Zurück vor den Urknall - Martin Bojowald - E-Book

Zurück vor den Urknall E-Book

Martin Bojowald

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Beschreibung

Der spektakuläre Blick in das Universum vor dem »big bang«! Bislang blieb der »Urknall« die letzte Grenze, hinter die kein Physiker zurück konnte. Selbst für die Allgemeine Relativitätstheorie gilt dieser Zeitpunkt als »Singularität«, die sich nicht mehr mit ihren Gleichungen berechnen lässt und wo die physikalischen Gesetzmäßigkeiten nicht mehr definiert sind. Hier beginnt für uns das Universum. Doch was war vorher? Der junge Physiker Martin Bojowald hat in der Fachwelt Aufsehen erregt, weil es ihm mit einer Reihe von Gleichungen gelungen ist, näher als jemals bisher an den Urknall heranzukommen und sogar darüber hinaus. Plötzlich ist sind Einblicke in das möglich geworden, was vor dem Urknall war – mit verblüffenden Erkenntnissen über eine aufregend unbekannte Welt mit negativer Zeit, »umgestülpten Raumverhältnissen« und einem Kosmos, der sich zusammenzieht, um nach dem »Big Bang« zu expandieren. Alte kosmologische Modelle über den Zyklus des Werdens und Vergehens des Weltalls erhalten dadurch eine ganz neue Aktualität. Doch wie war es wirklich? Was war »vor dem Urknall«? In seinem Buch »Zurück vor den Urknall« erklärt Martin Bojowald anschaulich und ohne jede Formel die physikalischen Hintergründe seiner Theorie. Er nimmt seine Leser mit auf eine spannende Reise durch die heutige Kosmologie, zurück zum Ursprung des Universums – und in die Zeit davor.

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Seitenzahl: 445

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Martin Bojowald

Zurück vor den Urknall

Die ganze Geschichte des Universums

Sachbuch

Fischer e-books

Vorwort

... and if he does not do it solely for his own pleasure, he is not an artist at all.

Oscar Wilde: The Soul of Man under Socialism

Für einen Wissenschaftler gibt es viele Gründe, ein populärwissenschaftliches Buch zu schreiben, und es gibt etliche Gründe, dies nicht zu tun. Das Primat jeder wissenschaftlichen Betätigung ist immer noch die Forschung: Hier werden Karrieren geschmiedet und Auszeichnungen verdient. Alles andere verbraucht demgegenüber nur kostbare Zeit – zumindest in den Augen mancher Kollegen, die vielleicht einmal zu einer Bewertung in einer wichtigen Entscheidung befragt werden.

Doch was ist aller wissenschaftlicher Fortschritt wert, wenn man ihn nicht vermitteln kann? Verstehen wir die Welt wirklich, wenn wir sie nicht ohne die Voraussetzung eines langjährigen Studiums erklären können? Zu oft bedeutet das Erlernen einer komplexen Materie, dass man die entscheidenden Sachverhalte bloß akzeptiert und sich an eingespielte Rechenmethoden gewöhnt. Ein wahrer Test des Verständnisses wird erst erreicht, wenn dieses Wissen einem aufgeschlossenen, aber unvoreingenommenen Laien erklärt werden soll. In diesem Sinne ist z.B. die Quantenmechanik – trotz aller Erfolge und technologischer Anwendungen – keineswegs verstanden (wovon wohl das dritte Kapitel dieses Buches einen Eindruck gibt). Ein populärwissenschaftliches Buch zu schreiben ist für einen Wissenschaftler also eine Übung, die auch für die eigene Forschung äußerst relevant ist.

Zudem ist ein populärwissenschaftliches Buch das ideale Medium, die Einheit von Wissenschaft, Literatur und Kunst anzudeuten. In all diesen Bereichen macht man sich ein Bild von der Welt und versucht,

es zu vermitteln. Diese Einheit besteht natürlich nicht in Wirklichkeit, sondern nur als Ideal. Doch ein Buch, das die Ambition hat, allgemeinverständlich zu sein, hat auch ein Recht, dieses Idealbild zu bemühen. Ich bin deshalb allen in diesem Buch Zitierten zu Dank verpflichtet, die geholfen haben, diese Einheit zu erschließen. Vonseiten der Kunst gebührt Gianni Caravaggio Dank, von dem einige Kunstwerke im Folgenden abgebildet sind, und der in vielen Diskussionen zu manchen Einsichten beigetragen hat. Zu danken ist auch Rüdiger Vaas, der ebenfalls in Diskussionen über einige Jahre hinweg zu meinem Verständnis und dessen Vermittlung beigetragen hat. Er war einer der Ersten, die an meinen Forschungsresultaten Interesse gefunden haben und sie einer weiten Verbreitung für würdig empfanden. Viele Weitere, die hier unmöglich alle genannt werden können, haben mich ständig, und sei es auch nur durch eine kurze E-Mail, gezwungen, den Elfenbeinturm der Wissenschaft zu verlassen. Besonders erwähnen möchte ich hier noch Hartmut Schneeweiß von der Astronomischen Vereinigung Weikersheim.

Dieses Buch wäre nicht entstanden ohne den Vorschlag Jörg Bongs vom S. Fischer Verlag und die folgende Unterstützung auch von Alexander Roesler während des Schreibens. Zu danken habe ich außerdem dem Physik-Department der Pennsylvania State University, das es versteht, für seine Mitglieder eine überaus angenehme und stimulierende Atmosphäre bereitzustellen. Es hat mich auch unbewusst beim Schreiben dieses Buches durch das Angebot eines Freisemesters unterstützt, ohne überhaupt von meinen diesbezüglichen Plänen zu wissen!

Elisabeth und Stefan Bojowald danke ich für ein kritisches Lesen einer Vorversion dieses Buches und für so manchen Hinweis, z.B. zu zyklischen Bildern in der Ägyptologie. Eine Rolle im Entstehen mancher Passagen hat auch die Ruhe dieser Zuflucht am Rande der Eifel gespielt.

State College, Pennsylvania

April 2008

Kapitel 1:Einleitung

Je abstrakter die Wahrheit ist, die Du lehren willst, desto mehr musst Du noch die Sinne zu ihr verführen. Friedrich Nietzsche: Jenseits von Gut und Böse

Im letzten Jahrhundert ist die physikalische Forschung weit fortgeschritten und hat ein überragendes Theoriengebäude entworfen: die Quantentheorie und die Allgemeine Relativitätstheorie. Dies erlaubt ein Verständnis der Natur im großen wie im kleinen Maßstab, vom ganzen Universum in der Kosmologie bis hin zu einzelnen Molekülen, Atomen oder gar Elementarteilchen mit Hilfe der Quantentheorie. Zusammengenommen ergibt sich so eine präzise Beschreibung und ein tiefgreifendes Verständnis von mannigfachen Phänomenen, die eine spektakuläre Bestätigung durch Beobachtungen erfahren haben. Gerade in den letzten Jahren ist dies vor allem in der Kosmologie des frühen Universums geglückt.

Neben der technologischen Relevanz in fast allen Bereichen des alltäglichen Lebens besteht ein unverkennbares Gütezeichen dieses wissenschaftlichen Fortschrittes darin, dass schon seit einiger Zeit Teile der Forschung an traditionell von der Philosophie beanspruchte Fragestellungen stoßen. (Mit dem Physiker und Philosophen Abner Shimony kann man hier zu Recht und mit absichtlichem inneren Widerspruch von »experimenteller Metaphysik« sprechen.) Seit Aristoteles ist das Ziel der Theoriebildung die Einsicht in allgemeine Sachverhalte und ein Verständnis von deren Gründen, im Gegensatz zum Sammeln von Einzelwissen. Philosophie hingegen fragt nach den tiefsten Gründen oder Prinzipien des Seienden. In diesem Sinne ist die Verschmelzung einiger physikalischer mit philosophischen Fragestellungen durchaus als Auszeichnung des wissenschaftlichen Fortschrittes zu verstehen. Wenn Physik zu diesen Fragen vordringt, gelangt sie auch in eine Position, mit der zu Diskussionen von weit allgemeinerem – und weiter reichendem – Interesse beigetragen werden kann. Für eine Kombination von Kosmologie und Quantentheorie ist die wichtigste Frage die nach der Entstehung und den ersten Stadien der Welt, was die Menschheit seit den Anfängen der Philosophie und auch schon davor bewegt hat.

Weitere Beispiele sind, sowohl in der Quantentheorie als auch in der Allgemeinen Relativitätstheorie, die Rolle von Beobachtern in der Welt und die Frage nach dem, was man überhaupt beobachten kann und was möglicherweise nicht. In der Kosmologie bedeutet der Einzug von physikalischen Methoden die Entstehung empirisch überprüfbarer Weltbilder. Das Urknall-Modell des Universums beruht sowohl auf der Allgemeinen Relativitätstheorie in der Beschreibung von Raum, Zeit und der treibenden Gravitationskraft als auch auf der Quantentheorie, die für eine Kenntnis der Eigenschaften von Materie im frühen Universum wichtig ist. Insgesamt ergibt sich eine spektakuläre Erklärung für die sukzessive Entstehung von Atomkernen, Atomen und weiter zusammengesetzter Materie bis hin zu Galaxien aus einer extrem heißen Anfangsphase.

