Erhalten Sie Zugang zu diesem und mehr als 300000 Büchern ab EUR 5,99 monatlich.
Inge Kramer hat die Nase voll: Erst trennt sich ihr Jugendfreund Heinz von ihr und dann verlobt sich ihre Mutter auch noch mit diesem unsympathischen Grafiker aus ihrer Werbeagentur. Inge ist gerade 20 Jahre alt, voller Abenteuerlust und Tatandrang, und da kommt es ihr gerade recht, dass die Schriftstellerin Frau von Sauten sie als Gesellschafterin auf eine Weltreise einlädt. Natürlich hofft Inge, in der Ferne und durch die Ablenkung die unschönen Verwirrungen ihrer Vergangenheit hinter sich zu lassen. Dass man aber vor bestimmten Dingen nicht davonlaufen kann, merkt Inge früher als ihr lieb ist. Immer wieder muss sie an Heinz zurückdenken und ihre Sehnsucht scheint auch mit der Distanz nicht schwächer zu werden. Doch dann begegnet sie dem überaus faszinierenden Piloten Axel, der ihr Leben ungefragt ganz schön auf den Kopf stellt.-
Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:
Seitenzahl: 281
Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:
Marie Louise Fischer
SAGA Egmont
Zweimal Himmel und zurück
Genehmigte eBook Ausgabe für Lindhardt og Ringhof Forlag A/S
Copyright © 2018 by Erbengemeinschaft Fischer-Kernmayr, (www.marielouisefischer.de)
represented by AVA international GmbH, Germany (www.ava-international.de)
Originally published 1968 by Boutique Verlag Schneider, Germany
Copyright © 1968, 2018 Marie Louise Fischer und Lindhardt og Ringhof Forlag A/S
All rights reserved
ISBN: 9788711715802
1. Ebook-Auflage, 2018
Format: EPUB 2.0
Dieses Buch ist urheberrechtlich geschützt. Kopieren für andere als persönliche Nutzung ist nur nach
Absprache mit Lindhardt og Ringhof gestattet.
SAGA Egmont www.saga-books.com und Lindhardt og Ringhof www.lrforlag.dk– a part of Egmont www.egmont.com
Es war kurz vor Mitternacht, als Inge Kramer den Untermain-Kai entlangrannte. Ein kalter Regen schlug ihr ins Gesicht und pladderte auf ihren knallroten Lackmantel. Aber Inge merkte das gar nicht, sie war viel zu aufgeregt.
Vor dem Hotel Frankfurt Intercontinental stand ein breitschultriger Portier in einem mit goldenen Schulterstücken geschmückten Mantel und balancierte einen überdimensionalen Regenschirm. Inge drückte sich an ihm vorbei und strich durch die Drehtür in die Hotelhalle.
Sie schüttelte sich wie ein junger Hund, der aus dem Wasser kommt. Die Regentropfen sprühten von ihren kniehohen Lackstiefeln, dem kurzen Mantel und dem Südwester auf den schweren Teppich. Sie nahm ihren Regenhut ab, steckte ihn in die Seitentasche ihres Mantels und fuhr sich mit beiden Händen in das blonde, schulterlange Haar, um es aufzulokkern. Dann marschierte sie geradewegs auf einen der Lifte zu, vor dem eine Reisegesellschaft aneinandergedrängt stand und aufpaßte, ob die Gepäckdiener die Koffer und Taschen richtig sortierten.
Als der Lift unten hielt und die Türen sich lautlos öffneten, hörte Inge hinter ihrem Rücken eine Stimme rufen: »Augenblick mal, Fräulein!«
Sie wußte sofort, daß sie gemeint war, aber sie tat so, als wenn sie den Zuruf gar nicht gehört hätte.
»He, Sie da!« rief die Stimme energischer.
Mit eiserner Energie gelang es Inge, sich nicht umzudrehen. Sie wollte in die Kabine schlüpfen, aber der Liftboy versperrte ihr den Weg. »Der Empfangschef möchte Sie sprechen«, sagte er mit einem breiten Grinsen und schloß die Tür vor Inges Nase.
»Verflixt«, dachte Inge, »so etwas Dummes. Hätte ich doch bloß nicht das rote Zeug angezogen. Damit sehe ich ja auffälliger aus als ein Feuerwehrmann.«
Sie drehte sich langsam um und schritt gemessen, das Kinn hoch erhoben, die kleine Nase in die Luft gereckt, auf den Empfangstisch zu.
Der Mann im schwarzen Cut verbeugte sich leicht, die dunklen Augen fest auf sie gerichtet. »Sie wünschen, gnädiges Fräulein?« Das klang schon besser.
»Ich bin Inge Kramer«, sagte sie mit Nachdruck, »Frau von Sauten erwartet mich.«
Der Empfangschef beugte sich gelassen über ein großes Buch und fuhr mit dem stumpfen Ende eines Kugelschreibers über die Seiten. »Es tut mir leid, gnädiges Fräulein«, sagte er und richtete sich wieder auf, »Frau von Sauten hat sich schon zur Ruhe begeben.«
»Aber … für mich ist sie immer zu sprechen«, behauptete Inge unverfroren, »läuten Sie doch bitte hinauf und sagen Sie ihr …«
»Frau von Sauten hat ausdrücklich angeordnet, nicht mehr gestört zu werden.«
Eine Sekunde lang maßen sie sich stumm, dann begriff Inge, daß sie gegen diesen Fels von einem Mann nichts ausrichten konnte. Sie schlug die Augen nieder. »Dann … entschuldigen Sie bitte«, murmelte sie und wandte sich ab.
