Zwei Soldaten - Maria Lazar - E-Book

Zwei Soldaten E-Book

Maria Lazar

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Beschreibung

Ein britischer Kampfpilot und ein deutscher SS-Sturmmann liegen sich als Feinde schwerstverwundet auf dem Schlachtfeld gegenüber. In ihrer letzten Stunde beginnen sich die beiden jungen Männer zu umkreisen. Im Inneren Monolog gedenken sie ihrer Liebsten zuhause, lassen die eigene Vergangenheit und Gegenwart vor dem geistigen Auge aufflammen. Doch der Krieg kennt keine Versöhnung. Eine Verständigung bleibt bis zuletzt unmöglich. Maria Lazars kurz nach Ende des Zweiten Weltkriegs entstandene Antikriegsnovelle Zwei Soldaten, eine unter die Haut gehende Melange aus epischem Kammerspiel und tiefenpsychologischer Erzählung, ist so aktuell wie nie zuvor und wird im Verlag Das vergessene Buch nun erstmals aus dem Nachlass herausgegeben. „Zwei Soldaten ist ein Protokoll der Begegnungsunfähigkeit und der Fruchtlosigkeit allen menschlichen Strebens. Eine strenge literarische Versuchsanordnung, in der es am Schluss heißt: Rien ne va plus.“ – Thomas Mießgang, DIE ZEIT

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Seitenzahl: 106

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Maria Lazar

Zwei Soldaten

Erstmals aus dem Nachlass herausgegebenund mit einem Nachwort versehenvon Albert C. Eibl

Die kurz nach Ende des Zweiten Weltkriegs entstandene Novelle Zwei Soldaten ist noch nie veröffentlicht worden und wird hier erstmals aus dem Nachlass herausgegeben – auf Grundlage des in der Österreichischen Exilbibliothek im Literaturhaus Wien aufbewahrten Originaltyposkripts letzter Hand.

2024

Das vergessene Buch | www.dvb-verlag.at

Copyright © by DVB Verlag GmbH, Wien

Alle Rechte vorbehalten.

Umschlaggestaltung: Lukas Spreitzer, Wien

ISBN 978-3-903244-36-8

Zwei Soldaten

Wenn man tot ist, sieht man nicht und hört man nicht. Ich lebe also. Denn über mir sind Sterne. Ich sehe sie, obwohl ich tief im Dunkel liege. Und ich höre, dass etwas sich bewegt. Ein Mensch? Ein Tier? Ich bin nicht allein. Ich lebe. Nur die Toten sind immer allein. Wenn ich die Hand ausstrecken könnte – nein, die Hand ist tot. Vielleicht habe ich keine Hand mehr. Vielleicht wurde sie mir abgeschossen, als ich so tief herab ins Dunkel fiel. Vielleicht habe ich auch keine Stimme mehr. Der Mund ist voll Sand. Die Zähne sind ineinander gehackt. Ich möchte fragen: Wer bist du? Hörst du mich? So wie ich dich höre. Bist du ein Mensch? Auch einer? Oder ein Tier der Wüste, ein Schakal? Ein Wurm, der sich bewegt? Ich möchte fragen: Wer bist du? Auch einer? So wie ich? Kannst du mir helfen? Oder brauchst du mich? Kann ich dir helfen? Wenn es gelingen sollte, den Mund zu öffnen, die Zähne auseinander zu bringen – hörst du mich? Wer bist du? Ich heiße Johnny . . . . . .