Gerade an dieser Stelle werden jedoch auch Grenzen des etablierten Weltbildes sichtbar. Trotz aller Erfolge ergibt die Allgemeine Relativitätstheorie zusammen mit der Quantentheorie, wie sie derzeit benutzt wird, keine vollständige Beschreibung des Universums. Löst man die mathematischen Gleichungen der Allgemeinen Relativitätstheorie, um ein Modell des zeitlichen Verlaufes des Universums zu erhalten, so erhält man immer einen Zeitpunkt, die sogenannte Urknall-Singularität, zu dem die Temperatur des Universums unendlich groß war. Dass das Universum in der Urknall-Phase sehr heiß war, ist keine Überraschung; schließlich war das expandierende Universum damals viel kleiner und komprimierter als heute, was einen enormen Temperaturanstieg bedeutet. Aber Unendlich als Resultat einer physikalischen Theorie bedeutet schlicht, dass die Theorie überstrapaziert wurde. Ihre Gleichungen verlieren an solch einem Punkt sämtlichen Sinn. Im Falle des Urknall-Modells sollte dies nicht als eine Vorhersage eines Anfangs der Welt missverstanden werden, obwohl es oftmals so dargestellt wird. Ein Zeitpunkt, an dem eine mathematische Gleichung Unendlich liefert, ist nicht der Anfang (oder das Ende) der Zeit. Es ist einfach ein Punkt, an dem die Theorie ihre Begrenztheit zeigt. Trotz aller Erfolge in anderen Bereichen muss die Theorie, die durch die Allgemeine Relativitätstheorie in Kombination mit der Quantentheorie der Materie geliefert wird, erweitert werden.

Das Problem hat seine Ursache in der Unvollständigkeit der Revolution, die in der physikalischen Forschung des letzten Jahrhunderts stattfand. Die Quantentheorie wird zwar für eine Beschreibung der Materie im Universum benutzt, nicht aber für die Gravitationskraft oder gar für Raum und Zeit selbst. Letzteres ist die Domäne der Allgemeinen Relativitätstheorie, die aber weitgehend unabhängig von der Quantentheorie ist. Eine erfolgreiche Kombination von Quantentheorie und Allgemeiner Relativitätstheorie auch in den Bereichen von Raum und Zeit würde die bisher bekannte Theorie signifikant erweitern. Eine solche Kombination, die Quantengravitation, ist insbesondere für eine Beschreibung der heißen Urknall-Phase des Universums wichtig und kann, so hofft man, erklären, was an dem Unendlichkeitspunkt der Urknall-Singularität passierte. War dies wirklich der Ursprung der Welt und der Zeit, oder gab es doch etwas davor? Und wenn es etwas vor dem Urknall gab, dann was?

Leider erweist sich die Quantengravitation als äußerst kompliziert. Für sich genommen sind Allgemeine Relativitätstheorie und Quantentheorie durch einen in der vorhergehenden Physik ungekannten mathematischen Aufwand ausgezeichnet. Außerdem sind die in diesen beiden Bereichen benutzten mathematischen Methoden voneinander sehr verschieden. Eine Kombination der physikalischen Theorien verlangt auch eine Vereinigung der zugrundeliegenden mathematischen Objekte, was zu einer Potenzierung des Schwierigkeitsgrades führt. Deshalb ist, trotz vieler Jahrzehnte Forschung und starker Anstrengungen zahlreicher Wissenschaftler, noch keine vollständig ausformulierte Quantengravitation verfügbar. Was wir aber vor allem in den letzten Jahren gesehen haben, sind zahlreiche vielversprechende Indizien für ihre Eigenschaften, die bereits analysiert werden können. Die Situation, wie so oft in der Forschung, gleicht dem Anfangsstadium eines Puzzle-Spiels, in dem man das endgültige Bild vielleicht teilweise erahnen kann, dennoch aber auch auf einem Irrweg sein könnte. Unser derzeitiges Bild deutet an, was eine Vervollständigung der physikalischen Theorie bewerkstelligen kann: Sie erlaubt uns zu sehen, was während und sogar vor dem Urknall geschehen sein könnte. Wir erhalten Einblick in die früheste Urzeit unseres Universums und können erstmals analysieren, wie es wohl entstand.

In diesem Buch werden sowohl jüngste Resultate der Theorie als auch für die nähere Zukunft geplante Beobachtungen im Weltraum erläutert, und es wird gezeigt, wie radikal sie unser Weltbild verändern können. Insbesondere mit der Schleifen-Quantengravitation, eine der Varianten, die derzeit für eine Kombination von Allgemeiner Relativitätstheorie und Quantentheorie gehandelt werden, sind Ansätze für eine nichtsinguläre Beschreibung des Urknalls erzielt worden. In diesem Rahmen existierte das Universum schon vor dem Urknall, und es lässt sich grob abschätzen, wie es sich damals in seinen Eigenschaften von den jetzigen unterschieden haben könnte. Durch den Einfluss auf spätere Phasen der kosmischen Expansion, die empfindlichen Beobachtungen offenstehen, kann man diese Urgeschichte des Universums untersuchen. Aus erster Hand der Forschung wird dies im weiteren Verlauf dargestellt werden, gefolgt von einer Behandlung Schwarzer Löcher, die ebenfalls faszinierende Effekte zeigen. Die abschließenden Kapitel berühren dann weitergehende, ein allgemeines Verständnis der Welt betreffende Fragestellungen, darunter die Kosmogonie, das Rätsel der Zeit und ihrer Richtung und den Gral der »Weltformel«. Wie das wissenschaftliche Weltbild wird der menschliche Weg der Erkenntnis selbst durch Beispiele aus der modernen Forschung beleuchtet. Hierin wird etwas Einblick von einer persönlichen Perspektive aus gewährt.

Obwohl die Theorie hochmathematisch ist, sind viele Rechnungen mittlerweile intuitiv verstanden. Intuition ist nicht nur hilfreich für die Forschung in einem unbekannten Territorium, sondern erlaubt auch eine breitangelegte Erklärung. Dies soll, unter Verzicht auf mathematischen Formalismus (abgesehen von einer Illustration auf Seite 123), in diesem Buch realisiert werden, getreu dem am Anfang dieses Kapitels zitierten Nietzsche-Motto. Während man zum Entdecken und Einsehen solcher Sachverhalte nicht auf die Mathematik verzichten kann, ist ein anschauliches Verständnis ohne allzu viel Aufwand möglich. Man wird zwar nicht immer verstehen, warum die Dinge so und nicht anders sein sollen, aber mit etwas Vertrauen in den Reiseführer erkennt man doch einige der Zusammenhänge.

Dennoch ist eine Warnung vonnöten: Viele Bereiche der Quantengravitations-Forschung sind noch als spekulativ zu betrachten. Anders als in der ersten Hälfte des vorigen Jahrhunderts, in der die Allgemeine Relativitätstheorie und die Quantentheorie entwickelt wurden, existieren (noch) keine Beobachtungen, die als Richtlinie für die theoretische Ausformulierung der Quantengravitation dienen könnten. Was derzeit die Forschung antreibt, sind konzeptionelle Erwägungen der bisher erkannten Unvollständigkeit der Allgemeinen Relativitätstheorie sowie mathematische Konsistenzbedingungen in der Formulierung von Gleichungen. Es ist zum Beispiel keineswegs garantiert, dass die Kombination gewisser mathematischer Methoden, wie sie in der Allgemeinen Relativitätstheorie und der Quantenphysik vorkommen, überhaupt Lösungen zur verlässlichen Beschreibung des Universums zulässt. In der Tat sind die mathematischen Methoden so restriktiv, dass eine Formulierung einer Theorie mit sinnvollen Lösungen schon einen riesigen Erfolg darstellen würde. Ob es noch weitere Theorien mit dieser Eigenschaft geben könnte, ist dann eine andere, bisher unvollständig untersuchte Frage. Dies zeigt, auf welch zarten Säulen die Quantengravitation zurzeit steht. Es herrscht aber Optimismus, denn viele unabhängige Indizien, wie die in diesem Buch, deuten in dieselbe Richtung. Außerdem, und weit wichtiger, erwartet man für die nähere Zukunft kosmologische Beobachtungen, die von der Quantengravitation vorhergesagte Phänomene zeigen könnten. Solche Beobachtungen, die auch in diesem Buch beschrieben sind, würden die Quantengravitation endgültig zu einer empirisch überprüften Theorie machen.

Noch gleicht der Stand der Quantengravitation dem Frühstadium der Erschließung eines neuen Gebietes. Als Pionier fungiert hier die Mathematik, die neue Bereiche hinter etablierten Grenzen eröffnet. In unserem Fall sind diese Grenzen buchstäblich die des Universums und der Zeit. Die Mathematik dient auch zur Erforschung dieses neugewonnenen Territoriums, eine endgültige Absicherung in einer empirischen Wissenschaft wie der Physik kann aber nur durch Beobachtungen kommen. Dies steht bisher für die Quantengravitation aus, die somit einem Land noch voller Gefahren gleicht. Nur zu leicht verirrt man sich hier oder versinkt in den Sümpfen der Spekulation.

