Zwei Frauen, zwei Räder, ein Zelt - Tanja Willers - E-Book
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Zwei Frauen, zwei Räder, ein Zelt E-Book

Tanja Willers

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Beschreibung

Unsere verrückte, allererste, 24.000 km lange Fahrradtour Geht nicht, gibt's nicht, dachten sich die zwei Österreicherinnen Tanja Willers und Johanna Hochedlinger – und starteten in Kapstadt um mit einigen Umwegen auf über 24.000 Kilometern nach Wien zu radeln. In 445 Tagen durchquerten sie 21 völlig unterschiedliche Länder in Afrika, Asien und Europa. Sie wurden angebettelt und ausgelacht, schliefen in ihrem Zelt in Schulen, verlassenen Hotels und in der Wüste, zwischen Löwen in Botswana und Wölfen im Iran, verkosteten Oryxwürste, Krokodilsteaks und Elefanteneintopf und wären auf der Straße mehr als einmal fast gestorben – vor Angst. Doch überall auf ihrer Reise fanden sie eines gleichermaßen: Gastfreundschaft. Das Buch basiert auf 36 Originalberichten, die während der Reise entstanden. Es ist Bildband, Abenteuerbericht, zudem eine mit Karten und jeder Menge Tipps versehene Inspirationsquelle, die sich auch den essenziellen Fragen widmet: Was muss auf eine solche Tour mit? Wie wird unterwegs gekocht und gewaschen? Ist das nicht furchtbar gefährlich, vor allem für zwei Frauen? Und wie ist das eigentlich, wenn man als gleichgeschlechtliches Paar durch den Orient fährt?

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Seitenzahl: 251

Veröffentlichungsjahr: 2025

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Tanja Willers · Johanna Hochedlinger 2 Frauen, 2 Räder, 1 Zelt

Namibia: Die letzten Schotter-Kilometer zum Fish River Canyon haben’s nochmal in sich.

Tanja Willers · Johanna Hochedlinger

2FRAUEN,RÄDER,1ZELT

INHALT

Vorwort

SÜDAFRIKA

Jede gute Reise beginnt mit einem Wiedersehen

Küstennebel und ein neuer Rhythmus

Karoo, ist da jemand?

Südwind auf Afrikaans

NAMIBIA, BOTSWANA und SIMBABWE

Fliegen und anderes Getier

Namib, Namibia, Namibissimo

Immer, wenn ich ihre Zähne sehe

The Joke of the Day

Safari, selbstgemacht

Es riecht nach Elefant

Gischt im Gsicht

SAMBIA und MALAWI

You’ll never ride alone

Ode an das Vehikel

Mzungus im Stress

Yewo, und danke für den Fisch!

TANSANIA und KENIA

No risk, no return!

Eine Runde Kili-Karussell

Dicker Smog und dünne Luft

Von Fallschirmen und Comichelden

ÄTHIOPIEN

Vorwäsche, Hauptgang, Schleudern, Abpumpen

Gehen, wenn man am höchsten ist

ARABISCHE HALBINSEL

Namsa, maschallah!

Bereit für die Welt

Mit Blaulicht durch die Wüste

Lebensfeindlich

Splishsplash in a Dishdash

Gewaschen, gebacken, geschmort

Neue Ufer

IRAN

Überall Konfetti

Ausblicke und Abgründe

Teheran

To do

TÜRKEI

Im Döner-Trott

Beruhigendes Blau

EUROPA

Dreiländereck

Snickers zum Nachtisch

Der Anfang

RADREISETHEMEN

Die unglaubliche Gefahr einer Radreise

Vorbereitungsarbeit

Setup

Immer die anderen

Ein Tag auf Radreise

Fitness

Zelt, Couch & Co

Campingküche

Stromversorgung

Wildcampen

Routenplanung

Kommunikation

Fahrrad

Kriminalität

Krankheit, Verletzung & Co

Kochen quer durch die Klimazonen

Weltberühmte Sehenswürdigkeiten

Hygiene und Körperpflege

Trinkwasser

Reisen zu zweit

Local Food – reine Geschmackssache

Kleidung

Umwelt

Reisen als Frau

Verkehr

Wetterextreme

Kriminelle Liebe

Grenzübertritte

Finanzen

Handy, Internet & Co

Freiheit

Fahrradwartung

Privilegien

Warum reisen wir?

Home

Reisestatistik

Dank

„Wir sind nicht unterwegs, um die Welt zu belehren, sondern um von ihr zu lernen.“(Johanna)

„99 Prozent der Menschen auf der Welt sind gut. Die anderen haben wir nicht getroffen.“(Tanja)

Tansania: Verschnaufpause am Straßenrand zwischen Lindi und Daressalam

VORWORT

Mit dem Fahrrad von Kapstadt nach Wien? Wie kommt man eigentlich auf so eine Schnapsidee?

Es war Anfang 2021 und ich, Tanja, lag mit einem frisch gebrochenen Oberschenkel auf der Couch meiner Schwester, Timna. In Kapstadt. Nach Hause zu fliegen war, zumindest vorerst, keine Option. Johanna, meine Lebensgefährtin und zweite Protagonistin dieses Buches, der ich die Situation am Telefon schilderte, machte äußerst konstruktive Vorschläge: Sie könne mich ja mit dem Bus abholen kommen. Die Tragweite dieser albernen Spinnereien konnten wir zu diesem Zeitpunkt noch nicht erahnen. Wir lachten darüber, aber der Witz war gemacht. Die Idee einer verrückten Reise begann in unseren Köpfen zu reifen. Über Land von Südafrika bis nach Österreich, nach Hause, fahren – ist das überhaupt möglich?

