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Die Idee der sympathischen, lebensklugen Denise von Schoenecker sucht ihresgleichen. Sophienlust wurde gegründet, das Kinderheim der glücklichen Waisenkinder. Denise formt mit glücklicher Hand aus Sophienlust einen fast paradiesischen Ort der Idylle, aber immer wieder wird diese Heimat schenkende Einrichtung auf eine Zerreißprobe gestellt. Diese beliebte Romanserie der großartigen Schriftstellerin Patricia Vandenberg überzeugt durch ihr klares Konzept und seine beiden Identifikationsfiguren. Keine Leseprobe vorhanden.
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Seitenzahl: 141
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Es war ein ereignisreicher Nachmittag. Der rote Schulbus stand vor dem Herrenhaus von Sophienlust zur Abfahrt bereit. Er sollte die Kinder nach Maibach bringen. Dort trat seit einigen Tagen eine Eisrevue auf.
Die kleine Heidi war so aufgeregt, dass sie die Schleife ihres Kleides schon zum drittenmal band. »Das wird einfach nichts«, jammerte sie.
Vicky, die neben ihr stand, musste lachen. »Sei doch nicht so nervös! Komm, ich binde dir die Schleife.«
Erleichtert atmete die Vierjährige auf. »Hast du schon einmal eine Eisrevue gesehen, Vicky?«
»Ja, einmal.«
»Ehrlich?«, staunte die Kleine. »Was ist das eigentlich, eine Eisrevue?« Heidi fragte wieder, obwohl ihr schon mehrmals erklärt worden war, was eine Eisrevue war.
Vicky machte es sich einfach. »Da wird auf dem Eis getanzt.«
»Aber da fällt man doch hin!« Heidis Augen wurden noch runder.
»Nein. Die haben doch Schlittschuhe an.«
»So wie ihr, wenn ihr auf dem Teich Schlittschuhlaufen geht?«
»Ja«, entgegnete Vicky erleichtert. »Genau so. Aber das haben wir dir doch schon so oft erklärt.«
Trotzdem konnte Heidi die Sache noch immer nicht ganz fassen. »Zerläuft das Eis denn nicht?«
»Nein.«
»Warum nicht?«
»Weiß ich auch nicht so genau. Wahrscheinlich, weil es so kalt ist.«
»Aber es ist doch jetzt nicht so kalt wie sonst im Winter«, argumentierte Heidi.
»Meine Güte, das hat Nick dir doch alles schon ganz genau erklärt, Heidi. Hast du denn nicht zugehört?«
»Ich habe es wieder vergessen.« Sie lauschte auf den Korridor hinaus. »Wir gehen«, rief sie und lief hinaus. Vicky folgte ihr erleichtert. Manchmal kann einem die Kleine direkt ein Loch in den Bauch fragen, dachte sie.
Die Kinder versammelten sich in der Halle. Denise von Schoenecker wollte sie persönlich begleiten.
Dominik und Henrik befanden sich bereits unter den Kindern des Heimes. »Kommt Mutti von Schoeneich herüber oder aus der Stadt?«, fragte Henrik seinen großen Bruder.
»Von Schoeneich«, antwortete Nick und zählte danach die Kinder. »Wir sind vollständig.«
In diesem Moment fuhr vor dem Haus Denises Wagen vor.
»Tante Isi!« Heidi flitzte aus dem Haus.
»Jetzt wird sie Tante Isi mit ihrer Fragerei auf die Nerven gehen«, sagte Vicky zu Pünktchen.
»Lass sie doch«, meinte Pünktchen. »Sie versteht das alles eben noch nicht so richtig.«
»Wir gehen!«, rief Nick in die Runde. Draußen hatte der Chauffeur bereits den Motor des Busses angelassen. Die Kinder stiegen mit Denise in den Wagen ein. Die Fahrt nach Maibach dauerte nicht lang. Auf dem Marktplatz wurde der Bus abgestellt. Von dort ging es zu Fuß zur Eisrevue.
