Zwillingsseelen - Anne Amalia Herbst - E-Book

Zwillingsseelen E-Book

Anne Amalia Herbst

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Beschreibung

»Dominant, dunkel, erotisch - das sind seit jeher gute Zutaten für eine machtvolle Geschichte.« In Band 2 der Banfhile-Chroniken webt Anne die Liebesgeschichte zwischen dem charismatischen Darklord und seiner Maid weiter und gerät immer tiefer in eine emotionale Abhängigkeit zu ihm. Die Beiden planen ein Treffen in Rom, um das verführerische Spiel von Dominanz und Unterwerfung endlich auszuleben. Gleichzeitig beginnt in Irland eine uralte Prophezeiung zu wirken. Mit einem Mal kehren Annes Erinnerungen an ein längst vergangenes Leben zurück, das fantastischer nicht sein könnte. Wer ist sie wirklich? Und welche Rolle spielen dabei Damiano und der Geheimbund HEREDES IANI? Zwillingsseelen ist der zweite Teil der erotischen Fantasy-Trilogie rund um das geheimnisvolle Banfhile-Cottage. Alles nur ein Traum? Mitnichten! Das Wissen um die Wahrheit ist höchst gefährlich, wenn man nicht mehr sicher sein kann, wer wirklich hinter den Kulissen alle Fäden von Annes Geschichte in der Hand hält.

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Inhaltsverzeichnis

Zitat

Impressum

Die Banfhile-Chroniken

Nachts an der Westküste von Irland, oder gänzlich woanders ...

Kapitel 1: Tag 3 in Irland

Kapitel 2: Annes Geschichte – 3. Akt

Kapitel 3: Erzählpause in Irland

Kapitel 4: Anne nimmt den Faden wieder auf ...

Kapitel 5: Tag 3 neigt sich dem Ende zu

Kapitel 6: Tag 4 in Irland

Kapitel 7: Annes Geschichte – 4. Akt

Kapitel 8: Unterbrechung im Cottage

Kapitel 9: Anne fährt mit dem 4. Akt fort

Kapitel 10: Das Ende des vierten Tages

Namen & Begriffe

 

 

 

 

 

„Die Welt wird Traum, der Traum wird Welt!“

Novalis (1772 - 1801)

Impressum

 

Anne Amalia Herbst

Die Banfhile-Chroniken

Band 2 - Zwillingsseelen

 

ISBN Print:

978-3-946376-08-8

ISBN eBooks:

978-3-946376-00-2 (ePub)

978-3-946376-01-9 (mobi)

 

© 2015 (eBook), 2016 (Print) Lysandra Books Verlag (Inh. Nadine Reuter),

Overbeckstraße 39, 01139 Dresden

www.lysandrabooks.de

 

Lektorat/Satz: Lysandra Books Verlag

Coverfoto: © 2015 Robert Brunner & Seilbändigerin Michaela Valenta, Wien

Covergestaltung: © 2016, Traumstoff Buchdesign www.traumstoff.at.vu

Covermotive: © Slava Gern und cerrophotography (shutterstock.com)

 

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Lysandra Books Verlags unzulässig. Dies gilt insbesondere für die elektronische und sonstige Vervielfältigung, Übersetzung, Verbreitung - auch auszugsweise - durch Film, Funk, Fernsehen, elektronische Medien und sonstige öffentliche Zugänglichmachung.

 

Sämtliche Personen in diesem Roman sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig und nicht beabsichtigt.

 

 

 

 

Die Banfhile-Chroniken

 

 

 

Zwillingsseelen

 

 

 

 

 

Band 2

 

 

Ein erotischer Fantasy-Roman

von Anne Amalia Herbst

 

 

Nachts an der Westküste von Irland, oder gänzlich woanders ...

 

Anne spürte die Kälte der Kirchenbank unter den Fingern. Zart strich sie über die Maserung des abgenutzten Holzes und legte zögernd ihren Kopf in den Nacken. Ihr Blick verlor sich in der Vielzahl von gotischen Kapitellen. Die berauschende Mischung aus Weihrauch und Vanille stahl ihr den Willen. Hüllte sie ein. Brachte das Vergessen. Die Schatten unter dem Dach der Kathedrale schluckten das Licht der unzähligen Kerzen auf schwarz angelaufenen Kandelabern. Egal wie sehr sie sich konzentrierte, die Ausmaße der Bogenkapitelle zu erkennen, es gelang ihr nicht. Sie spürte den langsam anschwellenden Ton einen Herzschlag eher, als ihre Ohren den Klang einzuordnen wussten. Ihr Körper reagierte in einer Welle aus Gänsehaut. Crescendo. Mit den ersten Orgeltönen senkte sie aufatmend die Lider. Die Welt versank in Dunkelheit. Dennoch erkannte sie den exakten Moment, in dem sie nicht mehr allein in jener Kirche war.

Damiano. Dessen bloße Präsenz reichte aus, um das berauschende Gefühl der Einheit zurückzubringen. Wortlos schlenderte er durch die leeren Reihen hinter ihr, der Widerhall seiner Schritte verlor sich im Präludium. Anne ruhte mit dem Kopf auf der Lehne der Kirchenbank, die Augen geschlossen. Sein Näherkommen verstärkte das Prickeln in ihrem Nacken. Damiano glitt ins Gestühl. Das Holz gab ein protestierendes Krachen von sich, als er dicht an sie heranrutschte. Seine Nähe schien den allgegenwärtigen Weihrauchduft noch zu intensivieren. Sie spürte die Hitze seiner Hand auf ihrem Knie und konnte ein wohliges Erschaudern nicht unterdrücken. Konzentriert kniff sie die Brauen zusammen, dem Drang widerstehend, die Augen zu öffnen und ihn anzusehen.

Im nächsten Moment schwebte sie als unbeteiligter Beobachter über allem, ein Geist inmitten der schattigen Kapitelle des Doms. Entsetzt starrte sie auf die Szene unter ihr. Im Hintergrund huschten Gestalten in weißen Togen wie Gespenster von Mauervorsprung zu Mauervorsprung. Sie waren nicht mehr allein in der Kirche. Alsbald beugte sich der Darklord, ganz in Schwarz gekleidet, zu ihrem Abbild herüber, berührte sie leicht am Ellbogen und flüsterte ihr etwas ins Ohr.

Anne verstand ihn oben zwischen den mächtigen Stützpfeilern so deutlich, als würde er direkt in ihrem Kopf sprechen. »Lass uns gehen! Es wird Zeit, meine Damsel!« Das Geschöpf unten versank einen Atemzug lang im dunklen Braun seiner Augen, ehe sie widerstandslos gehorchte. Selbst ihr Geist fühlte das leichte Schwindelgefühl ob der prüfenden Tiefe seines Blickes. Was geschah hier? Unter ihr erhoben sich beide Gestalten. Damiano warf ein gefaltetes Tuch, das wie eine Altardecke aussah, über die Lehne der Sitzreihe vor ihnen. Sie beobachtete, wie sie von ihm in eine leidenschaftliche Umarmung und einen eindeutigen Kuss gezogen wurde. Meinte, Wein auf seinen Lippen zu schmecken. Verblüfft über das Bouquet in ihrem Mund streifte ihr Blick die Consolle, den großen Spieltisch der Orgel, mit seinen zahllosen Registern. Warum wunderte es sie nicht: Es war kein Organist zu sehen. Doch bewegte sich die Klaviatur, Registerzüge änderten ihre Stellung und das Pedalspiel nahm an Leben zu, als die Musik zur Fuge überging.

Anne unterdrückte ein Schaudern. Wie beim Requisitenwechsel im Theater verschwand schlagartig das Gemäuer des Doms, verwandelte sich in orangebraune Wände eines Palazzos. Als ob jemand ein neues Bühnenbild ausgerollt hatte, um das nächste Stück aufzuführen. Nur die Orgelklänge blieben erhalten, wechselten zu einem wütenden Tempo, einem bedrohlich anmutenden Knurren, das aus den karg möblierten Gängen der Villa zurückhallte.

