Zimzum. Zur Idee der Selbstverschränkung Gottes vor der Schöpfung - Dominic Lüthi - E-Book

Zimzum. Zur Idee der Selbstverschränkung Gottes vor der Schöpfung E-Book

Dominic Lüthi

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Beschreibung

Magisterarbeit aus dem Jahr 2006 im Fachbereich Theologie - Vergleichende Religionswissenschaft, Note: 1,3, Ludwig-Maximilians-Universität München, Sprache: Deutsch, Abstract: Der Autor beleuchtet in seinem Werk auf grundlegende Weise die jüdische Vorstellung von Z i m z u m - der geheimnisvollen Selbstverschränkung Gottes vor aller Schöpfung. Sowohl in ihrer inhaltlichen Gestalt, als auch ihrer historischen Verbreitung (Isaak Luria, Chajim Vital, Mose Cordovero, Reuchlin, von Rosenroth, Fludd, Böhme, van Helmont, Newton, Leibniz, Oetinger, Baader, Schelling, Hegel, Spinoza, Scholem etc.) versteht es der Autor, im Rückgriff auf die hebräischen bzw. aramäischen Urtexte, als auch einer Vielzahl von Spezialliteratur die grossen Linien einer faszinierenden Idee zu zeichnen, die nicht zuletzt einen grossen Einfluss auf die Europäische Religionsgeschichte genommen hat. - Eine gelungene und umfassende Darstellung ihres Gegenstandes, von Basilides (2. Jhd.) bis zur Popkultur unserer Tage.

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Inhaltsverzeichnis
Kapitel
1.1 Ursprung
1.1.1 Präfigurationen
1.1.2 Isaak Luria
1.2 Geschichte
1.3 Topographie
1.3.1 Zimzum
1.3.2 Schevirath ha-Kelim
1.3.3 Tikkun
1.4 Diskussion
2.1 Die Verbreitung der Lurianischen Kabbala
2.2 Sabbatianismus
2.3 Chassidismus
2.4 Spätere Entwicklungen

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EDITORISCHE VORBEMERKUNGEN

Die verwendeteLiteraturwird wie folgt zitiert:

•VERFASSER, Kurztitel, Seitennummer Zum Beispiel:SCHULTE, Zimzum, 123 f.

Die detaillierten Literaturangaben sind über Verfasser und Kurztitel dem Literaturverzeichnis zu entnehmen.

•DerRückverweis´ebd.´ bezieht sich immer auf die zuletzt genannte Quellenangabe. Dies gilt auch für die Fälle, in denen zwischen dem Verweis und der zurückliegenden Angabe mehrere Vergleiche auf andere Punkte der vorliegenden Arbeit oder ein Kapitelumbruch eingefügt sind. Zum Beispiel:2 SCHULTE, Zimzum, 45 3 vgl. S. 22 4 vgl. Pkt. 1.3.2 5 ebd. 67

Die Fußnote Nr. 5 bezieht sich auf die Quellenangabe von Fußnote Nr. 2.

•Auslassungenvom Zitierenden sind in den Zitaten durch vier Punkte kenntlich gemacht. Zum Beispiel:„Zimzum .... als Kosmogonie“.

•Ergänzungendes Zitierenden sind in den Zitaten folgendermaßen hervorgehoben:Zum Beispiel:

„Dieser ZimzumalsSchöpfungsvorstellung“.

•Wird einZitatdurch ein Satzzeichen abgeschlossen, so ist dieses in der Regel nicht mit in den Zitattext übernommen. Zum Beispiel:

„... und ist eine Schöpfungsvorstellung“19.

DieUmschrifthebräischer und aramäischer Begriffe folgt einer vereinfachten Transkription, wo Wörter nicht bereits in den deutschen Sprachgebrauch eingegangen sind.