Eineinhalb Jahre später wurde der chirurgische Nagel aus meinem verheilten Oberschenkel entfernt. An einem sonnigen Herbsttag nur wenige Wochen später atmeten wir noch einmal tief durch und stiegen – diesmal zu zweit – in ein Flugzeug nach Kapstadt. Wir wussten nicht, was uns erwarten würde. Wir standen am Beginn unserer allerersten Fahrradreise.

Dieses Buch basiert auf 37 Blogartikeln, die unterwegs entstanden sind. Basis dafür waren beim Fahrradfahren hastig ins Telefon getippte Notizen. Abends im Zelt nahmen die Texte dann auf dem kleinen Touchscreen meines Smartphones Gestalt an. Zwischen diesen Kapiteln finden sich Themenblöcke, in denen wir unser Wissen und unsere Erfahrungen von knapp fünfzehn Monaten Radreise zusammengefasst und geordnet haben. Dabei erheben wir natürlich keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Und wir müssen wohl zumindest einmal betonen, dass wir viele Entscheidungen vor und während unserer Reise zum allerersten Mal und auf eigene Gefahr getroffen haben.

Herausgekommen ist kein Reiseführer. Dieses Buch ist der Bericht unserer ersten Fahrradreise. Eine Sammlung von Geschichten, Eindrücken und Bildern, die noch heute in unseren Köpfen Karussell fahren. Eine Erzählung übers Lernen, Staunen und Durchatmen.

Wien, November 2024

SÜDAFRIKA

Kapstadt, Südafrika: Blick vom Tafelberg auf das überschaubare Stadtzentrum, die City Bowl

JEDE GUTE REISE BEGINNT MIT EINEM WIEDERSEHEN

13. bis 20. September:

Letzte Vorbereitungen in Wien und erste Tage in Kapstadt

Gerade eben noch haben wir an der Alten Donau gefrühstückt, unser Equipment auf einer leuchtend gelben Decke ausgebreitet und Packlisten verglichen. Gerade eben noch haben wir uns von unseren Freunden und Familien verabschiedet, die uns einen ganzen wunderschönen Nachmittag und Abend lang gezeigt haben, warum es sich lohnen wird, diesen langen Heimweg anzutreten. Gerade eben noch habe ich einen Luftsprung gemacht, als mein Onkel zum ersten Mal nach Jahren überraschend in Wien aufgetaucht ist, nur um uns zu verabschieden. Gerade eben noch haben wir den großen gelben Bus, unser gemütliches Zuhause der vergangenen zwei Monate, abgemeldet und untergestellt.

Und schon sitzen wir eingeklemmt zwischen Fahrradkartons und unseren Gepäckbündeln in einem Uber vom Flughafen hinein in die Stadt – nach Kapstadt, direkt zum Arbeitsort meiner Schwester Timna. In gewisser Weise fühlt es sich an, wie nach Hause zu kommen. Ich war zuletzt vor eineinhalb Jahren für drei Monate hier und realisiere erst jetzt, wie vertraut sich alles anfühlt. Die Menschen, die einen überschwänglich grüßen, die markanten, alles überragenden Bergsilhouetten von Tafelberg, Lion’s Head und Signal Hill, der Wind, auch Kapdoktor genannt, der wild durch Straßen fegt, das Nebeneinander von aufpolierten Autos und Wellblechhütten und mit welch selbstverständlicher Leichtigkeit ich mich in der Stadt orientiere. Durch Johanna, die all das zum ersten Mal erlebt, darf ich noch einmal mitstaunen, mit verwundert sein über die zahlreichen Gesichter dieser Stadt. Wir sind jetzt zu zweit unterwegs, manches wird dadurch anders sein als damals, vieles um einiges leichter.

Natürlich absolvieren wir das Pflichtprogramm, klettern auf den Tafelberg, um uns einen Überblick zu verschaffen, spazieren zur Waterfront, dem touristischen Hafengebiet, bestaunen die knallbunten Häuser von Bo Kaap, dem muslimischen Viertel, und schlendern durch die Company Gardens mit ihren großen alten Bäumen, unter denen wir während einer Free Walking Tour eine Auffrischung in Apartheid und Stadtgeschichte bekommen. Ein Albino-Eichhörnchen beobachtet uns von links, eine schwarze Katze von rechts – sie scheinen das alles auch nicht so recht zu verstehen.

Bevor es losgehen kann, müssen die Räder zusammengebaut werden.

