Yoricks empfindsame Reise - Laurence Sterne - E-Book

Yoricks empfindsame Reise E-Book

Laurence Sterne

0,0
3,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Mit dem Werkbeitrag aus Kindlers Literatur Lexikon. Mit dem Autorenporträt aus dem Metzler Lexikon Weltliteratur. Mit Daten zu Leben und Werk, exklusiv verfasst von der Redaktion der Zeitschrift für Literatur TEXT + KRITIK. Reiseberichte sind wie Urlaubsfotos: ein Beweis dafür, was man gesehen hat. Nicht so bei Laurence Sterne. Notre-Dame? Was sagt schon der Stein aus! Sterne sieht sich die Menschen an, wer sie sind und was sie ausmacht. Seine Reise durch die mediterranen Länder ist sinnlich und intensiv, weil er Begegnungen sucht: die zufällige Berührung mit der schönen Belgierin, das Gespräch mit dem zwergwüchsigen Außenseiter. Eigenwillig erzählt Sterne im Kreis, vor und zurück und unterhält durch seine zwanglose Ironie und unbekümmerte Subjektivität. Er beschreibt nicht, er empfindet die Welt.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 435

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Laurence Sterne

Yoricks empfindsame Reise durch Frankreich und Italien, nebst einer Fortsetzung von Freundeshand

Aus dem Englischen von Johann Joachim Christoph Bode

Fischer e-books

Mit dem Werkbeitrag aus Kindlers Literatur Lexikon.

Mit dem Autorenporträt aus dem Metzler Lexikon Weltliteratur.

Mit Daten zu Leben und Werk, exklusiv verfasst von der Redaktion der Zeitschrift für Literatur TEXT + KRITIK.

Der Übersetzer an den Leser.

Gern, sagte ein bekannter deutscher Gelehrter, als ich ihm die Nachricht von Sternes Tode brachte, gern hätte ich ihm fünf Jahre von meinem eignen Leben abgetreten, wenn sich das thun liesse, und hätt’ ich auch gewiß gewußt, daß mein ganzer Überrest nur zehn oder acht betrüge. … Mit dem Beding aber, daß er hätte schreiben müssen; gleich viel was, Leben und Meynungen, oder Predigten, oder Reisen. … Wenn ich den Namen dieses Mannes hersetzte, würde es zwar ein sehr günstiges Vorurtheil für mein Original erwecken, und ein Übersetzer ist oft glücklich genug, wenn man nur die Wahl seines Buches nicht tadelt; allein, dem einem Theile meiner Leser möcht’ es scheinen, als ob ich Ihn für mich bestechen wollte, und dem andern, daß ich die Freundschaft dieses Gelehrten blos aus Eitelkeit anführte; und so wenig ich auch dem Publiko bekannt bin, oder durch diese Übersetzung es zu werden wünsche: so ungern möcht ich mir doch diesen doppelten Verdacht zuziehen. Ich scheue den so leicht verdienten Vorwurf der Eitelkeit so sehr, daß ich ihn gern durch das aufrichtige Bekenntniß von mir ablehnen möchte, daß eben vorgedachter Gelehrter, aus Freundschaft für mich, und aus Achtung für den Leser von Geschmack, sich die Mühe gegeben hat, meine Übersetzung durchzusehen; daß, wenn beträchtliche Fehler stehen blieben sind, solche allein auf meine Rechnung kommen. Nur über das Beywort Empfindsam für das englische Sentimental dieses: ich hatt’ es anfangs durch sittlich gegeben, und dabey noch andre Ausdrücke, auch Umschreibungen in Vorschlag gebracht; mein Freund aber prägte das Wort, Empfindsam. Er hatte dazu bey mir ein unbedingtes Recht, denn sein kritischer Geschmack ist ein gewissenhafter Wardein: doch führte er Gründe dafür an; vielleicht nur einigen Kunstrichtern zu gefallen, deren Sinn ein vorarbeitender Übersetzer selten getroffen hat. Hier sind seine eigne Worte: »Es kömmt darauf an, Wort durch Wort zu übersetzen; nicht eines durch mehrere zu umschreiben. Bemerken Sie sodann, daß sentimental ein neues Wort ist. War es Sternen erlaubt, sich ein neues Wort zu bilden: so muß es eben darum auch seinem Übersetzer erlaubt seyn. Die Engländer hatten gar kein Adjectivum von Sentiment: wir haben von Empfindung mehr als eines. Empfindlich, empfindbar, empfindungsreich: aber diese sagen alle etwas anders. Wagen Sie, empfindsam! Wenn eine mühsame Reise eine Reise heißt, bey der viel Mühe ist; so kann ja auch eine empfindsame Reise eine Reise heissen, bey der viel Empfindung war. Ich will nicht sagen, daß Sie die Analogie ganz auf ihrer Seite haben dürften. Aber was die Leser vors erste bey dem Worte noch nicht denken, mögen sie sich nach und nach dabey zu denken gewöhnen.«

Als der erste Band fast abgedruckt war, sagte man mir, daß Herr Weiß, den ich seines Herzens und seiner Talente wegen gleich hochschätze, eben diese Übersetzung unternommen hätte, und ich würde gewiß die meinige in meinem Pulte verschlossen haben, wenn nicht der Verleger durch meine Selbsterkenntniß hätte Schaden leiden müssen. …

Doch, wenn man kein Montaigne oder Yorick ist, kann man niemals zu früh aufhören, von sich selbst zu sprechen. Um also für das Vorhergehende Nachsicht zu erhalten, will ich ein Paar Blätter mit einigen unvollkommenen Anekdoten von meines Autors Leben anfüllen, die vermuthlich, bis wir seine umständlichere Lebensbeschreibung aus England erhalten, nicht unangenehm seyn werden.

Sterne, oder wie er sich lieber nannte, Yorick, war der Sohn eines Officiers; sein Geburtsort waren die Baracken in Dublin.

Er schien also zum Soldatenstande geboren zu seyn; nichts desto weniger war er ein würdiger Sohn der Kirche, wenn wir dem Urtheile eines gewissen Bischofs über Yoricks Predigten trauen dürfen. Einer von seinen Ältervätern war Erzbischoff, und sein Oheim hatte eine Pfründe an einer Cathedralkirche in England.

Aus der Schule begab sich Yorick nach Cambridge, und blieb daselbst die gewöhnlichen Jahre; las ein wenig, lachte desto mehr, und machte sich zuweilen einen Zeitvertreib, seine Lehrmeister zu verwirren. Er verließ das Collegium mit dem Namen eines besonderen Menschen, in dem kein Arg sey, und dem es gar nicht an Verstande fehle, wenn er ihn brauchen wolle. Nachdem er die Universität verlassen, nahm er ganz ruhig im Schoosse der Kirche seinen Sitz, der zwar mit keinem befranseten Kissen bepolstert, aber auch nicht ganz nackt war. Hier wartete er gelassen, bis Zeit und Glück (welche dahin führen, wo ehemals die Urtheilungskraft den Vorzug hatte) aus ihm machten, was sie gut fänden.

Hier aber lernte er sich, bey einer Streitigkeit, darin er verwickelt wurde, zuerst fühlen; und vermuthlich haben wir dieser Streitigkeit den Tristram zu verdanken.

Unter den Obern seines Ordens entstand ein Zwist, woran Yoricks bester Freund, einer der rechtschaffensten Männer, Antheil hatte. Ein gewisser Geistlicher, der seine sehr gute Stelle, auch noch nach seinem Tode, seiner Frau und seinem Sohne auf eine hinterlistige Weise versichern wollte, fand an Yoricks Freunde einen ernstlichen Widerstand. Indessen konnten keine Vernunftgründe dem Ansehen des andern die Waage halten. Yorick griff also zur Satire, und schrieb die Geschichte eines guten warmen Wachtrockes, dessen gegenwärtiger Besitzer nicht damit zufrieden sey, daß er sich selbst damit bedeckte, sondern auch noch gern einen Unterrock für seine Frau und ein Paar Beinkleider für seinen Sohn herausschneiden wollte.