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EINLEITUNG

Wisse, daß bevor die Emanationen emaniert und die geschaffenen Dinge geschaffen wurden, es ein einfaches höchstes Licht gab, das alles Vorfindliche erfüllte. Es gab aber keinen bloßen Ort, etwa im Sinne eines Vakuums oder eines Hohlraumes, sondern alles war von jenem einfachen Licht des Unendlichen [En Sof] erfüllt. Und es hatte weder so etwas wie einen Anfang noch ein Ende, vielmehr war alles ein einziges, einfaches, sich selbst gleiches Licht. Es wird Licht des Unendlichen [Or En Sof] genannt. .... Und siehe, da zog das Unendliche sich selbst zurück in den Mittelpunkt in sich, genau in die Mitte seines Lichts; dann zog es jenes Licht zusammen und entfernte sich auf die Seiten um den Mittelpunkt herum, so daß nun von dem Mittelpunkt ein bloßer Ort übrigblieb, ein Vakuum und Hohlraum.1

Die Frage nach demUrsprungwar dem Menschen immer auch eine zutiefst lebensnahe und existentielle; von erhebender Sehnsucht, wie leidvoll unerfüllter getragen, stellt sie sich der Suche nach einem rettenden Anker des Seins im offenkundig wirren Strudel bloßen Seienden. Wie NOVALIS zum Beispiel formulierte, suchten wir zwar überall das Unbedingte, fänden aber stets nur Dinge; und gewiß ist es so kein Zufall, wenn in nicht allein einer Sprache das dem deutschen ´Ursprung´ entsprechende Wort, wie auch dieses selbst, sinnfällige Mehrdeutigkeiten birgt.

Derἀρχήdes Griechen2oder demprincipium3des Lateiners analog, verweist der Begriff des Ursprungs4nämlich gemeinhin sowohl auf das Entstehen (Kosmogonie II), als des ersten Momentes eines Seienden, als eben auch auf einen transzendent hin angelegten Entstehungs-grund dessen - womit das Entstehen zumEntspringenwird, von einem jenseitigen Grund des Seins einer Sache her (Kosmogonie I). Diese jenseitige Ursache wird nicht als bloße systemimmanentecausa materialisoderefficiensverstanden, sondern - in dem Oszillieren des ´Ursprungs´ zwischen Immanenz und Transzendenz - vielmehr als jener sprichwörtlich ar-

1VITAL,Etz Chajim, 1.1b (alsoHechal A, Scha´ar A, Anaph B,S. 22)

2vgl. PRECHTL, Metzler Philosophie, 41 f.

3ebd., 467 f.

4ebd., 622 f.

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chimedische Punkt von außerhalb, von dem aus die Welt gewiß aus den Angeln zu heben sei, sprich: eines erkenntnistheoretischenfundamentum inconcussum,das nicht nur vom jeweiligen Standpunkt innerhalb des Systems abhängige, relative Antworten generierte, sondern letztgültige, absolute und damit existentielle. Und dessen Erkenntnis dem Suchenden nicht allein bloßer Lustgewinn des Wissens heisse, sondern ihn im tiefsten Verständnis solcherErkenntnisselbst zum Gegenstand tiefster Wandlung, ja, Befreiung machen sollte. Die Frage nach dem Ursprung - in ihrer Tendenz bereits eine religiöse - ist also gleichzeitig die Frage nach dem letztenWas?dieses Seienden, nach demWoher?undWohin?und damit auch nach demWarum?als dessen Rechtfertigung.

Indem sich ein solcher Gang des Fragens, gleich wie beim Spiel mit einer Kette, von Knotenpunkt zu Knotenpunkt dergestalt bewegt, daß er, um des jeweiligen Gewährspunktes außerhalb des Gefüges willen, nun System um System übersteigt - in immer größer werdenden Kreisen -, gelangt er zielsicher zum größtmöglichen Fragekreis dieser Welt: der Frage nach ihrem Ursprung. -In mannigfaltigsten medialen Formen codiert, übermitteln solche Vorstellungen der Entstehung der Welt, einerKosmogoniealso, immer auch implizite oder explizite strukturelle Aussagen über das Gefüge der Welt als einerKosmologie.Meist sind mit dieser geordneten Welt in ihren Ursprüngen auch Ideen über eine Anthropogonie bzw. Theogonie verbunden.

Sind solche gesellschaftlich tradierten, narrativen Formen auch in Symbolen chiffriert, enthalten sie doch eine dem jeweiligen kulturellen Gedächtnis lesbare, archetypische Struktur - und diese vermag diversesteFunktionenfür den Menschen als Individuum oder auch in der Gemeinschaft bzw. der Gesellschaft zu erfüllen. Primär ist ein solcher Mythos des Anfangs (der Welt) alsSetzungarchetypischer Strukturen zu verstehen, als ein Analogon und Simile anderer Ebenen, ebenso wie seine Vergegenwärtigung im rituellen, kultischen Zusammenhang mehr als bloßes „Erinnern“ oder ätiologisches Erklären ist!