Sie erkannte den Palazzo. Er stand mit Damianos Leben in Verbindung. Doch sie war sicher, dass er dort nicht wohnte. Er fungierte eher als ein Hauptquartier für die rätselhafte Organisation, HEREDES IANI, in der er Mitglied war. Sie spürte tief in der Magengrube das bekannte Unwohlsein, das dieser Ort ihr entlockte. Als würden ihr die Wände jedes Leben aussaugen und sie als Hülle zurücklassen. Der Palazzo war gruselig und wunderschön zugleich. Anne hatte vergessen, woher sie ihr Wissen bezog. Konnte sich nicht erinnern, in welchem Teil Mailands er stand. Ob er überhaupt in Mailand stand. Sie kannte nur dessen labyrinthartigen Gänge und die erdrückende Atmosphäre. Außerdem das Kellergeschoss, jene gruftähnliche Höhle. Beunruhigt beäugte sie, wie Damiano sie weiter küsste. Offenbar ließ sich ihr Körper ebenso wenig blenden, denn die Anne am Boden unterbrach den Kuss. Als Damiano sie fragend anschaute, waren seine Pupillen strahlend blau.

Im nächsten Moment veränderte sich die Frauengestalt in seinen Armen. Aus langem schwarzem Haar wurde eine kupferfarbene elegante Hochsteckfrisur. Ihr blutrotes Samtkleid wich einem teuren dunklen Businesskostüm und hochhackigen Schuhen. Ihre feminine Figur reckte sich in die Höhe und verlor die Rundungen an den Stellen, an denen Anne sie für besonders wichtig erachtet hatte. Mit offenem Mund beobachtete sie ihre Metamorphose zu einer anderen Frau. Rita, Damianos Ehefrau.

Er stieß sie von sich, als hätte er sich die Hände verbrannt. Mit dem falschesten Lächeln, das sie je bei einer Frau gesehen hatte, umgarnte diese den Darklord und zog ihn zurück in eine Umarmung. Anne biss sich sinnlos die Lippen wund – er genoss nicht etwa die unerwarteten Avancen, gefangen in der Situation? Sie schwebte unter dem Dach, hilflos zur Zuschauerrolle verdammt. Was zur Hölle wurde hier gespielt? Knapp unter einem monströsen Kronleuchter verharrend geriet sie unweigerlich ins Toben. Doch keiner der Anwesenden hörte sie, zumindest schaute niemand nach oben.

Unten brachte Damiano endlich Distanz zwischen sich und seine Frau. »Hör auf, mich zu manipulieren! Das verdienen wir beide nicht!« Anne hörte die Abweisung in seiner Stimme.

»Vergiss sie! Sie hat sich als wertlos für uns erwiesen – deine eigenen Worte – also gibt es keinen Grund mehr, sie zu sehen! Brich den Kontakt ab, wie es deine Pflicht ist und wage es nicht, mich wieder zu hintergehen!« fauchte Rita und grub ihre Nägel in seine Seiten. Damiano lächelte kalt. Deshalb änderte sie die Taktik. »Soviel schuldest selbst DU mir an Loyalität, Darling!«, säuselte sie, während sie ihre Nase an seiner Halsbeuge und ihre Hand an seinem Schritt rieb.

Er brachte sie ungerührt auf eine Armlänge Abstand, der Bann schien gebrochen. »Entschuldige, meine Liebe, ich komme zu spät zu meinem Duell! Das ist sicher nicht in deinem Sinne.«

Vor Überraschung und Schreck stieß Anne mit dem Kopf an den Kronleuchter. Rauschte direkt hindurch, ohne auf Widerstand zu stoßen. Duell? Ihr wurde abwechselnd heiß und kalt. Damiano hatte seit einer Ewigkeit nicht mehr gefochten! Der Darklord stand nicht im Training und das Wissen darum ließ sie in ihrer luftigen Höhe rasen. Schreien, toben und das Zerren von Geisterfingern am Leuchter – nichts davon half. Sie blieb unsichtbar für die Welt da unten, ihr Körper nicht stofflich genug, um etwas auszurichten.

Damiano verschwand in einem der Gänge, verfolgt vom kehligen Lachen seiner Frau. Ein durch und durch gehässiges Lachen. »Geh, mein Darling! Geh und kämpfe! Vielleicht bist du dieses Mal rücksichtslos genug, um zu gewinnen und dich endlich zu beweisen! Hahahahahaaaa ...«

Die Orgelmusik fegte einem Gewittersturm gleich durch den Palazzo und riss sie vom Leuchter fort wie eine Feder. Dann senkte sich ein neues Bühnenbild wie von Geisterhand nieder. Als sie wieder klar sehen konnte, befand sich Anne im höhlenartigen Verlies unter der Villa, mit direktem Blick auf eine Duellszene. Im Hintergrund entdeckte sie einen bizarr geformten Opferstein, der eine verborgene Saite in ihr zum Klingen brachte. Bewacht wurde dieser von einem aus dem Stein geschlagenen Profil eines Mannes mit zwei Gesichtern, dem die vielen Fackeln im Raum eine diabolische Aura verliehen. Doch ehe sie all dem nachgehen konnte, wurde ihre Aufmerksamkeit auf die Geschehnisse im Vordergrund gelenkt.

Zwei Fechter standen sich in einer improvisierten Kampfarena gegenüber, bis zur Unkenntlichkeit verhüllt und mit einer grotesk verschleierten Haube auf dem Kopf. Sie hatte nicht einen Moment Zweifel daran, um wen es sich handelte. Um Damiano und ihren eigenen Körper. Alles Schreien und Brüllen von der Höhlendecke half nichts: Ich bin hier! Hier oben! Schaut endlich mal einer rauf! Aufhören! Kein Grund sich gegenseitig aufzuspießen! Ich bin HIEHIERRRR!!!

Die Orgelmusik vermischte sich mit Ritas Lachen zu einem unauflöslichen Gewirr aus schrägen Tönen. Keiner der römischen Togenträger, die einen losen Kreis um die Kämpfenden bildeten, sah hinauf. »Combattete!«, gab Damianos Frau das Startzeichen.

Anne schaute mit aufgerissenen Augen zu, wie die Kämpfer aufeinander losgingen. Die Rapiere waren nicht nur alt und wertvoll, sondern auch scharf. Damiano erzielte den ersten Treffer bis aufs Blut, als sie den Parierdolch zu langsam in Position brachte und ihr die gegnerische Klinge den Unterarm ritzte. Das rote Rinnsal schwoll zu einer nicht zu übersehenden Blutung an. Es ging um alles oder nichts. Warum? Sie war dankbar, dass die Anne unter ihr kämpfte und für sich selbst sorgte, anstatt über die Antworten nachzugrübeln.

Die beiden Kämpfer fanden nicht in den Rhythmus, zu verschieden waren die Kampfstile. Tänzelnde Geschmeidigkeit und Improvisation gegen jahrelang gewissenhaft einstudierte Sequenzen ritueller Fechtkunst. Er bedrängte sie mit Angriff um Angriff. Was unterschied den Kampf von den vielen Malen, die sie im Traum mit ihm gefochten hatte? Anne konnte ein japanisches Katana führen, aber nicht ein Rapier! Die Balance der Klinge, die Wendigkeit – alles völlig anders. Dieses Schwert zählte eindeutig nicht zu den Waffen ihrer Wahl, auch wenn der Korbgriff hübsch aussah. Sie hatte keine Ahnung. Dafür Einfallsreichtum.

Sie musste einen Weg zurück in ihren Körper finden. Schnell! Nur wie? All ihre Emotionen, ihre Erinnerungen und ihr Herz schwebten mit ihr unter der Decke. Doch fehlte es diesem Ich an Stofflichkeit, um an der Realität teilzuhaben. Anne war ein Nichts, unsichtbar. Unten focht ein emotionsloses zweites Ich einen gleichermaßen sinnlosen wie unseligen Kampf. Zwar mehr oder weniger erfolgreich, und doch reduziert zu einem Stück Fleisch auf Beinen, einer lebensgroßen Marionette. Nur wessen Marionette?

Anne konzentrierte sich. Sie fixierte den Körper mit starrem, ja hypnotischem Blick. Mit einem Mal verstand sie. Sie träumte! Ihre Aufgabe war es, die Kontrolle über den Traum zurückzugewinnen. Der nur eine von mehreren gleichzeitigen Realitäten darstellte. Die ihren Gesetzen gehorchte, wenn sie es richtig anstellte. Ein einziger Gedanke blieb, ein allumfassendes Ziel – bewusst die Einheit wiederherzustellen. Der Rest schrumpfte zusammen, bis nichts anderes mehr zählte. Es musste gelingen! Und plötzlich zog es sie mit einem Ruck zurück in die gewohnte Perspektive ihres Körpers. Sie sah mit ihren eigenen Augen. Fühlte den brennenden Schmerz an ihrem Unterarm. Der metallene Geruch von Blut stieg ihr in die Nase.