Den Blick des Empfangschefs im Rücken, durchquerte sie die große Hotelhalle. Sie wußte, sie hatte eine Schlappe erlitten, aber das war für sie noch lange kein Grund, sich geschlagen zu geben.
Als Inge das blinkende schwarze Schild mit der Aufschrift Zu den Toiletten entdeckte, war ihr Plan gefaßt. Sie machte eine unauffällige Viertelwendung und stolzierte in die Richtung, die ihr das Schild wies. Dabei spürte sie ein unangenehmes Prickeln zwischen den Schulterblättern, als wenn der Mann sie noch immer fixierte.
»Na, aufs Klo zu gehen, kann er mir schließlich doch nicht verbieten«, dachte sie. Und siehe da, er tat es nicht. Ungehindert gelangte sie in die Waschräume, die zum Glück in dieser nächtlichen Stunde ganz verlassen waren.
Eins, zwei, drei knöpfte sie ihren roten Lackmantel auf, zog ihn aus und hängte ihn an einen Haken hinter der Tür. Jetzt, in ihrem rosafarbenen Minirock und einem blau-rosa gestreiften Pulli, einen breiten weißen Ledergürtel um die Taille geschlungen, sah sie zwar nicht unauffälliger aus, aber immerhin entschieden verändert. Nur die Stiefel, die knallrot waren wie ihr Mantel, verrieten sie. Kurz entschlossen zog sie sie aus und eilte auf Strümpfen durch den halbdunklen Gang.
Ihre Hoffnung, eine Hintertreppe zu finden, erfüllte sich nicht. So blieb ihr nichts anderes übrig, als in die Halle zurückzukehren. Aber sie hielt sich hinter einer Säule versteckt und wartete, bis der Empfangschef von einem Ehepaar in Beschlag genommen worden war.
Dann setzte sie zum Spurt an, durchquerte leichtfüßig, aber nicht zu rasch die Halle und schritt geradewegs auf die Haupttreppe zu. Sie hatte die ersten Stufen schon erklommen, als eine ihr nur zu gut bekannte Stimme in ihrem Rücken »Halt!« donnerte.
Aber Inge dachte nicht daran, dieser barschen Aufforderung zu folgen. Im Gegenteil, sie begann zu rennen. Sie flog die Treppe hinauf, die Ecke, Absatz, Stufen, um die Ecke, Absatz, Stufen. Dann hatte sie den dritten Stock erreicht und hetzte über den langen Gang. Sie sah, daß der Lift hielt, aber sie rannte weiter, hörte Schritte hinter sich und hätte gern das Tempo verdoppelt.
»Leichtathletik hätte man treiben sollen!« fuhr es ihr durch den Kopf. Dann hatte sie die Tür von Zimmer 347 erreicht, hämmerte mit beiden Fäusten dagegen. »Frau von Sauten!« rief sie atemlos. »Frau von Sauten!«
Fast im gleichen Augenblick fühlte sie sich von einer kräftigen Hand im Nacken gepackt und geschüttelt. »Was fällt Ihnen denn ein?« zischte der Liftboy. »Sie schreien ja das ganze Hotel zusammen!«
»Lassen Sie mich los, Sie!« fauchte Inge. »Sie sind selber schuld, wenn ich schreien muß! Ich will ja bloß zu Frau von Sauten …« Sie holte Atem, aber sie kam nicht mehr dazu, noch einmal zu rufen.
Der Liftboy, der sie immer noch mit der einen Hand gepackt hielt, preßte ihr die andere auf den Mund. »Das könnte Ihnen so passen!« Er wollte Inge fortziehen. Sie wehrte sich aus Leibeskräften, schlug mit ihren Fersen gegen die Tür. Aber er war stärker und fesselte ihre beiden Arme mit festem Griff auf dem Rücken.
Da wurde das Zimmer von innen geöffnet, und Frau von Sauten erschien auf der Schwelle. Sie war barfuß, hatte sich nur einen Morgenrock über das Nachthemd geworfen, ihre Augen waren vom Schlaf verquollen, das Haar stand ihr zu Berge. Sie hielt einen Revolver in der Hand. »Unglaublich!« rief sie. »Was ist denn hier los?«
»Entschuldigen Sie bitte die Störung, gnädige Frau«, sagte der Liftboy, »ich wollte gerade …« In seiner Verwirrung drückte er die Hand nicht ganz so fest auf Inges Mund. Sie merkte es sofort und biß ihn kräftig in den Ballen.
»Au!« schrie er und ließ sie für Sekunden los.
Erst jetzt, als er ihr Gesicht freigab, erkannte Frau von Sauten sie. »Inge«, sagte sie ganz verblüfft, »Sie sind es? Ja, warum machen Sie denn so einen Krach mitten in der Nacht vor meiner Tür?«
»Ich muß Sie sprechen!« stieß Inge hastig hervor. »Jetzt! Sofort! Bitte, schicken Sie mich nicht weg … es ist wichtig! Bei mir hat sich alles verändert, ich kann Sie auf Ihrer Weltreise begleiten! Sie haben doch noch niemanden engagiert? Bitte, bitte, nehmen Sie mich mit!«
Der Liftboy sah sie kopfschüttelnd an. »Das Fräulein scheint verrückt zu sein! Soll ich sie fortschaffen, gnädige Frau?«
»Nein, im Gegenteil«, sagte Frau von Sauten sehr bestimmt, »lassen Sie sie los! Was sind denn das für Methoden! Hat er Ihnen weh getan, Kind?«
Inge rieb sich den Nacken. »Was kann man von so einem Grobian schon anderes erwarten!«
Der Liftboy wurde rot. »Sie ist unbefugt hier eingedrungen, und der Chef hat befohlen …«
Frau von Sauten winkte ab. »Ja, schon gut, ich glaube Ihnen.« Sie wandte sich wieder Inge zu. »Wo haben Sie denn Ihre Schuhe gelassen? Oder sind Sie ohne Schuhe durch die halbe Stadt …«
»Meine Stiefel sind unten in der Damentoilette, mein Mantel auch.«
»Dann seien Sie so nett und bringen Sie beides herauf, junger Mann«, sagte Frau von Sauten, »und sagen Sie Ihrem Chef, daß ich ihm schon ein bißchen mehr Menschenkenntnis zugetraut hätte. Würden Sie uns bitte dann noch Tee bestellen? Vielen Dank.«
Zehn Minuten später saßen Frau von Sauten und Inge Kramer in dem hübsch möblierten kleinen Wohnzimmer, das zum Appartement der Schriftstellerin gehörte, in bequemen Sesseln.