Sekundär erst stiftet er auchOrientierungfür den Rezipienten (sei es ein Mensch, eine Gruppe oder eine Gesellschaft); dies mag inzeitlicherHinsicht geschehen: über die Vergangenheit (Kosmogonie II), die Gegenwart (Kosmologie bzw. Heilsgeschehen, soziokulturelle Situation etc.), die Zukunft (Eschatologie) oder die Ewigkeit bzw. die transzendente „Zeit“ (Kosmogonie I); oder inräumlicherHinsicht: die Benennung und Hierarchisierung von Welten, Sphären, Himmelsrichtungen, Kontinenten, Ländern und deren Kulturen, Landstrichen und Gebie-

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ten bis hin zu einzelnen Bergen, Bäumen oder Flüssen etc.; es mag inpsychischerHinsicht gelten5: dabei denke man beispielsweise an HESIODsTheogonieoderWerke und Tage (ἔργακαἱ ἡμέρα),die in ihrer differenzierten Schilderung göttlicher Mächte schon früh als eine Art verhüllte Landkarte menschlicher Psyche gelesen wurde und deren Götter so nicht nur die psychischen Kräfte im Menschen benennen und beschreiben, sondern in ihrer Hierarchisierung und Verknüpfung auch narrativ-strukturierend mit semantischen Bewertungen verknüpfen - oder man denke an die Versuche neuzeitlicher (Tiefen)Psychologie6, die Schöpfungs-vorstellungen alter Kulturen eklektisch für Therapiezwecke in eigener Lesart neu zu reaktivieren - oder dazu analog, ingesellschaftlicherHinsicht: die Benennung, Beschreibung, Hierarchisierung und Bewertung ihrer Bestandteile (Teilsysteme) und deren Funktionen etc. Gleichzeitig vermag er auch Orientierung für die Handlungsdimension des Rezipienten zu leisten, von komplex-ethischem bis ganz alltäglich-praktischem Umfang.

Damit ist also ein solcher Mythos bzw. eine Vorstellung vom Ursprung der Welt oder einfach des Anfangs (Makrokosmos) in seiner Beschaffenheit als kulturell tradierte Erzählform einer archetypischen Struktur aber in ihrer Interpretation wie auch Medialisierung flexibel und im Zugriff auf ihre Medialität auch manipulierbar oder zur Erklärung, Begründung und Legitimierung z.B. analog gesetzter gesellschaftlicher, gruppensozialer oder individueller Zustände (Mikrokosmos) bewußt oder unbewußt funktionalisierbar.

Die Vorstellung einer spezifischen Kosmogonie ist grundsätzlich als Teil einesWeltbildesbzw. einerWeltanschauungallgemein zu betrachten7; in ihren mehr oder weniger impliziten Aussagen über das Gefüge eines Kosmos (geordnete, strukturierte Welt) gerät hinwiederum die Kosmologie so gesehen zu einer Teilaussage der Kosmogonie.

Bei aller Vielfalt an Formen und Strukturen gruppieren sich doch kosmogonische Vorstellungen grob entsprechend des traditionell abendländisch-westlichen und des östlichen Kulturkreises mit je deren Weltanschauung: während erstere im allgemeinen linear von einem fixen Anfangspunkt zu einem fixen Endpunkt hin denkt (hierzu gehört neben den Vorstellungen der drei abrahamitischen Religionen und der abendländischen Philosophie auch die neuzeitlich-

5DasWörterbuchder Religionspsychologieunterscheidet hier egozentrische Funktionen, Wachstums- und Wertfunktionen, kognitive und individualisierende Funktionen und soziale, Dunde, Siegfried R. (Hg.): Wörterbuch der Religionspsychologie, Gütersloh 1993, 230 f.

6Als ein Beispiel in der Tradition von C.G. Jung und der Analytischen Psychologie siehe FRANZ, Schöpfungsmythen

7Wir folgen hier (im wesentlichen) der Unterscheidung Gary Leases: „Eine Weltanschauung setzt sich mit der Schwierigkeit auseinander, dem Verhältnis oder Zusammenhang zwischen Menschen und Welt einen Sinn abzugewinnen. Ein Weltbild hat die Aufgabe, eben jenes Verhältnis zwischen Welt und Natur, den Menschen mit eingeschlossen, in gültiger Form darzustellen“ (vgl. LEASE, Weltbild, 49).

