Wüstenliebe - Anita Schlesak - E-Book

Wüstenliebe E-Book

Anita Schlesak

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Beschreibung

Der Ruf der Wüste lockt. Seit jeher folgen ihm Menschen zu Fuß, auf Kamelen, mit Jeep und Motorrad, als Reisende oder Einheimische, viele lässt die Sahara, die Königin der Wüste, nie mehr los. Was sie dort suchen und dort finden, das gilt es aufzuspüren! Ausgerechnet in dieser lebensfeindlichen Einöde? Die sprichwörtlich wüst und leer ist: kein Wasser, kein Grün, kein Klo. Man fragt sich, was die Menschen in diesem kalten Land, in dem die Sonne sticht, suchen und was sie hier finden. Unterwegs mit den Söhnen der Wüste und ihren Kamelen erwacht eine Ahnung vom ursprünglichen Menschsein. Wie seit Urzeiten scheinen Mensch und Natur EINS. Der Sandwind pustet Alltagsstaub von der parfümierten Haut und Feuergeruch kitzelt deine Nase. Die Sinne öffnen sich. Das Leben lockt. Einfach Sein. Ein Buch für Menschen mit Nah- und Fernweh, das wüstensüchtig macht. Mit ihren journalistischen Reportagen, Kurzgeschichten und Gedichten schafft die Autorin ein Stimmungsbild der tunesischen Sahara: Tierisches und Menschliches, Archaisches und Traumhaftes. Die vielen Facetten der Wüste offenbaren sich im zweiten Teil des Buches in sehr persönlichen Interviews mit Reisenden und Wüstenprofis wie Michael Martin oder Enikö Nagy. Rund 80 ausdrucksstarke Wüstenfotos machen das Lesevergnügen auch zu einer Augenweide.

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Für Mounir und für alle, die den Ruf der Wüste hören.

Für meine Eltern Christa und Gerd, für meine Lieblinge Joséphine mit Sebastian und Jean, für Eden und Ari und die noch Ungeborenen.

Inhalt

Warum Wüstenliebe?

Teil 1: Weite, Wind und Wüstenbrot...

1. Packliste - 10 Sinne für die Wüste

2. Der warme Wüstenwind

3. Von der Einfachheit kosten

4. Blauverliebt

5. Ankommen im Unterwegssein – Reisetagebuch

6. Silvester 2015 in der Sahara

7. Sandsuppe

8. Herzspur

9. Sultan – Elegie für ein Kamel

10. Rettende Palme

11. Müllfeuer, adieu

12. Im Bett aus Sand

13. Kschischat Legtota – Allein in der Wüste

14. Wüste satt

15. Heimkehr mit rotem Pass

16. Stille Wüstennacht

17. Wenn ich nicht in die Wüste gehe...

Teil 2: Wüstenliebe im Gespräch

1. 50 Kilo Datteln als Jahreslohn

Das Leben eines Beduinen-Urgroßvaters Interview mit Bechir Debayer aus Douz in Tunesien, geboren in der Wüste

2. Expedition in die Einfachheit

Die Wüste als Inspiration Interview mit der Autorin Anne Donath im oberschwäbischen Steinhausen

3. Mit PS und Kamera auf der Jagd nach einer Million Bildern

Interview mit dem Wüstenfotografen Michael Martin in Gersthofen/Bayern

4. In die Wüste zu gehen, ist eine Art von Selbstliebe

Interview mit der Schamanin Loon Ursula Schneider in Märstetten/Schweiz

5. Daheim in der Sahara: die Wüste als Seelenheimat

Interview mit Zeremonialreiseleiterin und Pädagogin Viola Stollenmaier

6. Zu Fuß durch die Einsamkeit

Eine Vater-Sohn-Geschichte in Algerien Interview mit Manuel Aicher, Genealoge, Therapeut und Schamane in Rotis

7. Das Unmögliche ist ein Nomadenzelt

Ein zehn Jahre langer Sommer im Sudan Interview mit der Sudankennerin Enikö Nagy in der Oberpfalz

Meine Wüstenlieblingsbücher – Literaturliste

Danke, Wüste

Ich danke...

Warum Wüstenliebe?

