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Die »Zeitenliebe«-E-Box: Drei Jahrhunderte, drei Frauen, drei außergewöhnliche Liebesgeschichten. Ewa A.s romantische Zeitenliebe-Trilogie macht die Nacht zum Tag und lässt alle Herzen schmelzen. Diese E-Box enthält alle Bände der romantischen »Zeitenliebe«-Trilogie: »Zeitenliebe 1: Nur zu zweit sind wir eins« **Über eine Liebe, die alles überdauert** Als die junge Cafébesitzerin Esther beim Umgraben ihres Gartens einen historischen Sonnenarmreif findet, ahnt sie nicht, dass sie gerade ihr Schicksal in den Händen hält. Kurze Zeit später befindet sie sich plötzlich im tiefsten Mittelalter, in der falschen Kleidung und definitiv nicht mit der richtigen Währung in der Tasche. Ihr bleibt nur eins übrig: den beim Sprung verlorengegangenen Armreif wiederfinden und bis dahin – nicht auffallen. Für Letzteres scheint es jedoch schon zu spät zu sein. Denn sie hat bereits das Interesse des jungen Grafen Nickolas geweckt… Mit einem Schlag ist Esthers Leben nicht mehr so einfach und gewiss nicht mehr vorhersehbar. »Zeitenliebe 2: Zwei Seelen in einem Herz« **Über eine Liebe, die alles überwindet** Die bildhübsche Erzherzogin Helena Maria von Thanen wird ungefragt einem der begehrtesten Junggesellen ihres Landstrichs versprochen. Was erst wie ein wahrgewordener Traum erscheint, kehrt sich jedoch bald ins Gegenteil um. Der sonst so gütige Frauenheld Alexander von Gerwulf hat für seine Braut nichts als Hass übrig und entflieht ihrer Gegenwart, sooft er kann. Dass er durch politische Machenschaften ausgerechnet mit der Frau verheiratet sein muss, die für den Tod seines Bruders Nickolas verantwortlich ist, raubt ihm nachts den Schlaf und tagsüber den Verstand. Doch dann beginnen sich rund um die Burg einige ungewöhnliche Vorfälle zu häufen, die alles in ein anderes Licht tauchen und Gefühle aufkommen lassen, wo man sie kaum vermutet hätte… »Zeitenliebe 3: Zwei Leben für eine Liebe« **Über eine Liebe, die alles übersteht** Die willensstarke Elda lässt sich nicht leichtfertig von ihren Überzeugungen abbringen. Auch nicht von dem charismatischen Eddie von Gerwulf, in dem sie nichts als einen klassischen Aufreißer sieht, der sie mit seinen Sprüchen bloß um den Finger wickeln will. Doch dann erzählt Eddie ihr von einem geheimnisvollen Familienerbstück, das ihm gezeigt hat, dass Elda und er vor vielen Jahrhunderten ein Liebespaar waren. Elda kann ihm nicht glauben, aber ihr bleibt nur eine Möglichkeit, um zu erfahren, ob seine Geschichte wahr ist: Mutig legt sie den Armreif an und findet sich plötzlich tatsächlich in einer anderen Zeit wieder. Jedoch ist alles ganz anders als erwartet, selbst Eddie… //Dies ist eine E-Box aus dem Carlsen-Imprint Dark Diamonds. Jeder Roman ein Juwel.// Alle Bände der Reihe können unabhängig voneinander gelesen werden und haben ein abgeschlossenes Ende.
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Dark Diamonds Ein Imprint der CARLSEN Verlag GmbH © der Originalausgabe by CARLSEN Verlag GmbH, Hamburg 2018 Text © Ewa A., 2017, 2018 Coverbild: shutterstock.com / © Oleg Gekman / © Kotkoa / © Vasilius / © ronald ian smiles / © LuckyImages / © YuriyZhuravov Covergestaltung der Einzelbände: formlabor Gestaltung E-Book-Template: Gunta Lauck / Derya Yildirim Satz und E-Book-Umsetzung: readbox publishing, Dortmund ISBN 978-3-646-30130-4www.carlsen.de
Dark Diamonds
Jeder Roman ein Juwel.
Das digitale Imprint »Dark Diamonds« ist ein E-Book-Label des Carlsen Verlags und publiziert New Adult Fantasy.
Wer nach einer hochwertig geschliffenen Geschichte voller dunkler Romantik sucht, ist bei uns genau richtig. Im Mittelpunkt unserer Romane stehen starke weibliche Heldinnen, die ihre Teenagerjahre bereits hinter sich gelassen haben, aber noch nicht ganz in ihrer Zukunft angekommen sind. Mit viel Gefühl, einer Prise Gefahr und einem Hauch von Sinnlichkeit entführen sie uns in die grenzenlosen Weiten fantastischer Welten – genau dorthin, wo man die Realität vollkommen vergisst und sich selbst wiederfindet.
Das Dark-Diamonds-Programm wurde vom Lektorat des erfolgreichen Carlsen-Labels Impress handverlesen und enthält nur wahre Juwelen der romantischen Fantasyliteratur für junge Erwachsene.
Ewa A.
Zeitenliebe: Nur zu zweit sind wir eins (Band 1)
**Über eine Liebe, die alles überdauert** Als die junge Cafébesitzerin Esther beim Umgraben ihres Gartens einen historischen Sonnenarmreif findet, ahnt sie nicht, dass sie gerade ihr Schicksal in den Händen hält. Kurze Zeit später befindet sie sich plötzlich im tiefsten Mittelalter, in der falschen Kleidung und definitiv nicht mit der richtigen Währung in der Tasche. Ihr bleibt nur eins übrig: den beim Sprung verlorengegangenen Armreif wiederfinden und bis dahin – nicht auffallen. Für Letzteres scheint es jedoch schon zu spät zu sein. Denn sie hat bereits das Interesse des jungen Grafen Nickolas geweckt … Mit einem Schlag ist Esthers Leben nicht mehr so einfach und gewiss nicht mehr vorhersehbar.
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Vita
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© privat
Ewa A. erblickte 1970 als fünftes Kind eines Verlagsprokuristen und einer Modistin das Licht der Welt. Im Jahr 2014 erfüllte sie sich den Traum, das Schreiben von Geschichten zu ihrem Beruf zu machen und wurde selbständig freiberufliche Autorin. Nach wie vor lebt sie mit ihrem Ehemann und den zwei gemeinsamen Kindern in der Nähe ihres Geburtsortes, im Südwesten Deutschlands.
Dieses Buch widme ich zwei Männern in meinem Leben.
Den einen, nach dem ich suchte, fand ich, und den anderen, den ich mir wünschte, bekam ich geschenkt.
Frühling 2002
Es war zu warm für einen Frühlingstag und eindeutig zu warm, um ein tiefes Loch im Garten zu buddeln. Wie war sie nur auf diese dumme Idee gekommen? Aber jetzt hatte sie einmal angefangen und sie würde es zu Ende bringen. Sie würde die Zähne zusammenbeißen und so lange weitergraben, bis sie diese verfluchte Teichwanne im Boden versenken konnte. Nicht umsonst hatte sie ihren Vater wochenlang bezirzt, damit er ihr seine ausgediente Wanne überließ und ihr half, diese bis in den Garten zu transportieren.
Obwohl ihre Eltern nach wie vor das Gärtnern liebten, war ihnen die Pflege des Teiches zu viel geworden. Zwar hatte ihre Mutter behauptet, die Nachbarn hätten sich über das laute Gequake der Frösche beschwert, aber Esther kam es so vor, als wären ihre Eltern über den Abbau des Teiches nicht sonderlich traurig gewesen.
Erst vor einer Stunde hatte sie noch mit ihrer Mutter telefoniert und ihr versichert, dass sie das Teil auch ohne die Hilfe ihres Vaters in den Boden bekommen würde. Wäre doch gelacht, wenn sie jetzt klein beigeben würde.
Das gelbe Top klebte an ihrem zierlichen Körper. Kleine Schweißperlen bildeten sich über ihrer Oberlippe. Esther spürte, wie sich auch welche auf ihrer Stirn einen Weg suchten. Ihr blonder Pferdeschwanz wippte bei jeder ihrer Bewegungen im Takt mit. Die Hände taten ihr weh und die Schaufel schien immer schwerer zu werden. Langsam spürte sie im Rücken, dass sie diese Arbeit überhaupt nicht gewohnt war.
Ein kleiner eigener Teich war ein lang gehegter Traum von ihr. Ein verwunschenes Kleinod wollte sie sich in einer Ecke ihres Gartens schaffen, wo sie sich nach einem anstrengenden Tag zurückziehen und entspannen konnte.
Vor zweieinhalb Jahren hatte sie dieses Haus mit Garten, das von jeher im Familienbesitz war, von ihrer kinderlosen Tante geerbt. Esther war zu dieser Zeit in ihrem Job als Rechtsanwaltsfachangestellte immer unzufriedener geworden. Und nach vielen unruhigen Nächten, in denen sie sich Gedanken über ihre Zukunft gemacht hatte, war sie zu dem Entschluss gekommen, einen Kredit aufzunehmen und in dem Haus ein Café im Landhausstil aufzumachen.
Seit zwei Jahren betrieb sie nun in dem alten Gebäude ein kleines verträumtes Café, in dem sie neben selbst gemachten Kuchen Marmelade und Chutneys verkaufte, deren Zutaten, ebenso wie die getrockneten Kräutermischungen, zum größten Teil aus ihrem eigenen Garten stammten. Die Einnahmen aus dem Cafébetrieb und dem Verkauf machten sie zwar nicht reich, aber es war mehr als genug, um ihre Ausgaben zu decken.
