Wenn Dämonen dich jagen: Geister Krimi Sammelband 4 Romane - Frank Rehfeld - E-Book

Wenn Dämonen dich jagen: Geister Krimi Sammelband 4 Romane E-Book

Frank Rehfeld

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Beschreibung

Dieser Band enthält folgende Romane: Jäger in der finsteren Nacht (Frank Rehfeld) Dämonentöter (Steve Salomo) Stadt des Unheils (Klaus Frank) Moronthor oder Mein Bruder, der Dämon (James Melvoin) Drei Menschen sind in Briststedt verschwunden, und es scheint außer der IPA, dem Institute for paranormal Activities, niemanden wirklich zu interessieren. Als die drei Agenten der IPA in den Ort kommen, liegt eine unheimliche Atmosphäre in der Luft. Es dauert nicht lange, bis sie von einem unaussprechlichen Grauen angegriffen werden und um ihr Leben kämpfen müssen.

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Frank Rehfeld, Steve Salomo, Klaus Frank, James Melvoin

Wenn Dämonen dich jagen: Geister Krimi Sammelband 4 Romane

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Inhaltsverzeichnis

Wenn Dämonen dich jagen: Geister Krimi Sammelband 4 Romane

Copyright

Jäger in der finsteren Nacht

Dämonentöter

Stadt des Unheils

​Moronthor oder Mein Bruder, der Dämon: Der Dämonenjäger von Aranaque 343

Wenn Dämonen dich jagen: Geister Krimi Sammelband 4 Romane

Frank Rehfeld, Steve Salomo, Klaus Frank, James Melvoin

Dieser Band enthält folgende Romane:

Jäger in der finsteren Nacht (Frank Rehfeld)

Dämonentöter (Steve Salomo)

Stadt des Unheils (Klaus Frank)

Moronthor oder Mein Bruder, der Dämon (James Melvoin)

Drei Menschen sind in Briststedt verschwunden, und es scheint außer der IPA, dem Institute for paranormal Activities, niemanden wirklich zu interessieren. Als die drei Agenten der IPA in den Ort kommen, liegt eine unheimliche Atmosphäre in der Luft. Es dauert nicht lange, bis sie von einem unaussprechlichen Grauen angegriffen werden und um ihr Leben kämpfen müssen.

Copyright

Ein CassiopeiaPress Buch: CASSIOPEIAPRESS, UKSAK E-Books, Alfred Bekker, Alfred Bekker präsentiert, Casssiopeia-XXX-press, Alfredbooks, Uksak Sonder-Edition, Cassiopeiapress Extra Edition, Cassiopeiapress/AlfredBooks und BEKKERpublishing sind Imprints von

Alfred Bekker

© Roman by Author /

COVER MARA LAUE

© dieser Ausgabe 2023 by AlfredBekker/CassiopeiaPress, Lengerich/Westfalen

Die ausgedachten Personen haben nichts mit tatsächlich lebenden Personen zu tun. Namensgleichheiten sind zufällig und nicht beabsichtigt.

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Alles rund um Belletristik!

Jäger in der finsteren Nacht

Frank Rehfeld

Schummriges Zwielicht erfüllte den Zuschauerraum, gerade hell genug, daß die Kellnerinnen ihren Weg fanden und die Gäste ihre Tischpartner noch erkennen konnten. Die Bühne hingegen wurde von Scheinwerfern in gleißende Helligkeit getaucht, damit den Zuschauern kein Handgriff des weißgekleideten Mannes entging, der dort Zeitungen in bunte Blumensträuße verwandelte, Tauben aus Tüchern aufflattern ließ und sogar die berüchtigten Kaninchen aus seinem Zylinder hervorholte. Beifall belohnte jedes erfolgreiche Zauberkunststück.

Rachel Jefferson, die an einem der vordersten Tische saß, klatschte nicht. Sie war viel zu sehr damit beschäftigt, sich über sich selbst zu ärgern.

Eine innere Stimme warnte sie, daß sie sich wie eine pubertäre Teenagerin aufführte, die sich in ihren Lehrer oder irgendeinen Star verknallt hatte, und sie versuchte sich einzuhämmern, daß sie damit aufhören sollte, doch es gelang ihr nicht. Ihr Blick wurde immer wieder wie magisch von David Spencers Gesicht angezogen. Nun, bei einem Magier paßte der Vergleich wenigstens, was den Sachverhalt selbst jedoch nicht weniger peinlich machte.

Ein kleiner Trost war es immerhin, daß er angesichts der gleißenden Bühnenscheinwerfer nicht merken konnte, wie sie ihn anstarrte. Wenn Rachel dennoch das Gefühl hatte, daß er ihren Blick erwiderte und immer wieder zu ihr herüberschaute, dann dürfte das nur Einbildung sein. Vermutlich konnte er das Publikum höchstens schemenhaft wahrnehmen.

Sie mußte sich eingestehen, daß er in der Tat phantastisch aussah. Sein strahlend weißer Smoking mit dem ebenfalls weißen Rüschenhemd bildete einen interessanten Kontrast zu seiner sonnengebräunten Haut und den pechschwarzen, dichten Haaren. Auch seine Augen waren so schwarz, als würde sich die Pupille über die gesamte Iris erstrecken, was seinen Blick ein wenig stechend, vor allem aber geheimnisvoll erscheinen ließ.

Vermutlich wurde der Effekt durch dunkle Kontaktlinsen hervorgerufen.

Spencer trug nicht nur den gleichen Vornamen wie David Copperfield, der wohl weltweit berühmteste Bühnenzauberer, sondern ähnelte ihm auch optisch ein wenig.

Für Rachel war dies jedoch keine Entschuldigung für ihr kindisches Verhalten. Sie hatte oft genug mit gutaussehenden Männern zu tun, und außerdem war sie aus dem Alter heraus, in dem sie beim Anblick eines schönen Mannes gleich Herzklopfen bekam. Die meiste Zeit über beobachtete sie nur Spencers Gesicht anstelle seiner Hände, was in ihrem Fall um so ärgerlicher war, da sie im Gegensatz zu den anderen Gästen nicht hier war, um sich zu amüsieren.

Sie war Reporterin und sollte einen Artikel über Spencers Bühnenshow verfassen. Zwar bestritt er das Varieteprogramm des Flamingo-Casinos in Las Vegas zusammen mit anderen Künstlern, doch sollte er der hoffnungsvollste Nachwuchsstar auf seinem Gebiet sein, und er entwickelte sich immer mehr zu einem Publikumsliebling. Seine Darbietungen bildeten angeblich schon jetzt den Höhepunkt des Programms, und es gab Gerüchte, wonach bereits Vorbereitungen für eine eigene Show im Gange waren.

Bislang erschienen seine Darbietungen Rachel allerdings noch höchst konventionell und durchschnittlich. Was Spencer gezeigt hatte, war kaum mehr als das, was man im Repertoire eines jeden Nachwuchsmagiers fand. Abmildernd mußte sie allerdings eingestehen, daß sein Programm erst vor wenigen Minuten begonnen hatte und sie es zudem nicht allzu aufmerksam verfolgt hatte, da sie ständig nur sein Gesicht anstarrte, statt seine Hände zu beobachten und zu versuchen, möglicherweise einige seiner Tricks zu durchschauen.

Seine Show wurde allmählich spektakulärer. Er ließ seine Assistentin aus einer großen Kiste verschwinden und kurz darauf in einer anderen auftauchen. Bemerkenswert erschien dies vor allem deshalb, weil beide Kisten auf dünnen Gestängen ruhten, zwischen denen man hindurchschauen konnte. Rachel vermutete, daß dieser Effekt lediglich auf einem System genau ausjustierter Spiegel beruhte, zwischen denen die Assistentin durchkriechen konnte, ohne gesehen zu werden. Ähnliche Tricks schlossen sich an, wobei einige in der Tat recht beeindruckend waren.

»Und nun kommen wir zum Höhepunkt der Show«, erklärte Spencer, nachdem er vor ein Mikrophon getreten war. »Sie werden Zeuge sein, wie ich reale dämonische Kreaturen heraufbeschwöre. Für dieses Experiment benötige ich eine Freiwillige aus dem Publikum. Seien Sie unbesorgt, meine Damen, ich habe nicht die Absicht, Sie den Dämonen zu opfern. Sie brauchen also keine Jungfrau mehr zu sein.«

Verhaltenes Gelächter ertönte.

»Nun, wer von Ihnen traut sich?«

Rachel erkannte blitzartig ihre Chance. Als Teilnehmerin an einem der Kunststücke könnte sie wesentlich präziser beobachten, was genau Spencer tat. Und vor allem kannst du ihn wesentlich genauer beobachten! meldete sich eine gehässige, leise Stimme in ihrem Unterbewußtsein, doch Rachel ignorierte sie und hob ihren Arm. Als sie sich umschaute, stellte sie fest, daß sie bei weitem nicht die einzige war.

David Spencer beschattete seine Augen mit einer Hand und ließ seinen Blick über das Publikum wandern. Rachels Puls begann fast schmerzhaft zu rasen, als sein Blick auf ihr verharrte. Mit einem geschmeidigen Satz sprang er von der erhöhten Bühne herunter. Der Lichtkegel eines der Scheinwerfer folgte ihm, als er auf sie zukam und ihre Hand ergriff.

Die Berührung durch seine kühlen, glatten Finger elektrisierte Rachel, und das nicht nur im übertragenen Sinne. Ein winziger Funke sprang zwischen ihnen über. Vielleicht lag es daran, daß sich Spencer beim Gehen über den Teppich mit statischer Elektrizität aufgeladen hatte, dennoch spürte Rachel, wie sie ein Schauer durchlief.

Auch Spencer wirkte für einen kurzen Moment irritiert, überspielte es aber sofort. Galant führte er ihre Finger zu einem Handkuß an seine Lippen.

»Würden Sie mir die Ehre erweisen, mir zu helfen, junge Frau?«

Rachel glaubte, ihren Herzschlag wie dumpfe Trommelschläge in ihren Ohren zu hören, so laut, daß der ganze Saal davon erfüllt zu sein schien. Sie besaß kaum die Kraft, aufzustehen. Spencer begleitete sie über ein kleines Treppchen zur Bühne, ohne ihre Hand loszulassen.

Dort war inzwischen die Dekoration verändert worden. Anstelle des hellen Vorhangs bildete ein auf Leinwand gemaltes Bild einer trostlosen Sumpflandschaft mit einem etwas entfernt liegenden Schloß den Hintergrund. Schwaden aus Trockeneisnebel waberten über den Boden. Sämtliche Requisiten waren verschwunden, lediglich das Mikrophon und ein hölzerner Pfahl standen in der Mitte der Bühne.

