Zoff - Aleya Nigg - E-Book
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Zoff E-Book

Aleya Nigg

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Beschreibung

Ein Ferienlager mitten im Nirgendwo, ohne Netz, voller Unbekannter. Was zunächst ruhig mit neuen Freundschaften und sportlichen Aktivitäten beginnt, entwickelt sich rasch zu einem brodelnden Konflikt. Spannung liegt in der Luft, der Ehrgeiz wächst, Stolz und Schweiss fliessen. Keine Aktion bleibt ohne Reaktion. Niemand will nachgeben, niemand will verlieren. Aus einem harmlosen Wettstreit wird ein gnadenloser Kampf - hitzig, intensiv, zerstörerisch. Doch wie weit kann man gehen, bevor alles eskaliert? "Zoff" ist ein mitreissender Kurzroman basierend auf wahren Begebenheiten über Zusammenhalt, Rivalität und die Macht der Gruppendynamik - aufregend, packend, echt.

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Inhaltsverzeichnis

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Epilog

Hintergrund

Übersicht

Game-Changer

Endgegner

Dank

Impressum

Kapitel 1

Er japste nach Luft. Sein Hals brannte und in seinem Mund schmeckte es blutig. Dennoch rannte er weiter. Der viel zu schwere Rucksack drückte ihm auf die Schultern und verlangsamte ihn. Er fuhr los. Nein! Hektisch winkte er mit den Armen und beschleunigte seine Schritte.

Die Reifen quietschten. Blieben stehen. Erleichtert atmete er aus und wurde langsamer. Dabei stolperte er über einen Randstein und überschlug sich.

Er purzelte und blieb mit dem Gesicht nach oben auf dem Rucksack liegen. Nun lag er da wie der letzte Trottel. Nassgeschwitzt und feuerrot. Am Churer Bahnhof, wo zum Glück ja nie jemand war. Als er sich aufrappelte und leicht schwankend aufrichtete, glotzten ihn nur etwa zwanzig Leute an.

Er lächelte verkniffen, was es nicht besser machte, und marschierte in Richtung Mannschaftsbus, nach verbranntem Gummi und Benzin stinkend, da es ihn neben der schwarzen Bremsspur geschmissen hatte.

Die Tür sprang auf und ein junger Mann streckte den Kopf hinaus. „Nevio?“, fragte er belustigt. Er nickte und schaute verhalten zu den Fenstern, von wo ihm zehn grinsende Gesichter entgegenblickten. Na toll. Schön, dass alle seinen spektakulären Sturz gesehen hatten.

„Na dann, hereinspaziert. Ausser du willst uns noch ein athletisches Meisterwerk zeigen, du scheinst gut darin zu sein“, bemerkte der junge Mann und wies ihn in den Mannschaftsbus. „Für den Moment ist es gerade gut, aber vielleicht überrasche ich euch ein anderes Mal wieder.“

Er quetschte sich am Mann hindurch und schaute in den Mannschaftsbus hinein. Zehn Jungs in etwa seinem Alter, also etwa sechzehn. Die meisten sassen alleine, manche aber auch zu zweit. Da er keine Ahnung hatte, wo dieses Lager stattfand und wie lange sie fahren würden, setzte er sich zu einem Jungen hinzu. So könnte er wenigstens ein wenig plaudern.

„Toller Auftritt“, meinte dieser feixend zu ihm, als der Mannschaftsbus erneut anfuhr. Vielleicht hätte er sich doch an einen Einzelplatz setzen sollen. „Danke“, antwortete er noch immer etwas ausser Atem. Er hasste Sport.

„Wie heisst du?“, fragte er den Jungen, um ein Gespräch anzufangen. „Simon und du?“ – „Nevio“, erwiderte er. „Darf ich dich auch Unfall nennen?“, erkundigte sich darauf der Junge spöttisch. Das war der Moment, in dem Nevio beschloss, dass er ihn nicht mochte. „Tu, was du nicht lassen kannst“, entgegnete er kühl und schaute in den Gang.

Die Jungs, die er von seinem Platz aus sah, glotzten ins Handy. Die heutige Jugend, keine Ahnung, was alle so nice daran fanden. Er war ebenfalls oft am Handy, aber zuhause, wenn er nichts zu tun hatte. Sonst sprach er gerne mit anderen Leuten. Okay, theoretisch hatte er jetzt nichts zu tun, denn mit diesem Simon wollte er nicht sprechen.

Er entschied sich aber dazu, aus dem Fenster zu schauen und die Landschaft an sich vorbeiziehen zu lassen. Er kannte die Ortschaften, an denen sie vorbeifuhren, bald nicht mehr. Sie kamen nur an irgendwelchen Kaffs vorbei, die aus irgendwie fünf Häusern bestanden.

