Zwergenzorn - Frank Rehfeld - E-Book

Zwergenzorn E-Book

Frank Rehfeld

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Beschreibung

Schon lange führen die Völker der Zwerge und Menschen einen Freiheitskampf gegen die Unterdrückung durch die Oger und Trolle. Mithilfe der Elben gelingt es ihnen endlich, ihre Widersacher zu besiegen, doch sie müssen einen hohen Preis dafür bezahlen. Durch einen magischen Bann wird ein Großteil des Zwergenheeres im Inneren eines Berges eingeschlossen. Als der Bann nach Jahrhunderten schwindet, erwartet sie eine Welt, in der mächtige Reiche der Menschen entstanden sind, die sich untereinander bekämpfen. Und in den unzugänglichen Sümpfen im Süden ist eine finstere, dämonische Macht erstarkt, deren Horden im Begriff stehen, über die vom Krieg geschwächte Welt herzufallen … Die neue Zwergen-Saga vom Autor der Bestseller um "Die Zwerge von Elan-Dhor".

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Seitenzahl: 594

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Bibliografische Information der Deutschen NationalbibliothekDie Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

FRANK REHFELD: ZWERGENZORN

© 2024 Frank Rehfeld. All Rechte vorbehalten.

Cover-Illustration: Jürgen Speh © 2024

Deutsche Ausgabe erschienen 2024 Panini Verlags GmbH, Schloßstr. 76, 70176 Stuttgart.

Alle Rechte vorbehalten.

Geschäftsführer: Hermann Paul

Head of Editorial: Jo Löffler

Head of Marketing: Holger Wiest (E-Mail: [email protected])

Presse & PR: Steffen Volkmer

Lektorat: Anja Rüdiger

Umschlaggestaltung: tab indivisuell, Stuttgart

Satz und E-Book: Greiner & Reichel, Köln

YDREHFE001E

ISBN 978-3-7569-9956-9

Gedruckte Ausgabe:

1. Auflage, November2024,ISBN 978-3-8332-4572-5

Findet uns im Netz:

www.paninicomics.de

PaniniComicsDE

ERSTES BUCH

Misstraut stets dem Schicksal, denn es ist tückisch. Seid besonders dann auf der Hut, wenn es euch zu begünstigen scheint, denn während es mit der einen Hand Gaben verteilt, nimmt es mit der anderen. Niemand vermag seine Wege zu durchschauen, denn für das Schicksal währt ein sterbliches Leben nur einen Wimpernschlag, und manchmal werden seine Absichten erst nach Jahrhunderten offenbar. Misstraut stets dem Schicksal, denn es ist tückisch.

Aus den Aufzeichnungen des elbischen Sehers Aronides

1

»Erzähl mir nichts über Oger und Trolle«, brummte Barun. Der Zwerg strich mit einer Hand über seinen bis zur Brust reichenden rötlichen Bart, die andere legte er auf die gewaltige Streitaxt neben sich. »Ich habe oft genug gegen sie gekämpft und genügend von ihnen getötet, um zu wissen, woran ich bei ihnen bin.«

»Ich meine ja nur.« Togan warf einige Holzstücke ins Feuer zwischen ihnen. Funken stoben auf; winzige, kurzlebige Leuchtpünktchen im Dunkel der Nacht. »Auch ich habe mehr als einen dieser Unholde erschlagen, aber inzwischen haben wir doch erreicht, was wir wollten. Wir haben sie vollständig aus dem Osten vertrieben, und auch sonst sind sie überall auf dem Rückzug. Wir haben mehr als genug Land erobert, das wir besiedeln können. Vielleicht ist es allmählich an der Zeit, Frieden zu schließen.«

Für einen Menschen war Togan ziemlich kleinwüchsig, kaum einen halben Kopf größer als Barun, zudem bärtig und von so bulliger Gestalt, dass er bei flüchtigem Hinsehen durchaus als Zwerg durchgehen konnte. Vielleicht fühlte sich Barun ihm deshalb eher verbunden als den meisten anderen seines Volkes oder gar den dürren, hageren Bohnenstangen mit den spitzen Ohren.

Allerdings beschränkte sich die Ähnlichkeit, wie sich nun herausstellte, ausschließlich auf seine körperlichen Eigenschaften. Denn Togans Gerede über Frieden verriet überdeutlich, dass er eben doch nur ein weichlicher Mensch und nicht aus dem Gebein der Erde geschaffen war.

»Ein klug ausgehandelter Frieden, der allen gerecht wird, ist dem Leid und dem Tod eines Krieges immer vorzuziehen«, äußerte sich Egarion. Der Elb war zusammen mit ihnen zu dieser Wache eingeteilt worden, da stets Vertreter aller drei verbündeten Völker gemeinsam wachen sollten.

Es fiel Barun äußerst schwer, die Gesichter ihrer Feinde, der Oger oder Trolle, zu unterscheiden. Bei den Elben hatte er diese Schwierigkeiten nicht. Gemäß des alten Zwergen-Sprichworts: »Kennst du ein Spitzohr, kennst du alle« glichen sie einander eher in ihrer Denkweise und darin, wie sie auftraten, obwohl auch sie einander alle ähnelten. Hochgewachsen, so dünn, dass man bei jedem Windstoß fürchten musste, sie würden wie ein Halm umknicken, schmale, längliche Gesichter und silberblondes, fast weißes Haar.

Sie sahen wahrlich alles andere als Furcht einflößend aus. Umso erstaunlicher war, welche Kraft in ihren zierlichen Gliedern steckte und wie gnadenlos sie trotz ihrer schmächtigen Körper zu kämpfen verstanden.

Wenn sie denn wollen, fügte er in Gedanken hinzu, aber das stand auf einem anderen Blatt. Zwar hatten die Elben sich entschieden, Zwerge und Menschen in ihrem Kampf um die Freiheit zu unterstützen, aber sie hatten geraume Zeit gebraucht, sich zu diesem Entschluss durchzuringen, und ihr ständiges Geschwafel über Frieden, mit dem sie nun sogar schon Togan angesteckt hatten, ging Barun gehörig auf die Nerven.

Es ging auf Mitternacht zu. Nicht mehr lange, dann würde ihre Ablösung eintreffen, damit auch sie noch etwas schlafen konnten. Niemand von ihnen wusste zu sagen, was der nächste Tag bringen würde, ob sie sich am Vorabend eines Waffenstillstands oder der womöglich größten Schlacht dieses nun schon fast zwei Jahre währenden Krieges befanden.

Die Allianzen aus Elben, Zwergen und Menschen auf der einen und den Ogern und Trollen auf der anderen Seite hatten ihre Heere hier am südlichen Fuß der Weißberge zusammengezogen, deren Gipfel so hoch aufragten, dass sie von ewigem Schnee bedeckt waren. Sie waren bereit für die entscheidende Schlacht, doch zunächst wollten sich am Vormittag die Anführer der Oger mit den Herrschern der drei Völker treffen, um einen letzten Versuch zu unternehmen, Frieden zu schließen.

Barun schnaubte verächtlich. Nicht alle waren von der Aussicht auf einen Frieden begeistert, dessen Bedingungen durch Worte anstatt durch einen vollständigen und endgültigen Sieg auf dem Schlachtfeld diktiert wurden.

Er jedenfalls ganz bestimmt nicht.

Er wollte kämpfen, denn er wusste, dass sein Volk niemals sicher sein würde, solange die feindlichen Armeen nicht vollständig zerschlagen waren.

»Frieden!«, stieß er hervor. »Mit diesen Bestien kann es keinen Frieden geben. Habt ihr schon vergessen, wie wir all die Jahrhunderte unter ihnen gelitten haben? Wie sie unsere Völker in Reservate gesperrt und sich geweigert haben, uns mehr Land zuzugestehen, obwohl wir immer zahlreicher wurden? Wir konnten längst nicht so viel Nahrung anbauen, wie nötig gewesen wäre, von Viehweiden ganz zu schweigen, sodass jedes Jahr Hunderte oder in Jahren mit trockenen Sommern gar Tausende Zwerge elendig verhungerten! Bei den Menschen war es genauso, sogar noch schlimmer, weil sie sich noch viel schneller vermehren als wir.« Er blickte Togan finster an. »Hast du das alles schon vergessen? Wie kannst du da das Wort Frieden auch nur in den Mund nehmen?«

Togan senkte den Blick. »Glaub mir, ich habe gar nichts vergessen. Ihr Zwerge konntet zwar wenig Nahrung anbauen, aber ihr konntet wenigstens eure Minen vergrößern und euch im Inneren der Berge ausbreiten.«

»Berge.« Barun spuckte ins Feuer. »Das waren keine echten Berge, in denen Zwerge leben können. Es gab so gut wie keine Bodenschätze, dazu nur brüchigen Fels, in dem wir jeden Stollen und jede Höhle mit Balken hätten abstützen müssen, wenn wir genug Holz dafür gehabt hätten. So aber gab es stattdessen dauernd Einstürze, bei denen Zwerge ihr Leben verloren. Wo es Erze oder gar Edelsteine gab, da haben die Oger ihre Trolle schürfen lassen. Uns hingegen haben sie nur Dreck zugestanden. Also tu nicht so, als hätten sie uns besser behandelt als euch.«

Zorn glitt über Togans Gesicht, und seine Augen schienen zu glühen.