Frau von Sauten goß Inge und sich aus einer dampfenden Kanne Tee in die Tassen. »Das habe ich von den Engländern gelernt«, sagte sie, »es gibt nichts Aufmunternderes und Beruhigenderes zugleich als einen guten aromatischen Tee. Ich jedenfalls kann ihn zu jeder Tages- und Nachtzeit trinken.« Sie hatte ihren Morgenrock jetzt zugebunden, trug Lederpantöffelchen an den Füßen und hatte ihr weißes Haar, das in einem so interessanten Gegensatz zu ihrem jugendlich-frischen, fast faltenlosen Gesicht stand, zu einer hübschen Frisur gebändigt.
Inge saß auf der vordersten Kante ihres Sessels, ließ drei Stück Zucker in den Tee gleiten, rührte um, nahm einen Schluck und sagte artig: »Das tut gut.«
»Freut mich, wenn es Ihnen schmeckt, Inge!« Frau von Sauten ließ ihr goldenes Feuerzeug aufspringen, zündete sich eine Zigarette an. »Nun erzählen Sie doch mal, wie es zu Ihrem plötzlichen Gesinnungsumschwung gekommen ist. Vor ein paar Tagen, als Ihre Freundin Bettina uns bekannt machte …«
»Da dachte ich, daß ich Mutter nicht allein lassen könnte!« platzte Inge heraus. »Aber Pustekuchen! Sie braucht mich überhaupt nicht! Heute abend, es ist noch keine Stunde her, hat sie mir eröffnet, daß sie sich verlobt hat! Man höre und staune … verlobt! Noch einmal heiraten! In ihrem Alter!«
Frau von Sauten lächelte ein bißchen. »Wie alt ist Ihre Mutter denn?«
»Achtunddreißig.«
»Na, dann muß ich schon sagen, das ist wahrhaftig uralt …«
Inge spürte Frau von Sautens Ironie und wurde rot. »Bitte nehmen Sie es nicht persönlich«, sagte sie hastig, »so habe ich es gar nicht gemeint. Schließlich kommt es nicht darauf an, wie alt man ist – bloß das mit der Verlobung, das finde ich geradezu geschmacklos.«
»Sie mögen also den Verlobten Ihrer Mutter nicht?«
Inge zuckte die Achseln. »Was heißt hier mögen? Ich habe ihn eigentlich heute abend erst kennengelernt. Mutti arbeitet in einer Werbeagentur, und da ist er als Grafiker angestellt. Er sieht ganz gut aus – aber das ist doch kein Grund, sich zu verloben!«
Frau von Sauten beobachtete sie aus schmalen Augen durch den Rauch ihrer Zigarette. »Wenn ich Sie recht verstehe, dann wollen Sie also sozusagen aus Protest ausreißen, ja? Aber wird Ihre Mutter das auch erlauben? Sie sind … wie alt sind Sie eigentlich, Inge?«
»Ich werde zwanzig.«
»Das ist gut. Da brauchen Sie die Einwilligung Ihrer Mutter ja nicht mehr.«
»Die hätte ich bestimmt gekriegt«, behauptete Inge mit Nachdruck, »ich wette, Mutti und dieser Heini werden nur zu froh sein, wenn sie mich los sind.«
»Sie leben aber noch bei Ihrer Mutter?«
»Na klar!« Ein Schatten flog über Inges hübsches Gesicht. »Bis heute sind wir immer gut miteinander ausgekommen.«
»Und was ist mir Ihrem Vater?«
Inge riß die braunen Augen auf.
»Nun, Sie werden doch noch einen Vater haben, nehme ich an?«
»Bloß auf dem Papier. Mutti hat sich scheiden lassen, noch bevor ich denken konnte. Warum, habe ich nie herausgekriegt.«
Frau von Sauten nahm einen Schluck Tee. »Sie haben Ihre Mutter also danach gefragt?«
»Na klar«, sagte Inge, »für so was interessiert man sich doch. Es gab eine Zeit, da war ich ganz wild darauf, meinen Vater kennenzulernen. Aber Mutti war in dieser Beziehung eisenhart! ›Ich habe einen Strich unter die Vergangenheit gemacht‹, sagte sie immer, wenn ich das Thema anschnitt, ›und dabei wollen wir es belassen.‹«
»Na schön«, sagte Frau von Sauten, stellte die Teetasse auf den Unterteller, »wie ich verstehe, sind von Ihrer Familie her also keine Schwierigkeiten zu erwarten.«
»Sie nehmen mich also mit?« Inge sprang so heftig auf, daß sie beinahe den kleinen Tisch umgeworfen hätte, die Zuckerdose klirrte, der Tee in den Tassen schwappte.