Er kannte ihr Ziel gar nicht. Auf der E-Mail war, soweit er wusste, der Ort des Lagers nicht erwähnt worden. Allgemein war er überaus überrascht gewesen, als er diese E-Mail erhalten hatte, und hatte zuerst gedacht, dass es sich um Spam gehandelt hätte.

Gratulation, du wurdest ausgelost, um an einem dreiwöchigen Lager in Graubünden teilnehmen zu dürfen! Es erwarten dich viele aufregende Aktivitäten und neue Freundschaften! Wir freuen uns auf dich.

Seine Eltern hatten anfangs gemeint, dass er da auf keinen Fall hingehen sollte, da das nicht vertrauenswürdig sei. Aber nachdem sie lange gegoogelt hatten und es sich als einen seriösen Anbieter herausgestellt hatte, hatten sie ihm den Freipass gegeben.

Er hatte in den Sommerferien ohnehin nichts vorgehabt und hatte gedacht: Wieso nicht? Hörte sich doch gut an.

Wusste Simon, wohin es ging? Eigentlich hatte er keine Lust, mit ihm zu sprechen, aber das interessierte ihn dann doch zu sehr. Er drehte sich zu ihm um und fragte: „Weisst du, wo dieses Lager stattfindet?“ – „Hä?“, grunzte er und nahm sich die Kopfhörer aus den Ohren. „Ob du weisst, wo das Lager stattfindet“, wiederholte Nevio. „Nö. Ich hab die Teilnahme gewonnen, das stand da nicht“, erwiderte er und steckte sich die Musik wieder in die Ohren.

Er wurde ebenfalls ausgelost? Merkwürdig. Aber egal, allzu lange würde die Fahrt sicher nicht mehr dauern. Da behielt er recht, denn kurz darauf stand einer der beiden Männer auf. Es war nicht der, der ihm die Tür aufgemacht hatte. Dieser hatte braune Haare, war ein wenig älter als der andere und sah strenger aus.

„Könntet ihr alle eure Kopfhörer bitte kurz abnehmen?“, fragte er in die Runde und wartete, bis alle reagierten. „Hallo zusammen, ich bin Louis und der da ...“ – er zeigte auf den Schwarzhaarigen – „ist Sven. Wir sind eure Aufsichtspersonen und begrüssen euch ganz herzlich im Lager. Wir werden in Kürze ankommen, aber da gibt es noch etwas Kleines, was wir vergessen haben, euch mitzuteilen. Der Lagerplatz befindet sich leider in einem Funkloch, weswegen ihr für drei Wochen nicht erreichbar sein werdet. Vielleicht solltet ihr das euren Liebsten noch mitteilen, wir bitten um Verständnis.“

Er sass wieder auf seinen Platz und hinterliess empörtes Gemurmel. „Wenn ich das gewusst hätte ...“ – „Ich gehe wieder nach Hause.“ Wenn man deswegen nach Hause geht, ist man doch gestört. Aber das kam tatsächlich unerwartet. Nevio nahm nun ebenfalls sein Handy hervor und tippte rasch eine Nachricht an seine Familie und eine in den Gruppenchat mit seinen Kollegen.

Dann wurde der Mannschaftsbus schon langsamer und er sah eine verlassene Hütte am Waldrand. Gemütlich, da würden sie sicher keinen Besuch haben. Er nahm sein Gepäck hervor und stellte sich zu den anderen Jungs in den Gang. Louis öffnete die Türe und sie drängten hinaus.

***

Er steckte fest. Konnte weder vor noch zurück. Panik überkam ihn. Die Wand war hoch. Sehr hoch. Ängstlich sah er nach unten. Der Typ rief ihm irgendwas zu, aber Liam konnte ihn nicht hören. Nun gestikulierte er auch noch, er schien ihm etwas symbolisieren zu wollen, aber was? Ausserdem sollte er sich eher auf das Seil konzentrieren, das wäre ihm lieber. Vertraute er ihm? Er kannte nicht mal seinen Namen und das, obwohl sein Leben von ihm abhing. Natürlich hatte er ihn mal erwähnt, aber Namen hatte er sich noch nie merken können. Etwas wie Andri? Oder Fadri? Oder etwas ganz anderes? Er hatte keine Ahnung. Immerhin waren es zehn Jungs, die er gestern im Mannschaftsbus alle das erste Mal gesehen hatte. Da konnte man die Namen leicht mal durcheinanderbringen. Vielleicht würde er ihn später nochmals fragen. Falls er überlebte.