»Wenigstens haben sie euch nicht gefressen«, stieß er hervor. »Uns schon. Zwergenfleisch scheint den Trollen im Gegensatz zu unserem nicht zu schmecken.«

Diesmal war es Barun, der den Kopf senkte. Er hatte einige der Schlachtfelder aus der Anfangszeit dieses Krieges gesehen, als ihre Feinde einen verheerenden Sieg nach dem anderen errungen hatten und der Aufstand zum Scheitern verdammt zu sein schien. Das war vor dem Eingreifen der Elben gewesen. Die Leichen vieler Menschen waren nicht nur verstümmelt, sondern tatsächlich auch angefressen gewesen, ein unbeschreiblich ekelhafter Anblick. Wie er erfahren hatte, waren schon früher immer wieder mal Siedlungen der Menschen von besonders blutrünstigen Trollen überfallen worden, die es auf einen Leckerbissen abgesehen hatten. Die Oger hatten dies jedoch bei Androhung hoher Strafen verboten, und so war es bei vereinzelten Ausnahmen geblieben. Seit Beginn des Krieges jedoch …

»Und doch bist du für Frieden mit ihnen? Ich begreife das nicht. Verspürst du denn gar keinen Hass?«

»Natürlich tue ich das! Ich hasse diese Bestien mit jeder Faser meines Körpers!« Togan richtete sich auf. »Aber noch stärker als der Hass ist die Liebe zu meinem Volk. Es hat genug gelitten. Wir haben mehr Land erobert, als wir in Jahrhunderten besiedeln können, doch wenn dieser Krieg noch lange andauert, wird es keine Menschen mehr geben. Und auch keine Zwerge mehr!«

Barun setzte zu einer heftigen Entgegnung an, schloss dann aber wieder den Mund. Man warf den Zwergen oft Sturheit und übertriebenen Stolz vor, was in besonderem Maße für ihn galt, wie er sich bereitwillig eingestand. Die Oger hatten alles getan, um seinem Volk jegliche Ehre zu rauben, aber gegen den Stolz, der wie ein Fanal in seinem Inneren brannte, waren sie machtlos. Jede Demütigung, jeder getötete Zwerg fachte dieses Feuer nur noch stärker an. Die Zweckmäßigkeit, die manche Zwerge und vor allem viele Menschen zur Grundlage ihrer Entscheidungen machten, konnte er einfach nicht nachvollziehen.

Natürlich, der Krieg war ursprünglich aus der Not ihrer beider Völker geboren, als die Zustände einfach unerträglich geworden waren. Nach einigen besonders schlimmen Missernten hatten sie vor der Wahl gestanden, entweder zu verhungern oder sich gegen ihre Peiniger zu erheben. Insofern war das ursprüngliche Ziel des Krieges mit der Vertreibung der Oger und Trolle aus den bisher eroberten Gebieten tatsächlich erreicht.

Für Barun war es jedoch stets um mehr gegangen, und daran hatte sich auch durch die Kriegserfolge bis zum heutigen Tag nichts geändert. Er wollte, dass die verdammten Bestien, die seinem Volk so viel Leid zugefügt hatten, dafür büßten!

»Das Verlangen nach Rache ist ein schlechter Ratgeber«, ergriff Egarion erneut das Wort, als hätte er seine Gedanken gelesen. »Daraus erwächst stets nur neues Unrecht. Ihr Zwerge seid zu stolz und zu heißblütig. Vielleicht ist das das Vorrecht eines so jungen Volkes, aber wenn solche Gefühle die Oberhand über die Vernunft gewinnen, werden sie euch auf den verhängnisvollen Weg in den Untergang führen.«

»Das lass nur unsere Sorge sein.« Barun blickte den Elb finster an. Er war weder in der Stimmung für seine philosophischen Gedanken noch die geschraubte Ausdrucksweise.

»Aber es ist nicht allein eure Sorge. Vergiss nicht, dass wir Elben einen beträchtlichen Teil der Last dieses Krieges tragen und wir ihn in erster Linie für euch führen.«

Barun lag eine patzige Antwort auf der Zunge, aber er schluckte sie hinunter. Ob es seinem Stolz gefiel oder nicht, ohne die Unterstützung der Elben wäre der Aufstand der Zwerge und Menschen wie alle früheren binnen kurzer Zeit niedergeschlagen worden, das ließ sich nicht leugnen.

Diesmal jedoch hatten die Spitzohren sich nicht herausgehalten und tatenlos zugesehen. Zunächst hatten sie zu vermitteln gesucht. Doch als die Oger sich unnachgiebig gezeigt hatten, hatten sie zu den Waffen gegriffen und sich an die Seite der jüngeren Völker gestellt. Hatten bewiesen, über welch gewaltige Macht sie immer noch verfügten.

»Die Zeit verstreicht unerbittlich, und ihr Wesen ist beständige Veränderung. Neues steigt auf, und Altes steigt ab. Nichts währt ewig, diese Erkenntnis ist uns Elben schon vor langer Zeit zuteilgeworden«, fuhr Egarion fort. »Einst streiften wir als einzige intelligente Wesen über die Welt, doch irgendwann waren wir nicht mehr allein. Neue Völker wurden geboren und breiteten sich in unserem Lebensraum aus, die Oger und bald darauf die Trolle. Schon damals hatten wir eine ähnliche Entscheidung zu treffen wie diese Jahrtausende später.«

»Aber eure Entscheidung fiel anders aus«, warf Togan ein.

»So ist es. Wir erkannten, dass wir an einem Wendepunkt der Zeiten standen, und anstatt gegen die Veränderung anzukämpfen, passten wir uns ihr an. Wir teilten diese Welt mit den Ogern und Trollen. Anfangs bemühten wir uns sogar, ihre Entwicklung zu fördern, doch bald erkannten wir, dass unsere Völker zu unterschiedlich waren. Wir beanspruchten nur die Ländereien, die wir benötigten und die uns wichtig waren, und zogen uns in diese zurück. Doch als in Gestalt der Zwerge und Menschen irgendwann neue Völker das Licht der Welt erblickten, ließen die Oger diese Weisheit vermissen. Stattdessen versuchten sie, euch kleinzuhalten, indem sie euch Reservate zuwiesen und dort einsperrten. Sie fürchteten, dass ihr allzu zahlreich und mächtig werden könntet.«

»Und die Elben haben tatenlos dabei zugesehen!«, stieß Barun hervor. So viel sein Volk den Elben auch zu verdanken hatte, dies würde immer ein wunder Punkt in seinem Verhältnis zu den Spitzohren bleiben. »Ihr habt vor Jahrtausenden tatenlos zugesehen, wie sich die Oger zu den Herrschern der Welt aufschwangen, und ihr bliebt genauso tatenlos, als sie diese Macht nutzten, um unser Erstarken oder auch nur unsere Ausbreitung zu verhindern. Zumindest lange Zeit.«

»Das stimmt, und es gibt immer noch viele in meinem Volk, die daran zweifeln, dass unsere Entscheidung für den Krieg richtig war. Und das wegen der Eigenschaften der Zwerge und auch der Menschen. Sie meinen, ihr wäret nicht minder grausam als die, die euch unterdrückten, würdet es ebenso an Weisheit vermissen lassen, und Worte wie deine bestätigen das nur. Unser Kampf ist sinnlos, wenn ihr Hass eure Handlungen diktieren lasst und euch ebenso verhaltet wie die Oger. Das Ziel dieses Krieges war es für uns nie, sie zu vernichten, sondern euch zu Freiheit und Ländereien zu verhelfen, damit es zwischen allen Völkern einen gerechten Frieden geben kann.«

»Schöne Worte«, schnaubte Barun. »Wir haben …«

»Still!«, fiel Egarion ihm leise, aber mit scharfer Stimme ins Wort. Seine Haltung war plötzlich angespannt. »Da ist etwas.«

Auch Barun lauschte und legte erneut instinktiv die Hand auf den Griff seiner Streitaxt.

»Ich höre nichts …«, begann er, doch in diesem Moment ertönte ein Stück weit entfernt, offenbar an einem der anderen Wachfeuer, lautes Gebrüll, gefolgt vom Klirren aufeinanderprallender Waffen. Die Wachen dort wurden angegriffen.

»Verrat!«, keuchte der Elb.

Barun packte die Axt fester und sprang genau wie die beiden anderen auf. Nur Sekunden später ertönte auch in ihrer unmittelbaren Nähe wüstes Gebrüll.

Eine ganze Horde Trolle brach aus dem kaum dreißig Schritte entfernten Wald hervor und stürmte auf sie zu. Ein halbes Dutzend, dann ein Dutzend und immer noch mehr der hässlichen Gestalten tauchten aus der Dunkelheit auf, als spie der Wald sie aus.

Sie rasten heran wie eine Lawine, bereit, alles niederzuwalzen, was ihnen im Weg stand.

Barun gab sich keinen falschen Hoffnungen hin. Es konnte ihm und den beiden anderen unmöglich gelingen, diese Horde aufzuhalten. Ebenso gut könnten sie versuchen, eine Flutwelle mit bloßen Händen zu stoppen.

Ihnen blieb nur, ihr Leben so teuer wie möglich zu verkaufen.

2

Fassungslos starrte Barun den heranstürmenden Trollen entgegen. Sie waren Titanen, Furcht einflößende Ungeheuer, gut doppelt so groß wie ein Zwerg und immerhin noch eineinhalb Mal so groß wie ein Mensch oder Elb, dabei aber ungleich massiger. Ihre Gesichter sahen aus, als wären sie von einem unbegabten Bildhauer aus Stein gehauen worden, und auch die Farbe ihrer von Kopf bis Fuß unbehaarten Haut war felsgrau. Bis auf eine Art Lendenschurz waren sie nackt, sodass die gewaltigen Muskelpakete unter ihrer Haut gut zu sehen waren. In den Händen hielten sie riesige, am oberen Ende mit Dornen gespickte Keulen.

Barun wich zur Seite aus, als der vorderste der heranstürmenden Trolle seine Keule nach ihm schwang. Gleichzeitig schlug er beidhändig mit der Streitaxt zu. Tief drang die scharfe Klinge ins Bein des Trolls ein. Von seinem eigenen Schwung vorangetragen, machte dieser noch einen Schritt, dann stürzte er, noch immer brüllend, nun jedoch schmerzerfüllt, zu Boden. Mit einem gewaltigen Hieb spaltete Barun seinen Schädel.