Ein solches Land verlangt einige Ehrfurcht vor der Natur, die allerdings nicht immer dargebracht wird. Auch wenn die Sprache der Physiker über die Natur oft sehr bestimmt (und manchmal vielleicht überheblich) klingt, so gilt allgemein nach Rudolf Carnap: »Es [ein Naturgesetz] kann richtig, aber auch falsch sein. Wenn es nicht richtig ist, ist der Wissenschaftler, nicht die Natur, der Schuldige.« [1]Ein Physiker stellt Naturgesetze auf, hat es aber selbst zu verantworten, wenn sie verletzt werden. Niemand ist dem Physiker Untertan, schon gar nicht die Natur. Dies gilt insbesondere für theoretische Skizzen wie die Quantengravitation. In der Zwischenzeit, bevor Beobachtungen zeigen, dass die Natur den ihr auferlegten und hier beschriebenen Gesetzen zumindest einigen Respekt zollt, dient die Intuition als Reiseführer in dem unbekannten Land, auf einer abenteuerlichen Fahrt zurück vor den Urknall.

Abb. 1:

Der Stein der Weisen zerfließt: Was als gesicherte Erkenntnis gilt, kann sich bei näherer Untersuchung als korrekturbedürftig erweisen. Eine Auswertung von Resultaten oder Versprechungen der Wissenschaft muss immer auch deren Grenzen berücksichtigen. Oft sind solche Grenzen sogar wichtiger als etablierte Resultate, denn sie weisen den Weg zu neuen Erkenntnissen. (Skulptur von Gianni Caravaggio: Spreco di energia assoluta [Absolute Energieverschwendung], 2006, Schwarzer Maquiña-Marmor, Büstenmarmor, Creme, schwarze Linse, 50 × 70 × 80 cm, Foto: Roberto Marossi)

Kapitel 2:Gravitation

Wenn etwas mir vom Fenster fällt (und wenn es auch das Kleinste wäre), wie stürzt sich das Gesetz der Schwere gewaltig wie ein Wind vom Meere auf jeden Ball und jede Beere und trägt sie in den Kern der Welt.

Rainer Maria Rilke: Das Stundenbuch

Im Großen wird das Universum von der Gravitationskraft regiert. Die Wirkung einer Kraft ist in der Physik die Ursache von Bewegung oder jeglicher Form von Änderung. Vollkommene Ruhe existiert nur, wenn keine Kräfte wirken. Eine Möglichkeit dafür ist die Abwesenheit jeglicher Materie, ein als Vakuum bezeichneter Zustand. Materie existiert aber offensichtlich, und allein durch ihre Masse bewirkt sie Gravitationskräfte auf andere Massen. Um zumindest näherungsweise ruhende Zustände zu realisieren, müssen sich die herrschenden Kräfte gegenseitig kompensieren. Zusätzlich zur Gravitationskraft kommen hierfür die elektrische und magnetische Kraft in Frage sowie, im Prinzip, zwei Arten von Kräften, die als schwache und starke Wechselwirkung bezeichnet werden und im Reich der Elementarteilchen herrschen.

Während die elektrische Kraft durch die Existenz von positiven wie negativen Ladungen auf großen Distanzen abgeschirmt wird, sind die Kräfte, die im Inneren von Atomkernen wirken, nur von extrem kurzer Reichweite. Was damit auf großen Distanzen übrig bleibt, ist allein die Gravitationskraft. Sie beschreibt die allgemeine Anziehung zwischen Massen und Energieansammlungen im Raum und so auch das zeitliche Verhalten des Universums selbst. Anders als im elektrischen Fall gibt es keine negativen Massen: Die Gravitationsanziehung kann nicht kompensiert werden. Entstehen einmal an Masse reiche Objekte wie Sterne oder ganze Galaxien, so dominiert die dadurch hervorgerufene gravitative Wechselwirkung das Geschehen. Die Facetten dieser so alltäglichen und in der jüngeren Forschung oft vernachlässigten, aber doch – in der Kosmologie sowie in Schwarzen Löchern – zu vielerlei exotischen Phänomenen führenden Kraft sind das Thema dieses Buches.

Das Newton’sche Gravitationsgesetz

Das erste allgemeine Gravitationsgesetz wurde von Isaac Newton aufgestellt. Wie so typisch für viele wichtige Schritte in der Gravitationsforschung waren hierfür alltägliche Naturbeobachtungen auf der Erde ausschlaggebend, aber auch eine lange Reihe beschwerlicher Beobachtungen von Objekten im Weltraum, nämlich des Mondes und von Planeten. Sie wurden durch für die damalige Zeit hochentwickelte Techniken ermöglicht und haben selbst die Entwicklung von neuen Instrumenten beeinflusst und befruchtet. Diese Erfolgsgeschichte einer Kombination von grundlegenden Fragen und technologischen Anwendungen dauert bis zum heutigen Tage in vielen Bereichen der naturwissenschaftlichen Forschung an, so auch in der Gravitationsforschung.

Schon vor Newton war die zunächst unübersichtliche Flut der Daten, die von Astronomen wie Tycho Brahe, Johannes Kepler und vielen anderen gewonnen worden war, in ein Modell des Sonnensystems geordnet worden. Seit Nikolaus Kopernikus und Kepler nahm dieses Modell eine Form weitgehend so an, wie wir es heute kennen: Planeten bewegen sich um die Sonne entlang von Bahnen, die zu guter Näherung als Ellipsen, also etwas abgeplattete Kreise, beschrieben werden können. Aber was war dafür verantwortlich, dass die Planeten den ihnen vorgeschriebenen gekrümmten Bahnen folgten? Aus der alltäglichen Erfahrung wissen wir, dass eine Kraft erforderlich ist, um einen Körper von der Bewegung entlang einer geraden Linie abzubringen. Wie kann man diese Kraft im Fall der Planeten beschreiben oder gar erklären?

Newtons bahnbrechende Einsicht, dass es eine einheitliche Kraft, die Gravitationskraft, gibt, die nicht nur die Bahnen aller Planeten um die Sonne und des Mondes um die Erde bewirkt, sondern auch alltägliche Erscheinungen des Fallens auf der Erde selbst, ist von beeindruckender Stärke. Sie ist ein exzellentes Beispiel für den Ursprung wissenschaftlicher Erklärung: Es wird keine Antwort auf eine »Warum«-Frage im Sinne einer anthropomorphen Motivation geliefert, sondern eine Vielfalt von komplizierten und anscheinend unzusammenhängenden Erscheinungen wird auf einen einzelnen Mechanismus – ein Naturgesetz – zurückgeführt. Zudem ist die von Newton gelieferte mathematische Beschreibung sehr kompakt und damit hocheffizient in der Vorhersage von durch das gleiche Gesetz beschriebenen Phänomenen. Im Falle des Newton’schen Gravitationsgesetzes ist dies wiederholt benutzt worden, z.B. zur Auffindung von neuen Planeten durch leichte Abweichungen, die sie bei Bahnen von bekannten Planeten hervorrufen, oder in der modernen Planung von Satellitenmissionen.

Solche Erfolgsgeschichten, in denen eine elegante mathematische Beschreibung viele Erscheinungen erklären kann, finden sich häufig in der Physik und markieren geradezu ihren Fortschritt. Diese Einsichten nachzuvollziehen ist oft so beeindruckend, dass Wissenschaftler hier den Begriff der Schönheit bemühen – eine pragmatische Art von Schönheit, deren Kern in der mathematischen Formulierung nur für Eingeweihte sichtbar, aber in den konkreten Erfolgen auch für Außenstehende erahnbar ist.

Konkret beschreibt Newtons Gravitationsgesetz die Anziehungskraft zwischen zwei Körpern aufgrund von deren Massen. Die Kraft nimmt proportional mit den beiden Massen zu, d. h. die Kraft zwischen sehr schweren Objekten ist größer als zwischen leichten. Außerdem ist sie vom Abstand zwischen den Körpern abhängig, allerdings durch umgekehrte Proportionalität des Quadrates des Abstandes. Sie wird also schwächer, wenn die Körper weiter voneinander entfernt sind. Zusätzlich zu diesen Proportionalitäten wird die genaue Größe der Kraft durch eine mathematische Konstante bestimmt, die Newton’sche Gravitationskonstante. Auch hier wird die Vereinheitlichung irdischer mit himmlischen Phänomenen deutlich: Man kann die Gravitationskonstante über die winzige Anziehung zweier Massen auf der Erde messen, wie dies erstmals 1797/98 Henry Cavendish in seinem Labor gelang. Benutzt man den gleichen Wert zur Berechnung der Kraft, die die Sonne auf die Planeten ausübt, so erhält man genau die beobachteten Bahnen der Planeten.

Im Gegensatz zu der klaren Abstandsabhängigkeit ist die Newton’sche Gravitationskraft von der Zeit vollkommen unabhängig. Dies klingt plausibel, soll ein grundlegendes Naturgesetz wie dieses doch zu allen Zeiten gleichermaßen gelten. Es stimmt auch mit den zu Newtons Zeiten und noch lange danach vorherrschenden Meinungen über Raum und Zeit überein, ganz zu schweigen von unseren alltäglichen Vorstellungen darüber. Obwohl man die Position und den Abstand von Objekten im Raum verändern kann, erscheint der Raum selbst unveränderbar. Auch die Zeit vergeht einfach und gleichmäßig, ohne von physikalischen Vorgängen beeindruckt zu werden. Da nach Newton die Gravitation ohne Zeitverzögerung wirkt – unabhängig davon, wie weit die Massen voneinander entfernt sind –, braucht man das Kraftgesetz nur für den Fall, in dem die beiden Massen zwar nicht am selben Ort, aber zur selben Zeit sind. Das Gesetz ist deshalb vollkommen zeitunabhängig, selbst der »zeitliche Abstand« zwischen den Massen ist, im Gegensatz zum räumlichen Abstand, irrelevant.

