheimsten Begierden – die er ihr nur zu gern erfüllen würde. Jeder ist gegen ihre Freundschaft: Liams Vater, sein Chef, er selbst. Denn Sophie ist Teil des gegnerischen Teams und könnte ihn seine Vertragsverlängerung kosten. Trotzdem sucht er immer wieder ihre Nähe und schlägt schließlich einen Deal vor. Eine Saison lang wird er jeden Punkt auf der unanständigen Bucket List abhaken, die sie erstellt hat. Danach gehen sie auseinander. Sophie willigt ein. Doch keiner von beiden ahnt, was für Konsequenzen ihr Deal hat. Was wird das Rennen machen: die Loyalität gegenüber ihren Teams oder Liams und Sophies Gefühle füreinander?

Die Autorin

Lauren Asher hat eine überbordende Fantasie und verbringt ihre Freizeit mit Lesen und Schreiben. Ihr Traum ist es, an all die Orte zu reisen, über die sie schreibt. Sie genießt es, Figuren mit Ecken und Kanten zu erschaffen, die man einfach lieben muss. Wenn sie nicht gerade schreibt, durchforstet Lauren YouTube, schaut alte Episoden von »Parks & Recreation« und sucht nach neuen Restaurants auf Yelp. Sie arbeitet am liebsten direkt nach ihrem Morgenkaffee und würde nie ein Nickerchen verweigern.

Lieferbare Titel

Dreamland Billionaires – The Fine Print

Dreamland Billionaires – Terms and Conditions

Dreamland Billionaires – Final Offer

Love Redesigned – Lakefront Billionaires

Love Unwritten – Lakefront Billionaires

Throttled

LAUREN ASHER

COLLIDED

Dirty Air

Band 2

ROMAN

Aus dem Amerikanischen von Jasmine Hofmann

WILHELMHEYNEVERLAGMÜNCHEN

Die Originalausgabe COLLIDED erschien erstmals 2020 im Selfpublishing und 2024 bei Bloom Books, USA.

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.

Der Verlag behält sich die Verwertung der urheberrechtlich geschützten Inhalte dieses Werkes für Zwecke des Text- und Data-Minings nach § 44b UrhG ausdrücklich vor. Jegliche unbefugte Nutzung ist hiermit ausgeschlossen.

Deutsche Erstausgabe 11/2024

Copyright © 2020. COLLIDED by Lauren Asher

The moral rights of the author have been asserted.

Copyright © 2024 der deutschsprachigen Ausgabe by Wilhelm Heyne Verlag, München, in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH, Neumarkter Str. 28, 81673 München

Redaktion: Lisa Scheiber

Umschlaggestaltung: ZERO Werbeagentur nach dem Originalcoverdesign von Books and Moods

Satz: satz-bau Leingärtner, Nabburg

ISBN 978-3-641-32857-3V001

www.heyne.de

Für alle Sophie Mitchells da draußen: Seid anders. Seid echt. Seid ihr selbst.

PROLOG

Sophie

DREI JAHRE ZUVOR

Wisst ihr, was andere Achtzehnjährige so machen? Sie erleben Nächte voller Freiheit, probieren sich aus und trinken Wein aus Tetra Paks.

Für mich sieht es mit achtzehn etwas anders aus – zumindest bisher. James Mitchell kann durch seine Nähe zu den Formel-1-Bad-Boys Ärger praktisch riechen, was sich auch auf die Erziehung seiner Tochter ausgewirkt hat. Als ich fünf Jahre alt war, sind wir von Kalifornien nach Italien gezogen, und seitdem werde ich genauso behandelt wie die Bandini-Fahrer, die er betreut. Solange ich unter seinem Dach wohne, habe ich mich an seine drei Rs zu halten: Respekt, Regeln und Rechtschaffenheit. Da gibt es keine Ausnahmen.

Diesen Sommer hat mich mein Dad nun, bevor meine Kurse an der Uni anfangen, zu einem einzigen Grand Prix mitgenommen – ein seltenes Ereignis, wenn man bedenkt, dass er mich von der Rennszene ferngehalten hat, seit mir Brüste gewachsen sind und ich gelernt habe, welche Klamotten meiner Figur schmeicheln.

Heute Morgen bin ich mit verschränkten Armen durch unser Hotelzimmer geschlurft, die Unterlippe schmollend vorgeschoben. Mein Dad hat keine Miene verzogen, jedes einzelne graue Haar an seinem Platz, hat mir ungerührt zugehört, als ich gegen sein Vorhaben protestierte.

Ratet mal, wer diesen Kampf gewonnen hat? Ich jedenfalls nicht, falls ihr das dachtet, aber vielen Dank für die moralische Unterstützung.

Statt also in der Bandini-Teambox abzuhängen, hat mein Dad mich zur Freiwilligen erklärt, als Prinzessin verkleidet auf einer Geburtstagsfeier Kinder zu schminken. Lasst euch nicht täuschen, ich bin vielleicht genauso groß wie die herumtobenden Achtjährigen, aber mit Verstand, Witz und Schlagfertigkeit mache ich meine Statur allemal wieder wett.

Ich bin quasi wie ein Zitronenbrausebonbon – süß, aber ich hab es in mir.

Ich streiche mir über das lächerliche Rapunzelkostüm, das mein Dad mir besorgt hat. Damit hat er diesmal ein ganz schönes Eigentor geschossen, denn er hat es versehentlich in Kindergröße gekauft. Der samtige Stoff bedeckt gerade so meine Brüste und mag bei dem einen oder anderen arglosen Partygast den Anschein erwecken, ich würde mehr als Süßigkeiten und Kinderschminken anbieten. Der Rock reicht mir bis zur Hälfte der Oberschenkel und entblößt meine gebräunten Beine – und weiße Converse, denn diese Prinzessin trägt bequeme Schuhe. Scheiß auf Absätze und königliche Nervensägen, die von einem hübschen Prinzen beschützt werden müssen.

Nein, danke. Da bin ich lieber eine Heldin in Sneakers.

Als ich bei der Feier ankomme, reiße ich mich zusammen. Kinder schminken kann schließlich doch ein ganz cooler Job sein, bei dem ich meine künstlerische Ader ausleben kann, der ich sonst mittlerweile eher selten freien Lauf lasse.

Ich liebe Kunst, seit ich mit zwei Jahren einen Pinsel in die Hand genommen und die Küchenstühle samt der mit Leinen bezogenen Sitzfläche angemalt habe. Da hab ich wohl zu viel Bob Ross geguckt. Mein Dad war jedenfalls nicht gerade begeistert, als er sich auf die nasse Farbe setzte und mit dem Abdruck einer Sonnenblume auf dem Hintern belohnt wurde. Ich würde gern behaupten, dass an diesem Tag eine Künstlerin geboren wurde, doch mein Dad hat in meiner Kreativität nie mehr als ein Hobby gesehen.

Statt also nun irgendetwas Künstlerisches zu studieren, bin ich gezwungen, an eine Wirtschaftsuniversität zu gehen.

Schon bei dem Gedanken daran schlafe ich fast ein.

Aber ich will meinen Dad glücklich machen, denn er lässt mich nie im Stich. Ich bin eben doch Daddys kleines Mädchen, ich kann nichts dafür. Er tut so viel für mich, spielt zugleich Mutter und Vater, ganz egal, wie verlegen es ihn manchmal macht.

Zumindest kann ich heute Mini-Meisterwerke auf Kindergesichtern erschaffen. Jeder bekommt ein anderes Motiv, ich bin schließlich keine Langweilerin. Der Zug ist abgefahren, seit mein Dad mir statt einem Prinzessinnenrucksack einen von Star Wars gekauft hat – denn seine Tochter sollte nicht an Märchen glauben.

Um Zeit totzuschlagen, scrolle ich auf meinem Handy herum. Denn die Kinder sind bereits zur Hüpfburg weitergezogen, haben genug von mir und dem Clown. Besagter Unterhaltungskünstler grinst mich über den Rasen hinweg immer wieder vielsagend an, macht merkwürdige zweideutige Bewegungen mit seinen Ballontieren und gibt mir lautlos zu verstehen, dass ich ihn anrufen solle.

Da lehnt sich jemand gegen den Tisch, auf dem ich meine Schminkutensilien ausgebreitet habe. Mein Blick gleitet über in Jeans steckende Beine nach oben, wandert über goldbraune Arme, die vor einem kräftigen Oberkörper verschränkt sind. Schwarzer Stoff spannt über straffen Muskeln. Ich halte den Atem an, als mein Blick auf eisblaue Augen trifft, die den schmelzenden Gletschern der Arktis gleichen.

Ich bin Künstlerin, keine Poetin.

»Blinzle zweimal, wenn du gegen deinen Willen hier festgehalten wirst«, sagt er grinsend. Er hat einen ganz leichten Akzent, den ich nicht so recht zuordnen kann, sein Englisch ist flüssig und klingt doch anders.

Ich öffne den Mund und schließe ihn wieder. Denn heilige Scheiße. Dieser Typ sieht mit seinen blonden Haaren und der strahlenden sonnengebräunten Haut aus, als gehöre er eigentlich mit einem Surfbrett an den Strand. Ich sehe mich um und vergewissere mich, dass ich auf einem Kindergeburtstag bin und nicht in einem Tagtraum. Die Hüpfburg wackelt, und das Kindergeschrei erinnert mich daran, dass das alles sehr wohl echt ist.