Das brachte ihn zurück zu seinem Problem. Seine Arme brannten, lange konnte er sich nicht mehr halten. Würde der Typ, dessen Namen er nicht kannte, ihn auffangen? Sollte er sich einfach fallen lassen? Aber dann konnte er auch gleich versuchen, den nächsten Griff zu erreichen. Oberhalb von ihm hatte es einen leichten Felsvorsprung, an dem er Magnesium erkennen konnte, das war demnach sein nächstes Ziel. Aber dafür musste er einen Sprung wagen. In ihm begann es zu kribbeln. Er liebte sportliche Herausforderungen. Wenn er jetzt am Bouldern wäre, würde er keine Sekunde zögern. Das Problem war, dass er diesen Typen nicht kannte und nicht wusste, ob er ihn halten würde. Falls er fallen würde, versteht sich. Würde er fallen?

Der Schweiss tropfte nur so an ihm herunter, sein T-Shirt war komplett nass geschwitzt. Wieso musste die Sonne prall auf ihn herab scheinen? Seine Hände standen kurz davor, abzurutschen. Aber er würde sicher nicht versuchen, an den Magnesiumbeutel, der an seinem Klettergurt befestigt war, zu greifen.

Liam schaute erneut nach unten und stellte zu allem Überdruss fest, dass die gesamte Gruppe zu ihm hochschaute. Das beruhigte sein Stresslevel enorm. Bald würden sie alle einen spektakulären Fall sehen. Würde er in die Geschichte eingehen, wenn er nicht überlebte? Falls nicht, würde es wenigstens ein paar Zeitungsartikel über ihn geben. Sechzehnjähriger Junge beim Klettern tödlich abgestürzt, würde es heissen. Die anderen dürften das Lager sicher nicht fortsetzen, das wäre schade. Er sollte besser überleben.

Urplötzlich schrien alle. Aber selbst, wenn er auf die Distanz etwas gehört hätte, war es so ein Durcheinander, dass er ohnehin nichts verstanden hätte. Nicht, dass es ihm viel gebracht hätte. Er brauchte Ruhe und eine Wolke, die die Sonne von ihm abschirmte. Denn diese Hitze störte seine Konzentration und seinen Denkprozess. Nicht, dass er beim Denken je besonders gut gewesen wäre, aber dennoch.

Er drehte sich wieder zur Wand und schaute auf den Felsvorsprung. Wie weit war es? Einen halben Meter? Schwierig einzuschätzen, wenn man am Felsen hing. Hatte er irgendwo noch einen Fuss? Wieso musste er sich bloss die schwerste Route aussuchen? Beim Sport verlor er sich immer, er liebte den Nervenkitzel zu sehr und wollte seine Grenzen jedes Mal ausloten.

Wenn er nicht innerhalb der nächsten zehn Sekunden etwas unternähme, würde er fallen. Seine Arme und vor allem seine Finger machten das nicht mehr mit. Wie lange hing er bereits hier? Sein Blick richtete sich erneut auf den Felsvorsprung. Sooo weit konnte es gar nicht sein. Oder doch? Auch wenn, – der Typ würde ihn fangen! Er musste.

Noch einen Blick zum Felsvorsprung. Und dann der Sprung. Plötzlich, ohne weitere Überlegungen. Einfach so aus der Not heraus. Er wäre so oder so innerhalb Sekunden gefallen, da spielte es keine Rolle mehr.

Er flog. Dann kam der Felsvorsprung auf ihn zu, näher als er vermutet hatte. Er griff zu und stemmte sofort die Beine in die Wand. Und blieb stehen. Er lachte, das hätte er nicht erwartet. Das hatte sich sogar gut angefühlt. Er sollte Kletterer werden, auf professioneller Ebene versteht sich. Erneut schaute er nach unten und nun war er sich sicher, dass die Jungen jubelten. Dafür brauchte man keine Worte zu verstehen.

Er sollte den Express in die Wand hängen und sein Seil einfädeln. Sonst würde er fallen, und zwar weit. Als er das Seil mit zittrigen Armen befestigt hatte, schaute er wieder nach oben. Das Top war nicht mehr weit und hatte gute Griffe. Im Vergleich zu dieser einen Stelle war es ein Klacks, obwohl seine Arme am Sterben waren. Er hätte nicht so lange warten sollen. Trotzdem war er wenig später oben angekommen und sass glücklich ins Seil. Er hatte es geschafft!

Langsam liess ihn der Typ, dessen Name ihm immer noch nicht in den Sinn kam, nach unten und Liam genoss das Panorama.