Es war nicht leicht für die Dreiundzwanzigjährige, tagtäglich bis spät in die Nacht zu arbeiten, aber hier war sie ihr eigener Chef. Und sie war zufriedener als zuvor. Im Großen und Ganzen war sie sogar glücklich …
Eigentlich …
Bloß die Einsamkeit war manchmal schwer zu ertragen.
Natürlich hatte sie Freunde und Bekannte, mit denen sie sich ab und an traf. Auch ihre Eltern waren immer für sie da und waren ihr eine große Stütze, aber es gab niemand Besonderen. Niemanden, der neben ihr aufwachte, der mit ihr frühstückte, der die Kleinigkeiten des Alltags mit ihr teilte. Zwei Beziehungen hatte sie bereits hinter sich. Doch der richtige Mann, mit dem sie sich vorstellen konnte alt zu werden, war ihr noch nicht begegnet. Da war niemand, der einen Platz in ihrem Herzen beanspruchte. Aber vielleicht würde sie irgendwann, hoffentlich bald, diesen besonderen Jemand finden.
Esther liebte ihren Garten und die Natur im Allgemeinen. Seit sie denken konnte, hatten ihre Eltern einen Garten gehegt. Und schon als Kind hatte sie es genossen, in der Erde zu wühlen, zu beobachten, wie aus hässlichen Zwiebeln in grellen Farben leuchtende Tulpen wurden oder wie ein Regenwurm ringelnd in der Erde verschwand und über Nacht kleine Türme aus Sand baute.
Sie schnaufte, wischte sich die Haare aus dem Gesicht und inspizierte das Loch, welches sie ausgehoben hatte. Noch ein paar Zentimeter, dann hatte sie endlich die Tiefe erreicht, die notwendig war. Als sie weitergrub, hörte sie ein metallisches Knirschen. Die Schaufel schien auf ein Hindernis getroffen zu sein. Ein größerer Stein?
Esther hob die lockere Erde heraus, um den Verursacher des Geräusches aus dem Weg zu räumen. Zum Vorschein kam allerdings kein Stein, wie sie erwartet hatte. Im ersten Moment dachte sie, es wäre ein kleiner Teller, eine Scheibe oder Platte. Sie bückte sich danach, aber als sie das runde Etwas, das völlig verdreckt war, in die Finger nahm, bröckelte die Mitte heraus, die lediglich aus feuchter Erde bestand.
Esther betrachtete den Ring in ihren Händen, dessen Gewicht sie überraschte. Sicher ein alter Eisenring, der wahrscheinlich schon halb verrostet war, vermutete sie. Doch als Esther ein bisschen von dem Schmutz abschabte, zuckte sie überrascht zusammen, denn gelblich glänzendes Metall blitzte hervor. Konnte das Gold sein?
Vor Aufregung klopfte mit einem Mal ihr Herz heftig und ihr Atem ging etwas schneller. Sie versuchte den Ring zu säubern, was mit den Gartenhandschuhen nicht besonders gut ging. Dennoch konnte sie erkennen, dass es ein Reif war, der einen Durchmesser von knapp zehn Zentimetern und die Höhe einer Fingerkuppe hatte. Ein eingraviertes Muster zierte das Fundstück. Was die Gravur darstellte, die um die ganze Außenseite des Ringes verlief, konnte sie nicht entziffern. Um ihn genauer untersuchen zu können, beschloss Esther gleich ins Haus zu gehen und ihn zu reinigen. Ihre Neugierde war mittlerweile riesengroß.
Sie hastete an das Waschbecken, blieb dabei aber an einem der Küchenstühle hängen, stolperte und schlug auf den Boden auf, wobei sie mit ihrem Kopf gegen den Kühlschrank krachte. »Autsch!«
Ein heftiger Schmerz durchfuhr sie und im ersten Moment sah sie nur Sterne vor ihren Augen tanzen. Leicht schwankend rappelte sie sich auf, den Ring immer noch fest in ihrer Hand. Selbst das dumpfe Wummern hinter ihrer schmerzenden Stirn und die aufsteigende Übelkeit konnten sie nicht von ihrem Vorhaben abhalten. Nachdem der Ring abgewaschen war, lag er sauber und glänzend in ihrer Hand.
Für Esther bestand kein Zweifel mehr: Er musste aus Gold sein. Kleine Sonnen waren in das Metall eingraviert. Ein Rand des Reifens war glatt, während der andere gleichmäßige Wellen aufwies. Es musste ein Schmuckstück sein, und zwar ein sehr altes, denn es sah wie von Hand gearbeitet aus.
Obwohl ihre Klamotten ganz verstaubt waren, setzte sich Esther sofort an den Computer, weil sie auf der Stelle in Erfahrung bringen wollte, ob sie wirklich einen altertümlichen Armreif gefunden hatte. Im Internet suchte sie nach Bildern von antiken Schmuckstücken, und tatsächlich fand sie bereits nach kurzer Zeit ein Foto von einem Ring, der fast genauso aussah wie ihr Fundstück. Als Esther das Foto anklickte, brachte es sie auf die Internetseite eines Museums. Dieser dort präsentierte Ring hatte jedoch kleine Monde als Muster, schien aber ansonsten ihrem Fundstück gleich zu sein.
»Goldener Armreif aus dem Jahre 1410«, las sie sich laut vor.
Großer Gott, hatte sie wirklich einen antiken Armreif in ihrem Garten gefunden?
Und obwohl Esthers Kopf immer noch höllisch wehtat, es ihr durch die aufkommende Übelkeit und den Schwindel stetig schlechter ging, lächelte sie ihren Armreif an. Sie konnte der in ihr aufwallenden übermächtigen Versuchung nicht widerstehen und streifte sich den Ring über die Hand. Kaum hatte sie dies getan, wurde es schwarz um sie herum und irgendetwas zog sie in ein tiefes schwarzes Nichts …
Ihr Kopf schmerzte noch immer, sogar noch stärker als zuvor. Die Sonne schien ihr warm aufs Gesicht. Die Sonne?! Wie …? Warum …? Sie war doch gerade noch in ihrem Haus gewesen.
Flatternd öffneten sich Esthers Lider. Gleißendes Licht blendete sie. Gleichzeitig nahm sie die warme, trockene Erde wahr, die sich unter ihren nackten Schultern kratzig anfühlte. Vorsichtig richtete sie sich auf.
Wo bin ich? Und vor allem, wie bin ich hierhergekommen?, fragte sie sich verblüfft und blinzelte in die Sonne.
Neugierig schaute sie sich um. Sie befand sich auf einem Acker. Seltsam. Keine Straße war zu sehen, nur ein Feldweg. Vereinzelt wuchsen Bäume und Sträucher. Weiter weg sah sie ein kleines Haus und hinter diesem einen Ort mit einem Kirchturm. Sanfte Hügel, die in der Ferne zu einem Gebirge anwuchsen, erhoben sich rechts davon. Auf einem der Hügel thronte eine Burg, die sehr gut erhalten aussah. Ein breiter Fluss bahnte sich von dort einen Weg am Ort vorbei. Irgendwie kam ihr das alles bekannt vor.
Esther versuchte zu schlucken, aber ihre Zunge klebte trocken am Gaumen.
Gerade eben war sie doch noch zu Hause gewesen und hatte im Internet nach diesem Armreif gesucht … Nachdem sie ihn angezogen hatte, war sie … Ja, was eigentlich? Ohnmächtig geworden?
Esther erinnerte sich, dass ihr schwarz vor Augen geworden war. Irgendetwas hatte an ihr gezogen, als befände sie sich in einem Strudel, dem sie sich nicht hatte widersetzen können, fiel ihr ein. Träumte sie das nur? Lag sie womöglich nur bewusstlos in ihrem Haus vor dem Computer?
Sie drückte ihre Fingernägel in die Handinnenfläche, um zu überprüfen, ob das alles nur ein Hirngespinst oder ein Traum war. Nein, sie spürte den Schmerz, und er fühlte sich verdammt echt an. Vielleicht, wenn sie die Lider noch einmal schließen und erneut aufmachen würde …
In der Hoffnung, sich gleich wieder in ihrem Wohnzimmer zu befinden, schloss Esther ihre Augen, atmete tief durch und wartete … wartete auf einen Sog, der sie mitreißen würde. Aber nichts geschah. Sie spürte es an den Sonnenstrahlen, die ihr Gesicht erhitzten und ihr zeigten, dass sie nach wie vor an dem unbekannten Ort war.
Hat es womöglich mit dem Armreif zu tun? Ist der daran schuld?
Bei diesem Gedanken öffnete sie sofort die Augen und griff sich ans Handgelenk, doch da war nichts. Kein Armreif! Aber sie hatte ihn doch übergestreift, das wusste sie genau. Wo war er? Hatte sie ihn verloren?
Voll Panik stand sie auf und sah sich auf dem Boden zu ihren Füßen um. Doch sie konnte ihn nirgends finden. Nun gut, wie gewonnen, so zerronnen.
Sich griff sich an den schmerzenden Kopf und fühlte ihre Beule. Ich sollte als Allererstes herausfinden, wo ich bin und wie ich wieder nach Hause komme, überlegte Esther. Alles andere wird sich dann von alleine ergeben.
Ein Rumpeln, das zunehmend lauter wurde, ließ Esther zum Weg blicken, der durch die Felder führte. Eine grobe Karre, von einem Ochsen gezogen, war die Ursache des Geräusches. Ein Mann in heller Leinenkleidung, der sie auf dem Acker bemerkt hatte, hielt an und stieg vom Karren herunter.
Ein Hardcore-Biobauer?! Eindeutig! Das bewies nicht nur der Ochsenkarren, sondern auch seine langen Haare und die nicht vorhandenen Schuhe. Alter Schwede, der muss schon einen harten Arbeitstag hinter sich haben!, dachte Esther. Der Schmutz klebte dem Typen nur so im Gesicht und er roch nicht gerade nach Rosen.