Und dann verbringen wir auch Zeit an diesen anderen Orten – jenen Orten, zu denen man erst kommt, wenn man länger da war, tiefer eingesunken ist in diese Stadt und ihren Alltag. Wir jäten einen Vormittag Unkraut auf der kleinen City Farm, die mich schon bei meinem vergangenen Besuch liebevoll aufgenommen hat, wagen uns in einen kleinen „hole-in-the-wall“-Greißler in Woodstock, der nicht mehr ist als das buchstäbliche Loch in der Wand. Im Hinterzimmer erklärt uns die Köchin bei einem Menü aus Mealie Pap, einer sättigenden Masse aus Maismehl, Rindereintopf und spinatähnlichen Kassavablättern, persönlich die einhändige Esstechnik. Nachmittags schauen wir Timna beim Unterrichten und Flaschenwerfen zu. Sie bildet die zukünftigen Barkeeper*innen für Kapstadts höchst lebendige Barszene aus und schärft ihre Skills als wandelndes Cocktail-Lexikon und ihre Kreativität beim Kreieren neuer Getränke zweimal die Woche in einer der pulsierenden Downtown-Bars. Abends treffen wir Freunde in einem mosambikanischen Restaurant, plaudern, lachen und essen gegrillte Calamariköpfe bei Kerzenschein, weil schon wieder „loadshedding“ ist. Bis zu viermal täglich gibt es diese geplanten Stromausfälle in der ganzen Stadt, da das desolate Stromnetz immer mehr an seine Grenzen stößt. Besonders lustig ist loadshedding, wenn man gerade mit dem Lift fährt oder im Supermarkt steht und es eine Minute lang stockfinster um einen herum wird, weil der Generator zu spät angeworfen wurde. Wenn es dann um zwölf Uhr mittags noch einen Knall macht, den unsereins nur von Lawinensprengungen kennt, und jemand seelenruhig verkündet „Ah, that’s only the noon gun!“ – das sei also nur die Mittagskanone –, dann weiß man, dass man in Kapstadt ist.

Die farbenfrohen Straßenzüge des muslimischen Stadtviertels Bo Kaap

European Barkeeping School Cape Town: Timna bei ihrer Arbeit an der Barkeeper-Schule

Trotz Stromausfällen und Kanonenfeuer fühlt sich unser Leben in dem kleinen Ein-Zimmer-Apartment nach unserem Sommer im Camper an wie Fünf-Sterne Urlaub. Wir freuen uns über die warme Dusche, schlafen aus und planen beim Frühstück unsere ersten Reiseetappen.

Nach fünf viel zu kurzen Tagen ist es plötzlich so weit: Die Räder stehen vor uns, aus dem Karton geholt, wieder zusammengebaut, voll bepackt. Nur: Wie kommen wir damit jetzt durch die Tür, in den telefonzellengroßen Aufzug und hinunter auf die Straße? Mit viel Tetris-Geschick haben wir es schließlich geschafft und der Ausruf der lustigen Portierin „Oooh, so THAT was in those boxes! BIKES!! Sheeeesh!“ hallt noch nach, während wir unsere Freedom-Machines besteigen und uns für eine letzte Umarmung auf den Weg zu Timna und dann steil bergauf in Richtung Stadtgrenze machen.

Die Pedale rotieren, die Nase in den Wind – wir sind endlich unterwegs!

DIE UNGLAUBLICHE GEFAHR EINER RADREISE

Oft wurden wir gefragt: „Ist so eine lange Radreise nicht furchtbar gefährlich?“

Wir wissen, dass es Leute gibt, die dem Thema Gefahr in den Geschichten über ihre Reisen sehr viel Raum geben. In manchen Erzählungen jagen einander Superlative wie „der schlimmste Tag meines Lebens“ oder „die gefährlichste Situation der ganzen Reise“.

Klar, es gibt viele Punkte, die man in einem seitenlangen haarsträubenden Gefahrenkapitel zusammentragen könnte. Wir haben uns aber dafür entschieden, all diese Dinge beim Namen zu nennen und ihnen pragmatisch und lösungsorientiert zu begegnen. Und wenn man einmal die feinen Unterschiede zwischen einer Herausforderung, einem Problem und einer Bedrohung erkannt hat, dann zerbröselt diese abstrakte große Gefahr meist in ihre eigentlichen Bestandteile. Dann muss man sich nicht mehr so viel fürchten und hat mehr Zeit, sich zu freuen und zu staunen.

Nicht nur einmal haben wir uns – oder einander – in aufwühlenden Situationen beruhigt und gesagt: „Wir sind hier und es ist anders, als wir es kennen. Aber es ist, wie es ist. Was können wir jetzt tun?“ Auf viele Menschen wirkt diese Einstellung hartgesotten oder tough, aber wir denken, dass sie in Wirklichkeit von Weichheit und Flexibilität lebt. Besonders der Versuch, unsere Umwelt nicht andauernd nach mitteleuropäischen Kriterien und Maßstäben zu bewerten, und ein gewisses Maß an Offenheit und Lernbereitschaft haben uns beim Eintauchen in neue, oftmals befremdliche Lebenswelten geholfen. Denn ein Abenteuer ist so viel mehr als seine Gefahren – es eröffnet ein geradezu schillerndes Spektrum von Themen: Natürlich wird es in den Kapiteln dieses Buches um wilden Verkehr und wilde Tiere, Wetterextreme, Kriminalität, körperliche und mentale Belastungsgrenzen, Trinkwasser- und Lebensmittellogistik, Grenzübertritte und Korruption, Kleidervorschriften, Pannen und Verletzungen gehen. Aber auch um Begegnungen in unterschiedlichen Kulturen, Beobachtungen am Wegesrand, banale Freuden und beiläufige Gedanken.

KÜSTENNEBEL UND EIN NEUER RHYTHMUS

21. bis 25. September:

Ans Kap der Guten Hoffnung und zum südlichsten Punkt des Kontinents

Jetzt ist es schon wieder passiert: „Where are you going?“

Inzwischen verdrängt diese Frage den sonst üblichen Smalltalk-Auftakt „Where are you from?“ auf Platz zwei. Es ist ja genau genommen auch die viel interessantere und relevantere Frage. Also erklären wir, und wir erklären immer wieder, ohne müde zu werden. Denn wo dir so viel echte Begeisterung und Bewunderung entgegenschlagen, da erklärst du gerne.