Dieß wirkte mehr, als alle Gründe von der Welt; der Mann ließ ihm sagen: er wolle von seinem Begehren ablassen, wenn Yorick dieses Blatt nicht drucken lassen wollte. Er unterdrückte seine Satire, und sein Freund ward glücklich.

Um eben diese Zeit ungefähr ereignete sich ein andrer Vorfall, der sehr viel beytrug, Yoricks Witz bekannt zu machen. In einem der vornehmsten Wirthshäuser nemlich, war ein Caffeezimmer, wo diejenigen, welche keine Liebhaber vom Weine waren, und nicht viel verzehren wollten die Zeitungen lesen konnten. Hier saß er, als ein junger Herr, der sich zu viel Freyheiten heraus nahm, und sich ein wichtiger Ansehn geben wollte, als sich für sein Alter schickte, die Gesellschaft beleidigte; Yorick wußte das Gespräch unvermerkt auf seinen Hund zu lenken. Sir, sagte er zu dem Schwätzer, Sie haben in ihrem Leben keinen hübschern Hund gesehen, er ist so treu und wacker, und doch dabey so gutartig, als Sie sich nur vorstellen können; dabey ist er so freundlich und schmeichelnd, daß ihn jedermann leiden mag; aber er hat verdammte Tücke an sich, die alles wieder verderben. Er darf nur einen Geistlichen gewahr werden, so fährt er augenblicklich auf ihn los. Das ist sonderbar, sagte der junge Herr, ist es schon lange her, daß er das thut? So lang er ein Geck ist, Sir, sagte Yorick. …

Durch seinen Tristram Shandy breitete sich sein Ruhm in London noch weiter aus. Es ward hierbey keiner von den gewöhnlichen Kunstgriffen angewendet. Keine anpreisende Clique; kein eigennütziger Verleger, der selbst posaunte oder durch seine dienstbaren Journalisten posaunen ließ; kaum ward Tristram, als er im Laden erschienen, kaltsinnig angekündigt, und dennoch macht’ er sein Glück.

Das Buch ist auch in Deutschland von vielen gelesen worden. Wie viele es verstanden haben? das ist eine andre Frage. Man wird Leute finden, die es als das unsinnigste Gewäsch verachten, und nicht begreifen können, wie andre, denen sie doch viel Verstand, Witz und Gelehrsamkeit zuschreiben müssen, ganz anders davon denken, und wenn sie einen Band in die Hände bekommen, ihn selten wieder weglegen, bis sie ihn, sollte es auch zum fünften oder sechstenmal seyn, ganz durch gelesen haben. … Wer mit den Thorheiten der Welt, vorzüglich mit den Thorheiten der Pedanten, und ganz besonders mit den Thorheiten der Nation, für welche eigentlich Sterne schrieb, bekannt ist, wer ungefähr nicht viel weniger gelesen hat, als er, der wird grade an vielen von den Stellen Züge eines Originalgenies finden, wo ein weniger wissender Leser, oder Leserin (denn freylich haben auch Damen das Leben und die Meynungen des Hrn. Tristram Shandy gelesen und … beurtheilt) ausrufen mag, »Das hat er im hitzigen Fieber geschrieben.« In England selbst ward es sehr verschiedentlich beurtheilt, aber fast allgemein gelesen, welches die kurz auf einander gefolgten Auflagen bezeugen. Durch die, im zweyten Bande des Tristrams angebrachte Predigt, hatte er seine Absicht so ziemlich erreicht, seinen übrigen, die er bald darauf unter Yoricks Namen heraus gab, Leser zu schaffen. Diese Predigten, welche in der Schweiz übersetzt worden, verdienen in Jedermanns Händen zu seyn. Es fehlt ihnen vieles, was sie als Canzelreden haben könnten, oder sollten; als moralische Reden aber, wird man sie nicht ohne vieles Vergnügen, und nicht ohne Nutzen lesen. Sterne ward häufig getadelt, daß er diese Predigten unter einem Namen drucken ließ, den er in seinem Tristram aufgeführt hatte. Aber Sterne kannte die Gleichgültigkeit des Publici gegen gewisse Art Schriften, und wie neubegierig es nach andern ist. Er wollte seine Arzeneyen gern gebraucht wissen, und die Titel seiner Schriften brauchte er, nach seinem eignen Ausdrucke, als ein Vehiculum. Wie genau er hierin sein Publikum gekannt, erhellet aus der Anzahl Subscribenten auf seine Predigten, deren Namenverzeichniß vor dem dritten Bande vier und zwanzig Octavseiten anfüllet. Man hat ihm vorgeworfen, daß er sich mit Hitze um Unterzeichnung bemühet habe; der Vorwurf würde nicht ganz ungerecht seyn, wenn man wüßte, daß Sterne, ohne den billigen Gewinn von seiner Schriftstellerey, hätte hinlänglich leben können; und wenn man nicht die niedrige Raubsucht der Nachdrucker kennte, die in England, wo nicht eben so häufig und so unverschämt, als die Deutschen Dodsley’s, doch auch nicht völlig ungewöhnlich sind.

Nach der Herausgabe seiner Predigten, setzte er seinen Tristram fort; allein die letztern Theile wurden nicht so häufig verkauft. Ein Schicksal, das fast allen, sonst guten Büchern gemein ist, deren Verfasser keine bestimmte Grenzlinie angezeigt haben.

Er verließ das Familiengemälde, und machte anatomische Zeichnungen vom menschlichen Herzen. Wie glücklich er darin gewesen, wird man aus seiner empfindsamen Reise sehen! Über dieses kleine Buch hat das englische Publikum nur eine Stimme. Die Monthly Reviewer, welche Sterne durch ein Paar bittere Sarkasmen gar nicht bestochen hatte, ihn zu loben, preisen gleichwohl seine Reisen als ein wahres Originalwerk an, und (sie schienen zu fühlen, daß man sie auf Veranlassung in einem gewissen Verdachte haben konnte) sagen ausdrücklich, daß die Recension schon geschrieben sey, ehe sie des Verfassers Tod erfahren hätten.

Er starb, wie er gelebt; eben so gelassen und zufrieden mit seinem Schicksale. Man könnte sagen, er habe auch bey dem wichtigsten Schritte, den nur ein Mensch thun kann, eine Prise aus der hornern Dose seines verstorbenen Freundes, des zum Leiden und Dulden gemachten Franciscaners, genommen. Denn man schreibt, daß er seinen Tod etliche Tage gewußt; ohne darüber im geringsten bewegt zu seyn.

Da sich Sterne unter dem Namen Yorick selbst geschildert hat, so wird man vielleicht dieses Gemälde hier nicht ungern finden.

»Das ist alles, was mich in meinem Glauben von Yoricks Abkunft wankelmüthig gemacht hat; so viel ich mich von ihm erinnern kann, und zufolge allen Nachrichten, die ich nur von ihm habe einziehen können, schien er nicht einen einzigen Tropfen dänisches Blut in seiner ganzen Mischung zu haben; in neun hundert Jahren ist es vermuthlich ganz verlaufen. … Dem sey aber wie ihm wolle; ohne einen Augenblick länger darüber zu philosophiren, ist so viel gewiß, daß er nichts von diesem kalten Phlegma, nichts von der ängstlichen Regelmäßigkeit des Verstandes und der Laune hatte, die man bey den Leuten von seiner Herkunft zu finden pflegt. Er war vielmehr von so merkurialischer und sublimirter Composition, als man sich ein heteroklitisches Geschöpf, in allen seinen Spielarten, vorstellen kann. Er hatte so viel Lebhaftigkeit, so viel Enthusiasmus, so viel Gaieté de cœur, als das mildeste Clima nur immer hätte hervorbringen können. So wohl besegelt, führte dennoch der arme Yorick keine Unze Ballast; er war in der Welt so unerfahren, und wußte im ein und zwanzigsten Jahre eben so wenig, wohin er seinen Lauf richten sollte, als ein einfältiges unbesonnenes Mädchen von dreyzehn. Es war also natürlich, daß er bey seiner ersten Reise des Tags wohl zehnmal durch den raschen Wind seiner Lebensgeister in fremdes Tauwerk verwickelt wurde. Am meisten hatte er das Unglück, wie man sich leicht vorstellen kann, mit den Ernsthaften und Gemächlichen an einander zu gerathen. Ich bin immer der Meynung, daß eine Mischung von unglücklichem Witze der Grund aller dieser Händel war; denn Yorick hatte, die Wahrheit zu sagen, von Natur einen unbezwinglichen Widerwillen und Abscheu gegen die Ernsthaftigkeit … nicht als Ernsthaftigkeit … denn er konnte, wenns darauf ankam, Tage und Wochen lang der ernsthafteste Mensch von der Welt seyn … der verstellten Ernsthaftigkeit aber, welche der Unwissenheit und Thorheit zum Deckmantel dient, war er so feind, daß er sie allenthalben ohne die geringste Schonung angriff, er mochte sie antreffen, wo er wollte, und wenn sie auch noch so mächtig beschützt war.