Der Sandwind pustet Alltagsstaub von der parfümierten Haut und Feuergeruch kitzelt meine Nase. Die Sinne öffnen sich. Das Leben lockt. Einfach Sein. Als stünde die Zeit still… Ein Fenster öffnet sich, nein viele sind es, und ein Tor geht auf zu einer anderen Welt, scheinbar ganz fremd und doch so nahvertraut. Denn was ich in der Wüste sehe, höre, rieche, schmecke und mit Haut und Haar erfahre, betrifft mich ganz direkt. Unterwegs mit der Karawane erwacht in mir eine Ahnung, wie Menschsein einmal war und wie es wieder sein könnte. Wie seit Urzeiten scheinen Mensch und Natur noch eins. Denn nur wer sich der Wüste hingibt, kann in ihr überleben.

Kleine Gruppe, großes Erlebnis! Ein Abenteuer, dass du dein Lebtag nicht vergessen wirst… Es stimmt für mich und doch käme die Wüste auch ohne Slogans und Superlative aus. Es gibt freilich spektakuläre Sonnenauf- und untergänge in den rot schimmernden hohen Dünen, zauberhafte Schattenspiele im Abendlicht mit Reiterinnen auf Dromedaren, biblisch anmutende Bilder wie bei Maria und Josef auf dem Weg nach Nazareth und den Heiligen Drei Königen. Aber wirklich magisch ist die Schönheit der Wüste, aus der Gott alles Überflüssige entfernt hat. So rein, so klar, so wild und weich und weit. Eine Stille, in der nur der Sandwind singt und die Kamele ewig kauen und wiederkäuen. Die kargen Büsche schenken uns ihr verwittertes Holz, das Lagerfeuer knistert wohlig und der Duft von frisch gebackenem „Chobsa“ weckt Lebenshunger.

Ohne Mobiltelefon, Mailflut und Medien, frei von Werbespots, Kaufrausch und Alltagssorgen, einfach die Seele baumeln lassen und sich dem Rhythmus der Karawane hingeben. Morgensonne begrüßen, Siesta im Schatten halten, in die Abenddämmerung hineinreiten und am kuschelig warmen Feuer singen, trommeln und tanzen. Irgendwann in der zeitlosen Nacht im Schlafsack Sternschnuppen zählen.

Kaum ist die Tour vorbei übermannt mich bei der Rückkehr in unsere verrückte Welt, die sich zivilisiert wähnt, ohne Entrinnen der K.O.-Schlaf (wie mit K.O.-Tropfen, so ähnlich stelle ich mir deren Wirkung vor). Erbarmungslos. Mit wüstenoffenen Sinnen fällt es mir eine Weile schwer, mich in der lauten, schrillen, grellen Welt daheim einzufinden.

Bienen-, Wald- und Artensterben, Corona, Populismus, Ukrainekrieg und Tausende von Afrikaner*innen, die Jahr für Jahr auf ihrem Weg zu uns im Mittelmeer ertrinken – die Weckrufe sind immer lauter. Doch unsere Ohren scheinen ziemlich taub, die Sinne abgestumpft, das Herz verstummt. Verführt vom augenscheinlichen Schlaraffenland mit seinem Überangebot an Dingen. Haben wir uns in der schön bunten Medienwelt nicht beinahe schon zu Tode amüsiert? Wovor Neil Postmann schon 1985 eindringlich warnte. Sind wir denn noch zu retten?

Heiße Länder rund um die Sahara, die den Klimawandel nicht verursacht haben, leiden schon jetzt am meisten unter Verwüstung, Trockenheit und Armut. Ausgerechnet hier soll also die Quelle der Inspiration sprudeln? Ausgerechnet in dieser lebensfeindlichen Einöde? Die sprichwörtlich wüst und leer ist: kein Wasser, kein Grün, kein Klo. Was soll in diesem kalten Land, in dem die Sonne sticht, schon zu finden sein?

Keine Frage, es ist paradox.

„Ein Paradies aus Nichts“

Die Wüste selbst ist voller Widersprüche, in ihrer Kargheit reich und sinnlich in ihrer vermeintlichen Leere. Sie ängstigt und verlockt, bedroht und verführt und verblüfft in ihrer unendlichen Weite mit Geborgenheit. Ein „Paradies aus Nichts“ nennt sie Ibrahim al-Koni, der Tuareg-Dichter aus der Schweiz.

Nirgends zeigt sich die Erde nackter als hier, wo die Vegetation spärlich und Tierspuren selten sind. Nirgends ist sie ursprünglicher. Und nirgends bist du so sehr du selbst. Wenn deine von Schuhen befreiten Füße im puderfeinen Sand aufatmen, wenn dein Kinderblick staunend von Düne zu Düne hüpft und du im Spiegel der Natur deine eigene Wildnis wieder entdeckst.