Wir sind jetzt schon seit knapp einer Woche unterwegs, haben uns die bestens zu beradelnde Küste östlich von Kapstadt erarbeitet und uns dann vom südlichsten Zipfel des afrikanischen Kontinents geradewegs gen Norden geschmissen.

Die ersten Tage waren geprägt von Küstennebel, Meeresgischt, dem Duft des dem lokalen Vegetationsgemischs namens Fynbos in der Sonne und der kalten, unermüdlichen Brandung des Atlantiks. Die schlägt mal hier an die felsige Küste und spült dann nur ein paar Kilometer weiter imposant brechende Wellen an ewig lange Sandstrände. Ohne dieses Meer wäre das Kap der Guten Hoffnung kein Kap, die kleine Robbenkolonie vor den Toren Kapstadts säße auf ihren riesigen rundgeschliffenen Felseninseln auf dem Trockenen, die ulkigen Pinguine von Boulder Beach und Betty’s Bay könnten – immer noch ulkig – höchstens durch den Sand paddeln und die Wale, die wir beim Frühstücken in Hermanus von der Küste aus beobachten können, müssten ihren Babys wo anders das Wellenschunkeln erklären.

Wir lieben das Meer. Der Wind ist mäßig und meist auf unserer Seite. Wir finden unseren Rhythmus, stehen um sechs Uhr auf, trocknen das vom Morgentau pitschnasse Zelt, frühstücken zufrieden in den ersten Sonnenstrahlen, radeln uns zunächst hauptsächlich auf einwandfreien Asphalt-Küstenstraßen ein, stürzen uns zu Mittag hungrig auf unsere Jause, rollen weiter, suchen rechtzeitig nach einem geeigneten Platz, um unser Zelt aufzuschlagen und den an der Tankstelle befüllten Benzinkocher anzuschmeißen. Zwei extrem gescheite Ideen: einen Liter Benzin mit der Bankomatkarte zahlen (Benzin: ein Euro, Gebühr: 2,50 Euro) und dann den nagelneuen Kocher zum ersten Mal hungrig bei Wind und Dunkelheit ausprobieren. Die vage Aussicht auf Essen gibt es dann eine halbe Stunde Haareraufen später.

Tag 1, Kaiserwetter und wir sind endlich unterwegs!

Aber wir sind nicht immer alleine: Was uns von der ersten Sekunde an ungeheuren Rückenwind beschert, das sind all die schönen Begegnungen entlang unseres Weges. Engel namens Steve, Carole, George, Anne, Di, Dahlene und Jackie helfen uns in ihren Minibussen über gefährliche Highway-Abschnitte, versorgen uns mit Routenempfehlungen, einmal sogar mit einem spontanen dreistimmigen Gebet am Straßenrand, und laden uns zu gemeinsamen Abendessen vom Indoor-Braai (der südafrikanischen Variante von BBQ) und gemütlichen Abenden am Kamin ein. Wir dürfen immer wieder in echten Betten schlafen und werden am nächsten Morgen mit der Kraft von Eiern und Speck wieder auf den Weg geschickt.

Bekanntschaften am Wegesrand, spontane Einladungen und die ersten Wildcampspots der Reise

VORBEREITUNGSARBEIT

Wenn die Idee mal geboren ist, dann geht es an die Umsetzung. Aber wie bereitet man so eine Reise vor. Wo fängt man an? Und was sollte man wirklich nicht vergessen?

Listen, Listen, Listen! Sie haben uns durch unsere Vorbereitungsphase getragen. Eine Übersicht in Reinschrift hätte wohl etwa so ausgesehen:

CHECKLISTE VORBEREITUNG

➨ grobe Routenplanung (Globus, Karte)➨ Reisewarnungen, Visabestimmungen (Webseiten der Behörden)➨ Impfungen und Prophylaktika (rechtzeitig ins Tropeninstitut)➨ Dokumente gültig / aktuell? (Pass, Passkopie, Führerschein, Impfpass, Passfotos)➨ Kredit- oder Debitkarten gültig? (Bank)➨ Anschaffungen: Fahrrad, Taschen, spezielle Ausrüstung (Sponsoren suchen)➨ Fahrrad- und Reiseversicherung (inkl. Heilbehandlung im Ausland)➨ laufende Verträge kündigen (Wohnung, Auto, Mitgliedschaften etc.)➨ Flug (inkl. Radtransport) buchen➨ erste Unterkunft buchen (oder gleich losradeln?)➨ auf Onlineplattformen registrieren (Warm Showers / Couchsurfing)➨ Social-Media-Account, Blog, Homepage einrichten – oder auch nicht …➨ Planung der ersten Etappen (Offlinekarten, Reiseliteratur)➨ packen und Fahrradkartons besorgen➨ Tschüss sagen nicht vergessen!

Wildtiersichtungen entlang der Südküste: Springböcke, Dassie (Klippschliefer), Pinguine und Afrikanischer Strauß

Wir lernen, dankend anzunehmen, anstatt immer das Gefühl zu haben, wir sollten mehr zurückgeben. Trotzdem fahren wir die ersten Kilometer nach einer solchen Begegnung gerührt und andächtig schweigend nebeneinander her und lassen die Abschiedsumarmungen nachwirken

Und ja, wir sitzen den größten Teil des Tages im Sattel und strampeln, um voranzukommen. Aber genau das wollten wir ja. Wir sind unterwegs, und es gefällt uns.