Nach seiner ausgelaßnen Art, sich auszudrücken, sagt’ er zuweilen: die affektirte Ernsthaftigkeit sey eine herumstreichende Bübin, und setzte noch wohl hinzu … von der aller gefährlichsten Art, weil sie so schlau, und daß er überzeugt sey, durch sie würden in einem Jahre mehr redliche und arglose Leute um Gut und Geld gebracht, als durch Beutelschneider und Spitzbuben in sieben. Die unverstellte Gemüthsart, pflegt’ er zu sagen, die ein frohes Herz entdeckt, sey niemanden, als sich selbst gefährlich. Das wahre Wesen der affektirten Ernsthaftigkeit sey ein Vorsatz, folglich ein Betrug, und abgefeimter Kunstgriff, sich bey der Welt das Zutrauen zu erwerben, als ob man mehr Verstand und Einsicht habe, als in der That wahr, und ungeachtet dessen, wofür sie gehalten seyn wollte, sey sie doch nichts besser, sondern vielleicht noch ärger, als sie schon vor langer Zeit von einem witzigen Franzosen beschrieben worden, nemlich: ein geheimnißvolles Bestreben des Körpers, die Unvollkommenheiten des Gemüths zu verstecken. Diese Beschreibung der Ernsthaftigkeit, pflegte Yorick unverständiger Weise zu sagen, verdiene mit goldnen Buchstaben geschrieben zu werden.

Er war aber, um das Kind beym rechten Namen zu nennen, unerfahren in der Welt, und unversucht; und wenn von Sachen geredet wurde, wobey ein kluger Mann sich wohl zu zwingen pflegt, platzte er unbesonnener Weise heraus: er verschwieg selten oder nie den natürlichen Eindruck, den eine Sache auf ihn machte, ohne dabey auf Person, Zeit oder Ort zu achten. Hörte er eine niedrige unedle Handlung erzählen, so hielt er sich nicht dabey auf, zu überlegen, ob der Urheber derselben ein reicher, ein vornehmer, oder ein mächtiger Mann sey, der ihm schaden könne: sondern, wenn er von seinem schlechten Betragen überzeugt war, nannte er ihn gerade zu einen schlechten Kerl, u.s.w. Und Yoricks Unbescheidenheit war dadurch noch vergrössert, daß seine Commentarien gewöhnlich und unglücklicher Weise auf einen witzigen Einfall hinaus liefen, oder doch wenigstens aus drolligten und launigten Ausdrücken bestunden.

Kurz, er suchte zwar niemals die Gelegenheit, seine Meynung frey von der Leber weg zu sagen; er ließ sie aber auch selten ungenutzt vorbey gehen: und er hatte in seinem Leben nur gar zu viele Versuchungen, seinen Witz, seine Laune, seine Spöttereyen und Satiren auszustreuen. Sie gingen auch nie verloren; es waren immer Personen, die solche aus einer oder der andern Ursache aufsammleten.«

 

Vielleicht erwarten oder vermuthen einige Leser, daß ich bey Gelegenheit dieser neuen Auflage, meine Nothdurft gegen den strengen Tadel eines Recensenten vorbringen werde. Es liesse sich auch freylich vieles mit Grund erwiedern. Allein, anstatt dem Publico eine Farce zu geben, deren es in unsern Tagen schon bis zum Ekel gesehen, will ich einen Artikel aus meinem kritischen Glaubensbekenntniß aufrichtig hersetzen; nemlich: »Ich glaube, daß ein Recensent eben so wenig unfehlbar sey, als ein Autor oder Übersetzer.« Daß ich diesen Artikel auch praktisch glaube, wird man daraus sehen, daß ich einige Stellen nach den Erinnerungen meines Herrn Recensenten geändert, und andre wider seinen Ausspruch habe stehen lassen.

Ich würde eben die Freunde, die mir bey der Übersetzung ihren gütigen Rath ertheilen, bey diesen Veränderungen um ihr Urtheil gebeten haben, wenn die Entfernung der Örter und andre Umstände es hätten erlauben wollen.

Bey der ersten Ausgabe verschwieg ich die Namen dieser Männer, weil ich die Freundschaft verdienstvoller Gelehrten lieber verdienen, als damit prahlen möchte. Nachdem aber der Herr Verfasser des Hamburgischen Correspondenten für gut gefunden hat, den Namen des Herrn Lessings zu errathen, und öffentlich zu nennen, könnte man mich für eitel und undankbar halten, wenn ich nicht öffentlich bekennte, daß ich das Gute, was man an meiner Übersetzung findet, grössesten Theils denen Herren Ebert und Lessing zu verdanken habe.

Vielen, wo nicht allen Lesern, ist es unangenehm gewesen, Yoricks Reise so plötzlich abgebrochen zu finden. Einer von Sternens vertrauten Freunden hat aus seinen mündlichen Unterredungen, und aus seinen hinterlassenen Papieren Vorrath gesammlet, um Yoricks Feder wieder anzunehmen, und seine Begebenheiten und Empfindungen auf seiner Reise dem engländischen Publico mitzutheilen. Mit wie vielem Yorickischen Geiste, wird der deutsche Leser aus der Übersetzung, die man hiemit nächstens zu liefern verspricht, am besten beurtheilen.

YORICKS empfindsame Reise durch Frankreich und Italien.

… In Frankreich, sagt’ ich, verstehn sie das Ding besser. …

… Sind Sie in Frankreich gewesen? fragte der Herr, und wendete sich plötzlich, und mit dem höflichsten Triumpfe von der Welt, zu mir . … Wunderbar! sagt’ ich, indem ich der Sache bey mir selbst nachdachte, daß eine Seereise von acht Meilen, denn weiter ists nicht einen Schritt von Dover bis Calais, einem Manne so viel Recht geben muß. … Ich wills selbst sehn. Und so, ohne ein Wort zu erwiedern, ging ich gerades Weges nach Hause, packte ein halb Dutzend Hemden und ein paar schwarze seidene Beinkleider zusammen, … »das Kleid, was ich an habe, sagte ich, und sah auf den Ärmel, ist gut genug,« … bezahlte einen Platz auf der Doverpost; und da des folgenden Morgens um neun Uhr das Packetboot abging, saß ich schon um drey Uhr, ein Hünerfricassee vor mir aufm Tische, so unleugbar in Frankreich, daß, wäre ich noch dieselbe Nacht an einer Indigestion gestorben, so hätte die ganze Welt den Lauf des Droit d’aubaine[1] nicht aufhalten können. … Meine Hemden und schwarze seidene Beinkleider, … Mantelsack, und alles, wäre dem Könige von Frankreich angestorben. … Selbst das kleine Bild, welches ich so lange getragen, und, wie ich dir, Elisa, oft gesagt, mit in mein Grab nehmen wollte, hätten sie mir vom Halse gerissen. … Ungroßmüthig! … sich der Trümmer eines treuherzigen Reisenden zu bemächtigen, der durch Ihre Unterthanen aus seiner Insel gelockt ist … Beym Himmel! Sire, das ist gar nicht recht; und es thut mir gar sehr leid, daß ich das dem Beherrscher eines so civilisirten, so höflichen, und wegen seiner Menschlichkeit und seinen Empfindungen so berühmten Volkes sagen muß. …

Doch, ich habe ja kaum einen Fuß in Ew. Majestät Land gesetzt. …

 

Calais.