Wie aus weiter Ferne hörte sie die abgehackte Stimme einer der Hexen in ihrem Kopf: »... wir werden angegriffen! Die Sparren ächzen, die Wände schwanken und die Dunkelheit sucht Einlass. Wie kann dies sein? Niemand weiß, dass SIE bei uns ist! Wir müssen die Zauber des Refugiums verstärken! ... Die jahrtausendealten Siegel drohen zu brechen! ... Haltet Stand! ...Wo sind die Druiden in dieser schicksalsschweren Stunde?« Unterbrochen von einem Krachen, als schlüge jemand nachdrücklich mit den Fäusten auf Holz ein. »Sternenkind, hörst du! Erwache!«

Unüberlegt riss sie sich die Haube vom Kopf. »Ich spiele nicht mehr mit!«, brüllte sie in Ritas Richtung und senkte gleichzeitig die Waffe.

Wie in Zeitlupe sah sie den nächsten Schwertstreich kommen. »NEINNNN!!!«, hörte sie Damianos entsetzten Aufschrei, als er seine Damsel erkannte. Völlig emotionslos registrierte sie die Wahrheit, die auch ihr Gegenüber kannte: Jede Reaktion kam zu spät, der letale Angriff auf ihr Herz verletzte zwar die Regeln, aber ließ sich nicht mehr stoppen.

 

 

 

Kapitel 1: Tag 3 in Irland

Westküste von Irland, Emlagh, Banfhile Cottage, wenige Tage vor der Wintersonnenwende 2012

 

In dicken Wollsocken schlich Anne gegen Mittag in die Küche des Cottages. Am dritten Tag ihres Aufenthalts in der abgelegenen Gegend von Westirland fand sie zu ihrer Überraschung lediglich Morrigan vor. Von Freya keine Spur. Die greise Tante ihrer Freundin saß abgewandt auf einem der antiken Eichenholzstühle am Esstisch. Sie hatte den schweren Zopf gelöst und kämmte bedächtig ihre weißen Haare.

Die Jüngere hielt ehrfürchtig im Türrahmen inne. Hypnotisiert starrte sie auf die rhythmischen Bewegungen der Haarbürste. Aufwendige Verzierungen unterstrichen die Schönheit dieses Utensils trotz des mit der Zeit schwarz angelaufenen Metalls. Sie zögerte, den Frieden der Alten zu stören. Sie gönnte ihr die Auszeit von den emsigen Vorbereitungen für das Wicca-Ritual anlässlich der bevorstehenden Wintersonnenwende. Wider besseres Wissen hatte sie bei ihrer Ankunft eingewilligt, die Frauen an der Geschichte teilhaben zu lassen, vor der sie geflohen war. Die Geschichte der Maid und ihres Darklords. Freya faszinierte das Drama um die Dreiecksbeziehung zwischen ihr, dem Italiener Damiano und ihrem Ehemann Sebastian daheim in Berlin derart, dass sie daraus ihren nächsten Roman zu schreiben gedachte.

Jemandem die vollständige Wahrheit anzuvertrauen war zu gefährlich. Also erschuf Anne Tag für Tag ein Märchen von Liebe, Abhängigkeit und Unterwerfung für ihre Zuhörer. Voller fantasievoller Rollenspiele und lockender Traumwelten. Doch auch voller Verrat, Verschwörung und geschickter Manipulation. Was für eine köstliche Ablenkung boten da die friedlichen Vorbereitungen für das magisch anmutende Ritual an Yule, in das die Frauen sie einbeziehen wollten?

Getrieben von rätselhaften Vorgängen im Cottage mit dem Namen Banfhile hatte sie sich nun aus der Dachkammer nach unten geflüchtet. In der letzten Nacht war etwas geschehen. Wie auch in der Nacht davor. Anne konnte ihre Erlebnisse nicht benennen. In der Handfläche verbarg sie triumphierend einen zusammengerollten Zettel als Beweis des unerklärlichen Geschehens. Ein flüchtiger Blick auf das Schild neben dem Fenster hatte sie irritiert, ehe sie die Kammer verließ. In der vergangenen Nacht prangte dort ein Motivationsspruch eines antiken griechischen Philosophen. Nun war es unbeschrieben. Leer.

Anne liebte Shabby Chic – Deko. So wunderte es nicht, dass ihr die Metallschilder im Cottage unentwegt ins Auge fielen. Sie verwirrte nur die Geschwindigkeit, mit der Freya diese Schilder auszutauschen schien. Auch nachts, während alle schliefen. Wenn das für den Rest der Woche so weiterging, verfügte sie bis zur Abreise über einen umfangreichen Fundus an Zitaten alter Philosophen.

»I’m weak, I’m hurt, so leave me alone!« – Ich bin schwach und verletzt, also lass mich in Ruhe? Ehrlich, aber wer hing sich eine solche Warnung in den Hausflur? – hatte sie sinniert, als auch das zweite Schild auf dem Weg nach unten nicht mehr die Botschaft vom Vortag trug. Und nun war Freya nicht da. Sie drängte ihre Fragen zurück und konzentrierte sich auf die Szene vor ihr.

Morrigans Haare reichten ihr über den Rücken bis ans Gesäß heran. Die Bürste teilte die Strähnen in gleichmäßigen, fließenden Strichen. Anne vergaß die Zweifel und tauchte in diesen friedlichen Moment ein. Ihre Blicke trafen sich mit denen der Alten in einem Handspiegel, den diese in der anderen Hand gehalten hatte. Erschrocken riss sie die Augen auf.

Der Adlerblick der Frau ließ sie förmlich erstarren. Deren Fähigkeit, direkt bis in den Abgrund der Seele zu schauen, schien sich durch den Spiegel noch zu verstärken. Anne schluckte hart, konnte ihre Augen jedoch nicht von dem faltigen Spiegelbild abwenden. Morrigan lächelte leicht und sprach zum Spiegel: »Fáilte, a leanbh réaltaí! Sei gegrüßt, Sternenkind! Wie hast du geschlafen?«

»Gut!«, lautete ihre einsilbige Antwort. Sie brach den enervierenden Augenkontakt ab, indem sie die Küchentür entschieden hinter sich ins Schloss zog. Nur ungern wollte sie an den Traum der frühen Morgenstunden erinnert werden.

»Wirklich?« Die Alte legte die Utensilien auf den Tisch. »Setz dich!«, forderte sie ihren Gast auf, ohne eine Antwort abzuwarten und schickte sich an, aufzustehen.

»Bleiben Sie doch bitte sitzen!«, beeilte sich Anne zu sagen. »Ich richte mir mein Frühstück schnell allein!« Ihr kam jede Ablenkung recht, um nicht der Inquisition Morrigans ausgesetzt zu sein.

»Boh! Soweit kommt es noch!«, fiel ihr diese ins Wort. »Setz dich! Der Porrigde ist fertig und das Brot ist mittlerweile kalt genug, um es zu schneiden!« Damit erhob sie sich resolut vom Tisch. Die grauweißen Haare, die ihre leicht gebeugte Gestalt wie ein Mantel umrahmten, das runzlige Gesicht mit unter hohen Brauen hervorstechendem Blick und die knochigen, von Gicht gezeichneten Hände am Gehstock: Morrigan erinnerte an eine legendenumwobene Hexe aus lang vergangenen Zeiten.

Anne schob sich zögerlich auf einen der Holzstühle und rieb geistesabwesend über den linken Unterarm. »Wo ist Freya heute?« Sie beobachtete versonnen, wie auf einer winzigen Arbeitsfläche am altmodischen Herd ein Frühstücksteller für sie hergerichtet wurde.