»Nicht so aufgeregt, Kindchen«, mahnte Frau von Sauten, »was an mir liegt, werde ich tun. Aber für Sie gibt es da, denke ich, noch ein Problem zu lösen. Wie mir Bettina erzählte, arbeiten Sie bei irgendeiner Firma …«
»Ja, bei Bomhardt und Co., einer Maschinenfabrik.« Inge setzte sich wieder. »Das heißt, dort habe ich gearbeitet. Heute früh habe ich fristlos gekündigt.«
Frau von Sauten machte zuerst ein verdutztes Gesicht, dann lachte sie. »Oha! Sie scheinen aber eine wirklich sehr impulsive junge Dame zu sein. Und was hat Ihr Chef dazu gesagt?«
»Er hat mir geraten, die Sache erst noch einmal zu überschlafen. Aber da gehe ich nicht mehr hin, nie mehr. Auch wenn das mit Ihnen und der Weltreise nicht klappt.«
Inge blickte Frau von Sauten aus großen Augen an. »Muß ich darüber sprechen?«
»Nein, Sie müssen nicht. Aber da Sie mich nun einmal aus meinem ersten, besten Schlaf gerissen haben, fände ich es eigentlich sehr nett von Ihnen. Außerdem, wenn wir nun ein paar Monate miteinander unterwegs sein wollen, dann wäre es an sich doch passend …«
»Also gut!« Inge gab sich einen sichtbaren Ruck. »Wie Sie sich sicher denken können, steckt eine Liebesgeschichte dahinter …«
»Ich habe mir gar nichts gedacht«, sagte Frau von Sauten.
Inge überhörte den Einwurf. »Heinz und ich, wir haben uns ineinander verliebt. Heinz ist der Sohn vom alten Bomhardt, der zukünftige Juniorchef, aber jetzt arbeitet er noch wie jeder Angestellte in der Firma. Daß ich mich in ihn verliebt habe, hat auch gar nichts damit zu tun, daß er Geld hat, im Gegenteil, das macht alles nur so schwierig. Mutti hat mich von Anfang an gewarnt, aber immerhin, sie hat mir nicht dreingeredet. Aber jetzt, letzten Sonntag, hat er mich zum erstenmal mit nach Hause genommen. Seine Mutter war zuckersüß zu mir, und ich dachte schon … aber ganz großer Irrtum! Sie findet mich unmöglich, hat Heinz mir gesagt, und als Schwiegertochter käme ich überhaupt nicht in Frage, und sie möchte nicht, daß er sich so früh bindet!«
Die Enttäuschung trieb Inge die Tränen in die Augen, sie mußte schlucken. »Dabei ist er schon zweiundzwanzig Jahre«, sagte sie heiser, »und überhaupt, ich wollte ihn ja gar nicht heiraten, jedenfalls nicht Hals über Kopf …« Ihre Stimme brach.
Frau von Sauten ließ ihr Zeit, mit ihrem Schmerz fertig zu werden, und stellte ihr keine Frage.
Inge griff zu ihrer Papierserviette, putzte sich die Nase. »Dieses Regenwetter! Ich glaube, ich habe mich erkältet!« Dann hatte sie sich wieder in der Gewalt. »Jedenfalls«, sagte sie, »Heinz eröffnete mir, daß wir uns nur noch heimlich treffen dürften, vorläufig, bis es ihm gelungen sei, seine Mutter umzustimmen. Offiziell müßten wir so tun, als wenn alles aus wäre.«
Sie ballte die Faust und klopfte auf den Tisch. »Aber das kann ich nicht! Ich kann mich nicht so verstellen! Ich sehe Heinz in der Firma jeden Tag – da kann ich schließlich nicht so tun, als wenn mir überhaupt nichts an ihm läge! Das habe ich auch seinem Vater gesagt.«
»Ich verstehe Sie sehr gut, Kind«, sagte Frau von Sauten überraschend herzlich, »als ich so jung war wie Sie, habe ich genauso gedacht. Ich habe Heimlichkeiten wie die Pest gehaßt.«
»Und heute?«
»Heute«, sagte Frau von Sauten langsam, »habe ich gelernt, daß man mit Kompromissen doch ein ganzes Stück weiter kommt. Aber das heißt nicht, daß Sie sich mich als Beispiel nehmen sollen. Bleiben Sie nur ganz so, wie Sie sind, so gefallen Sie mir nämlich!«
»Sie wollen mich mitnehmen?«
»Bevor ich mich entscheide, möchte ich doch erst noch mit Ihrer Mutter sprechen, am liebsten gleich morgen. Bitte richten Sie ihr einen schönen Gruß von mir aus, und fragen Sie sie, wann sie Zeit für mich hat. Vielleicht in der Mittagspause? Auf alle Fälle muß ich jetzt ganz rasch Bescheid wissen, denn die Reise soll bald losgehen. Sagen Sie, Sie haben doch einen gültigen Paß? Es ist nämlich noch eine Menge zu erledigen. Visa und Impfungen.«
»Ja, einen gültigen Paß habe ich. Und ich verspreche Ihnen, ich werde Mutti dazu bringen, daß sie sich gleich morgen mit Ihnen in Verbindung setzt.« Inge stand auf und begann, das Teegeschirr zusammenzuräumen.