KAROO, IST DA JEMAND?

26. September bis 4. Oktober:

Durch das Anysberg-Reservat und über das Sutherland-Hochplateau

Das Landesinnere der Provinz Westkap, durch die wir uns nach Norden vorarbeiten, besticht durch seine scheinbare Unendlichkeit. Wir schrauben uns über unsere erste Passstraße hoch in eine Gegend, die sich Karoo nennt. Das ist zwar eine Art Wüste, aber die hat so viele unterschiedliche Gesichter wie Abschnitte, namentlich Kleine Karoo, Karoo Highlands oder Tankwa-Karoo. Mal flach wie die Toastscheiben, auf denen wir mittags unsere Avocados verteilen, mal hügelig und durchsetzt von Felsformationen. Aber immer sind da diese vielen Farbflecken, die zu dieser Jahreszeit die Straßen säumen und ganze Hangpartien pink färben. Die Wüste blüht. Und weil wir langsam reisen, sehen wir jede noch so kleine Verfärbung, jede Knospe, die sich unter widrigsten Bedingungen gen Himmel öffnet.

Distanzen werden in diesen oft vom Wind gepeitschten Landstrichen von Pubs unterteilt. Sie unterscheiden sich einzig und allein darin, dass die Decke der einen Bar voller BHs hängt (Ronnies Sexshop), die der anderen wiederum voller Kappen (Tjols Zollhaus). Alle werden offenbar von tiefenentspannten Opas mit weißen Rauschebärten geführt, die uns bereitwillig einen Platz auf ihrer Veranda oder auf der anderen Seite des ausgetrockneten Bachbetts für unser Zelt anbieten. Im besten Fall ist sogar noch eine kurze, kalte Campingdusche unter dem funkelnden Sternenhimmel inkludiert.

Und wenn man dann nachts mit weit aufgerissenen Augen im Zelt das Kreischen der Schakale, gruselig quakende Frösche und andere nicht zuordenbare Geräusche hört, die am nächsten Tag von Einheimischen übrigens als „Kudu cough“ (das Husten des Kudu) identifiziert werden, dann ist man fast schon dankbar für den schrecklichen Radau, den tausende Webervögel und ein paar übermotivierte Hagedasche (eine Art Ibis) gegen halb sechs Uhr morgens pünktlich eine Stunde vor Sonnenaufgang im Baum über dem Zelt produzieren.

Wir radeln weiter, jeden Tag ein kleines Stückchen des großen Ganzen, und nur hin und wieder sind wir in unserer sprudelnden Motivation für einen kurzen Moment eingeschüchtert – genauer gesagt immer dann, wenn wir mal wieder mit 160 Stundenkilometern auf Asphalt oder mit neunzig Stundenkilometern auf der Staubpiste überholt werden. Unsere Rückspiegel sind unentbehrlich geworden und das Mantra lautet: „Nicht ärgern. Sie meinen es nicht böse. Das sind einfach keine Radler.“ Sie winken und hupen auch immer ganz nett, aber sie sind TROTZDEM ZU SCHNELL. Die Kieselsteine fliegen uns nur so um die Ohren!

Einradeln auf Asphalt: Am Horizont die Swartberge mit dem 2189 m hohen Towerkop Rechte Seite: Die Wüste blüht.

Viele Tiere können wir leider schon bald aus genau diesem Grund aus allernächster Nähe kennenlernen. Manche sehen nur noch aus wie Faschiertes, Hackfleisch. Die Roadkill Gallery wächst und wächst. Andere Vertreter der Karoo-Fauna wiederum sehen wir zum Glück nur aus angemessener Entfernung: majestätisch kreisende Raubvögel, stolzierende Strauße, die immer etwas pikiert wirken, genüsslich mampfende Springböcke morgens vor unserem Zelt, wild in ausgetrockneten Flussbetten herumfetzende, stark an Murmeltiere erinnernde Dassies und bedrohlich brüllende Pavianfamilien in den Felswänden enger Canyons.

Campen auf der Veranda von Ronnies Sexshop, einem hier bereits legendären StraßenpubLinke Seite: Middelpos, kleine Pfützen, große Motivation

Wir schlagen uns quer zu den asphaltierten Schnellstraßen durchs Hinterland, durchqueren das Anysberg Naturschutzgebiet und strampeln über das 1500 Meter hoch gelegene Plateau rund um Sutherland, den statistisch kältesten Ort Südafrikas – mit seinen Observatorien auch eine internationale Basis für wissenschaftliches Sternegucken.

Die in regelmäßigen Abständen auftauchenden Windmühlen zur Grundwassergewinnung, die Wasserreservoirs und kleine grüne Oasen rund um große, schattenspendende Pfefferbäume und Farmhäuser sind klare Indizien: Hier leben tatsächlich Menschen. Und die kilometerlangen Zäune entlang der Straßen zeigen: Auch das scheinbar öde Land zwischen den Farmen gehört jemandem.

Calvinia: In den Kleinstädten des Hinterlandes herrscht Wild-West-Vibe.

Zum Beispiel dem mehrere tausend Schafe schweren Schafbauern Chrisjan. Wir finden ihn am Steuer seines Geländewagens, aus dessen Beifahrerfenster ein beeindruckend langer Gewehrlauf ragt – am Abzug sitzt ein Fünfjähriger. Opa und Enkel sind auf dem Weg, um Gänse zu schießen, vermitteln uns aber zielsicher an Chrisjans Frau Marguerite, bei der wir zunächst Tee, dann ein Gästezimmer inklusive Dusche und zuletzt ein festliches Abendessen mit der ganzen Familie bekommen. Lammhaxe – was sonst?!