Noch bevor er sich herumdrehen konnte, traf etwas mit der Wucht einer Dampframme seinen Rücken. Einer der anderen Trolle hatte ihm einen Tritt versetzt, möglicherweise ohne es überhaupt zu bemerken. Barun wurde mehrere Meter weit durch die Luft geschleudert. Seine Rüstung und der weiche Grasboden dämpften den Aufprall, dennoch japste er nach Luft. Die Axt hatte er am ausgestreckten Arm von sich weggehalten um sich nicht selbst daran zu verletzen, doch hatte er sie beim Sturz verloren.

Über sich sah er etwas Dunkles aufragen und konnte sich gerade noch zur Seite wälzen, bevor der gewaltige Fuß eines Trolls genau dort aufsetzte, wo er eben noch gelegen hatte.

Barun blieb keine Zeit, nach seiner Axt zu suchen. Stattdessen zog er ein Messer und rammte es mit aller Kraft in den Fuß.

Die Klinge aus gehärtetem Zwergenstahl drang bis zum Heft ein und wurde ihm aus der Hand gerissen, als der Troll einfach weiterstürmte, als spüre er die Verletzung gar nicht.

Der Verlust des Messers traf Barun hart. Aufgrund der wenigen Erze und sonstigen Rohstoffe in den Bergen, die sie bislang bewohnt hatten, hatte es sein Volk große Opfer gekostet, eine größere Menge an Waffen herzustellen. Praktisch alle sonstigen Dinge des alltäglichen Lebens aus Metall waren eingeschmolzen worden, um Äxte und andere Waffen daraus zu fertigen. Dennoch hatte es nicht gereicht, alle Krieger damit auszurüsten, sodass viele Zwerge genau wie ein Großteil der Menschen mit minderwertigen, von ihren Feinden erbeuteten Waffen kämpfen mussten. Insofern war der Verlust jeder echten Zwergenklinge bitter.

Wieder musste Barun zur Seite ausweichen, um nicht von einem Troll zertreten zu werden, aber auch diesmal schien es sich um keinen gezielten Angriff auf ihn zu handeln.

Nachdem das Ungeheuer ihn verfehlt hatte, stürmte das es unbeirrt weiter, ohne ihn auch nur zu beachten. Das Ziel der Trolle war das Heerlager, nicht dieser unbedeutende Wachposten.

Hastig blickte Barun sich nach den anderen um. Ihnen erging es ebenso wie ihm. Togan wich den Kolossen mit bizarr anmutenden Sprüngen aus, damit sie ihn nicht zertrampelten. Dabei schlug er mit seinem Schwert nach ihnen, doch selbst wenn sie seine Hiebe nicht mit ihren Keulen abwehrten, fügte er ihnen mit seiner Waffe aus Menschenstahl nur unbedeutende Wunden zu.

Egarion hingegen war ungleich erfolgreicher. Seine Elbenklinge schnitt durch die dicke Haut der Bestien wie durch Wachs. Vier Trolle lagen in seiner Nähe tot auf dem Boden. Gerade fällte er den fünften, indem er sich unter der herabsausenden Keule duckte und ihm dann im Vorbeilaufen den Unterleib so tief aufschlitzte, dass neben Blut auch dessen Gedärme herausquollen.

Der Troll taumelte noch zwei Schritte, dann brach er in die Knie. Egarion trennte ihm mit einem wuchtigen Streich den Kopf ab.

Wenige Schritte entfernt sah Barun seine Axt liegen, eilte darauf zu und hob sie auf. Während er sich bückte, schoss ein scharfer Schmerz durch seinen Brustkorb. Offenbar hatte er den Tritt und den Aufprall auf den Boden nicht ganz unverletzt überstanden, sondern sich ein paar Rippen geprellt oder gar gebrochen, doch er verdrängte den Schmerz.

Nur noch wenige Trolle stürmten aus dem Wald und auf ihn zu. Barun stellte sich einem von ihnen entgegen. Als der Unhold nahe genug herangekommen war, ließ dieser seine Keule auf ihn herabsausen.

Doch damit hatte der Zwerg gerechnet. Er wartete den richtigen Moment ab, dann wich er dem Hieb durch einen raschen Schritt zur Seite aus und wollte seinerseits mit der Axt zuschlagen. Aber er hatte den Troll unterschätzt. Mit einer unglaublichen Kraftanstrengung riss dieser die herabsausende Keule zur Seite, sodass sie direkt auf Baruns Kopf zielte.

Für ein weiteres Ausweichen blieb diesem keine Zeit mehr. Stattdessen gelang es ihm mit knapper Not, seine Axt hochzureißen und sie zwischen sich und die heranrasende Keule zu bringen.

Die Wucht des Aufpralls war fürchterlich. Sie pflanzte sich durch Baruns um den Schaft der Axt gekrallte Hände und seine Arme bis zu den Schultergelenken fort und ließ sie fast taub werden. Er wusste selbst nicht, wie er es schaffte, die Waffe festzuhalten, während er wie ein welkes Blatt davongewirbelt wurde.

Er hatte Glück im Unglück, denn ein Gebüsch fing seinen Sturz ab. Dennoch zuckte erneut ein heftiger Schmerz durch seinen ohnehin schon malträtierten Körper und raubte ihm den Atem. Einige Sekunden blieb er reglos liegen, dann rappelte er sich mühsam wieder auf. Mit einer Hand griff er an seinen Gürtel, wollte dem Troll eines seiner kleineren Wurfbeile hinterherschleudern, erkannte dann aber, dass die Entfernung bereits zu groß war.

»Komm schon!«, rief Egarion ihm zu. »Der Kampf ist noch nicht vorbei!«

Das war er in der Tat nicht. Ganz im Gegenteil, er hatte sich mittlerweile dorthin verlagert, wo die Trolle ihn von Anfang an hatten hintragen wollen: ins Heerlager.

Obwohl sie im Allgemeinen als nicht besonders geschickt galten, hatten die Trolle es geschafft, sich unbemerkt an mindestens ein halbes Dutzend Wachposten heranzuschleichen und sie zu überrennen.

Von mehreren Seiten stürmten sie nun das Lager, fielen über die völlig überrascht aus ihren Zelten eilenden Krieger her und metzelten sie erbarmungslos nieder.

Das bittere Gefühl des Versagens breitete sich in Barun aus, aber er gestattete ihm nicht, Besitz von ihm zu ergreifen. All die Zwerge, Elben und Menschen dort unten hatten sich darauf verlassen, dass er und die zahlreichen anderen Wachen sie rechtzeitig vor jeder Gefahr warnen würden.

Aber Egarion hatte recht. Dies war nicht der Moment, sich in Selbstvorwürfen zu ergehen. Der Kampf war noch nicht vorbei, noch immer starben Krieger.

Barun hastete los und wollte dem Elb folgen, doch nach gerade einmal drei Schritten stoppte er seinen Lauf wieder, als er etwas entdeckte.

Mit einem beklommenen Gefühl ging er auf die Gestalt zu, die nur wenige Meter entfernt reglos auf dem Boden lag. Seine Befürchtungen bestätigten sich. Es handelte sich um Togan, doch konnte er ihn nur noch an seiner Kleidung erkennen. Sein Kopf war von einem Keulenhieb in eine unförmige, blutige Masse verwandelt worden.

Ein von Trauer und Hass erfüllter Schrei drang aus dem Mund des Zwerges. Auch wenn Togan ein Mensch gewesen war, so hatte Barun ihn dennoch geachtet und gemocht.

Er warf noch einen letzten Blick auf den verkrümmt daliegenden Leichnam, dann fuhr er herum, stieß einen weiteren Schrei aus und schwang seine Axt. Von grenzenlosem Hass und dem Verlangen nach Rache erfüllt, stürmte er ins Tal hinunter.

3

Der Kampf dauerte noch an, als Barun sein Ziel erreichte, aber ein Ende war bereits abzusehen, und an seinem Ausgang konnte es ohnehin keinen Zweifel geben. Der Angriff hatte sich hauptsächlich auf den westlichen Teil des Lagers konzentriert, wo sich die Elben niedergelassen hatten. Erschüttert ließ er seinen Blick über die zahllosen Toten schweifen, die überall zwischen den Zelten lagen. Die meisten von ihnen waren Spitzohren, aber es befanden sich auch eine Menge Trolle darunter.

Obwohl die Elben überrascht worden waren, hatten sie sich rasch zur Gegenwehr formiert, wovon die vielen toten Ungeheuer kündeten. Aber weit mehr als hundert der Titanen aufzuhalten, die von verschiedenen Seiten heranstürmten und alles niederwalzten, war auch für schlaftrunkene Elben alles andere als einfach.

Vielen der Trolle war es gelungen, weit ins Lager voranzudringen, ehe sie einer nach dem anderen niedergemacht wurden. Die letzten von ihnen, etwa ein, zwei Dutzend, soweit Barun erkennen konnte, hatten sich an einer Stelle zusammengerottet, wo sie einen Kreis gebildet hatten, und den angreifenden Elben erbittert Widerstand leisteten.

»Aigilon ist tot!« Entsetzte Rufe waren zu hören, als Barun gerade über zwei Trollleichen hinwegkletterte, die einem Liebespaar gleich so dicht nebeneinander zu Boden gestürzt waren, dass sie den Durchgang zwischen zwei Zelten versperrten. »Die Bestien haben Aigilon getötet!«

Der Ruf wurde aufgegriffen und weitergetragen, wobei sich neben dem Schrecken immer mehr Zorn und Hass hineinmischten. Auch Barun war schockiert.