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Da liegt also wirklich noch einer. Spricht ja. Oder nicht? Soll man antworten? Wenn ich ihn höre, kann ich nicht ganz tot sein. Aber zu sehen ist nichts. Verdammte Finsternis. Da oben sind doch Sterne. Wenn man nur kriechen könnte. Meine Beine, die sind wohl weg. Abgefahren von einem Tank. Oder? Wie sie so über mich wegrollten, Tanks und Maschinen, ein Regiment . . . . Und ich bleibe liegen. Junge, Junge, da ist was passiert. Ob der daneben auch so einer ist wie ich? Ein Kamerad? Er spricht nicht mehr. Vielleicht hab ich geträumt. Aber da ist jemand. Ich spüre es. Das regt sich. Vielleicht ein Tier? Eine Hyäne? Oder ein Eingeborener? Denen ist nicht zu trauen. Oder ein Feind? Wenn er mir näher kommt, ich schieße, ich schieße einfach, auf jeden Fall. Kann ich denn auch die Hand nicht mehr bewegen? Und der Mund ist voll Sand. Ob der daneben eine Feldflasche hat? Er rührt sich nicht. Vielleicht ist er schon tot. Man könnte fragen. Das ist gefährlich. Einfach fragen: Wer bist du? Ich heiße Hans . . . . . . . . . Hans Schmitt wird in der Zeitung stehen, schwarz eingerahmt, SS-Sturmmann, Hauptjungzugführer im Deutschen Jungvolk, Inhaber des HJ-Leistungsabzeichens in Silber . . . . gab sein junges hoffnungsvolles Leben für seinen Führer . . . . nicht weinen Mutter. Nein, Mutter weint nicht, da habt ihr’s ja gedruckt, in stolzer Trauer, in stolzer Trauer weint man nicht, in stolzer Trauer folgt nun die Familie, gedruckt, schwarz eingerahmt, Vater zuerst, dann Mutter, die Geschwister, Inge, Horst, ob Annemarie auch dabei ist, als Braut, natürlich, warum nicht. Annemarie, die zuckt mit keiner Miene, tapferes Mädel, und wenn die Nachbarn kommen, da liegt der Brief, der Brief von meinem Hauptmann, treueste Pflichterfüllung, Heldentod, im Glauben an Großdeutschland, der Brief liegt auf dem Tisch unter der Hängelampe, den könnt ihr alle sehen, Frau Giese meint zwar der Brief ist nicht viel anders als die anderen, sie las in letzter Zeit sehr viele solche Briefe, hunderte, tausende . . . . . . . .

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Ob sie es zuhause schon erfahren haben? Wie lange ist es her? Gestern? Vorgestern? Da saßen sie vielleicht beim Radio und hörten es. Flugzeuge abgeschossen. Flugzeuge? Wie viele? Vielleicht nur eines. Ein Flugzeug abgeschossen und ein Pilot vermisst. Nur ein Pilot. Nur einer. Und das bin ich. Mrs. Guise wird vielleicht wieder sagen: Nur einer. Für eine Mutter ist das grad genug. Ach Mrs. Guise, Sie hätten das nicht sagen sollen. Es war so traurig, als ich auf Urlaub war. Sie hätten das damals nicht sagen sollen. Mutter, die ging in die Küche hinaus, um zu weinen. Soll sie nicht weinen, wenn ihr Johnny tot ist. Aber sie weint nicht nur, sie schält Kartoffel. Vater ist in sein Kontor gegangen. Dort drücken ihm jetzt alle die Hand. Schade um Johnny. Und Harry, der steht in seiner Schule und alle anderen Jungen sehen ihn an. Der große Bruder ist tot. Passt auf die Schule auf um Gotteswillen! Die Bomben kommen, der Feind, der Feind, rettet die Kinder, unser Haus, den Garten, die Kirche brennt . . . . . . Aber wenn am Sonntag dann der Himmel klar ist und die Vögel singen und niemand auf den Straßen sich zu fürchten braucht, geht Anne zum Fluss hinunter, wo die Weiden stehen, dort hat Johnny sie zum ersten Mal geküsst. Dort gibt es keinen Sand, nur sanftes Wasser. Willst du allein sein, Anne? Lass Peggy zu dir kommen. Unter den Weiden haben wir gespielt, als wir noch Kinder waren, Peggy und ich, zwei Kinder. Es werden unter diesen Weiden noch viele Kinder spielen. Schade, dass es nicht meine Kinder sind. Schade um Johnny. Er starb in einem fernen heißen Land, damit am sanften Fluss zuhause die Kinder spielen können, unsere Kinder – wenn es nur einen Tropfen Wasser gäbe, Wasser –