Als ich mein Mittagsmahl gegessen, und auf die Gesundheit des Königs von Frankreich getrunken hatte, um mich selbst zu überzeugen, daß ich keinen Groll auf ihn hätte, sondern vielmehr eine tiefe Ehrerbietung für die Leutseligkeit seines Gemüths hegte, … war ich, dieser Aussöhnung wegen, einen Zoll länger, da ich aufstund.

… Nein, … sagt’ ich, … man nenne mir das bourbonische Haus keineswegs grausam: man kann sie mißleiten, so gut als andre Menschen; sie haben aber eine angeartete Mildigkeit. So wie ich dieses bekannte, fühlte ich, daß sich über meine Wangen eine feinere Röthe … wärmer und freundschaftlicher gegen das menschliche Geschlecht, … verbreitete, als der Burgunder (wenigstens solcher nicht, als ich getrunken hatte, die Flasche zu zwey Livres) hätte erzeugen können.

… Gütiger Gott! sagt’ ich, und stieß meinen Mantelsack mit dem Fusse beyseite, was sind die Güter dieser Welt, daß sie unser Gemüth so bitter machen, und so manchen von uns gutherzigen Brüdern dahin bringen können, in so menschenfeindliche Klagen auszubrechen, als hin und wieder geschieht?

Wenn der Mensch mit den Menschen Frieden hat, wie viel leichter als eine Feder ist alsdann das schwerste von allen Metallen in seiner Hand! Er zieht seinen Geldbeutel hervor, hält ihn leicht und sorglos in der Hand, sieht um sich her, als ob er einen Gegenstand suchte, dem er mittheilen könne. … So wie ich dieß that, fühlte ich, daß sich jedes Gefäß in meinem Körper erweiterte. … Die Arterien schlugen alle ganz munter, und jede Kraft, das Leben durch Bewegung zu erhalten, verrichtete ihr Geschäft mit so weniger Friction, daß es die grösseste physikalische Precieuse in Frankreich würde verwirret haben: mit allem ihren Materialismus, hätte sie mich kaum eine Maschine nennen können. …

Ich bin sicher, sagt’ ich bey mir selbst, ich könnte ihr ihren Glauben benehmen.

Der Zuwachs dieser Idee erhob in diesem Augenblicke, die Natur zu einer solchen Höhe, als sie nur immer erreichen konnte. Mit der Welt hatte ich schon Frieden vorher, und dieses brachte die Traktaten mit mir selbst zum Schlusse.

… Wäre ich nun König von Frankreich, rief ich, … welch ein Augenblick für eine Waise, die mich um ihres Vaters Mantelsack zu bitten hätte!

Der Mönch.

Calais.

Kaum hatte ich das Wort gesagt, als ein armer Franciscaner ins Zimmer trat, mich um ein Almosen für sein Kloster anzusprechen. Niemand hat gern, daß seine Tugenden ein Spiel des Zufalls sind, … oder ein Mann ist vielleicht großmüthig, so wie ein Andrer vermögend ist. … sed non quoad hanc … oder wie es sonst seyn mag; … denn es giebt noch kein richtiges System über die Ebbe und Fluth unsrer Laune: wer weis, ob sie nicht aus eben den Ursachen entsteht, als das Auf- und Ablaufen des Meeres. … Es würde uns oft nicht wenig zu statten kommen, diese Hypothese anzunehmen; mir zum wenigsten würde es in manchen Fällen viel angenehmer seyn, wenn die Welt sagen könnte, »ich hätte einen Handel mit dem Monde gehabt, wobey weder Sünde noch Schande Statt findet,« als daß sie etwas, worin so vieles von beyden war, ganz allein auf meine Rechnung stellen müßte.

… Doch, dem sey wie ihm wolle. Den Augenblick, da ich ihn gewahr ward, hatte ich beschlossen, ihm nicht einen Sous zu geben; und so steckte ich meinen Geldbeutel in meine Tasche, … knöpfte sie zu, … richtete mich ein wenig mehr auf mein Centrum, und ging gravitätisch auf ihn los. Es war, fürcht’ ich, etwas Gebietherisches in meinem Blicke: noch diesen Augenblick schwebt mir seine Gestalt vor den Augen, und ich denke, es war Etwas darin, das eine bessere Begegnung verdiente.

So viel ich aus den Spuren der ehemaligen Tonsur urtheilte, … (ein paar dünnstehende graue Haare über den Schläfen, war alles, was davon übrig geblieben) mochte der Mönch ungefehr siebenzig Jahr alt seyn. … Nach den Augen aber, und der Art von Feuer, das sie hatten, welches mehr durch freundliche Höflichkeit als durch Alter gemindert zu seyn schien, konnte er nicht mehr seyn, als sechzig. … Die Wahrheit mochte in der Mitte stehen. … Er war gewiß fünf und sechzig; und seine Mienen und Gesichtszüge überhaupt, ob es gleich schien, daß Etwas noch vor der Zeit Falten hinein gewirkt haben möchte, kamen mit dieser Rechnung überein.

Es war einer von den Köpfen, die Guido so oft gemalt hat. … Sanft, blaß … scharfsichtig, sehr unterschieden von der Idee, die wir uns gewöhnlich von einer fetten ruhigen Unwissenheit machen, die immer mit dem Blicke auf der Erde schleicht. Er blickte vorwärts; er sah aber aus, als ob er nach Etwas jenseits dieser Welt blickte. Wie ein Franciscaner zu diesem Kopfe kam, das weiß der Himmel oben, der ihn auf eines Mönchs Schultern fallen ließ, am besten: er würde aber gewiß einem Braminen gut gestanden haben, und wär ich ihm auf den Gefilden Indostans begegnet, ich hätte ihm Ehrerbietung erwiesen.

Das Übrige seines Umrisses, mag durch ein Paar Züge angedeutet werden: man kann ihn jeder Hand zum Abzeichnen anvertrauen; denn er war nicht weiter elegant, oder sonst etwas, als sofern er durch Charakter und Ausdruck dazu gemacht ward. Es war eine dünne karge Gestalt, etwas über die gewöhnliche Länge, wofern sie nicht auch diese Distinction dadurch verlor, daß sie etwas vorne übergebeugt, stand. … Doch dieß war eine bittende Stellung, und wie sie jetzt vor meinem Gedächtnisse steht, gewann sie dadurch mehr, als sie verlor.

Als er drey Schritte ins Zimmer gethan hatte, stund er still, legte seine linke Hand auf seine Brust, (einen langen weissen Stab, an welchem er ging, hielt er in der Rechten.) … Als ich nahe zu ihm gekommen war, macht’ er seine Anrede mit einer kleinen Historie von den Bedürfnissen seines Klosters, und der Armuth seines Ordens … und that es mit einer so ungekünstelten Anmuth … und in seiner ganzen Figur und Miene war so viel um Entschuldigung Bittendes … ich mußte bezaubert seyn, daß mich nichts rührte. …

… Eine bessere Ursache war wohl die: ich hatte beschlossen, ihm nicht einen einzigen Sous zu geben.

Der Mönch.

Calais.

Wahr genug, sagt’ ich, auf einen in die Höhe gerichteten Blick zu antworten, womit er seine Anrede schloß … Wahr genug … und der Himmel tröste die, welche keine andere Hülfe wissen, als die Mildthätigkeit der Welt, deren Capital, wie ich fürchte, lange nicht hinreicht, die grossen Ansprüche, die unaufhörlich darauf gemacht werden, zu befriedigen.

