5,49 €
Nie haben Goethe und Schiller enger kooperiert – und nie war das Ergebnis kontroverser als im Fall der Xenien: einer Sammlung von fast 1000 Epigrammen, die zunächst im Geheimen entstand. Mit der Publikation lösten die beiden Dichter einen der größten Skandale der deutschen Literaturgeschichte aus. Kein Wunder: Die Xenien sind ein heftiger Angriff auf die kulturelle Szene der Zeit. Zugleich dokumentieren sie einen so fragilen wie produktiven Moment in der Geschichte des Weimarer Klassizismus.
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Seitenzahl: 64
Johann Wolfgang Goethe / Friedrich Schiller
Eine Auswahl
Reclam
2022 Philipp Reclam jun. Verlag GmbH, Siemensstraße 32, 71254 Ditzingen
Covergestaltung: Philipp Reclam jun. Verlag GmbH
Coverabbildungen: akg-images (Schrift); © shutterstock.com / Channarong Pherngjanda (Feder); Falkensteinfoto / Alamy Stock Foto (Schiller); Pictorial Press Ltd / Alamy Stock Foto (Goethe)
Gesamtherstellung: Philipp Reclam jun. Verlag GmbH, Siemensstraße 32, 71254 Ditzingen
Made in Germany 2022
RECLAM ist eine eingetragene Marke der Philipp Reclam jun. GmbH & Co. KG, Stuttgart
ISBN978-3-15-961989-7
ISBN der Buchausgabe 978-3-15-014250-9
www.reclam.de
Aus dem Musen-Almanach für das Jahr 1797
Aus der Sammelhandschrift
Anhang
Abb. 1. Musen-Almanach für das Jahr 1797herausgegeben von Schiller, Tübingen: Cotta, 1796. Frontispiz und Titelseite
Triste supercilium, durique severa Catonis
Frons et Aratoris Filia Fabricii
Et personati fastus et regula morum,
Quidquid et in tenebris non sumus, ite foras.
Halt Passagiere! Wer seyd ihr? Weß Standes und Characteres?
Niemand passieret hier durch, bis er den Paß mir gezeigt.
Distichen sind wir. Wir geben uns nicht für mehr noch für minder,
Sperre du immer, wir ziehn über den Schlagbaum hinweg.
Oeffnet die Coffers. Ihr habt doch nichts contrebandes geladen?
Gegen die Kirche? den Staat? Nichts von französischem Gut?
Coffers führen wir nicht. Wir führen nicht mehr als zwey Taschen
Tragen, und die, wie bekannt, sind bey Poëten nicht schwer.
Messieurs! Es ist der Gebrauch, wer diese Straße bereiset,
Legt für die Dummen was, für die Gebrechlichen, ein.
Das verwünschte Gebettel! Es haben die vorderen Kutschen
Reichlich für uns mit bezahlt. Geben nichts. Kutscher fahr zu.
Hier ist Messe, geschwind, packt aus und schmücket die Bude,
Kommt Autoren und zieht, jeder versuche sein Glück.
Wenige Treffer sind gewöhnlich in solchen Boutiquen,
Doch die Hoffnung treibt frisch und die Neugier herbey.
Dichter und Liebende schenken sich selbst, doch Speise voll Ekel!
Dringt die gemeine Natur sich zum Genusse dir auf!
Hättest du Phantasie, und Witz und Empfindung und Urtheil,
Warlich, dir fehlte nicht viel, Wieland und Lessing zu seyn!
Ja der Mensch ist ein ärmlicher Wicht, ich weiß – doch das wollt ich
Eben vergessen, und kam, ach wie gereut mich’s, zu dir.
Wie verfährt die Natur, um hohes und niedres im Menschen
Zu verbinden? Sie stellt Eitelkeit zwischen hinein.
Töchtern edler Geburt ist dieses Werk zu empfehlen,
Um zu Töchtern der Lust schnell sich befördert zu sehn.
Wollt ihr zugleich den Kindern der Welt und den Frommen gefallen?
Mahlet die Wollust – nur mahlet den Teufel dazu.
Welche Verehrung verdient der Weltenschöpfer, der gnädig,
Als er den Korkbaum schuf, gleich auch die Stöpsel erfand!
Was ein christliches Auge nur sieht, erblick ich im Marmor:
Zevs und sein ganzes Geschlecht grämt sich und fürchtet den Tod.
Alte Vasen und Urnen! Das Zeug wohl könnt ich entbehren;
Doch ein Majolika-Topf machte mich glücklich und reich.