Aigilon war der älteste Sohn Aeralons, des Hochkönigs der Elben, und von diesem zum Befehlshaber über das Elbenheer ernannt worden. Wenn er wirklich bei diesem heimtückischen Überfall inmitten des eigenen Heerlagers getötet worden war, musste das die Spitzohren bis ins Mark erschüttern.

Barun begriff, dass Aigilons Tod sicherlich kein Zufall war, sondern von Anfang an das Ziel dieses selbstmörderischen Angriffs gewesen sein musste. Nur so ergab dieser einen Sinn. Ihre Feinde hatten ihre Masken endgültig fallen gelassen. Ihre vorgebliche Bereitschaft zu Friedensverhandlungen war nur eine Finte gewesen, und nun war es ihnen gelungen, ihre gefährlichsten Widersacher zu enthaupten und der Allianz der freien Völker noch vor der entscheidenden Schlacht einen schweren Schlag zu versetzen.

Wie würden die Elben darauf reagieren? Würden Trauer und Verzweiflung sie lähmen, wie es sich die Trolle zweifellos erhofften? Oder würde unverzüglich ein anderer Elb an die Stelle des Königssohnes treten, und die Krieger würden sich, vom Verlangen nach Rache erfüllt, nur noch erbitterter auf ihre Feinde stürzen?

Wie sein eigenes Volk sich in so einem Fall entscheiden würde, wusste Barun, aber die Elben kannte er nicht gut genug, um sie einschätzen zu können.

Er war durch diese Gedanken so abgelenkt, dass er zu spät bemerkte, dass einer der beiden für tot gehaltenen Trolle, über die er hinwegstieg, plötzlich die Augen öffnete. Sie waren trüb, und der Blick war vom bevorstehenden Ende überschattet, aber noch lebte er.

Seine Hand fuhr hoch und packte Baruns Bein. Obwohl mehr tot als lebendig, war die Kraft des Ungeheuers noch immer so gewaltig, dass der Zwerg das Gefühl hatte, sein Bein wäre in eine Schraubzwinge geraten.

Er stöhnte auf, verlor das Gleichgewicht und stürzte auf die Brust des Monsters. Der Angriff war so überraschend gekommen, dass die Axt seinen Fingern entglitt. Geistesgegenwärtig versuchte er, nach ihr zu greifen, bekam sie jedoch nicht mehr zu packen. Sie rutschte über die Brust des Trolls und fiel seitlich davon zu Boden, unerreichbar für ihn.

Barun gab sich keinen Illusionen hin. Wäre der Troll noch im Vollbesitz seiner Kräfte, hätte er ihn mühelos zerreißen oder mit der Faust zerquetschen können. Aber offenbar hatte es die letzten Kraftreserven des Ungeheuers aufgezehrt, ihn nur zu packen.

Ein paar Sekunden lang versuchte er mit aller Kraft, sein Bein aus dem Griff zu lösen, doch erfolglos. Stattdessen nahm er eines der kleinen Beile von seinem Gürtel. Er musste sich beim Zuschlagen, so weit es ging, strecken, aber es gelang ihm, die Klinge tief in der Kehle des Monstrums zu versenken.

Blut schoss aus der Wunde, als er die Waffe wieder herausriss und sofort noch zwei-, dreimal zuschlug. Ein letztes Zittern durchlief den Körper des Trolls, dann starb er endlich.

Erneut bemühte sich Barun, die um sein Bein geschlossene Faust des Ungeheuers zu öffnen, aber im Tod noch waren dessen Muskeln so verkrampft, dass es dem Zwerg nicht gelang.

Voller Wut hieb er mit dem Beil auf die Pranke des Toten ein. Sogar mit der scharfen Klinge aus Zwergenstahl brauchte er mehrere Hiebe, um einen der Finger zu durchtrennen. Er war schweißgebadet und von Kopf bis Fuß mit Blut besudelt, als er es endlich geschafft hatte, den letzten abzutrennen.

Keuchend richtete er sich auf, sprang von dem Troll herunter und nahm seine Streitaxt wieder an sich, dann blickte er sich grimmig um.

Inzwischen waren auch die letzten Trolle gefallen, und die Rufe, die Aigilons Tod verkündeten, waren verstummt. Dennoch war die Hektik im Lager nicht geringer geworden. Überall hasteten Elben umher. Verwundete wurden versorgt, Tote weggetragen, Brände gelöscht, Zelte neu aufgebaut und die Kadaver der Trolle fortgeschafft.

Bei jedem Schritt musste Barun aufpassen, nicht versehentlich jemanden anzurempeln. Niemand beachtete ihn, und angesichts der zahlreichen Verletzten erregte es nicht einmal Aufsehen, dass er von Kopf bis Fuß mit Blut besudelt war.

Trauer und Wut gleichermaßen erfüllten ihn. Sah man von den getöteten Wachposten ab, handelte es sich bei den Opfern fast nur um Elben. Barun wagte sich nicht auszumalen, um wie viel schrecklicher die Folgen gewesen wären, wenn die Trolle stattdessen in das Lager seines Volkes oder gar das der Menschen eingedrungen wären. Die Zahl der Toten wäre um ein Vielfaches höher gewesen.

Er gab es nur ungern zu, aber die Spitzohren waren die besseren Kämpfer und besser ausgerüstet. Zwar hatten sie Aigilons Tod nicht verhindern können, doch nachdem sie sich von ihrem Schrecken erholt und eine wirksame Verteidigung organisiert hatten, hatten sie die Angreifer schnell bezwingen können.

Da Barun hier ohnehin nichts mehr tun konnte und sich fehl am Platz fühlte, wandte er sich nach Süden, den Zelten seines eigenen Volkes zu. Obwohl er wie alle Zwerge kein großer Freund von Wasser war, wollte er sich wenigstens notdürftig von dem stinkenden Trollblut reinigen.

Zudem waren die übrigen Angehörigen des Kriegsrats vermutlich bereits zusammengetreten, und er wollte an dieser Besprechung unbedingt teilnehmen. Nachdem die jüngsten Ereignisse seine schlimmsten Befürchtungen bestätigt hatten, würde man seiner Stimme dort sicherlich wieder mehr Gehör schenken als in den letzten Tagen.

Außerdem musste Barun sich von einem Heiler untersuchen lassen. Nachdem die direkte Gefahr gebannt war, spürte er nun die zahlreichen Blessuren, die er erlitten hatte. Keine von ihnen war gefährlich, aber in ihrer Gesamtheit verursachten sie erhebliche Schmerzen, und falls seine Rippen tatsächlich angebrochen sein sollten, würde ihn das auch die nächste Zeit noch beim Kämpfen behindern.

Und weitere Kämpfe würde es geben, das stand nun völlig außer Frage. Nach diesem heimtückischen Überfall dürfte wohl auch der eifrigste Verfechter eines Friedensschlusses zur Vernunft gekommen sein. Nun war für jeden offenkundig, dass es sich bei der Verhandlungsbereitschaft nur um einen Trick der Oger gehandelt hatte, um ihre Wachsamkeit zu mindern. Aber jetzt hatten sie ihr wahres Gesicht enthüllt.

Er selbst hatte nicht einen Moment lang geglaubt, dass die Ungeheuer zu plötzlicher Einsicht gelangt wären, und er hatte wieder und wieder warnend seine Stimme erhoben. Aber kaum jemand hatte auf ihn hören wollen.

Die Elben waren ohnehin ein friedliebendes Volk, das nur sehr widerwillig in den Kampf gezogen war. Und die schwächlichen Menschen waren schon lange kriegsmüde geworden. Selbst in seinem eigenen Volk hatten sich in letzter Zeit die Stimmen gemehrt, die Verhandlungen befürworteten. Der Überfall dürfte sie eines Besseren belehrt haben.

Mehr noch als das veränderte Aigilons Tod alles. Den Mord an ihrem Befehlshaber und ältesten Sohn ihres Königs würden die Spitzohren bei aller Friedensliebe nicht hinnehmen. Noch waren sie von den Ereignissen schockiert, doch Barun konnte spüren, wie Zorn und Wut immer mehr Besitz von ihnen ergriffen. Wenn die Oger hofften, sie durch den Angriff der Trolle und den Tod ihres Anführers demoralisiert zu haben, würden sie sich getäuscht sehen.

Die Bestien hatten einen großen Fehler begangen, vielleicht den größten dieses Krieges. Bislang hatten die Elben diesen Krieg ohne persönliche Betroffenheit für die Freiheit der Zwerge und Menschen geführt. Von nun an jedoch würden sie voller Hass kämpfen und darauf brennen, Aigilons Ermordung zu rächen.

Jedenfalls hoffte Barun das. Ganz genau konnte man bei den Spitzohren nie wissen, woran man war, aber die Stimmung, die er um sich herum mitbekam, bestärkte ihn in seiner Hoffnung. Die Elben waren ein sehr stolzes Volk, sie verehrten ihre königliche Familie, und sie verabscheuten Heimtücke. Der Verrat traf sie in gleich dreifacher Hinsicht, und das erforderte Vergeltung.

Barun schreckte aus seinen Überlegungen auf, als er hörte, wie jemand seinen Namen rief. Nicht weit entfernt entdeckte er eine Abordnung Zwerge, die durch das Lager stapfte. Bei jedem Schritt klirrte das Metall ihrer Rüstungen. Es handelte sich um die übrigen sechs Mitglieder des Kriegsrats.

An ihrer Spitze schritt König Martuk. Auch er war voll gerüstet. Langes dunkles Haar quoll unter seinem Helm mit dem bis zum Kiefer reichenden Seitenschutz hervor; auch sein Bart war lang und wallend. Er trug eine Augenklappe, da eine Verletzung während der ersten Schlacht dieses Krieges sein Gesicht nicht nur mit einer langen Narbe gezeichnet, sondern ihn auch sein rechtes Auge gekostet hatte. Seine Rüstung war aufwändig gefertigt, und er bot einen imposanten Anblick, zumal er fast einen halben Kopf größer als die meisten Zwerge war. Zorn und Entschlossenheit waren in seinem Gesicht zu lesen.