Trotz ihrer plausiblen Form und der eingangs erwähnten Erfolge hatte Newtons Theorie einen Schönheitsfehler. Wie die Schönheit der Theorie selbst kann auch dieser Makel nur bei ausreichender Kenntnis der Hintergründe vollkommen verstanden werden, aber schon oberflächlich betrachtet ist dies ein gutes Beispiel für den Fortschritt der theoretischen Physik. Newton selbst soll schon unglücklich über den Umstand gewesen sein, dass sein Gravitationsgesetz »animalistische« Tendenzen zeigte: Wie ein Tier von weit her durch die Aussicht auf Nahrung angezogen wird, so schien ein schwerer Körper sich von weitem auf einen anderen zuzubewegen. Diese Wirkung aus der Ferne, anstatt lokaler Wechselwirkungen wie durch sich direkt berührende Körper, wurde als konzeptionelle Schwäche trotz aller konkreten Erfolge angesehen.

Diese Schwachstelle durch eine Theorie nur lokaler Wechselwirkungen zu beheben, die natürlich ansonsten mit den astronomischen Erfolgen von Newtons Theorie kompatibel sein müsste, ist ein äußerst schwieriges Unterfangen. Zunächst einmal ist dann eine Berücksichtigung auch der zeitlichen Dimension nötig, da ja solch eine lokale Wechselwirkung sich erst einmal von einem Körper zum nächsten ausbreiten müsste. Wie sich herausgestellt hat, gelingt dies nur mit einem radikalen Umsturz der Newton’schen – und anschaulichen – Vorstellungen von Raum und Zeit. Man benötigt dafür einen weit höheren mathematischen Aufwand, der aber durch eine Theorie ungeahnter Schönheit, in dem eingangs diskutierten Sinn, belohnt wird. Dies alles verlangte eingehende physikalische Forschung und nicht zuletzt eine Weiterentwicklung der mathematischen Grundlagen. Der Makel der Newton’schen Theorie sollte deshalb erst lange nach Newton durch Albert Einstein behoben werden.

Relativität von Raum und Zeit

Dies alles dauerte eine lange Zeit, oder eine kurze Zeit: denn, recht gesprochen, gibt es für dergleichen Dinge auf Erden keine Zeit –.

Friedrich Nietzsche: Also sprach Zarathustra

Erste Risse im Newton’schen Weltbild deuten sich mit der Speziellen Relativitätstheorie an. Raum und Zeit können hier nicht mehr als getrennt angesehen werden, sondern sind zusammengehörig. Sie beschreiben unterschiedliche Dimensionen eines einzigen physikalischen Objektes, der Raum-Zeit. Wie kann man dies mit physikalischen Methoden entscheiden? Um das zu beantworten und die Rolle von Dimensionen zu erklären, betrachten wir zunächst nur den Raum. Auch dieser hat unterschiedliche Dimensionen, nämlich drei: Wir können uns seitlich, vorwärts oder rückwärts und nach oben oder unten bewegen. Hier kann man fragen, warum dies als drei Dimensionen eines einzigen Raumes angesehen werden soll, anstatt als drei vollkommen unabhängige Richtungen: Breite, Tiefe und Höhe.

Die Antwort ist einfach: Breite, Tiefe und Höhe sind nicht absolut und voneinander unabhängig, sondern können ineinander »umgewandelt« werden. Wir brauchen uns nur im Raum zu drehen, um z.B. die Höhe eines Würfels als seine Breite erscheinen zu lassen; in diesem Sinne sind Höhe und Breite ineinander umwandelbar. Dies ist keine Umwandlung durch einen physikalischen Prozess, etwa eine chemische Reaktion, sondern eine viel einfachere durch Ändern des Beobachtungsstandpunktes. Was wir als Höhe, Breite oder Tiefe ansehen, hängt vom Standpunkt des Beobachters ab (oder von Konventionen wie der Benutzung der Erdoberfläche, entlang der Breite und Tiefe gemessen werden) und ist deshalb nicht als Eigenschaft des Raumes als physikalischen Objektes anzusehen. Deshalb spricht man von einem dreidimensionalen Raum, anstatt von der Existenz dreier eindimensionaler Richtungen.

Ähnlich verhält es sich mit der Zeit, obwohl hier die Umwandlung schwieriger ist. Durch einfaches Drehen wird nur die Sichtweise des Raumes beeinflusst: Die Änderung des Sichtwinkels (oder genauer des Tangens des Sichtwinkels als mathematische Funktion, die sich bei kleinen Winkeln aber nicht stark vom Winkel selbst unterscheidet) ist durch das Verhältnis einer räumlichen Ausdehnung wie z.B. der Höhe vor und nach der Änderung der Sichtposition gegeben. Durch Verändern des Winkels kann man deshalb nur räumliche Ausdehnungen ineinander umwandeln. Wenn wir Raum in Zeit umwandeln wollen, so müssen wir eine Größe variieren, die durch ein Verhältnis von räumlicher und zeitlicher Ausdehnung gegeben ist: die Geschwindigkeit. Legt man in einer gewissen Zeit eine bestimmte Länge zurück, so bewegt man sich mit einer Geschwindigkeit, die durch das Verhältnis der zurückgelegten Strecke zu der dafür benötigten Zeit gegeben ist.

Diese Überlegung führt in der Tat zu der grundlegenden Erscheinung der Speziellen Relativitätstheorie. Wenn wir uns beim Betrachten einer Situation schneller bewegen als ein zweiter Beobachter, so erscheinen uns räumliche und zeitliche Abstände in den beobachteten Ereignissen anders als diesem. Wie ein Wechsel des Sichtwinkels die räumlichen Ausdehnungen ineinander überführt, so wandelt ein Ändern der Geschwindigkeit beim Beobachten räumliche in zeitliche Abstände um und umgekehrt. Aus diesem Grunde ist die Unterscheidung zwischen räumlicher und zeitlicher Ausdehnung vom Standpunkt (oder genauer von der »Standbahn«, wenn wir uns wirklich bewegen) abhängig und hat keine physikalische Basis unabhängig von Beobachtern. Anstatt Raum und Zeit zu trennen, gibt es nur ein einziges, gemeinsames Objekt: die Raum-Zeit.

Diese Veranschaulichung ist natürlich noch kein Beweis, denn nicht jedes Verhältnis führt durch Ändern zu einer Umwandlung. Zum Beispiel ist die Geburtenrate in einem Land durch das Verhältnis von Neugeborenen zur Gesamtbevölkerung gegeben, bei einer Änderung der Geburtenrate werden aber keine Einwohner in Neugeborene umgewandelt. Ein wichtiger Unterschied zu den vorigen Beispielen ist die Rolle des Beobachters: Änderungen wurden durch Positions- oder Bewegungswechsel eines Beobachters hervorgerufen, und da physikalische Aussagen von speziellen Eigenschaften derjenigen, die Beobachtungen durchführen, unabhängig sein müssen, wird eine Trennung von nur durch den Beobachtungsstandpunkt unterscheidbaren Begriffen ausgeschlossen. In der Speziellen Relativitätstheorie kann diese Art von »Umwandelbarkeit« von Raum und Zeit aber nicht nur mathematisch untermauert werden, sondern sie ist sogar wiederholt experimentell überprüft worden. Während die Newton’schen Vorstellungen von einem festen Raum und einer davon unabhängigen Zeit mit vielen Messungen des letzten Jahrhunderts nicht übereinstimmen würden, treten bei einer speziell relativistischen Sichtweise keine Widersprüche auf.

Die Newton’sche Sichtweise war so lange von Erfolg gekrönt, weil für eine merkbare Umwandlung von Raum und Zeit sehr hohe Beobachtergeschwindigkeiten erforderlich sind, die merklich an die immense Ausbreitungsgeschwindigkeit von Licht (etwa dreihunderttausend Kilometer pro Sekunde) heranreichen. Aus diesem Grunde ist die Umwandelbarkeit von Raum und Zeit auch nicht im Alltag bemerkbar. [2]Für eine experimentelle Überprüfung benötigt man entweder sehr hohe Geschwindigkeiten oder sehr genaue Zeitmessungen bei den winzigen Umwandlungen, die bei niedrigen Geschwindigkeiten auftreten. Beides ist im letzten Jahrhundert möglich geworden: Sehr genaue Zeitmessungen erreicht man mit Atomuhren, die die Umwandlung von Raum in Zeit sogar bei typischen Geschwindigkeiten von Verkehrsflugzeugen beobachtbar machen. (Dadurch, dass sich Flugzeuge aber in einer gewissen Höhe bewegen müssen, treten zusätzliche Effekte wegen einer Verringerung der Gravitation auf, die auf die Uhr wirkt. Darauf wird weiter unten eingegangen.)

Bei hoher Geschwindigkeit, nahe der des Lichtes, sind die Umwandlungen drastisch: Es findet eine fast komplette Transformation der Zeit in Raum statt, die damit immer langsamer vergeht. Wenn einmal Lichtgeschwindigkeit erreicht wird, was nur für masselose Objekte wie eben das Licht möglich ist, verschwinden sämtliche zeitliche Ausdehnungen in dem so schnell bewegten System. Über diese Geschwindigkeitsgrenze kann man nicht hinausgelangen, denn alle Zeit ist ja beim Erreichen der Lichtgeschwindigkeit schon aufgebraucht worden. Kein Signal kann sich also schneller als das Licht ausbreiten. Es kommt immer zu Verzögerungen, die zwar klein, aber bei großen Distanzen merkbar sein können. (Diese Höchstgeschwindigkeit ist die des Lichts im Vakuum. In durchlässigen Materialien wie Wasser breitet sich Licht üblicherweise langsamer als im Vakuum aus. In solchen Medien kann es also Signale geben, die sich schneller als das Licht im gleichen Medium, nicht aber schneller als das Licht im Vakuum ausbreiten.)