»Wie wir wissen, ist es stets eines der Ziele des Bösen, Unschuld und Schönheit zu verderben«, erklärte Spencer. »Ein Grund dafür dürfte sein, daß gerade im direkt Kontrast die ganze Abscheulichkeit dämonischer Kreaturen offensichtlich wird. Die Schöne und das Biest unterstreichen durch ihr Zusammentreffen die jeweiligen Merkmale des anderen.« Er wandte sich Rachel zu. »Verraten Sie mir Ihren Namen, schöne Frau?«

»Rachel«, antwortete die Journalistin. Bislang hatte sie sich für eine tatkräftige, emanzipierte Frau gehalten, die stets wußte, was sie wollte, und sich engagiert dafür einsetzte, es auch zu bekommen. Jetzt aber war davon nicht mehr viel zu merken. Sie war nervös und merkte, daß sie feuchte Hände bekam.

David Spencer löste irgend etwas in ihr aus, das ihr selbst unerklärlich war.

Sie konnte sich nicht erinnern, jemals so heftig auf einen Mann reagiert zu haben. Nicht einmal sein übertrieben galantes Verhalten, das ihr bei einem anderen längst sauer aufgestoßen wäre, berührte sie unangenehm. Wenn auch alles andere nur einstudierte Bühnentricks sein mochten, diese Art von Magie beherrschte Spencer hervorragend.

»Rachel also. Sie brauchen keine Angst zu haben, wenn ich Sie nun an diesen Pfahl fessele. Stellen Sie sich vor, Dämonenanbeter hätten Sie als Opfer für die Kreaturen der Finsternis in dieses gottverlassene Moor verschleppt und sie hier zurückgelassen.«

Widerstandslos ließ sich Rachel von ihm zu dem Pfahl führen, doch während sie spürte, wie er ihre Handgelenke hinter dem Pfahl mit einem Strick zusammenband, zwang sie sich, wieder an den Grund ihrer Anwesenheit zu denken. Spencer war extrem pressescheu, und dies war eine Gelegenheit, die sich ihr so schnell nicht wieder bieten würde.

»Hören Sie, Mister Spencer, ich bin Reporterin vom tyaily Planet«, raunte sie ihm leise zu. »Ich weiß, Sie geben für gewöhnlich keine Interviews, aber könnten Sie nicht für mich nach der Show eine Ausnahme machen?«

Sie bekam keine Antwort; Spencer ließ sich nicht einmal anmerkten, ob er sie überhaupt gehört hatte. Er trat wieder an das Mikrophon.

»Das Opfer ist nun also bereit, und es lockt die Dämonen herbei.«

In den Händen hielt er einen dünnen, schwarzen Stab, mit dem er einige kreisförmige Bewegungen vollführte. Der Nebel aus Trockeneis auf dem Bühnenboden begann stärker zu wabern. Dichte Schwaden stiegen in die Höhe, ballten sich zusammen und formten sich zu einer furchteinflößenden, fast mannshohen Dämonenfratze, die sich in unablässiger Bewegung befand, so daß keine eindeutige Form zu erkennen war.

Verblüfftes Raunen ertönte aus dem Publikum. Auch Rachel erschrak im ersten Moment, zumal das abscheuliche Gebilde kaum drei Yards von ihr entfernt in der Luft schwebte. Sie hatte keine Ahnung, wie Spencer diesen Trick bewerkstelligte; vermutlich handelte es sich um eine chemische Reaktion, die im Inneren des Nebels ablief.

Die Fratze schwebte auf Rachel zu und begann, sie einzuhüllen. Es war ein Gefühl, als würde sie am ganzen Körper zugleich von Tausenden winzigen Händen berührt, eine Empfindung, die grenzenlos widerwärtig war. Dieser Nebel bestand nicht nur aus Trockeneis, sondern es befand sich etwas durchaus Materielles darin, auch wenn sie es sich nicht erklären konnte.

Im gleichen Moment, in dem sie das begriff, kam die Angst. Was, wenn Spencer wirklich ein Magier war, der nicht nur mit Tricks arbeitete? Wenn dies alles echt war und sie vor all den Menschen tatsächlich rituell geopfert wurde, ohne daß jemand erkannte, was hier vorging?

Spencer schwenkte seinen Stock ein weiteres Mal. Die Schwaden wichen wieder von ihr zurück, verdichteten sich noch weiter und stoben dann urplötzlich wie in einer lautlosen Explosion auseinander – und gaben das Grauen frei, das sich darin verborgen hatte.

Schreie gellten im Publikum auf. Auch Rachel schrie, als sie die geflügelte Kreatur erblickte. Das dämonische Wesen besaß eine grünliche Haut und war völlig nackt, allerdings besaß es keine Geschlechtsteile. Seine Augen glosten in einem düsteren Goldton, und als es den Mund öffnete, entblößte es ein furchterregendes Raubtiergebiß. Aus seinem Rücken wuchs ein Paar riesiger, fledermausartiger Flügel, mit denen es sich in der Luft hielt und auf Rachel zuschwebte, doch plötzlich sprang Spencer mit einem weiten Satz zwischen sie und die Alptraumkreatur.

»Halt, Dämon der Nacht!« rief er mit so lauter Stimme, daß sie auch ohne Mikrophon im ganzen Saal zu verstehen sein mußte. Theatralisch breitete er die Arme aus; in einer Hand hielt er einen silbernen Stab. »Du wirst dieser Frau nichts antun. Ich bin gekommen, um deiner unseligen Existenz ein Ende zu setzen!«

Es hätte eine Szene aus einem miserablen Gruselfilm sein können, doch Rachel empfand nichts als Erleichterung. In diesem Moment kam ihr David Spencer tatsächlich wie ein strahlender Held vor, der gekommen war, um sie zu retten.

Silberne Funken sprühten aus seinem Stock und trafen die geflügelte Kreatur. Der Dämon stieß einen krächzenden Schrei aus. Er wurde zurückgetrieben, setzte jedoch sofort wieder zu einem Angriff an, um erneut von einem magischen Funkenschauer empfangen zu werden.

Rachel war sich keineswegs mehr sicher, ob alles wirklich nur eine Illusion war. Anfangs hatte sie gemutmaßt, der Dämon könnte wie eine Art Hologramm durch Laserstrahlen auf die Bühne projiziert werden, doch nicht nur die Geräusche waren unglaublich realistisch, sie konnte sogar den Windhauch spüren, den die Kreatur beim Schlagen mit ihren Flügeln verursachte.

Gebannt verfolgte sie den hin und her wogenden Kampf. Ein ums andere Mal versuchte der Dämon David Spencer anzugreifen und wurde stets wieder zurückgetrieben. Es war eine grandiose Show an Effekten.

Es gelang der geflügelten Kreatur, einem Funkenstrahl aus Spencers Zauberstab auszuweichen. Wenige Flügelschläge genügten, sie bis dicht unter die Bühnendecke hinaufschweben zu lassen. Von dort stürzte sie sich mit einem krächzenden Schrei in die Tiefe. Pfeilschnell raste sie auf den Magier zu, trudelte dabei eine Winzigkeit zur Seite, um einem weiteren Funkenschauer auszuweichen. Dicht über dem Boden erst breitete sie die Flügel wieder auseinander.

Rachel spürte einen leichten Schlag gegen die Schulter, als eine der Schwingen sie streifte.

Das ist keine Laserprojektion! durchfuhr es sie, und sie spürte jähe Panik in sich aufsteigen. Der Dämon ist echt!

Sie zerrte mit aller Kraft an ihren Fesseln. Diese waren zwar nur locker angelegt, doch war der Knoten zu geschickt gebunden, als daß sie ihn lösen konnte. Die Riemen schnitten ihr lediglich immer tiefer in die Haut, je mehr sie sich anstrengte.

***

Auch David Spencer schien zu erkennen, daß etwas nicht wie geplant ablief. Für einen Moment verzerrte sich sein Gesicht vor Schrecken, doch sofort hatte er sich wieder unter Kontrolle. Er warf sich schwungvoll zur Seite, als der Dämon auf ihn zuschoß.

Es gelang ihm nicht vollständig.

Eine der mörderischen Klauen zerriß seine Smokingjacke, sein Hemd, und ritzte auch die darunterliegende Haut. Blut quoll aus der Wunde, Rachel konnte es deutlich sehen.

Spencer wälzte sich herum und richtete seinen Stab gegen den Dämon. Diesmal sprühten nicht nur einzelne Funken daraus hervor, sondern ein Blitz zuckte auf, traf die Kreatur und ließ sie wie eine Fackel auflodern. Binnen nicht einmal einer Sekunde verbrannte das dämonische Geschöpf in einer grellen Stichflamme. Nur etwas Asche regnete auf die Bühne herab.

Donnernder Applaus klang auf. Niemand im Publikum schien bemerkt zu haben, daß das Geschehen weit über eine herkömmliche Zaubershow hinausgegangen war. Auch Rachel war sich nicht mehr ganz sicher, ob sie nicht doch nur einer perfekten Illusion erlegen war, aber dann sah sie Spencer an.

Er lächelte und verbeugte sich mehrmals, doch deutlich konnte sie das Blut an seiner Seite erkennen, das sein Hemd durchtränkte. Er hielt die Smokingjacke über die Verletzung und stand etwas seitlich zum Publikum, so daß dort niemand das Blut sehen konnte. Gerade das jedoch überzeugte Rachel, daß es sich keineswegs um eine geplante Einlage handelte.

Es wäre leicht gewesen, um des Effekts willen einen Beutel mit künstlichem Blut unter dem Hemd zum Platzen zu bringen, doch dann gäbe es für den Magier keinen Grund, warum er dies verbergen sollte.

Nein, er war wirklich verletzt worden. Als er jetzt auf sie zutrat, konnte sie Schweißperlen auf seinem. Gesicht erkennen, und es gelang ihm trotz des Lächelns nicht, seinen Schmerz völlig zu verbergen. Er zog an einem Ende der Schnüre, und der Knoten löste sich. Spencer verneigte sich noch einmal vor dem noch immer applaudierenden Publikum, dann fiel der Vorhang.