»O Scheiße. Ich wusste ja, dass Evan etwas seltsam ist. Aber wer hätte geahnt, dass er hübsche Mädchen gefangen hält, die als abgefuckte Porno-Version von Disney-Prinzessinnen verkleidet sind?«, sagt der Fremde, während er meinen Körper von oben bis unten betrachtet.

Meine Wangen laufen unter seinem Blick knallrot an, die Nähe dieses Mannes entfacht ganz neue Reaktionen in mir. »O mein Gott. Nein. Evan war immer nur nett zu mir. Und er ist so was von verheiratet. Ich bin fürs Kinderschminken und so hier. Seine Tochter glaubt, ich bin Rapunzel.« Während ich vor mich hin plappere, fummele ich an den Farbtuben herum und stoße dabei einige zu Boden.

Ich bücke mich, um sie wieder aufzuheben, doch der Fremde kommt mir zuvor, und unsere Finger streifen sich. Wärme geht von seiner Berührung aus, und mein Herz macht einen Satz.

Ähm. Okay.

Als ich mich mit den Farben in der Hand wieder aufrichte, hat der Fremde freie Sicht auf meine Brust. Mein blondes Haar fällt mir ins Gesicht, während ich mich dem Tisch zuwende und versuche, meine Verlegenheit zu verbergen. Diese ganze Begegnung läuft schrecklich schief, bestimmt sehe ich aus, als hätte ich keine Ahnung, wie ich mich vor jemand so ungerecht Attraktivem verhalten soll.

Kann ich das darauf schieben, dass ich mein Leben lang auf eine katholische Mädchenschule gegangen bin? Klingt doch plausibel, oder?

»Ah, sie kann also reden.« Ihm entfährt ein raues Lachen, das seine Brust erbeben lässt.

»Ach was.«

Er deutet auf die verschiedenen Pinsel, die ich fein säuberlich in einer Reihe angeordnet habe, seine kräftigen Finger verharren über einer Farbtube. »Du malst gerne?«

»Ich liebe es. Es ist wie eine schmutzige Affäre, ein Geheimnis, das nur wenige Auserwählte kennen.«

»Ich mag Geheimnisse.« Er legt einen Finger auf seine Lippen, und mir fällt auf, wie voll sie sind.

»Wer nicht? Willst du mir vielleicht auch eines von dir verraten, damit wir quitt sind?« Mein Mund arbeitet mal wieder schneller als mein Gehirn und schert sich nicht darum, meine Worte zu filtern.

»Geheimnisse sind nicht so mein Ding«, sagt er schulterzuckend.

»Na, dann ist Reden wohl nicht so mein Ding.« Ich verschränke die Arme, wodurch meine Brüste etwas hochgedrückt werden. Hoppala.

Sein Blick senkt sich, und ich löse meine Arme wieder. »Du bist ja ganz schön hartnäckig. Na schön. Ich lese gerne vor dem Schlafengehen, jeden Abend mindestens ein Kapitel. Das ist ein Ritual, das ich seit meiner Kindheit beibehalten habe, auch wenn meine Tage so schon ganz schön voll sind«, beichtet er, als wäre es ein schmutziges Geheimnis, das nicht zu seinem athletischen Äußeren passt. Irgendwie macht es ihn noch sexyer.

»Was ist dein Lieblingsbuch?«, frage ich zweifelnd.

»Wenn du ein Lieblingsbuch hast, vertraue ich dir nicht. Jeder echte Buchliebhaber kann dir mindestens fünf nennen, ohne groß drüber nachzudenken.« Seine blauen Augen fixieren meine weiterhin.

O wow! Dieser Typ mag doch tatsächlich Bücher. Er grinst, als ich halbherzig die Augen verdrehe.

»Na gut. Dann nenn mir deinen Lieblingsautor, wenn du schon so auf Gelehrter machst«, sage ich rau. Ich stelle ihn mir im Bett vor, das blonde Haar zerzaust und eine Lesebrille auf der Nase, mit einem dicken Taschenbuch vor sich, da er bestimmt praktisch veranlagt ist und kein schweres Hardcover mit sich herumschleppen will.

Seufz. Verflucht seien er und sein nerdiges Geheimnis.

»Brandon Sanderson. Ohne jede Frage«, sagt er mit gesenkter Stimme.

»Ein Mann, der lieber in der Fantasie lebt. Wie süß!«

»Ich kann bei dir sicher so einige Fantasien wecken, ganz ohne Bücher.«

Da kommt ein Junge zu meinem Schminkstand gelaufen und lässt sich auf den Stuhl vor mir plumpsen.

»Ciao, amico. Che cosa vuoi …«, wende ich mich an das Kind.

»Shit! Du bist heiß und sprichst auch noch Italienisch«, sagt der blonde blauäugige Mann, lächelt mich breit an und dreht sich dann dem Kind zu. »Zwanzig Euro. Verschwinde.« Er zieht einen glatten Schein aus einem Designer-Portemonnaie. Der Junge versteht den Wink, schnappt sich das Geld und rennt davon, sodass wir wieder allein sind.

Das Ganze ist so absurd, dass ich lachen muss. Meine neue Bekanntschaft überrumpelt mich erneut, denn er setzt sich vor mich und verschränkt die Arme.

»Tob dich aus.« Sein schalkhaftes Grinsen erfüllt meine Brust mit Wärme. Es ist ein neues Gefühl, das ich nicht richtig einordnen kann, und die Hitze steigt mir bis in die Wangen auf.

»Wenn du das sagst. Aber mach dich auf was gefasst. Du bist nicht bereit für mich.« Nun schenke ich ihm ein verspieltes Lächeln. Würde mein Herz nicht so heftig schlagen, wäre ich von meinen Flirtkünsten begeistert.

»Also bitte. Du musst nicht gleich meine Talente beleidigen«, sagt er, wobei er sich eine große Hand auf die Brust presst und seine Unterlippe zittern lässt. Mir gefällt, wie er die Vokale in die Länge zieht und die Ts betont. Den Akzent kann ich immer noch nicht zuordnen, aber er klingt definitiv anders als mein amerikanisch-italienischer.

»Alle beide?«, frage ich kopfschüttelnd.

Da wirft er den Kopf zurück und stößt ein tiefes Lachen aus, wobei er sich nicht im Geringsten um die starrenden Eltern um uns herum schert.

»Und welche beiden Talente habe ich deiner Meinung nach? Lass hören.« Er lächelt mich an und entblößt gerade weiße Zähne. Da kommt mir eine Idee: Ich will ihm sein perfektes Gesicht verschandeln, ihm seine Schönheit und zumindest etwas von seiner Anziehungskraft nehmen.

Ich tippe mir mit einem Pinsel gegen das Kinn. »Leute bestechen und einen Wink mit dem Zaunpfahl nicht verstehen. Zwei nicht besonders erstrebenswerte Eigenschaften, wenn ich das mal so sagen darf.«

Kopfschüttelnd kämpft er gegen ein Lächeln an. Ich gebe einen Klecks Schwarz auf die Mischpalette und tauche den Pinsel in die dunkle Farbe.

Sanft hebe ich sein Kinn, wodurch ich einen direkten Blick auf seine strahlenden Augen und seine dichten dunkelblonden Wimpern habe. »Jetzt halt still. Ich will deinen Look nicht schon ruinieren, bevor ich überhaupt angefangen habe.«

Der Fremde erschauert, als meine Finger auf sein Gesicht drücken und der Pinsel über seine Haut streicht, schwarze Farbe sich über gebräunte Haut legt. Er riecht sauber und teuer, eine Mischung aus frisch geduscht und einem schicken Parfüm. Seine blauen Augen bleiben die ganze Zeit über auf mein Gesicht gerichtet, außer wenn ich ihn bitte, sie zu schließen, um seine Lider zu schminken.

Es überrascht mich, dass er mich so aufmerksam betrachtet. Mein Verlangen nach ihm, von meinen errötenden Wangen bis zu der Hitze auf meiner Haut, wenn ich seine berühre, lässt mich vorsichtig werden, und ich versuche, mich zu sammeln.

Ich konzentriere mich auf meine Aufgabe und ignoriere seine Blicke. Er sieht jung aus, aber dennoch zu alt für mich. Ich schätze, er ist Mitte zwanzig, zumindest wirft seine Haut kleine Fältchen, wenn er lacht. Unsere Gesichter sind nur Zentimeter voneinander entfernt, während ich ihn schminke und mich mit jeder Pore und jeder Narbe vertraut mache, die seine Haut verunziert. Die schwarze Farbe hebt seine kantigen Wangenknochen noch mehr hervor.

Mit der Spitze meines Pinsels fahre ich die Rundung seines Halses nach, was ihn erschauern lässt – so leicht, dass es mir beinahe entgangen wäre. »Macht es dir was aus, wenn ich auch deinen Hals schminke?«

Sein Blick unter schweren Lidern fixiert mich. »Darf ich deinen danach küssen?«

»Ich ignorier das jetzt mal, weil du viel zu alt für mich bist.« Sobald die Worte meinen Mund verlassen haben, würde ich sie am liebsten wieder zurücknehmen.

»Wer sagt das?«

»Die Tatsache, dass du aussiehst, als hättest du einen festen Job und ein beträchtliches Sparkonto.«

Seine aufleuchtenden Augen versetzen mich fast in Trance. »Was für eine aufmerksame Prinzessin! Was an mir verrät mein dickes Konto?«

»Ich trage Converse und bin als Erstsemester knapp bei Kasse, während du in Gucci-Sneakers steckst und Kinder mit einer Louis-Vuitton-Geldbörse korrumpierst.«

»Ah, wie scharfsinnig. Also bist du achtzehn? Das ist definitiv zu jung.« Sein Blick huscht zur Seite.