***

Die Aussicht war atemberaubend. Das musste er zugeben. War auch ein Leichtes gewesen, den Gipfel zu erreichen. Er fragte sich, wieso ihn alles schmerzte. Ach ja, vielleicht lag es daran, dass er heute Morgen um vier Uhr geweckt worden war. Um vier Uhr! Das musste man sich mal vorstellen.

Aber die frühe Uhrzeit war, ob man es glaubte oder nicht, nicht mal der Grund für sein Leiden und bei weitem nicht das Schlimmste an dem Ganzen gewesen. Denn zu seinem Leidwesen hatte es dann nicht irgendein chilliges Morgenprogramm gegeben. Nein, nein, sie waren zum Wandern geweckt worden!

Das wäre ja auch noch voll okay gewesen, das Problem war nur gewesen, dass sich diese Wanderung als Hochtour entpuppt hatte. Das war nicht mehr so entspannt gewesen.

Zuerst hatte er gedacht, es wäre easy, im Stockdunkeln anderthalb Stunden einen Berg besteigen. Konnte man machen. Aber als es dann nach einer weiteren Stunde Wandern in der Dämmerung geheissen hatte, dass sie auf die Steigeisen umsteigen würden, hatte er gedacht, er hätte sich verhört. Das hatte er nicht und so hatte er sich kurz darauf in einer Seilschaft auf einem Gletscher befunden. Passierte.

Nach weiteren anderthalb Stunden hatten sie die Steigeisen abgezogen und er hatte wieder Hoffnung geschöpft, dass es das war. Aber da hatte er sich arg getäuscht, denn dann hatte erst der Klettersteig angefangen. Als ob er gestern nicht genug geklettert wäre!

Nach diesen zwei Stunden war er am Ende gewesen, zum Glück hatte er dann NUR noch weitere anderthalb Stunden in der prallen Sonne den Gipfel besteigen müssen. Hölle. Mittagszeit und er hatte schon eine halbe Weltreise hinter sich. Er war oben. Beim Gipfelkreuz. Yippie! Er freute sich so richtig auf den Rückweg.

„Erschöpft?“, fragte Luca grinsend. Der konnte gut lachen mit seiner Kondition. Für ihn war die ganze Tortur ein Klacks. „Nein, überhaupt nicht“, antwortete er immer noch ausser Atem.

„Wie geht‘s unserem Unfall?“,fragte da plötzlich eine Stimme von hinten und Gelächter ertönte. Simon, dieser Trottel. „Hervorragend und dir?“, erwiderte Nevio. „Mässig, bei der Gletscherwanderung hatte ich durchgehend das Walrossschnaufen eines Rothaarigen in der Seilschaft vor mir im Ohr, aber danke der Nachfrage“, meinte dieser und erntete erneutes Gekicher. Schwer zu sagen, wen er meinte, ach ja, er war ja der einzige Rothaarige hier.

Nevio verdrehte die Augen und überlegte sich eine schlagfertige Antwort, als Tim laut fragte: „War das der Grund, wieso es dich beim Überhüpfen der Gletscherspalte auf die Fresse gehauen hat?“

Simon drehte sich zu ihm um und antwortete: „Ja, das war es.“ – „Merkwürdig, ich war mir fast sicher, dass du dich im Seil verheddert hast“, entgegnete Tim und brachte damit alle zum Lachen. „Das hast du bestimmt nicht richtig gesehen“, vermeldete Simon. „Das kann gut sein, da ich dich wegen deiner Grösse beinahe übersehen hätte und um ein Haar auf dich drauf gesprungen wäre“, feixte Tim und beendete somit das Gespräch, weil Simon nichts mehr zu erwidern wusste.

Tim war der Einzige, der so etwas sagen konnte, sonst äusserte sich niemand gegen Simon. Ausserdem war Simon gar nicht klein, jedenfalls grösser als Nevio und manche andere, aber da Tim ein Riese war, sah er das wahrscheinlich anders. Wie musste Nevio erst für ihn aussehen?

„Packt eure Sachen zusammen, wir gehen weiter“, ertönte Louis‘ Stimme. Nevio hatte vollkommen vergessen, dass sie sich noch immer auf dem Gipfel befanden. Als er an den Rückweg dachte, begann er beinahe zu heulen.

„Alles okay?“, fragte ihn Luca. Er nickte und sattelte seinen Rucksack. „Hör einfach nicht auf ihn“, meinte Luca und schritt voran. Er hatte am ersten Tag schon zu ihm gehalten, als ihn alle nur Unfall nannten. Das taten viele jetzt noch, aber es besserte sich allmählich.