Barun eilte auf ihn zu und verbeugte sich. »Majestät, ich war gerade auf dem Rückweg in unser Lager und wollte Euch …«

»Wie schlimm bist du verletzt?«, fiel Martuk ihm ins Wort.

»Das meiste ist nicht mein Blut, sondern das eines Trolls, den ich erschlagen habe.«

»Gut, bei deinem Anblick habe ich schon das Schlimmste befürchtet. Nach Aigilons Tod ist Lithriel an seine Stelle gerückt. Wir sind unterwegs zu ihr, um ihr unser Mitgefühl für den Tod ihres Bruders auszudrücken und unser weiteres Vorgehen zu besprechen.«

»Lithriel«, murmelte Barun. Aigilons jüngere Schwester. Nicht zuletzt wegen der Unterdrückung durch die Oger waren die Zwerge ein auch zahlenmäßig kleines Volk. Angesichts dessen hatten in diesen Tagen, in denen ihrer aller Schicksal auf dem Spiel stand, auch viele Zwerginnen zu den Waffen gegriffen, um das Heer zu verstärken, wie es bei den Elben schon immer der Fall gewesen war. In ihren Reihen kämpften ebenso viele Kriegerinnen wie Krieger.

Dennoch erschien ihm der Gedanke an einen weiblichen Heerführer befremdlich, damit musste er sich erst anfreunden.

»Du wirst uns begleiten«, befahl Martuk. »Es ist nicht nötig, dass du dir vorher das Blut abwäschst. Es schadet nicht, wenn es die Elben daran erinnert, dass auch wir gekämpft und Verluste erlitten haben.«

»Wie Ihr wünscht«, antwortete Barun, verbeugte sich erneut und schloss sich dem Trupp an. Das allmählich trocknende Trollblut stank, und er fühlte sich davon besudelt, aber das wollte er gerne ertragen, wenn Martuk darin einen psychologischen Vorteil sah.

Während sie weitergingen, gesellte er sich zu Urtan, mit dem ihn seit vielen Jahren eine Freundschaft verband. Oft hatten sie schon Seite an Seite gekämpft, hatten sich gegenseitig den Rücken freigehalten und einander mehr als einmal das Leben gerettet.

»Du stinkst erbärmlich«, stellte Urtan fest und rümpfte die Nase. »Wenn wir Glück haben, gehen die Trolle vor dem Gestank ihres eigenen Blutes laufen, wenn es zur Schlacht kommt.«

»Noch ein Wort, und ich haue dir die Nase noch platter, als sie ohnehin schon ist«, drohte Barun und grinste, wurde aber sofort wieder ernst. »Wie viele der anderen Wachen haben überlebt?«, fragte er leise. »Zwergenkrieger meine ich.«

Urtan schüttelte den Kopf. »Nicht einer. Zumindest ist von den insgesamt sechs angegriffenen Posten außer dir bislang keiner zurückgekehrt, und auch, was dich angeht, hatte ich die Hoffnung schon fast aufgegeben.«

Barun biss die Zähne zusammen. Fünf tote Zwerge mochten angesichts der Tausende Opfer, die dieser Krieg bislang gefordert hatte, nicht viel sein, aber die Heimtücke, mit der alles abgelaufen war, weckte seinen Hass. Obwohl er ein Gegner der Friedensverhandlungen gewesen war, hätte nicht einmal er ihren Feinden die Verschlagenheit zugetraut, diese für einen solchen Angriff auszunutzen.

»Viel hat auch nicht gefehlt, und ich wäre ebenfalls erschlagen worden«, erwiderte er. »Der Angriff kam völlig überraschend. Ich begreife einfach nicht, wie es diese Kolosse geschafft haben, sich so lautlos anzuschleichen, dass selbst die Elben mit ihren scharfen Sinnen sie erst bemerkt haben, als es bereits zu spät war.«

»Du hast recht, das passt nicht zu ihnen. Sie sind so grobschlächtig, dass man sie schon von Weitem hört, weil sie einfach vorwärtsstapfen und alles platt walzen, was ihnen im Weg steht.«

»Diesmal nicht. Wir haben sie erst entdeckt, als sie aus dem Wald hervorgebrochen sind, und dann haben sie uns schlichtweg überrannt. Sie haben uns nicht mal gezielt angegriffen, sie wollten nur so schnell wie möglich das Lager erreichen. Falls unsere Krieger auf den anderen Posten wirklich alle tot sind, dann wurden sie nur beiläufig umgebracht, weil sie ihnen im Weg standen.« Barun knirschte mit den Zähnen. »Aber wir werden sie rächen, das schwöre ich!«

»Und ich ebenfalls, darauf kannst du Granit zertrümmern. Dieser Verrat darf nicht ungesühnt bleiben. Und das wird er auch nicht!«

4

»Verrat!«, brüllte Zarr’Lak, Oberhäuptling der vereinigten Völker der Oger, und fletschte die Reißzähne, sodass die beiden dolchartigen Hauer, die aus seinem Unterkiefer ragten, in voller Größe sichtbar wurden. Im flackernden Schein der Fackeln und Kohlebecken sah es aus, als befänden sich die gewaltigen Muskeln unter seiner grünen Haut in ständiger Bewegung. »Das war offener Verrat! Rebellion! Meuterei! Aufstand! Ahnst du Abschaum eines läufigen Straßenköters überhaupt, was du damit angerichtet hast? Ich sollte dir auf der Stelle die Gedärme herausreißen und sie dir zu fressen geben, bis du qualvoll und jämmerlich verreckst!«

Außer sich vor Wut ballte er die Fäuste.

Er war ein Titan, so groß und massig, dass er fast an die Statur eines Trolls heranreichte und manchmal sogar gemutmaßt wurde, dass sich in seiner Ahnenreihe mindestens einer der grauen Riesen finden ließe. Natürlich würde es niemals jemand wagen, dies in seiner Gegenwart zu äußern. Die Unterstellung, einer seiner Vorfahren könnte sich mit einer dieser minderwertigen Kreaturen eingelassen haben, wäre eine so niederträchtige Beleidigung, dass sie nur mit dem sofortigen Tod gesühnt werden könnte.

»Wie konntest du mir so etwas antun, du Madengewürm? Ausgerechnet du, dem ich mehr als jedem anderen vertraut habe? Du hast nicht nur alle meine Pläne für einen Waffenstillstand zunichtegemacht, sondern vielleicht sogar das Todesurteil über unser ganzes Volk gesprochen!«

Seine Stimme bebte vor Wut und war so laut, dass sie die Wände der grob zusammengezimmerten Hütte, die ihm als Feldunterkunft und Befehlsstand diente, erzittern ließ. Selbst die beiden Wachen hinter seinem Thron zogen unwillkürlich die Köpfe ein.

Nicht so Duul’Athun.

Er war einen halben Kopf kleiner als Zarr’Lak und ebenfalls muskulös, aber nicht annähernd so massig. Dennoch wich er nicht zurück und zuckte nicht einmal zusammen, sondern blieb hoch aufgerichtet stehen und trotzte dem Blick des Häuptlings. Auf keinen Fall durfte er jetzt Schwäche zeigen, sonst war alles verloren. Er war stolz auf das, was er getan hatte, aber er hatte auch gewusst, dass Zarr’Lak seine Eigenmächtigkeit auf keinen Fall einfach so hinnehmen würde. Entsprechend war er auf dessen Wutausbruch vorbereitet.

»Es war kein Verrat. Ich habe getan, was ich tun musste«, sagte er mit fester Stimme. »Getan, was mir nicht nur mein Gewissen geboten hat, sondern auch das Gesetz unseres Volkes.«

»Was erlaubst du dir, du jämmerliche Nachgeburt einer Ratte!«, tobte Zarr’Lak und ließ seine Faust so wuchtig auf die Lehne seines Throns niedersausen, dass das massive Holz wie Reisig zerbarst. »Ich werde dir die Haut in Fetzen peitschen und sie dir in Streifen von deinem Affenarsch reißen. Ich bin das Gesetz der Oger!«

»Nein, das bist du nicht«, entgegnete Duul’Athun mit nach wie vor fester Stimme, obwohl es ihm immer schwerer fiel, Ruhe zu bewahren. Das Gespräch verlief anders als von ihm erhofft.

Er war davon ausgegangen, dass Zarr’Lak erst einmal eine Zeit lang brüllen und toben und ihn beschimpfen würde, sodass seine schlimmste Wut bereits verraucht sein würde, wenn er selbst das erste Mal zu Wort kam. Dann hätte immerhin eine kleine Chance bestanden, dass seine Argumente auf fruchtbaren Boden fielen.

Stattdessen musste er bereits Rede und Antwort stehen, während Zarr’Laks Wut ihren Höhepunkt noch längst nicht erreicht hatte. Das war gefährlich. Der Häuptling war zwar alles andere als ein Dummkopf, aber er war aufbrausend und unbeherrscht. In seinem Jähzorn wurde er unberechenbar und neigte zu übereilten Handlungen, die er später bereute.

Duul’Athun machte sich nichts vor: Jeden anderen hätte Zarr’Lak auf der Stelle auf blutige und grausame Art getötet, ohne ihn überhaupt erst anzuhören. Er lebte nur noch, weil er der war, der er war; vielleicht der Einzige, gegen den selbst Zarr’Lak einen Kampf scheute.