»Nett von Ihnen«, sagte Frau von Sauten lächelnd, »das wird, wenn alles klappt, auch zu Ihren Pflichten gehören. Koffer einpacken und auspacken, Notizen und Briefe für mich schreiben …«
»Alles, was Sie wollen«, sagte Inge strahlend, »ich würde auch Fußböden schrubben, wenn ich dadurch rund um die Welt käme.«
Das Gespräch zwischen Frau von Sauten und Inges Mutter fand, wie vorgesehen, am nächsten Tag um die Mittagszeit statt. Aber Inge selber durfte nicht dabeisein. Sie saß währenddessen in der Hotelhalle und ließ ihren Minirock noch einige Zentimeter höher rutschen, so daß ihre strammen, geraden Beine in den gehäkelten Strumpfhosen fast bis zu den Wurzeln zu sehen waren, und das nur, um den Empfangschef zu ärgern, der ihr in der Nacht zuvor solche Schwierigkeiten gemacht hatte.
Als die beiden Damen dann endlich herunterkamen, um ihr zu eröffnen, daß sie Frau von Sauten auf ihrer Weltreise als Sekretärin und Gesellschafterin begleiten durfte, da mischte sich in ihre Begeisterung, obwohl sie ein Stoßgebet nach dem anderen um die Erfüllung dieses Wunsches zum Himmel geschickt hatte, doch ein gewisser bitterer Beigeschmack. Ihre Mutter hatte tatsächlich so leichten Herzens diesem großen Abenteuer zugestimmt. Also war sie zu Hause überflüssig geworden.
Aber dieser Anflug einer Enttäuschung verging im Nu, und ihr blieb auch gar keine Zeit zum Schmollen, denn Frau von Sauten nahm sie sofort bei der Hand, führte sie, während die Mutter ins Büro zurückeilte, in das nächste Fotoatelier und ließ zwei Dutzend Paßbilder von ihr anfertigen.
Mit einem Taxi fuhren sie zur Hauptwache, und Frau von Sauten begleitete sie in das Reisebüro, wo ein sehr netter Herr Höfig ihr die Formulare aushändigte, die sie ausfüllen mußte, um die Sichtvermerke für die Vereinigten Staaten, Ägypten und Thailand zu bekommen. Obwohl Frau von Sauten ihr half, schwirrte ihr bald der Kopf von all den Fragen, die da gestellt wurden. Für Amerika mußte sie die Hautfarbe angeben und versichern, daß sie nur als Touristin kam und fest entschlossen war, wieder in die Heimat zurückzufahren. Die Regierung Ägyptens verlangte die Angabe der Konfession, und für Thailand mußten die Formulare gar dreifach bearbeitet werden.
Dann ging es, wieder im Taxi, zum Gesundheitsamt, und Inge bekam gleich ihre erste Impfung gegen Pocken, die sie für Mexiko brauchte, und die Termine für die Impfungen gegen Cholera und Typhus, die bei der Einreise in die meisten außereuropäischen Länder verlangt werden.
Sie sausten zurück zum Fotoatelier, holten die Paßbilder ab, die Inge zusammen mit ihrem Paß für die Visa bei Herrn Höfig im Reisebüro nachreichen mußte – und bei all dieser Hetzjagd hatte sie immer wieder das undeutliche Gefühl, verfolgt oder beobachtet zu werden. Aber jedesmal, wenn sie sich umdrehte, war nichts Auffälliges zu sehen. Deshalb sprach sie auch nicht mit Frau von Sauten darüber und vergaß es sofort wieder.
Zum Abendessen war sie wieder zu Hause bei ihrer Mutter. Sie fühlte sich müde und hatte eigentlich auf einen gemütlichen Abend gehofft. Aber als ihre Mutter den Besuch ihres Verlobten ankündigte, zog Inge es vor, sich dünnzumachen.
»Tut mir leid, Mutti«, sagte sie, »aber ich kann nicht bleiben. Stell dir vor, Bettina weiß ja noch gar nicht, daß ich nun doch mit Frau von Sauten fahre. Ich muß unbedingt noch auf einen Sprung zu ihr. Schließlich verdanke ich ihr alles.«
Das war zwar nur eine halbe Lüge, aber sie wurde trotzdem rot dabei und war froh, dem traurigen Blick ihrer Mutter zu entkommen. Sie schnappte sich im Vorbeigehen ihren roten Lackledermantel von der Flurgarderobe, raste die Stiegen hinunter und zur Haustür hinaus.
Da sah sie die Silhouette eines Mannes im Torweg gegenüber, genau an der Stelle, wo Heinz Bomhardt gewöhnlich auf sie zu warten pflegte. Inge glaubte, den Freund vor sich zu sehen, und ihr Herz tat einen kleinen, freudigen Sprung.
Aber dann merkte sie, daß sie sich geirrt hatte. Der Mann, der da drüben stand, war ein Unbekannter – oder hatte sie ihn nicht doch schon einmal gesehen? Heute nachmittag, als sie einen Blick durch das Schaufenster des Reisebüros auf die Straße geworfen hatte? War es der Mann, der sie verfolgt hatte?
Inge zögerte nicht, sondern überquerte kurz entschlossen die Fahrbahn und marschierte auf den Fremden zu. Als sie die Straßenmitte erreicht hatte, mußte sie stehenbleiben. Ein Lastkraftwagen kam von rechts und versperrte ihr die Sicht. Danach war der Fremde verschwunden, buchstäblich wie vom Erdboden verschluckt.
Inge dachte, er sei tiefer in den Torweg hineingegangen, vielleicht in den Hinterhof oder sogar in eines der Häuser. Aber es war ihr dann doch zu dumm, die ziemlich aussichtslose Verfolgung aufzunehmen, um so mehr, als sie sich ihrer Sache selber gar nicht sicher war.