Wie nebenbei berührt das Gehen in der Wüste die Fragen unseres Daseins, konstatiert Otl Aicher: „Man stößt zu den Quellen der eigenen Existenz vor.“ Nicht ohne Grund hat die Wüste schon vor Jahrtausenden jene angezogen, die in ihrer Einsamkeit Gott suchen. Heutzutage sind es häufig Sinnsucher*innen aus psycho-spirituellen und schamanischen Kreisen.

„Jeder hat seine Wüste“, sagt Michael Martin, der bekannteste Wüstenfotograf Deutschlands, wenn nicht gar der einzige weltweit, der sich 40 Jahre lang ausschließlich der Wüste widmete. Jede und jeder hat einen eigenen Zugang zur Wüste, ein eigenes Tor. Für die siebenbürgisch-bayerische Sozialarbeiterin und Feldforscherin Enikö Nagy sind es die Menschen im Sudan, die sie in einem „zehn Jahre langen Sommer“ besuchte und porträtierte.

Die archaische Art des Unterwegsseins mit den Beduinen gewährt Einblicke in eine radikal andere, (halb)nomadische Lebensweise, wie sie global zu verschwinden droht. Instinktsicher im Umgang mit den nie ganz domestizierten Kamelen, ohne Kompass, PS und GPS zeigen die „Söhne der Wüste“, wie man sich – um zu überleben – mit der Natur verbinden und verbünden kann. Der Blick in eine uns ferne, fast schon vergangene Welt weist womöglich in die Zukunft. Das Nutztier Dromedar, in vielen Gegenden der Welt von Jeeps verdrängt, gilt manchen Klimaforscher*innen als Tier der Zukunft, weil es extreme Hitze und Wassermangel aushält. Wenn uralte Einsichten zu neuen Aussichten führen…

Der Kontrast zu unserem eng getakteten Großstadtleben in künstlicher Umgebung, die weder Dunkelheit noch Stille zulässt, könnte kaum größer sein. Ein heilsamer Schock, Inspiration, Vision von einem ganz anderen Leben, scheinbar ewig fern und doch ganz nah.

Utopie und Realität. Ein Ort im Niemandsland, der zur Begegnung außerhalb von Raum und Zeit werden kann…

Teil 1

Weite, Wind und Wüstenbrot...

Packliste – 10 Sinne für die Wüste

1. Augen für die Schönheit der Sahara

2. Ohren für den Weckruf des Lebens

3. Einen Mund zum Singen, Lachen und Zähneputzen

4. Einen guten Riecher für frischgebackenes Wüstenbrot

5. Appetit auf Beduinenkost am Lagerfeuer: Brik, Tschorba und Couscous

6. Hunger nach echten Begegnungen – auch mit dir selbst

7. Hände und Füße für eine Sprache ohne Worte

8. Taktgefühl für den Rhythmus der Karawane

9. Haut und Haar, um dich der Wüste hinzugeben

10. Einen Sinn für Übersinnliches

Der warme Wüstenwind

Streicht zärtlich über dein Gesicht, umflattert vom Zipfel des Schechs

Du spürst die Wärme der Mittagssonne auf der Haut

Sie hüllt dich ein wie ein Mantel aus Licht

Durch die geschlossenen Lider

Leuchtet es rötlich...

Es gibt nichts zu tun, nichts zu bedenken, nichts zu entscheiden

Es ist wie es ist

Auf einmal hörst du die vertrauten Stimmen der Männer

Sie rufen zum Aufbruch: Nemschu!

Kamelführer schnalzen mit der Zunge

Du sitzt sicher im Sattel

Vor dir ein Kamel, hinter dir ein Kamel

Ein Tier am anderen mit Seilen verbunden

Gemächlich setzt sich die Karawane in Bewegung

Zieht in weiten Bögen über die Wellenkämme des Meeres aus Sand

Wir haben alle Zeit der Welt – nur Himmelblau und Sand

Soweit das Auge reicht

Es könnte ewig so weitergehen...

Bis ans Ende der Zeit

Von der Einfachheit kosten

Ahmet, unser Kamelführer und Bäcker, schüttet Wasser aus dem leuchtend blauen Kanister ins Mehl und streut das grobe Salz gekonnt dosiert aus der Allzweckflasche in die Schüssel. Seine Hirtenhände kneten die zähe Teigkugel, bis sie eine schöne Scheibe daraus ziehen und formen können. Wenn das Morgenfeuer genug Holz vertilgt hat und die Kohlen glühen, schiebt er die Hälfte davon sorgsam beiseite, wirft den runden Fladen mit Schwung auf die andere Hälfte und bedeckt seinen Wüstenbackofen mit Sand. Denn heißer Sand klebt nicht.