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Jetzt schreit er. Ist also gar nicht tot. Na, willst du wohl. Am besten ist, ihm nicht zu antworten. Abwarten. Kerl, so rühr dich doch. Was bist du plötzlich wieder still. Merkst du denn nicht, dass hier noch einer liegt. Du willst mir doch nicht auflauern. Was wartest du? Meinst du vielleicht, ich hab die Feldflasche. Ich rühr mich nicht, da kannst du lange warten. Ich mache den Mund nicht auf. Bei dieser Finsternis siehst du mich nicht. Wenn ich nur wüsste, wer du bist. Wenn ich nur kriechen könnte. Meine Beine – er gab sein junges hoffnungsvolles Leben für seinen Führer – ich sah es ja soeben schwarz auf weiß, gedruckt mit Trauerrand – aber er ist noch nicht tot, dieser SS-Sturmmann, dieser Hans Schmitt, da liegt er allein im Sand, nicht ganz allein, denn neben ihm ist noch einer, kriecht, bewegt sich – oder nicht? . . . . . Wenn ich mich auf den Ellbogen stütze – ach nein, das lohnt sich nicht, der sinkt nur ein im Sand. Zuhause, da wachsen Wurzeln aus dem Sand, da könnte man sich anklammern, knorrige Wurzeln, unsere Kiefern, Bauernkiefern, und nebenan der Wald, der deutsche Wald, das Bächlein rieselt und die Luft ist feucht, weil es gewittern wird, vergiss die Heimat nicht, die deutsche Heimat, Hans, wer sollte diese Heimat je vergessen, gelbe Felder, das Korn, das Brot, die Kameraden, wie sie marschieren, Jungens, Jungens, die breite Autostraße hat kaum Platz für sie, zu beiden Seiten Felder, Jungens, Jungens, HJ in Reih und Glied, marschiert und stillgestanden, weiter, rechts, ich führe euch, Hans Schmitt, die Straße, sie ist zu eng, die Felder, sie sind nicht groß genug, die Heimat, sie ist zu klein, wir werden noch viele Länder zu unserer Heimat machen, zum Heimatraum, denn seht, da kommen auch noch die Mädels, sie begleiten uns, Annemarie voran, sie winkt mir zu, am Abend bin ich bei dir, Annemarie, in deinem Sommerlager, wo auch die anderen, die vielen anderen Mädels sind, ich finde dich heraus, Annemarie, du wartest doch, bis Hans zu dir kommt, Hans, Hans Schmitt, Hauptjungzugführer, ist es nicht derselbe, der hier im Sande liegt, dann ist es ein anderer Hans, es gibt ja viele, tausend, hunderttausend, seht diesen Hans, ein prächtiger Junge, Rasse, Bauernblut, erkoren und erlesen, um zu herrschen, ein Führertyp, ein Mann, ein Held. Lass deine Mädels singen, Annemarie, stimmt an im Chor, ihr Mütter unserer Kinder: Denn heute gehört uns Deutschland und morgen die ganze Welt . . . . . . Hab ich gesungen, wirklich laut gesungen? Dann hätte er mich hören müssen. Warum schweigt er? Wenn es einer von den unseren wäre, er hätte mitgesungen. Jetzt weiß er, wer ich bin. Verstellt er sich? Kriecht er an mich heran? Der Unbekannte, der Feind. Es soll da verschiedene Regimenter geben. Die Engländer, sie kämpfen nicht allein, schieben die anderen vor. Polnische Truppen, Tschechen und Franzosen. Sind Juden auch dabei. Er rührt sich wieder. Vielleicht ist es ein Tier. Eine Hyäne. Mir bricht der Schweiß aus. Dabei friere ich. Ist das jetzt Angst? Vater unser . . . . der du bist . . . . mein Führer, der du bist . . . . ich gab mein junges hoffnungsvolles Leben . . . . aber ich möchte nicht zerfleischt werden von der Hyäne, von diesem Polen oder Juden. Ich möchte mich wehren können. Ich möchte sprechen können. Vielleicht hört er mich. Erschrickt. Herr Hauptmann, die Briefe sind sehr schön, die Sie den Eltern schreiben, wir danken Ihnen unsere Ausbildung, wissen, wie wir uns zu verhalten haben, in treuester Pflichterfüllung, Glauben an Großdeutschland, aber was man so macht, wenn man im Sand verdurstet und verreckt und einer rührt sich nebenan, man ahnt nicht, wer es ist, man möchte sprechen können, rufen, um Hilfe rufen, fragen – Herr Hauptmann, davon haben Sie uns nichts gesagt, sollten Sie diese Instruktionen vergessen haben – jetzt schreit er wieder, nur ein Laut, ein Wort – hallo?