Die Situation erinnerte sehr an ihren Aufenthalt in jenem walisischen B&B vor mehr als zehn Jahren. Doch schluckte sie im Angesicht der Leidenschaft, mit der die Andere Orangen mit einem archaisch anmutenden Küchenmesser zerteilte, die Frage über die Umstände des Umzugs nach Irland hinunter. Etwas sagte ihr, dass die Zeit für die Erwähnung des zufälligen Wiedersehens nicht reif war. Der Zettel in ihrer Hand brannte wie Feuer. Anne ließ ihn mit einer abwehrenden Handbewegung auf den Tisch fallen, wo er unbeachtet liegen blieb.

»Meine Nichte ist in der Früh nach Killarney gefahren. Um einzukaufen und den netten Herren vom Telefondienst anzuzeigen, dass seit Tagen etwas mit unserer Leitung nicht stimmt. Ich erwarte sie zum Nachmittag zurück, rechtzeitig zur Fortsetzung deiner Erzählung.« Morrigan brachte Porridge, frischgebackenes Brot, dampfenden Tee und den Orangensaft an den Tisch. »Ach, du bist eine begnadete Erzählerin, ein Naturtalent! Wie lange habe ich ausgeharrt, um solche Geschichten wieder zu hören! Das macht dich sehr wertvoll!« fügte sie beiläufig hinzu, als sie sich zu ihr setzte.

Anne hörte darüber hinweg und fuhr mit dem Löffel in ihr Frühstück.

»Sprich, was hast du heute Morgen geträumt, mein Kind?«, kam prompt die Frage nach ihrer Nachtruhe erneut auf. »Das ganze Cottage war in Aufruhr!«

Ihr entglitt der Löffel auf halbem Wege zum Mund und landete spritzend im Porridge. »Was habe ich getan?«, presste sie mühsam zwischen den Zähnen hervor.

Morrigans Augen ruhten mitfühlend auf ihr: »Die Schwingungen deines Traums haben das magische Gefüge des Cottages bis in die Grundfesten erschüttert und die Qualität der Schutzwälle getestet. Natürlich hielten die Siegel, aber einen Moment lang waren wir ehrlich in Sorge!«

Anne hob die Augenbrauen. Magisches Gefüge? Schwingungen von Träumen? Schutzwälle? Siegel? Wie passten die konfusen Aussagen der Alten mit ihren Erinnerungen an den Traum der frühen Morgenstunden zusammen?

Eindeutig ging mehr vor sich, als sie in den letzten zwei Tagen bereit gewesen war einzugestehen. Die Träume waren ihr nach Irland gefolgt. War das eigentümliche Stimmengemurmel, das sie vorletzte Nacht unterbrochen zu haben meinte und das sie zeitig am Morgen wieder gehört hatte, doch real gewesen? Beiläufig deckte sie den handgeschriebenen Zettel auf dem Tisch ab, verbarg ihn vor Morrigan.

»Was passiert hier? Ich verstehe nicht ...«, hub sie irritiert an.

Die Alte schüttelte milde den Kopf und wiederholte ihre Frage. »Was hast du geträumt? Erzähl es mir! Keine falsche Scheu, a leanbh réaltaí! Keine deiner Geschichten kann fantastisch genug sein, um der Realität im Ansatz gerecht zu werden!«

Anne zog ratlos die Stirn in Falten, aber ihr Gegenüber war noch nicht fertig. »Nach dem Frühstück schneiden wir Misteln für das Ritual am Freitag. Heute ist das Wetter perfekt – kein Regen und milder als die nächsten Tage! – Also?«

»Keine Ahnung, was den Traum ausgelöst hat. Aber ja, er war in der Tat sehr intensiv. Viel intensiver als sonst«, gestand sie, immer noch unsicher. Dann schüttelte sie entschieden den Kopf. »Tut mir leid, wenn ich Sie am Schlafen gehindert haben sollte! Aber was passiert ist, war Zufall und hat mit mir nicht im Geringsten zu tun! Manchmal rede ich, eine dumme und lästige Angewohnheit von mir, aber sonst geschieht nichts, während ich schlafe. Was ich sagen will - Träume können nicht auf ihre Umgebung wirken und etwas auslösen! Das ist vollkommen unlogisch!«

Morrigan legte den Kopf schief. »Ist das so?«, fragte sie provokativ.

In die anschließende Stille platzte Anne heraus: »Also gut! Ich erzähle Ihnen den Traum!«

Aufmunternd nickend schob die Alte die Teetasse ein Stück näher. Eine stumme Aufforderung, endlich zu beginnen.

»Ich bin mit Hereinbrechen der Dämmerung hochgeschreckt und konnte nicht wieder einschlafen. Es fühlte sich an, als würde das verdammte Haus leben. Irgendwie pulsieren, atmen. Ich weiß, das klingt vollkommen bescheuert, aber es hat mich angesteckt. Oh je, ich klinge, als verliere ich den Verstand!« Anne knetete ihre Hände, besann sich aber wieder. »Also habe ich ein paar Seiten in Napoleon Hills Ratgeber gelesen. Etwas an diesem Buch hat mich gerufen. Seit ich meine Originalausgabe Damiano geschenkt habe, lässt mich die Ausgabe, die ich nachgekauft hatte, nicht in Ruhe, also habe ich das Buch mitgebracht. Die Lektüre hilft mir auf groteske Weise, neue Struktur in mein Leben zu bringen, wie eine Art Anker. Macht das Sinn für Sie? Ich meine, wahrscheinlich haben Sie Hill nie gelesen.«

Die junge Frau holte tief Luft, ehe sie bedächtig fortfuhr: »Offenbar bin ich wieder eingeschlafen und habe geträumt. Sehr real geträumt. Als wäre ich tatsächlich an den Orten meines Traums.« Sie erzählte der Alten von der Kirche, dem Mailänder Palazzo und dem Duell im Keller.

Morrigan umklammerte die Tischplatte, um das leichte Zittern ihrer Hände zu vertuschen, wie die Jüngere verwundert registrierte. Dann packte sie ohne Vorwarnung ihren linken Arm. Anne erschrak und dachte zuerst an den Zettel. Doch ehe sie sich dem Griff entziehen konnte, schob die Alte den Ärmel bis zum Ellbogen hoch und legte ihren Unterarm frei.

Beide Frauen sahen den leuchtend roten Kratzer von gut zehn Zentimetern Länge auf der Innenseite. Eine mit atemloser Verwunderung und aufgerissenen Augen, die andere als bittere Bestätigung und mit grimmig zusammengekniffenen Lippen. Es dauerte einen Moment, ehe Morrigan den Ärmel freigab und spröde feststellte: »Dein Porridge ist jedenfalls kalt!«

Schnell fand Anne Ausreden für die Wunde – eine Unachtsamkeit im Bad, ein Grat am Fingernagel. Egal was, auf jeden Fall ein Zufall.

»Boh!«, machte die Alte nur und hob die Hände. »Ich bin keine versierte Traumdeuterin. Aber ich habe genug gehört und gesehen. Iss und dann lass uns hinausgehen!«, forderte sie ihren Gast auf. Die Spannung zwischen ihnen war nahezu greifbar. Anne schüttelte abwehrend den Kopf, doch die alte Frau ließ nicht mit sich verhandeln. »Ich möchte an die frische Luft! Du wirst mich nur begleiten, wenn du gegessen hast, basta!« Ohne Vorwarnung legte sie den Kopf schief und zog argwöhnisch die Augenbrauen in die Höhe, gerade als Anne anfing zu löffeln. Sie deutete auf deren Faust. »Was hältst du darin vor mir verborgen?«

Die Jüngere schloss einen Moment lang müde die Augen und holte tief Luft. Dann entrollte sie mit einiger Mühe ihre Finger und gab das von der Wärme wellige Papier den Blicken frei.

»Nach dem Aufstehen fand ich diesen Zettel als Lesezeichen in meinem Buch. Ich habe ihn da nicht hineingetan, und geschrieben habe ich ihn auch nicht. Das ist eindeutig die Handschrift eines Mannes. Ich kann mir das alles nicht erklären!«

Morrigan begann zu rezitieren. Anne stellten sich sämtliche Haare am Körper auf. Die Luft um sie herum begann zu vibrieren. Warum nur kamen ihr diese Zeilen bekannt vor?

 

»... Und so gaben sie hin ihre Unsterblichkeit,

opferten der Liebe.

Vergessen die Vergangenheit,

unerkannt die Zukunft,

durch die Gegenwart getrieben und ewig verloren.