Im Gegensatz zu seinen Fussschmerzen, die sich verschlimmerten. Er konnte diese Folter doch nicht nochmals durchmachen. Zum Glück übernachteten sie in Zelten und traten somit nicht heute den ganzen Rückweg an. Ausserdem war es gemütlicher, wenn es talwärts ging.

***

Er preschte den Berg hinunter, als ob es kein Morgen gäbe. Wind blies ihm entgegen, als ob er fliegen würde. Was er manchmal auch tat. Da kam eine Schanze! Er flog. Dann rumpelte es wieder. Er wurde erneut komplett durchgeschüttelt. Langsam fühlte er sich wie Rührei. Zumindest nahm er an, dass sich Rühreier so fühlen würden. Vielleicht war er auch eine verirrte Banane im Smoothie-Maker oder wenn er gerade bei den Vergleichen war, ein geschüttelter Martini, so ganz nach Bonds Geschmack.

Wurzeln, nichts als Wurzeln, Stock und Stein. Geil. Er liebte den Nervenkitzel. Er sollte einen Zahn zulegen. Doch er hatte ein Hindernis im Weg. 1.80 gross, blaues Shirt, rötlich braune Haare. Noah, dieser Spinner. Er war zwar schnell, aber nicht schnell genug für ihn. Konnte er Noah auf dem schmalen Trail überholen oder würde das an einen Selbstmordversuch grenzen?

Eine Verzweigung! In einem Ruck riss er den Lenker seines Mountainbikes herum und legte schlenkernd eine steile Rechtskurve ein. Dieses Manöver hätte ihm beinahe den Kopf gekostet, aber dafür konnte er auf der rechten Spur mit Noah aufschliessen. Dieser warf ihm einen verdutzten Seitenblick zu und fuhr schneller. Beschleunigte der etwa? Liam schloss wieder auf, aber Noah steigerte erneut das Tempo. Er sah, was er da veranlasste. Forderte er einen Wettstreit? Den konnte er haben! Challenge accepted.

Liam gab sich alle Mühe mitzuhalten und hatte ihn bald überholt. Was war das? In seinem rechten Blickwinkel tat sich was. Eine dritte Spur. Von Silvan in Beschlag genommen, der aufschloss. Er sah zu ihnen hinüber und grinste. Das konnte ja wohl nicht wahr sein!

Eine Schanze. Liam flog durch die Luft und landete höchst unsanft, das würde er morgen spüren. Nächstes Mal musste er bereit sein. Er schaute zu Silvan, der fies lächelte und selbst über eine Schanze sprang. Seine Landung sah um einiges schonender aus. Na warte! Eine weitere Schanze kam auf ihn zu, er würde es ihm zeigen!

Aufgebraust flog er durch die Luft, knickte während des Fluges sein Rad zur Seite und landete dieses Mal sanfter. Gott sei Dank. Triumphierend blickte er zu seinen Mitstreitenden. Noah war an der Reihe, er segelte hoch und knickte sein Bike überraschend gekonnt zur Seite.

Sie bretterten weiter. Immer schneller. In einemKaracho den Berg hinab. Die anderen hatten sie bei diesem Affentempo längst abgehängt. Aber ihr Wettstreit zog sich bei mörderischer Geschwindigkeit fort.

Er wollte gar nicht wissen, in wie viele Einzelteile sie bei einem Sturz zerlegt werden würden. Darüber brauchte er nicht nachzudenken. Momentan ging es allein ums Rasen. Adrenalinkick pur. Er liebte es. Das Tempo nahm konstant zu.

Ende. Ende? Er war doch gerade erst in Fahrt gekommen. Wie lange jagten sie schon den Berg hinab? Es fühlte sich an wie Sekunden, aber vermutlich war es länger.

Bitte bremsen. Er sah zu seinen beiden Mitstreitenden links und rechts. Sie preschten weiter. Hatten sie das Schild nicht gesehen? Sollte er mitziehen? Nicht, dass die dachten, er hätte aufgegeben. War das kriminell? Vielleicht gar schon sein zweiter Selbstmordversuch innert Minuten?

Eine Absperrung raste auf ihn zu. Also natürlich raste er auf sie zu, Holzbretter bewegten sich für gewöhnlich nicht. Was sollte er anstellen? Er warf erneut Seitenblicke und stellte mit aufgerissenen Augen fest, dass seine Gesellschaft zurückgeblieben war. Shit. Das kam jetzt unerwartet. Hatte er gewonnen? Würden sie ihm einen Pokal ins Spital bringen oder besser gleich ans Grab?