Misstrauisch beäugte der Mann Esther, die unter seinem Schweigen immer verlegener wurde. Seine Blicke krochen irgendwie gierig über ihre nackten Arme, und dennoch stand auch Ablehnung in seinem Gesicht geschrieben.
Trotz seines unangenehmen Gebarens blieb Esther nichts anderes übrig, als zu fragen: »Entschuldigen Sie, das hört sich vielleicht komisch an, aber … könnten Sie mir sagen, wo wir hier sind?«
»Ihr seid vor den Toren zu Briezbach.« Die Augen des Mannes verengten sich. »Ihr wisst nicht, wo Ihr Euch befindet?«
Esther wusste nicht so recht, was sie davon halten sollte. Entweder hatte der Typ einen gehörigen Schlag an der Waffel, weil er nicht nur komisch aussah, sondern ebenso seltsam sprach, oder er war unterwegs zu einer Mittelalter-Convention und war schon voll in seiner Rolle. Vielleicht war der Gute aber auch voll wie eine Haubitze, das konnte natürlich auch sein. Vorsorglich machte sie einen Schritt zurück.
Zumindest wusste sie jetzt, dass sie in der Nähe von Briezbach war, und das war gar nicht mal schlecht, denn dort war ihr Haus. Doch müsste hier nicht eigentlich eine Landstraße verlaufen? Was war nur los mit ihr? War ihr der Orientierungssinn abhandengekommen? Merkwürdig, irgendwie sah alles … anders aus. Oder befand sie sich nur an einer Stelle außerhalb Briezbachs, wo sie noch nie zuvor gewesen war? Andererseits …
»Erinnert Ihr Euch noch an Euren Namen, Weib?«, fuhr der Kerl sie an, was Esther aber fast nicht registrierte, so sehr war sie am Grübeln.
… aber dieser Hügel mit der Burg?
Esther schüttelte den Kopf, dann wurde es ihr erst heiß und dann kalt. Sie erinnerte sich: Bei Briezbach gab es einen Hügel, auf dem eine Ruine thronte. Eine Ruine, ja, aber doch keine gut erhaltene Burg!
Der Bauer wurde lauter: »Weib, wie ist Euer Name?«
Weib? Euer Name?Langsam sickerte die Erkenntnis durch Esthers Verstand. Kreidebleich starrte sie ihr Gegenüber an, nahm ihre Umgebung, die Erscheinung des Bauern und seine eigentümliche Wortwahl wahr. Dann kam ihr ein lächerlicher Verdacht.
»Weib«, hatte er sie angesprochen. So sprach man doch nicht mehr in der heutigen Zeit. War sie etwa nicht mehr in der … Gegenwart?! So ein Unsinn! Unmöglich!
Noch einmal kam ihr der Gedanke, der Mann könnte ein Teilnehmer eines mittelalterlichen Marktes sein. So etwas hatte es zwar in Briezbach noch nicht gegeben, aber in der nächstgrößeren Stadt … Es war nicht auszuschließen, dass dort heute ein Markt stattfand. Allerdings waren auf seinem Karren keine Waren, die er verkaufen konnte. Ebenso war es eher unwahrscheinlich, dass ein Schausteller mit einem Ochsenkarren anreiste.
Esther kam erst wieder zu sich, als der Bauer, dem es wohl seltsam vorkam, dass diese in Gedanken versunkene Frau ihm keine Antwort gab, ihre Oberarme fest umfasste und sie schüttelte.
Erschrocken riss sie sich los und fuhr ihn an: »Ja doch, ich weiß, wie ich heiße! Esther … Esther ist mein Name.«
Und auch auf die Gefahr hin, dass der Typ sie jetzt für total durchgeknallt hielt, ließ sich die nächste Frage beim besten Willen nicht vermeiden. Sie konnte ja selbst kaum glauben, dass sie diese Frage stellte.
»Welches Jahr haben wir?«
Wie sie erwartet hatte, sah der Bauer sie noch seltsamer an. Zögernd wich er drei Schritte vor Esther zurück, denn nun schien sie ihm unheimlich zu werden.
»Wir sind im Jahre 1410 des Herrn. Woher kommt Ihr, wenn Ihr nicht mal wisst, welches Jahr wir zählen?«
Ein eiskalter Schauer überfiel Esther und ihr Kopf brummte noch mehr als zuvor. 1410! Also entweder der Typ verarschte sie oder … Nein, das konnte nicht sein! So etwas gab es doch nicht.
Unwillkürlich sah sie sich nochmals um.
Briezbach war zwar kein großer Ort, gerade mal viertausend Einwohner, aber es gab Handwerksbetriebe und einige größere Industrieunternehmen in einem Gewerbegebiet. Aber hier war nichts davon zu sehen, nicht mal ein einziger Strommast war auszumachen. Kein Lärm war zu hören und es lag eine gespenstische Stille über der Landschaft. Kein Geräusch, das auf ein Auto oder etwas Ähnliches hinwies, drang an ihr Ohr. Kein einziger Kondensstreifen war am blauen Himmel auszumachen, der auf Flugzeuge schließen ließ. Alles war so anders, als sie es kannte.
Okay, ganz ruhig, keine Panik! Esther versuchte sich mit diesen Worten zu beruhigen. Wenn sie hier unbeschadet rauskommen wollte, ob Verarsche oder nicht, musste sie dieses kranke Spiel mitspielen. Ob sie wollte oder nicht, sie hatte keine Wahl. Sie sollte in den Ort gehen und sich Gewissheit verschaffen, dass der Mann vor ihr bloß irgendein Scherzbold war, der Freude daran hatte, sie zu verwirren. Allerdings musste sie sich eingestehen, dass die fehlende Infrastruktur und die veränderte Landschaft dafür sprachen, dass er die Wahrheit sagte.
Aus purem Selbstschutz verdrängte Esther die Hysterie, die sie zu überwältigen drohte, und antworte dem Mann: »Ich … ich glaube, ich habe mir den Kopf gestoßen und weiß nun nicht mehr alles.«
Ja, das war gut, so könnte sie immer wieder auf diese Ausrede zurückgreifen. So lange, bis sie wieder … zurück in ihrer Gegenwart war. O Gott, sie konnte selbst nicht glauben, was sie da dachte.
Wenn sie wirklich im Jahr 1410 war, wie kam sie dann zurück?
Der Armreif!
»Goldener Armreif aus dem Jahre 1410«, hatte sie auf der Website des Museums gelesen.
Wenn sie nun wirklich im Jahr 1410 war, dann musste dieses goldene Ding, das sie in ihrem heimischen Garten gefunden hatte, eine … Zeitreisemaschine sein. Und dann konnte auch nur dieser Reif sie wieder zurückbringen, oder?
»Könnt Ihr mir wohl behilflich sein? Ich habe einen goldenen Armreif verloren, er muss hier irgendwo liegen.«
Wieder begann Esther den Boden abzusuchen.
Der Bauer schaute sich ebenfalls um, sah aber nirgendwo einen Goldarmreif. Schade, denn das hätte bestimmt die Belohnung erhöht, die er für dieses seltsame Weibsbild einkassieren würde. Es musste eine Irre sein, so, wie sie herumlief: in Männerbeinkleidern und einer Art Unterwäsche, die ihren halb nackten Oberkörper nur knapp bedeckte. Keine ehrbare Frau würde so etwas tun.
Solche Kleider hatte er auch noch nie zuvor gesehen. Sie waren nicht schwarz, weiß oder braun, wie es nun mal bei armen Leuten wie ihm üblich war, sondern ihre Hosen waren blau und ihr Hemd gelb. Alles saß sehr eng. Der Bauer war überzeugt, diese Frau war entweder eine Irre oder eine Hure, aber so, wie sie aussah, musste sie einen reichen Verehrer haben. Denn nur reiche Leute konnten sich teuer gefärbte Stoffe leisten und enge Kleider tragen. Nur die Oberen, die keine Arbeit zu verrichten hatten und somit keine weite und bequeme Kleidung brauchten, trugen sie so nah am Körper anliegend.
Das Weib war schön, hatte lange Locken, die in der Sonne wie Engelshaar glänzten. Sicher gehörte sie zu den Frauen im Badehaus. Bestimmt würde er eine Belohnung bekommen, wenn er sie zurückbrachte. Und allem Anschein nach war sie nicht nur eine Hure, sondern auch eine Diebin, die auf der Flucht war. Woher sollte sie auch einen Goldarmreif haben? Kein Mann würde einer Hure freiwillig ein solch kostbares Geschenk machen. Er sollte sie auf jeden Fall zurück in die Stadt bringen. Ja, der Herzog würde sich bestimmt erkenntlich zeigen, wenn er ihm dieses entflohene Vögelchen zurückbrachte, denn ihm gehörte das Badehaus. Und wie man sich in der Stadt erzählte, war er dort oft zu Besuch und legte Wert darauf, dass die Weiber dort gut behandelt wurden.
Der Bauer wollte keine Gewalt anwenden, deswegen griff er auf eine List zurück.
»Ihr solltet wegen Eurer Verletzung lieber zu einem Bader gehen. Kommt, ich bringe Euch am besten in die Stadt.«
Esther, die immer noch den Blick auf den Boden gerichtet hielt und die Erde absuchte, überlegte, dass ein Bader wohl so etwas wie ein Arzt sein musste – warum sollte er sich sonst ihre Verletzung anschauen? Verzweiflung ergriff sie, denn der Armreif war wie vom Erdboden verschluckt.
