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»Eine rein persönliche Haltung wird das sicherste Mittel sein, mich vor einer Blamage zu schützen«. Gemäß dieser Maxime entwickelt Thomas Mann seine Argumentation in diesem Artikel, den er im September und Oktober 1921 verfasste, entlang der eigenen Biographie. Seit den ›Betrachtungen eines Unpolitischen‹ (1918) hatte sich seine Haltung verändert, er war mittlerweile zu einem Befürworter der Republik geworden und argumentiert hier ganz in diesem Sinne. Besorgt um die öffentliche Rezeption des sonst so um Synthese und Kontinuität bemühten Schriftstellers überzeugte Katia Mann ihn, den Text zunächst nicht zu veröffentlichen. Es ist bezeichnend, dass daraufhin Gerüchte aufkamen, Mann habe einen antisemitischen Text verfasst und aus diesem Grund einen Rückzieher gemacht – obwohl das Gegenteil der Fall war. Der Artikel wurde schlussendlich erst 1966 veröffentlicht, in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vom 15. Januar.
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Seitenzahl: 21
Thomas Mann
Zur jüdischen Frage
Essay/s
Fischer e-books
In der Textfassung derGroßen kommentierten Frankfurter Ausgabe(GKFA)Mit Daten zu Leben und Werk
Sehr geehrter Herr Frisch!
Über den Gegenstand, zu dem Sie mir das Wort erteilen, ohne daß ich, geben Sie mir das zu, mich eigentlich gemeldet hätte, ist in Ihrem Augustheft schon so Kluges, Tiefdringendes, ja Entscheidendes gesagt worden, daß es mir sehr gewagt scheinen muß, mich auch meinerseits noch dazu vernehmen zu lassen. Eine rein persönliche Haltung wird das sicherste Mittel sein, mich vor Blamage zu schützen, – wie denn das Persönliche die Zuflucht derer ist, die die Unerschöpfbarkeit der Dinge recht lebhaft empfinden; dazu die natürlich gegebene Äußerungsform für eine gewisse abenteuernde Weltkindlichkeit, zu der ich mich wohl möchte bekennen dürfen und deren Sache es eher ist, zwischen den Fragen und mit ihnen zu leben, als druckfähige Antworten darauf bereit zu haben. Selbst zu dem Geständnis bin ich unter Freunden fähig, daß es mir von jeher näher lag, zu fragen: »Wie komme wohl ich durch die Welt?« als: »Welche Meinungen bilde ich mir über dieselbe?« Da aber ist nun sogleich die Sache die, daß eben die Schwierigkeit des Durch die Welt kommens einem Menschen wie mir durch das Judentum aufs höchste erleichtert wird, – dies in dem Grade, daß ein Aufgreifen und Vorweisen antisemitischer Meinungen (die ja, wie die Annonce sagt, »überall erhältlich« sind) meinerseits einer grotesken Undankbarkeit gleichzuachten wäre, einer Undankbarkeit kolossalischen Styles, wie sie allenfalls Richard Wagner zukam, aber doch mir nicht.
Es scheint mir also anständig, mich, zur Rede gestellt über das jüdische Problem, durch keinerlei »große Gesichtspunkte«, weder durch geistige Umwälzungen wie den Untergang des Liberalismus, noch durch verantwortungsvolle Erwägungen {428}philosophisch-politischer, rassenbiologischer oder ähnlicher Art verwirren zu lassen, sondern mich an die Tatsachen meines Lebens zu halten, die judenfreundlich sind, wie es die Lebenstatsachen jedes Menschen, der auf nicht ganz gäng und gäbe Art durch die Welt zu kommen geboren ist, nach redlicher Aussage immer sein werden.