Und dann war es endlich soweit. Mucksmäuschenstill saß die kleine Schar von Sophienlust in den vordersten Reihen direkt an der Eisfläche. Die meisten Kinder sahen zum erstenmal eine Eisrevue. Sie waren genauso neugierig und aufgeregt wie die kleine Heidi.
Unbewusst tastete Heidi nach Denises Hand. Schmunzelnd hielt die Herrin von Sophienlust und Schoeneich die Kinderhand fest. Und dann kam der große Moment. Die Vorstellung begann.
Ein Musiktusch und die einleitenden Worte eines jüngeren Mannes eröffneten die Vorstellung. Mit leuchtenden Augen und erhitzten Wangen verfolgten die Kinder den Auftritt eines Clowns. Ein Schrei stieg aus einigen Kinderkehlen, als der Clown zum erstenmal hinfiel. Er rappelte sich auf, fiel wieder und wiederholte das Spiel so lange, bis alle lachten.
»Wann kommt denn die Eisprinzessin?«, erkundigte sich Pünktchen flüsternd bei Nick.
»Weiß ich nicht. Wahrscheinlich ein bisschen später. Sie ist doch die Attraktion.«
»Wie heißt sie gleich wieder, Nick?«
»Jasmin Stefano«, antwortete der Junge. Im gleichen Moment lief ein gespanntes Raunen durch die Reihen der Zuschauer. Der Auftritt der Eisprinzessin wurde durch den Lautsprecher angekündigt.
»Ist sie wirklich erst acht Jahre alt?«, fragte Irmela ungläubig.
Nick drehte sich zu ihr um. »Natürlich! Deshalb ist sie doch so eine Sensation.«
Ein romantischer Walzer erklang. Die Eisfläche wurde in rosarotes Licht getaucht. »Oh!«, machten die Kinder erstaunt.
Und dann schwebte ein kleines, zierliches Geschöpf aufs Eis. Es trug ein kurzes rosa Röckchen mit weißem Pelzbesatz. In einem weiten Bogen schwebte es in die Mitte der Eisfläche, drehte eine Pirouette und knickste nach allen Seiten.
Begeisteter Applaus erklang. Dann begann Jasmin Stefano zu tanzen. Sie schwebte über das Eis. So leicht, als berühre sie es gar nicht. Immer wieder folgte Zwischenapplaus. Die Sicherheit der kleinen Prinzessin war verblüffend. Das Scheinwerferlicht wechselte von Rosa zu Rot und wieder zu weiß über und tauchte die Eisfläche in eine unwirkliche, traumhafte Kulisse. Wie ein verzaubertes Wesen tanzte die begabte Prinzessin darauf.
Das Publikum war hingerissen. Besonders die Kinder von Sophienlust. In der Pause bestürmten sie Denise, die kleine Eisprinzessin nach Sophienlust einzuladen.
Denise hatte selbst schon daran gedacht. »Wir gehen nach der Vorstellung hinter die Bühne«, entschied sie. »Jetzt müssen wir uns aber wieder setzen. Die Pause ist schon vorüber.«
Die zweite Hälfte der Vorstellung begann.
»Oh, seht mal, jetzt hat sie ein hellblaues Kleid an«, rief Vicky begeistert aus.
»Und es ist lang! Wie kann sie nur in einem langen Kleid tanzen?«
Nun sah das achtjährige Mädchen auf dem Eis wirklich wie eine Prinzessin aus. Eine Prinzessin in einem langen Kleid mit Schleppe und einer süßen kleinen Pelzkrone auf dem Haar. Vorsichtig schwebte sie über die spiegelglatte Fläche. Die Schleppe glitt langsam hinter ihr her.
Vor Staunen blieb den kleineren Kindern der Mund offenstehen. So etwas hatten sie noch nicht gesehen.
»Ich möchte wirklich wissen, wie sie jetzt tanzt«, flüsterte Pünktchen.