Sie musste einen anderen Weg finden, um aus dieser Geschichte, diesem Albtraum, was immer es auch war, wieder herauszukommen. Wenn sie hier auf dem Acker blieb, würde sie das sicher nicht weiter voranbringen. In die Stadt zu gehen, war im Grunde genau das, was sie auch wollte. Abgesehen davon hatte sie Durst und ihre Kopfschmerzen wurden immer stärker.
Esther folgte dem Mann und setzte sich zu ihm auf den Karren. Dass eine Fahrt so ungemütlich sein konnte, wäre Esther nie in den Sinn gekommen. Jeder Stein, jede Kuhle auf dem Weg wurde durch die Holzräder und die harte Sitzbank verstärkt. Ihre Zähne schlugen klappernd aufeinander, ihr Körper wurde durchgeschüttelt und ihr Allerwertester war bestimmt mit blauen Flecken übersät, so oft, wie sie abhob und abermals darauf landete.
In schnellem Galopp kamen mehrere Reiter auf sie zu, und nun gab es für Esther keinen Zweifel mehr: Hier trieb niemand mit ihr einen Scherz.
Diese Männer auf den Pferden waren viel zu authentisch gekleidet, als dass sie ein Theaterfundus ausgestattet hätte. Ihre Kleider waren aus Samt in kräftigen Farben, verziert mit hauchdünnen Spitzen und Borten. Die Federn an den Hüten, die Ketten und die Fingerringe, sogar die Sättel und das Zaumzeug der Pferde waren viel zu sehr auf Schönheit getrimmt, viel zu perfekt. Kein Faschingskostümverleih würde sich solche Mühe geben.
Aber was Esthers Herz außer Takt geraten ließ, waren die Männer selbst, die ihre Pferde nun zum Stehen brachten. Alle schienen in ihrem Alter zu sein. Groß, athletisch und mit langen Schwertern ausgerüstet saßen sie auf riesigen Pferden und verbreiteten eine Aura von Macht und Arroganz.
Es sind mit Sicherheit Adlige, dachte Esther.
Der vorderste Reiter, der wohl ihr Anführer war, bedachte sie mit einem schneidend kalten Blick und fuhr den Bauern neben ihr harsch an: »Was macht dieses Frauenzimmer bei dir? Du weißt doch, dass du dich strafbar machst? Und wieso trägt dieses Weib Männerhosen?«
Strafbar? Wieso das denn? Was für Probleme hatte denn der feine Pinkel? Und wieso wusste der Bauer, was Sache war, dass er so schleimig unterwürfig antwortete?
»Eure Hoheit, ich fand sie auf dem Felde. Es scheint, als habe sie sich den Kopf gestoßen, denn sie weiß weder, wo sie ist, noch, welches Jahr wir zählen. Ich wollte sie zu Eurem Bader bringen, damit er sie in Augenschein nimmt. Bei Jesu Blut, ich schwöre Euch, ich hab sonst nichts mit ihr zu schaffen.«
Die schwarzen Augen des Adligen glitten unverhohlen über Esthers Körper, was ihr das Blut in die Wangen trieb. Noch nie zuvor hatte ein Mann sie auf diese Weise abschätzend gemustert. Sie kam sich wie ein zum Verkauf stehendes Pferd vor. Sie erwartete beinahe, dass er jeden Moment noch ihr Gebiss begutachten wollte.
Esther bemühte sich Ruhe zu bewahren, denn dieser langmähnige Kerl, dessen Haare wie die blauschwarzen Federn eines Raben glänzten, schien ein Graf oder so etwas zu sein. Und das bedeutete wohl, dass er hier das Sagen hatte.
Er war ein gut aussehender Mann trotz oder gerade wegen dieser Narbe, die knapp unterhalb seines Auges quer über seine rechte obere Wangenhälfte verlief. Seine gerade Nase gefiel ihr, auch wenn die leicht geblähten Nasenflügel ihm einen Ausdruck von angestauter Wut verliehen. Ihr Blick fiel auf seinen Mund mit perfekten Lippen – wie sie sich sofort eingestehen musste –, nicht zu voll, nicht zu schmal. Und mit einer Haut, die sie gleich an einen Sahnekaramell erinnerte, war er für Esther definitiv der heißeste Anwärter auf den Titel des ‚Sexiest Man Alive'.
»Nun gut, ich werde dir glauben. Aber ich werde sie selbst zum Bader bringen und du gehst brav heim zu deinem Eheweib.«
Dieser Satz musste der absolute Brüller unter den Witzen sein, denn seine Gefolgsleute kippten vor Lachen fast vom Pferd.
Der Bauer war froh, mit einer Ermahnung davongekommen zu sein. »Danke, Eure Hoheit. Ach, sie hat übrigens was von einem goldenen Armreif erzählt, den sie verloren hätte. Vielleicht solltet Ihr sie noch nach anderen Wertgegenständen durchsuchen.«
Esther glaubte sich verhört zu haben, bis sie das anzügliche Lächeln des schwarzhaarigen Adligen sah.
»Auf keinen Fall werde ich mich durchsuchen lassen. Ihr seid doch nicht ganz bei Trost!«, schrie sie entrüstet, aber keiner der Männer schenkte ihren Worten Beachtung.
Die dunklen Augen des Herzogs ruhten aber weiter auf ihr und sein »Ja, das sollte ich wirklich« führte zu neuen Heiterkeitsausbrüchen der übrigen Reiter und ließ sogar den Bauern dämlich grinsen.
»Nun komm, Weib, ich bringe dich ins Badehaus!«, bestimmte Herzog Nickolas in herrischem Ton.
Esther schaute unschlüssig zu ihm hin. Verdammt, was sollte sie nur tun? Musste sie nicht an diesem Ort bleiben, um wieder von hier wegzukommen? Angst und Aufregung überfielen sie in gleichem Maße. Ihr Herz pochte so wild, dass sie es im Hals spüren konnte. Das … das passierte doch jetzt nicht wirklich, oder? Sie sollte mit dem Kerl mit?
»Hört auf das, was der Herzog Euch befiehlt.« Der Bauer nickte ihr aufmunternd zu.
Ehe sie sich versah, packte sie der Herzog um die Taille und platzierte sie seitlich sitzend vor sich auf dem Pferd. Esther wusste nicht, wie ihr geschah. Die ganze unglaubliche Situation, die eigentlich gar nicht stattfinden konnte, überforderte sie. Und zwar so, dass sie nicht in der Lage war, sich auch nur kurz dagegen zu wehren.
»Edmund, gib dem Mann fünf Goldstücke für seine Mühe!«
Mit einer kleinen Kopfbewegung erteilte Herzog Nickolas einem seiner Gefolgsleute den Befehl, der dem glücklich lächelnden Bauern sogleich die Münzen gab.
***
Esther war noch nie auf einem Pferd geritten. Und weil sie nicht wusste, wo und wie sie sich festhalten sollte, so, wie sie jetzt saß mit beiden Beinen auf einer Seite des Pferdes, nahm sie das, was sich ihr bot, und das war nun mal der Hals des Herzogs. Das Pferd war verdammt groß und der Boden ewig weit unter ihr. Das Rumgeschaukele war zudem nicht gerade beruhigend, wenn man, wie sie, an Höhenangst litt. Zwar saß sie nun weicher als auf dem hölzernen Kutschbock, aber sie verkrampfte sich mit jedem Meter, den sie auf den Ort zuritten, immer mehr.
Sie zuckte etwas zusammen, als sie einen warmen Hauch an ihrem Ohr spürte.
»Beruhige dich, ich werde dich nicht vom Pferd fallen lassen! Abgesehen davon erwürgst du mich sonst noch.«
Erschrocken schaute Esther in sein Gesicht. Sie war ihm so nah, wie sie seit Langem keinem Mann gekommen war, und schon gar nicht einem so gut aussehenden. Sie hatte nicht bemerkt, wie fest sie sich in ihrer Angst an den Herzog geklammert hatte. Ihre Arme waren um seinen Nacken geschlungen und ihr Körper an seinen gepresst. Ungläubig starrte sie in seine dunklen Augen, die von langen Wimpern dicht umsäumt waren.
»Ich … ich heiße Esther, und ich bin noch … nie auf einem Pferd geritten«, stammelte sie ängstlich. Dieser hohe Puls, den sie spürte, rührte nur von ihrer Höhenangst her, ganz sicher. Oder? Sie schluckte.
Vorsichtig strich der Herzog über ihren nackten Arm und lockerte so ihre verkrampfte Umklammerung.
»Du bist also noch nie geritten? Vertrau mir, dir wird nichts passieren, kleine Esther.« Zärtlich streichelte er jetzt ihren Rücken entlang und die Anspannung in ihren Muskeln ließ merklich nach.
»Ja, so ist es gut, kleine Esther.« Gelassen nahm er wieder die Zügel in die Hand.
Zwar war ihr Körper jetzt entspannter, doch ihre Atmung geriet irgendwie aus dem Takt. Obwohl sie einen Atemzug nach dem anderen tat, schien sie nicht genug Luft zu bekommen. Sie wollte es nicht, aber wie von selbst suchten ihre Augen den Weg zu seinem Mund. Der dunkle Herzog lächelte sie sinnlich an und zeigte ihr dabei herrliche weiße Zähne. Esthers Herz schien in diesem so surrealen Moment stillzustehen und ihre Augen fanden seine, die sie aufmerksam beobachteten.
***
Herzog Nickolas fühlte sich beschwingt. Ja, heute war eindeutig ein guter Tag. Der Tag hatte wie unzählige andere begonnen, mit einem eintönigen Frühstück, seinen morgendlichen Schwertübungen und dem Ausritt, bei dem er seine Ländereien kontrollierte. Nun hingegen schien er eine seltene Kostbarkeit gefunden zu haben.