Es ist unglaublich, wie schnell wir uns an unser Reisetempo gewöhnt haben. Wir halten, wann und wo immer wir wollen, führen kurze Gespräche am Straßenrand und lassen unseren Blick sorglos nach links und rechts schweifen, während wir dahinrollen. Wir werden von allen Seiten beschenkt mit kaltem Wasser, Süßigkeiten oder auch mal einer Flasche Wein, wenn wir gar zu abgekämpft aussehen. Einmal werden wir sogar auf der Straße von Fans wiedererkannt und samt Rädern in das extra für uns leergeräumte Auto geradezu verfrachtet, um fünfzehn Kilometer weiter gemeinsam auf ein Bier gehen zu können.

Zwischen Tafelbergen und Blumenteppichen: auf Schotterstraßen durch die Provinz Nordkap

Wir haben das Hochplateau hinter uns gelassen und sind jetzt auf dem Weg zur wilden Westküste Südafrikas, die wir bis zum namibischen Grenzübergang an der Mündung des Oranje auch nicht mehr verlassen wollen. Das erste Zwicken im Knie ist schon lange abgeklungen und wenn wir morgens die immer fitter werdenden Beine strecken und uns neugierig auf unsere gepackten 45-Kilo-Gefährte schwingen, dann fühlt sich das inzwischen schon sehr vertraut und richtig an.

SETUP

Ein Fahrrad bietet zahlreiche Möglichkeiten des Gepäcktransports. Aber welche Taschen und wie viele davon ergeben wirklich Sinn?

Wir haben uns gegen ein leichtes und abgespecktes Bikepacking-Setup und für das klassische Reiserad-Setup entschieden – von uns auch liebevoll „Schlachtschiff“ genannt. Mehr als ein Jahr in ganz verschiedenen Klimazonen und der Anspruch auf absolute Unabhängigkeit beim Campen ließen uns fast keine Wahl. So war schlussendlich jede von uns mit acht verschiedenen, vollkommen wasserdichten Taschen der Marke Ortlieb, einem alten Wanderrucksack und zwei Lenkerbeuteln unterwegs. Insgesamt belief sich das Packvolumen auf etwa 115 Liter pro Rad. Und dank Packing Cubes, also Taschen in den Taschen, hatten wir schnell ein sehr intuitives Ordnungssystem entwickelt, dem wir uns wie in den Räumen einer Wohnung zurechtfanden.

CHECKLISTE SETUP

➨ 1 Ortlieb Handlebar Pack (=Lenkerrolle) 15 l➨ 2 Ortlieb Forkpack (=Gabeltaschen) je 5,8 l➨ 2 Ortlieb Backroller Plus je 20 l➨ 1 Ortlieb Cockpit Pack 0.8 l➨ 1 Ortlieb Drybag 22 l➨ 1 alter Wanderrucksack➨ 1 Gummispanner➨ 1 Set Ortlieb Packing Cubes (Ordnungssystem in den Backrollern)

SÜDWIND AUF AFRIKAANS

5. bis 10. Oktober:

Ein Eintopfcontest und letzte Tage an der wilden Westküste Südafrikas

Johanna, eine herzensgute Pensionistin, wohnt mit ihrem Mann Albert in einem Haus mit großem Garten am Stadtrand von Calvinia. Ihr Heim, äußerlich eher unscheinbar, erinnert von innen an eine Mischung aus Antiquariat und Palmenhaus. Sie bittet uns herein, und zwar samt Fahrrädern, und sagt beiläufig: „It’s not like they break in and kill you, but they will steal everything from the garden.“ Es sei also nicht so, dass sie einbrechen und einen töten, aber sie würden einfach alles aus dem Garten stehlen. Nicht ein einziges Mal müssen wir in diesen Wochen nachdenken, wen die weiße Bevölkerung in diesem Land mit „they“ meint.

Auch für uns ist es extrem schwierig, mit der nichtweißen Bevölkerung dieses Landes über die üblichen Dienstleister wie Verkäuferin, Uberfahrer, Security hinaus in Kontakt zu kommen, da wir als Weiße von Weißen sehr schnell gesehen, angesprochen und unter ihre Fittiche genommen werden. Manchmal fühlen wir uns regelrecht beschützt.

So wiederum bekommen wir einen vollkommen unerwarteten Einblick in die afrikaanse Kultur, die Kultur der „Boers“ (wörtlich: Bauern) im Landesinneren. So werden die Nachfahren der Niederländer genannt, die von den Briten bedrängt ins Landesinnere vorstießen und dort begannen das karge Land zu bewirtschaften. Heutzutage werden sie oft belächelt oder als grobschlächtige Rednecks dargestellt. Nicht selten hört man in der Beschreibung einer Gegend, einer Veranstaltung oder einer Gruppierung schmunzelnd das geringschätzige Attribut „very afrikaans“.