Wenn nach einem gefühlten Viertelstündchen erste kleine Luftspiralen im Sand aufsteigen, ist das „Chobsa“ fertig. Mit dem Schürholz holt Ahmet das krustige Brot aus der Glut und spätestens, wenn er es von Asche und Kohlenreste frei klopft, nehme ich die rauchige Witterung auf und schlüpfe morgenfrisch aus meinem vom Tau benetzten Schlafsack. Den warmen Geschmack des Wüstenbrotes schon auf der Zunge.

Blauverliebt

Wie eine Welle taucht er zwischen Dünenkämmen auf und ab, sein königsblauer Schesch. Ich kann die Augen, obwohl ins Gespräch mit Wüstenfreundinnen vertieft, nicht von ihm wenden. Da bricht die Welle und strandet direkt vor unseren braungebrannten Füßen. Und er steht da, der jüngste der Beduinen mit einer goldenen Kanne Tee und seinem frischen Lächeln.

Wie könnte ich ihm da noch widerstehen?

Ankommen im Unterwegssein – Reisetagebuch

Erste Wüstennacht

Scheinwerfer aus, tiefschwarze Nacht umhüllt uns, wir halten Ausschau. Die Augen gewöhnen sich schnell ans Dunkel und sehen doch nicht mehr als viele helle Sterne. Also steigen wir wieder in die Geländewagen, und unsere Chauffeure geben Gas. Die kleinen Dünen muss man beherzt erobern, sonst bleibt man stecken in dem lockeren Sand. Schon auf der Piste war es holprig und nun geht’s im Slalom zwischen Büschen querfeldein. Ob sie den Lagerplatz wohl wirklich kennen und den Weg finden in der Neumondnacht? Solche Fragen schütteln mich durch wie die Fahrt mit dem Toyota, dem bewährten Wüstenjeep. Endlich blinkt rot ein Taschenlampenlicht. Näher kommend sehe ich das Lagerfeuer hohe Flammen schlagen.

Wir sind am Ziel in dieser allerersten Wüstennacht.

Irgendwo im Nirgendwo…

Erster Wüstenmorgen

Aus der Ferne ein Gemurmel, ich schäle mich sacht aus dem Schlafsack, ohne allzu viel zu rascheln – die anderen schlummern oder dösen noch –, und schaue aus dem Berberzelt. Ein Mann kniet nieder, legt die Stirne auf den Sand, erhebt sich, die Hände vor dem Herzen gefaltet. Heiliges Murmeln… Es ist Majid, der Koch, beim Beten. Weithin erkennbar an seiner Pepita-Kochhose, mit der er an manchen Tagen mit uns durch die Wüste wandert.

Das Morgenfeuer lodert, frisst eine Menge Holz für Kohlen, um das Brot zu backen. Es ist noch Zeit, zu staunen und zu packen. Und irgendwann, ich weiß nicht, wann genau, die Uhr hab’ ich absichtlich aus meinem Blick verbannt, sitzen wir zu sechst am Frühstücksplatz, die Sonne wärmt schon milde unsere ausgekühlten Glieder. Kawa me chalib? Kawa me sukr? Kaffee mit Milch? Mit Zucker? Mit seinem milden Großvatergesicht schenkt Majid uns Wärme ein….

Zweiter Tag

Kikeriki? Ich traue meinen Ohren nicht: Kikeriki mitten in der Wüste! Das letzte Dorf liegt Stunden hinter uns. Ich sehe nur Sand und ein paar karge Büsche. Doch ganz entfernt am Horizont bewegt sich etwas - ein Mensch, ein Tier? Mounir wundert es nicht. Er kennt das Lager der Familie aus der Stadt, die mit Schafen, Ziegen, Hühnern für ein paar Wochen in der Wüste lebt. Wie einige andere in diesem saftigen Frühling auch.

Der Duft des aufgeblühten weißen Ginsters berauscht uns, wenn wir in seinem Schatten Pause machen: die Colapause. Mein Kreislauf liebt das Koffein am späten, heißen Vormittag beim Marabut der Henda. Völlig versandet ist das alte, braune Mausoleum mit Kuppel für die Volksheilige, zu der die Menschen jedes Jahr wallfahren. Die Lehmhäuser des längst verfallenen Dorfes bröckeln haufenweise. Unweit davon strahlt ein frisch getünchter neuer Marabut für Henda neben dem Friedhof hinter Stacheldraht. Der ist so brüchig, dass er Schakale und Feneks wohl kaum fern halten kann von den heiligen Steinen. Die Wallfahrt macht übrigens niemand mehr zu Fuß oder mit Eselskarren, nur noch motorisiert mit Jeeps oder wüstentauglichen Enduros.