Da vollführte die Eisprinzessin eine rasche Bewegung – und das Kleid mit der Schleppe glitt von ihr ab. Darunter trug sie ein kurzes Röckchen in der gleichen Farbe. Temperamentvoll begann sie zu tanzen. Schnell und rhythmisch.
»Es sieht so leicht aus«, flüsterte Irmela andächtig.
Wohl nur Denise, die ehemalige Tänzerin, wusste, wieviel mühevolles Training hinter einer solchen Leistung steckte. Dabei war diese Jasmin ja noch ein Kind.
Denise beschloss, dem Drängen der Kinder nachzugeben und Jasmin nach Sophienlust einzuladen. Mit allen Kindern ging sie nach der Vorstellung hinter die Kulisse.
Eine etwa fünfundzwanzigjährige Frau stellte sich ihr als Hilla Arnim vor, die Tante der Eisprinzessin.
»Stören wir auch nicht?«, erkundigte sich Denise höflich.
»Ganz im Gegenteil. Jasmin freut sich über den Besuch der Kinder ganz bestimmt. Ich rufe sie sofort.«
»Was willst du von ihr?«, fragte in diesem Moment eine unwillige männliche Stimme. Ein Mann tauchte auf. Denise schätzte ihn auf etwa dreißig Jahre. »Das ist mein Mann Bodo«, stellte Hilla Arnim ihn vor.
Bodo reichte Denise die Hand und nickte den Kindern kurz zu. Dabei blieb seine Miene mürrisch.
Nick warf seiner Mutter einen vielsagenden Blick zu, den diese erwiderte. Auch ihr war dieser Mann nicht sympathisch. Doch sie wollte kein vorschnelles Urteil über den Onkel der kleinen Eisprinzessin fällen.
»Hier bin ich, Tante Hilla«, rief jetzt ein helles Stimmchen. Gleich darauf stand Jasmin Stefano, die berühmte Eisprinzessin, vor den Kindern. Das lange Haar fiel ihr offen und glatt auf die Schultern. Ihre Augen strahlten in einem intensiven Blau. Doch trotz ihrer Schönheit und Berühmtheit gab sie sich ganz natürlich. Sie war kein bisschen eingebildet. Beinahe schüchtern begrüßte sie die Kinder von Sophienlust.
Als Denise ihre Einladung aussprach, leuchteten die Augen der Kleinen auf. Sie freute sich darüber. Daran bestand kein Zweifel.
Doch ganz plötzlich erlosch der Glanz in ihren schönen Augen. Sie hatte einen Blick ihres Onkels aufgefangen und senkte daraufhin die Lider.
Verwundert schaute Denise Bodo Arnim an. Sein Gesichtsausdruck war jetzt noch mürrischer. »Für solchen Firlefanz hat Jasmin keine Zeit«, stieß er hervor. »Sie muss trainieren.«
»Aber, Bodo«, rief seine Frau erschrocken. Dann entschuldigte sie sich bei Denise für die Unhöflichkeit ihres Mannes. »Er meint es nicht so. Es liegt nur daran, dass er sich um Jasmin und ihren Erfolg sorgt.« Doch ihre Worte klangen nicht überzeugend.
Bodo Arnim wandte sich ohne ein Wort der Entschuldigung ab. Resigniert blickte Hilla Arnim ihre Nichte an. Sehnsucht und Verzicht spiegelten sich in dem traurigen Blick der kleinen Eisprinzessin. Sie schaute unaufhörlich auf ihre Tante. Bittend, wie es schien. Denise begriff, welch armes Geschöpf die kleine Tänzerin sein musste.
Schon wollte Denise ihre Einladung wiederholen, da begann Hilla auf ihren Mann einzureden. Sie sprach schnell und gedämpft, aber Denise hörte heraus, dass Hilla Arnim für ihre Nichte bat. Das kostete die junge Frau sichtlich Überwindung. Daraus wiederum schloss Denise, dass dieser Bodo Arnim ein sehr strenges Regiment führte. Doch schließlich erlaubte er doch, dass Jasmin die Einladung annahm.