So ging sie einfach weiter, als sei die spontane Überquerung der Straße sozusagen absichtslos erfolgt, bog an der nächsten Ecke links ein und erreichte zehn Minuten später das Haus mit dem Elektrogeschäft im Erdgeschoß, das den Eltern ihrer Freundin Bettina gehörte. Auf dem ganzen Weg hatte sie den Fremden nicht mehr gesehen, obwohl sie mehr als einmal vor einem Schaufenster stehengeblieben war oder über die Schulter zurückgespäht hatte.
Bettina empfing sie voll Begeisterung und führte sie sofort in ihr kleines, gemütliches Zimmer, dessen Wände über und über mit Starfotos tapeziert waren. Ein überlebensgroßes Bild der unvergeßlichen Beatles, auf dessen Besitz Bettina besonders stolz war, reichte über die Höhe der Wand hinauf, so daß es etwa in Brusthöhe abgeknickt war und die vier Pilzköpfe jetzt von der Decke herunter mit leicht amüsierten Blicken auf die kleine Wohnecke niedersahen.
Inge erzählte alles, was sich seit ihrem letzten Beisammensein begeben hatte, und Bettina war tief beeindruckt. Sie war nicht so hübsch, nicht so intelligent und nicht so keck wie Inge, aber sie war trotzdem oder gerade deswegen eine wunderbare Freundin. Die beiden Mädchen hatten zusammen die Handelsschule besucht und in jener Zeit als unzertrennlich gegolten. Aber das Schicksal hatte sie dann doch etwas auseinandergebracht. Während Inge bei Bomhardt und Co. eintrat, übernahm Bettina die Büroarbeiten für den Vater, der das Elektrogeschäft unten im Haus führte, was neben manchen Vorteilen den Nachteil hatte, daß sie von früh bis spät unter elterlicher Aufsicht stand.
»Herr des Himmels, wie ich dich beneide, Inge!« rief sie. »Du fährst in die weite Welt hinaus, während wir anderen hier im dunklen, verregneten Europa hockenbleiben müssen. Kairo, Colombo, Bangkok, Honolulu, San Franzisko und so weiter …« Sie ließ die Namen genüßlich über die Zunge gleiten. »Sag selber, ist das nicht eine Wucht?«
»Ist es«, bestätigte Inge, »und ich werde nie vergessen, daß ich es nur dir zu verdanken habe, Bettina! Wenn du mich nicht zu Frau von Sauten gebracht hättest …«
»Ich bitte dich! Klar, daß ich gleich an dich gedacht habe, als ich hörte, daß Muttis Freundin eine Sekretärin für ihre Weltreise suchte! Wer anders als du Knalltüte wäre denn sonst für so ein Unternehmen in Frage gekommen?«
Sie lachte, wurde dann plötzlich wieder ernst. »Du, was sagt denn eigentlich Heinz dazu?«
»Er weiß es gar nicht.«
»Was?«
»Und er wird es wahrscheinlich nie erfahren.«
»Nun mach aber mal einen Punkt!«
»Ganz im Ernst, Bettina, wir haben uns verkracht. Und zwar restlos. Was würdest du denn tun, wenn ein Junge dir erst dauernd von seiner großen Liebe erzählt und dann von dir verlangt, bloß weil die Frau Mama meckert, ihn in Zukunft nur noch heimlich zu treffen?«
Bettina zog eine kleine Grimasse, während sie sehr ernsthaft über diese Frage nachdachte. »Wahrscheinlich wäre ich enttäuscht«, sagte sie endlich.
»Und würdest nicht Schluß mit ihm machen?«
»Kommt darauf an, ob ich ihn noch liebte. Ja, das ist die Frage. Liebst du ihn noch, Inge?«
Inge wurde es unter den forschenden Augen der Freundin ein bißchen unbehaglich; sie stand auf und trat zum Fenster.
»Wenn man einen Jungen nämlich liebt«, fuhr Bettina weise fort, »dann ist man bereit, eine Menge zu schlucken, nämlich …«
Inge hörte gar nicht mehr, was die Freundin sagte. Sie hatte, direkt vor dem Haus, den Fremden von vorhin entdeckt. Sie zuckte zurück, als wenn sie einen elektrischen Schlag bekommen hätte, und rief: »Menschenkind, da ist er!«
»Wer?«
»Der Mann, der mich verfolgt hat.«
»Ein neuer Verehrer?« Bettina trat neben Inge und wollte die Gardine beiseite schieben.
»Vorsichtig!« flüsterte Inge, obwohl der Fremde drei Stock tiefer unmöglich ein Wort von ihrer Unterhaltung hören konnte. »Er darf nicht merken, daß ich ihn entdeckt habe. Du mußt ganz senkrecht runtergucken. Der Kerl im Regenmantel, der so tut, als könnte er sich nicht von dem Anblick der Toaströster losreißen, das ist er.«
Bettina spähte nach unten. »Hm«, sagte sie, »wo hast du ihn kennengelernt?«
»Überhaupt nicht, du Schäfchen, er spioniert mir nach!«
Bettinas spitzes Gesicht wurde geradezu töricht vor Verblüffung. »Ein Detektiv?«
»Wer weiß«, sagte Inge, »kann schon sein.«
Jetzt hatte Bettina sich wieder gefaßt. »Aber, Inge, du spinnst wohl! Wer könnte denn ein Interesse daran haben …« Sie unterbrach sich mitten im Satz und sagte plötzlich: »Die Bomhardts!«
Sekundenlang standen die beiden Freundinnen still und stumm mitten im Raum und sahen sich in die Augen. Dann sagte Bettina langsam und sehr nachdenklich: »Sie lassen dich beobachten, um was über dich rauszukriegen, womit sie dich bei Heinz madig machen können.«
Inge stürmte zur Tür. »Tschau, Bettina, bis bald dann!«
Bettina lief ihr nach, wollte sie zurückhalten. »Du willst doch nicht schon …«
»Doch! Ich muß rauskriegen, was der Kerl im Schilde führt.«
Inge stürzte aus der Wohnung, rannte die Treppen hinunter, wollte schon die Haustür aufreißen – da besann sie sich eines anderen. Der Fremde erwartete ja, daß sie auf diesem Weg herauskommen würde, also konnte sie ihn so nicht überraschen. Er würde sich dumm stellen, und sie wäre die Angeschmierte.