»Jep. Aber zu deinem Glück bin ich nicht zu jung, um dich mal so was von umzuhauen«, sage ich und tippe vielsagend mit dem Pinsel auf mein Werk.

Er lacht, und aus irgendeinem Grund gefällt es mir, ihn zum Lächeln zu bringen. Ich schnappe mir den Spiegel vom Tisch und zeige ihm, wie er aussieht.

»Heilige Scheiße. Du hast ja echt Talent. Ich sehe aus wie jemandes schlimmster Albtraum.«

Das bist du auch.

Er schenkt mir ein Lächeln, das alle möglichen Gefühle in mir auslöst, gute wie schlechte. Die Anziehungskraft, die er auf mich hat, ist trotz unseres Altersunterschieds schwer zu ignorieren.

Ich grinse den Totenkopf an, den ich geschminkt habe. Halswirbelknochen ziehen sich seine Kehle hinab, durchsetzt von schwarzem und weißem Muskelgewebe, das unter seinem schwarzen T-Shirt verschwindet. Seine blauen Augen bilden einen starken Kontrast zu der schwarzen Farbe. Als sein Lächeln verblasst, wird die Reihe Zähne sichtbar, die ich gemalt habe. Das Motiv ist schaurig-schön, genau wie er – ein Mann, der zu alt und sündhaft für jemanden wie mich ist.

»Wow! Liam, ich hab dich ja kaum erkannt mit dem krassen Make-up. Sophie hat wirklich Talent, was?« Evan, der Mann, der mir diese alberne Aufgabe überhaupt erst gegeben hat, unterbricht meinen Moment mit Liam.

Der erhebt sich aus dem Stuhl. Seine langen Beine machen ihm das lächerlich einfach und lenken meine Aufmerksamkeit auf seinen Körper, seinen festen, perfekt geformten Körper.

Evan stupst Liam seitlich an. »Sophie, da hast du echt klasse Arbeit geleistet. Passt auch perfekt, so tot, wie Liam sein wird, wenn er Sonntag nicht auf dem Treppchen landet.«

»Das sagst du jedes Mal, dabei zieh ich dich fast immer ab«, erwidert Liam, wobei seine Stimme ein klein wenig schärfer klingt.

Ich zähle eins und eins zusammen, denn in der Formel 1 gibt es nur einen Fahrer namens Liam.

Liam fucking Zander. Deutschlands Fanliebling und Nachwuchsstar der F1, der zusammen mit Noah Slade und Jax Kingston seit ihrer Kart-Zeit die Rennszene ordentlich aufmischt. Genau der Rennfahrer, der auf gutem Weg ist, dieses Jahr seinen ersten Weltmeistertitel zu holen. Der Mann, der beinahe sieben Jahre älter ist als ich.

Verdammt. Ich habe mit einem Formel-1-Fahrer geflirtet. Wenn mein Dad das herausfindet, bringt er mich auf der Stelle um.

Evan macht ein Foto von Liams Gesicht. »Ehrlich, dieses Make-up ist der Hammer. Großartige Arbeit. Meine Tochter ist ganz vernarrt in Sophie, seit sie sie im Boxenbereich von Bandini kennengelernt hat. James Mitchell hält sie sonst ganz schön versteckt, aber für heute habe ich mir ihre Talente mal ausgeliehen.« Evan blickt zu mir herüber. »Erinner mich noch daran, dass ich dich für deine Zeit bezahle.«

Ich winke ab und konzentriere mich lieber darauf, meine Atmung zu regulieren, statt zuzuhören, was Evan noch zu Liam sagt. Schließlich verabschiedet Evan sich hastig, weil er nach den Kindern sehen müsse.

»Du bist also Rennfahrer.« Ich beiße die Zähne zusammen und kann kaum verbergen, wie genervt ich bin, so wie ich meine Hände wieder und wieder zu Fäusten balle. Es macht mich wahnsinnig, wie sehr es mir gefällt, wie sein Blick über mich wandert. Es wirkt, als wolle er sich genau einprägen, wie sich mein dämliches Kostüm an meinen Körper schmiegt, als wolle er sich den ganzen Tag ins Gedächtnis prägen. Und was noch schlimmer ist: Mir gefällt das Gefühl, das seine Aufmerksamkeit mir verleiht.

»Mhm, das erzählt man sich zumindest. Und du bist Sophie, eine Prinzessin?«

Mein Name gleitet ihm von der Zunge, als wolle er ihn kosten, die letzte Silbe durch den deutschen Akzent verlängert.

Ich richte mich gerader auf. »Könnte man so sagen. Allerdings muss ich in dieser Geschichte nicht gerettet werden.«

»Nein, musst du nicht. Vielleicht bist du hier die Retterin.« Seine Mundwinkel zucken.

Sein Charme täuscht über die seltsame Vorahnung hinweg, die in seinen Worten mitschwingt. Sie legen sich schwer auf meine Brust, machen mich aber auch neugierig, was er damit meint.

Er streicht mir mit den Fingerknöcheln über die Wange, und das raue Gefühl entfacht jedes meiner Nervenenden. Von diesem Funken würde jede Sicherung durchbrennen. »Aber du bist zu jung und naiv. Und es ist nicht der richtige Zeitpunkt. Vielleicht, wenn wir uns unter anderen Umständen noch einmal begegnen.«

Liam lacht in sich hinein, während sein Blick meinen Körper hinabwandert, und gibt mir keine Zeit zu antworten, ja gar seine Worte überhaupt zu verarbeiten. »Du bist keine Prinzessin. Du bist eine verdammte Königin. Lass nicht zu, dass das irgendjemand vergisst, nicht mal du selbst. Alle denken immer, dass der König am wichtigsten ist, aber die Königin bringt alle anderen zu Fall. Viel Glück an der Uni und trink ein Bier für mich mit.«

Er liest Bücher und macht Schachvergleiche. Liam Zander ist ein heimlicher Nerd, und dieses Geheimnis zu kennen, entlockt mir ein Lächeln.

Er zieht die Hand weg und betrachtet seine Knöchel. Verwirrung huscht über sein Gesicht, doch dann überspielt er sie mit einem Grinsen, seine perfekten Züge verborgen hinter dem unheimlichen Make-up. Über die Schulter hinweg zwinkert er mir zu, dann lässt er die Feier und mich hinter sich zurück.

Verdammt. Was für ein Mindfuck!

KAPITEL EINS

Liam

ZWEI JAHRE UND FÜNF MONATE ZUVOR

Das Klingeln meines Handys reißt mich aus dem Schlaf. Laken rascheln, während ich im Dunkeln nach dem Handy taste. Ich nehme das Gespräch an, ohne auf den Bildschirm zu sehen, denn nur sehr wenige Leute würden mich ohne triftigen Grund um diese Uhrzeit anrufen.

»Schwing sofort deinen Hintern hier rüber. Johanna ist von einer Wehe wach geworden, aber wir sind uns nicht sicher, ob das echte oder nur Braxton-Hicks-Wehen sind oder vielleicht auch nur Blähungen. Sie ist schon zu weit, also will ich es nicht riskieren.« Die Worte meines Bruders machen mich schlagartig wach.

»Du hast Medizin studiert. Wie kann es sein, dass du den Unterschied nicht erkennst?«

»Ich bin in der Neurochirurgie, ich hab keine Ahnung von Gynäkologie-Zeugs, du Arsch. Also, du musst Elyse abholen und zu Mama und Papa bringen.«

Ich springe aus dem Bett, wobei ich fast mein Handy fallen lasse. »Bin in zehn Minuten da.«

Lukas beendet den Anruf, ohne sich zu verabschieden.

Zum Glück bin ich zwischen den Feiertagen in Deutschland geblieben, weil Johanna bald ihr Kind bekommen soll. Bei dem Gedanken an Wehen schmerzen mir die Eier, aber ich ignoriere es.

Adrenalin schießt durch meinen Körper, während ich mich rasch fertig mache. Wenige Minuten später springe ich in meinen SUV und mache mich auf den Weg zu Lukas. Er hat das alles bereits vor Monaten durchgeplant, damit ich auch ja zur Geburt in der Stadt bin. Da es jeden Tag so weit sein könnte, ist Lukas in höchster Alarmbereitschaft. Echt jetzt. Er hat Jo schon einmal fast überzeugt, wegen so eines »falschen Alarms« ins Krankenhaus zu fahren.

Ich lasse den Wagen in ihre Einfahrt rollen, parke und steige aus. Jedes Fenster des zweistöckigen Hauses ist hell erleuchtet. Mein Bruder macht mir bereits die Tür auf, als ich noch auf den überdachten Eingang zulaufe, der Kronleuchter hüllt ihn in einen goldenen Schein. Fahrig fährt er sich durch das blonde Haar und wirft mir ein nervöses Lächeln zu, bei dem sich Falten um seine hellblauen Augen bilden.