»Was hat das zu bedeuten?« stieß Rachel hervor. »Das war kein Trick, nicht wahr? Sie sind verletzt und –«

»Sie täuschen sich«, widersprach Spencer gepreßt. »Nichts weiter als eine Illusion. Entschuldigen Sie mich.«

Er strebte dem seitlichen Bühnenausgang zu, doch so leicht gab Rachel nicht auf. Sie eilte ihm nach. Er ging leicht seitlich gebeugt und preßte eine Hand auf seine blutende Hüfte.

»Ich sagte schon, ich bin Journalistin, und ich muß herausfinden, was wirklich geschehen ist. Dieser Dämon war echt, nicht wahr? Geben Sie es zu!«

»Unsinn«, behauptete Spencer. »Außerdem gebe ich keine Interviews. Bitte gehen Sie.«

Die Tür war inzwischen geöffnet worden. Mehrere Menschen kamen auf Spencer zu und gratulierten ihm überschwenglich. Eine blondhaarige Frau umarmte und küßte ihn, erst dann schien ihr das Blut aufzufallen.

»Du … du bist verletzt, Liebling!« rief sie erschrocken.

Rachel erinnerte sich, in dem knappen Lebenslauf des Magiers gelesen zu haben, daß er verheiratet war. Sie wußte, daß sie sich weder besonders sensibel noch geschickt benahm, aber dies war eine einmalige Chance, Spencer einen Kommentar zu entlocken.

»Sie haben nicht nur sich, sondern auch mich in Gefahr gebracht!« warf sie ihm vor. »Meinen Sie nicht, daß Sie mir dafür wenigstens eine kurze Erklärung schulden?«

Spencer ignorierte sie. Es war jetzt deutlich zu erkennen, daß er starke Schmerzen litt.

Zwei Männer verstellten Rachel den Weg.

»Entschuldigen Sie, Miß, aber hier dürfen Sie nicht weiter. Haben Sie vielen Dank für Ihre Mitwirkung in der Show. Als Dank erhalten Sie an der Casino-Bar ein Freigetränk Ihrer Wahl. Bitte verlassen Sie jetzt die Bühne.«

Rachel warf Spencer noch einen letzten Blick nach, dann wandte sie sich zähneknirschend um und ging davon. Sie wußte, daß sie unmöglich darüber schreiben konnte, daß alles ihrer Meinung nach echt gewesen war. Man würde sie – zu recht – für verrückt halten. Sie konnte ja selbst trotz des Erlebten nicht richtig glauben, daß David Spencer tatsächlich magische Kräfte besaß.

Sie fragte sich verzweifelt, was wirklich geschehen war, was das alles zu bedeuten hatte.

***

Mit einem Schrei fuhr David Spencer in seinem Bett hoch, schlug ein paar Sekunden lang blindlings um sich und begriff erst dann, wo er sich befand und daß ihm keine Gefahr drohte. Er atmete noch immer keuchend, und sein rasender Herzschlag beruhigte sich nur langsam. Schweiß rann ihm über die Stirn, das T-Shirt klebte feucht an seinem Körper, und auch die Bettdecke und das Laken fühlten sich klamm an.

In seinem Kopf wirbelten die Gedanken wild durcheinander. Erinnerungen, Phantasiegespinste und reale Wahrnehmungen hatten sich zu einem dichten Knäuel verschlungen, das sich nur langsam und scheinbar widerwillig zugunsten der Wirklichkeit zu lösen begann.

Nur ein Traum! hämmerte es in ihm.

Das Licht der Straßenlaternen fiel durch einen schmalen Spalt zwischen den Vorhängen und malte einen hellen Streifen an die Decke des Zimmers, ansonsten war es dunkel. Schatten und Finsternis hielten die Ecken und den hinteren Teil des Raumes fest in ihrem Griff, doch es war eine Dunkelheit, die etwas Beruhigendes hatte. Selbst die tiefste Schwärze konnte nicht schlimmer sein als das schreckliche, dunkelrote Glosen, das seinen Traum beherrscht hatte.

David ließ sich auf das Kopfkissen zurücksinken, schloß die Augen und zwang sich, tief und gleichmäßig zu atmen.

Nur ein Traum!

Er litt schon seit langem unter Alpträumen. Früher jedoch hatte er sie nur alle paar Wochen mal gehabt, während sie ihn in letzter Zeit immer regelmäßiger heimsuchten. Mittlerweile verging kaum eine Nacht, in der er ungestört durchschlafen konnte.

Es ließen sich eine Menge Gründe dafür aufzählen: die ihm immer noch ein wenig fremde Umgebung, die Tatsache, daß er allein schlief, grundsätzlich die Scheidung von Jennifer, die am nächsten Tag beginnende Tournee genügend Anlässe dafür, daß ein Mann unter Schlafstörungen litt.

Dennoch war David überzeugt, daß seine Träume eine ganz andere Ursache hatten. Immer wieder schreckte er nachts auf, gepackt von Entsetzen und im Würgegriff einer diffusen, dennoch aber nahezu unbändigen Angst, die aus seinem Traum stammte, ohne daß er sich an Einzelheiten erinnerte. Er wußte nicht einmal, ob es stets derselbe Traum war. Woran er sich erinnerte, das war lediglich das düstere rote Licht, alles andere entfiel ihm augenblicklich im Moment des Erwachens.

David beugte sich zur Seite und knipste die Lampe auf dem Nachttisch an. Ihr Schein vertrieb die Schatten und die Dunkelheit aus den Ecken und tauchte das Zimmer in sanftes Licht.

Da er aus leidvoller Erfahrung wußte, daß er so schnell ohnehin keinen Schlaf mehr finden würde, stand er auf. Im Badezimmer schöpfte er sich einige Hände voll kaltem Wasser ins Gesicht, dann ging er in die Küche, nahm eine Flasche Bier aus dem Kühlschrank und öffnete sie. Erst als er sie mit einigen Schlucken zu einem guten Drittel geleert hatte, setzte er sie ab, ließ sich auf einen Stuhl sinken und zündete sich eine Zigarette an.

Es war kurz nach eins, vier Stunden hatte er immerhin geschlafen. Gerade aufgrund der Träume hatte es sich David angewöhnt, in letzter Zeit früh ins Bett zu gehen. Er hoffte, daß er spätestens nach einer weiteren Flasche Bier wieder so müde sein würde, daß er weiterschlafen konnte.

Es war eine Methode, die meistens half, obwohl er natürlich wußte, daß es auf Dauer so nicht weitergehen konnte. Morgens fühlte er sich oft zerschlagen und nicht richtig ausgeruht. Er trank und rauchte zuviel, weshalb er tagsüber oft gereizt war.

Irgend etwas mußte geschehen.

David hatte schon mehrfach mit dem Gedanken gespielt, einen Psychiater aufzusuchen, sich bislang jedoch nicht dazu durchringen können. Träume waren lebenswichtig; sie halfen den Menschen, mit Erlebtem fertig zu werden, das war in der Psychologie schon seit langem bekannt.

Alles, was das Bewußtsein nicht sofort verarbeiten konnte, wurde in einer Art Filter aufgefangen. Im Traum war das Unterbewußtsein dann in der Lage, diesen Filter zu leeren und alles, was sich darin angesammelt hatte, in verfremdeter, oftmals surrealer Form zu verarbeiten.

Die Traumdeutung hatte in den vergangenen Jahrzehnten bedeutende Fortschritte gemacht, und wenn es auch noch nicht gelungen war, die Entstehung und den Ablauf von Träumen vollständig zu erklären, so konnte man doch viele immer wieder auftauchende Symbole wie eine Art Code entschlüsseln.

Dennoch war David vor einem Besuch bei einem Psychiater bislang stets zurückgeschreckt. Tief in ihm war immer noch der unsinnige Glaube verankert, daß nur Verrückte einen Seelenklempner brauchten.

Sein gegenwärtiger Zustand bot jedenfalls alles andere als ideale Voraussetzungen, um seine neue Show am nächsten Tag erstmals vor Publikum zu präsentieren. Er fragte sich, wie er unter den gegebenen Umständen überhaupt die aufreibende, wochenlange Tournee quer durch Amerika durchhalten sollte. Am liebsten hätte er sie kurzerhand abgesagt, doch er wußte, daß er das nicht so ohne weiteres konnte.

Es war verrückt von ihm gewesen, sich überhaupt erst darauf einzulassen. Nachdem sein letzter Auftritt in Las Vegas beinahe in einer Katastrophe geendet hatte, hatte sich David geschworen, niemals wieder aufzutreten.

Fast ein Jahr lag das nun zurück. Er hatte damals nicht schlecht verdient, und er hatte gut von dem ersparten Geld leben können. Ohne die Scheidung hätte es auch noch wesentlich länger gereicht, dabei hatte er trotz allem noch Glück gehabt.

Er hatte sich nach dreijähriger Ehe einfach mit Jennifer auseinandergelebt. Ihre Liebe war erloschen, und sie hatten festgestellt, daß sie nicht richtig zueinander paßten, ohne daß einen von ihnen eine konkrete Schuld traf. Aus diesem Grunde hatten sie sich ohne Streit getrennt.

Sie waren nach wie vor Freunde, und auch wegen des Geldes hatte es keine Auseinandersetzungen gegeben. Jennifer hatte sich mit dem Haus und einer gewiß nicht übertriebenen monatlichen Unterhaltszahlung zufriedengegeben.

Mit etwas bösartigem Willen hingegen hätte sie ihn ausnehmen können wie eine Weihnachtsgans. Sie waren beide zum Zeitpunkt der Heirat nahezu mittellos gewesen. Alles, was er seither verdient hatte, bildete ihrer beider Vermögen. Insofern war Jennifer wirklich großzügig gewesen, sich mit einem knappen Drittel zufriedenzugeben.

Das änderte jedoch nichts daran, daß David von dem restlichen Geld allein nicht leben konnte. Nur die Zinsen reichten für seinen Lebensunterhalt längst nicht mehr aus, sein Vermögen wäre also bald aufgebraucht. Ihm blieb nichts anderes übrig, als wieder zu arbeiten, und er beherrschte nichts anderes als die Zauberei. Die dafür aber fast schon zu gut …

Er verdrängte den Gedanken.

Nur wenige andere Varietekünstler, die nicht zu den ganz großen Stars gehörten, konnten es sich erlauben, für ein ganzes Jahr in der Versenkung zu verschwinden, ohne daß ihre Popularität darunter litt. David Spencer hingegen war jetzt beinahe berühmter als damals. Seine Auftritte in Las Vegas, vor allem sein letzter, hatten ihn aufgrund von Mundpropaganda und wohlmeinenden Presseartikeln fast schon zu einer Legende gemacht, wenn er seinem Agenten Michael Gardner glauben durfte.