Auch hohe Geschwindigkeiten kann man untersuchen, allerdings nicht durch starkes Beschleunigen einer Uhr, sondern durch Benutzung von schnellen Uhren, die uns die Natur zur Verfügung stellt: Die Erde wird aus dem Weltall von hochenergetischen Teilchen bombardiert, die sich annähernd mit Lichtgeschwindigkeit bewegen. [3]Die meisten davon erreichen nicht den Erdboden, sondern reagieren mit Atomkernen in der oberen Atmosphäre und bilden dabei neue Teilchen, unter anderem Myonen. Myonen sind eine schwerere Form von Elektronen und unterscheiden sich von ihnen wenig, abgesehen durch die Masse und die Tatsache, dass sie nicht stabil sind: Ein Myon in Ruhe zerfällt bereits nach etwa einem Millionstel einer Sekunde in ein Elektron und zwei weitere stabile Teilchen, die Neutrinos genannt werden. Die Zerfallszeit kann man nun als Zeiteinheit einer Uhr benutzen, die zwar im Vergleich mit Atomuhren nicht sehr genau ist. Allerdings kann man Myonen viel leichter auf hohe Geschwindigkeiten bringen als Atomuhren, was die Natur durch die kosmische Strahlung sogar kostenlos zur Verfügung stellt.

Dies führt zu einer beeindruckenden Bestätigung der Speziellen Relativitätstheorie und ihrer Umwandelbarkeit von Raum und Zeit. Selbst bei den hohen Geschwindigkeiten, mit denen Myonen in der oberen Atmosphäre entstehen, würde die Lebenszeit von einem Millionstel einer Sekunde nicht ausreichen, um von dort aus den Erdboden zu erreichen. Dennoch kann man zahlreiche dieser Myonen in Detektoren messen, obwohl sie eigentlich auf dem Weg schon längst hätten zerfallen sollen. Der Grund dafür ist, dass ein Millionstel einer Sekunde, in denen ein ruhendes Myon zerfallen würde, für ein schnell bewegtes Myon, das man vom ruhenden Erdboden aus betrachtet, viel länger erscheint. Durch die hohe Geschwindigkeit der Myonen wird für sie so viel Raum in Zeit umgewandelt, dass sie vor ihrem Zerfall den Erdboden erreichen können, auch wenn dies – selbst bei der hohen Geschwindigkeit – ohne eine solche Zeitausdehnung nicht möglich wäre.

Messungen, mit Atomuhren oder an Myonen, waren Einstein selbst bei seiner Entwicklung der Speziellen Relativitätstheorie noch nicht zugänglich. Stattdessen leitete er die Gleichungen, die die Umwandlung von Raum und Zeit beschreiben, aufgrund von tiefgreifenden Überlegungen über die Theorie des Lichtes her, wie sie 1861 von James Clerk Maxwell aufgestellt worden war. Die Anwendung solcher Prinzipien, unabhängig von Beobachtungen, ist mit Newtons Ansicht zur Unvollkommenheit seiner Theorie vergleichbar. Das Newton’sche Gravitationsgesetz war bei seiner Aufstellung und noch lange danach höchst erfolgreich in der Beschreibung von astronomischen Beobachtungen. Es dauerte Jahrhunderte, bis zweifelsfrei von dem Gesetz abweichende Beobachtungen gemacht wurden. Und dennoch war Newton nicht vollkommen glücklich, da, wie gesagt, sein Gesetz zu animalistisch aussah: Was bewegt zwei Massen dazu, einander anzuziehen, obwohl sie beliebig weit voneinander entfernt sein können?

Dieser schon von Newton erahnte Makel wird in der Speziellen Relativitätstheorie akut. In Newtons Vorstellung von getrenntem Raum und Zeit gibt es kein prinzipielles Problem mit dem Gravitationsgesetz; es gibt höchstens ein ästhetisches. In der Speziellen Relativitätstheorie wird das Gesetz aber schlichtweg inkonsistent: Die Newton’sche Gravitationskraft hängt vom räumlichen Abstand zwischen zwei Körpern ab, es tritt jedoch keine Zeitgröße auf. Versucht man nun, dies mit einer Umwandelbarkeit von Raum und Zeit zu kombinieren, so würde eine konsequente Anwendung des Gesetzes bedeuten, dass die Gravitationskraft vom Bewegungszustand wie der Geschwindigkeit des Messapparates abhängt. Denn eine Änderung der Geschwindigkeit müsste ja Raum in Zeit umwandeln und somit für eine Zeitabhängigkeit des Newton’schen Gesetzes sorgen. Der verringerte räumliche Abstand würde dann durch den vergrößerten zeitlichen kompensiert, sodass jeder Beobachter die richtige Kraft berechnet. Diese Möglichkeit wurde von Newton bei Aufstellung seines Gesetzes aber nicht berücksichtigt, und so ergibt sich die Notwendigkeit, die Newton’sche Theorie zu erweitern.

Eine vergleichbare Situation liegt in der Theorie des Elektromagnetismus vor. Das Coulomb-Gesetz für die elektrostatische Anziehung (oder Abstoßung) zweier elektrisch geladener Körper, das nach Charles Augustin de Coulomb benannt wurde, ist dem Newton’schen für die gravitative Anziehung zweier Massen sehr ähnlich. Man braucht nur die Massen durch die Ladungen und die Newton’sche Gravitationskonstante durch einen die elektrische Kraft quantifizierenden Parameter zu ersetzen. (Außerdem muss man das Vorzeichen der Kraft umkehren, da zwei Ladungen gleichen Vorzeichens sich abstoßen, während zwei – immer positive – Massen sich anziehen.) Das Abstandsverhalten ist aber das Gleiche, und auch hier tritt keine zeitliche Dimension auf. In diesem Fall wurde schon aus anderen Gründen, nämlich basierend auf der Beziehung zwischen elektrischen und magnetischen Erscheinungen, von Maxwell eine Formulierung gefunden, die mit der Umwandelbarkeit von Raum und Zeit vereinbar ist. Dies geschah schon vor Einstein und spielte, wie gesagt, eine große Rolle für dessen Überlegungen. Maxwell erkannte aber nicht den Zusammenhang seiner Erweiterung des Coulomb’schen Gesetzes mit der Umwandelbarkeit von Raum und Zeit.

Eine Umformulierung des Newton’schen Gravitationsgesetzes existierte im Jahre 1905 nicht, als Einstein die Spezielle Relativitätstheorie entwickelte. Diese Verallgemeinerung der Theorie, dann von Einstein selbst in Angriff genommen, sollte sich als weitaus schwieriger erweisen als die Maxwell’sche. Es dauerte weitere zehn Jahre, bis Einstein 1915 ihre endgültige Form, die Allgemeine Relativitätstheorie, aufgestellt hatte. Die Belohnung war nicht nur ein mit den Prinzipien der Speziellen Relativitätstheorie vereinbares Gravitationsgesetz, sondern eine weitere radikale Änderung in unserem Verständnis von Raum und Zeit sowie eine mathematische Fundierung der Kosmologie. In diesem Kapitel werden wir uns vornehmlich mit der Struktur von Raum und Zeit beschäftigen, um dann im Kapitel über Kosmogonie (Seite 288) auf deren Rolle für das Verhalten des ganzen Universums zurückzukommen.

Die Allgemeine Relativitätstheorie

Mühelos schwingt er das All, allein durch sein Wissen und Wollen.

Xenophanes aus Kolophon: Fragmente

In der Allgemeinen Relativitätstheorie steht ein Gravitationsgesetz zur Verfügung, das mit der Speziellen Relativitätstheorie vereinbar ist. Die Theorie ist aber nicht nur eine erweiterte, kompliziertere Form des Newton’schen Gesetzes, sondern sie befördert die Raum-Zeit endgültig zu einem Gegenstand physikalischer Forschung. Was als Raum und was als Zeit angesehen wird, hängt nicht nur vom Standpunkt eines Beobachters ab, sondern ist selbst physikalischen Prozessen unterworfen: Die Form der Raum-Zeit ist durch Materie bestimmt. Ähnlich wie in der Speziellen Relativitätstheorie Geschwindigkeiten sehr groß sein müssen, um die Effekte klar zu sehen, so ist der Einfluss der Materie auf die Raum-Zeit üblicherweise gering. Mit derzeitig verfügbarer Technologie ist es nicht möglich, darauf Einfluss zu nehmen (auch wenn gelegentlich über die Konstruktion von Wurmlöchern, Warp-Antrieben oder kleinen Schwarzen Löchern spekuliert wird). In der Astrophysik oder der Kosmologie hat man es aber oft mit so schweren Objekten zu tun, dass nicht nur die darin enthaltene Materie, sondern auch Raum und Zeit selbst für eine präzise Beschreibung berücksichtigt werden müssen. Mittlerweile hat dies zu zahlreichen Tests der Allgemeinen Relativitätstheorie und, wie später eingehend beschrieben wird, zu neuen Weltbildern in der Kosmologie geführt.