Sie drehte sich um, ging den schmalen Gang an der Treppe vorbei nach hinten, schob den Riegel zurück und öffnete die rückwärtige Tür, die in den kleinen Hof führte. Mit Hilfe einer Mülltonne kletterte sie auf die regennasse Mauer, balancierte auf ihr zwei Höfe und einen Garten entlang, bis sie an ein unbebautes Grundstück kam und abspringen konnte.
Vorsichtig lugte sie um die Ecke. Der Mann stand immer noch vor dem Elektrogeschäft und starrte in die Scheibe. Aber Inge merkte, daß er dabei immerzu die Haustür im Auge behielt. Auf die Idee, die Straße zu kontrollieren, kam er gar nicht.
Sie wartete, bis ein dicker alter Herr die Straße entlang kam, und pirschte sich in seinem Rücken an das Elektrogeschäft heran. Erst als sie dicht davor war, machte sie eine halbe Drehung links und klopfte dem Fremden kräftig auf die Schulter. »He, Sie!«
Der Fremde fuhr herum und starrte sie ganz entgeistert an.
»Haben Sie sich immer noch nicht entschieden, ob Sie einen Elektrorasierer oder eine Stereoanlage kaufen wollen?« fragte Inge spöttisch.
»Wwwas wwwollen Sie von mir?« stotterte er.
»Dasselbe möchte ich sie fragen?« konterte Inge. »Sie verfolgen mich doch schon den ganzen Tag. Erklären Sie mir gefälligst, was das soll.«
»Nichts, gar nichts«, behauptete der Fremde verlegen.
»Ah, wirklich? Dann werden Sie wohl auch nichts dagegen haben, mich zur Polizei zu begleiten. Gleich da vorne an der Ecke ist das Revier. Sie machen Ihre Aussage und ich meine, und dann werden wir ja sehen, was dabei herauskommt.«
Aber der Fremde rührte sich nicht von der Stelle. »Das könnte Ihnen so passen«, sagte er.
»Dann geben Sie also zu, daß Sie ein Detektiv sind?«
Der Fremde lächelte.
»Und daß Sie den Auftrag haben, mich zu beschatten?«
»Wäre logisch, wie?«
»Werden Sie bloß nicht frech, Sie!« sagte Inge. »Detektiv zu sein ist ja an sich keine Schande, aber einen schlechteren als Sie gibt es nicht noch einmal. Ich habe Sie sofort bemerkt. Jetzt möchte ich nur noch eines wissen … wer hat sie beauftragt?«
»Ahnen Sie das wirklich nicht?«
»Die Bomhardts?« fragte Inge zurück.
Da tat der Detektiv etwas Überraschendes: Er versetzte Inge einen Stoß vor die Brust, so daß sie ins Taumeln geriet und fast zu Boden gestürzt wäre, und fast im gleichen Augenblick raste er davon. Inge war sekundenlang wie gelähmt. Als sie sich von der Überrumpelung erholt hatte und wieder fest auf den Beinen stand, war er schon an der nächsten Ecke, und dann verschluckte ihn die Abenddämmerung.
Inge tat ein paar schnelle Schritte, als wollte sie ihm nachlaufen, aber sie verzichtete doch auf die Verfolgung. Im Grunde konnte sie ja ganz zufrieden sein. Sie hatte ihm einen schönen Schrecken eingejagt.
Tatsächlich blieb Inge Kramer von nun an von jeder Beschattung verschont. Sie war sich dessen sicher, weil sie in den nächsten Tagen, während sie mit Frau von Sauten kreuz und quer durch die Stadt eilte, um Formalitäten zu erledigen und Einkäufe zu tätigen, immer wieder über die Schulter blickte, plötzlich stehenblieb oder sich umblickte.
Es gab so vieles Neues, Interessantes und Unerhörtes für sie – niemand konnte fesselnder von fremden Ländern und der großen weiten Welt berichten als Frau von Sauten, und Inges Erwartungen steigerten sich von Tag zu Tag, ja, von Stunde zu Stunde – daß sie den seltsamen Zwischenfall bald wieder vergaß und ihm auch keine weitere Bedeutung zumaß.
Er gehörte für sie zum Kapitel Heinz Bomhardt, das sie endgültig abgeschlossen zu haben glaubte. Aber war es wirklich so? Tagsüber war sie aufgekratzt und voller Reisefieber, aber wenn sie nachts allein in ihrem Bett lag, kehrten ihre Gedanken immer wieder zu dem einen Punkt zurück: Sie dachte an Heinz, sie träumte von Heinz, und sie sehnte sich nach ihm.