Gardner hatte ihn fast das ganze Jahr über bedrängt, endlich wieder aufzutreten, und als David im vorigen Monat endlich nachgegeben hatte, hatte Gardner alles für ihn organisiert. Alles deutete darauf hin, daß es ein triumphales Comeback werden würde.

Er würde nicht wieder Abend für Abend fest irgendwo auftreten, sondern mit seinem eigenen Programm eine Tournee durch verschiedene Städte machen. Diese Tour würde ihm mehr als eine halbe Million Dollar einbringen und ihn damit zu einem äußerst gut bezahlten Künstler seines Faches machen.

Trotz aller Bedenken hatte David das Angebot einfach nicht ausschlagen können, obwohl ihm gar nicht gefiel, daß die Tournee ausgerechnet genau dort beginnen würde, wo seine Karriere vor einem Jahr beinahe geendet hätte: im Flamingo-Casino in Las Vegas.

Er trank den letzten Schluck Bier und stand auf, um sich eine neue Flasche zu holen. Das Klingeln des Telefons ließ ihn jedoch auf halbem Weg zum Kühlschrank verharren.

Zum Teufel, wer konnte um diese Zeit etwas von ihm wollen?

David ging ins Wohnzimmer hinüber, nahm den Hörer ab und meldete sich.

»Hier ist Jennifer«, vernahm er die Stimme seiner Ex-Frau aus dem Hörer. »Ich hoffe, ich habe dich nicht geweckt?«

»Keine Sorge, ich war wach«, antwortete David. Abgesehen davon, daß bereits die Zeit ihres Anrufs auf einen besonderen Anlaß hinwies, erkannte er an ihrer Stimme sofort, daß etwas nicht stimmte. »Was ist los?«

»Ich … ich weiß nicht recht, wie ich es sagen soll«, erklärte sie zögernd. »Ich wurde wach, weil ich irgend etwas gehört habe. Ich weiß nicht, was es war, aber als ich aus dem Fenster sah … Ich glaube, da war etwas im Garten.«

»Ein Einbrecher?«

»Möglich. Ich habe eine ganze Weile im Dunkeln hinausgesehen, aber nichts mehr entdeckt.«

»Das Grundstück ist durch eine Alarmanlage gesichert«, erinnerte er. »Wenn du sie eingeschaltet hast, kann niemand unbemerkt eindringen.«

»Sie ist eingeschaltet, und trotzdem … ich bin mir fast sicher, daß ich etwas gesehen habe.«

»Dann solltest du die Polizei anrufen.«

»Eigentlich schon.« Sie machte eine Pause. »Aber ich möchte keinen Aufruhr veranstalten. Du weißt ja, wie das ist, wenn mitten in der Nacht irgendwo Streifenwagen vorgefahren kommen, womöglich noch mit Blaulicht und Sirene, und dann entpuppt sich alles doch als ein Irrtum. Könntest du … ich meine, wenn es dir nicht allzuviel ausmacht … würdest du vielleicht kurz rüberkommen und nachsehen?«

»Sicher. Ich bin gleich da. Unternimm in der Zwischenzeit nichts.«

Er legte auf. Es sprach für sein nach wie vor freundschaftliches Verhältnis zu Jennifer, daß sie ihn angerufen hatte, auch wenn der Anlaß nicht gerade angenehm war.

Beunruhigt kehrte er ins Schlafzimmer zurück und kleidete sich an. Jennifer war eine sehr selbständige Person, die nicht so leicht wegen irgendwelcher Kleinigkeiten aus der Fassung geriet und auch nicht zu übertriebener Besorgnis neigte. Sie war es gewohnt, sich Problemen tatkräftig zu stellen, das bewies sie nicht zuletzt durch ihre erfolgreiche Arbeit in einer Werbeagentur jeden Tag auf’s neue. Wenn sie sich mitten in der Nacht mit der Bitte um Hilfe an ihn wandte, mußte sie wirklich Angst haben.

David machte sich auf den Weg.

***

Das Haus lag in einer von Bäumen gesäumten Seitenstraße in einem ruhigen Außenviertel von Los Angeles. David benötigte eine knappe Viertelstunde, um es zu erreichen. Schmerzhafte Erinnerungen wurden in ihm wach, als er seinen Wagen in die Auffahrt rollen ließ und den Motor abstellte.

Er hatte die Trennung von Jennifer noch längst nicht überwunden. Sicher, sie hatten sich auseinandergelebt, und da die letzten Monate ihrer Ehe nur noch von Streitereien über alle möglichen Kleinigkeiten geprägt gewesen waren, hatten sie beide einer Trennung zugestimmt. Das bedeutete jedoch nicht, daß er keine Gefühle mehr für sie empfand, und immerhin war dies das Haus, in dem sie mehrere Jahre lang glücklich zusammengelebt hatten.

David verdrängte die quälenden Gedanken, stieg aus und ging auf das Haus zu. Es handelte sich um ein zweistöckiges Gebäude aus roten Backsteinen mit einem weit vorgezogenen Dach. Nirgendwo brannte Licht. Noch bevor er auf die Klingel unter dem Namensschildchen Spencer drücken konnte, wurde die Tür bereits geöffnet. Jennifer mußte direkt hinter dem Eingang auf ihn gewartet haben.

Sie trug kein Make-up, und ihre langen blonden Haare waren nur flüchtig frisiert; anscheinend hatte sie schon im Bett gelegen. Darauf deutete auch der weite Pullover hin, den sie zusammen mit einer Jeans übergestreift hatte. Unter dem Kragen ragte noch ein Stück ihres Nachthemdes hervor.

»Danke, daß du so schnell gekommen bist«, stieß sie hervor. Sie lächelte ihn an, doch er erkannte auch die Angst in ihren blauen Augen.

»Hast du noch etwas gesehen?« fragte er. Für Konversation blieb ihnen später noch Zeit.

»Ich … glaube«, erwiderte Jennifer. »Es ist so dunkel, aber da waren … Bewegungen im Garten. Ich bin mir nicht sicher.«

»Warum hast du nicht draußen das Licht angemacht?«

»Es funktioniert nicht.«

»Beide Gartenlampen?«

»Ich habe es ein paarmal versucht.«

David sah, wie verstört sie war, und drang nicht weiter in sie. Er trat an den Wandschrank in der Diele und holte eine Taschenlampe sowie einen großen Schraubenschlüssel aus dem Werkzeugkasten. Es war keine besonders gute Waffe, aber besser als gar nichts.

Sie traten ins Wohnzimmer, das durch eine große, verschiebbare Glaswand vom Garten getrennt war. Auch David verzichtete darauf, Licht im Zimmer einzuschalten. Für einen eventuellen Einbrecher wäre er dann gut sichtbar gewesen, hätte umgekehrt aber erst recht nichts sehen können. Wenn es sich um einen Einbrecher handelte, war es ohnehin seltsam, daß dieser sich schon so lange im Garten herumtrieb, ohne zu versuchen, ins Haus einzudringen.

Er überprüfte die Alarmanlage. Das Kontrollämpchen brannte, die Anlage war eingeschaltet. Eigentlich war es dadurch so gut wie unmöglich, daß jemand ungestört in den Garten hatte gelangen können. Entlang der Mauer, die das ganze Grundstück umgab, verliefen Drähte, die auf Berührung reagierten. Wer immer die Mauer zu übersteigen versuchte, mußte einen der Drähte berühren.

Fast eine Minute lang starrte David in die Dunkelheit hinaus, ohne etwas entdecken zu können.

»Ich gehe mal raus und sehe mich um«, sagte er. »Du machst die Tür hinter mir sofort wieder zu. Sollte mir etwas passieren, rufst du sofort die Polizei, hast du verstanden?«

Jennifer nickte stumm.

David schob die Glaswand ein Stückchen auf, huschte auf die Terrasse hinaus und wartete, bis Jennifer die Öffnung hinter ihm wieder geschlossen hatte. Er lauschte. Abgesehen vom gedämpften Geräusch eines in der Ferne vorbeifahrenden Wagen war es totenstill. Der Mond verbarg sich hinter dichten Wolken, und es war so dunkel, daß David kaum die Hand vor Augen sehen konnte. Er packte den Schraubenschlüssel fester und trat einige Schritte vor.

Ein leises Geräusch ließ ihn gleich darauf innehalten, ein Rascheln in einem der Büsche, die in breiter Reihe den Rand des Gartens säumten.

David Spencer schaltete die Taschenlampe ein. Das Birnchen glomm auf, malte einen matten Lichtkreis auf den Rasen unmittelbar vor seinen Füßen und verlosch wenige Sekunden später wieder. Nur mit Mühe unterdrückte David einen Fluch. Er hatte völlig vergessen, sich davon zu überzeugen, daß die Batterien noch frisch waren. Für einen Moment spielt er mit dem Gedanken, zurückzugehen und sich neue zu holen, entschied sich aber dagegen. Wenn sich jemand im Garten aufhielt, hatte dieser ihn längst bemerkt.

Und daß er nicht allein war, daran gab es für ihn keinen Zweifel mehr. Deutlich konnte David die Anwesenheit einer anderen Person spüren.

Er wußte schon seit langem, daß er Kräfte besaß, die über die anderer Menschen hinausgingen, was letztlich auch der Grund für seine Entscheidung gewesen war, Zauberer zu werden. Vieles von dem, was er auf der Bühne als Show aufführte, war nichts anderes als mehr oder weniger einfache Gauklertricks, wie sie auch die meisten seiner Kollegen beherrschten.

Das galt jedoch nur für einen Teil der Show. Andere Kunststücke beruhten auf Suggestion. Es war nicht leicht, eine größere Menschenmenge so in Bann zu schlagen, daß man ihr etwas vorgaukeln konnte, doch mit Konzentration war es machbar. Zumindest ihm gelang es, wenn er sich anstrengte.

Das eigentliche Geheimnis seines Erfolges aber, die Kunststücke, die auch die schärfsten Kritiker und neidischsten Kollegen bislang nicht hatten durchschauen können, beruhten nicht auf Tricks. David wußte selbst nicht genau, wie er einige der Kunststücke vollbrachte. Tief in seinem Inneren spürte er Kräfte, die er anzapfen und für sich nutzen konnte, doch waren ihm diese Kräfte stets fremd und unheimlich geblieben. Er hatte nie mit jemandem darüber gesprochen, nicht einmal mit Jennifer.