Nicht umsonst war er Befehlshaber der Saikorai-Legion, der Elitetruppe der Oger und Trolle. Jahrzehntelanger Schliff hatte die besten unter ihnen ausgesiebt und in gnadenlose Kampfmaschinen verwandelt, hatte selbst die zwar bärenstarken, aber primitiven Schlagetots der Trolle in disziplinierte Krieger verwandelt. Sie waren nahezu allen anderen Truppen weit überlegen, selbst denen, die nur aus Ogern bestanden, und bildeten den Rückhalt des gesamten Heers.

Ähnliches galt auch für Duul’Athun selbst. Als Kommandant der Saikorai verfügte er nicht nur über immensen Einfluss, sondern war auch der vermutlich besttrainierte Kämpfer des Heers.

Dennoch wäre ein Kampf gegen Zarr’Lak ein Abenteuer mit äußerst ungewissem Ausgang, da er zwar geschmeidiger und besser geschult war, aber nicht annähernd an die Kraft des Titanen heranreichte. Wenn er noch die beiden Wachen hinter dem Thron mit einrechnete sowie die drei weiteren, die wenige Schritte hinter ihm Position bezogen und seinen Krummsäbel in Verwahrung genommen hatten, lagen seine Chancen irgendwo zwischen miserabel und nicht vorhanden.

Der Häuptling sprang auf, erhob sich zu seiner vollen, beeindruckenden Größe und machte drohend einen Schritt auf Duul’Athun zu.

»Was soll das heißen?«, fragte er. Seine Stimme klang nun beherrschter, was aber keineswegs Entwarnung bedeutete. Ganz im Gegenteil. Ein lauernder Unterton klang darin mit, der nur noch größere Gefahr signalisierte. »Du denkst, ich hätte nicht das Recht, über unser Volk zu bestimmen? Willst du mir meinen Platz streitig machen?«

Einen Moment lang überlegte Duul’Athun, die Herausforderung tatsächlich anzunehmen. Vermutlich ohne sich dessen bewusst zu sein, hatte Zarr’Lak ihm eine goldene Brücke gebaut. Ein offizieller Kampf um den Häuptlingstitel würde in aller Öffentlichkeit unter fairen Bedingungen und mit gleichwertigen Waffen ausgetragen werden, nicht hier, wo er unbewaffnet war und eine Übermacht gegen sich hatte.

Allerdings – beinahe mehr als vor Niederlage und Tod – fürchtete er sich davor, Zarr’Lak zu bezwingen. Ein siegreicher Zweikampf würde ihn zum neuen Häuptling machen, und danach gelüstete es ihn nicht im Geringsten. Er wollte den verdammten Titel mit allen Verpflichtungen und Aufgaben, die damit einhergingen, nicht. Erst recht nicht in einer so dramatischen Lage, wie sie gegenwärtig herrschte. Er war Krieger durch und durch, kein Anführer, der sich darum kümmern musste, das ganze Volk zu regieren, auch wenn dessen Wohl sich derzeit hauptsächlich auf dem Schlachtfeld entschied.

Nein, er wollte keinen Kampf. Sollte Zarr’Lak Häuptling bleiben, Duul’Athun hatte nur eine, seiner Überzeugung nach falsche, Entscheidung korrigieren wollen.

»Davon habe ich nicht gesprochen«, stellte er richtig. »Du hast natürlich die alleinige Befehlsgewalt, aber selbst du hast nicht das Recht, dich über die uralten Gesetze unseres Volkes zu erheben, die auf dem Stein von La’ach verewigt sind. Muss ich dir erst in Erinnerung rufen, was dort geschrieben steht?«

»Ich war oft genug selbst am Stein von La’ach«, knurrte Zarr’Lak, doch Duul’Athun begann unbeirrt, die Inschrift zu zitieren.

»Oger sind das auserwählte Volk der Götter, bestimmt zum Herrschen über die Welt, vereint unter der Herrschaft des Stärksten der Starken. Niemals werden Oger diese Macht teilen oder sich einem anderen Volk beugen. Dafür zu kämpfen ist die heiligste und ruhmreichste Pflicht eines jeden Ogers, und wenn sie sein Leben kosten sollte.« Er machte eine kurze Pause. »Nicht meine Worte, sondern die Nork’Ras’Gul des Mächtigen, nachdem er den großen Trollaufstand niedergeschlagen hatte, und seit Jahrtausenden ehernes Gesetz unseres Volkes.«

»Ich sagte, ich kenne die Inschrift! Ich habe mit Sicherheit schon öfter als du am Stein von La’ach gestanden und sie gelesen!«, grollte Zarr’Lak.

»Und warum handelst du dann nicht so, wie Nork’Ras’Guls Worte es uns gebieten? Wie kannst du ernsthaft in Betracht ziehen, mit dem Abschaum der anderen Völker zu deren Bedingungen einen unwürdigen Frieden zu schließen und dafür alles zu opfern, was unserem Volk heilig ist, anstatt mit aller Kraft unsere gottgegebene Herrschaft zu verteidigen? Ich bin dir stets treu ergeben gewesen, aber diese Schande konnte ich nicht tatenlos zulassen. Wenn hier einer ein Verräter ist, dann nicht ich!«

Noch einmal blitzte Wut in Zarr’Laks gelben Augen auf, aber dann ließ er sich auf seinen Thron zurücksinken.

»Raus!«, brüllte er seine Wachen an. »Raus, verschwindet! Ihr alle!«

Er wartete, bis die Krieger in fast panischer Hast die Hütte verlassen hatten, ehe er sich wieder Duul’Athun zuwandte.

»Glaubst du wirklich, mir wäre diese Entscheidung leichtgefallen? Ich habe immer nur den Ruhm und das Wohl unseres Volkes im Auge gehabt, und was ich dir jetzt sage, ist nicht für die Ohren anderer bestimmt. Nork’Ras’Gul war der vermutlich bedeutendste Oger, der jemals gelebt hat, aber auch er war kein unfehlbarer Gott. Sein Vermächtnis, das in den Stein von La’ach eingraviert ist, sind schöne Worte und über Jahrhunderte hinweg eine Quelle von Kraft und Durchhaltevermögen für unser Volk in schweren Zeiten gewesen. Aber sie sind zugleich eine Lüge, geboren aus Hochmut und Überheblichkeit.«

»Das … Das ist Blasphemie!«, keuchte Duul’Athun. Fassungslos starrte er den Häuptling an. Es mochte unklug sein, ihn erneut zu reizen, nachdem er sich gerade erst beruhigt hatte, aber Duul’Athun konnte nicht anders. Diesmal war er es, in dem der Zorn aufwallte. Was Zarr’Lak behauptete, war ein Angriff auf alles, woran er glaubte, auf die Grundlagen und das Selbstverständnis ihres Volkes. »Mehr noch, es ist ein größerer Hochverrat, als du ihn mir vorwirfst. Ich sollte …«

»Zügele deine Zunge!«, donnerte Zarr’Lak, bleckte erneut die Zähne und stieß ein drohendes Fauchen aus. »Auch wenn Nork’Ras’Gul mit der Zeit fast zu einem Gott verklärt wurde, war er doch nur ein Oger wie du und ich. Deshalb kann es keine Blasphemie sein, ihm Fehler vorzuwerfen. Aber ich werfe sie ihm gar nicht vor, denn er konnte es nicht besser wissen. Damals ging man davon aus, die Elben hätten sich zurückgezogen, weil sie unsere Stärke fürchteten und einen Kampf gegen uns scheuten. Das hat uns zu dem Irrglauben verleitet, wir wären unbesiegbar, das mächtigste Volk überhaupt, von den Göttern erschaffen, über diese Welt zu herrschen.«

»Aber genauso ist es doch auch! Begünstigt von den Göttern, haben wir das größte Reich geschaffen, das diese Welt je gesehen hat, und das seit vielen Tausend Jahren. Wir haben die Elben vertrieben. Wir haben die Trolle unterworfen und sie sogar zu unseren Sklaven gemacht. Und wir haben verhindert, dass Zwerge und Menschen sich ausgebreitet haben und vielleicht irgendwann gefährlich werden könnten. Wir sind das zum Herrschen auserwählte Volk. Nachdem sich unsere Feinde vereint haben, haben wir zuletzt ein paar Rückschläge erlitten, aber die Götter werden uns beistehen, damit unser Sieg am Ende umso glorreicher wird.«

»Rückschläge? Sieg? Du Narr, mach doch endlich die Augen auf!«, brüllte Zarr’Lak. »Wir waren zahlenmäßig nie ein allzu großes Volk. Die Trolle konnten wir besiegen, weil sie hirnlose Kreaturen sind, und ein beträchtlicher Teil unserer Macht beruht seither auf der Unterstützung durch sie. Bei den Elben verhält es sich völlig anders. Wir verlieren diesen Krieg, will das nicht in deinen madenzerfressenen Dickschädel hinein? Mehr als die Hälfte unseres Landes befindet sich bereits in Feindeshand.«

»Wir werden es zurückerobern!«, ereiferte sich Duul’Athun. »Das Kriegsglück ist oft launisch und ändert sich von einem Tag auf den anderen. Verloren haben wir nur, wenn wir uns selbst aufgeben, anstatt bis zum letzten Blutstropfen zu kämpfen. Und selbst wenn unser Volk untergehen sollte, weil die Götter es so beschließen, so wird es ruhmreich untergehen und sich nicht einfach ergeben. Aber dazu wird es nicht kommen, weil wir von ihnen zum Herrschen auserwählt …«

»Schweig und hör endlich auf, dich an Mythen zu klammern, die niemals wahr sind!« Erneut schlug Zarr’Lak mit der Faust zu und zertrümmerte auch die zweite Lehne seines Throns. »Begreifst du es denn nicht? Wir waren niemals das zum Herrschen auserkorene Volk! Wir durften uns nur als Herrscher aufspielen, weil die Elben uns gewähren ließen. Wenn es ein auserwähltes Volk gibt, dann sie, denn sie waren immer stärker als wir. Immer! Sie sind niemals vor uns geflohen. Dieses Wissen wird seit Jahrtausenden von einem Häuptling an den anderen weitergegeben, aber unser Volk darf es nie erfahren! Wenn die Elben gewollt hätten, hätten sie uns die ganze Zeit über vernichten können, wie sie es jetzt demonstrieren, obwohl wir heute sehr viel zahlreicher, mächtiger und stärker sind, als wir es damals waren!«

»Nein!«, stieß Duul’Athun hervor und taumelte zurück, als wäre er geschlagen worden. Genauso fühlte er sich auch. Mit einem Hammer, der groß genug war, eine ganze Welt aus Überzeugungen zu zertrümmern. Seine Gedanken verwirrten sich, huschten mit rasender Geschwindigkeit in seinem Kopf durcheinander.