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wissenschaftliche Vorstellung vom Anfang der Welt8), nehmen letztere das zeitliche All eher als einen nie endenden Anfang, in kreis- oder spiralförmigen Bahnen wahrgenommen, oder wie in hinduistischen Traditionen wenigstens zyklisch wiederkehrenden Anfängen und Enden von unendlichen Weltaltern bzw. Welten.9

Aus religionswissenschaftlicher Sicht ein Spezialfall aller Kosmogonie stellen aber dieSchöp-fungsvorstellungen10dar, indem sie als Teil ihrer Kosmologie der Schöpfung einen Schöpfer gegenüberstellen. Auch dieser Modus des Welt-Ursprungs als einer Differenz zwischen Schöpfer und Schöpfung11kennt die mannigfaltigsten Formen der Schöpfung eines Gottes oder Götterpaares, durch Teilung einer Urmaterie, eines Ur-Eies, einem Flügel des Leviathan oder des androgynen Makro-Anthropos, durch Töpfern, Schnitzen, Weben, Herausfischen, Zeugen, Emanieren oder einfach Ins-Dasein-Rufen vermittels eines Schöpfungswortes.12

Nicht zuletzt für die Belange dieser Darstellung wichtig ist nun ferner die Unterscheidung in eine Schöpfung aus einem Urstoff (und sei es das Chaos) im Kontrast zu einercreatio ex nihilo,sowie drittens und dazwischen vermittelnd, zur mystischen Umdeutung dieses Nichts in ein Quasi-Urstoffliches.

Überhaupt ausschließlich ein Thema abendländisch-westlichen Denkens ist dieSchöpfung aus Nichts.13Die griechische Philosophie kannte diesen Gedanken allerdings nicht, ja war von

8Sowohl das schon klassisch zu nennende kosmologische Standardmodell, das imstande war, die Evolution des Kosmos von den ersten Sekunden nach dem Urknall bis heute einigermaßen zufriedenstellend zu beschreiben, als auch die sogenannteNeue Kosmologieeines inflationären Universums, die in ihrem Rückgang in die Zeit von

10-45bis 10-30Sekunden nach dem Beginn der Welt eine Anfangsphase beschreibt, in welcher Quantenphänomene eine wichtige Bedeutung einnehmen - und die die heutige Welt als das Resultat von Quantenfluktuationen eines Vakuums beschreibt, also regelrecht als einer Entstehung der Welt „aus dem Nichts“. Freilich bewegen sich solche Aussagen extremer Physik selbst schon in einem Grenzbereich Wissenschaft und Philosophie. Vgl. WEIDEMANN, Welt

9AUFFAHRT, Metzler Religion, 553 f. Trotzdem bleibt dies ein sehr grobes Schema: die Vorstellung einer Entstehung der Welt aus dem Chaos finden wir z.B. auch in chinesischen (v.a. taoistischen) Schöpfungsmythen, daß die Schöpfung einem Emanationsvorgang eines göttlichen Wesens (purus a, Nārāyan a-Vis n u,Śivaetc.) entsprungen sei z.B. auch in hinduistischen Erzählungen, ihre ewige, objektive Existenz z.B. auch in philosophischen Traditionen Indiens (Sām khya-Yoga, Nyāya-Vaiśes ika) etc.

10Als Begriff religionswissenschaftlicher Metasprache klar zu problematisieren, vgl. dazu FIGL, Handbuch, 612 f. - Für unsere Zwecke wollen wir den Begriff ´Schöpfung´ aber nicht mit ´Kosmogonie´ gleichsetzen, wie man den Eintrag im HrwG (Schöpfung) wohl überraschenderweise (!) zu verstehen hat, sondern als ein Spezialfall der Kosmogonien: die Differenz zwischen einem Schöpfer und der Schöpfung.

11vgl. zu dieser Typologie auch RGG, Bd. 7, 968 f.

12WALDENFELS, Lexikon, 698 f.