Jetzt aber halfen diese Kräfte ihm, den fremden Eindringling aufzuspüren, und sie waren auch der Grund, weshalb er so gut wie keine Angst verspürte. Der Schraubenschlüssel war im Grunde unnötig. Er war nicht auf physische Gewalt angewiesen, um sich seiner Haut zu wehren.

»Ich weiß, daß Sie da sind!« rief er. »Kommen Sie heraus. Es hat keinen Sinn, sich weiter zu verstecken.«

Er bekam keine Antwort.

»Wenn es Ihnen lieber ist, können wir freilich auch warten, bis die Polizei eintrifft«, fuhr David fort und bewegte sich dabei zielsicher auf die Stelle zu, an der er den Eindringling wußte. Ein Beet mit einer Gruppe aus mehreren gut mannshohen Rhododendron-Büschen ragte dort wie eine Zunge in die Rasenfläche hinein, der ideale Ort für ein Versteck.

David schlich darauf zu. Seine größte Befürchtung war, daß der unbekannte Eindringling eine Schußwaffe bei sich haben könnte. Gegen eine aus dem Dunkel abgefeuerte Pistolenkugel nutzten ihm auch Zaubertricks nichts. Er umrundete die Buschgruppe geduckt und in weitem Abstand. Die Dunkelheit kam ihm jetzt zugute. Sein Gegner konnte ebenso schlecht sehen wie er selbst auch. Von hinten näherte sich David den Büschen.

Etwas an der Ausstrahlung des Fremden irritierte ihn. Sie war seltsam, fremdartig. Er konnte sie bei weitem nicht so deutlich spüren, wie es sonst der Fall war; sie blieb nebelhaft und diffus. Er schob es auf seine Nervosität, die es ihm erschwerte, sich zu konzentrieren. Vielleicht fürchtete sich der Unbekannte auch so sehr, daß die Angst seine Emotionen zu stark beeinflußte.

David erreichte den vordersten der Büsche und konzentrierte sich. Tief in ihm erwachte etwas, eine Kraft, die er schon lange nicht mehr geweckt hatte, nicht einmal bei den Proben für seine neue Show.

Etwas wie eine zuckende, bläuliche Linie, die an Elektrizität erinnerte, kroch aus seinen Fingerspitzen über das Blatt, verteilte sich über den Zweig und breitete sich immer weiter aus, bis sie den ganzen Busch einhüllte und auf den nächsten übersprang. Es war eine Art von Energie, die David zwar erzeugen konnte, ohne daß er jedoch wußte, um was es sich in Wahrheit eigentlich handelte.

Die Berührung damit war für einen Menschen ungefährlich, jedoch ungefähr so unangenehm wie ein leichter Stromschlag, etwa von einem Elektrozaun um eine Weide, nur sehr viel stärker. Um einen Einbrecher zur Aufgabe zu zwingen, dürfte das Phänomen ausreichen.

Wie sehr er sich täuschte, bekam David gleich darauf zu spüren. Alles ging so schnell, daß er selbst nicht richtig begriff, was geschah. Der Energiefluß kam so plötzlich zum Stocken, als hätte jemand einen Schalter umgelegt, mehr noch, als hätte etwas die Energie umgepolt.

Um ein Vielfaches verstärkt, wurde sie gegen David zurückgeschleudert. Ein sengend heißer Blitz schien seine Fingerspitzen zu treffen, raste seinen Arm hinauf und explodierte in seinem Kopf. David spürte, wie er zurückgeschleudert wurde, und stieß einen schrillen Schmerzensschrei aus.

Etwas Großes, Dunkles brach aus den Büschen hervor und stürzte sich auf ihn. Mit letzter Kraft wälzte er sich zur Seite. Jeder Nerv seines Körpers schien in Flammen zu stehen, jede Bewegung fiel ihm schwer. Alles verschwamm vor seinen Augen, so daß er kaum etwas sehen konnte.

Der Fremde beugte sich über ihn. David konnte weder sein Gesicht, noch seinen übrigen Körper richtig erkennen, doch auf keinen Fall handelte es sich um einen Menschen. Die dunkle Gestalt war größer und viel gedrungener. Er hätte es schon zuvor an der fremdartigen Ausstrahlung des Unheimlichen merken müssen, statt diese Merkwürdigkeit zu verdrängen, doch er war erst gar nicht auf den Gedanken gekommen.

Jetzt war es zu spät.

David stöhnte benommen auf, als er spürte, wie der Schatten ihn an den Schläfen berührte. Die Hände der Gestalt schienen durch seine Schädeldecke hindurch direkt in sein Gehirn einzudringen. Er spürte ihre Berührung wie einen glühenden Draht, der sich tiefer und tiefer in sein Bewußtsein brannte. Der Schmerz war so stark, daß er nicht einmal schreien konnte.

Irgendwo in seinem Inneren erwachte etwas. Grelle Hitze loderte in seinem Kopf und zerbrach alle Mauern, die er in seinem Geist errichtet hatte. Unbändige Energie erfüllte ihn. Ein seit langem verdrängtes Wissen, das er sorgsam in einen abgelegenen Winkel seines Denkens verbannt hatte, brach wie eine Flutwelle über ihn herein, zu schnell und zu mächtig, als daß er alle Informationen auf einmal hätte verarbeiten können.

Sie hatten ihn gefunden, war der einzige Gedanke, zu dem er noch imstande war. Nach so vielen Jahren der Suche hatten ihn die Jäger nun letztendlich doch noch aufgespürt.

Im nächsten Moment explodierte die Hitze in seinem Kopf, wurde mit vernichtender Macht auf den Schatten vor ihm geschleudert. Das letzte, was David Spencer hörte, war ein fürchterliches Knistern und der verzerrte Todesschrei des fremden Wesens, dann verlor er das Bewußtsein.

***

Der Schmerz wütete immer noch mit unverminderter Stärke in seinem Kopf, als David wieder aus der Ohnmacht erwachte. Irgend jemand redete auf ihn ein. Die Stimme schien aus weiter Ferne zu kommen, und er verstand nicht, was sie sagte, aber jedes Wort tat in seinen Ohren weh. Er stöhnte. Mühsam hob er die Hand und preßte sie auf seine Stirn. Für einen Augenblick ließ der Schmerz etwas nach.

Davids Gedanken wirbelten wild durcheinander. Er versuchte sich zu erinnern, was geschehen war, doch es gelang ihm nicht. Mit einem Ruck öffnete er die Augen. Sofort wurde der Schmerz wieder heftiger, und für einige Sekunden sah er nur verschwommene Umrisse um sich herum, dann klärte sich sein Blick allmählich.

Er lag im Garten von Jennifers Haus, und seine Ex-Frau kniete neben ihm. Er konnte sie gut erkennen, weil der Garten von den beiden kugelförmigen Lampen beleuchtet wurde. Vorhin hatten sie nicht gebrannt. Der Anblick brachte einen Teil seiner Erinnerungen zurück. Er erinnerte sich wieder daran, daß ihn Jennifer angerufen hatte, er zu ihr gefahren und in den Garten hinausgegangen war, weil sie glaubte, ein Einbrecher hätte sich auf das Grundstück geschlichen.

»Wie fühlst du dich?« fragte Jennifer besorgt.

»Als wäre ich … in eine Schrottpresse geraten«, krächzte David. Das Sprechen fiel ihm schwer, aber wenigstens ebbte der Schmerz nun immer rascher ab. Er stemmte sich auf die Ellbogen hoch und blickte sich um. »Was ist passiert?«

»Genau das wollte ich dich fragen. Du bist rausgegangen, dann flackerte hinter den Büschen plötzlich ein seltsames Licht auf, und kurz darauf gingen die Lampen wieder an. Da sah ich dich hier liegen.«

»Es … war wirklich jemand hier«, stieß David hervor. Verzweifelt versuchte er, sich an Einzelheiten zu erinnern, doch ohne Erfolg. »Er muß mich … niedergeschlagen haben und dann geflohen sein.« Er streckte Jennifer die Hand entgegen. »Hilf mir aufzustehen.«

Sie mußte ihm nicht nur beim Aufstehen helfen, sondern auch dabei, ins Haus hinüberzugehen. Im Wohnzimmer ließ er sich schwer in einen Sessel fallen. Jennifer verschwand in der Küche und kam gleich darauf mit einem nassen Tuch zurück, das sie ihm auf die Stirn legte. Er lächelte dankbar. Die Kälte vertrieb auch den Rest seiner Kopfschmerzen.

»Hast du die Polizei angerufen?«

Sie schüttelte den Kopf.

»Als ich dich reglos im Garten liegen sah, bin ich direkt hinausgelaufen. Ich weiß, das war dumm, aber ich konnte nicht anders. Anscheinend ist der Einbrecher wirklich geflohen.«

»Auf jeden Fall war jemand da. Ich frage mich, wie er die Alarmanlage überwinden konnte.«

»Vielleicht irgendein technischer Defekt«, vermutete Jennifer. »Auch das Licht ging ja von allein wieder an. Ich werde nachher jemanden kommen lassen, der die Elektroinstallationen überprüft. Wie geht es deinem Kopf?«

»Schon besser«, erwiderte David. »Viel besser.« Er tastete seinen Kopf ab, konnte aber nirgendwo eine Schwellung füllen. »Vielleicht solltest du doch die Polizei verständigen«, schlug er vor. Immer noch konnte er sich nur daran erinnern, wie er durch den Garten geschlichen war, und an den plötzlichen Schmerz, danach mußte er blitzartig das Bewußtsein verloren haben. »Es könnte sein, daß der Kerl es noch einmal versucht.«

»Glaube ich nicht.« Jennifer schnitt eine Grimasse. »Einbrecher sind meistens feige. Der wird froh gewesen sein, daß er mit heiler Haut davongekommen ist. Du weißt doch, wie das mit der Polizei ist. Man wird mich aufs Revier bitten und ein Protokoll aufnehmen, das dann in irgendeinem Aktenschrank verschimmelt.«

»Gerade das macht mir Sorgen«, erklärte David. »Morgen – genauer gesagt, heute«, verbesserte er sich mit einem Blick auf die Uhr, »beginnt meine Tournee. Ich werde den ganzen nächsten Monat nicht mehr in L. A. sein, falls es der Typ doch noch einmal versuchen sollte.«

»Ich komme schon zurecht«, entgegnete Jennifer. »Und noch mal vielen Dank, daß du so schnell gekommen bist. Möchtest du etwas trinken?«

David zögerte.