Wie ich die Worte, grosse Ansprüche aussprach, ließ er einen leichten Blick auf den Ärmel seines Ordensgewands fallen. … Ich fühlte die ganze Stärke dieser Appellation. … Ich gesteh’ es, sagt’ ich, … ein Gewand von so grobem Tuche, und nur alle drey Jahre ein neues, mit magrer Kost … das macht wenig aus; um desto wunderbarer, da man das mit so geringem Fleisse in der Welt erwerben kann, daß Ihr Orden sich nicht entsiehet, sich zu dem Vorrathe zu drängen, der ein Eigenthum der Blinden, der Lahmen, des Alters und der Schwachen ist, um sich solches zu verschaffen. … Der Gefangne, der auf seinem harten Lager die Tage seiner Leiden zählt, und wieder zählt, schmachtet gleichfals nach seinem Antheile; und wären sie von dem Orden der barmherzigen Brüder, statt des Ordens der Franciscaner … so arm ich bin, fuhr ich fort, und zeigte auf meinen Mantelsack, mit Freuden hätt’ ich ihn zur Befreyung der Unglücklichen geöfnet. … Der Mönch machte mir eine Verbeugung. … Aber vor allen Andern, sagte ich weiter, haben unstreitig die Unglücklichen unter unsern eignen Landsleuten das erste Recht; und ich habe in meinem Vaterlande Tausende im Elende hinterlassen. Der Mönch nickte ganz treuherzig mit dem Kopfe, als ob er sagen wollte: Leider! ist in jedem Winkel der Welt des Elendes genug, so gut, als in unserm Kloster. … Wir machen einen Unterschied aber, sagt’ ich, und legte meine Hand auf den Ärmel seines Gewandes, um seine Appellation zu beantworten, … wir machen einen Unterschied, mein Ehrwürdiger Pater, unter denen, welche bloß wünschen, das Brod ihres Fleisses zu essen, … und unter denen, welche andrer Leute Brod verzehren, und keine andre Absicht mit ihrem Leben haben, als solches um Gotteswillen in Trägheit und Unwissenheit hinzubringen.

Der arme Franciscaner antwortete nichts. Eine schnelle Röthe schoß durch seine Wangen, doch ohne einen Augenblick anzuhalten. … Bey ihm schien die Natur ihre Empfindlichkeit abgelegt zu haben; er zeigte keine. … Er ließ seinen Stab in seinen Arm fallen, drückte mit Unterwerfung beyde Hände auf die Brust, und begab sich hinweg.

Der Mönch.

Calais.

So wie er die Thüre zumachte, fühlte ich mein Herz beklommen. … Je mags doch! sagte ich zu drey verschiedenen malen, und wollte gleichgültig aussehen, … aber es wollte nichts helfen. Eine jede unfreundliche Sylbe, die ich ausgesprochen hatte, drängte sich wieder vor meine Imagination.

Ich überlegte, daß ich über den armen Franciscaner kein ander Recht hatte, als ihm seine Bitte abzuschlagen; und daß eine unerfüllte Erwartung schon an sich, ohne den Zusatz von niederschlagenden Verweisen, Strafe genug sey. …

Ich betrachtete seine grauen Haare. … Mich dünkte, ich sähe seine gefällige Gestalt wieder herein treten, und mich liebreich fragen, was er mir zu Leide gethan hätte, … und, wie ich ihm so hart begegnen könnte? Ich hätte, ich weiß nicht was, für einen Advokaten gegeben. … Ich habe mich sehr unartig aufgeführt, sagte ich zu mir selbst; doch, es ist ja meine erste Ausflucht, und ich werde auf meinen weitern Reisen schon mehr Höflichkeit lernen.

Der Desobligeant.

Calais.

Einen Vortheil hat es wenigstens, wenn ein Mann mit sich selbst unzufrieden ist, es setzt nemlich sein Gemüth in die nöthige Fassung, einen Kauf zu schliessen. Da nun zu der Reise durch Frankreich und Italien eine Chaise gehört, … und die Natur uns mehrentheils nach unsern Bedürfnissen lenkt; so ging ich nach der Wagenremise, um ein solches Ding zu meiner Bequemlichkeit zu kaufen oder zu miethen. Ein alter Desobligeant,[2] der in einer Ecke des Hofes stund, stach mir beym ersten Anblick in die Augen; ich stieg alsobald hinein, und da ich fand, daß er so ziemlich mit meiner Gemüthsfassung übereinstimmte: so befahl ich dem Aufwärter, er sollte Monsieur Dessein, den Herrn des Hotels, rufen. … Aber Monsieur Dessein war nach der Vesper gegangen. Den Franciscaner, dem ich itzt nicht Lust zu begegnen hatte, sah’ ich an der andern Seite des Hofes, mit einer Dame im Gespräche, die eben im Gasthofe angelangt war. … Ich zog also den taffenten Vorhang zwischen uns, und da ich doch Willens war, meine Reise zu schreiben, so zog ich meine Feder und Dinte hervor, und schrieb die Vorrede im Desobligeant.

Vorrede

im Desobligeant.

Schon mancher peripatetischer Philosoph muß bemerkt haben, daß die Natur aus ihrer eignen unstreitigen Macht und Gewalt, um das Mißvergnügen des Menschen eine Grenzlinie gezogen hat, die es nicht überschreiten darf. Sie hat ihren Zweck auf die leichteste und bequemste Weise dadurch erreicht, daß sie ihm die fast unüberwindliche Nothwendigkeit auferlegt hat, in seinem Vaterlande beydes, sowohl seine Wohlfart zu befördern, als seine Leiden zu ertragen. Nur allein da hat sie ihn mit den geschicktesten Gegenständen versorgt, die mit ihm sein Glück empfinden, oder einen Theil von der Last auf sich nehmen können, welche in allen Ländern und zu allen Zeiten, für ein einzelnes Paar Schultern zu schwer gewesen ist. Wahr ists, wir sind mit einer unvollkommenen Fähigkeit begabt, zuweilen unsre Glückseligkeit jenseits dieser Grenzlinie zu verbreiten; es ist aber dergestalt geordnet, daß der Mangel an Sprachen, Verbindungen, und Bekanntschaften, und der Unterschied in der Erziehung, den Sitten, Gewohnheiten und Kleidungen, so vielerley Hindernisse sind, unsre Empfindnisse ausser unsrer Sphäre mitzutheilen, daß sie oft eine völlige Unmöglichkeit ausmachen.

Hieraus muß natürlich folgen, daß die Bilance des empfindsamen Comercii allezeit gegen denjenigen ist, der es in fremden Ländern treibt: Er muß kaufen, was er nicht eigentlich bedarf, und findet den Preiß gemacht. …

Selten werden die Einheimischen seine Conversation gegen die ihrige verwechseln, ohne ihm einen hohen Disconto zu berechnen … und wenn ihn dieses vollends erst dahin bringt, sich gänzlich den Händen der billigern Mäckler anzuvertrauen, um Conversation aufzutreiben so gut sie zu haben ist: so brauchts keinen Wahrsagergeist, um zu errathen, an welcher Seite der Gewinn sey. …

Dieß bringt mich zu meinem Punkte; und leitet mich natürlich (wenn ich nur vor dem Schaukeln dieses Desobligeants fortfahren kann) zu den wirkenden sowohl als endlichen Ursachen des Reisens. …

Wenn geschäftslose Leute ihre mütterliche Heymath verlassen, und mit Grund oder Gründen auf Reisen gehen: so kann man solche aus einer von diesen allgemeinen Ursachen herleiten. …

Gebrechlichkeit des Körpers,

Schwachheit des Geistes, oder

Unumgänglicher Nothwendigkeit.

Unter die beiden ersten gehören alle Reisende, zu Wasser und zu Lande, welche an Hochmuth, Neugierde, Eitelkeit oder Milzsucht laboriren; an einem oder an mehrern dieser Gebrechen, nach allen den unendlichen Unterarten derselben, und ihren unendlichen Verbindungen unter einander.

Die dritte Klasse begreift das ganze Heer wandernder Märtyrer in sich; ganz besonders derjenigen, welche cum beneficio Cleri ihre Reisen antreten, entweder als Verbrecher, unter der Aufsicht von Hofmeistern, welche die Obrigkeit empfielt … oder solche junge Herrn, die von ihren grausamen Ältern oder Vormündern auf Reisen verbannt werden, unter der Aufsicht von Hofmeistern, welche die Universitäten Oxford, Aberdeen und Glasgow empfehlen.

Es giebt eine vierte Klasse; ihre Anzahl ist aber so geringe, daß sie keine besondre Abtheilung verdiente, wenn nicht die Nothwendigkeit in einem solchen Werke, wie dieses, die grösseste Genauigkeit und Richtigkeit erforderte um alle Verwirrung in den Charakteren zu vermeiden. Und diese Männer, von denen ich rede, sind solche, welche übers Meer gehen und sich in einem fremden Lande aufhalten, mit der Absicht, aus verschiedenen Gründen, und unter verschiedenem Vorwande, Geld zu sparen: allein, da sie sowohl sich, als andern ehrlichen Leuten einen grossen Theil unnöthiger Mühe ersparen können, wenn sie ihr Geld zu Hause sparen wollten … und da ihre Gründe fürs Reisen einfacher sind, als aller übrigen Emigranten: so nenne ich diese Herren

Simple Reisende.