13Eine Ausnahme stellt möglicherweise die Philosophie des Vedānta dar, obwohl die Aussagen heute wie damals kein einheitliches Bild ergeben:„Wer weiss es recht? Wer mag es hier verkünden? Woher entstand, woher sie kam die Schöpfung …. Der auf sie schaut im höchsten Himmelsraume, der weiss allein es, oder weiss ers auch nicht?“(Rigveda 10.129, entnommen: Rig-Veda, übers., komment. u. hg. v. H. Grassmann, 2 Bde., Leipzig 1990 [Nachdruck] (1876-77), Bd. 2, 406) Es scheint, als wäre vor der Schöpfung der Welt nur das absolute Brahman gewesen,„als »dasjenige, woraus Ursprung u.s.w. dieses [Weltalls] ist« (Sûtram 1, 1, 2.)“(Die Sûtra's

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ihren Grundvoraussetzungen her gar nicht imstande, ihn zu denken. Verwenden die Vorsokratiker den Begriff derἀρχήim Sinne von Anfang mit einer zeitlichen und einer stofflichen14Komponente, auch verstanden als determinierender Ursprung, erinnert uns bei ARISTOTELES gerade seine klassische Formelnihil ex nihilo fit15daran, daß für ihn die Welt unerschaffen und ewig ist, die Strukturen ihres Seins immerwährende Prinzipien, der Gott ein unbewegter Beweger. Auch für PLATONs Demiurgen in seinemTimaiosist bereits die ungestalteὕληals vorhanden gedacht, bei beiden das Nichtsein der Materie als lediglich noch ungeformt. Ebenso PLOTIN, bei welchem die Schöpfung aus demEinenwohl aus einem notwendigen und ewigen, substantiellen Emanationsprozess, nicht aber einem freiwilligen schöpferischen Akt der Gottheit entspringt.

Auch wenn die Idee einer Schöpfung aus Nichts ihren geschichtlichen Ursprung im Judentum findet16und in allen drei monotheistischen Religionen je erst etwas später in ihrer Entwicklung von der „orthodoxen“ Theologie fundamental durchdacht wurde (der Gnosis wegen wurde die Frage nach Schöpfer und Schöpfung längst zur geistig-religiösen Hauptfrage in Judentum und Kirche), ist doch bei allen das Bestreben der Theologen klar zu erkennen, Gott als den ultimativ freien und allgewaltigen Schöpfer zu formulieren; denn dieser Gott tut, was sonst niemand kann: er vermag ein Sein zu setzen, das nicht er selber ist. Er schafft aus dem reinen Nichts.

des Vedânta oder die Çârîraka-Mîmâńsâ des Bâdarâyan a nebst dem vollständigen Kommentare des Çan kara, übers. u. hg. v. P. Deussen, Hildesheim 1966 [Nachdruck] (Leipzig 1887), 246 ff.). Obwohl einige Textstellen darauf hinzuweisen scheinen, daß das Brahman gewissermaßenex nihiloschafft (Rigveda 10.129:„Damals war nicht das Nichtsein, noch das Sein, kein Luftraum war, kein Himmel drüber her …. Es hauchte windlos in Ursprünglichkeit das Eine, ausser dem kein andres war …. Des Daseins Wurzelung im Nichtsein fanden die Weisen, forschend, in des Herzens Triebe“,entnommen: Die Geheimlehre des Veda, übers. u. hg. v. P. Deussen, Leipzig 1919, 3-4) lägen in den verschiedenen Vedāntatexten - nach derer Interpretatoren - je nach den Umständen formulierte Verheissungen und Gleichnisse vor, welche als Beweis dafür zu nehmen seien, daß Brahman zwar vor allem die bewirkende, aber auch die materielle Ursache der Welt sei:„Auch darum ist das Brahman der Urstoff, weil es in einer Betrachtung über das Brahman heisst: »dieses machte selber sich selbst« (Taitt. 2, 7), worin liegt, dass der Âtman zugleich das Bewirkte und das Bewirkende ist; das Bewirkte, sofern er sich selbst machte, und das Bewirkende, sofern er selbst dieses that.“(Die Sûtra's des Vedânta oder die Çârîraka-Mîmâńsâ des Bâdarâyan a nebst dem vollständigen Kommentare des Çan kara, übers. u. hg. v. P. Deussen, Hildesheim 1966 [Nachdruck] (Leipzig 1887), 249). - Zur für uns zentralen Frage,wohinoderwohineindie Schöpfung erfolgte, bleiben die Textstellen allerdings im Widerspruch zueinander:„Übrigens wird auch damit, dass der Raum als ein zweites neben Brahman besteht, die Zweitlosigkeit des Brahman noch gar nicht aufgehoben …. Ebenso ist auch aus Schriftstellen wie: »das Brahman hat den Raum als Leib« ersichtlich, dass dabei Brahman und der Raum als etwas Identisches betrachtet werden …. Somit ist die Schriftstelle, welche eine Entstehung des Raumes lehrt, bildlich zu nehmen“(ebd., 384 ff.), und:„…. ebenso konnte dasselbe auch existieren, ohne dass der Raum existierte, indem die Schrift sagt »es ist ohne Äther (Raum)« (Brih. 3, 8, 8.) Es steht somit fest, dass vor der Schöpfung kein Raum und kein Offenes gewesen ist“(ebd., 390-391).