»Er ist es nicht wert«, sagte sie zu sich selber, und: »So eine Enttäuschung muß jedes Mädchen früher oder später einmal mitmachen!« Oder auch: »Es wird vorübergehen, es ist nur eine Frage der Zeit.«
Aber wie sehr sie sich auch bemühte, Haltung zu bewahren, in der nächtlichen Stille ihres kleinen Zimmers konnte es geschehen, daß sie die Fassung verlor und ihr Schluchzen im Kopfkissen ersticken mußte, damit die Mutter nebenan es nicht hören konnte.
Morgens saß sie dann mit umschatteten Augen am Frühstückstisch, wich dem forschenden und besorgten Blick ihrer Mutter aus, spielte die Sorglose, Selbstsichere, Unbekümmerte – und war es auch fast wirklich, denn bei Tag sahen die Dinge anders aus, und die Vorfreude auf die große bevorstehende Reise, die ihr wie ein Geschenk des Himmels zugefallen war, löschte, wenigstens vorübergehend, den Schmerz in ihrer Brust aus.
Es war ausgemacht, daß Inge während der Reise nur ein Taschengeld bekommen sollte, und das schien ihr auch völlig richtig, denn Frau von Sauten mußte ja den teuren Flug für sie bezahlen und den Aufenthalt in den Hotels. Aber sie selber hatte noch keine Ersparnisse machen können, und so mußte die Mutter einspringen und ihr das Geld für die nötigen Einkäufe geben, denn es stellte sich heraus, daß es noch eine Menge Dinge gab, die sie für die Tropen brauchte: leichte Koffer, Kleider, Schuhe, Wäsche, auch einen neuen Badeanzug, denn Frau von Sauten hielt ihren winzigen Bikini nicht für angebracht, und auch ihr knallroter Lackledermantel wurde ausgemustert.
»Für die Tropen nicht geeignet«, erklärte Frau von Sauten, »darin würden Sie sich zu Tode schwitzen.«
»Kann ich mir vorstellen«, sagte Inge, »außerdem ist er ja auch viel zu auffällig.«
»Stimmt.« Plötzlich hob Frau von Sauten, die gerade in einem Stapel von Pullovern gewühlt hatte, den Kopf und sah sie scharf an. »Was wollen Sie damit sagen?«
Inge war ganz verdutzt über den heftigen Ton, den sie von Frau von Sauten gar nicht gewohnt war. »Überhaupt nichts«, sagte sie verwirrt, »nur eben …, daß er furchtbar auffällig ist.«
Sie hielt dem Blick Frau von Sautens krampfhaft stand; sie begriff, daß sie etwas falsch gemacht hatte, ohne die geringste Ahnung zu haben, was es war, und das war ein ziemlich unangenehmes Gefühl.
Endlich entspannten sich die Züge ihrer neuen Chefin. »Entschuldigen Sie«, sagte Frau von Sauten mit einem kleinen verzerrten Lächeln, »mir scheint, langsam fange ich schon an, Gespenster zu sehen.«
Was sie damit meinte, verstand Inge nicht, aber sie gab es auf, darüber nachzugrübeln, sie freute sich einfach, daß Frau von Sautens gute Laune zurückgekehrt war.
Sie kauften einen leichten weißen Regenmantel und in derselben Abteilung des Kaufhauses noch ein hellblaues Seidenkostüm im Dandystil.
Was Frau von Sauten auch immer gegen den auffälligen Regenmantel haben mochte, die Koffer konnten ihr nicht auffallend genug sein. Sie kaufte rotes und blaues Klebeband, mit dem sie nebeneinander einen dicken Streifen rund um Inges schöne neue Koffer anlegte. »Damit wir unser Gepäck leicht herausfinden«, sagte sie, »meines ist genauso gekennzeichnet. Bei jedem Flughafen muß man darauf achten, daß auch alle Koffer mitgekommen sind. Das wird dann auch bald Ihre Aufgabe sein!«
Inge war von dieser Vorstellung ein bißchen erschreckt. »Ich glaube, zu Anfang werde ich froh sein, wenn ich nicht selber verschüttgehe«, sagte sie.
Am nächsten Abend kam Inge ziemlich spät nach Hause. Sie war mit ihren Paketen und Päckchen erst zu Bettina gegangen, weil sie es sich nicht verkneifen konnte, ihr ein hochmodernes neues Rüschenkleid zu zeigen, das sie heute gekauft hatte.
Als sie um die Ecke bog, entdeckte sie sofort einen silbergrauen Sportwagen, der ihr nur zu gut bekannt war. Er parkte einige Meter von dem Haus entfernt, in dem sie wohnte.
Inge stutzte. Ihr erster Impuls drängte sie, zu dem Auto hinzustürmen und sich zu vergewissern, ob es wirklich der Wagen von Heinz Bomhardt war. Fast gleichzeitig überfiel sie der Wunsch, sich umzudrehen und davonzulaufen – sie glaubte, es nicht ertragen zu können, daß jetzt, wo sie beinahe schon über das Schlimmste hinweg war, alles noch einmal anfing.
Mit äußerster Selbstbeherrschung zwang sie sich, keinem von ihren widersprechenden Gefühlen nachzugeben. Sie ging weiter, nicht zu schnell und nicht zu langsam. Sie war noch zwei Schritte von dem Auto entfernt, konnte schon das Nummernschild sehen, obwohl sie es sich verbot, hinzublicken. Da öffnete sich die Autotür von innen, und mit der eleganten Sicherheit, die ihr immer so imponiert hatte, stieg Heinz Bomhardt aus, ein schlanker junger Mann, dessen glattes nackenlanges blondes Haar im Licht der Straßenlaterne wie ein Goldhelm schimmerte.
Er vertrat ihr den Weg, hob die Hände, als wollte er die Arme ausbreiten. »Inge!« sagte er.