Doch wenn die Zeit kommt, wird sie weben und er wird wachen,

gemeinsam werden sie bewahren,

was bestimmt ward.«

 

#

Eine viertel Stunde später stand Anne auf der Terrasse des Cottages und schaute hinunter auf die Bucht. Die klare irische Luft bekam ihr gut.

»Wir gehen ein Stück landeinwärts, ehe wir zu den Apfelbäumen kommen, von denen wir die Mistelkronen schneiden«, erklärte Morrigan. Sie hatte über ihr dickes Grandfather-Shirt nur eine abgetragene wattierte Gartenjacke in Dunkelgrün gezogen. Ihre Füße steckten in gut gefütterten Stiefeln mit flacher Sohle.

Anne kam sich mit ihrem Designermantel und hohen Stiefeln fehl am Platz vor. Im Stillen hatte sie gehofft, lediglich wenige Schritte hinunter bis zur Bucht laufen zu müssen. Zu deren Linken reckte eine mächtige Eiche ihre Äste in den Himmel, in denen sich unzählige Mistelkronen versteckten, die an überdimensionierte Vogelnester erinnerten. Rechter Hand entdeckte sie kahle Eichen in regelmäßigen Abständen an der Küstenlinie.

Morrigan war ihrem Blick gefolgt: »Nein, a leanbh réaltaí, diese Misteln sind heilig wie die Bäume selbst, wir ernten nicht diese!« Mit einem leisen Lachen fügte sie hinzu: »Schau, ob du im Flur meine Wanderschuhe findest. Wenn mich nicht alles täuscht, sollten sie passen. Also geh und borg sie dir aus!« Die Alte wandte sich in Richtung eines Trampelpfads, der hinter dem Gemüsegarten begann und sich auf dem zuerst sanft ansteigenden Hügel in der Ferne verlor. Wenige Minuten später schloss Anne zu ihr auf. Sie passte sich dem langsamen Tempo an und dankte im Stillen für das bequemere Schuhwerk.

»Träume sind Brücken in andere Realitäten, in andere Wahrscheinlichkeiten, mein Kind. Wenn der Mensch sich an einen Traum erinnert, so kann es sein, dass er vorher unbewusst die Traumerfahrung in etwas übersetzt, für das es in seiner Wirklichkeit eine Entsprechung gibt. Das Bewusstsein funktioniert dann wie ein Filter. Leider verwässert das auch die Bedeutung, wie bei einer schlechten Übersetzung, deshalb ist es mit der Traumdeuterei immer so eine Sache ...«

Morrigan schaute sie nachdenklich von der Seite an. Anne wartete schweigend, bis die Alte fortfuhr, um nicht eingestehen zu müssen, dass sie keinen Schimmer hatte, was ihre Begleitung da erzählte. »Was haben wir ... Eine Kirche ... Kirchen stehen dem Menschen oftmals für Orte der Zuflucht und der Besinnung. Mit ihrem Halbdunkel und der unterschiedlichen Intensität der Schatten erinnern sie an all das Ungewisse im Leben. Viele Leute sind von ihnen fasziniert. Sich hin und wieder in eine Kirche zu träumen ist nichts Ungewöhnliches, selbst als Atheist.«

Sie legten eine kurze Pause ein. »Mit dem Orgelspiel und der Dramatik der Musik ist es komplizierter. Möglicherweise ist das dein Weg, dich daran zu erinnern, dass in jener Realität andere Gesetzmäßigkeiten herrschen und Dinge stattfinden, die du im Wachzustand sofort als unmöglich abtätest. Wie gleichzeitig an mehreren Orten zu sein oder Handlungen mental zu steuern.« Die Alte nahm die Wanderung hügelaufwärts wieder auf. Anne trottete neben ihr her, unfähig zu einer Erwiderung.

»Was noch? - Der Schwebezustand des Geistes. Das Stofflose verkörpert gemeinhin das Bewusstsein eines Menschen. Seine Neigungen, seinen Antrieb, seine Normen und Werte, seine Ziele und Wünsche. Du beobachtest also den Teil deines Bewusstseins, den du träumend an jenen Ort gesandt hast. Normalerweise werden sich Träumer in jenem Moment bewusst, dass sie träumen. So erden sie sich in der Traumwelt und gehen dort in völliger Bewusstheit ihren Aufgaben und Bestimmungen nach, während ihr Körper auf dieser Seite schläft. Gewöhnlich sind Zeit und Übung vonnöten, um dir dessen bewusst zu werden.« Morrigan wedelte mit ihrer Hand unbestimmt in der Luft herum. »Du wirst mit deinem Geist beliebig in die Wahrscheinlichkeiten eingreifen können, sobald du am Ziel deines Strebens ankommst. Was eine sehr interessante Theorie darstellt! Von so etwas habe ich nicht mehr gehört seit ... ähm, vielen Jahren.«

Noch ehe Anne auf die Idee kam, nach dem Sinn der letzten Worte zu fragen, verdoppelte Morrigan ihr Tempo. Mühevoll versuchte sie, Schritt zu halten. Es blieb ihr kein Atem für eine Frage, geschweige denn hätte sie mit einer Lektion fortfahren können, so wie es die alte Frau jetzt tat.

»Die Hülle, die du als dein zweites Ich beschrieben hast, ist das logische Gegenstück dazu. Sie wird verschwinden oder dir nach Belieben gehorchen, wenn dein Bewusstsein in der Lage ist, ins Geschehen einzugreifen.«

Es ging stetig bergauf. Annes aufmüpfige innere Stimme, liebevoll das Teufelshörnchen genannt, schlug sarkastisch vor, dass sie nicht für Höhenluft gemacht sei und daher selbst minimale Steigungen nicht vertrug. Doch sie solle sich von der knapp sechzig Jahre älteren Dame neben ihr nicht beirren lassen, die nicht halb so viel aus der Puste war. Erleichtert entdeckte sie in einiger Entfernung drei knochige Apfelbäume.

Morrigan gefiel sich in der Rolle der Analytikerin. »Für Traumdeuter interessant sind die Augen, die Spiegel der Seele! Warum sie in deinen Träumen die Farbe wechseln, dazu habe ich meine eigene Theorie. Und wir sind in einer Minute da.« Das letzte Stück schwiegen beide Frauen – Anne aus Atemnot, die Ältere in vollem Bewusstsein der Verwirrung, in der sie die jüngere Frau zurückließ.

Die Greisin hantierte mit einer wackeligen Holzleiter, die an einem der Baumstämme lehnte, während sich Anne noch die Seiten hielt. Da griff sie beherzt ein und überredete die Andere, ihr die mitgebrachte Gartenschere auszuhändigen. Sie kletterte besser selbst nach oben.

Die Stimme der Alten drang zu ihr herauf, während sie ihre Balance testete und die erste Mistelkrone schnitt: »Du bist erfahren mit Schreien der Seele! Du hast den Ruf mehr als einmal vernommen. Du weißt, wie der Austausch funktioniert, wenn du deiner inneren Stimme nachgibst und die Sehnsüchte derer erfüllst, die dich im Traum zu erreichen vermögen.«

»Was meinen Sie?«, rief sie herunter.

Morrigan gönnte sich eine kurze Atempause, ehe sie unvermittelt das Thema wechselte: »Was mich zurück zu den Farbänderungen seiner Augen bringt. Das ist der Moment des Übergangs von deiner Traumwelt in Damianos Traumwelt. Der Punkt, an dem sich eure Träume mischen und eine neue Realität geschaffen wird. Das ist eine sehr machtvolle Gabe, die nur wenige lebende Menschen beherrschen, mo páiste!«

Anne hielt inne und fragte verwirrt zurück: »Ich verstehe nicht. Was meinen Sie?«

Morrigans Stimme trug problemlos bis nach oben in den Wipfel des Apfelbaums: »Der Damiano, den du zu kennen meinst, hat braune Augen – also ist dieses Detail Teil deines Traums. Der Damiano, der sich selbst kennt, hat blaue Augen. In dem Moment, in dem er im Traum blauäugig wird, übernimmt er deinen Traum, beziehungsweise du wirst in seine Traumrealität hineingezogen. Er versteht sein Handwerk. Dafür spricht auch, dass du dich in seine Frau verwandelt hattest ...«

Anne glitt vor Überraschung mit dem Fuß von einer morschen Leitersprosse. »Aber Damiano hat braune Augen, das weiß ich genau!«, protestierte sie, bemüht, wieder sicheren Halt auf der Leiter zu finden.