Nork’Ras’Gul …

Der Stein von La’ach …

Das auserwählte Volk der Götter …

Geboren, um alle anderen Völker zu beherrschen …

Das einst mächtige Volk der Elben, das vor der wachsenden Macht der Oger an unzugängliche Orte tief in den Wäldern floh …

Das waren die Stützpfeiler, auf denen seine bisherige Sicht der Welt begründet gewesen war. Niemals hatte er daran gezweifelt, hatte die Überlegenheit der Oger gegenüber allen anderen Völkern als eine unabänderliche Tatsache angesehen.

Nun jedoch hatten diese Stützpfeiler Risse bekommen, zerbröselten immer schneller, je fester er sich an sie zu klammern versuchte. Wobei es nicht so sehr Zarr’Laks Worte waren, die ihn peinigten, sondern die jähe Erkenntnis, dass jedes davon der Wahrheit entsprach.

Das Bündnis der anderen Völker bestand im Grunde nur aus den Elben. Menschen und Zwerge, um deren Freiheit es in diesem Krieg ging, kämpften zwar ebenfalls, doch allein wäre ihr Aufstand wie alle früheren binnen kürzester Zeit zum Scheitern verurteilt gewesen. Es waren die verfluchten Spitzohren, die diesen Kampf für sie zu gewinnen drohten, die bleichen Klappergestelle, die so schmächtig aussahen, als ob sie eine Waffe kaum anheben könnten.

Die Logik, die sich daraus ergab, war so klar und einfach, dass jedes Kind sie verstehen konnte. Wie hatte er so dumm sein können, sie nicht längst selbst zu erkennen?

Da es nie zuvor einen Krieg zwischen Ogern und Elben gegeben hatte, hatten sie deren Macht niemals auf die Probe stellen können. Für sein Volk war der Rückzug der Spitzohren stets ein Eingeständnis ihrer Schwäche gewesen. Welchen anderen Grund hätte es für ihr Verhalten geben sollen, wenn nicht die Furcht vor einem überlegenen Gegner?

Wenn die Elben jetzt das in Jahrtausenden gewachsene und immer stärker gewordene Reich der Oger zu zerschmettern drohten, dann hätten sie das in jedem früheren Zeitalter erst recht vermocht. Warum auch immer sie sich einst in unzugängliche Gebiete im Norden zurückgezogen und den Ogern die Herrschaft über die Welt quasi geschenkt hatten, es war gewiss nicht aus Furcht geschehen. Das Reich hatte immer nur von ihrer Gnaden existieren dürfen, und nun hatten sie beschlossen, es nicht länger zu dulden.

Zarr’Lak hatte recht. Das Selbstverständnis und oberste Gesetz der Oger, das Nork’Ras’Gul einst in den Stein von La’ach gemeißelt hatte, war nicht mehr als eine aus Hochmut und Unwissenheit geborene Lüge.

»Aber … warum?«, krächzte er. Jegliche Kraft schien aus seinem so starken Körper gewichen zu sein, selbst das Sprechen fiel ihm schwer. »Wenn die Spitzohren uns die ganze Zeit überlegen waren … warum haben sie uns dann nicht vernichtet oder versklavt? Es ist ein Naturgesetz, dass der Starke den Schwachen beherrscht, und sie …«

»Offenbar gilt dieses Gesetz für die verschlagenen Bleichlinge nicht. Sie haben nie nach Macht und Herrschaft gestrebt. Vielleicht werden wir die Gründe für ihr Handeln nie erfahren. Sie sind auch ohne Belang. Jetzt zählt nur, wie wir der Gefahr begegnen. Es ist nichts ruhmreich daran, sein Volk ins Verderben zu führen. Wir haben es mit einem überlegenen Feind zu tun, so schwer es uns auch fallen mag, das zu akzeptieren.«

»Aber es ist erst recht nicht ruhmreich, uns einem Feind zu unterwerfen und unter seiner Knute zu leben, selbst wenn er überlegen ist!«

»Wer spricht denn von unterwerfen? Ich wollte diesen Friedensvertrag, um Zeit zu schinden.« Ein verschlagener Ausdruck zeigte sich auf Zarr’Laks Gesicht. »Wir waren auf diesen Krieg nicht vorbereitet. Unser Heer ist nicht annähernd so groß und stark, wie es sein könnte, weil es keinen Feind zu geben schien, der dies notwendig gemacht hätte. Soll dieses Geschmeiß von Menschen, Zwergen und Elben sich als Herrscher über die Gebiete fühlen, die sie bis jetzt erobert haben. Uns wäre bei einem Waffenstillstand immer noch gut die Hälfte unseres Reiches geblieben. Dort hätten wir uns sammeln und unsere Armeen neu strukturieren können. Wir hätten gigantische Waffenschmieden errichtet, hätten neue Truppen ausgehoben und ertüchtigt und die größte Kriegsmaschinerie aus dem Boden gestampft, die die Welt je gesehen hat. Und dann, wenn der richtige Moment gekommen wäre und die Wachsamkeit unserer Feinde nachgelassen hätte, hätten wir zurückgeschlagen, und dann wären wir besser vorbereitet gewesen. Aber nun, nachdem deine Saikorai den Sohn des Elbenkönigs getötet haben, werden sie sich wohl kaum noch auf Verhandlungen einlassen.«

»Das … Das wusste ich nicht«, stammelte Duul’Athun. »Ich habe nur die Demütigung gesehen, die dieser Friedensschluss für unser Volk bedeutet hätte, und wollte es nicht zu dieser Schande kommen lassen.« Er straffte sich. »Wenn du mich für mein eigenmächtiges Handeln zur Rechenschaft ziehen willst, werde ich jede Strafe demütig ertragen, selbst den Tod«, sagte er und meinte es auch genau so. Er würde sich nicht wehren, jetzt nicht, wenn Zarr’Lak ihn wirklich töten wollte. »Aber ich glaube, dass ich unserem Volk lebend von größerem Nutzen sein kann.«

»Denkst du, du würdest noch leben, wenn ich nicht selbst schon zu diesem Schluss gekommen wäre?«, knurrte Zarr’Lak. »Warum wohl habe ich so viel meiner kostbaren Zeit geopfert, um dir die Augen zu öffnen? Bestimmt nicht, um dir jetzt den Kopf abzuschlagen, obwohl du es verdient hättest. Verlass dich darauf, du wirst bestraft werden, aber erst nach der Schlacht, wenn wir beide dann noch leben. Ich habe einen Boten zu den Elben geschickt, um ihnen mitzuteilen, dass dieser Überfall ohne mein Wissen und gegen meinen Willen stattfand, aber ich glaube nicht, dass uns das jetzt noch helfen wird.«

»Nein«, stimmte Duul’Athun zu. Schließlich hatte er seinen Plan bewusst so angelegt, dass der Häuptling nicht mit ein paar Worten anschließend alles wieder zurechtrücken konnte. »Trotzdem ist noch nicht alles verloren. Das Heer unserer Feinde ist größer als unseres, aber die Befehlsstruktur nicht so gut organisiert, vor allem nach dem Tod Aigilons. Von den Menschen droht wenig Gefahr, unsere Truppen werden sie überrennen. Die Zwerge sind zäher und stärker, aber uns dennoch unterlegen. Wir können sie vernachlässigen und mit aller Kraft gegen die Elben ins Feld ziehen. Auch sie sind nicht unbesiegbar.«

»Unbesiegbar nicht, aber listenreich und verschlagen.« Zarr’Lak stemmte sich hoch und trat zu einem Tisch an der Seitenwand der Hütte, auf dem eine grob skizzierte Karte lag. »Unsere Art, Krieg zu führen, beruht darauf, uns mit unserer überlegenen Kraft und Truppenstärke auf einen Feind zu werfen und diesen niederzuringen.«

Duul’Athun nickte. »Weil wir immer nur gegen unterlegene Völker gekämpft haben. Taktische Überlegungen oder gar eine strategische Planung waren gegen die Menschlein oder die Dreckfresser nie vonnöten.«

»Jetzt sieht das anders aus«, fuhr Zarr’Lak fort. »Der Feind ist uns an Truppen überlegen, und die Spitzohren sind uns an Kampfkraft zumindest ebenbürtig. Wenn wir wie gewohnt einfach drauflosstürmen, werden wir verlieren, das haben die bisherigen Schlachten gezeigt. Wir müssen diesen Kampf anders angehen.«

»Ein Hinterhalt«, brummte Duul’Athun. »Aber dafür ist das Gelände nicht geeignet. Auf der einen Seite das Gebirge, sonst überall trotz der Hügel und einiger Wälder überschaubares Land. Und die Nacht ist bald vorüber, daher ist nicht mehr genug Zeit, um in ihrem Schutz größere Truppenteile zu bewegen.« Er deutete auf einen Punkt auf der Karte. »Bleibt nur das Gebirge, das wir zu unserem Vorteil nutzen müssen. Wir könnten mit einem Teil unserer Truppen das Heer der Feinde umgehen und ihnen in die Seite oder den Rücken fallen.«

Gespannt erwartete er die Reaktion Zarr’Laks. Bewusst hatte er so gesprochen, als wären ihm diese Gedanken gerade erst gekommen, dabei waren sie von Anfang an Teil seines Plans gewesen. Schon bevor er durch den Angriff auf das Elbenlager eine Schlacht unvermeidlich gemacht hatte. Er hatte vor diesem Gespräch nur nicht gewusst, wie er dem Häuptling eine so grundlegende Änderung der gewohnten Kriegsführung hätte nahebringen sollen, und bereits beschlossen, notfalls erneut eigenmächtig zu handeln. Jetzt aber boten sich ganz neue Möglichkeiten.