Dergestallt kann man den ganzen Zirkel von Reisenden unter folgende wenige Rubriquen bringen.

Müssige Reisende,

Neugierige Reisende,

Lügende Reisende,

Aufgeblasene Reisende,

Eitele Reisende,

Milzsüchtige Reisende.

Dann folgen die Reisenden aus Nothwendigkeit.

Der seiner Sündenschuld wegen Reisende,

Der unglückliche und unschuldige Reisende,

Der simple Reisende.

Und ganz zuletzt (wenn Sies nicht übel nehmen wollen!) der

Empfindsame Reisende,

(womit ich mich selbst meyne) der ich gereiset bin, und nun sitze und davon Rechenschaft ablegen will … und eben so gut aus Nothwendigkeit, und besoin de voyager gereiset bin, als irgend einer aus der Klasse.

Ich sehe dabey gar wohl ein, daß, da sowohl meine Reisen als Bemerkungen, von den Reisen und Bemerkungen aller meiner Vorgänger sehr verschieden seyn werden, ich darauf hätte bestehen können, für mich allein eine eigne Nische einzunehmen. … Jedoch, ich möchte dem eitlen Reisenden ins Gehege kommen, wenn ich eher wünschte Aufmerksamkeit auf mich zu ziehen, bis ich bessere Gründe dazu habe, als die blosse Neuheit meines Vehiculums.

Genug, daß mein Leser, wenn er selbst gereiset ist, durch ernstliche Überlegung des vorigen, fähig werden kann, sich seinen eignen Rang und Platz in dem Verzeichnisse anzuweisen. … Das wird ein Schritt zu seiner Selbsterkenntniß seyn; denn man kann Zehn gegen Eins verwetten, daß er bis auf diese Stunde noch einen kleinen Anstrich, noch eine kleine Ähnlichkeit von dem an sich behalten, was er mit auf Reisen genommen, oder davon zu Hause gebracht hat.

Der Mann, welcher zuerst die burgundische Traube auf das Vorgebirge der guten Hofnung verpflanzte, (man beliebe zu merken, daß er ein Holländer war,) ließ sichs nicht träumen, daß er denselben Wein auf dem Cap trinken wollte, den eben die Traube auf den französischen Hügeln giebt … dazu war er zu phlegmatisch. … Aber unstreitig erwartete er ein weinartiges Getränk zu trinken; ob indessen gut, schlecht, oder ziemlich … so viel wußte er nun wohl von dieser Welt, daß solches nicht von seinem Gefallen abhing, sondern daß das, was man gewöhnlich Glück nennt, den Ausschlag geben würde: Indessen hoffte er das Beste; und in dieser Hoffnung, bey einem ungemessenem Vertrauen zu der Stärke seines Kopfes und der Grösse seiner Enthaltsamkeit, konnte Myn Heer in seinem neuen Weinberge leicht beydes zu Boden trinken; und dann, wenn er seine Blösse sehen ließ, seinen Leuten was zu Lachen machen.

Gerade so gehts mit dem armen Reisenden, der sich von Boots- und Postknechten durch die gesitteten Königreiche dieses Erdbodens schleppen läßt, um Kenntnisse und Wissenschaften zu erlangen.

Wissenschaften und Kenntnisse sind allerdings zu erlangen, wenn man die Reisen mit Boots- und Postknechten zu diesem Endzwecke anstellt; ob aber nützliche Kenntnisse und wahre Wissenschaften, das ist eine blosse Lotterie. … Und auch dann noch, wenn der Spieler ein gutes Loos zieht, muß die erlangte Summe mit Behutsamkeit und Mässigung angewendet werden, um Nutzen davon zu ziehen. … Da aber, sowohl in Ansehung des Erlangens als des Anwendens, immer viel weniger Treffer als Nieten sind: so bin ich der Meynung, daß ein Mann noch eben so weise handeln würde, wofern er es über sich erhalten könnte, wenn er ohne ausheimische Kenntnisse, ohne ausheimische Wissenschaften zufrieden lebte, zumal in einem Lande, wo es an beyden nicht völlig mangelt. … Und in Wahrheit! es hat mir oft und vielmal im Herzen wehe gethan, wenn ich bemerkt habe, wie manchen tiefen Weg der neugierige Reisende hat durchwaten müssen, um Auftritte zu sehen, und in Entdeckungen zu gucken; welches alles, wie Sancho Pansa zum Don Quichotte sagt, sie hätten im Trocknen daheime sehen können. Wir leben in einem Jahrhunderte so voller Licht, daß schwerlich ein Land oder Winkel in Europa seyn wird, dessen Strahlen nicht mit andern vermischt sind. … Die Gelehrsamkeit in den meisten ihrer Theile, und in den meisten Geschäften, ist wie eine Gassenmusik in einer italiänischen Stadt. Man braucht nicht zu bezahlen, um Theil daran zu nehmen. …

Nun aber ist keine Nation unter der Sonne … und Gott ist mein Zeuge, (vor dessen Richterstuhl ich eines Tages kommen, und auch von diesem Buche Rechenschaft ablegen muß) daß ich es nicht aus Ruhmredigkeit sage … nun ist aber keine Nation unter der Sonne, die mehr und verschiedenere Arten von Gelehrsamkeit aufzuweisen hat … wo man sich besser um Wissenschaften bewerben, und sichrer sie erwerben kann, als hier … wo die Künste so aufgemuntert werden, und so bald empor kommen … wo die Natur (im Ganzen genommen so wenig zu verantworten hat … und woselbst, mit einem Worte, mehr Witz und abwechselnde Charaktere zur Unterhaltung des Geistes sind. … Meine lieben Landsleute, wohin gehn Sie denn? …

… Wir besehen nur diese Chaise, sagten sie … Ihr gehorsamer Diener, sagte ich, indem ich aus dem Wagen sprang und den Huth abnahm. … Wir konnten nicht begreifen, sagte der eine, der, wie ich fand, ein neugieriger Reisender war … woher es käme, daß sie sich so bewegte. … Es war, sagt ich kaltsinnig, die Bewegung vom Vorrede schreiben. … Nun hab’ ich doch in meinem Leben, sagte der andre, der ein simpler Reisender war, noch von keiner Vorrede gehört, die in einem Desobligeant geschrieben wäre! … Ja, in einem Vis-à-vis wärs wohl besser gewesen, sagte ich.

… Weil ein Engländer nicht deswegen reiset, um Engländer zu sehen, so ging ich nach meinem Zimmer.

 

Calais.

Als ich über den Gang zu meinem Zimmer ging, merkte ich mehr Schatten, als ich allein machte; es war auch wirklich Monsieur Dessein, der Herr des Hotels, der eben aus der Vesper gekommen war, und mit dem Huthe unterm Arme, mir sehr höflich nachfolgte, um mich zu erinnern, daß ich einen Wagen nöthig hatte. Ich hatte mir die Grille zum Desobligeant so ziemlich aus dem Kopfe geschrieben, und da Monsieur Dessein mit Achselzücken davon sprach, als ob er gar nicht für mich wäre: so fiel mirs alsobald ein, daß er irgend einem unschuldigen Reisenden gehören müsse, welcher ihn bey seiner Rückreise dem ehrlichen Monsieur Dessein anvertrauet hätte, um ihn, so gut als möglich, zu verkaufen. Vier Monate waren verflossen, nachdem er seine Laufbahn durch Europa in einem Winkel des Monsieur Desseins Hofe vollendet hatte, und da er beym Antritte derselben bloß von neuem versohlet und aufgefärbt war, so hatte er, ungeachtet er am Berge Senis zweymal umgebauet worden, bey allen seinen erlebten Begebenheiten doch wenig gewonnen. … Bey keiner indessen weniger, als bey der Letztern, da er so viele Monate ohne alle Barmherzigkeit in Monsieur Desseins Hofe einen Winkel unter der Dachtraufe hüten mußte. … Freylich konnte man nicht viel zu seinem Besten sagen. … Etwas aber doch … und wenn ein Paar Worte ein Elend lindern können, so hasse ich den Mann, der damit knickern kann.