Einige Tage später werden wir von einem Ehepaar zum tatsächlich „very afrikaans“ Weskusfestival (Westküstenfestival) mitgenommen. Auf dem Parkplatz stehen fast ausschließlich weiße Pick-ups, Bakkies genannt. Es wird musiziert, ausgelassen getanzt, Brandy and Coke getrunken und gebraait, also gegrillt. Und es gibt doch tatsächlich einen Contest im Potjie-Zubereiten, einem traditionellen Eintopf. Dazu gesellen sich jede Menge Verkaufsstände für Biltong (getrocknetes Fleisch aus Rind, Strauß und allerlei Antilopen), diverses Kunsthandwerk und … Sukkulenten – noch so eine spezielle Leidenschaft dieser Kultur. Johanna bringt den sehr treffenden Vergleich: „Das ist wie auf einem mühlviertler Dorffest“ – und zieht mich wieder auf die Tanzfläche der Coverband.

Hondeklip Bay: Wuchtig schlägt der Atlantik hier an die wilde Westküste.

Was der Südafrika-Neuling vielleicht nicht vermuten würde: Nicht nur weiße, sondern auch große Teile der dunkelhäutigen Bevölkerung sprechen nur Afrikaans – ironischerweise die Sprache ihrer Unterdrücker. Mit Englisch ist dann nicht mehr viel anzufangen. Trotzdem unterhalten wir uns in einer lustigen Mischung aus Niederländisch, Deutsch und Englisch blendend mit dem weder wirklich schwarz noch wirklich weiß aussehenden Nachtwächter eines Restaurants, der uns freundlicherweise das Tor öffnet und uns ein verstecktes Plätzchen für unser Zelt anbietet.

Verlassene Orte, Schutthalden, Schilder und Zäune zeugen noch heute vom Diamantenboom der Siebziger.

So viele Bevölkerungsgruppen nennen Südafrika ihr Zuhause, egal ob ursprünglich afrikanischer oder europäischer Herkunft. Heute sind sie alle hier geboren, es gibt kein Zurück und jede Familie trägt ihre Geschichte und lebt ihre eigene, wertvolle Kultur. Es gibt hier Schwarz und Weiß und wie auch überall sonst so viel dazwischen. Aber es wird in diesem Land immer „die Anderen“ geben – so viel haben wir gelernt.

Die letzten Tage an der wilden, windigen und wellengepeitschten Atlantikküste geben uns einen Eindruck vom hier ansässigen Diamantengeschäft. Ganze Bergbaudörfer wurden in diesem flachen, ausgetrockneten Land der Sukkulenten angesiedelt. Die Arbeiter des damals größten Bergbauunternehmens „De Beers“ wurden hier in den 1970ern mit allerlei Luxus verwöhnt – es gab Tennis-, Rugby- und Schwimmvereine. Heute zeugen nur mehr ausgestorbene Orte und leerstehende Häuser, kilometerweit sichtbare Bergbau-Abfallberge und die spärliche und – so wird gemunkelt – auch oft illegale Suche nach den funkelnden Bodenschätzen vom einstigen Hochbetrieb. Es kommen nun hauptsächlich Geländewagen-Touren hier vorbei, um die vor der Küste liegenden Schiffswracks zu entdecken.

Achtung Umleitung!

Der wuchtige Südwind bläst uns bis in den verschlafenen Ort Kleinzee, wo wir vom örtlichen Abalonefarmer lernen, dass hier, wo riesige Walfischknochen den Garten zieren, wagemutige junge Männer vor der Küste nach Hummern tauchen. Doch in diesen Gewässern wird nicht nur Meerestieren nachgestellt: Auch die Diamantenjagd spielt sich heute zu einem großen Teil im Wasser ab, wo nun offshore in den Bodensedimenten, die der Oranje unermüdlich aus dem Landesinneren ins Meer hinausspült, nach dem glitzernden Zeug gesucht wird.

So überrascht es uns auch nicht, als wir eines Morgens im Grenzstädtchen Alexander Bay nach einer Campingnacht im Garten des Pfarrers von einem vorbeifahrenden Einheimischen angequatscht werden, während wir an einer Straßenecke gemütlich unser Müsli mampfen: „Hey, ich bin Diamantentaucher und muss jetzt zur Arbeit. Aber ihr könnt gerne in meinem Haus eine Dusche nehmen, wenn ihr wollt!“ Kurz ziehen wir das verlockende Angebot in Erwägung, aber dann sind wir doch schon zu bereit, endlich die Grenze nach Namibia zu überqueren.

Port Nolloth: Diamantenabbau und Fischerei liegen hier nahe beieinander

Wir posieren nur noch schnell für ein Selfie mit dem fahrradbegeisterten Zollbeamten und müssen mitansehen, wie unsere Räder einer weißen Desinfektionsdusche unterzogen werden. Von der freundlichen, aber leicht angeödeten Dame vom Covid-Screening bekommen wir die schriftliche Bestätigung, dass nicht ihr Temperaturmessgerät defekt, sondern unsere angebliche Körpertemperatur von 32 Grad Celsius absolut unbedenklich ist. Und dann geht es endlich über die lange Grenzbrücke hinein in das zweite Land unserer Reise.

Wer sein Rad liebt, der schiebt

Sukkulente

Hilfsbereitschaft auf Afrikaans

IMMER DIE ANDEREN – GESPRÄCHE UND BEOBACHTUNGEN ZWISCHEN SCHWARZ UND WEISS

Der erste Eindruck, den jeder Mensch hat, der zum ersten Mal in Kapstadt landet, sind die Slums, genannt Townships, die sich entlang der Flughafenautobahn bis zum Horizont erstrecken. Sie sind Ansammlungen von notdürftig zusammengestückelten Wellblech-Unterkünften und Bretterverschlägen. Nur wenig weiter schließen die Reichenviertel mit ihren hohen Zäunen und Überwachungskameras an. Schließlich erblickt man die schwarzen und in selteneren Fällen weißen Obdachlosen, die im Stadtzentrum in Zelten an stark befahrenen Straßen wohnen und Mistkübel durchsuchen.