»Was macht dich so sicher? Im Traum erlaubt er dir, sein wahres Gesicht zu sehen, Kindchen. Damiano hat blaue Augen, glaub mir! Ich sollte es wissen ...«, Morrigans Stimme war zuletzt kaum mehr als ein Murmeln. Sie trat behände beiseite, um der Gartenschere auszuweichen, die Anne vor Schock fallen ließ und deren Flugbahn die alte Frau nur um wenige Zentimeter verfehlte.

Wie viele Male hatte sie sich nach einem tiefen Blick in Damianos Augen über die kryptischen Signale ihrer Intuition gewundert? All die verstörenden Träume, von denen nur Fetzen und Bruchstücke übrig blieben, die am Morgen keinen Sinn ergeben wollten. Die Erlebnisse, die mehr Erinnerungen als Träumen glichen. Ihre Aufzeichnungen, denen sie misstraut hatte. All das wollte in einem völlig neuen Licht betrachtet werden. Ihres Schneidwerkzeugs beraubt kletterte die Jüngere mit einem Bündel Misteln in der Hand langsam hinunter. Die alte Frau nutzte Annes Sprachlosigkeit, um ungestört zu referieren.

»Verliese sind eines der facettenreichsten Symbole, mit denen die Seele mit uns kommuniziert. Ein dämmriges, geheimnisumwittertes Verlies mit all den kleinen schattigen Lebensformen, die es beherbergt, verkörpert das Unbewusste im Menschen. Wofür steht es wohl: das Lauern versteckter Begierden, unausgesprochener Wünsche, unerlaubter Sehnsüchte? Verdrängtes aus der Vergangenheit?«

Morrigan wartete, bis Annes Füße wieder die Erde berührten. »Nicht für umsonst strahlen Keller eine unerklärliche Faszination aus, denn wo sonst kann man sich mit den Abgründen der menschlichen Seele so perfekt auseinandersetzen?«

Sie überreichte der alten Frau wortlos die Mistelkronen, hob die Gartenschere auf und schleppte die Leiter an den benachbarten Apfelbaum, um noch weitere zu schneiden. Nur zu gern hätte sie die Surrealität der gesamten Unterhaltung zum Anlass genommen, um die Worte als Spinnerei abzustempeln.

Morrigan fuhr fort: »Ich denke, du verstehst die Idee dahinter. Also weiter! Was hatten wir noch? Der Opferstein. – Nun, dessen Funktion wirst du dir ausreichend erklären können, wenn ich mich nicht irre, oder?«

Anne lief dunkelrot an und erwiderte nichts. Woher wusste die Greisin? Doch die tat, als bemerke sie die Verlegenheit ihrer Gehilfin nicht. »Rapiere ... Ebenso vieldeutig in der Symbolik! Ein Schwert steht für unerschütterlichen Glauben und freie Entscheidung, Übungskämpfe gemeinhin für Freundschaft. Verletzt einen die Waffe des Gegners, zeugt es von Lebensgefahr. Ist es ein Duell, kann das ein Ausdruck von Zwiespalt und Uneinigkeit mit den eigenen Gefühlen sein. Geht man siegreich daraus hervor, wird man seine Probleme bewältigen. Verliert man, verliert man auch seine Besitzansprüche auf etwas. Und so weiter, und so weiter ...«

Die Alte verstummte abrupt, als Anne ihr das nächste Bündel Zweige überreichte und sich dann Hände und Mantel abklopfte. Wahrscheinlich war sie die einzige Frau, die im Designermantel Misteln schneiden ging, ließ sich das Teufelshörnchen schnippisch vernehmen. Sie sollte sich nicht ernsthaft mit den fantastischen Theorien Morrigans auseinandersetzen, flötete der Realist dagegen an. Fühlte es sich so an, den Verstand zu verlieren und dem Wahnsinn anheim zu fallen? Seit ihrer Ankunft in Irland war kein Wunder geschehen, das an den Wirren ihres Lebens etwas grundlegend geändert hätte – es sei denn, sie begann endlich zu akzeptieren, dass Kräfte am Werk waren, von denen sie keine Ahnung hatte. In der Tat schienen Dinge zu passieren, deren Tragweite über alles hinausging, was Anne noch vor wenigen Tagen als Wirklichkeit bezeichnet hätte. Inmitten dieser verwunschenen irischen Winterlandschaft war es einfach, an höhere Mächte und einen tieferen Sinn zu glauben. War es an der Zeit, neue Wege zu gehen und sich darauf einzulassen? Sie war hier, um zu lernen und wieder zu Kräften zu kommen. Um eine Geschichte zu erzählen. Anne drückte ihren Rücken durch und straffte die Schultern.

Morrigan hatte schweigend die Zweige zu einem Bündel zusammengefasst und bedeutete ihr, den Rückweg anzutreten. Sie nahm ihr die Misteln ab, damit sich die alte Frau auf den Abstieg konzentrieren konnte. Doch dieser schien noch ein Detail eingefallen zu sein.

»Arme sind das Symbol für die Fähigkeit, das Leben zu gestalten. Etwas aktiv zu schaffen, zu verändern oder zu zerstören. Eine Armverletzung steht für die Einschränkung eben jener Fähigkeiten. Damiano hat dich am linken Arm verletzt, der Angriff zielt daher auf Emotionen und Intuition ab. Eine Verletzung des rechten Arms, also der weitaus gefährlicheren Schwerthand, hätte die Schmälerung von Logik und Verstand bedeutet. Er hat dir die Wunde sicher mit rechts zugefügt. Die Wunde am Unterarm kann als ein direkter Angriff auf deine einzigartige Fähigkeit verstanden werden, Emotionen und Gefühle zu visualisieren und zu wandeln. Der frontale Angriff auf deinen Wesenskern ist, was beinahe unsere magischen Schutzschilde in die Knie gezwungen hat!«

Anne stolperte und verlor das Gleichgewicht. Es fehlte nicht viel und sie wäre gefallen, wenn nicht Morrigan im letzten Moment beherzt zugegriffen hätte. »Nana, Sternenkind! Vorsicht, immer einen Fuß vor den anderen!«, schalt sie milde und mit einem Augenzwinkern. Der Jüngeren entging die Komik der Situation, zu sehr war sie mit den vorangegangenen Worten beschäftigt.

»Wenn meine Theorie stimmt, dann hast du einen von Damianos Träumen durchkreuzt. Vieles spricht dafür, dass ihr ab der Szene im Palazzo in einer Realität mit Unmengen männlicher Energien feststecktet. In diesem Fall würde ich es mit diesem Freud halten, der im Fechtwerkzeug ein Phallussymbol sah. Dominant, dunkel, erotisch – das sind seit jeher machtvolle Merkmale für eine gute Geschichte und einen guten Traum. Schwerter gehören seit Anbeginn der Zeiten dazu.«

Anne war dankbar für die stützende Hand an ihrem Ellbogen und ließ zu, dass ihr die Misteln abgenommen wurden.

Die alte Frau runzelte die Stirn. »Wer weiß, ob der Traum tatsächlich so gedacht war? Oder ob du doch in dessen Verlauf eingegriffen hast, anstatt nur teilnahmsloser Zuschauer unter der Decke zu sein? Es ist nicht klar, mit wem sich Damiano duellieren wollte. Um nicht wahnsinnig zu werden, verarbeiten eure rationalen Hälften die Widersprüche eurer Beziehung und ihr duelliert euch. Am Ende gewinnen beide oder keiner – auch wenn du das Ende nicht mehr gesehen hast.«

Morrigan ließ ihren Arm los, als sie sicher war, dass Anne wieder auf eigenen Füßen stand. Beide Frauen konzentrierten sich einen Moment lang an einer von vergangenen Unwettern unterspülten Stelle des Pfades auf den sicheren Abstieg und schwiegen.

»Die verschleierten Hauben stehen möglicherweise für die Geheimnisse, die ihr voreinander habt. Sie verhüllen und führen gleichzeitig in die Irre. Du hattest schon mehrere solcher Träume, nicht?«

»Hmm, das kann man wohl sagen ... Noch viel Verrücktere ... In manchen hatte ich mehr Kontrolle.«

»Hast du schon einmal Erlebnisse mit in deine Realität gebracht? Wie den Kratzer heute oder die Prophezeiung?«

Anne verneinte und rieb sich abwesend den Unterarm.