Heller Jubel herrschte unter den Kindern von Sophienlust. »Ihr bringt Jasmin ja ganz durcheinander«, meinte Denise lachend. »Geht doch schon hinaus und wartet draußen.«
Während Jasmin sich umzog, unterhielt Denise sich mit Hilla Arnim, deren Mann sich murrend entfernt hatte. Denise erfuhr nun, dass Jasmin Vollwaise war. »Jasmins Mutter war meine Schwester«, berichtete Hilla. »Sie starb bei der Geburt. Ich habe Jasmin damals sofort zu mir genommen.«
Hilla Arnim brach ihre Erzählung ab, als ihr Mann wieder in die Nähe kam. Sie muss ja geradezu Angst vor ihm haben, dachte Denise verwundert. Sie hatte spontan Zutrauen zu der hübschen jungen Frau gefasst, und war sicher, wenn in dieser kleinen Künstlerfamilie irgendetwas nicht stimmte, dann konnte es nur von Hillas Mann kommen.
In flachen Schuhen, blauen Jeans und Pullover trat Jasmin zu ihrer Tante. »Ich bin fertig, Tante Hilla.«
Ein zärtlicher Ausdruck lag in Hillas Blick. »Ich freue mich, dass du Gelegenheit findest, ein wenig auszuspannen.«
»Ich auch. Danke, dass du mir geholfen hast. Onkel Bodo hätte mich bestimmt nicht gehen lassen.«
»Nein.« Hilla Arnim blickte zu Boden.
»Ich bringe Ihnen Jasmin zur nächsten Vorstellung rechtzeitig zurück«, versprach Denise der jungen Frau. Dann nahm sie Jasmin bei der Hand und ging mit ihr zu den Kindern.
Im Nu war Jasmin umringt. Jeder wollte als erster mit dem schönen und begabten Mädchen sprechen.
Nick stand ein wenig abseits und beobachtete den Trubel. Dabei machte er eine überraschende Feststellung: Jasmin Stefano war überhaupt nicht eingebildet. Sie beantwortete die Fragen der Kinder nur sehr zurückhaltend.
»Wir steigen ein!«, rief Nick, als der Bus vorgefahren war.
Jasmin setzte sich neben Pünktchen, die dem kleinen Gast auf dem Weg nach Sophienlust die Geschichte des Kinderheimes erzählte. Aufmerksam hörte Jasmin zu. Danach suchte ihr Blick Dominik. Ein ganz kleines, schüchternes Lächeln erschien auf ihrem hübschen Gesicht. Fast so, als entschuldige sie sich für ihre Neugier.
Nick lächelte zurück. Als er Pünktchens aufmerksamen Blick sah, blinzelte er ihr zu. Pünktchen blinzelte zurück.
Als der Bus vor dem Herrenhaus hielt, rief Jasmin überrascht: »Wie schön das ist!«
»Hast du es dir nicht so vorgestellt?«, fragte Irmela, nachdem sie ausgestiegen waren.
»Nein, ganz anders.«
»Wie denn?«, wollte Henrik neugierig wissen.
»Viel … viel weniger schön und nicht so groß.« Jasmins Blick überflog das weitläufige Grundstück mit dem schönen Herrenhaus. »Der ganze Park gehört auch dazu?«
»Natürlich!« Nick schmunzelte. »Sogar Pferde und Ponys haben wir. Wenn es dir Spaß macht, können wir in den nächsten Tagen einmal ausreiten«, schlug er vor.
Jasmin atmete tief ein. »Wie gern würde ich das tun.«
»Dann komm doch!«, rief Pünktchen.
Jasmin senkte den Blick. »Ich weiß nicht, ob das geht.«
»Warum denn nicht? Eure Eisrevue bleibt doch noch hier.« Angelika verstand Jasmins Zögern nicht.