Schon auf den ersten Blick hatte er gesehen, dass dieses Weib etwas Besonderes war. Nicht nur ihre Kleidung, die aus Hosen und einem Unterhemdchen bestand und die jede Kurve ihres Körpers deutlich zeigte, vielmehr ihre ganze Erscheinung war außergewöhnlich.
Ihre Haut hatte einen Schimmer wie die teuren Perlen, die die Kaufleute anboten. Das Haar erinnerte ihn an gesponnenes Sternenlicht. Ihre Brüste, die sich vor seinen Augen so erregend hoben und senkten, waren ihm wie süße Früchte, voll und reif. Sie roch nach Aromen, die ihm völlig unbekannt waren, und er zweifelte keinen Augenblick daran, dass sie einen goldenen Armreif besessen hatte, wie der Bauer erwähnt hatte. Denn jeder Mann, der genügend Reichtum besaß und Leben in seinen Lenden hatte, würde dieses Wesen mit Gold überschütten, um von seinem Liebreiz kosten zu dürfen. Ja, er würde sie in sein Badehaus bringen, und dort sollte sie ihm zur Verfügung stehen. Er wollte sie haben, denn sein Blut pulsierte unruhig durch seinen Körper.
***
Der Herzog und sein Gefolge erreichten die Stadt, die von einer hohen Mauer umgeben war. Esther spürte einen Knoten im Magen, als sie an die wenigen Überreste der alten Stadtmauer dachte, die sie aus ihrem Briezbach kannte. So, wie es hier aussah, war sie wirklich in der Vergangenheit gelandet, denn die Eindrücke waren zu real. Das, was sie hier sah, war eine massive, völlig intakte steinerne Mauer, die sicher nicht nur als Scherz oder für eine dieser Fernsehsendungen, bei denen ahnungslose Passanten hinters Licht geführt wurden, aus Pappmaschee erbaut worden war.
Nein, sie musste sich mit der unglaublichen, aber bitteren Wahrheit abfinden: Sie war durch die Zeit gereist und im tiefsten Mittelalter aufgeschlagen. Der Schock überrollte sie in diesem Moment mit ganzer Macht und machte sie zu einer willenlosen Hülle ihrer selbst, die alles tatenlos über sich ergehen ließ.
Als sie das Stadttor durchritten, erfasste Esther ein Ekelgefühl, wie sie es noch nie zuvor in ihrem Leben empfunden hatte. So viel Dreck und Unrat hatte sie noch nie gesehen. Der Gestank war bestialisch und es würgte sie immer wieder aufs Neue. Sie hätte sich gerne die Nase zugehalten, aber dann hätte sie den Hals des Herzogs loslassen müssen. Ihre Nase in seinem Wams zu verbergen, um dem Übel zu entkommen, traute sie sich nicht.
Die Straße, wenn man den Weg so nennen wollte, war ein stinkender Morast, der aus Essensresten, Küchenabfällen, Dreck und Exkrementen aller Art bestand. Hühner und Schweine liefen durch die Gassen und verrichteten überall ihre Notdurft. Aus einigen Fenster und Türen wurden Eimer ausgeleert, deren stinkender Inhalt sich ebenfalls auf den Weg ergoss.
Esther konnte nicht fassen, was sie hier sah. Das sollte Briezbach sein, welches letztes Jahr zum saubersten Ort seines Kreises gewählt worden war? So eine unglaubliche Schweinerei und die Leute liefen zum Teil auch noch barfuß darin herum. Die Gesichter schmutzig, schauten sie Esther unwillig an. Die meisten Frauen hatten Hauben auf, nur junge Frauen trugen ihr Haar offen oder zu Zöpfen gebunden. Die Kleidung der Bürger war fast immer grau oder schwarz, weit geschnitten und aus grobem Stoff.
Schließlich hielt der Herzog vor einem Haus, das größer als die umliegenden Wohnhäuser war. Drei steinerne Stufen führten zur Eingangstüre hinauf, die wesentlich sauberer war als die der anderen verwahrlosten Gebäude.
»Hier kannst du bleiben und man wird für dich sorgen. Komm, kleine Esther!«
Die Männer saßen ab, auch der Herzog, der Esther die Hände um die Taille legte, um ihr beim Absteigen zu helfen. Mit einem kräftigen Ruck beförderte er sie an seinen Körper und versank für einen Atemzug lang in ihren Augen. Nur diese eine Sekunde in seinen Armen und Esther vergaß fast, wo sie war. Verwirrt fragte sie sich, wieso sie dermaßen auf ihn reagierte. Schüchtern räusperte sie sich und löste sich von ihm. Dann tänzelte sie auf Zehenspitzen durch den Morast, um ihre hellen Turnschuhe nicht total zu verschmutzen, was ihre Begleiter mit amüsiertem Blick verfolgten.
Sie betraten das Haus und eine dicke Frau begrüßte den Herzog mit höfischem Knicks. »Eure Hoheit, Ihr sucht Gesellschaft?«
»Nein, Kriemhild. Ich bringe dir ein Juwel.« Damit schob Nickolas Esther vor sich.
Esther war allerdings mehr mit der Wahrnehmung ihrer Umgebung beschäftigt, als damit, sich die Frau anzuschauen, die sie aufmerksam musterte.
Das Haus roch nach Kräutern, der Dielenboden war sauber und mit Webteppichen ausgelegt, was Esther beruhigte. Denn als sie die Straße gesehen hatte, hatte sie befürchtet in einem verschmutzten Haus unterzukommen, in dem es vor Ungeziefer nur so wimmelte.
»Ist dieses Juwel nur für Euch bestimmt?«, hakte Kriemhild nach, was Esther jetzt doch komisch vorkam.
»Das wird sie selbst entscheiden. Gib mir einen Zimmerschlüssel, ich werde sie in ihre Kammer begleiten.«
Abermals lachten die Männer des Herzogs auf.
Witzig, dachte Esther mittlerweile knurrig, weil sie fühlte, dass hier irgendwas faul war.
Nickolas öffnete im ersten Stock ein spärlich eingerichtetes Zimmer und ließ Esther den Vortritt. Er schloss die Türe hinter sich und verfolgte amüsiert, wie die hübsche Frau den Raum und die wenigen Möbel vorsichtig begutachtete.
»Wie heißt Ihr eigentlich? Wie soll ich Euch nennen?«, fragte sie nach ihrer Inspektion.
»Nickolas von Gerwulf. Und ich habe ein Anrecht auf den Titel Herzog, Hoheit oder Durchlaucht«, stellte er sich ihr vor.
Esther wartete auf ein Grinsen, welches seinen Scherz, für den sie seine Worte hielt, bekräftigte, doch das blieb aus. Er meinte es also tatsächlich ernst, dass sie ihn jedes Mal mit einem Titel ansprechen musste.
»Herzog?«, fragte sie baff.
»Ja, ganz richtig. Sag, wo kommst du her? Du trägst nur Unterkleidung, was sogar für dich als öffentliche Frau ungewöhnlich ist. Du lässt dein Haar unbedeckt, was nur einer Jungfrau zusteht. Und dann sprichst du seltsam und weißt nicht, wo du bist und welches Jahr wir haben. Welchem Volke gehörst du an, Esther?«
Esther hatte ihm gespannt zugehört, wenngleich sie vieles nicht verstanden hatte.
»Wieso trage ich Unterkleidung?«, fragte sie verständnislos und schaute an sich herunter.
Pah, der war lustig. Wenn sie mit ihm so reden würde, wie sie es gewöhnlich tat, würde er sicher total ausflippen. Aber eins musste sie dem Kerl lassen: Er war süß. Wie er sie auf dem Pferd beruhigt hatte und wie er nun vor ihr stand, wirbelte er ihre Sinne ganz schön durcheinander.
»Nun, du trägst Hosen! Frauen tragen niemals Hosen. Und ein kleines Hemdchen, das alles entblößt. Das Oberkleid fehlt. Oder kleiden sich alle öffentlichen Frauen in deinem Land so?«
»Verratet Ihr mir, bitte, was Ihr mit … öffentlicher Frau meint?« Esthers Augen verengten sich. Sie vermutete die Antwort zu kennen, hoffte jedoch falschzuliegen.
»Frauen, die ihren Körper und Dienstleistungen anbieten.«
Er lächelte gewinnend und Esther blieb die Spucke weg, gleichzeitig spürte sie, wie Wut in ihr hochstieg.
»Ich bin keine Prostituierte, Mann!«, empörte sie sich.
»Wenn du keine Hure bist, warum ist dein Hemd dann gelb? Jedes Kind weiß, dass eine Hure sich mit dieser Farbe kenntlich machen muss. Und warum bist du dann mit in ein Badehaus gegangen? Wo doch allerorts bekannt ist, dass dort auch Huren Unterkünfte haben und ihre Dienstleistungen feilbieten.« Nickolas schaute sie verwundert an.
Esthers Mund öffnete und schloss sich gleich wieder. Was sollte sie sagen? Wenn sie erzählen würde, sie käme aus der Zukunft, würde er sie mit Bestimmtheit in eine Gummizelle sperren. Obwohl, gab es schon Gummi? Verflixt! Sie musste sich also schnell etwas einfallen lassen.
»Ich … ich komme aus … Mordor … Und mein Gebieter ist Sauron, dessen Lieblingsfarbe Gelb ist. Und die Unterwäsche, wie Ihr sie nennt, ist eine Art Uniform für die … die Angehörigen des Palastes.«
Verdammt und zugenäht, sie war noch nie besonders gut im Lügen gewesen. Warum war ihr jetzt nur der letzte Kinofilm eingefallen, den sie sich allein angeschaut hatte.