»Dann hat die Magie des Cottages die Wirkung deiner Träume verstärkt«, erklärte Morrigan.

»Freyas Säckchen und der Geißblattstrauch haben mir geholfen, mich an meine Träume zu erinnern und sie ein Stück weit zu lenken. Ich meine, ich konnte um eine bestimmte Art von Träumen bitten, daheim in Berlin. Am einfachsten hat es mit erotischen Träumen funktioniert. Für Ernsthafteres war ich zu Beginn zu ungeübt. Ich hatte auch andere, aber oft konnte ich nur Fragmente davon rekonstruieren. Die Erotischen ließen da weniger Platz für Interpretationen ...«, gab sie errötend zu.

Die Alte nickte zustimmend: »Honeysuckle fördert erotische Fantasien. Unter anderem. Vor allem, wenn man wie Freya ein wenig nachhilft.«

Der Jüngeren entging der Kommentar, denn eine andere Frage hatte ihre Aufmerksamkeit gefesselt: »Was meinen Sie mit der Magie des Banfhile-Cottages? Und mit Siegeln und solchen Dingen? Was ist heute Morgen passiert?«

Morrigan zuckte mit den Schultern und erklärte mit fester Stimme: »Zuerst dachten wir, es sucht jemand nach deinem Aufenthaltsort mit Hilfe einer Seance, einem magischen Ritual. Die Wände des Cottages wurden kurz durch einen Zauber gestreift – getestet, wenn du so willst. So als wolle sich jemand versichern, dass eine ausreichend große Menge an Magie darin steckte, dann war es wieder still. Doch gleich darauf wurde das Beben bedrohlich und vor allem kam es von innen wie von außen. Plötzlich ächzten die Siegel. Jemand verlangte Einlass. Wir konnten die Quelle nicht eindeutig lokalisieren. Das Ziel war deine Kammer, denn dorther kam das Lockmittel. Dieses Phänomen spricht dafür, dass ihr einen Traum geteilt habt. Auch wenn du nur deine Emotionen gespürt hast, das Drehbuch dafür stammte von euch beiden. Er versucht herauszufinden, wo du dich aufhältst und ich frage mich, warum das so ist.«

Anne wurde schreckensbleich. »Um das zu erklären, muss ich meine Geschichte weiter spinnen. Und dazu muss Freya wieder zurück sein!«, wand sie sich heraus. Einem Impuls folgend fügte sie an: »Was macht Ihre Nichte denn in Wahrheit in der Stadt? Es geht doch sicher nicht nur um ein gestörtes Telefon? Und was hat es mit dem Cottage auf sich?«

Morrigan wandte sich zu ihr um. »Gut kombiniert! Freya trifft sich mit dem Rat der weisen Frauen, einem mächtigen Wicca-Coven. Davon abgesehen haben wir tatsächlich ein Problem mit dem Telefon. Mir fällt derweil die Aufgabe zu, dich vom Schlafen abzuhalten, bis der Coven zusammen mit den ehrwürdigen Druiden eine gangbare Lösung gefunden hat. Außerdem musste ich die Siegel versorgen, oder mit Magie aufladen, wenn du so willst. Sie waren arg in Mitleidenschaft gezogen – erst durch die Belastung mit den während deiner Geschichte freigesetzten Emotionen, die Banfhile zu neutralisieren versucht. Später ist der morgendliche Regenerationsprozess des Cottages durch den Traum gestört worden. Aber keine Angst, Kindchen, das passiert uns nicht noch einmal. Wir haben deine Macht unterschätzt, aber jetzt sind wir vorbereitet!«

»Steht deshalb im Treppenaufgang diese eigentümliche Warnung auf dem Metallschild? Warum hängen überhaupt jeden Tag neue Sprüche im Flur und in meiner Kammer?«

Morrigan schüttelte erstaunt den Kopf: »Wir haben damit nichts zu tun. Es ist das Cottage selbst, was sich über die Schilder mitteilt. Bemerkenswert, dass du sie sehen kannst! Banfhile hat seit Jahrhunderten nicht zugelassen, dass Dritte diese Botschaften sehen konnten!«

»Wer oder was ist Banfhile?«, hakte sie mit skeptisch hochgezogenen Augenbrauen nach.

Morrigan ließ sich einen Moment Zeit mit der Antwort, als wöge sie ab, wie viel sie erzählen mochte: »Banfhile ist das irische Wort für Poetin. Das Cottage ist das Erbe und der Stammsitz einer uralten Linie von weiblichen Empathen, die einst sehr machtvoll waren und die mit ihren Emotionen Ereignisse und Personen nach ihren Wünschen beeinflussen konnten. Viele Legenden ranken sich um die ersten Generationen von Bewohnern. Einige lebten in der Vergangenheit unerkannt unter dem Deckmantel der Heil- und Schreibkunst, unterhielten später literarische Salons und waren gesellschaftlich sehr aktiv.« Die alte Frau hielt kurz inne, besann sich dann aber und sprach weiter. »Banfhile war ihr geheimer Rückzugsort. Vor Ewigkeiten verraten, fielen sie den dunklen Machenschaften der neuen Welt zum Opfer. Die weißen Frauen – der Hexenzirkel – schützen bis heute gemeinsam mit den alteingesessenen Druiden dieses Erbe. Das Haus ist ein machtvoller, magischer Ort der alten Welt. Es lebt. Und es hat dich zu uns gebracht. Aber das ist eine andere Geschichte für einen anderen Tag, wenn du mehr von unserer Welt kennengelernt hast!«

»Hat der Zettel mit der Prophezeiung etwas mit Banfhile zu tun?«, hakte Anne nach.

»Banfhile ist der Schlüssel und das Schloss. Die Prophezeiung ist die Medizin gegen das Vergessen. Banfhile hat sie dir verordnet.«

»Wer hat den Zettel geschrieben?«

»Der Handschrift nach würde ich sagen, Damiano.«

Die beiden Frauen waren bis auf ein paar dutzend Meter zurück am Haus. Anne konnte von ihrem leicht erhöhten Standort ihren Mietwagen in der geschotterten Einfahrt stehen sehen. Alles wirkte normal, wie ein typisch irisches Steinhaus im aufsteigenden Nebel eben aussah. Nicht wie ein Hexenhaus, in dessen Wänden sich Magie staute und das sich in den Morgenstunden neue Energie aus alten Hexen-Ritualen zog. Und das Zettel mit Prophezeiungen, geschrieben in Damianos Handschrift, herbeizauberte. Woher wusste das Cottage überhaupt, wie Damianos Handschrift aussah? Und Morrigan?

Anne konnte in Anbetracht der Lage ihre Sprachlosigkeit nicht verhindern. Welche Fragen stellte man in einer so surrealen Situation? Leider erübrigte sich die Frage, ob Morrigan sich einen schlechten Scherz mit ihr erlaubte. Die Antwort darauf war einfach. Das Ganze war ernst.