Sobald ich vor ihm stehe, ziehe ich ihn in eine Umarmung. »Na, wenn das nicht der Mann der Stunde ist! Erzähl, wie fühlt es sich an, wenn deine Arbeit Früchte trägt?«

»Großartig, Johanna schreit mich die ganze Zeit an, dass ich sicherheitshalber alles mitnehmen soll. Sie glaubt, dass es diesmal wirklich so weit sein könnte.«

»Ist ihre Fruchtblase denn schon geplatzt?«

»Nein, aber sicher ist sicher.«

Johanna, bildhübsch mit ihren braunen Haaren und den Rehaugen, schiebt sich an meinem Bruder vorbei. Sie bläst die geröteten Wangen auf, während sie tief ein- und ausatmet. Mit geschürzten Lippen blickt sie mich an. »Männer sollten mal wie Seepferdchen sein. Da können die Männchen schwanger werden und gebären. Ich habe gelesen, dass sie fantastische Väter sind, während die Mütter sich einfach aushalten lassen.«

Kopfschüttelnd sehe ich sie an. »Du musst dich entspannen. Du wirst schon ganz rot.«

Johanna hat sich in den zehn Jahren, die ich sie kenne, nicht verändert, angespannte Situationen haben sie schon immer aus der Fassung gebracht. Hat mir die Hölle heißgemacht, weil ich unseren Laborbericht erst am Ende der Stunde abgegeben habe statt am Anfang. Während andere Mädchen in der Schule hinter meinem Schwanz her waren, um All-Access-Pässe zu bekommen, ist Johanna hinter mir hergerannt, damit ich meine Hausaufgaben mache und für Klausuren lerne. Im Gegensatz zu den anderen hat sie nicht zugelassen, dass ich wegen der Rennfahrerei die Schule schleifen lasse. Ihr habe ich es zu verdanken, dass ich überhaupt meinen Abschluss geschafft habe.

Tadelnd hebt sie den Finger, ihre braunen Augen glänzen. »Press du erst mal ein Baby in der Größe einer Wassermelone aus dir raus, dann kannst du mir sagen, ich soll mich entspannen.«

Entsetzt blickt mein Bruder mich an. Ich hätte gut und gerne ohne dieses Bild im Kopf leben können, denn zufällig mag ich Wassermelonen.

»Guck mich nicht so an. Das ist alles deine Schuld«, faucht sie Lukas an, während sie mit beiden Zeigefingern auf ihren Bauch deutet.

»Ich hab bei der Zeugung keine Beschwerden gehört«, erwidert er lächelnd.

Sie winkt ab. »Da habe ich die Konsequenzen kurzzeitig vergessen.«

Vielsagend grinse ich Lukas an. »Du bist derjenige, der sie geschwängert hat, drei Monate nachdem ihr euer erstes Kind bekommen habt. Du übertreibst es etwas mit dem Markieren des Reviers.«

»Ich liebe es einfach, wie sie während der Schwangerschaft strahlt.« Lukas zieht Johanna an sich und drückt ihr einen Kuss auf den Scheitel. Seine Vorliebe für diese abartige Zurschaustellung von Zuneigung hat er von unseren Eltern geerbt, dem König und der Königin des Betatschens.

»Ich hoffe, du stehst auch auf die Blässe nach der Schwangerschaft, denn das Einzige, was dann noch strahlen wird, ist das Kühlschranklicht um zwei Uhr morgens, wenn du Kaia das Fläschchen gibst«, murmelt Johanna an seine Brust.

Ich für meinen Teil kann es jedenfalls kaum erwarten, Kaia kennenzulernen, Johannas Wassermelone und zukünftiger Zuwachs unserer bekloppten Familie.

»Kann sie nicht toll mit Worten umgehen?« Lukas drückt Johanna noch einmal fest, dann lässt er sie los.

Ich tue so, als müsste ich würgen. »Bei euch wird mir ja schlecht.«

»Wenn du mal heiratest, verstehst du das. Bis dahin kann ich dich mit Dankbarkeit überschütten, dass du mich als Laborpartnerin ausgewählt hast. Wie sich herausstellte, hatte der heißeste Typ in Bio einen ebenso heißen Bruder.« Johanna zwinkert Lukas zu.

»Lukas hat eben Ansprüche angemeldet, bevor ich es überhaupt versuchen konnte.«

»Du hattest nie eine Chance. Ein Blick und sie war hin und weg von mir. Wir mussten nur warten, bis sie nicht mehr minderjährig war«, meint mein Bruder über seine Schulter hinweg, während er in den oberen Stock eilt.

Johanna schenkt mir ein zittriges Lächeln. »Tut mir leid, dass du damals so brutal in die Friendzone gerutscht bist. Aber wer hätte auch dem Captain des Hockeyteams widerstehen können?«

»Ich hatte gehofft, dass gerade du, Vorsitzende des Vereinte-Nationen-Planspiels, das könntest, aber jetzt bist du schwanger mit der Brut meines Bruders. Ich hätte gedacht, dass du meinen Verstand Lukas’ Muskeln vorziehst.«

»Na ja, da ich gerade meinen Facharzt in Neurochirurgie mache …« Lukas steigt vorsichtig die Treppe hinunter, die schlafende Elyse in einem Arm und eine kleine Reisetasche in der anderen.

»Ich kann es wirklich gar nicht ab, wenn ihr zwei euch gegen mich verbündet. Bis Jo achtzehn geworden ist, war es immer andersherum«, sage ich und verschränke die Arme vor der Brust.

»Sei doch nicht so. Sieh dich nur an, du bist ein krasser Formel-1-Fahrer, der gerade seinen ersten Weltmeistertitel geholt hat. Letztendlich hast du die Bücher gegen Muskeln eingetauscht.« Johanna zieht mich in eine Umarmung. Mit ihrem runden Bauch ist das gar nicht so einfach, doch sie schlingt die Arme um mich und umhüllt mich mit ihrem Rosenduft.

»Die Bücher habe ich nie eingetauscht«, verteidige ich mich. »Das Einzige, das sich verändert hat, ist, dass ich mich nicht mehr mit Mädchen in der Schulbibliothek treffe.«

»Ich hoffe wirklich, dass du bald etwas Ernstes findest. Mit diesen Grid-Girls kannst du doch nichts Langfristiges wollen, die wollen dich nur wegen deinem Namen und nicht wegen deinem Herzen. Außerdem kann ich doch nicht deine einzige weibliche Freundin sein. Du bist ganz schön needy.« Sie streckt mir die Zunge heraus, dann watschelt sie aus dem Haus.

»Was? Seit wann? Das höre ich zum ersten Mal.«

»Seit immer, Mann. Erst vor ein paar Monaten hast du Johanna um drei Uhr nachts betrunken geschrieben, dass sie dir ein Schlaflied singen soll. Nicht, dass ich mich beschweren würde, deine Anrufe wecken uns nämlich beide auf …« Er wirft ihr ein Grinsen zu, das ich nie wieder in meinem Leben sehen möchte.

»Ist ja ekelhaft. Spar dir den Schlafzimmerblick für das nächste Mal, dass du sie schwängern willst. Ich hoffe, euch beiden ist bewusst, dass diese Schlaflieder das Beste sind, was ich während der Saison höre. Noch besser als die Boxengasse am Renntag.«

Johanna singt wirklich wie ein Engel. Und wenn ich den größten Teil des Jahres mit meinem Formel-1-Team unterwegs bin und etwas getrunken habe, werde ich eben nachts manchmal ziemlich einsam.

»Du brauchst echt eine Freundin. Ich kann nicht für immer deine einzige beste Freundin sein.« Johanna lacht, doch dann zuckt sie zusammen und reibt sich den Bauch.

»Nun gut. Ihr zwei müsst los«, sage ich und nehme Lukas Elyse ab.

»Hast du den Kindersitz gekauft, den ich dir gezeigt habe?« Mein Bruder betrachtet Elyse, während ich sie sanft hin und her wiege.

»Ja, Mama. Ich bin sogar extra mit dem SUV hergekommen, weil du mein Cabrio ja nicht abkannst.«

Johanna lächelt meinen Bruder an. »Manchmal wünsche ich mir, du hättest auch ein Cabrio.«

»Die sind nicht sicher«, grummelt Lukas, während er Johanna in seinen Land Rover hilft. Irgendwie hat er sich innerhalb von ein paar Jahren von einem sorglosen Typen in den reinsten Sicherheitsfanatiker verwandelt. Das hat angefangen, nachdem er Johanna geheiratet, ein Haus gekauft und sie geschwängert hat. Wer hätte gedacht, dass es sich so entwickeln würde, nur weil ich mit meinen Hormonen gedacht habe und Biologie bestehen wollte und deshalb das heiße stille Mädchen als meine Laborpartnerin ausgewählt habe? Lukas sollte mir dankbar sein.

Ich gehe zu meinem SUV, öffne mit einem Arm die Tür und setze Elyse in ihren Kindersitz. Die pinke Vorrichtung wirkt in der schwarzen Leder-Innenausstattung fehl am Platz. Ich kämpfe etwas mit den Gurten, dann bringe ich den Sitz in Schlafposition. Elyses rundliches Gesicht und die blonden Haare sehen einfach nur bezaubernd aus.

Nachdem ich ihr einen sanften Kuss auf die Stirn gedrückt habe, schließe ich die Tür.

Dann drehe ich mich zu den beiden strahlenden Eltern um. »Wir sehen uns im Krankenhaus. Wir kommen nach, sobald die Babysitterin bei Mama und Papa ist.«

»Besser ist das. Bis dann.« Lukas winkt und fährt aus der Einfahrt. Johanna lächelt mir vom Beifahrersitz aus zu, wirkt trotz der vermutlich stundenlangen Schmerzen, die ihr bevorstehen, etwas ruhiger.