Aber wie bei der Speziellen Relativitätstheorie standen Einstein im Jahre 1915 keine derartigen Beobachtungen zur Verfügung; seine Konstruktionen basierten auf der Möglichkeit einer mathematisch konsistenten Formulierung seiner übergeordneten Prinzipien. Das Resultat ist eine Theorie, wie sie in ihrer Eleganz sonst in der Physik unerreicht ist. Basierend auf allgemeinen Prinzipien und einer geometrischen Form der Mathematik, die sich in einer langen und erlauchten Ahnenfolge auf die hehren Anfänge der Wissenschaft im antiken Griechenland – im Falle der Geometrie vor allem auf Platon und Euklid – zurückverfolgen lässt, ergibt sich fast zwingend eine Form von Gleichungen, die das gesamte Weltall beschreiben.

Einstein hatte lange zu kämpfen, bis er die richtigen Prinzipien und die notwendige Mathematik verstanden hatte, aber seine Arbeit war schließlich von ungeheurem Erfolg gekrönt. Nicht nur stellte die Theorie höchste Ansprüche der Mathematik zufrieden, wo sie bis heute zu wichtigen Anregungen zur Forschung führt, sondern sie sollte später selbst viele Beobachtungen erklären, an denen die Newton’sche Theorie scheiterte.

Dies rechtfertigt auf jeden Fall das große Interesse, das Einstein und seinem Schaffen zuteilwurde; in den letzten Jahrzehnten hat sich der Erfolg aber leider häufig auch zu einem Fluch entwickelt: Oftmals erscheint es weiten Kreisen der Physiker, dass die Allgemeine Relativitätstheorie schon vollständig verstanden wäre und experimentell komplett bestätigt sei. Manchmal wird dies sogar als Argument angeführt, um Forschungen auf diesem Gebiet sowie das damit verbundene Personal zu streichen. Gerade in Deutschland, dem Mutterland der Allgemeinen Relativitätstheorie, ist dies bedauerlicherweise der Fall. Eine vollkommene Bestätigung einer Theorie ist natürlich nie möglich, und schon deshalb sollte man gerade in einem so wichtigen Fall wie der Allgemeinen Relativitätstheorie nie auf neue Experimente verzichten, die unabhängige Vergleiche zwischen Theorie und Beobachtungen liefern können. Immer kann die Menge der Experimente, die eine Theorie prüfen, nur einen eingeschränkten Teil aller möglichen Phänomene abdecken. Eine experimentell überprüfte Theorie ist also in einem gewissen Rahmen erfolgreich, doch ist nie sicher, ob sie alle möglichen Vorgänge, auf die sie im Prinzip anwendbar ist, korrekt beschreibt. Wie die Newton’sche Theorie lange mit Beobachtungen in Einklang stand, bevor sie als nur eingeschränkt gültiger Grenzfall der Allgemeinen Relativitätstheorie erkannt wurde, so könnte auch die Allgemeine Relativitätstheorie vielleicht nur ein Grenzfall einer noch unbekannten Theorie sein. Selbst theoretisch ist die Relativitätstheorie nur unvollständig verstanden, und es gibt zahllose ungeklärte Fragen, die insbesondere für die Kosmologie von direkter Bedeutung sind. Auch hier besteht nach wie vor akuter Forschungsbedarf. Vieles deutet in der Tat darauf hin, dass die Allgemeine Relativitätstheorie zu ergänzen ist, wie wir noch sehen werden.

Die meisten physikalischen Theorien werden durch einen langwierigen Prozess gewonnen, der von einer kreativen Idee oder einer mit bisherigem Wissen nicht erklärbaren Beobachtung startet. Entweder wird dann die Idee weiterverfolgt, weil sie aus ästhetischen und mathematischen Gründen attraktiv erscheinen mag, oder man versucht, die bisherigen Theorien so abzuändern, dass sie nun mit der neuen Beobachtung übereinstimmen. Solch ein Prozess kann sich oft über Jahrzehnte hinziehen und beschäftigt viele Physiker, theoretische wie experimentelle. Viele der derzeit heiß diskutierten Theorien, wie die der Elementarteilchenphysik oder die Quantengravitation als Thema dieses Buches, sind noch immer diesem Prozess unterworfen. Auch die Entwicklung der Quantenmechanik lief lange Zeit auf diese Weise ab, bis sie in die heute anerkannte Form gegossen wurde. (Selbst hier sind viele grundlegende Fragen noch offen, aber von der Seite physikalischer Anwendungen her gilt die Quantenmechanik als verstanden.) Das Endresultat, wie es später Eingang in die Lehrbücher findet, ist oft im Vergleich mit den ersten Entwicklungen nicht mehr wiederzuerkennen, da sich viele der einzelnen historischen Beiträge als nicht wichtig, zu kompliziert oder gar falsch herausgestellt haben. Bei noch in der Entwicklung befindlichen Theorien ist nicht einmal absehbar, ob daraus jemals ein solider Bestandteil des Weltbildes werden wird; ganze Zweige der Physik können sich als Sackgassen erweisen, auch wenn man aus der Forschung immer etwas lernt, was dann anderswo genutzt werden kann.

Bei Einsteins Entwicklung der Allgemeinen Relativitätstheorie war dies alles ganz anders. Einstein allein, nur unterstützt von einigen Freunden wie Marcel Grossmann und in gewisser Konkurrenz zu dem Mathematiker David Hilbert, lieferte die entscheidenden Arbeiten. Nicht alle bauten konsequent aufeinander auf, und manche der publizierten Ideen sollten sich auch hier als unbrauchbar herausstellen. Aber in relativ kurzer Zeit kam er zu seinem Endergebnis, das sich schon bald in dieser Form an Beobachtungen glänzend bewährte. Dies kann leicht den Eindruck erwecken, dass Einstein die Theorie damit direkt in perfekter Form geschaffen hätte und kein Prozess der langwierigen Untersuchung und Ausbesserung der Theorie nötig sei; es erklärt sicherlich, warum selbst unter vielen Physikern die Allgemeine Relativitätstheorie als nicht mehr forschungswürdig gilt. [4]

Die Realität gestaltet sich aber anders. Nur die einfachsten Lösungen der Allgemeinen Relativitätstheorie sind verstanden, was glücklicherweise für viele physikalische Fragen ausreicht; denn selbst die einfachsten, hochsymmetrischen Lösungen erlauben schon beeindruckende Aufschlüsse über die Kosmologie und astronomische Objekte wie Schwarze Löcher. Aber sobald man über diese Lösungen hinausgehen will, begegnet man wegen der Kompliziertheit der Theorie enormen Schwierigkeiten. Dies ist der Grund, warum viele Mathematiker an Fragen der Allgemeinen Relativitätstheorie interessiert sind und immer wieder zu deren Verständnis beitragen. Es existieren auch offene Fragen wie die der Vorhersagbarkeit (z.B. auf Seite 219 erwähnt), die das gesamte Selbstverständnis der Physik berühren.

Selbst eine numerische Computer-Analyse der Einstein’schen Gleichungen – oft der letzte Ausweg, wenn sich direkte mathematische Lösungen als zu schwierig erweisen – ist äußerst kompliziert. Anfänge dazu wurden in den 1970er Jahren gemacht und in den 1990ern forciert. Insbesondere Kollisionen von schweren Sternen oder Schwarzen Löchern sollten weit besser verstanden werden, da sie als starke Quellen einer ganz neuen Erscheinungsform, der Gravitationswellen, gelten. Diese hofft man in den nächsten Jahren mit empfindlichen Detektoren nachzuweisen, um nicht nur die Allgemeine Relativitätstheorie weiter zu testen, sondern auch einen neuen Zweig der Astronomie zu erschließen. Hierbei würde das All nicht mit Licht oder anderer elektromagnetischer Strahlung ausgemessen, sondern mit Hilfe der Gravitationswellen. Es ist, als würde man dann nicht nur in den Himmel sehen, sondern auch in ihn hineinhorchen. Dass damit ganz neue Erfahrungen und Erkenntnisse möglich werden, wird durch die Analogie klar gezeigt.

Für einen Nachweis durch Detektoren muss man erst einmal wissen, wonach man genau sucht; man muss also die Wellenform kennen: den zeitlichen Verlauf der Intensität einer Gravitationswelle, wie sie durch Kollision entstanden ist und sich ähnlich einer Wasserwelle durch den Kosmos bis zu uns ausgebreitet hat. Leider sind die mathematischen Gleichungen aber zu kompliziert für eine direkte Lösung, und selbst Computer waren lange nicht sinnvoll einsetzbar: Verfügbare Computerprogramme brachen wegen Rechenproblemen ihren Lauf viel zu früh ab, um interessante Resultate zeigen zu können – es war, als würde man einen langen Text mit einem Programm schreiben wollen, das nach Eingabe jedes einzelnen Wortes abstürzt. Erst nach intensiven und langjährigen Aktivitäten einiger Gruppen (deren Zahl im Vergleich mit der Elementarteilchen- oder gar Festkörperphysik immer noch bescheiden ist) kam es kürzlich, zuerst in Arbeiten von Frans Pretorius im Jahr 2005, zu einem Durchbruch in der Entwicklung der Computerprogramme, die nun zumindest numerischen Aufschluss über das Kollisionsresultat liefern. Das kommt gerade rechtzeitig, denn auch die Konstruktion von Detektoren für Gravitationswellen, wie LIGO in den USA oder GEO600 bei Hannover, ist in starkem Fortschritt begriffen, sodass der Traum von einer Gravitationswellen-Astronomie schon bald Wirklichkeit werden könnte. All dies wäre ohne die Allgemeine Relativitätstheorie und ihr durch kontinuierliche Forschungen immer weiter entwickeltes Verständnis nicht möglich.