14Damit nicht weit von HOMERs Ausspruch entfernt, daßOkeanosselbst der „Ahn der Götter“ (Il. 14.201) sei, ja der „Ahn und Schöpfer doch ist von den Lebenden allen“ (Il. 14.245).

15Metaphysik IV, 5 (1009 a 31)

16vgl. SCHOLEM, Grundbegriffe, 55

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So ist beispielsweise an der Argumentation der Kirchenväter, wie ORIGENES und CLEMENSVONALEXANDRIA, aber auch BASILIUSDEMGROSSEN oder AUGUSTIN bemerkenswert, daß diese im Licht der Widerlegung konkurrierender Lehren die schon als Offenbarungswahrheit geltende Schöpfung aus Nichts (wenn sie auch erst 1215 als Dogma kanonisiert wurde) als einzig richtige nur zu unterstreichen suchen. Alle gegenteiligen Erklärungen sind für sie mit dem nun immer schärfer und abstrakter werdenden Begriff Gottes nicht vereinbar.17Doch aller Bezug der (christlichen) Theologen auf die Thora (bzw. das Alte Testament) mußte in notgeborner Polemik enden: kein einzigereindeutigerHinweis auf eine Schöpfung aus Nichts läßt sich dort nämlich finden, und gründet sich jede gegenteilige Behauptung auf einen rein interpretatorischen Zugang zur Schrift.18

Die meisten klassischen Kabbalisten hatten zum Beispiel gelehrt, daß die wahre Schöpfung aus Nichts sich auf den Hervorgang der göttlichen WeisheitChokmahaus der obersten SefiraKether,der Krone, beziehe; denn sind die Urbilder des geschöpflichen Seins in der göttlichen „Sophia“ angelegt, schöpfen sie ihr Sein also aus ihr, so ist darüber hinaus die oberste Sefira dem Zugang natürlich vollends entzogen und muß (gewissermaßen erkenntnistheoretisch) mit dem Nichts in eins gesetzt werden.19Einen Beleg findet ASRIELVONGERONA um 1220 in einer anderen Lesart einer Textstelle des für die Kabbala grundlegendenSefer Jetzirahaus dem 3. bis 7. Jahrhundert. Durch die Eigenheit der hebräischen Sprache wird es möglich, das‫אינו‬nicht als ´es ist nicht´, sondern im Sinne eines Possessivpronomens mit ´sein Nichts´ zu lesen. Durch diese Konstruktion gelangt ASRIEL zu einem Seinundeinem Nichts als zwei Perspektiven in Gott, als ineinemungeschiedenen „Übersein“; und der Vorgang der Schöpfung aus Nichts findet so folgerichtig insgesamtinGott statt, nämlich in dem eben beschrie-17KEMPSKI,Zimzum, 1110 f.

18Was Gershom Scholem meisterhaft darlegt, vgl. SCHOLEM, Grundbegriffe, 60-68; so überträgt beispielsweise schon die griechische Übersetzung des Tenach in der Tat an einer Stelle inJeremia 4:23den Ausdruck‫תהו‬ ‫,ובהו‬der das Ungeordnete (analog dem Nichtseienden griechischer Philosophie) meint, mit dem griechischenοὐθέν: Nichts; oder es wird bis heute (vgl. RGG, Bd. 7, 972 im Abschnitt Judentum [!] zum Lemma Schöpfung: „Das Prinzip der creatio ex nihilo wird erstmals schon in2Makk 7,28expressis verbis vertreten….“) auf das älteste jüdische Buch der christlichen Kirche verwiesen, das2. Makkabäerbuch,das allerdings sowohl ausserhalb des jüdischen Schriftkanons steht, wie vermutlich auch von JASONVONKYRENE, einem griechischjüdischen Schriftsteller verfaßt worden sein dürfte. Ausserdem heißt es in dem besagten Vers 7:28 denn auch „Wisset, nicht aus Seiendemοὐκ ἐξ ὄντων,hat er Himmel und Erde gemacht“, während die später rezipierte Lesart „aus Nichtseiendem“,ἐξ οὐκ ὄντωνversteht. (RGG, ebd.: „…. erkenne: Gott hat das aus dem Nichts erschaffen ….“!)