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Hallo . . . . . hallo . . . . . ich träume nicht, denn das ist meine Stimme. Hallo . . . . jetzt muss er es gehört haben, der andere dort. Wenn er inzwischen nicht gestorben ist. Aber er hat doch eben erst gesungen. Das ist ein Mensch, kein Wurm und kein Schakal. Ein Mensch. Ich spüre seinen Atem. Er lebt. Bewegt sich. Hallo! Hörst du mich? Ich bin nicht mehr allein, ich bin nicht tot. Ich spreche. Spreche. Ist das wahr? Und lebe ich auch wirklich noch? Da müsste er mir antworten. Wenn einer lebt und spricht, antwortet man. Hallo! Du, der du dort im Dunkel liegst und dich bewegst und atmest, so wie ich . . . . hallo, ich rufe dich . . . hörst du mich nicht . . . . ich heiße Johnny, John Smith, ich hätte noch einiges zu sagen, ehe ich hier sterbe, das Leben war so kurz, so schön, soll es denn wirklich einfach nur vorbei sein . . . . . .

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Da redet er, er redet, redet, redet. Und ich versteh kein Wort. Was ist das für ein Kauderwelsch. Kann er nicht Deutsch? Natürlich nicht. Wenn ich nur wüsste, was er sagt. Ich rufe mal, ich kann es ja versuchen. Ich rufe: Heil! Heil Hitler! . . . . Hallo! . . . . Er ruft hallo . . . . und redet weiter . . . . ein Engländer, bestimmt ein Engländer, oder ein Pole oder Jude . . . . ach, dass man in der Fremde sterben muss. Wär ich daheim, in einem Lazarett, da wüsste jeder, was ich sage. Der Volksgenosse neben mir im Bett richtet sich auf: Na hör mal Junge, du hast ja eine Menge zu erzählen. Wenn man bedenkt, für so ein kurzes Leben. Ein hartes Leben, Kamerad. Mein Hauptmann hat mich gelobt, mein Führer ist zufrieden. Ich sterbe, damit Deutschland groß werden kann. Es wächst, es dehnt sich aus, es sprengt die Grenzen, den ganzen Erdball hält es in der Faust, da wird es in der fernsten Wüste keinen geben, der meine Sprache nicht versteht. Da wird es keinen geben, der es wagt, mir nicht zu antworten. Nicht zu gehorchen, wenn ich ihm befehle. Hörst du daneben, heraus mit dir aus dem Versteck. Nun hältst du dich nicht länger mehr verborgen. Heraus mit dir, sofort und angetreten! Name? Beruf? Wie alt? Aus welchem Land? Vielleicht gar ein verfluchter Partisane. Die Hände hoch! Wo hast du deine Waffen? Rechtsum und marsch! Linksum und stillgestanden!

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Mein Gott, er ruft mich und ich kann nicht hin. Ich höre es an seiner Stimme und wenn ich auch kein Wort verstehen kann. Er ruft mich und er schreit so wie im Schmerz. Er kann wohl auch nicht gehen so wie ich, nicht einmal kriechen. Er durstet, so wie ich. Das wird ein Deutscher sein. Wenn er mich nur verstehen könnte. Man sagt, es sollen nicht alle Deutschen böse sein. Wer wird auch vor dem Tod noch böse sein. Wo es doch so viel leichter ist, ein bisschen gut zu sein. Hallo, hör zu, ich fürcht dich nicht. Ich rede langsam, hörst du, laut und klar, wenn du auch meine Sprache nicht verstehst, du musst begreifen, was ich dir jetzt sage, denn meine Stimme, Johnnys Stimme, ist des Menschen Stimme in der Wüste. Es kann der Sand nicht reden und die Sterne schweigen, die Dunkelheit ist still, des Menschen Stimme aber trägt in sich das Wort, im Anfang war das Wort . . . . .

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Maul halten, Kerl! Ich will dich nicht mehr hören . . . . . jetzt schweigt er endlich. Hat er mich verstanden? Ja, er gehorcht, weiß, was ich sage. He, hörst du mich? .... tu nur nicht so .... antworte mir .... sofort und nicht gefackelt, .... antworte mir .... wer bist du?

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Des Menschen Stimme in der Wüste, Johnnys Stimme, trägt in sich das Wort . . . . . ach, wenn es doch nur einen Tropfen Wasser gäbe . . . . . Wasser ...

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