Ich setze Elyse bei der Babysitterin ab und eile mit meinen Eltern zum Krankenhaus. Mein Vater sitzt entspannt im Wartezimmer, während meine Mutter in dem engen Raum auf und ab geht. Ihre Stiefel klacken auf dem Boden, und sie blickt mit finsterer Miene abwechselnd die Uhr und die Tür an.

Meine Eltern sehen aus wie Barbie und Ken mit ihren blonden Haaren und der leicht gebräunten Haut. Meine Mutter blickt mich aus stürmisch grauen Augen an, ihre Haltung ist ganz starr vor Panik. Mit wippendem Haar läuft sie auf und ab, was sie offenbar nicht im Geringsten beruhigt, während mein Vater das genaue Gegenteil tut und den Kopf gegen die Wand lehnt.

»Warum setzt du dich nicht?« Ich deute auf den leeren Stuhl neben mir.

»Will ich nicht. Ich hasse diese Warterei, ich will Kaia endlich in den Armen halten und diesen frischen Babygeruch riechen.« Sie schließt die Augen und lächelt.

»Du klingst wie eine Serienmörderin.« Bei meinem Kommentar reißt sie die Augen wieder auf, und mein Vater erstickt fast vor Lachen.

Wütend funkelt meine Mutter ihn an. »Unterstütze seine Witzeleien doch nicht noch. Du bist schuld, dass er so mit mir spricht.«

»Irgendjemand musste ihm ja einen Sinn für Humor beibringen.« Mein Vater grinst mich an, seine blauen Augen funkeln unter dem fluoreszierenden Licht.

Meine Mutter unterdrückt ein Lächeln. Nachdem sie noch ein paar Minuten auf und ab gelaufen ist, setzt sie sich neben mich und zieht meine Hand auf ihren Schoß, als wäre ich ein Kleinkind und nicht vor Kurzem sechsundzwanzig geworden. »Weißt du noch, als wir dich und Johanna für den Abschlussball verkuppeln wollten?«

»Wie könnte ich das vergessen, so wie Lukas mir eine geknallt hat?«

Ich habe einige schöne Erinnerungen an den Vorgarten meiner Eltern, unter anderem, wie Lukas Johanna an derselben Stelle einen Antrag gemacht hat, an der er mir Jahre zuvor ins Gesicht geschlagen hat.

»Das war der Moment, in dem ich wusste, dass die beiden sich ineinander verlieben würden. Das war wie im Film, die kluge Sportskanone und das schüchterne Mädchen. Er hat nur auf den richtigen Moment gewartet.«

»Du guckst zu viele Liebesfilme«, sage ich kopfschüttelnd.

Meine Mutter hofft bei allem auf ein Ende wie im Märchen, denn sie ist eine hoffnungslose Romantikerin, die bereits mit zweiundzwanzig die Liebe ihres Lebens gefunden hat. Lukas ist ihrem Vorbild gefolgt, während ich mich einfach nur treiben lasse und momentan nicht unbedingt auf der Suche nach mehr bin.

Johannas Worte von vorhin gehen mir nicht aus dem Kopf. Klammere ich etwa, weil ich niemanden habe, mit dem ich besondere Momente teilen kann? Ich will nicht needy wirken. Was sind schon ein paar betrunkene Anrufe? Manche schreiben ihren Ex-Partnern, und ich rufe eben meine Freunde an, das ist doch nicht wirklich eine Charakterschwäche, oder?

Die Haut um die grauen Augen meiner Mutter legt sich in Falten, als sie mich anlächelt. »Wenn diese Filme nicht wären, hätte ich deinem Vater nie eine Chance gegeben.«

Diesmal muss ich tatsächlich würgen. »Ihr müsstet mir echt mal ’ne Therapie bezahlen. Ein Psychologe hätte seine helle Freude an diesem Mist.«

Gefühlt stundenlang sitzen wir so herum. Im Gegensatz zu Elyses Geburt hat Lukas diesmal keine Zeit, zwischendurch rauszukommen und uns auf den neuesten Stand zu bringen. Ich spiele auf meinem Handy herum, um die Zeit totzuschlagen. Minute um Minute verstreicht, ohne dass ein Pfleger herauskommt und uns irgendwelche Informationen gibt. Vor Neugier sind wir alle ganz hibbelig, während wir auf unser neues Familienmitglied warten.

Eine Pflegerin rauscht ins Wartezimmer und fragt, ob wir die Zanders sind. »Es gab eine Planänderung«, erklärt sie dann, »Johanna wurde wegen einiger Komplikationen in den OP gebracht. Wir können Ihnen derzeit noch nicht viel sagen, aber es kommt jemand zu Ihnen, sobald wir mehr wissen.«

»O Gott. Ich hoffe, es ist nichts Ernstes.« Meine Mutter fängt wieder an, auf und ab zu laufen, ihr Buch liegt vergessen auf ihrem Stuhl.

»Die Ärzte wissen schon, was sie tun.« Der hektisch umherhuschende Blick meines Vaters straft seinen besänftigenden Tonfall Lügen.

»Elyse kam auf natürlichem Weg auf die Welt. Warum also jetzt ein Kaiserschnitt?« Meine Mutter hält inne und presst sich eine Hand auf die Brust, als könnte sie so ihr rasendes Herz beruhigen.

Ich schiebe mein Handy wieder in die Hosentasche, denn ich habe keine Lust mehr auf ein dämliches Spiel. »Das wird uns die Ärztin schon sagen.«

Ein paar Minuten später geht knarzend die Tür auf, und ein blasser Lukas kommt zum Vorschein, die Hände vor sich zu Fäusten geballt. In seinen Augen fehlt jede Spur von Leben. Er wirkt frei von jeder Emotion, als hätte man ihm die Seele ausgesaugt und nur die Hülle eines Mannes zurückgelassen.

Ein kaltes Gefühl kriecht mir den Rücken hinauf, als sein Blick meinem begegnet.

Eine Träne rinnt ihm über die Wange. Eine einzelne Träne führt dazu, dass meine Brust eng wird und meine Lunge brennt. Es fühlt sich an, als hätte jemand die Luftzufuhr im Raum abgeschnitten, sodass wir vier hier ersticken. Schweigend beobachten wir, wie sich Lukas’ Brust hebt und senkt und seine dunklen Augen jeden Einzelnen von uns nacheinander anblicken.

Mit wackeligen Beinen stehe ich auf und versuche, meine Fassung wiederzuerlangen. »Was ist passiert?«

Seine leeren, ausdruckslosen Augen richten sich auf meine. »Johanna hat es nicht geschafft.«

Tränen strömen ihm über das Gesicht, seine Unterlippe bebt, und mir rutscht das Herz in die Hose. Meine Mutter unterdrückt ein Schluchzen, als sie auf meinen Bruder zustürzt und ihn in ihre Arme zieht. Mein Vater und ich starren einander an, ohne dass uns ein Wort über die Lippen kommt, ohne dass wir es begreifen.

Was zum Teufel passiert hier gerade?

Mein Bruder zittert, seine Beine geben nach, und meine Mutter kniet sich mit ihm auf den Boden. Mein Herz rast, und mein Magen droht seinen Inhalt auf die beigen Fliesen zu entleeren.

Seine nächsten Worte bringt mein Bruder nur flüsternd hervor, als würde ein fester Tonfall das Ganze zu real machen. »Das Baby steckte fest«, Lukas’ Stimme bricht, »Jos Blutdruck ist während des Notkaiserschnitts gesunken, und sie …« Er schluchzt auf.

Ich fühle mich nicht, als hätte mir jemand den Boden unter den Füßen weggerissen. Das wäre zu einfach, zu nett, um den Albtraum zu beschreiben, der sich vor mir abspielt. Es fühlt sich an, als hätte mir jemand meine gottverdammten Beine ausgerissen und mich als blutendes Häuflein zurückgelassen. Ich fühle mich so verdammt hilflos, während mein Bruder in irgendeinem beschissenen Krankenhaus zusammenbricht.

Das kann nicht wirklich passieren.

Lukas zittert am ganzen Körper, während er sich an meine Mutter drückt, und bei seinem lautlosen Weinen zieht sich mir das Herz zusammen. »Sie hat es nicht geschafft. Sie … Sie wollte mich noch mit unserer Kleinen im Arm sehen. Das ist alles, was sie wollte. Meine Frau. Tot.« Sein schwerer Atem wird panisch und flach.

Verdammte Scheiße.

Meine beste Freundin ist tot. Die Frau, die mich vor ein paar Stunden noch angelächelt und needy genannt hat. Johanna, das Beste an der Schule und einer meiner liebsten Menschen auf der Welt. Meine Freundin, die die Augen verdreht hat, wenn Mädchen mich wegen meines Rennfahrertalents wollten statt wegen des heimlichen Strebers in mir. Die Frau, die meinem Bruder das Herz gestohlen hat, während sie meines ganz gemacht hat, und so mit jedem Mitglied meiner Familie für immer verbunden ist.

Mein Magen rebelliert, doch ich kämpfe nicht gegen die Übelkeit an, sondern stürze zum nächstbesten Mülleimer. Säure bedeckt meine Zunge, während mir ungewohnte Tränen über das Gesicht strömen. Mit bebenden, blassen Fingern klammere ich mich am Plastikrand fest, stütze mich auf den Mülleimer, damit meine zitternden Beine nicht nachgeben.

»Und das Baby?« Die Stimme meiner Mutter übertönt mein Würgen.