Zurück zum historischen Verlauf: Einstein arbeitete natürlich nicht vollkommen frei von Beobachtungen, da er ja das astronomisch getestete Newton’sche Gravitationsgesetz zu erweitern suchte. Dieser Kontakt mit bereits etablierten Gesetzen ist für jeden Fortschritt in der Physik wichtig. Einstein hatte aber zusätzlich zu seinen allgemeinen Prinzipien kaum experimentelle Hinweise darauf, wie genau er die Erweiterung anzulegen hatte. Es gab lediglich gemessene kleine Abweichungen in manchen Planetenbahnen, insbesondere des Merkurs, dessen beobachtete Bahn sich gegenüber der Newton’schen Berechnung um den winzigen Betrag von 43 Bogensekunden (etwa ein Hundertstel eines Winkelgrades) pro Jahrhundert verschiebt. Dies berücksichtigt bereits den Einfluss der Venus, des dem Merkur nächsten Planeten. Weitere Störungen wie etwa mögliche Unregelmäßigkeiten in der Form der Sonne konnten nicht mit der Beobachtung in Einklang gebracht werden. Erst Einstein war in der Lage, die Verschiebung der Bahn zwanglos durch seine neuen Bewegungsgleichungen der Allgemeinen Relativitätstheorie zu erklären.

Glücklicherweise trafen schon bald weitere Daten ein, die mit Newtons Gesetz unvereinbar waren, von Einstein aber schon vor der Datenaufnahme korrekt vorhergesagt worden waren. Hierbei handelt es sich um winzige Verschiebungen, die Sternenlicht bei naher Passage an der Sonne vorbei erfährt. Diese wurden 1919 von Arthur Eddington während einer totalen Sonnenfinsternis gemessen und führten zur ersten triumphalen Bestätigung der Allgemeinen Relativitätstheorie. (Mittlerweile sind genauere Messungen dieser Art mit Hilfe von Radiowellen, die von Quasaren ausgesandt werden, durchgeführt worden, wie zuerst von Edward Fomalont und Richard Sramek im Jahr 1976.) Bei Abweichungen wäre Einsteins Theorie wohl schnell in Vergessenheit geraten, trotz seines Ausspruches: »Wenn die Natur nicht mit der Theorie übereinstimmt, so ist dies um so schlimmer für die Natur.«

Zum ersten Mal wurde die Allgemeine Relativitätstheorie in einem rein irdischen Experiment 1960 durch Robert Pound und Glen Rebka getestet und bestand auch dies tadellos. Gemessen wurde hierbei die Umwandlung der Zeit in unterschiedlichen Höhenlagen, also an unterschiedlichen Stellen der Raum-Zeit. Weiter entfernt vom Zentrum der Erde ist die Gravitationskraft schwächer, was mathematisch, wie wir bald sehen werden, eine geänderte Raum-Zeit bedeutet. Damit vergeht die Zeit in der Höhe etwas anders (nämlich schneller) als in tieferen Lagen. Normalerweise ist dies nicht spürbar, mit genauen Messungen kann man diesem Verhalten aber auf die Spur kommen. Pound und Rebka nutzten hierfür den Mößbauer-Effekt aus, demzufolge manche Kristalle eine sehr fein bestimmte Frequenz für die Emission und Absorption von Licht haben. Üblicherweise kann Materie, wie ein Atom, Licht nahe gewissen Frequenzen in dem sogenannten Spektrum aussenden und auch wieder absorbieren, wie es in der Fluoreszenz von Leuchtstoffröhren oder auch in Lasern ausgenutzt wird. Der Grund dafür ist die quantenhafte Natur der Materie, der wir uns im nächsten Kapitel über die Quantentheorie zuwenden werden. Da sich einzelne Atome oder Moleküle, an denen man solche Messungen ausführen würde, in einem Gas bewegen, finden die Emissionen und Absorptionen in unterschiedlichen Bewegungszuständen der Atome statt. Schließlich bewegen diese sich ja aufgrund der Wärme. Emissions- und Absorptionsprozesse treten also bei verschiedenen Geschwindigkeiten auf, und da der Gang der Zeit und somit die Frequenz als die Zahl von Oszillationen pro Zeitintervall nach der Speziellen Relativitätstheorie vom Bewegungszustand abhängt, wird nicht nur Licht einer festen Frequenz emittiert oder absorbiert, sondern Licht in einem Frequenzintervall einer gewissen Breite.

In dem Mößbauer-Effekt unterliegenden Festkörpern findet die Emission und Absorption hingegen nicht an einzelnen Atomen, sondern am ganzen Kristall statt. Als Ganzes bewegt sich dieser weit weniger als Atome in einem Gas, und so ist die Emissions- wie Absorptionsfrequenz weit genauer festgelegt. Die Spezielle Relativitätstheorie führt also zu keiner Abweichung der Frequenzen; doch wenn sich ein Licht aussendender und ein Licht absorbierender Kristall in unterschiedlicher Höhe befinden, kommt die Allgemeine Relativitätstheorie ins Spiel. Die Zeit für den emittierenden Kristall vergeht anders als die des absorbierenden Kristalls, und so ist die Frequenz des Lichtes, das bei dem als Absorber vorgesehenen Kristall ankommt, gegenüber der für eine erfolgreiche Absorption notwendigen Frequenz verstimmt. Genau dies kann man auch messen, wofür nicht einmal große Höhen nötig sind; stattdessen reicht schon ein Gebäude von einigen Stockwerken.

Messungen des gleichen Effektes der Relativitätstheorie, die nicht auf dem Mößbauer-Effekt, sondern auf der Genauigkeit von Atomuhren beruhen, wurden 1971 von J. C. Hafele und Richard Keating durch genauen Zeitvergleich in Flugzeugen unternommen. Hier ist sowohl die Spezielle Relativitätstheorie wegen der Flugzeuggeschwindigkeit als auch die Allgemeine wegen der Höhenlage wichtig. Dennoch wurde die Bedeutung der Allgemeinen Relativitätstheorie selbst nach diesen Experimenten nicht voll erkannt. Am 23.Juni 1977 wurde der Satellit NTS-2 gestartet, der erste Satellit, der für Experimentierzwecke mit einer Caesium-Atomuhr ausgestattet war. Die Atomuhr war extra so eingerichtet, dass sie die auf der Satellitengeschwindigkeit beruhenden relativistischen Korrekturen kompensieren konnte. Doch die Entwickler des Satelliten waren nicht vollständig von der Notwendigkeit von Korrekturen der Allgemeinen Relativitätstheorie überzeugt. So wurde zusätzlich zu der Uhr ein Apparat installiert, mit dem man nötigenfalls die Frequenz der Uhr auf den richtigen Wert verschieben konnte. Nach 20 Tagen im All zeigten die Signale tatsächlich eine Abweichung der Gangart gegenüber Uhren auf dem Boden an, genau wie sie von der Allgemeinen Relativitätstheorie vorhergesagt wurde. In diesem Fall konnte der Fehler glücklicherweise durch Anschalten des Frequenzverschiebers korrigiert werden.

Die vielleicht beeindruckendste Bestätigung hat die Allgemeine Relativitätstheorie wohl durch Beobachtungen an Doppelpulsaren erfahren. Hierbei handelt es sich um Systeme aus zwei sich eng umkreisenden Sternen, von denen einer (der Pulsar) in regelmäßigen Abständen Strahlung aussendet. Dies kann zum Beispiel auf einen sehr schnell rotierenden Neutronenstern zurückgehen, der wie ein Leuchtturm Signale ins All und somit auch zu uns sendet. Je nach der Position des Pulsars in dem Doppelsternsystem werden die Signale unterschiedlich verzögert, da sie unterschiedliche Wege zu uns zurücklegen müssen. Daraus kann man die Bahn des Umkreisens und eventuelle Änderungen sehr genau bestimmen. Insbesondere sagt die Allgemeine Relativitätstheorie vorher, dass während des Umkreisens Gravitationswellen ausgesandt werden, womit das System Energie verliert. Ein Energieverlust bewirkt nun, dass sich die beiden Sterne näher kommen, was man bei einer genauen Vermessung der Bahn bemerken müsste.

Der Energieverlust sollte am größten sein, wenn sich die beiden Sterne schon sehr nahe sind. Dann befindet sich jeder der beiden nämlich tiefer im starken Gravitationsfeld des Partners, sodass die Effekte der Allgemeinen Relativitätstheorie stärker ausgeprägt sind. Im Jahre 1974 identifizierten Joseph Taylor und Russell Hulse einen sehr engen Doppelpulsar aus zwei Neutro nensternen, die sich in nur einem Drittel eines Tages umkreisen. Ihr Abstand beträgt nur zehntausend Kilometer! Dies ist ein ideales Testsystem für leichte Veränderungen der Bahn, wie sie die Allgemeine Relativitätstheorie vorhersagt. In der Tat stimmen die Beobachtungen, die bis heute andauern, exakt mit den Vorhersagen überein. Die Wichtigkeit dieser Tests wird durch die Verleihung des Nobelpreises für Physik des Jahres 1993 an Hulse und Taylor unterstrichen. (Auch in diesem System findet übrigens, wie beim Merkur, eine weitere Verschiebung der Bahn ohne Änderung des Abstandes statt. Sie ist hier mit vier Grad pro Jahr deutlich stärker als bei Merkur und kann zur Abschätzung der Massen der Neutronensterne benutzt werden.) Seitdem werden immer mehr enge Doppelpulsare mit unterschiedlichen Bahneigenschaften entdeckt, die eine Vielfalt an Tests ermöglichen.