Ein paar Kilometer weiter westwärts schlagen wir das Lager in einer Senke auf, umringt von hohen Dünen. Die höchste zieht mich magisch an, und weil es noch Zeit ist, bis es dämmert, steig ich in Serpentinen hoch. Ich setz’ mich rittlings auf den Dünengrat, die Beine baumeln. Sandwellen, vom Wind gestreichelt und gepeitscht, verebben am unendlich weiten Horizont, wo fahl der Halbmond aufsteigt. Ich kann mich nicht sattsehen an diesem Meeresboden ohne Wasser. Was gibt es da zu schauen und zu glotzen? Ich weiß nur eines: Ich will hier ganz lange sitzenbleiben. Endlich mal Zeit, um Zeit zu haben, das war mein Wunsch: voilà! Ob die sechs Wüstentage schnell verrinnen werden?

Mein Blick fällt vor mir in den Sand auf lange, dünne Ruten. Zehn Meter lange Wurzeln, dürstend nach jedem Tautropfen oder noch so dünnem Nieselregen. Übermütig wie vielleicht ein fünfjähriges Kind sehe ich mich eine Wurzel packen und als zarte Peitsche schwingen. Ich freue mich an ihrem Sirren. Ins Spiel versunken wie seit Jahren nicht… Ein Glücksgefühl, in Worte schwer zu fassen. Auf Mädchenbeinen hüpft und tanzt es mich zurück ins Lager – es dunkelt schon.

Majid kocht Briks vor vielen Hungeraugen mit Ei, Knoblauch, Petersilie und Kartoffeln. In einer Pfanne schwimmen die gefüllten Taschen aus dünnem Teig in reichlich Öl und werden knusprig. Als Vorspeise im Tausendsterne-Restaurant am Lagerfeuer.

Dritter Tag

Von weitem erspähe ich den Dinosaurier, tonnenschwer ausgestreckt wie seit Äonen, wie vom Aussterben vergessen. Rückenschuppen stechen aus dem Sand hervor, entpuppen sich als Spitzen eines Zauns, von Menschenhand aus Palmwedeln gemacht. Im Lauf von Jahren bläst der Wind den Sand herbei zum Saurierrücken. Ein hohes Dünenrund zum Schutz des Marabuts von Bijouahif.

Ein Heiligtum wie aus dem Nichts geboren…

Das rissige Gemäuer trägt noch die obligatorische Kuppel, hellbraun gescheckt mit ihrem abblätternden Putz. Die dunkelgrün gestrichene Tür aus Palmholz hat nur einen Haken. „Défense d’entrer“ steht handgeschrieben an der Mauer und warnt vor unbefugtem Eintritt. „Bismillah“ muss ich nur murmeln, „in Gottes Namen“, rät mir Mounir, dann stünde mir das Heiligtum schon offen. Er muss es wissen, denn Bijouahif war einer seiner frommen Ur-Ur-Ahnen. Vor 100 oder 150 Jahren, niemand weiß es so genau, studierte er den Islam in Marokko und baute heimgekehrt an diesem Ort eine Koranschule, wo er die heiligen Verse, die Suren, lehrte. Damals noch am Rand der Wüste, bevor sie weiter wuchs nach Norden. Schummrig ist es drinnen, im kahlen, kalten Raum mit einem Sarkophag, bedeckt von einem Tuch, grün in der Farbe des Koran Die Bendir, die Trommel, liegt obenauf, als wäre sie eben erst verklungen. In einer vom Weihrauch schwarzen Mauernische, wo Kerzen wachsweich tropften, liegen drei blaue Vogeleier in dem heiligen Nest.

Draußen blendet die Mittagssonne. Am Ziehbrunnen, roh aus Zement gegossen, stehen barfüßig zwei der Männer und feuern sich gegenseitig an. „Haha-hym, haha-mej“ – das Wasser aus der Tiefe hochzuziehen, kostet Kraft. Anders als früher sind die Eimer nicht aus Ziegenhaut, sondern - unverwüstlich - aus Schläuchen von LKW-Reifen. Wie immer füllen sie zuerst den Trog für ihre Dromedare. Unfassbar, wie viel ein solches Tier nach einer Durststrecke in wenigen Minuten saufen kann: 135 Liter! Haarewaschen dürfen wir später…