Irrthum wolltest du bringen und Wahrheit, o Bote, von Wandsbeck;
Wahrheit, sie war dir zu schwer; Irrthum, den brachtest du fort!
Auf das empfindsame Volk hab ich nie was gehalten, es werden,
Kommt die Gelegenheit, nur schlechte Gesellen daraus.
Schade daß die Natur nur Einen Menschen aus dir schuf,
Denn zum würdigen Mann war und zum Schelmen der Stoff.
Alles mischt die Natur so einzig und innig; doch hat sie
Edel- und Schalksinn hier, ach! nur zu innig vermischt.
Deine Muse besingt, wie Gott sich der Menschen erbarmte,
Aber ist das Poesie, daß er erbärmlich sie fand?
König Belsatzer schmaust in dem ersten Akte, der König
Schmaust in dem zweyten, es schmaust fort bis zu Ende der Fürst.
Ohne das mindeste nur dem Pedanten zu nehmen, erschufst du,
Künstler wie keiner mehr ist, einen vollendeten Geck.
Still doch von deinen Pastoren und ihrem Zofenfranzösisch,
Auch von den Zofen nichts mehr mit dem Pastorenlatein.
Jambe nennt man das Thier mit einem kurzen und langen
Fuß, und so nennst du mit Recht Jamben das hinkende Werk.
Ehmals hatte man Einen Geschmack. Nun giebt es Geschmäcke,
Aber sagt mir, wo sitzt dieser Geschmäcke Geschmack?
Kamtschadalisch lehrt man euch bald die Zimmer verzieren,
Und doch ist manches bey euch schon kamtschadalisch genug.
Stille kneteten wir Salpeter, Kohlen und Schwefel,
Bohrten Röhren, gefall’ nun auch das Feuerwerk euch.
Einige steigen als leuchtende Kugeln und andere zünden,
Manche auch werfen wir nur spielend das Aug zu erfreun.
Eine große Epoche hat das Jahrhundert gebohren,
Aber der große Moment findet ein kleines Geschlecht.
Ob die Menschen im Ganzen sich bessern? Ich glaub es, denn einzeln
Suche man, wie man auch will, sieht man doch gar nichts davon.
Hexen lassen sich wohl durch schlechte Sprüche citiren,
Aber die Grazie kommt nur auf der Grazie Ruf.
Ein asphaltischer Sumpf bezeichnet hier noch die Stätte,
Wo Jerusalem stand, das uns Torquato besang.
Auch zum Lieben bedarfst du der Kunst? Unglücklicher Manso,
Daß die Natur auch nichts, gar nichts für dich noch gethan!
In langweiligen Versen und abgeschmackten Gedanken
Lehrt ein Präceptor uns hier, wie man gefällt und verführt.
Was das entsetzlichste sey von allen entsetzlichen Dingen?
Ein Pedant, den es jückt, locker und lose zu seyn.
Armer Naso, hättest du doch wie Manso geschrieben,
Nimmer, du guter Gesell, hättest du Tomi gesehn.
Alles kann mislingen, wir könnens ertragen, vergeben;
Nur nicht, was sich bestrebt, reizend und lieblich zu seyn.
Wieland, wie reich ist dein Geist! Das kann man nun erst empfinden,
Sieht man, wie fad und wie leer dein Caput mortuum ist.
Hieltest du deinen Reichthum nur halb so zu Rathe, wie jener
Seine Armuth, du wärst unsrer Bewunderung werth.
Meynst du, er werde größer, wenn du die Schultern ihm leyhest?
Er bleibt klein wie zuvor, du hast den Höcker davon.
Fort ins Land der Philister, ihr Füchse mit brennenden Schwänzen,
Und verderbet der Herrn reife papierene Saat.
Unter allen, die von uns berichten, bist du mir der liebste,
Wer sich lieset in dir, liest dich zum Glücke nicht mehr.
Jahre lang schöpfen wir schon in das Sieb und brüten den Stein aus,
Aber der Stein wird nicht warm, aber das Sieb wird nicht voll.
Invaliden Poeten ist dieser Spittel gestiftet,
Gicht und Wassersucht wird hier von der Schwindsucht gepflegt.
Dichter, ihr armen, was müßt ihr nicht alles hören, damit nur
Sein Exercitium schnell lese gedruckt der Student!
Treibet das Handwerk nur fort, wir könnens euch freilich nicht legen,