»Es ist schon spät«, sagte er. »Du bist sicher müde. Ich sollte besser wieder fahren.«

»Ach was.« Jennifer lächelte. »Nach dem Schreck kann ich sowieso nicht gleich wieder einschlafen. Wie wäre es mit einem Kaffee?«

»Klingt verlockend, aber dann mache ich mit Sicherheit in dieser Nacht kein Auge mehr zu. Lieber ein Glas Saft.«

Er nahm das feuchte Tuch von der Stirn und gab es ihr. Jennifer ging in die Küche und kehrte gleich darauf mit zwei Gläsern Orangensaft zurück. Einige Minuten lang saßen sie sich schweigend gegenüber, und David merkte, daß es ein Fehler war, noch zu bleiben.

Er empfand noch immer starke Gefühle für Jennifer, zumindest ein bißchen war er auch jetzt noch in sie verliebt, und das würde sich wohl auch nie ändern. Allerdings wußte er auch genau, daß jeder Versuch, ihre Beziehung neu aufleben zu lassen, wiederum scheitern würde. Sie waren einfach zu verschieden -oder waren sie sich statt dessen in Wahrheit zu ähnlich? –, um miteinander leben zu können. Mehr als Freunde würden sie nie sein können, auch wenn das so kurz nach der Trennung noch schmerzte.

Um sich abzulenken, versuchte sich David noch einmal zu erinnern, was genau im Garten geschehen war, doch es gelang ihm nicht. Man hatte ihn nicht einfach nur niedergeschlagen. Es war noch etwas anderes passiert, und die Erinnerung daran war irgendwo in seinem Gedächtnis verborgen, doch sobald er danach zu greifen versuchte, stieß er an eine Mauer, die er nicht zu durchdringen vermochte. Das machte ihm Sorgen.

Er trank sein Glas aus und stand auf.

»Ich werde mal wieder fahren«, sagte er. »Heute ist ein wichtiger Tag für mich, und ich brauche noch ein paar Stunden Schlaf.«

»Ich wünsche dir allen Erfolg für die Tournee.«

»Wird schon schiefgehen. Vergiß nicht, die Alarmanlage überprüfen zu lassen. Und solltest du doch noch einmal Schwierigkeiten haben, dann ruf die Polizei an. Besser, sie kommen einmal zuviel, als einmal zuwenig.«

»Werde ich machen. Und noch einmal Danke.« Jennifer begleitete ihn zur Tür. »Warte mal, du bist hinten schmutzig«, stellte sie im Flur fest. Sie strich über seinen Pullover. »Das ist Asche«, murmelte sie mit einem Blick auf ihre Fingerspitzen. »Und ziemlich viel. Hast du eine Ahnung, woher die kommt?«

***

Versonnen betrachtete Rachel Jefferson das Foto. Es gehörte zu dem Artikel, den sie damals über David Spencer geschrieben hatte, doch leider war der Magier darauf nicht besonders gut zu erkennen. Das Bild war nur grob gerastert, und auf dem billigen, gräulichen Zeitungspapier kamen Fotos ohnehin kaum zur Geltung. Rachel jedoch war es egal.

Sie lehnte sich in ihrem Sitz zurück und schloß die Augen. Noch etwa eine Stunde, dann würde die in New York gestartete Maschine in Las Vegas landen. Der bloße Gedanke daran, daß sie Spencer noch an diesem Abend wiedersehen würde, ließ Rachel vor Aufregung ganz kribbelig werden.

Sie sehnte sich danach, eine Zigarette zu rauchen, um sich etwas zu beruhigen, doch gemäß den FAA-Richtlinien war wie bei allen inneramerikanischen Flügen das Rauchen an Bord untersagt. Rachel hatte nicht gerade Angst vor dem Fliegen, doch sie tat es auch nicht besonders gerne, und schon deshalb hätte sie dringend eine Zigarette gebraucht.

Sie wäre sogar bereit gewesen, heimlich auf der Toilette zu rauchen, aber wegen des dort angebrachten Rauchdetektors war nicht einmal das möglich. Wahrscheinlich handelte es sich um pure Schikane, denn wie hätte in einem winzigen Raum, in dem es nichts gab außer einer Kloschüssel und einem Waschbecken aus Aluminium, ein Feuer ausbrechen können?

Da sie nicht rauchen durfte, versuchte sie sich durch autosuggestives Training zu beruhigen. Es fiel ihr schwer, geistig abzuschalten, da unmittelbar in der Reihe vor ihr eine Familie mit einem Kind saß, das allein so viel Lärm und Unruhe wie ein ganzer Kindergarten verbreitete.

Ihre Gedanken irrten wieder zu Spencer. Sie hatte ihn seit seinem letzten Auftritt nicht mehr gesehen, doch ihre Gedanken waren während des vergangenen Jahres immer wieder zu ihm geirrt. Ihr Artikel war ziemlich positiv ausgefallen, doch statt den Magier bald darauf wie erwartet zu vergessen, hatte sie immer wieder an ihn denken müssen. Sie begriff bis heute nicht, wieso er eine so starke Wirkung auf sie ausgeübt hatte. Vielleicht lag es an dem Mysterium, das seinen letzten Auftritt immer noch umgab.

Nachdem er sich lange aus der Öffentlichkeit zurückgezogen hatte, begann Spencer nun eine eigene Tournee. Rachel hatte sich in der Redaktion dafür eingesetzt, aus diesem Anlaß eine längere Reportage über ihn zu bringen, und sie hatte den Auftrag bekommen.

Drei Tage lang hatte sie Zeit, um zu versuchen, an Spencer heranzukommen und genügend Material zu sammeln. Es war keine leichte Aufgabe, da er vermutlich noch genauso pressescheu wie im vergangenen Jahr war, doch sie war entschlossen, es zu versuchen.

Die Reportage selbst interessierte sie dabei lediglich am Rande. Mit Sicherheit war es für eine Journalistin keine besonders gute Einstellung, um an einen Auftrag heranzugehen, aber es gab zwei Geheimnisse, die zu entschlüsseln für sie ungleich wichtiger war.

Sie wollte David Spencer wiedersehen, um zu ergründen, wieso sie schon bei dem bloßen Gedanken an ihn weiche Knie bekam.

Vor allem aber wollte sie herausfinden, was vor einem Jahr auf der Bühne wirklich geschehen war.

***

Nervös spähte David Spencer durch einen Spalt zwischen dem Vorhang und dem Bühnenrand in den Zuschauerraum hinaus und ließ seinen Blick über die bereits versammelten Gäste schweifen, als ihm jemand von hinten die Hand auf die Schulter legte.

»Ausverkauft«, vernahm er die Stimme Michael Gardners. »Habe ich es dir nicht prophezeit? Die Tournee wird ein Bombenerfolg.«

David drehte sich um und musterte seinen Agenten ein paar Sekunden lang. Ein sorgfältig gestutzter Bart bedeckte Gardners Wangen, Kinn und Oberlippe, das schwarze Haar trug er im Nacken zu einem Zopf zusammengebunden.

David kannte ihn schon seit mehreren Jahren, und er hatte ihm einen beträchtlichen Teil seiner Karriere zu verdanken. Gardner war privat ein umgänglicher Mensch, geschäftlich jedoch knallhart, was man wohl auch sein mußte, um im Showbusiness Erfolg zu haben. Und den hatte er, obwohl er erst vor zwei Jahren seinen dreißigsten Geburtstag gefeiert hatte. Einer seiner Standardsätze war es, daß er nicht dafür bezahlt wurde, nett zu sein.

»Sieht ganz so aus«, gab David zurück. »Aber wie ich gehört habe, sind für die Vorstellung in Denver morgen noch fünf Karten übrig.« Er grinste. »Wofür bezahle ich dich eigentlich, wenn du nicht einmal für volle Hallen sorgen kannst?«

»Dafür, daß du die Hallen überhaupt bekommst und nicht in irgendwelchen billigen Spelunken auftreten mußt«, konterte Gardner, wurde aber sofort darauf wieder ernst. Gerade für die Show in Las Vegas waren sämtliche Karten binnen weniger Stunden verkauft gewesen, auf dem Schwarzmarkt hatte man sie für mehrere hundert Dollar gehandelt. »Was ist heute los mit dir? Lampenfieber? Du siehst aus, als hättest du letzte Nacht keine Auge zubekommen.«

»Na ja, zuviel habe ich bestimmt nicht geschlafen«, gestand David. »Jennifer hat gestern noch angerufen. Ein Einbrecher hat versucht, in ihr Haus einzudringen.«

»Und du mußtest natürlich den Retter spielen, statt einfach die Polizei anzurufen.« Gardner schüttelte den Kopf. »Verdammt, David, ihr seid geschieden, sie muß lernen, wieder ein eigenes Leben zu führen; und du mußt mehr an dich selbst denken, wenn es darauf ankommt. Wann wirst du es endlich lernen, Prioritäten richtig zu setzen?«

David zuckte mit den Schultern. Es hatte keinen Sinn, mit Michael Gardner darüber zu streiten. Stärker als jeder andere Mensch, den er kannte, trennte Gardner Beruf und Privatleben, wobei er ersterem stets den Vorrang einräumte. Drei gescheiterte Ehen innerhalb von nur zehn Jahren belegten dies auf traurige Art.

Außerdem war es nicht die Müdigkeit, die David zu schaffen machte.. Nach seiner Rückkehr von Jennifer hatte er sich wieder hingelegt und noch einmal mehrere Stunden geschlafen. Vielleicht litt er tatsächlich einfach an Lampenfieber, aber er wußte, daß dies nicht der einzige Grund für seine innere Unruhe war.

Noch einmal sah er in den Zuschauerraum hinaus, der sich inzwischen weitgehend gefüllt hatte. Er ertappte sich dabei, daß er ein bestimmtes Gesicht unter den Gästen suchte.

Es war verrückt, darauf zu hoffen, daß die Journalistin auch diesmal wieder anwesend sein würde, die ihm bei seiner Abschlußnummer im vergangenen Jahr assistiert hatte, aber sie war ihm seither nicht aus dem Kopf gegangen. Ihr Artikel war überaus positiv ausgefallen, und vermutlich hatten gerade ihre Zeilen beträchtlich zu der Publicity beigetragen, von der er bei seinem Comeback jetzt zehrte.

Obwohl mehr als ein ganzes Jahr vergangen war, hatte er ihr Gesicht noch deutlich vor Augen. Häufig hatte er in den letzten Monaten an sie denken müssen, vor allem seit seiner Trennung von Jennifer.