»Ja, aber mein Onkel will, dass ich jeden Tag übe.«
Nick glaubte, so etwas wie Furcht in Jasmins Blick zu entdecken. »Du kannst doch nicht immer nur üben«, entfuhr es ihm. »Ab und zu musst du doch auch mal ausruhen, spielen oder entspannen.«
Jasmin schaute den hübschen Gymnasiasten an, als verstünde sie ihn nicht. »Spielen? Nein, dafür habe ich keine Zeit.«
»Keine Zeit zum Spielen?« Nicks Stimme klang ungläubig. Auch die anderen Kinder horchten auf.
Inzwischen hatten alle das Herrenhaus betreten. In der Halle mit dem Kamin blieb Jasmin stehen. Ihr Mund öffnete sich vor Staunen. »Habt ihr es schön hier«, flüsterte sie fast ergriffen. Auf dem Boden lag achtlos ein kleiner Teddybär aus Plüsch. Jasmin bückte sich und hob ihn auf. Ihre Finger streichelten das weiche weiße Fell.
»Der gehört mir«, rief Heidi. »Aber du darfst gern mit ihm spielen. Hast du auch einen Teddy?«
Jasmin schüttelte den Kopf.
»Eine Puppe, ja?«, forschte Heidi weiter.
»Nein, auch keine Puppe.« Nun senkte Jasmin wieder den Blick.
»Aber womit spielst du denn dann?« Heidi ließ nicht locker. »Vielleicht mit einem ganzen Puppenhaus?«
Jasmin schaute wieder auf. »Ich habe überhaupt kein Spielzeug«, gestand sie leise.
Einen Moment lang herrschte ungläubiges Schweigen. Irmela fasste sich als erste. »Überhaupt nichts zum Spielen?«, vergewisserte sie sich. »Nicht einmal eine Puppe?«
»Nein, gar nichts.«
»Aber warum? Magst du kein Spielzeug?«, erkundigte sich Heidi naiv.
»Mein Onkel erlaubt es nicht.« Jasmins Stimme war nur noch ein Flüstern. »Er sagt, ich hätte keine Zeit für einen solchen Firlefanz«, wiederholte sie seine Worte. »Ich müsste üben.« Sie schaute auf ihre Schuhspitzen.
Denise und Frau Rennert, die etwas abseits standen, blickten sich vielsagend an. »Das arme Ding«, murmelte die Heimleiterin, und Denise gab ihr nickend recht.
Spontan ergriff Heidi Jasmins Hand. »Du kannst mit meinen Sachen spielen.«
»Mit meinen auch«, mischte sich Henrik sofort ein.
Jasmins Augen leuchteten dankbar auf. Wie nett alle zu ihr waren. Sie hatte ja schon fast vergessen, wie schön es war, wenn man einen Nachmittag verspielen konnte.
»Hast du Lust, dir die Pferde und Ponys anzusehen?«, fragte Nick.
»O ja!«
»Dann komm!« Er hielt ihr seine Hand hin und zog sie mit sich aus dem Haus. So überspielte er sein Mitleid. Die anderen Kinder folgten den beiden mit lautem Hallo.
Denise und Frau Rennert blickten der Schar lächelnd nach. »Den Nachmittag wird Jasmin nicht so schnell vergessen«, prophezeite die Heimleiterin. »Ich glaube fast, sie erfährt heute zum erstenmal, wie es ist, wenn sie unbeschwert spielen und herumtollen kann.«
*
Damit hatte Frau Rennert recht. Jasmin fühlte sich so glücklich wie schon lange nicht mehr. Es war so schön, einmal nicht trainieren zu müssen. Nicht dauernd das Kommando des Onkels zu hören, sondern einfach das zu tun, was Spaß machte.
Nick steckte Jasmin einige Leckerli zu, mit denen sie die Ponys fütterte. Am liebsten würde ich immer hier sein, dachte sie dabei, erschrak aber zugleich, denn der Onkel hatte ihr eingehämmert, sie dürfe an nichts anderes denken als an ihren Eislauf.
»Wollen wir ein Spiel machen?«, schlug Irmela vor.