»Kaia geht es gut.« Mein Bruder, der Zurückhaltende von uns, der mich gelehrt hat, wie ich einen kühlen Kopf bewahre, weint in den Armen unserer Mutter und flüstert ihr heisere Worte zu. Ich verkrafte es nicht, ihn so gebrochen zu sehen, zu sehen, wie er äußerlich spiegelt, wie ich mich innerlich fühle.

Ich umklammere den Mülleimer, traue mich nicht, ihn loszulassen, während mein Vater mir mit zitternder Hand über den Rücken streicht.

Ich hasse es, Lukas weinen zu hören. Ich hasse diesen ganzen verfickten Tag. Die Vorstellung, meine beste Freundin zu verlieren, während ich gleichzeitig eine neue Nichte bekomme, ist einfach zu viel. Warum um Himmels willen sollte Gott uns so einen grausamen Streich spielen, ein Leben auslöschen und zugleich ein anderes retten?

Ich fliehe aus dem Wartezimmer, lasse meine Familie zurück und stürze aus dem Krankenhaus. Dunkelheit empfängt mich, passend zu den düsteren, in mir durcheinanderwirbelnden Emotionen, und der helle Mond scheint mich zu verspotten, während ich schließlich vollkommen die Fassung verliere. Als ich mich ins Gras knien will, geben meine Beine nach, und die taufeuchten Halme verbergen die Tränen, die mir über das Gesicht strömen.

Ich werfe den Kopf zurück und stoße einen heiseren Schrei aus, doch der gequälte Laut wird von der Sirene eines sich nähernden Krankenwagens übertönt. Scharf atme ich ein, die kühle Luft brennt in meiner Lunge.

Aus dem Nichts taucht mein Vater auf und kniet sich neben mich, zieht mich an seine Seite und hält mich fest.

Ich kann nicht verbergen, dass ich am ganzen Körper zittere. »Ich verstehe das nicht. Wie kann so etwas passieren? Wir leben im einundzwanzigsten Jahrhundert, verdammt. Man stirbt doch nicht mehr einfach so bei der Geburt.«

»Tut mir leid, Junge. Die Ärzte haben alles versucht.« Er gibt einen erstickten Laut von sich.

»Und jetzt? Wie zum Teufel soll ich Kaia je ansehen, ohne dabei an sie zu denken?« Ich hasse es, wie schwach meine Stimme in meinen eigenen Ohren klingt.

»Du kannst sie ansehen und die letzte wunderschöne Sache sehen, die ihre Mutter erschaffen hat. Sie braucht ihren Onkel jetzt mehr denn je.«

Ich kralle meine Hand ins Gras, ziehe an den Halmen, reiße sie heraus, um etwas von der nervösen Energie in mir abzulassen. »Ich will sie nicht. Ich will Johanna zurück.«

»Das meinst du nicht so.«

»Natürlich meine ich das so! Ich will die Uhr zurückdrehen und diesen beschissenen Tag auslöschen.« Dieses Geständnis bereitet mir nicht im Geringsten ein schlechtes Gewissen. Der Schmerz, der sich in mein Herz gräbt, schnürt mir die Brust zu und stellt meinen Verstand auf die Probe.

»Das können wir nicht. Aber denk mal an deinen Bruder und daran, was er durchmacht. Sei stark für ihn.«

Wie kann ich stark für ihn sein, wenn mein Herz durch einen verdammten Schredder gezogen wird?

»Ich kann nicht.« Die Worte nehmen mir den Atem, meine Stimme ist ein heiseres Flüstern, und schon wieder steigen mir die Tränen in die Augen, während ich an Johanna denke. Daran, wie wir uns eine Farbschlacht geliefert haben, als wir Kaias Kinderzimmer gestrichen haben. Das Bild erfüllt mich abermals mit Grauen und Übelkeit.

Ich weiß nicht, wie ich mit irgendetwas von diesem Mist klarkommen soll. Ich bin nicht darauf vorbereitet, diese Gefühle zu verarbeiten, die schmerzhaften Erinnerungen und den dumpfen Schmerz, der sich in meiner Brust einnistet.

Mein Vater hält mich, während wir schweigend dasitzen und gequält ein- und ausatmen.

Der 30. Dezember ist nicht nur Johannas Todestag. Es ist der Tag, an dem ich mich selbst losließ, mein gebrochenes Herz so tief in mich hineinschob, dass ich die zerfetzten Überreste nicht mehr erkennen könnte, selbst wenn ich es versuchte.

KAPITEL ZWEI

Sophie

HEUTE

Ich will ja nicht dramatisch sein, aber ich hatte gerade den schlechtesten Sex meines Lebens.

Nein, ich mache keine Witze, ich wünschte, es wäre so. Deshalb verstecke ich mich auch gerade in meinem Badezimmer und rede leise mit mir selbst, während das Objekt meiner Frustration in meinem Wohnheimbett liegt.

Andre Bianchi: Mathegenie, Vizepräsident des Wirtschaftsclubs und zum zweiten Mal in Folge Gewinner der Kategorie Wird dich am ehesten unbefriedigt zurücklassen.

»Die Kondome mit Geschmack hätten mir schon eine Warnung sein sollen. Kein anständiger Mann, der auch nur die leiseste Ahnung vom Körper einer Frau hat, würde Kondome mit Geschmack benutzen. Der dämlichste Kauf aller Zeiten. Außerdem, wer hat die überhaupt erfunden? Keine Frau bei Verstand möchte an einem Kondom lecken!«, flüstere ich vor mich hin, während ich mir die kaum zerzausten blonden Haare bürste. Ein weiterer Beweis für mein beschissenes Sexleben: Meine Haare sehen noch genauso gut aus wie heute Morgen, als ich sie zuletzt gekämmt habe. Mein Make-up ist kaum verschmiert und keine Spur von rosigen Wangen oder einem After-Sex-Glow. Grüne Augen blinzeln mir entgegen, wirken ebenso glanzlos wie mein Sexleben aktuell.

Meine Brust zieht sich zusammen, bis ich Mühe habe zu atmen, was mich abermals an meine Enttäuschung erinnert.

Offensichtlich bekomme ich an dieser Uni mehr Bestnoten als Orgasmen. Ich weiß nicht, warum der Gedanke mir so zusetzt, aber das tut er wirklich. Ich hüpfe wahrlich nicht durch die Betten und kann meine sexuellen Erfahrungen an einer Hand abzählen. Aber was noch schlimmer ist: Keine davon beinhaltete ein Happy End für mich. Mittlerweile glaube ich, ich bin kaputt – warum sonst passiert mir das immer wieder? Die Typen kommen jedes Mal problemlos auf ihre Kosten, während ich nur zur Decke hochblinzele und mich frage, was das gerade war.

Keine Endorphine. Keine Glücksgefühle danach. Nichts. Niente. Nada.

Diese letzte Erfahrung trifft mich hart. Wozu gehe ich denn zur Uni, wenn ich dann doch nur in meinem Wohnheimzimmer lebe, kaum Kontakt zu anderen habe und einmal im Jahr mit einem stümperhaften Wirtschafts-Kommilitonen schlafe? Das endet immer wieder damit, dass ich ihn lächelnd bitte zu gehen und so tue, als hätte er meine Welt bis in die Grundfesten erschüttert, obwohl ich in Wirklichkeit nur seinen Schwanz gelutscht habe, während ich im Kopf meine To-do-Liste für die Uni durchgegangen bin.

»Oh Gott. Ich habe an meinen Professor gedacht, während ich ihm einen geblasen habe. Das ist echt der Tiefpunkt«, murmle ich vor mich hin und kann mich gerade noch so zurückhalten, nicht laut aufzustöhnen.

Ich kann nicht zulassen, dass mir das wieder passiert. Bisher kriegt mich meine Typ-A-Persönlichkeit am Arsch, und zwar nicht auf die »Hi, ich bin Anastasia Steele und Christian Grey ist mein Daddy«-Art und Weise.

»Sophie, du gehst da jetzt raus und sagst ihm, dass er verschwinden soll. Du gehörst schon längst ins Bett und solltest diese schreckliche Laune ausschlafen.« Seufzend nehme ich allen meinen Mut zusammen, um dem armen Typen da draußen gegenüberzutreten.

Andre war nett und zuvorkommend, hat vorher sogar angeboten, das Abendessen zu bezahlen. Ich will auch gar nicht unhöflich sein, aber im Moment habe ich Mühe, meine Gefühle zu verstehen. Um ehrlich zu sein, bin ich eher enttäuscht von mir selbst, dass ich nicht loslassen konnte, mental wie auch körperlich. In mir herrscht dabei immer ein echter Kampf, einerseits die Kontrolle zu behalten und andererseits meinem Gehirn eine Auszeit zu gönnen.

Ich greife nach der Klinke meiner Badezimmertür und reiße sie auf. »Hi, entschuldige bitte. Ich glaube, es ist …«

Als ich mein leeres Bett bemerke, atme ich erleichtert auf. Vielleicht ist heute doch kein Totalreinfall. Mein Blick bleibt an einem Zettel auf meinem Kopfkissen hängen.

Danke für die gute Zeit. Wollen wir das nächstes Wochenende wiederholen?

Nope. Auf gar keinen Fall. Ich verlasse lieber das Land, als mich noch mal mit ihm zu treffen.

Moment mal. Das ist gar keine so schlechte Idee.