Rachel Jefferson war eine attraktive Frau, doch das war es nicht allein, weshalb er sich von ihr angezogen gefühlt hatte. Sie war ihm schon aufgefallen, lange bevor er nach einer Assistentin für seine Hauptnummer gesucht hatte, so daß seine Wahl fast zwangsläufig auf sie gefallen war.

Irgend etwas war von ihr ausgegangen, das ihn vom ersten Moment an fasziniert hatte, so stark, daß es ihn ein paarmal sogar fast von seiner Show abgelenkt hatte. Als sie ihm sagte, daß sie Journalistin wäre, hatte ihn dies etwas ernüchtert, zumal sie nur an einem Interview interessiert gewesen zu sein schien, dennoch hatte er sie nicht vergessen.

Ihm war bewußt, daß sie an diesem Abend nicht wieder hiersein würde. Sie schrieb für eine Zeitung in New York, fast dreitausend Meilen entfernt, und wahrscheinlich erinnerte sie sich kaum noch an den Artikel, den sie über ihn …

In diesem Moment betrat sie den Zuschauersaal.

David spürte es, noch bevor er sie sah. Auch jetzt ging irgend etwas wie in unsichtbaren Wellen von ihr aus, auf das er sofort reagierte. Es war, als würde er Nadelstiche in seine Brust bekommen, und er zuckte zusammen.

Er ließ seinen Blick zur Tür wandern, durch die sie gerade den Saal betrat, und entdeckte sie sofort. Das kupferrote Haar trug sie noch etwas länger als im Vorjahr, in sanften Wellen fiel es weit über ihren Rücken. Ihr von den hoch angesetzten Wangenknochen dominiertes Gesicht verriet sowohl Anmut wie auch Durchsetzungsvermögen und eine starke Persönlichkeit.

»He, was ist mit dir los?« riß ihn Gardners Stimme aus seinen Grübeleien. »In ein paar Minuten geht es los, alle warten bereits ungeduldig auf dich, um ein paar letzte Feinheiten abzuklären.«

David nickte. Er bemühte sich, alle Gedanken an Rachel Jefferson zu verdrängen, als er zu den anderen trat. Während der nächsten Minuten mußte er sich so auf einige Absprachen für die bevorstehende Show konzentrieren, daß er gar nicht mehr dazu kam, an die Journalistin zu denken.

Schließlich hob sich der Vorhang. David verneigte sich und nahm den Anfangsapplaus des Publikums dankend entgegen. Ihm fiel auf, daß die Jefferson an einem Tisch nicht besonders weit von der Bühne entfernt saß, doch auch jetzt zwang er sich, möglichst nicht zu ihr hinüberzusehen, um sich nicht ablenken zu lassen.

Er beherrschte jeden Handgriff im Schlaf, dennoch war höchste Konzentration nötig. Viele Zaubertricks beruhten nur darauf, daß man das Publikum für Sekundenbruchteile ablenkte und die nötigen Handgriffe dann so blitzschnell ausführte, daß das Auge den Bewegungen kaum zu folgen vermochte.

Viele Kunststücke hatte David aus dem früheren Programm übernommen und präsentierte sie lediglich etwas anders. Freilich aber gab es auch eine Menge neuer Tricks. Die meisten davon beruhten nur auf Schnelligkeit, sorgsam ausjustierten Spiegeln oder technischen Hilfsmitteln, allerdings nicht alle. Nicht umsonst legte David so viel Wert auf Geheimhaltung, so daß selbst seine engsten Mitarbeiter jeweils nur einige wenige Tricks kannten. Mochten sie sich die Köpfe darüber zerbrechen, wie er die anderen bewerkstelligte.

Zum Teil wußte es David selbst nicht, und er hütete sich davor, allzu intensiv darüber nachzudenken. Er beherrschte einfach die Gabe, Gegenstände beispielsweise mit purer Gedankenkraft zu bewegen, wenn er sich darauf konzentrierte, oder sie geringfügig zu verformen.

Vielleicht geschah es nicht einmal wirklich und seine Kräfte bestanden in Wahrheit nur aus bloßer Suggestion, die allerdings so stark war, daß auch er selbst betroffen war und dann nicht mehr zwischen Schein und Sein unterscheiden konnte.

Er war dankbar, daß er diese Kräfte besaß, aber sie waren ihm auch unheimlich. Er trainierte sie, schreckte jedoch davor zurück, sie näher zu erforschen. Die pure Angst vor dem, worauf er dabei möglicherweise stoßen würde, hielt ihn zurück. Sie war stärker als seine Neugier.

Fast zwei Stunden lang dauerte sein Programm, ehe er zum eigentlichen Höhepunkt der Show kam. Es war der Teil, vor dem er sich am meisten fürchtete, weil er hier mit Kräften arbeitete, die auch ihm selbst fremdartiger als alle anderen waren.

David Spencer hatte lange darüber nachgedacht, ob er eine solche Nummer überhaupt bringen sollte, nachdem sein letzter Auftritt damit im vergangenen Jahr so gründlich schiefgegangen war. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte er die dämonischen Wesen, die er theatralisch heraufbeschwor, für bloße Illusion gehalten, die er nach Belieben erschaffen und wieder verschwinden lassen konnte.

Beim letzten Auftritt hatte sich diese Illusion jedoch aus ihm bis heute unbekannten Gründen verselbständigt und ihn angegriffen, und er hatte erkennen müssen, daß sie keineswegs so immateriell wie geglaubt gewesen war. Die Verletzungen, die sie ihm zugefügt hatte, waren jedenfalls echt gewesen, und es hatte ihn alle Kraft gekostet, das Wesen schließlich zu vernichten.

Leichtfertig hatte er damit nicht nur sein eigenes Leben und das der Journalistin, die ihm assistiert hatte, in Gefahr gebracht, sondern auch das aller anderen Zuschauer. Nicht auszudenken, was hätte passieren können, wenn es ihm nicht gelungen wäre, die Alptraumkreatur wieder verschwinden zu lassen.

Damals war sein Entsetzen so groß gewesen, daß er seine Karriere aufgegeben hatte, und bei seinem notgedrungenen Comeback hatte er diesen Teil der Show auf keinen Fall wiederholen wollen. Alle anderen Beteiligten jedoch, die keine Ahnung hatten, daß es sich hier um mehr als nur einen logisch erklärbaren Trick handelte, hatten ihn bedrängt, auf diesen unvergleichlichen Höhepunkt bloß nicht zu verzichten, und schließlich hatte David nachgegeben.

Die meisten seiner übrigen Darbietungen waren eher konventionell, sie wurden in ähnlicher Form auch von anderen Varietemagiern präsentiert. Diese eine Nummer hingegen, die ihm niemand nachmachen konnte, hob ihn aus der Masse der anderen Künstler heraus. Das hatte das damalige Presseecho gezeigt, und es war gerade dieser Programmpunkt, der die Zuschauer anlockte, weil sich ein Großteil seines Ruhmes darauf begründete.

Im Prinzip handelte es sich um eine Neuauflage der Präsentation vom Vorjahr, lediglich das Dekor hatte er etwas verändert. Statt eines nebeldurchwaberten Moores zeigten die Kulissen nun die Folterkammer in einem altmodischen Schloß.

David zögerte einen Moment und gab das verabredete Zeichen zum Start dieses Programmteiles erst, als sich im Publikum bereits leichte Unruhe ausbreitete. Der Vorhang hinter ihm hob sich und gab den Blick auf die bereits aufgebauten Kulissen frei.

Auch diesmal brauchte er eine Freiwillige aus dem Publikum. Alles in ihm drängte danach, sich erneut für Rachel Jefferson zu entscheiden, doch so sehr es ihm auch widerstrebte, zwang er sich, eine andere Frau zu wählen.

Es war möglich, daß einige Zuschauer seine Show schon vom letzten Jahr her kannten, und obwohl es äußerst unwahrscheinlich war, daß sich einer von ihnen nach so langer Zeit noch an Rachel erinnerte, könnte Verdacht geschöpft werden, wenn er diesen Trick ein zweites Mal mit der gleichen Assistentin vorführte. Es saßen mit Sicherheit wieder professionelle Kritiker im Publikum, die nur auf solche Blößen lauerten, um ihm Scharlatanerie nachzuweisen.

So entschied er sich für eine eher unscheinbare Blondine von einem der vordersten Tische und holte sie zu sich auf die Bühne, wo er sie an der Wand ankettete. Sicherheitshalber ließ er die Metallklammern um ihre Handgelenke so locker, daß sie ihre Hände notfalls auch ohne fremde Hilfe daraus hervorziehen konnte.

Nachdem er sich hatte überreden lassen, diese Nummer doch vorzuführen, hatte David gerade sie in den letzten Monaten wieder und wieder geübt. Um niemanden sonst zu gefährden, hatte er sich sogar eine einsame Blockhütte gemietet, um dort die geflügelten Alptraumkreaturen entstehen und verschwinden zu lassen. Kein einziges Mal hatte es auch nur den geringsten Zwischenfall gegeben, aber bis auf das letzte Mal war ja auch bei seinen früheren Auftritten alles problemlos verlaufen.

Sonderbar war lediglich, daß es ihm nicht gelang, auf das Aussehen der dämonischen Gestalten Einfluß zu nehmen. Er hatte alles versucht, andere Geschöpfe zu erschaffen, doch es war ihm nicht gelungen. Die geflügelten, grünhäutigen Wesen mit den golden glosenden Augen waren die einzigen Kreaturen, die er Gestalt annehmen lassen konnte.

Wieder trug er mit der entsprechenden Bühnentheatralik seine einstudierte Rede über Dämonen und unschuldige Opfer vor, über Häßlichkeit und Schönheit, dann begann er mit der Beschwörung.

Im gleichen Moment, in dem das Geschöpf in einem nicht ausgeleuchteten Winkel der Bühne Gestalt annahm, spürte er bereits, daß erneut etwas nicht so war, wie es sein sollte.

***

Jennifer Spencer schrak unvermittelt hoch.

Sie hatte sich eine Gameshow im Fernsehen angesehen und war dabei eingedöst, und wie so oft nach kurzem, oberflächlichem Schlaf war sie während der ersten Momente nach dem Erwachen beinahe orientierungslos. Der Fernseher lief noch immer, ein Nachrichtensprecher verkündete die neuesten Schrek-kensmeldungen aus aller Welt.

Erst nach Sekunden wurde sich Jennifer bewußt, daß sie nicht von allein aufgewacht war. Irgend etwas hatte sie geweckt, ein Geräusch, und es stammte nicht aus dem Fernseher. Es dauerte noch einmal gut eine Sekunde, bis sie die Bedeutung dieser Erkenntnis vollständig begriff, dann kam die Angst.