… Sehn Sie, wenn ich der Herr dieses Hotels wäre, sagt’ ich, und legte die Spitze meines Zeigefingers auf Monsieur Desseins Brust, so würde ich gewiß mein Möglichstes thun, diesen armen Desobligeant an Mann zu bringen. … So oft Sie vorüber gehen, wackelt er Ihnen Vorwürfe zu.

Mon Dieu, sagte Monsieur Dessein. … Was gehts mich an? … Erlauben Sie! Monsieur Dessein, versetzte ich, Personen von einer gewissen Denkungsart geht ihr eignes Gefühl schon etwas an. … Ich bin überzeugt, daß einem Manne, der sowohl für andre als für sich selbst fühlt, … leugnen Sie es, so viel Sie wollen, eine jede regnichte Nacht muß ihr Gemüth beunruhigen. … Monsieur Dessein, Sie leiden so viel als die Maschine. …

Ich habe allezeit angemerkt, wenn in einem Complimente eben so viel Saures als Süsses ist; so weiß ein Engländer niemals, ob ers verstehn, oder nicht verstehen soll. Ein Franzos hilft sich gleich: Monsieur Dessein machte mir einen Bückling.

C’est bien vrai, sagt’ er. … In diesem Falle aber würde ich nur eine Unruhe mit der andern vertauschen, und dabey verlieren. Bedenken Sie selbst, mein werthester Herr, wenn ich Ihnen eine Chaise gäbe, die auf dem halben Wege nach Paris in Stücken fiele. … Bedenken Sie selbst, wie viel ich leiden würde, einem so rechtschafnen Manne eine böse Meinung von mir beygebracht zu wissen! Ich verliere zu ungern die Achtung d’un homme d’esprit.

Die Pille war genau nach meinem eigenen Recepte gemacht; ich konnte also nicht umhin, sie hinunter zu schlucken. … Ich gab Monsieur Dessein seinen Bückling zurück, und ohne fernere Casuisterey gingen wir zusammen nach seiner Remise, um sein Magazin von Chaisen zu besehen.

In der Gasse.

Calais.

Es muß gewiß eine feindselige Art von Welt seyn, worin der Käufer (wäre es auch nur von einer lumpichten Postchaise) nicht mit dem Verkäufer über die Gasse gehen kann, um den Handel zu schliessen, ohne in eben dieselbe Gemüthsfassung zu fallen, oder seinen Mann mit eben solchen Augen anzusehen, als ob er mit ihm auf dem Wege nach Hydepark wäre, sich da zu duelliren. Ich meines Theils, der ich ein schlechter Fechter und dem Monsieur Dessein auf keine Art gewachsen bin, ich fühlte bey mir selbst alle die verschiedenen Bewegungen, welche eine solche Situation hervor zu bringen pflegt. … Ich betrachtete Monsieur Dessein, als ob ich ihn durchsehen wollte. … Ich faßte ihn, so wie er ging, aufs Korn, bald en profil … bald en face … dachte, er säh’ aus, als ein Jude, dann, als ein Türke … konnte seine Perücke nicht ausstehn … fluchte auf ihn … wünschte ihn zum Henker. …

… Und alles das muß in dem Herzen auflodern, wegen eines Bettels von drey oder vier Louisd’ors? Denn das ist doch das Höchste, was ich dabey übersetzt werden kann. … Niedrige Leidenschaft! sagt’ ich, und drehte mich herum, wie man bey einer plötzlich veränderten Empfindung zu thun pflegt … niedrige, unmenschliche Leidenschaft! Deine Hand ist gegen Jedermann und Jedermanns Hand gegen dich! … Das verhüte der Himmel! sagte sie, und fuhr mit ihrer Hand zu ihrer Stirne, denn ich hatte gerade gegen die Dame Fronte gemacht, die ich mit dem Mönch hatte reden sehn. … Sie war uns gefolgt, ohne daß wirs gewahr geworden. … Das verhüte der Himmel freylich! sagt’ ich, und bot ihr meine Hand. … Sie trug ein Paar schwarze seidene Handschuh, die nur am Daumen und den beyden Foderfingern offen waren: also nahm sie solche ohne Weigerung an … und ich führte sie nach der Thüre zur Wagenremise.

Monsieur Dessein hatte mehr als funfzigmal über den Schlüssel diablirt, ehe er ausfindig machte, daß er einen unrechten ergriffen und mitgebracht hatte. Wir waren eben so ungeduldig, als er, nach der Eröfnung: und so aufmerksam auf das Hinderniß, daß ich beständig ihre Hand hielt, fast ohne es zu wissen; dergestalt, daß uns Monsieur Dessein, ihre Hand in der meinigen, mit unsern Gesichtern gegen die Remisenthüre gekehrt, verließ, und sagte, in fünf Minuten wolle er wieder da seyn.

Nun ist eine Unterredung von fünf Minuten in einer solchen Situation, eben so viel werth, als eine von eben so vielen Jahrhunderten, da man mit den Gesichtern nach der Gasse gekehrt steht: in dem letztern Falle, nimmt man die Materie des Gesprächs von Sachen und Begebenheiten ausser uns. … Wenn man aber die Augen auf eine todte Wand geheftet hat … nimmt man solche bloß aus sich selbst her. Ein Stillschweigen von einem einzigen Augenblicke, da uns Monsieur Dessein verließ, wäre der Situation fatal gewesen. … Die Dame hätte sich unfehlbar herumgekehrt. … Also fing ich die Conversation augenblicklich an. … Was mich aber dazu antrieb, (da ich nicht schreibe, die Schwachheiten meines Herzens auf dieser Reise zu vertheidigen … sondern zu erzählen) … soll eben so ungeschminkt beschrieben werden, als ich solches damals fühlte.

Die Remisenthüre.

Calais.

Als ich dem Leser sagte, daß ich deswegen nicht gern aus dem Desobligeant steigen wollen, weil ich den Mönch in einem ämsigen Gespräche mit einer eben angekommenen Dame begriffen sahe: … da sagte ich ihm die Wahrheit; aber die völlige Wahrheit sagt’ ich ihm nicht; denn es war eben so sehr die Gestalt und das Ansehen der Dame, mit der er sprach, was mich zurück hielt. Ein Argwohn flog mir durchs Gehirn, und sagte, er erzähle ihr, was zwischen uns vorgegangen sey. Darüber war in meinem Gemüthe eine Saite falsch geworden. … Ich wünschte ihn in sein Kloster.

Wenn das Herz vor dem Verstande zufährt, so erspart es der Urtheilskraft unglaublich viel Mühe. … Ich war gewiß, sie sey von einer bessern Art Geschöpfen. … Gleichwohl dachte ich nicht mehr an sie, sondern fuhr fort meine Vorrede zu schreiben.

Der Eindruck ward wieder rege, als ich sie auf der Gasse abermals antraf; eine anständige Freymüthigkeit, womit sie mir ihre Hand gab, zeugte, wie mich dünkte, von ihrer guten Lebensart und von ihrem Verstande; und so wie ich sie führte, fühlte ich in ihrem Wesen eine so liebliche Biegsamkeit, daß es über alle meine Geister Ruhe und Heiterkeit verbreitete.

… Gütiger Gott! Wie gern sollte ein Mann ein Geschöpf, wie dieses, mit sich durch die ganze Welt führen! …

Ich hatte ihr Gesicht noch nicht gesehen. … Das war nicht wesentlich; denn das Gemählde ward den Augenblick angelegt, und lange vorher, ehe wir zu der Remisenthüre gekommen, hatte Mademoiselle Phantasie den ganzen Kopf vollendet, und freuete sich eben so sehr darüber, daß er ihrer Göttin so gut stand, als wenn sie ihn aus dem Grunde der Tiber gehohlt hätte. … Aber du bist ein betrogner und betrügerischer Affe; und ob du uns gleich des Tages siebenmal mit deinen Bildern und Gemählden hintergehst, so thust du es doch mit so vieler Anmuth, und du weißt deinen Portraits solche Engel des Lichts Gestalten zu geben, daß man dir mit Ehren nicht böse werden kann.