19Das Nichts meint hier das seinsmässig qualitative Gegenteil des Vorhandenen und so das von diesem her prinzipiell nicht Erfassbare und Bestimmbare, es ist die verborgene Gottheit selbst, der extremste Ausdruck dernegativen Theologie.

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benen Übergang zwischen dem Nichts (Kether) und den Urbildern allen Seins in der göttlichen Weisheit (Chokmah).

Auch in Bezug auf das spezifische Verständnis solchen Nichts sind natürlich verschiedene Akzente zu unterscheiden.20So finden wir imSefer Jetzirahweiters die Stelle‫מתהו‬ ‫יצר‬ ‫ישנו‬ ‫אינו‬ ‫ועשה‬ ‫,ממש‬welche in der wörtlichen Übersetzung21lautet: „Er gestaltete aus dem Tohu das Wirkliche .... und machte Was-Nicht-Ist zum Was-Ist“22. Daß das ´tohu´ dieses Textauszuges damals ebensogut als das Chaos und Nichtseiende im Sinne griechischer Tradition hat verstanden werden können, zeigt nicht zuletzt eine Formulierung PHILOVONALE-XANDRIENs,diesich als Entsprechung zu obigem hebräischen Text liest, und der den Schöp-fungsvorgang so bestimmt: „Denn das Nichtseiende rief er ins Sein, indem er Ordnung aus Unordnung, aus dem Eigenschaftslosen bestimmte Eigenschaften, aus dem Unähnlichenhnlichkeiten,aus den Verschiedenheiten Identitäten .... aus dem Dunkel Licht schaffte“23. Oder es wird an anderer Stelle die Passage inHiob 28:12‫תמצא‬ ‫מאין‬ ‫והחכמח‬nicht wie üblich mit‫אין‬als einem Frageadverb in der Verbindung mit‫מן‬(„Die Weisheit aber,woherwird sie gefunden?“), sondern als das Substantiv ´Nichts´ gelesen („Die Weisheit aber wird ausdem Nichts gefunden“).Etc.24

Die Polemik - wo eine solche war - richtete sich aber allerorten gegen eine monistische Konzeption Gottes und der Schöpfung, gegen eine „Allumfassung des Seins in Gott selbst, eine pantheistische Wendung des Schöpfungsbegriffs“25- die Talmudisten an die Adresse „paganer“ Tendenzen innerhalb jüdischer Strömungen gerichtet, die christlichen Kirchenväter in Richtung heidnischen, „griechischen“ Denkens.

20vgl. auch hierzu die Ausführungen in: SCHOLEM, Grundbegriffe, 53 f.

21nach Gershom Scholem, ebd. 63

22In MOLITOR, Philosophie, Bd. 1, 248, finden wir übrigens seine eigene Übersetzung dieser Textstelle vor: „Er bildete aus dem Leeren das Fühlbare (Wesenhafte), und machte sein Nichts zu seinem Etwas“.

23vgl. Bäumker, Clemens: Das Problem der Materie in der Griechischen Philosophie, 1890, 382-385, der nach Scholem „überzeugend bewiesen hat, dass die entsprechenden Stellen bei Philo noch keine dogmatische Formulierung einercreatio ex nihilodarstellen, sondern gerade in dem platonischen Begriff der unerschaffenen Hyle als des Nichtseienden wurzeln“, in: SCHOLEM, Grundbegriffe, 63, Fußnote 15; die angeführte Stelle von Philo ist übrigens ausde creat. principium 7.

24Zu solcher Reihe verschiedener interpretatorischer Zugänge zum Nichts einercreatio ex nihilogehören - ohne daß wir hier auf sie eingehen könnten - ferner auch SAADJA GAON, SALOMOIBNGABIROL, MAIMONIDES, HERMANN COHEN usw.

25ebd. 59