Jennifer verkrampfte sich. Sie schaltete den Fernseher mit der Fernbedienung aus und lauschte angespannt, doch sie konnte nichts Ungewöhnliches hören. Dennoch blieb die Angst. Zu frisch saß noch der Schrecken über den versuchten Einbruch in der vergangenen Nacht.

Erst als sie nach mehreren Minuten noch immer nichts Verdächtiges gehört hatte, wagte sie aufzuatmen. Wahrscheinlich hatte sie sich nur etwas eingebildet. Vielleicht hatte sie geträumt, oder es war doch ein Geräusch im Fernsehen gewesen.

Sie stand auf. Die einzige Möglichkeit, die Angst zu bezwingen, war, sich ihr zu stellen. Sie mußte sich im ganzen Haus umsehen, um sicher zu sein, daß es keinen Eindringling gab.

Nichts war schlimmer als die Ungewißheit. Sollte sich wider Erwarten herausstellen, daß tatsächlich wieder jemand einzubrechen versuchte, würde sie diesmal sofort die Polizei anrufen.

Zunächst ging sie in die angrenzende Küche, schaltete kurz das Licht ein und sah sich um. Anschließend nahm sie sich die anderen Räume im Erdgeschoß vor. Jedesmal kostete es sie Überwindung, eine Tür zu öffnen und nach dem Lichtschalter zu tasten, aber sie merkte auch, wie ihre Angst mit jedem neuen Raum ein wenig abnahm. Es war eine gute Therapie.

Lediglich den Keller ließ sie aus und überzeugte sich nur, daß die Tür gut verschlossen war. Zur Sicherheit stellte sie noch einen Stuhl unter die Klinke, so daß diese sich nicht mehr herunterdrücken ließ, dann wandte sie sich den Räumen im ersten Stock zu. Es stellte eine Überwindung für sie dar, die Treppe hinaufzusteigen, aber dafür fühlte sich Jennifer wesentlich sicherer, nachdem sie auch dieses gesamte Stockwerk kontrolliert hatte.

Erleichtert kehrte sie ins Erdgeschoß zurück. Sie löschte das Licht im Wohnzimmer, öffnete die von der Decke bis zum Boden reichende Gardine vor der großen Panoramaglaswand ein Stück und sah in den Garten hinaus. Die Beleuchtung dort hatte sie den ganzen Abend eingeschaltet gelassen, möglicherweise wirkte dies abschreckend.

Als sie fast zwei Minuten lang in den Garten gestarrt hätte, ohne etwas Ungewöhnliches zu entdecken, war Jennifer wieder einigermaßen beruhigt. Tief in ihr nistete noch immer eine unterschwellige Angst, die aber nur von dem erlittenen Schreck herrührte und nun wohl rasch verfliegen würde.

Sie zog den Vorhang wieder zu und drehte sich um, als sie erneut ein Geräusch vernahm. Es war eine Mischung aus einem Fauchen und einem Hecheln, wie von einem großen Hund. Und es stammte eindeutig aus dem Garten. Sofort fuhr Jennifer herum und schob den Vorhang wieder ein Stück zur Seite.

Die Beleuchtung im Garten war ausgefallen.

Genau wie in der vergangenen Nacht lag das Grundstück in tiefer Dunkelheit. Jennifer stieß einen gedämpften Fluch aus, um sich selbst Mut gegen die sofort neu in ihr auflodernde Angst zu machen. Am Vormittag erst hatte sie die Außenbeleuchtung und die Alarmanlage von einem Elektriker überprüfen lassen, der jedoch keinen Fehler gefunden hatte.

Deutlich war ein Klirren zu vernehmen, und ebenso deutlich erkannte sie, daß es aus dem ersten Stock des Hauses stammte. Ein Fenster war eingeworfen oder eingeschlagen worden. Obwohl das Geräusch nicht sonderlich laut gewesen war, fuhr es Jennifer durch Mark und Bein. Ihr Puls raste; jeder Herzschlag schien wie Kanonendonner in ihren Ohren zu dröhnen.

Diesmal würde sie keinerlei Risiko mehr eingehen, zumal sie auch nicht die Möglichkeit hatte, David um Hilfe zu bitten. Sie würde die Polizei anrufen. Entschlossen hastete sie zum Telefon.

Sie schaffte knapp die Hälfte der Strecke, bevor hinter ihr die Panoramaglaswand mit explosionsartigem Knall zerbarst. Glassplitter flogen wie kleine Geschosse ins Zimmer und verletzten sie nur deshalb nicht, weil sie bereits zu weit entfernt war.

Es handelte sich um ein spezielles Sicherheitsglas, das als nahezu unzerstörbar galt und selbst einer Pistolenkugel standhielt. Dennoch war es wie eine normale Fensterscheibe eingeschlagen worden.

Wie gelähmt blieb Jennifer stehen. Es war so dunkel, daß sie nur undeutlich sehen konnte, wie der von den Glassplittern teilweise zerfetzte Vorhang von etwas Gewaltigem, Monströsem aufgebauscht wurde, etwas, das unmöglich ein Mensch sein konnte.

Der Atem stockte Jennifer. Eine eisige Hand schien ihr die Kehle zuzudrücken. Ihr Herz hämmerte so rasend schnell, als wollte es jeden Moment zerspringen. Mit weit aufgerissenen Augen starrte sie auf die nur undeutlich zu erkennende Gestalt hinter dem Vorhang. Einige endlos lange Sekunden verstrichen, dann riß das Wesen den Vorhang mit einem Ruck herunter.

Die heftige Bewegung riß auch Jennifer aus ihrer Erstarrung. Sie schlug mit der Hand auf den Lichtschalter. Starke Deckenstrahler tauchten das Zimmer in beinahe taghelles Licht. Für einen Moment war Jennifer geblendet, dann gewöhnten sich ihre Augen an die Helligkeit.

Sie konnte den Eindringling nun deutlich erkennen, und im gleichen Moment bereits wünschte sie sich, das Licht nicht eingeschaltet zu haben. Ihr erster Eindruck hatte sie nicht getrogen; es handelte sich nicht um einen Menschen. Statt dessen schien die Kreatur mit ihrer grünlichen Haut, ihren riesigen, fledermausartigen Schwingen und ihren goldenen Augen geradewegs einem besonders schlimmen Alptraum entsprungen zu sein. Sie schwebte einige Handspannen über dem Boden in der Luft.

Jennifers Entsetzen entlud sich in einem schrillen, angstgepeinigten Schrei. Noch niemals zuvor hatte sie ein so gräßliches Geschöpf gesehen. Sie glaubte nicht an irgendwelche Monster oder Dämonen, obwohl – oder vielleicht gerade weil – sie mit einem Zauberer verheiratet gewesen war. Obwohl manches an Davids Shows ihr manchmal fast wie echte Magie vorgekommen war, hatte sie gelernt, daß sich alles, was noch so übernatürlich erscheinen mochte, letztlich stets rational erklären ließ.

Hier jedoch stieß sie an die Grenzen ihres Weltbildes, doch half gerade die Angst ihr, damit fertig zu werden. Nackte Panik übernahm die Kontrolle über Jennifers Handeln und verhinderte, daß sie wertvolle Zeit damit vergeudete, nach Erklärungen für das Unmögliche zu suchen.

Sie wollte nur noch weg. In blinder Hast fuhr sie herum und rannte zur Tür. Während die Kreatur ihre Schwingen entfaltete, riß Jennifer die Tür auf und wollte in den Flur stürmen, prallte jedoch gleich darauf mit einem weiteren gellenden Schrei zurück.

Vor ihr stand eine zweite Alptraumkreatur, die der ersten völlig glich. Trotz ihrer Panik erinnerte sich Jennifer an das Klirren, das sie vor wenigen Minuten aus dem ersten Stock gehört hatte.

Instinktiv duckte sie sich unter den zupackenden Klauen der Kreatur hindurch. Das Alptraumgeschöpf stieß ein wildes Fauchen aus, als sie ihm einen Stoß versetzte und an ihm vorbei zur Haustür zu gelangen versuchte.

Sie schaffte es nicht.

Vielleicht hätte sie dem einen Monstrum ausweichen können, doch für einen Moment vergaß sie, daß sie es mit zwei Gegnern zu tun hatte.

Scharfe Klauen packten ihre Schultern und bohrten sich durch die Bluse in ihre Haut. Trotz des brennenden Schmerzes riß sich Jennifer los. Die Krallen zerfetzten das Rückenteil ihrer Bluse. Ein Teil des Stoffes blieb an ihnen hängen, und ein heftiger Schmerz zuckte durch ihre Kopfhaut, als ihr auch eine Strähne ihres blonden Haares ausgerissen wurde. Aber sie kam frei, und das war im Moment alles, was zählte.

Es gab nur einen einzigen möglichen Weg für sie. Sie wandte sich nach rechts, stolperte über eine Falte im Teppichboden und verlor das Gleichgewicht. Um ein Haar wäre sie gestürzt. Erst im letzten Moment gelang es ihr, sich an der Wand abzustützen und den Halt wiederzugewinnen.

Jennifer hastete weiter. Sie packte die Klinke der einzigen Tür am Ende des kurzen Korridors und flüchtete sich in das dahinterliegende Badezimmer. Nur Sekundenbruchteile, bevor sich eines der Geschöpfe von der anderen Seite dagegenwerfen konnte, gelang es ihr, die Tür wieder zuzuschlagen und den Schlüssel herumzudrehen.

Der Rahmen erbebte, und etwas Kalk vom Verputz rieselte dahinter hervor. Gleich darauf erschütterten wuchtige Schläge das Holz, doch die Tür hielt. Glücklicherweise wurde sie nach außen geöffnet, so daß sie bei Schlägen von dort nicht nur von dem Riegel im Schloß gehalten, sondern durch den Rahmen gestützt wurde. Dennoch gab sich Jennifer keinen falschen Hoffnungen hin.

Sie hatte höchstens einen kurzen Aufschub gewonnen. Lange würde ihr die Tür keinen Schutz vor den beiden Ungeheuern bieten. Die Kreaturen stammten nicht von dieser Welt, sondern schienen geradewegs aus den Dimensionen des Wahnsinns hervorgebrochen zu sein.

Jennifer begriff nicht, wie sie in diesen gräßlichen Alptraum hineingeraten konnte. Wer waren die beiden Schrekkenskreaturen, und was wollten sie von ihr?