Als wir zu der Remisenthüre gekommen waren, zog sie ihre Hand von der Stirne weg, und ließ mich das Original sehen. … Es war ein Gesicht von ohngefehr sechs und zwanzig … eine helle durchsichtige Brünette, ungekünstelt im Putze, ohne Schminke und ohne Puder. … Es war nicht nach den Regeln der Critik schön, aber es hatte das, was mich in der Gemüthsfassung, worin ich war, viel mehr reitzte; es hatte eine anziehende Miene. Mich deuchte es trüge die Merkmale eines Wittwenblicks, und zwar in dem Stande des Abnehmens, wenn die beyden ersten Anfälle von Betrübniß vorüber, und sie nun gelassen anfängt, mit Ruhe an ihren Verlust zu denken. … Doch hätten auch tausend andre Arten von Kummer dieselbigen Linien ziehen können; ich wünschte zu wissen, von welcher Art sie eigentlich gezogen worden … und war bereit mich zu erkundigen, (hätte es derselbe Bon Ton erlaubt, der zu Esdras Zeiten Mode war.) … »Was fehlet dir? und warum bist du so bekümmert? und warum ist deine Seele beunruhigt?« … Mit einem Worte, ich fühlte ein Wohlwollen gegen sie; und beschloß, auf eine oder die andre Art mein Schärflein Ergebenheit … wo nicht wirkliche Dienstgeflissenheit … für sie anzulegen.

Das wars, was mich antrieb … und in dieser Fassung, diesen Trieben Raum zu geben, ließ man mich allein mit der Dame, ihre Hand in der meinigen, und mit unsern beyden Gesichtern gegen die Remisenthüre gekehrt, näher, als unumgänglich nothwendig war.

Die Remisenthüre.

Calais.

Gewiß, schöne Dame, sagt’ ich, und hob ihre Hand, so wie ich begann, ein wenig leicht in die Höhe, dieß ist eine von den seltsamen Fügungen des Glücks. Zwey völlig Unbekannte bey ihren Händen zu nehmen … von verschiedenem Geschlechte, und vielleicht aus entlegenen Winkeln der Erde, und sie in einem Augenblicke in eine so herzlich vertraute Situation zu setzen, als selbst die Freundschaft nicht hätte zuwege bringen können, hätte sie auch einen ganzen Monat darauf gesonnen. …

… Und Ihre Betrachtung darüber Monsieur, zeigt, wie sehr Sie durch diesen Zufall in Verlegenheit gesetzt sind. …

Wenn eine Situation ist, wie wir sie wünschen, so ist nichts so übel angebracht, als Anspielungen auf die Umstände, wodurch sie es wird. … Sie danken dem Glücke, fuhr sie fort … Sie hatten Recht. … Das Herz wußte es, und war zufrieden: und Niemand, als ein brittischer Philosoph würde dem Verstande Nachricht davon gegeben haben, um das Urtheil abändern zu lassen.

Wie sie dieß sagte, zog sie ihre Hand mit einem Blicke zurück, den ich für eine hinlängliche Erklärung des Textes hielt.

Es ist ein armseliges Gemählde, welches ich hier von der Schwachheit meines Herzens aufstelle, indem ich gestehen muß, daß es eine Betrübniß fühlte, welche würdigere Veranlassungen nicht hätten erzeugen können. … Ich war bekümmert über den Verlust ihrer Hand, und die Art, wie ich sie verloren hatte, goß weder Wein noch Öl in die Wunde; nie in meinem Leben war ich so einfältig verlegen, und so jämmerlich beschämt über meine Verlegenheit gewesen.

Die Triumphe eines wahren weiblichen Herzens sind über dergleichen Niederlagen kurz. In sehr wenig Secunden legte sie ihre Hand auf den Aufschlag meines Kleides, um ihre Antwort fortzusetzen; und also, auf eine oder die andre Art, Gott weiß, wie? gewann ich meine Situation wieder.

… Sie hatte nichts hinzu zu fügen.

Ich dachte augenblicklich auf eine andre Unterredung für die Dame; denn aus dem Inhalte sowohl, als der Moral des vorigen, schloß ich, daß ich mich in ihrem Charakter geirret haben müßte. Wie sie aber ihr Gesicht zu mir wandte, war der Geist, wovon ihre Antwort beseelt wurde, verflogen … die Muskeln gesunken, und ich sah wieder eben den arglosen Blick des Kummers, der mich für sie einnahm. … Traurig, daß auf einem so seelenvollen Gesichte Kummer wohnen soll! … Ich bedaurete sie vom Grunde meiner Seelen; und obs einem dickhäutigen Herzen gleich lächerlich genug vorkommen mag … ich hätte sie in die Arme nehmen und ihr auf der Gasse vor den Leuten liebkosen können, ohne darüber zu erröthen.

Der lebhafte Tackt der Pulsadern längst meinen Fingern, welche sich um die ihrigen schmiegten, sagte ihr, was in mir vorging: Sie sah zur Erden. … Es folgte ein Stillschweigen von etlichen Augenblicken.

Ich muß in dieser Pause einiges leichtes Bestreben geäussert haben, ihre Hand fühlbarer zu drücken, wie ich von einer subtilen Bewegung, die ich in meiner eignen Hand empfand, fürchtete. … Nicht als ob sie die ihrige wegzog … sondern als ob sie darauf dächte: … und ich hätte sie unfehlbar zum zweytenmale verloren, hätte nicht mehr Instinkt als Vernunft mir das letzte Hülfsmittel in dergleichen Gefahren an die Hand gegeben … sie loser zu halten, so als ob ich sie alle Augenblick von selbst los lassen würde. Auf diese Art ließ sie es gut seyn, bis Monsieur Dessein mit dem Schlüssel zurück kam; und in der Zeit überlegte ich, wie ich die schlimmen Eindrücke wieder auslöschen könnte, welche die Historie des armen Mönchs, wenn er ihr solche erzählet hätte, wider mich in ihre Brust gepflanzt haben müßte.

Die Tabaksdose.

Calais.

Der gute alte Mönch war nur sechs Schritte von uns, als mir der Gedanke an ihn durch den Kopf fuhr; und näherte sich uns, nicht völlig gerade zu, als zweifelhaft, ob er uns anreden sollte, oder nicht? … Er stand gleichwohl, sobald er an uns kam, mit völliger Freymüthigkeit stille; er hatte eine Schnupftabaksdose von Horn in der Hand, die er mir offen vorhielt. … Sie sollen meinen versuchen … sagt’ ich, indem ich meine Dose hervor zog (es war eine kleine Schildpattne), und sie ihm in die Hand gab. … Er ist sehr schön, sagte der Mönch; so thun Sie mir den Gefallen, versetzte ich, und behalten die Dose mit dem Taback, und wenn Sie zuweilen eine Prise daraus nehmen, so erinnern Sie sich, daß Sie solche von einem Manne zum Versöhnungszeichen angenommen, der Ihnen einst unfreundlich begegnet hat, obgleich nicht von Herzen.

Der arme Mönch ward so roth als Scharlach. Mon Dieu! sagt’ er, und schlug die Hände zusammen. … Sie haben mir nie unfreundlich begegnet. … Ich sollte ihm das nicht zutrauen, sagte die Dame. Nun erröthete ich, über was für Bewegungen aber, das mögen die wenigen beurtheilen, welche ihre Empfindungen zu zergliedern wissen. … Verzeihen Sie, Madame, versetzte ich. … Ich begegnete ihm sehr hart; und ohne Ursache. … Das ist unmöglich, sagte die Dame. … Mein Gott! rief der Mönch mit einer Hitze der Betheurung, die ihm nicht natürlich zu seyn schien: die Schuld lag an mir, und in der Unbesonnenheit meines Eifers … Die Dame widersprach dem, und ich behauptete mit ihr, es wäre unmöglich, daß ein Mann von so gesetztem Gemüthe, als das seinige, jemanden beleidigen könnte.