Ich schnappe mir eine erst vor Kurzem geöffnete Flasche Weißwein aus dem Minikühlschrank und fahre meinen Laptop hoch. Ich verzichte auf ein Glas und trinke einen großen Schluck direkt aus der Flasche, während ich den Formel-1-Kalender meines Vaters öffne. Den Flug nach Melbourne nächsten Monat hat er bereits gebucht.

Ich frage mich, wie es in Melbourne wohl aussieht, und gehe auf Pinterest. Während ich immer wieder von meinem Wein trinke, scrolle ich durch Posts und klicke schließlich auf einen mit dem Titel Bucket List.

Ich werde tiefer ins Land der verlorenen Zeit gezogen, scrolle durch eine Reise-Bucket-List nach der anderen. Schuld daran ist wohl meine brennende Neugier, was die Leute sich so einfallen lassen. Ich liebe gute Listen, doch auf einen Großteil dieser verrückten Punkte wäre ich selbst nie gekommen. Der Nebel in meinem Kopf wird immer dichter, während ich weiter Wein trinke und scrolle.

Meine Augenbrauen schießen bis zum Haaransatz hoch, als auf meinem Feed eine Naughty Bucket List auftaucht. Meine Neugier gewinnt die Oberhand, und ich klicke die Liste an. Naughty. Ungezogen. Kein Wort, mit dem ich mich jemals beschrieben hätte. Zumindest nicht, seit ich fünf war und mein Dad gedroht hat, dem Weihnachtsmann zu sagen, dass ich dieses Jahr nur Kohlen verdiene, weil ich meinen Milchshake über die Sitze seines McCoy Illusion verschüttet habe.

Heilige Scheiße. Die Leute sind ja ganz schön kreativ. Ich verbringe zu viel Zeit damit, mehrere dieser unanständigen Listen durchzugehen. Ich könnte lernen oder schlafen oder mir über eine Dating-App einen neuen Typen suchen. Aber nein. Mein angeheitertes Ich hat seinen Spaß daran, meine liebsten Sex-Listenpunkte zu pinnen. Wo war diese Nonchalance nur vor zwei Stunden?

Ich weiß nicht, ob es der einsame Abend ist oder der Wein, der mich dazu inspiriert, meinen fein säuberlich mit Klebezetteln organisierten Terminplaner aufzuschlagen und zu einer der versteckten Seiten ganz hinten zu blättern.

Ich stelle mir eine Liste mit Dingen zusammen, die ich noch nie getan habe, aber schon immer mal ausprobieren wollte. Eine Stunde später bringe ich irgendwie noch die Koordination auf, das Ganze abzutippen und farblich zu kodieren. Kurz bevor ich auf »Drucken« klicke, fällt mir ein Titel für die Liste ein, und ich tippe: Fuck-it-Liste.

Ich starre auf das ausgedruckte Blatt Papier und frage mich, warum zur Hölle ich diese Liste kreiert habe. Ob ich meinen Dad echt überzeugen kann, mich seinem F1-Programm anzuschließen? Und könnte ich überhaupt auch nur die Hälfte dieser Punkte durchziehen? Ich schiebe meine Zweifel beiseite und hole mein Laminiergerät hervor, denn ja, ich bin eine von diesen Leuten. Nach einigen gescheiterten Origami-Versuchen und dem einen oder anderen frustrierten Brummen bekomme ich das laminierte Papier schließlich auch noch gefaltet.

Die Fuck-it-Liste erstrahlt in ihrer ganzen laminierten Pracht. Lächelnd betrachte ich die zwanzig Punkte, die ich mutig, wenn auch angetrunken, ausgewählt habe.

Bevor ich anfangen kann, Dinge von meiner Liste zu streichen, muss ich jetzt nur noch eine letzte Sache erledigen, vermutlich die schwerste Aufgabe von allen. Meinen Dad überreden, ihn begleiten zu dürfen.

* * *

»Bevor du mit auf Tour kommst, habe ich noch ein paar Regeln für dich. Wenn du dich nicht daran hältst, buche ich dir sofort ein Ticket für den nächsten Flug zurück nach Italien.« Mein Dad sitzt auf seinem üblichen Platz auf dem Sofa in unserem Wohnzimmer und tippt auf seinem iPad herum.

»Ich weiß, du bist ein Star unter den Ingenieuren, aber wenn du es ›Tour‹ nennst, hört es sich an, als wärst du ein Rockstar.«

»Berühmt unter den Nerds, das gefällt mir.« Er reckt die Faust in die Luft – peinlicher geht’s nicht mehr. »Wie auch immer, die erste Regel ist, dass du dein Möglichstes tust, dich von den Fahrern fernzuhalten. Das meine ich ernst, die haben meist fragwürdige Intentionen. Nummer zwei: Du meldest dich täglich bei mir, damit ich weiß, dass du nicht tot in irgendeinem Graben liegst. Und zu guter Letzt: Halt dich von Ärger fern. Sag sie noch mal für mich auf.«

»Du wirst ja echt alt, wenn man schon alles für dich wiederholen muss.«

»Nur weil ich graue Haare habe, heißt das nicht, dass ich alt bin«, erwidert er und fährt sich durch die dichten Strähnen.

Mein Dad ist wirklich vieles, aber nicht alt und gestrig – zu meinem Unglück, denn er ist Single und bei den Ladys sehr begehrt. Sie werden regelrecht von ihm angezogen, als verspreche allein seine Aura Geld und Spaß.

»Nein, aber dass du mehr Regeln hast als eine Privatschule, macht deinen Jung-gebliebener-Silberfuchs-Vibe kaputt.«

»Bitte halt dich an die Regeln. Mehr verlange ich diesen Sommer nicht von dir.«

Mein Dad steht so sehr auf Regeln, weil er Angst hat, dass ich wie meine Mutter ende. Wir reden nicht viel über sie, da sie uns kurz nach meiner Geburt verlassen hat, um Entwicklungsländer zu retten. Die Vorstellung von Windeln und Babyfläschchen hat sie erdrückt und in ihrem geliebten sorglosen Lebensstil eingeschränkt. Heute genießt sie ihr Leben in Afrika mit ihrem neuen Freund, der nur fünf Jahre älter ist als ich.

Ich glaube ja, mein Dad hat insgeheim Verlustängste. Jedes Mal, wenn ich mit meiner Mom rede – und das ist schon wirklich selten –, vergewissert er sich, dass ich auch ja nicht den nächsten Flug zu ihr buche.

»Wenn ich dieses Jahr nicht zweiundzwanzig werden würde, würdest du mir vermutlich so einen Rucksack mit Leine dran aufzwingen, damit ich nicht weiter als anderthalb Meter weglaufe.«

Er schaut nachdenklich drein. »Bring mich nicht in Versuchung, die Idee klingt gerade ziemlich gut.«

Seit ich an der Uni bin, ist seine Wachsamkeit noch schlimmer geworden, da er auf die Triebe notgeiler Jungs wie auch F1-Fahrer keinen Einfluss hat. Das ging so weit, dass er mir ganz zufällig jeden einzelnen Sommer einen Urlaub finanziert hat – der sich stets mit seinen F1-Reiseplänen überschnitt.

Ich bedenke ihn mit einem wütenden Blick. »Kannst du dich bitte mal entspannen? Du kannst mich nicht vor jedem männlichen Wesen beschützen, das mir je über den Weg läuft.«

»Ich kann es zumindest versuchen.« Mit zwischen die Zähne gezogener Unterlippe geht mein Dad unseren Reiseplan durch. Er darf mir diesen Sommer einfach nicht vermiesen. Ich will neue Leute kennenlernen, neue Städte erkunden und ein paar Fehler begehen, denn das habe ich so was von nötig. Keiner versteht, wie schwer es ist, die perfekte Tochter für meinen Dad zu sein, immer das Bestmögliche herausholen zu wollen, um ihn zu beschwichtigen. Damit meine ich durchgehend Bestnoten, Aufnahme in die Ehrengesellschaft und Auszeichnungen im Reitverein – immer nur das Beste.

»Denk dran, du musst dieses Semester überall die Höchstpunktzahl erreichen, wenn ich meinen Teil der Abmachung einhalten soll. Ich werde deinen Schnitt überprüfen, bevor du ins Flugzeug steigst.«

»Soll ich auch noch meinen Lernkalender mit deinem Handy synchronisieren? Dann kannst du auch meine Zeiten erfassen?«

Er verkneift sich ein Lächeln. »Ich weiß nicht, warum ich dich zu so einer Klugscheißerin erzogen habe, aber du lässt es wirklich zu den ungünstigsten Zeitpunkten raushängen. Ich will doch nur sichergehen, dass du deinen Abschluss in der Regelzeit schaffst.«

Noch ein Jahr, bis ich mit einem Accounting-Abschlusszeugnis in der Hand und einem gekünstelten Lächeln im Gesicht über die große Bühne gehen werde. Mein Dad behauptet, Zahlen seien eine sichere Bank. Sie schreien geradezu nach unabhängiger finanzieller Stabilität, doch die Einzige, die hier wirklich schreit, bin ich. Aber ich habe mir diesen Studiengang für den Seelenfrieden meines Vaters ausgesucht, denn er hat mich über die Jahre unaufhörlich unterstützt. Er hat einen Teil seiner selbst geopfert, um alles zu sein, was ich brauchte, und noch mehr, hat unsere Familie nie durch eine neue Frau ergänzt.

»Dabei habe ich doch immer davon geträumt, wie die anderen Töchter von F1-Teamchefs zu sein, mit unbegrenzter Kreditkarte und mehr Chanel-Taschen als Coco selbst.« Ich klimpere mit den Wimpern.