Nickolas kam auf sie zu und nahm eine ihrer Locken zwischen seine Finger. »Mordor, hm? Ich kenne dieses Land nicht. Es muss wohl recht klein sein und weit weg von unserem liegen?«
Esther nickte energisch und pflichtete ihm bei: »Ja, es ist geradezu winzig und ist furchtbar weit weg.«
Aber irgendwie schien das den Herzog nicht weiter zu interessieren, denn er rückte noch dichter an sie heran und fragte sie, als wäre es das Selbstverständlichste auf der Welt: »Du behauptest also, du wärst noch eine Jungfrau und hättest noch nie bei einem Mann gelegen?«
Mein lieber …, der war ja überhaupt nicht neugierig. Jetzt aber vorsichtig. Ganz vorsichtig, ermahnte sich Esther. Sie musste wirklich aufpassen, dass sie sich nicht mit ihrem Gerede unglücklich machte.
Sie trat einen Schritt zurück, sodass die Haarsträhne seinen Fingern entglitt. Jetzt konnte sie auch wieder etwas freier atmen, denn der Kerl verursachte ihr wirklich Atemnot. Am liebsten hätte sie dem Herzog gesagt, dass ihr Sexleben ihn einen feuchten Kehricht angehe. Aber um ihn nicht wütend zu machen, was sich als Nachteil für sie erweisen könnte, zwang sie sich ihn in ruhigem Ton in die Schranken zu weisen.
»Ich behaupte gar nichts, … Durchlaucht. Aber eine Hure bin ich sicher nicht!«, erwiderte sie kühl und schaffte es, dass sein Titel wie ein Schimpfwort klang.
Nickolas' Gesicht verfinsterte sich. »Ihr seid verheiratet?«
Esther überlegte fieberhaft. Wenn sie zustimmte, würde er sie sicher zu ihrem Ehemann bringen wollen. Würde sie aber sagen, sie wäre noch ledig, würde er sich womöglich als ihr Vormund ausgeben können. Irgendwo hatte sie mal gelesen, dass volljährige Witwen es damals am besten hatten, weil kein Mann über sie bestimmen konnte. Hoffentlich lag sie damit nicht falsch.
»Nicht mehr, Herzog, ich bin Witwe, aber keine Hure«, sagte sie deshalb mit allem Nachdruck. Sie wollte nur noch mal auf Nummer sicher gehen, aber aus irgendeinem Grund hatte diese Antwort den Herzog zufriedengestellt, denn sein Gesicht klärte sich.
»Gut! Und wie willst du deinen Unterhalt bestreiten? Hast du Besitztümer wie Gold oder Ländereien? Oder hast du …«, dabei schmunzelte er anzüglich, »… besondere Talente oder … Vorzüge, die du anbieten kannst?«
Esther schluckte. Himmel, Arsch und Wolkenbruch, jetzt war sie in der Zwickmühle. Der Kerl war kein Trottel und sie keine Idiotin, daher verstand sie sofort, auf was er hinauswollte.
»Nun, Weib?«
Er bedrängte sie sowohl mit Worten als auch mit Körpereinsatz. Nickolas kam näher und näher, bis Esther die Wand hart in ihrem Rücken spürte. Esther konnte nicht mehr klar denken, völlig konfus machte er sie. Ihr Herz raste und heiße Schauer rannen über ihren Rücken. Was wollte er noch mal wissen?
Dann beugte er sich langsam vor und küsste Esthers Mund. Überrascht und ohne Widerstand zu leisten, bot sie ihm ihre Lippen dar, die er genießerisch liebkoste. Er saugte mit weichen Lippen, biss zärtlich mit seinen Zähnen und leckte begehrlich mit seiner Zunge. Auf diese Art war Esther noch nie geküsst worden, oder vielmehr hatte es sich noch nie so angefühlt. Wirbel aus süßer Lust sprudelten in ihr hoch und zogen sie mit sich.
Der Kerl sah nicht nur wie ein Adonis aus, er küsste auch wie ein junger Gott. Er schmeckte nach Honig und Wein und roch nach Leder und frischer Seife. Himmel noch mal, der Mann war purer Sex.
Schwer atmend drückte Esther den Herzog von sich, was er ihr nur bis zu einem gewissen Punkt erlaubte. Sie sah es in seinen von Leidenschaft verhangenen Augen und fühlte es an seinen angespannten Brustmuskeln. Er gewährte ihr diese Unterbrechung nur, weil er auch damit einverstanden war. Sie wusste in diesem Augenblick genau, dass er sich, wenn er nur gewollt hätte, alles hätte nehmen können, und sie würde es ihm geben und dabei noch ein Halleluja singen.
»Du schuldest mir noch eine Antwort, kleine Esther«, sagte Nickolas heiser, drehte sich um und ließ sie mit galoppierendem Herzen alleine in diesem fremden Zimmer stehen.
Noch nie war ihm ein Verzicht so schwergefallen. Wie gerne hätte er ihre Dienste in Anspruch genommen, sich ihres zierlichen Körpers bedient und seiner Begierde freien Lauf gelassen. Er war überzeugt, dass sie ihn nicht aufgehalten hätte. Ihr bebender Busen, diese wollüstigen Lippen und ihre Augen, die wie silberne Seen glänzten, hatten ihm mehr als tausend Worte verraten.
Sie ergriff jetzt schon Macht über ihn, und das konnte er auf keinen Fall zulassen. Keine Frau würde ihn, Herzog Nickolas von Gerwulf zu Briezbach, je seiner Kontrolle berauben, ob über Verstand, Körper oder Ländereien. Niemals würde er es so weit kommen lassen. Liebe war etwas für Narren.
Er hatte es an seinem Vater gesehen, der seine Frau so sehr geliebt hatte, dass er nach ihrem Tod nicht mehr er selbst war. Der Herzog hatte nicht nur sich selbst völlig vernachlässigt, sondern ebenso seine Ländereien und sogar seine beiden Söhne, denen er nach dem Tod der Mutter weder Trost noch Zuspruch spendete. Nach der Beerdigung hatte sein Vater sich wochenlang auf Schloss Gerwulf in seinem Schlafzimmer eingeschlossen und dies lediglich wankend verlassen, um sich eine weitere Flasche Wein aus dem Keller zu holen. Der einst so liebevolle Familienvater war nicht wiederzuerkennen gewesen.
Wäre Nickolas' Tante, Baronin Gunigunde, nicht gewesen, die, so gut es eben ging, nach ihrem Wissen die Verwaltung des Herzogtums im Stillen übernommen hatte, wäre von den Besitztümern und dem Reichtum der Gerwulfs wohl nicht mehr viel übrig geblieben. Als sein Vater im darauffolgenden Jahr an einem unbehandelten Schnitt gestorben war, musste Nickolas die Versäumnisse seines Vaters aufarbeiten. Es hatte über ein Jahr gebraucht, bis alle Einnahmen der Güter wieder in geordnetem und gewinnbringendem Zustand gewesen waren, denn einige der Verwalter der Städte und Burgen hatten die Unachtsamkeit seines Vaters zu ihrem eigenen Vorteil ausgenutzt.
Nein, niemals würde er sich selbst, seinen Titel und die damit verbundenen Aufgaben wegen einer Frau hintanstellen.
Die kleine Esther war eine Hure, auch wenn sie es abstritt. Wenn sie sich das nächste Mal sehen würden, würde sie es zugeben und sich ihm anbieten. Davon war Nickolas fest überzeugt.
***
»Na, Herzog? Habt Ihr das Fohlen zugeritten?«
Edmund lachte. Er war einer der wenigen Männer, der diese Frage stellen durfte. Nickolas und er waren zusammen aufgewachsen. Nickolas, der Sohn des Herzogs, und Edmund als Sohn eines Ritters, der bei Nickolas' Vater im Dienste war, hatten beide die gleiche militärische Ausbildung genossen und die Ritterwürde erlangt. Nickolas war allerdings noch zusätzlich in Politik, Naturwissenschaften und Sprachen unterrichtet worden, um auf die Herrscherrolle vorbereitet zu sein. Sie waren mehr Freunde als Gefährten. Oft hatten sie Rücken an Rücken auf dem Schlachtfeld gestanden.
Diese seltsame Frau gefiel Nickolas, und das freute Edmund, denn sein Freund schien ihm in der letzten Zeit etwas trübsinnig zu werden. Als der alte Herzog noch gelebt hatte, waren sie viel für den König unterwegs gewesen. Hatten Schlachten geschlagen, ausweglose Verhandlungen beendet und gefährliche Aufträge ausgeführt, die kein anderer sich zugetraut hatte. Ja, es war ein aufregendes Leben gewesen. Doch dann war der Herzog an einer Blutvergiftung gestorben. Ein Jahr zuvor war Nickolas' Mutter bereits an der Pest zugrunde gegangen.
Und der junge Nickolas hatte mit vierundzwanzig Jahren das Erbe des Herzogtums Gerwulf angetreten, zu dem unzählige andere Güter gehörten, wie auch die Burg zu Briezbach, samt Stadt und Ländereien, die an dem namensgebenden Fluss Briez lag. Von einem Tag auf den anderen musste der junge Ritter sesshaft werden und die Verantwortung eines Herzogs übernehmen. Nickolas besaß mehrere Burgen und hätte auch auf dem Schloss der Familie Gerwulf wohnen können, doch das tat er nicht, aus welchen Gründen auch immer. Er hatte es ihm nicht gesagt und Edmund würde nicht danach fragen. Egal, wo Nickolas hingehen sollte, er würde ihm folgen.
Noch nie hatte er nur eine Klage von Nickolas über sein Schicksal gehört, und doch hatte er gespürt, dass sein Freund nicht wirklich glücklich war. Aber heute, als sie diese Fremde getroffen hatten – hatte Edmund zum ersten Mal seit Langem wieder einen Funken des jungen unbezähmbaren Nickolas' in dessen Augen aufleuchten sehen. Das gefiel ihm. So komisch es auch klingen mochte, aber diese Fremde schien zu Nickolas zu passen.