Die Kinder waren sofort einverstanden. »Was spielen wir?«
»Räuber und Gendarm!«
»Ach nein, lieber etwas Ruhigeres! Spielen wir doch: Was magst du am liebsten?«, schlug Vicky vor. Das war ein Spiel, das Pünktchen erfunden hatte.
Alle waren einverstanden. Sie stellten sich im Kreis auf. Einer kam in die Mitte. Diesmal war es Nick. Er durfte nun fragen: »Was magst du am liebsten, Pünktchen?«
»Reiten«, antwortete Pünktchen, und fünf Kinder hoben gleichzeitig die Hand. Das bedeutete fünf Pluspunkte für sie. Nun durfte Pünktchen jemanden fragen. »Was tust du am liebsten, Vicky?«
»Essen«, antwortete Vicky spontan.
Vier Kinder hoben die Hand. »Nur vier Punkte«, maulte sie.
Vicky fragte Jasmin: »Was machst du am liebsten, Jasmin?«
»Sie kriegt bestimmt keine Punkte«, flüsterte Henrik. »Sicher sagt sie eislaufen. Und wer von uns kann schon eislaufen?«
Jasmin dachte nach. Alle Blicke richteten sich gespannt auf sie. Schließlich antwortete sie: »Spielen!«
»Spielen?«, fragte Irmela ungläubig. »Nicht eislaufen?«
Jasmin schüttelte mit Bestimmtheit den Kopf. »Nein!«
Das verstanden die Kinder nun überhaupt nicht, nachdem Jasmin doch so berühmt war und so viel Erfolg hatte.
»Verstehst du das, Nick?«, fragte Pünktchen. Die beiden waren etwas zurückgeblieben. Die anderen Kinder waren mit Jasmin davongelaufen. »Sie hat doch alles, was sie sich wünschen kann.«
»Vielleicht doch nicht«, meinte Nick nachdenklich.
»Aber sie ist doch die Eisprinzessin«, rief Pünktchen.
»Vielleicht will sie das gar nicht sein. Vielleicht möchte sie viel lieber ein normales Kind sein und genügend Zeit zum Spielen haben.«
»So wie wir?«
»Hm.« Er nickte. »Sieh doch nur, wie müde sie jetzt auf einmal ist. Bestimmt muss sie viel zu viel trainieren.«
Tatsächlich blieb Jasmin hinter den anderen Kindern zurück. Irmela und Angelika nahmen sie bei der Hand und zogen sie mit sich fort.
Vor dem Herrenhaus blieb Jasmin stehen und blickte sich um. Ihre blauen Augen leuchteten wieder. »Am liebsten würde ich immer bei euch bleiben«, erklärte sie.
»Und nicht mehr auf dem Eis tanzen?«, fragte Heidi ungläubig.
Bevor Jasmin antwortete, blickte sie sich ängstlich um. Als sie sich überzeugt hatte, dass ihr Onkel nicht in der Nähe war und ihre Antwort nicht hören konnte, sagte sie: »Nein, nicht mehr tanzen.«
»Aber dann wirst du doch nicht mehr bewundert und bist nicht mehr der Mittelpunkt«, gab Irmela zu bedenken.
Aller Augen hingen neugierig an Jasmins hübschem Gesicht, die bescheiden antwortete: »Aber ich mag doch gar nicht der Mittelpunkt sein.«
Allmählich begannen die Kinder zu begreifen. Man musste nicht unbedingt glücklich sein, wenn man berühmt war. Jasmin war es offensichtlich nicht, obwohl sie die Attraktion der Eisrevue war.
»Bei euch hier würde es mir gefallen«, wiederholte Jasmin, als die Kinder bei Kakao und Kuchen im Speisesaal saßen.
»Dann bleib doch einfach da«, schlug Henrik naiv vor.
»Wenn ich das doch könnte«, seufzte Jasmin. Und plötzlich sah sie ganz unglücklich aus.
»Du meinst, du musst immer bei der Eisrevue bleiben?«, erkundigte sich Vicky erstaunt. »Auch wenn du einmal nicht mehr magst?«