»Ich sollte meine Geldbörse nachts wohl besser einschließen.«

»Ach, Dad. Heutzutage ist doch alles digital, ich habe deine American Express längst zu meiner Apple Wallet hinzugefügt.«

Er tut, als würde es ihn schütteln. »Hoffentlich stürzt du mich mit deinen ganzen Shopping-Plänen nicht noch in die Schulden.«

»Du weißt, dass ich noch andere Pläne außer Shoppen habe.«

»Ich kann es kaum erwarten, davon zu hören.«

Bei der Vorstellung, dass mein Dad meine Liste in die Finger kriegen könnte, wird mir ganz anders. Meine Fuck-it-Liste ist sexy, kühn und gewagt für jemanden, der so brav ist wie ich, einige Punkte darauf würden den Nonnen im örtlichen Kloster rote Ohren bescheren. Vermutlich würden sie mir eine ganze Flasche Weihwasser an den Kopf werfen, in der Hoffnung, dass es mich ausknockt und so vor einem unmoralischen Leben und der ewigen Verdammnis rettet.

Dad schenkt mir ein schwaches Lächeln. »Du weißt, warum ich das alles mache, oder? Die Regeln und so?«

»Weil dir echte Folter zu schmutzig ist?« Ich lasse mich auf einen Sessel plumpsen.

Er verdreht dramatisch die Augen. »Nein. Weil du die F1-Welt nicht verstehst. Du hast ein reines Herz, andere aber nicht. Ich habe dich von alldem ferngehalten, damit du nicht verletzt wirst, aber manchmal mache ich mir Sorgen, dass ich dich zu sehr beschützt habe.«

Die Aufrichtigkeit seiner Worte trifft mich wie ein Schlag gegen die Brust. Es wird eine ganz schöne Enttäuschung für ihn sein, wenn er herausfindet, dass sein kleines Mädchen mittlerweile nicht mehr ganz so klein ist. Ganz ehrlich, vermutlich begreift er das erst, wenn ich selbst ein Kind bekomme – so vernichtet wohl jede Frau die Enthaltsamkeitsträume ihrer Eltern.

»Ich werde in der echten Welt schon nicht lebendig gefressen werden. Da hast du mich besser erzogen. Wenn ich eine Mädchenschule und drei Jahre Uni überlebt habe, dann schaffe ich es wohl auch da draußen. Ehrlich, wir können froh sein, dass die karierten Röcke und die ganzen Zicken keine psychischen Schäden bei mir hinterlassen haben.«

»Du wirst immer mein kleines Mädchen sein. Das Mädchen, das mir Zöpfe gemacht hat, damit wir im Partnerlook sind, und mir Kuli-Tattoos auf die Arme gemalt hat.«

»Apropos Tattoos, damals habe ich nur Designs ausgetestet, um mich auf echte Tattoos vorzubereiten. Ich hätte da auch eine Idee für ein Full-Sleeve-Tattoo. Was meinst du?«

Seine Augen werden schmal, und sein Lächeln weicht einem Stirnrunzeln.

»Ich werte das mal als ein Nein. Verdammt …«, behaupte ich gespielt frustriert.

»Wenn du mit einem Tattoo hier aufkreuzt, verfrachte ich dich nicht ins nächste Flugzeug nach Italien – oh nein. Dann geht’s für dich ab in die Antarktis auf eine einmalige Reise zu den Pinguinen und schmelzenden Eisbergen.«

»Hmm, ob Leonardo DiCaprio wohl Lust hätte, sich die Folgen des Klimawandels mit mir anzusehen? Hab gehört, er besucht auch gerne den Südpol.« Verschmitzt grinse ich meinen Dad an.

»Raus hier, bevor ich noch dein Flugticket storniere und dir deinen All-Access-Pass entziehe.«

Ich ziehe gespielt ein entsetztes Gesicht. Er steht auf und drückt mich kurz fest an sich, sodass mir fast die Luft wegbleibt.

Ich bin ihm dankbar, dass er in der F1-Sache so nachsichtig ist. Bald kann ich Mocktails gegen Champagner eintauschen, Hüpfburgen gegen Galas und mein Prinzessinnenkostüm gegen Abendkleider. Endlich kann ich das Leben leben, das mein nobler Geschmack verdient.

Männer sollten die letzte seiner Sorgen sein, denn – entschuldigt meine Ausdrucksweise – ich bin bereit, mal ordentlich auf die Kacke zu hauen.

KAPITEL DREI

Liam

Ich schließe meine Twitter-App und wünsche mir, ich könnte den Artikel, der mich nach meiner Affäre mit Claudia mal wieder als irgendein Scheiß-F1-Arschloch hinstellt, einfach löschen. Diesmal hat mein Schwanz mich echt in Schwierigkeiten gebracht.

Dieser Fehltritt bringt meine Vertragsverlängerung bei McCoy in Gefahr, meinem absoluten Traumteam, bei dem ich mir meinen Platz hart erarbeitet habe. Kein Druck oder so. Entweder bringe ich gute Leistungen, oder ich werde nach den zwei Jahren, die ich bereits dort fahre, zu einem schlechteren Rennstall wechseln müssen.

Mein Team ermöglicht es mir, mich mit zwei meiner Freunde zu messen, die zufällig zu den Besten der Formel 1 gehören. Jax, Noah und ich bilden ein Trio, und wir lieben Trouble und Trophäen. Für uns ist das Fahren ebenso elementar wie atmen, essen und vögeln.

Nichts übertrifft den Adrenalinkick, den ich hinter dem Steuer erlebe – allerdings werde ich nach diesem High ganz schön hart aufkommen, wenn ich keinen neuen Vertrag bei McCoy bekomme. Also muss ich mir den Arsch aufreißen und doppelt so hart arbeiten, um mich unter Beweis zu stellen, denn zweifach Weltmeister geworden zu sein, bedeutet gar nichts, wenn man die falsche Frau vögelt.

Versteht mich nicht falsch, mir ist klar, dass mein Berater genügend Vertragsangebote von Konkurrenzteams bekommen wird, aber für mich geht nichts über McCoy. Ich werde alles dafür geben, um den Fans, dem Team und Peter McCoy selbst eine spannende Saison zu liefern.

Ich ziehe mich fertig an und schließe meine Wohnung hinter mir ab. Meine Schuhe klacken über die gepflasterten Stufen hinunter zu meinem Auto, und ich atme die salzige Luft des Mittelmeers ein.

Der Motor meines blauen McCoy-Cabrios heult auf, als ich den Gang einlege und durch die Straßen von Monaco fahre. Hohe Gebäude und die Meeresküste rauschen an mir vorbei. Das Klingeln meines Bluetooth-Lautsprechers reißt mich aus meinen Gedanken.

»Hey, Papa, was gibt’s?«

»Hi, was machst du gerade? Hast du kurz Zeit?«, ertönt die Stimme meines Dads.

»Klar. Ich fahre gerade zu einem Meeting mit McCoy.«

»Gut, wir müssen nämlich reden. Deine Mutter und ich haben den neuesten Artikel über dich gelesen. Bitte sag mir, dass da nichts dran ist.«

Mit zusammengebissenen Zähnen überlege ich, was ich sagen soll. »Welchen Teil meinst du? Dass ich Sex mit Claudia hatte? Oder dass ich sie ohne einen Abschiedskuss aus meiner Wohnung geschmissen habe?«

Meinem Dad entfährt ein tiefer Seufzer. »Das ist nicht lustig.«

»Ich weiß, aber was soll ich machen? Ja, ich habe mit ihr geschlafen, aber wir waren nie richtig zusammen. Das war nur eine Affäre. Sie wusste, worauf sie sich einlässt – verdammt, sie hat es sich doch praktisch selbst ausgedacht.«

»Wie kommst du darauf, dass es eine gute Idee wäre, etwas mit der Nichte deines Chefs anzufangen? Das ist ein neuer Tiefpunkt, selbst für dich.«

»Sie ist mir auf der F1-Jahresabschlussgala praktisch in den Schoß gefallen. Sie ist hübsch, aber ich habe seitdem gelernt, dass Verzweiflung verblüffend nach Chanel No. 5 riecht.« Ihr Ehrgeiz hätte mir eine Warnung sein sollen, aber der Ruhm macht einen eben arrogant und selbstgefällig.

»Wann wirst du endlich erwachsen und hörst auf, dich aufzuführen, als wären Frauen eine Ware? Ich dachte, mit spätestens sechsundzwanzig wärst du damit durch, verdammt noch mal. Aber hier sind wir, fast drei Jahre später, und du vögelst immer noch in der Weltgeschichte herum.« Der Lautsprecher brummt vor lauter Gemecker.

Schuldgefühle steigen in mir auf. »Vielleicht wenn ich fünfunddreißig werde? Oder im Ruhestand?«

»Mach so weiter, vor allem mit Frauen, die mit mächtigen Männern verwandt sind, und dein Ruhestand kommt sehr viel früher als mit fünfunddreißig, das sag ich dir, verdammt noch mal.«

Autsch! Das hat gesessen. Grenzt ja fast an Körperverletzung.

Ich widerstehe dem Drang, meinen Vater anzublaffen. »Ich versteh schon. Mich mit dem Mann anzulegen, der meine Gehaltsschecks unterschreibt, war echt eine Scheißidee. Aber diese Saison will ich klügere Entscheidungen treffen.«