Bei diesem Gedanken musste Edmund erneut grinsen. Wie sie voll Abscheu den Dreck und den Unrat in der Stadt betrachtet hatte, wie sie auf Zehenspitzen in ihrem merkwürdigen Schuhwerk über die Straße gehüpft war. Sie selbst schien ihm der reinste Mensch zu sein, den er je gesehen hatte: So weiß, wie ihre Zähne waren, so frisch und sauber, wie ihr Haar zusammengebunden umherschwang – sie sah aus, als würde sie sich womöglich mehrmals am Tage waschen. Bei Gott, wahrscheinlich benutzte sie auch so eine winzige Bürste wie Nickolas, der sich damit seine Zähne abbürstete, und das täglich.
Keine Frage, Nickolas war in Sachen Sauberkeit fanatisch, nahezu zwanghaft. Jeden Morgen und nach jedem Abortgang wusch Nickolas sich. Er sagte stets, er hasse Schmutz und Dreck. Auch die matschigen, stinkenden Straßen der Stadt verabscheute der Herzog. Er hatte sogar ein eigenes Badehaus in der Stadt, das er immer wieder auf Sauberkeit kontrollierte. Kriemhild hatte die ausdrückliche Anweisung, nach jedem Gast die benutzten Badezuber zu schrubben und jedes Mal aufs Neue mit frischem Wasser zu füllen. Die Räume mussten jeden Tag gefegt und gewischt werden, was in anderen Badehäusern ganz und gar nicht üblich war.
Aber Nickolas glaubte, man könnte sonst krank werden, wenn man sich nicht daran halten würde. Wobei er selbst dort gar nicht badete, sondern nur auf der Burg, wo er einen eigenen Badezuber hatte, der nur ihm vorbehalten war. Ja, in dieser Beziehung schienen Nickolas und die Frau wunderbar zusammenzupassen.
Der Herzog grinste amüsiert. »Nein, das Fohlen hält sich noch für ein Zicklein. Es wird wohl ein paar Tage brauchen, bis es begreift, dass es geritten werden will.«
Lauthals lachend trabten die Ritter in Richtung Burg davon.
***
Was sollte denn das, bitte schön? Erst machte er sie an, küsste sie, dass ihr fast die Sicherungen rausgesprungen wären – und dann verschwand der Kerl einfach.
Schwer atmend stieß sich Esther von der Wand ab, schaute aus dem Fenster und sah in die Straßen von Briezbach hinunter, das nicht ihr Briezbach war. Frustration und Angst gesellten sich zu einem Wirrwarr an Gefühlen. Erst jetzt, wo sie allein war in dieser fremden Umgebung, dieser anderen Zeit, erfasste sie das volle Ausmaß dessen, was wohl offensichtlich mit ihr geschehen war.
Sie war – wie auch immer – im 15. Jahrhundert gelandet. 1410 – unglaublich.
Wo und wie war sie in diese Zeit gekommen, von der sie absolut keinen Schimmer hatte? Geschichte war nicht eines ihrer Lieblingsfächer gewesen in der Schule. Und wie sollte sie zurück in ihre Zeit kommen? Und sie musste zurück, so schnell wie möglich.
Ihr schönes Café, das ihr so viel bedeutete, würde sicher den Bach runtergehen, wenn sie nicht demnächst heimkehrte. Ohne Einnahmen wären die nächsten Raten des Kredites für den Umbau nicht gedeckt. Ruckzuck würde sich die Bank das Café unter den Nagel reißen. Abgesehen davon würde ihre Mutter in den nächsten Tagen durchdrehen, wenn sie das Telefon nicht abnahm. Ihre Mutter würde ihrem Vater so lange in den Ohren liegen, bis er die sechsstündige Fahrt nach Briezbach antreten würde, um zu überprüfen, was mit Esther los war.
Sie blickte sich in dem kleinen Zimmerchen um und setzte sich auf das Bett.
Nein, sie durfte nicht gleich völlig schwarzsehen. Vielleicht erledigte sich das alles von selbst, sie musste nur wieder in ihre Zeit zurückgelangen. Aber wie? Wie sollte sie das anstellen? Und in was für einem Haus war sie jetzt überhaupt gelandet?
Wenn sie den Herzog richtig verstanden hatte, hatte er sie in einem Bordell abgeladen, nur nannte er es Badehaus. Und sie hatte gedacht, sie könnte sich hier waschen, dabei sollte sie mit ihm … Nie und nimmer würde sie sich so etwas gefallen lassen. Sie würde gehen. Auf der Stelle!
Wutentbrannt stapfte Esther mit energischen Schritten die Treppe hinunter. Keine Sekunde länger wollte sie in dem Haus bleiben. Gerade, als sie zur Haustüre wollte, öffnete sich eine der vielen Zimmertüren und Kriemhild, die Wirtin, trat heraus.
»Wo willst du denn hin, Schätzchen?«
»Ich … ich verlasse das Haus, weil … ich bin keine dieser Frauen!«, stammelte Esther voller Furcht. Denn sie hatte Bedenken, dass diese Frau, die sie nicht kannte, sie nicht gehen lassen würde.
»Du bist keine Hure? Und du bist dir sicher, dass du in diesem Aufzug auf die Straße willst?«
Shit! Daran hatte sie nicht mehr gedacht. Dieser verdammte Herzog hatte von der besonderen Bedeutung der Farbe Gelb und vor allem von Unterwäsche oder Unterkleidung gefaselt, die sie trüge, was anscheinend der Wahrheit entsprach. In dieser Zeit! Ja, jetzt ergaben auch diese ganzen eindeutigen Blicke einen Sinn, die sie von ziemlich allen Stadtbewohnern geerntet hatte.
»Komm, Täubchen, bleib lieber hier«, meinte Kriemhild, legte einen Arm um Esther und führte sie in einen Raum, in dem dicker Nebel und feuchtwarme Luft herrschten. Es war, als liefen sie durch eine heiße Dusche. Ein Feuer brannte in einem Kamin, über dem Feuer hing ein riesiger Kessel. Dann entdeckte Esther mehrere große hölzerne Badezuber, die an den Wänden entlang aufgereiht waren. In diesen saßen zwei oder mehrere nackte Personen.
Zuerst glaubte Esther völlig naiv, sie würden sich gegenseitig waschen, bis sie das Stöhnen und Ächzen wahrnahm. Dann erkannte sie, was da wirklich vor sich ging. Die Frauen wuschen und rubbelten die Körper der Männer, während diese die Mädchen betatschten oder sich selbst befriedigten. Ein Paar trieb es sogar in einem der Badezuber miteinander. Keiner störte sich an der Anwesenheit der anderen, viel mehr bereitete es ihnen offenbar Vergnügen, sich dabei gegenseitig zu beobachten.
Das darf doch nicht wahr sein, was hier abgeht, dachte Esther und machte einen Schritt rückwärts. Wie peinlich ist das denn?
Kriemhild aber flüsterte Esther beschwörend ins Ohr: »Der Herzog behandelt seine Badefrauen gut. Es wird dir hier an nichts fehlen. Essen, Bett und Kleidung stehen dir gegen einen geringen Obolus zur Verfügung. Sogar ein Arzt wird gerufen, wenn du krank bist.«
»Des Herzogs … Badefrauen?«, würgte Esther erschüttert hervor. Der Wahnsinnstyp war ein Zuhälter?! Das war eindeutig ein Albtraum.
»Ja, das Badehaus gehört dem Herzog.«
Kopfschüttelnd wiederholte Esther entsetzt immer die gleichen Worte. »Nein, nein, nein! Niemals werde ich … so was tun …«
Panisch drehte sie sich um und rannte, so schnell sie konnte, aus dem Haus.
Kriemhild sah ihr betroffen nach. »So ein dummes Ding, wäre sie bloß hiergeblieben.«
Kaum hatte Esther das Gebäude verlassen, schlug ihr mit voller Wucht der Gestank der Straße entgegen. Für einen kurzen Moment überlegte sie wieder zurück in dieses Badehaus zu gehen, das nach Kräutern und Seife roch. Doch dann dachte sie an die Szene, die sie gerade gesehen hatte.
Nein, wer weiß, was noch in diesem Hause vor sich ging. Sie würde wie die anderen Menschen auch diesen Geruch ertragen.
Die Frage war nur, wo sollte sie sich hinwenden? Wer konnte ihr helfen? Versuch dich zu beruhigen, Esther, und denke vernünftig nach, redete sie sich gut zu.
Helfen könnte ihr vielleicht ein Goldschmied, der solche Armreifen fertigte. Oder sie suchte nach einem Gelehrten, vielleicht einem Physiker, der sich mit Zeitreisen beschäftigte … In diesem Zeitalter nannte man solche Menschen wahrscheinlich Zauberer, fiel ihr dann ein. Nun, einen Goldschmied würde sie wohl leichter als einen Zauberer finden können.
Also machte Esther sich auf zum Marktplatz, denn dort vermutete sie die meisten Handwerker. Mit angewidertem Gesicht stapfte sie durch den fauligen Morast, der sich Straße nannte.
Der Marktplatz müsste nahe der Kirche sein, spekulierte die junge Frau. Doch die Häuser standen so nahe beieinander, dass Esther den Kirchturm nicht sehen konnte. Was sie aber sehr wohl bemerkte, waren die grimmigen Blicke und das leise Getuschel der anderen Bürger. Verdammt, und das alles nur wegen des gelben Tops!