Wie dem aufmerksamen Mitreisenden aufgefallen sein wird, haben wir bisher viel Gastfreundschaft von Frauen und Männern verschiedener Alters- und Einkommensschichten erfahren. Diese sehr unterschiedlichen Menschen hatten jedoch einige Gemeinsamkeiten: Sie waren zum größten Teil sehr gläubig – und sie alle waren das, was man der längst überholten Kategorisierung nach Hautfarbe zufolge als weiß bezeichnen würde. Sie waren sich auch alle höchst einig in ihrem Misstrauen gegenüber der Politik, dass die (schwarze) Regierung Südafrikas korrupt sei und dass das Land in vielerlei Hinsicht den Bach hinuntergehe. Einstimmig bestätigten sie auch alle, dass die fleißigen und guten Menschen aus Malawi die besseren Arbeiter*innen und Haushälter*innen abgeben als die (schwarzen) Leute aus dem eigenen Land.

Die Fahrradgang in Elim spricht vorwiegend Afrikaans.Tanzende Kinder in Middelpos

Unterschieden haben sie sich jedoch im jeweiligen Grad der Angst und Frustration. Wir haben den hochintelligenten Uniprofessor die Aussage machen hören, es herrsche heutzutage wieder Apartheid, nur diesmal umgekehrt, weil seine Stelle halbjährig mit unterqualifiziertem schwarzen Personal besetzt würde, um die von der Regierung vorgegebenen Quoten einzuhalten. Genauso verärgert ist der Schüler, der schwarze Mitschüler trotz mangelhafter Leistung – der Quote wegen – aufsteigen sieht, während er sich abrackert. Oder die hellhäutige Ladenbesitzerin, die für ihr Geschäftslokal Miete zahlt, die ihren dunkelhäutigeren Geschäftsnachbarn erlassen wird.

Wir durften Chrisjan den Schaffarmer kennenlernen, der seine Arbeiter wie seine eigene Familie behandelt, sie als Rückgrat seines Unternehmens erkennt und wertschätzt und mit einem lässigen Klatscher auf seinen Handrücken erklärt: „It’s only skin.“ Es ist nur Haut(farbe). Aber wir hörten auch die Geschichte vom weißen Großgrundbesitzer, der die Peitsche am Gürtel trägt und seine Arbeiter wie Eigentum betrachtet.

Selbst dem Besucher wird bald sehr deutlich: Dieses Land leidet noch immer schwer unter seiner von Kolonisation und Apartheid geprägten Geschichte. Das zeigt sich in latenter Angst und Absonderung, in oft kategorisierender und radikaler Sprache, in Zäunen und Unzufriedenheit, aber auch in mangelnder Bildung, Armut, Drogen- und Alkoholproblemen und Kriminalität bis hin zum Homizid – für Morde an Farmern wurde sogar ein eigener Begriff geschaffen: „farmmurders“. Ein Weg aus diesem Teufelskreis, der bereits Generationen dauert, scheint nicht in Sicht.

NAMIBIA, BOTSWANA UND SIMBABWE

„No off-road driving“ im NamibRand Naturreservat: Nicht, dass wir das ernsthaft vorhatten

FLIEGEN UND ANDERES GETIER

11. bis 14. Oktober:

Diamantenbusiness am Orange River und erste Tage im heißen Namibia

Schilder mit der unmissverständlichen Botschaft „Sperrgebiet“ leuchten uns entgegen und verraten, dass wir durch den – meist eben nur „Sperrgebiet“ genannten – Tsau-IIKaeb-Nationalpark fahren. Gleichzeitig verdeutlichen plötzlich ins vermeintliche Nichts abzweigende Tankwägen und Sattelschlepper, aber auch teilweise vor sich hin rostende Schaufelbagger am Straßenrand, dass wir uns nach wie vor tief in der Bergbauregion entlang des Grenzflusses, des Orange River oder Oranje, befinden. Ich denke noch lange über dieses Paradoxon – das Nebeneinander von Bergbau und Nationalpark – nach, während wir abends am Lagerfeuer zwischen Schilf und Blumen an einem einsamen kleinen Strand am Oranje liegen und bis in die frühen Morgenstunden dem Quietschen der riesigen Schaufelradbagger lauschen.

Die Landschaft bietet uns die ersten wirklichen Wüstenkilometer. Wir sehen Sanddünen, Steinhaufen oder strauchlose Hochebenen, so weit das Auge reicht, und spätestens mittags werden wir daran erinnert, dass hier andere klimatische Bedingungen herrschen: Es ist zum ersten Mal so richtig heiß. 50 Grad Celsius zeigt der Radcomputer. Heerschaaren von Fliegen versuchen auf der verzweifelten Suche nach Schatten nachvollziehbarerweise in all unsere Gesichtsöffnungen zu flüchten. Nachmittags baut sich dann regelmäßig ein strammer Wind auf, der die Fliegen in unseren Nasen und Ohren durch Sand ersetzt. Das ist dann erwiesenermaßen auch der beste Moment, um noch einen Reifen flicken zu müssen – sonst wäre es ja schon fast langweilig.