Eines der jüngsten Experimente ist Gravity Probe-B, ein Satellit, der am 20.April 2004 gestartet wurde und für 16 Monate Daten aufnahm. Die Idee dazu geht schon auf das Jahr 1959 zurück, doch nahm die Entwicklung der zu ihrer Verwirklichung notwendigen Technologie einen langen und beschwerlichen Weg unter der Leitung von Francis Everitt. Zum Beispiel verlangen die untersuchten Effekte, nämlich ein von der Allgemeinen Relativitätstheorie vorhergesagtes »Mitreißen« der Raum-Zeit in der Nähe der rotierenden Erde, zu ihrer Messung hochgenaue Kreiselkompasse. Um Störungen durch Unebenheiten zu verhindern, die jede Messung dieser empfindlichen Effekte zunichtemachen würden, müssen die Kreiselkompasse aus den perfektesten je geschaffenen Kugeln konstruiert werden. Selbst im ganzen Universum gibt es wenig Konkurrenz: Nur einige äußerst dichte Neutronensterne sind glattere Kugeln. Die ersten Ergebnisse wurden Anfang 2007 bekanntgegeben und bestätigen aufs Neue die Allgemeine Relativitätstheorie.

Gekrümmte Raum-Zeit

Als Resultat der Allgemeinen Relativitätstheorie wird die Form der Raum-Zeit durch die in ihr enthaltene Materie bestimmt. Hierdurch wird gerade die Gravitationskraft hervorgerufen, die damit auf innigste Weise mit der Struktur von Raum und Zeit verbunden ist, wie dies bei keiner der anderen bekannten Kräfte in der Physik der Fall ist. Mathematisch beschreibt man dies durch eine gekrümmte Raum-Zeit, in der der Umwandlungsgrad von Raum und Zeit von der Position abhängt.

Das Paradebeispiel für einen gekrümmten Raum ist die zweidimensionale Kugeloberfläche. Durch Krümmung ist sie in sich geschlossen, was allerdings nicht bei allen gekrümmten Räumen der Fall sein muss. Was die Kugeloberfläche aber verdeutlicht, ist die Tatsache, dass Linien auf dieser Fläche vom umgebenden dreidimensionalen Raum aus gesehen gekrümmt werden müssen, um auf ihr zu bleiben. Jede Gerade im Raum, die auf der Oberfläche startet, würde diese direkt verlassen. Dieses Verhalten kann als allgemeine Konsequenz von Krümmung angesehen werden, auch wenn es bei abstrakten gekrümmten Räumen nicht unbedingt einen solchen umgebenden dreidimensionalen Raum geben muss. Die Raum-Zeit selbst z.B. ist vierdimensional und müsste deshalb einen noch viel höher-dimensionalen Umgebungsraum benutzen. Mathematisch kann man alle Konsequenzen der Krümmung beschreiben, ohne auf solche Umgebungsräume Bezug zu nehmen, eine Tatsache, die Einstein bei der Formulierung der Allgemeinen Relativitätstheorie entscheidend ausnutzte. Die relevante Mathematik, Differenzialgeometrie genannt, geht hauptsächlich auf Arbeiten von Bernhard Riemann im 19. Jahrhundert zurück.

Wenn wir wieder zu dem Beispiel der Kugeloberfläche im umgebenden dreidimensionalen Raum zurückkehren, so zeigt sich hier eine weitere wichtige Konsequenz der Krümmung. Wenn wir uns auf einer Kugel bewegen und den Ort ändern, wie wir es auf der Erdoberfläche ja oft tun, so sind wir, aus der Sichtweise des umgebenden Raumes, gezwungen, uns im Raum zu drehen. Dies ist nicht spürbar, da zum einen die Erde sehr groß ist und wir zum anderen selten diese Sichtweise aus dem Umgebungsraum einnehmen können; man kann sich dies aber leicht an einem Globus veranschaulichen: der Kopf einer Person in Europa zeigt im Raum in eine ganz andere Richtung als der einer Person in Amerika, auch wenn beide aufrecht stehen. Dass dies eine Folge der Krümmung ist, kann man daraus ersehen, dass eine solche Drehung auf einer ebenen Fläche wie einem Tisch nicht stattfinden würde.

Die Raum-Zeit wird nun durch die in ihr vorhandene Materie gekrümmt und sollte ähnliche Effekte zeigen. Das ist schwieriger zu veranschaulichen, da dies ja ein vierdimensionaler Raum ist und zudem auch noch die Zeit involviert ist. Unsere vorherige Analogie zeigt aber die wichtigste Folgerung, die direkt im Zusammenhang mit der Gravitationskraft steht: Die Umwandelbarkeit von Raum und Zeit ist mit Geschwindigkeitsänderungen verbunden, wie die Umwandelbarkeit der drei Raumdimensionen mit Winkeländerungen in Zusammenhang steht. Wie eine gekrümmte Fläche im Raum eine Drehung bei einem Positionswechsel erzwingt, so sollte also eine Positionsänderung in der gekrümmten Raum-Zeit eine Geschwindigkeitsänderung bewirken. Geschwindigkeitsänderungen oder Beschleunigungen werden in der Physik immer durch Kräfte verursacht. Die Krümmung der Raum-Zeit bewirkt also eine Kraft, die nach der Allgemeinen Relativitätstheorie genau die Gravitationskraft darstellt.

Mit diesem erstaunlichen Trick gelang es Einstein, die Newton’-sche Theorie erfolgreich zu erweitern und zugleich ihren Makel aufzuheben. In der Einstein’schen Gravitation treten keine spukhaften Wechselwirkungen von weit entfernten Objekten auf direkte Weise auf. Durch Einbeziehung des Raumes und der Zeit – nicht als starre und vorgegebene Bühne wie bei Newton, sondern als wechselhaftes und in seiner Struktur physikalischen Wechselwirkungen unterworfenes Objekt – wird diese Fernwirkung aus der Physik verbannt. Massen krümmen die sie direkt umgebende Raum-Zeit, woraufhin andere Massen eine Gravitationskraft wegen der Krümmung spüren. Dass dies keine Fernwirkung ergibt, kann man sehen, wenn man die erste Masse sich bewegen lässt. Dadurch sollte sich ja die Gravitationskraft auf andere Massen während der Bewegung ändern. Wie die Allgemeine Relativitätstheorie zeigt, tritt dies nicht unmittelbar auf: Die Änderung der Krümmung muss sich erst in der Raum-Zeit ausbreiten, bevor sie entfernte Massen erreichen kann. Physikalische Wechselwirkungen finden also immer nur lokal statt, und Newtons Schwachpunkt ist beseitigt.

Nebenbei sagt die Relativitätstheorie auch vorher, dass die Raum-Zeit selbst durch Schwingungen angeregt werden kann, die sich dann wie auf dem Meer oder, in Form von Licht, im elektromagnetischen Feld als Wellen ausbreiten. Diese bereits erwähnten Gravitationswellen spielen eine große Rolle in der aktuellen Gravitationsforschung. Die wohl beeindruckendsten Konsequenzen der gekrümmten Raum-Zeit zeigen sich aber in der Kosmologie, wo die Allgemeine Relativitätstheorie die zeitliche Entwicklung des Universums selbst bestimmt.

Grenzen von Raum und Zeit

Hütet Euch, mehr Zeit zu verlangen: Das Unglück gewährt sie nie.

Mirabeau

Die Beförderung der Raum-Zeit von einer bloßen Bühne zu einem physikalischen Gegenstand in der Relativitätstheorie (vgl. Abb. 2) stellt eine revolutionäre Neuerung dar. Zunächst führt das komplizierte Wechselspiel – Materie krümmt den Raum und wird selbst in ihrer Bewegung durch die Krümmung beeinflusst – zu einer mathematischen Beschreibung von ungekannter Schwierigkeit, die bis heute nicht nur Physiker, sondern auch Mathematiker beschäftigt. Sie hat aber auch grundlegende Konsequenzen für unser Verständnis des physikalischen Geschehens und vor allem des Universums. Die nun physikalische Rolle der Raum-Zeit ist oft mit einem Roman verglichen worden, in dem das Buch selbst ein Darsteller ist. Die Konsequenzen eines solchen Romans wären sicher überraschend, wenn auch schwer vorstellbar. Unabhängig von der Vorstellungskraft können Konsequenzen der physikalischen Rolle der Raum-Zeit glücklicherweise mit Hilfe der Mathematik verlässlich ausgerechnet werden. Wie wir weiter unten sehen werden, hat dies in der Allgemeinen Relativitätstheorie noch weitaus verhängnisvollere Folgen, als durch den Roman-Vergleich nahegelegt wird.

Abb. 2:

Objekte bewegen sich entlang ihrer Bahnen in Raum und Zeit, doch die Raum-Zeit selbst ist veränderlich. (Orbita [Orbit], 2007, Gips, rote Linse, 43 × 45 × 45 cm, Entwurf und Foto: Gianni Caravaggio)