Endlich fand sie den Platz, auf dem mehrere Händler an ihren Verkaufsständen ihre Waren feilboten. Stoffe, Körbe, Ton- und Lederwaren sowie alle möglichen Lebensmittel konnte man hier kaufen.
Sie schaute sich genauer um, wobei sie die Blicke der Leute ignorierte. Tatsächlich fand Esther einen Schmied. Nach seinen Auslagen zu urteilen, stellte er jedoch nur Waffen her. Dennoch hoffte sie, dass er ihr weiterhelfen konnte. Dieser Handwerker war womöglich ihre Rettung.
Der Schmied, ein riesiger Mann mit kräftigen Oberarmen, wendete gerade ein Stück Eisen im Feuer und legte es zum Beschlagen wieder auf den Amboss. Laut, um das Klirren des Hammers zu übertönen, sprach sie ihn an.
»Entschuldigt, ich bin hier fremd. Könnt Ihr mir sagen, ob es auch einen Goldschmied in der Stadt gibt?«
Der bärtige Schmied brummte unwillig. »Ein Goldschmied? Hier? Nein. Den gibt es nur auf der Burg. Aber was für ein Schmuckstück sucht Ihr denn?«
Seine Frage konnte nur bedeuten, dass er auch Schmuck herstellte, weswegen Esther ihn erfreut anstrahlte.
»Einen Goldarmreif mit kleinen Sonnen verziert, ein Rand gewellt und der andere glatt«, beschrieb sie ihm den Reif, der ihr dieses Pech beschert hatte.
»Und mit was wollt Ihr ihn bezahlen? Das Gold und meine Arbeit sind schließlich nicht umsonst.« Mit erhobenen Brauen musterte er sie und ihre für ihn sicher komisch aussehende Kleidung.
Verflixt! Natürlich, erst brauchte sie Geld. Und selbst wenn sie sich diesen Armreif von dem Schmied fertigen lassen würde, hieß es nicht, dass er über die gleichen Kräfte verfügen würde wie jener, den sie in ihrem Garten gefunden hatte.
»Wie viel würde mich dieser Armreif kosten?«
»Fünfzehn Goldstücke müssten reichen«, sagte der Mann und wandte sich ab.
»Okay.«
»Was?« Fragend blickte er sie an, weil er sie wohl nicht verstanden hatte.
»Äh, danke für Eure Auskunft.«
Grunzend konzentrierte sich der Schmied wieder auf seine Arbeit und beachtete sie nicht weiter.
Esther drehte sich um und dachte nach. Bevor sie irgendwie versuchte sich das notwendige Geld zu verdienen, sollte sie erst noch den Besuch bei einem Gelehrten in Betracht ziehen. Solche Leute fand man normalerweise an einer Universität. Aber gab es hier so etwas? Gehörte die Großzahl der Gebildeten früher nicht dem Stand des Klerus an? Hätte sie nur besser im Geschichtsunterricht aufgepasst. Aber einen Priester nach einer Zeitreise zu fragen … ob das besonders klug wäre? Hieß es nicht, die Bettler in einer Stadt wüssten immer alles? Zumindest behauptete dies eine Figur in einem Computerspiel, das sie ab und an zockte.
Frohen Mutes streifte Esther über den Platz auf der Suche nach Bettlern und fand auch welche. Arme, verwahrloste Menschen, denen zum Teil eine Hand oder ein Bein fehlte.
»Könnt Ihr mir sagen, wo ich einen Gelehrten finde? Einen Alchemisten, Astrologen oder Zauberer?«
Stummes Kopfschütteln war die Antwort und nach dem Wort »Zauberer« ergriffen die Befragten meist die Flucht.
Es begann zu dämmern und Esther, die seit dem Morgen nichts mehr getrunken und gegessen hatte, spürte, wie ihre Beine wacklig wurden. Ihr Kopf schmerzte wieder wie verrückt, ihre Kehle war ausgedörrt und vor Hunger tat ihr schon der Magen weh. Sie war müde und erschöpft. Allmählich wurde es kühler und Esther begann zu frieren. Mit zunehmender Dunkelheit leerten sich Straßen und nur noch wenige Bürger waren unterwegs.
Die junge Frau wusste nicht mehr weiter. Ohne Ziel stolperte Esther völlig entkräftet durch die dunklen, engen Gassen der Stadt. Bis ein paar warme Hände sie an den Armen festhielten.
»Na, Püppchen, suchst du jemanden?«
Esther erblickte drei Jungs, die ein paar Jahre jünger als sie sein mussten. Ihrer zerrissenen und schmutzigen Kleidung nach gehörten sie eher einer weniger vermögenden Schicht an als der Herzog und seine Ritter. Zu allem Übel hatten sie mehr Alkohol intus, als gut für sie war.
Nachdem sie ein Stück zurückgewichen war, sagte sie: »Ja, ich suche einen Alchemisten oder Zauberer.«
Derjenige, der sie angesprochen hatte, zog sie eng an sich. »Ich bin zwar kein Zauberer, Püppchen, aber ich zeig dir gerne meinen Zauberstab.«
Dieser Pimpf war einfach nur ekelig. Er stank nach Bier und Schweiß. Sein Haar war fettig und die wenigen Zähne, die er noch besaß, waren dunkel verfärbt. Angewidert schloss Esther die Augen und drehte den Kopf weg. Seine schmutzigen Hände griffen plötzlich fester zu, noch ehe Esther reagieren konnte. Dann ging alles sehr schnell. Zu schnell.
»Los, werft die Hure zu Boden und haltet sie fest!«
Eine Hand legte sich auf ihren Mund und ihre Nase, sodass Esther befürchtete zu ersticken. Weitere Hände zerrten gnadenlos an ihr, eine davon riss ihren Zopf so stark nach hinten, dass sie glaubte, ihr Genick würde brechen. Rücklings stolperte sie über ein Bein und wurde mit voller Wucht in den Dreck gestoßen.
Der Sturz raubte ihr sekundenlang den Atem, was zwei der jungen Männer ausnutzten, um sich auf Esthers Arme zu knien. Panische Angst brach in Esther aus, und obwohl es wehtat, versuchte sie ihre Arme unter ihnen herauszuziehen. Die spitzen Steine unter ihr kratzten ihre Haut auf wie auch die Nägel der Männer, die sie gefangen hielten. Ihr Bemühen war jedoch vergebens, sie hatte keine Chance.
Doch Esther gab nicht auf, sie wehrte sich weiter, wand ihren Körper wie eine Schlange, um den sadistischen Händen zu entkommen, die sie drangsalierten. Immer wieder schrie sie in die Hand, die ihr den Mund zuhielt. Notgedrungen überwand Esther ihren Ekel und biss kräftig in die Finger, die ihre Lippen zupressten. Der Junge zog sofort mit einem leisen Fluch seine Hand weg und Esther konnte endlich brüllen.
»Nein! Hilfe! Lasst mich los!«
Zeitgleich versuchte sie den Angreifer, der auf ihr saß und brutal ihre Brüste zerquetschte, mit den Beinen wegzutreten.
»Na warte, du Schlampe!«
Mit geballter Faust schlug er ihr mehrmals ins Gesicht. Der Schmerz explodierte in ihrem Kopf und die Kerle fingen nun ihre tretenden Beine ein, um auch diese niederzudrücken. Das Top wurde ihr entzweigerissen. Der Büstenhalter, den der Schläger nicht öffnen konnte, wurde grob zur Seite gezerrt, um ihre Brüste freizulegen, die immer wieder von vielen dreckigen Händen grausam gekniffen und geschlagen wurden.
Ihre Arme taten schrecklich weh, weil die zwei noch immer mit ihrem ganzen Gewicht darauf knieten. Als Esther erkannte, dass sie dabei waren, ihr die Jeans herunterzuziehen, und der Brutalste von ihnen sich selbst entkleidete, mobilisierte sie ihre letzte Kraft und schrie noch mal verzweifelt um Hilfe. Erneut schmetterten kraftvolle Hiebe auf sie ein, bei denen sie ein lautes Knacken ihres Nasenbeins vernahm. Durch den gleich einsetzenden Schmerz wurde sie fast besinnungslos und letztendlich außer Gefecht gesetzt. Sie glaubte, man hätte ihr die Nase ins Gehirn getreten, denn solche Schmerzen waren ihr noch nie widerfahren.
Und urplötzlich, als Esther eine Bewusstlosigkeit herbeisehnte und sich schon ihrem Schicksal ergeben hatte, ließen alle Hände von ihr ab. Mit ihren fast zugeschwollenen Augen erkannte sie das schöne, freundliche Gesicht des Herzogs, der so jung aussah.
»Nickolas?«, konnte Esther noch raunen und fiel darauf in eine gnädige Ohnmacht.
Diese arme Frau kannte also seinen älteren Bruder Nickolas. Alexander war es gewohnt, dass er immer wieder mit ihm verwechselt wurde. Er konnte es keinem verübeln, denn sie sahen sich wirklich sehr ähnlich.
Ihr Haar, ihre Augen und ihre Haut hatten den gleichen dunklen Farbton. Sogar ihre Gesichtszüge waren fast identisch, abgesehen von der feinen Narbe auf der Wange, die sein Bruder von einer Schlacht davongetragen hatte. Die wesentlichsten Unterschiede waren nur ihr Alter und Nickolas' Statur, die noch kräftiger als seine war, was sich im Laufe der Jahre aber hoffentlich ausgleichen würde, wenn er ebenso hart trainierte wie sein älterer Bruder.
Und wenn es stimmte, was die Mägde sagten, hatte er ein freundliches Funkeln in den Augen, wohingegen Nickolas ein gefährliches Blitzen darin hatte. Außerdem besaß er noch zwei Grübchen, welche die Damenwelt in Verzückung gerieten ließen, sobald er lächelte.