»Die Berge sind unüberwindlich«, wandte Zarr’Lak ein. »Selbst wenn es Pässe geben sollte, würde es Tage oder Wochen dauernd, sie zu finden und zu überqueren. Außerdem wären sie zu dieser Jahreszeit mit Sicherheit verschneit. Und das Gebirge zu umrunden würde noch länger dauern.«

»Keine Pässe.« Duul’Athun überlegte kurz, ob er den Häuptling in alles einweihen sollte, kam aber zu dem Schluss, dass dies nur zu neuen Problemen führen würde. Besser war es, möglichst wenig von der Wahrheit preiszugeben. »Aber schon als wir unser Lager aufschlugen, musste ich erkennen, dass diese Schlacht nicht leicht zu gewinnen sein würde. Ich habe deshalb frühzeitig zahlreiche Späher ausgesandt, das Gebirge zu erkunden, in der Hoffnung, dass sich daraus ein Vorteil für uns ergeben könnte.«

»Noch eine Eigenmächtigkeit?«, grollte Zarr’Lak. »Aber in diesem Fall sei sie dir verziehen. Was haben deine Späher entdeckt?«

»Etwas Besseres als Pässe über die Berge. Stollen, die durch sie hindurchführen. Sie sind stellenweise eng und niedrig, weshalb es Zeit kosten wird, eine größere Zahl von Kriegern hindurchzugeleiten, aber sie sind passierbar, und zumindest einer führt bis auf die andere Seite des Gebirges. Von dort aus können wir den feindlichen Truppen in den Rücken fallen und ihr Heer in die Zange nehmen.«

»Das sind endlich einmal gute Nachrichten!« Zarr’Lak kratzte sich am Kopf und überlegte kurz. »Ich hatte geplant, dich und deine Saikorai zur Verstärkung unseres Zentrums einzusetzen, um von dort aus dann Attacken gegen den Feind zu führen. Aber das hier eröffnet uns viel bessere Möglichkeiten.«

Er fletschte die Zähne und schlug Duul’Athun mit der Hand auf die Schulter. Es war nur ein spielerischer Hieb, doch er verriet, welche unglaubliche Kraft in seinem Körper steckte. Obwohl selbst ein Hüne, sackte Duul’Athun ein wenig in den Knien und konnte ein leises Ächzen nicht völlig unterdrücken.

»Das ist die Gelegenheit, deinen Fehler wiedergutzumachen und neue Ehre zu gewinnen. Du wirst deine Saikorai durch die Berge führen und unseren Feinden in den Rücken fallen. Sobald du den Angriff beginnst, lasse ich den Rest unseres Heers ebenfalls vorrücken. Wir werden ihr Zentrum von zwei Seiten in die Zange nehmen und ihre Abwehr zerschmettern. Wenn wir ihre Linien durchbrechen und unsere Armeen wieder vereinen, ist die Schlacht für uns gewonnen. Wie viel Zeit brauchst du, um alle Vorbereitungen zu treffen?«

»Keine«, erklärte Duul’Athun. »Die Saikorai stehen zum Aufbruch bereit.«

»Enttäusche mich nicht noch einmal. Ein weiteres Versagen werde ich nicht verzeihen. Mögen die Götter mit dir sein.«

Duul’Athun presste zum Zeichen der Ehrerbietung seine Fäuste gegen die Brust.

»Mögen die Götter mit uns allen sein und uns zum Sieg verhelfen.«

5

»Wir sind gekommen, um Euch und dem ganzen Volk der Elben unsere Trauer über Euren Verlust und unser Mitgefühl auszusprechen«, sagte König Martuk. Dabei senkte er demütig das Haupt. Barun und seine übrigen Begleiter taten es ihm gleich.

Lithriel, drittgeborenes Kind des elbischen Hochkönigs und neue Heerführerin der Elbenarmee, deutete ein Nicken an. Auf den ersten Blick sah sie aus wie fast alle Elben: hochgewachsen und sehr schlank, mit langem goldblondem Haar. Ihr Gesicht war von einem unvergleichlichen Liebreiz, trotz des Ernstes, den es, der Situation angemessen, zeigte. Im Licht des Mondes und der Fackeln wirkte sie fast wie eine ätherische, übernatürliche Erscheinung.

Barun hatte sie bereits mehrfach bei Beratungen gesehen, an denen sie teilgenommen hatte, ohne dabei jedoch viel zu sagen. Stets war es ihm vorgekommen, als wäre sie in eine Aura aus Licht gehüllt, das aus ihrem Inneren strahlte. Nun jedoch schien dieses Licht erloschen zu sein oder zumindest tief in ihr eingeschlossen.

Sie stand hinter einem Holzstoß, auf dem ihr älterer Bruder aufgebahrt lag. Ein mit Blutflecken beschmutztes Tuch bedeckte den Leichnam. Zahlreiche andere Elben, wie Lithriel in weiße, mit goldenen und silbernen Fäden durchwirkte Gewänder gekleidet, bildeten mit gesenktem Kopf einen Halbkreis hinter ihr.

»Ich danke Euch, König Martuk, auch im Namen meines Vaters und unseres ganzen Volkes«, entgegnete sie mit ausdruckslosem Gesicht. Vergeblich versuchte Barun, darin zu lesen. Weder Trauer noch Zorn noch sonst ein Gefühl spiegelte sich darin; es war wie aus Stein gehauen. Elben waren Meister der Selbstbeherrschung und zeigten ihre Gefühle selten.

Dennoch hatte er in den bisherigen Besprechungen den Eindruck gewonnen, als wäre die Drittgeborene bei aller Zurückhaltung ein wenig emotionaler als Aigilon und somit eher bereit, auf die einzig richtige Art auf den Überfall zu reagieren. Barun konnte sich nur schwerlich vorstellen, dass sie jetzt noch an den Friedenshoffnungen ihres Bruders festhalten würde. Vielleicht das einzig Gute an den schrecklichen Geschehnissen.

»Darüber hinaus sind wir gekommen, um unser weiteres Vorgehen zu planen«, erklärte Martuk. »So groß Eure Trauer im Moment auch sein mag, die Gefahr ist noch nicht vorüber. Kaum drei Meilen entfernt lagert das größte Heer, das die Oger bislang gegen uns aufgeboten haben, und durch ihren Überfall haben sie bewiesen, dass sie nicht ernsthaft an Frieden inter…«

Mit einer Handbewegung brachte Lithriel ihn zum Verstummen. »Jedes weitere Wort ist unnötig«, sagte sie mit nun härterer Stimme. »Ich teile Eure Ansichten, und hättet Ihr mir nicht von selbst Eure Aufwartung gemacht, hätte ich nach Euch und auch nach dem Menschenkaiser schicken lassen. Der Mord an meinem Bruder wird nicht ungesühnt bleiben. Es wird keine Friedensverhandlungen geben. Morgen ziehen wir in die Schlacht.«

Barun atmete unmerklich auf. Er wollte etwas sagen, doch Martuk kam ihm zuvor.

»Ihr braucht auch zu den Menschen keinen Boten zu senden. Ich habe gesehen, wie sich Kaiser Auretanus ebenfalls mit einer Abordnung auf den Weg hierher gemacht hat. Er wird bald eintreffen.«

»Gut.« Der Blick der Elbin richtete sich auf Barun. »Du hast an dem Kampf teilgenommen?«

Obwohl er diese Art der Anrede inzwischen gewohnt war, verspürte Barun wie immer für einen Moment Ärger in sich aufwallen. Er gehörte dem Kriegsrat an, den Führern seines Volkes, und hatte ein Anrecht auf eine ehrenvolle Behandlung, doch der einzige Zwerg, dem die Elben diese gewährten, war König Martuk. Sie kämpften Seite an Seite, doch Kleinigkeiten wie diese demonstrierten stets aufs Neue, dass die Spitzohren auf andere Völker hinabblickten.

»Ich gehörte zu den Posten, die das Lager bewachten«, sagte er.

»Nicht sehr erfolgreich, wie mir scheint.«

Barun hatte das Gefühl, geohrfeigt worden zu sein.

»Meine Begleiter und ich haben heldenhaft gekämpft, aber wir wurden von einer Übermacht überrannt«, entgegnete er scharf. »Wir waren nur zu dritt gegen Dutzende Feinde. Der Mensch, der bei uns war, hat mit seinem Leben bezahlt, und …«

»Entschuldige«, fiel die Elbin ihm ins Wort. »Was ich sagte, sollte keineswegs ein Vorwurf sein. Ich frage mich nur, wie sich die sonst so plumpen Trolle unbemerkt bis dicht an die Posten heranschleichen konnten. So etwas passt gar nicht zu ihnen, und das beunruhigt mich. Gerade wir Elben verfügen über ein ausgesprochen scharfes Gehör, aber keiner meiner Krieger konnte mir bislang eine Erklärung liefern. Wir müssen herausfinden, was geschehen ist, um künftig besser gewappnet zu sein.«