Die alte Frau sah sie mitfühlend an und legte die Hand für einen kurzen Moment beruhigend auf ihren Arm: »Mein Kind, es tut mir leid, wenn wir dir die Wahrheit nicht in leicht verdaulichen, kleinen Dosen verabreichen können, wie es geplant war. Es ist um vieles besser, die Dinge im eigenen Tempo und mit den eigenen Augen zu erfassen, statt sie auf diese harsche Weise zu erfahren. Sich sanft zu erinnern, der Prophezeiung den Raum zu geben, sich langsam zu entfalten. Mit dem heutigen Morgen mussten wir diesen Plan aufgeben. Du solltest mit deiner Erzählung fortfahren. Damit wirst du ein paar der Rätsel von allein lösen. Und morgen legen wir dir ein Tarot.«

Anne versuchte, die verschiedenen Informationen, die aus der alten Frau heraussprudelten, zu einem sinnvollen Ganzen zusammenzubauen, mit dem auch ihr Verstand etwas anzufangen wusste. Endlich rang sie sich wenigstens durch zu fragen: »Was ist der Grund, dass ich gerade Sie hier wieder treffe, zu dieser Zeit, an diesem Ort? Ich meine, das ist doch kein Zufall, oder? Was ist aus dem B&B in Wales geworden? Haben Sie es verkauft? Ah, entschuldigen Sie, ich will Ihnen nicht zu nahe treten oder so ...«

Vorsichtig lugte sie in Morrigans Richtung und entspannte sich, als sie das einladende Lächeln auf dem Gesicht der Alten sah. »Ach was, Zufälle gibt es nicht! Alles geschieht, wie es vorherbestimmt ist. Auf die eine oder andere Weise, auch wenn es nicht den Anschein hat und manchmal mit großer Mühe für uns verbunden ist. Ich werde immer dort sein, wo du mich brauchst. Zu einer Zeit, zu der du mich brauchst. So verhält es sich auch mit den Räumlichkeiten. Basta!« Sie schritt an ihr vorbei, durchquerte den zu dieser Jahreszeit etwas trostlosen Gemüsegarten und verschwand in Richtung Terrasse, um ins Haus zu gelangen. Anne, bei der sich der Schleier über ihrem Verstand endlich lichtete, eilte ihr hinterher, um nachzufragen, was dieses Gerede bedeuten sollte. Um Antworten zu bekommen.

Stille, der Geruch nach frischem Kräuterbrot mit Koriander und einladende Wärme empfingen sie. Nur Morrigan konnte sie nirgends finden. Stattdessen knarrte die Haustür und kurz darauf trat Freya in den dämmrigen Flur. Ein Bund Schlüssel wurde auf die Anrichte gelegt. Sie fragte sich, warum sie keine Motorengeräusche oder das Knirschen der Reifen auf dem Schotter gehört hatte.

»Habe ich etwas verpasst?«, fragte die Freundin in ihrer enthusiastischen Art, als sie Anne im Vorbeigehen unschlüssig im Wohnraum stehen sah.

»Ich suche deine Tante! Wir sind eben erst von einem unglaublichen Spaziergang zurückgekommen und sie scheint wie vom Erdboden verschluckt zu sein!«

Freya nickte wissend und knöpfte dabei ihren Mantel auf. Dann richtete sie ihre Frisur und strich sich einige schwarze Strähnen aus dem Gesicht. »Ja, sie hat von Zeit zu Zeit diese enervierende Angewohnheit! Lass dir gesagt sein, du wirst sie nicht finden, solange sie es nicht will. Also hör am besten gleich auf zu suchen ...«

Anne traute ihren Ohren nicht. Konnte nicht alles einfach zur Normalität zurückfinden? Das Cottage war nicht groß genug, um sich darin unauffindbar zu verstecken. Vor allem wenn man in Betracht zog, dass sie Morrigan nie die steile Holztreppe ins Obergeschoss benutzen sehen hatte, weil deren Schlafzimmer im Erdgeschoss lag. Und einen Keller schien das Haus nicht zu haben. Was zur Hölle wurde hier gespielt? Waren alle in diesem Cottage miteinander verschworen, ihr vorzugaukeln, sie hätte ihren Verstand verloren? Ganz zu schweigen davon, welche Theorien ihr die Alte in der letzten Stunde aufgetischt hatte.

Und so konnte Anne nicht verhindern, dass sich ein Quäntchen Misstrauen in ihre Stimme schlich und sie unnötig bissig färbte: »Und, hast du in Killarney alles erledigen können? Wo parkt eigentlich euer Auto? Oder gibt es etwa eine funktionierende Busverbindung in dieser Wildnis?«

Freya schaute sie einen Moment schräg von der Seite an, ehe sie in neutralem Ton antwortete: »Ja, mein Aufenthalt in Killarney war erfolgreich. Ich habe eingekauft und die Antworten mitgebracht, die wir brauchen. Außerdem das Versprechen, das unser Internetzugang bis Samstag wieder funktioniert. Und was das Auto angeht: Tara hat es bei ihrem letzten Besuch zu Schrott gefahren, als sie von der Straße abgekommen ist. Wir haben den Wagen danach nicht mehr ersetzt. Ich habe mir das Auto vom alten MacKenzie geliehen, der drei Meilen landeinwärts lebt und es uns gerne borgt, wenn ich im Gegenzug seine Einkäufe aus der Stadt mitbringe.« Sie hielt einen Moment inne, wie um in die Stille zu lauschen. »Beruhige dich, Anne, du bist hier sicher und behütet! Kein Grund, in Misstrauen und Panik zu verfallen. Meine Tante und ich, und der Zirkel, wollen dir nichts Schlechtes! Wir wollen dir helfen, also nimm zur Abwechslung mal etwas Hilfe an!«

Mit diesen eindringlichen Worten ließ sie die Jüngere stehen, brachte ihre Garderobe in den Flur und verschwand mit den Einkäufen in der Küche. Anne schaute ihr betreten nach. Sie hatte die Freundin nicht verletzen wollen. Konnte jedoch die Lage, in die sie sich gebracht hatte, nicht einschätzen, geschweige denn verstehen, was für ein Spiel mit ihr und ihrem Leben gespielt wurde.

Sie folgte Freya in die Küche und erhob leise die Stimme: »Entschuldige, aber das ist einfach alles zu viel für mich! Ich verstehe nicht, was hier vor sich geht!«

Die zierliche Frau sprach halb über ihre Schulter, ohne in ihrem Tun innezuhalten: »Das ist kein Wunder und es nimmt dir auch niemand übel. Vertrau uns, wenn du kannst! Ihr flüchtet euch momentan in die Träume, weil eure alte Möglichkeit der Kommunikation verstopft ist und ihr euch darüber nicht mehr findet. Reinige den verstopften Kanal, schlage ich vor. Das Verständnis dafür wird dich Stück für Stück finden, so wie es bestimmt ist. Es wird dir helfen, deine Geschichte weiter zu erzählen. Dann wirst du die Dinge mit anderen Augen sehen und deine Fragen selbst beantworten können. Bis dahin vertrau auf unsere Hilfe und die Weisheit von Morrigan!«

Anne zwang sich zu einer ruhigen Stimmlage, als sie fragte: »Nur eine Sache noch für den Moment: Muss ich mich um meine Kinder sorgen?«

Freya schaute sie überrascht an, schüttelte dann jedoch vehement den Kopf. »Nein, nein, dafür besteht kein Grund. Sie sind sicher und unbehelligt, dort wo du sie untergebracht hast!«

»Dann bin ich bereit fortzufahren.«

Es dauerte nicht lange und sie saß auf der Couch im Wohnzimmer, in der Hand einen dampfenden Kräutertee, auf dem Schoß einen Teller mit köstlich duftendem Gebäck. Morrigan war wie aus dem Nichts wieder aufgetaucht. Plötzlich waren ihre schlurfenden Schritte im Flur zu hören gewesen und dann nahm sie kurz darauf wortlos in ihrem Schaukelstuhl am Kamin Platz. Freya kümmerte sich ums Torffeuer und entzündete ein paar der handgemachten Kerzen. Inzwischen kam es Anne wie ein kleines Ritual vor, das sich jeden Tag abspielte, ehe die Freundin ihre Schreibsachen herausnahm.

»Willst du trotzdem weiter schreiben? Trotz ... allem, was hier passiert?« Ihr Einwand klang selbst für ihre eigenen Ohren kläglich.

»Natürlich! Ich erzähle eine Liebesgeschichte, mehr nicht.«

»Warum schreibst du dein Manuskript überhaupt mit der Hand?«, erkundigte sie sich.

Freya lächelte ob dieser Frage und nahm am anderen Ende der Couch Platz. »Das wirkt im Zeitalter von Laptops sicher antiquiert auf dich. Aber ja, genau aus diesem Grund tue ich es – ich bin ziemlich altmodisch, wenn es um die Skizzierung meiner Manuskripte geht!«

 

 

 

Kapitel 2: Annes Geschichte – 3. Akt

Deutschland, Berlin, Anfang Januar 2012

 

Anne hörte zwei Dinge gleichzeitig. Dumpf, wie durch einen gigantischen Wattebausch zu ihr vordringend. Das unverkennbare metallische Kratzen, mit dem ein Schlüssel ins Schloss fand. Und das wütende Surren ihres iPhones. Die Geräusche tröpfelten in ihr Bewusstsein, welches sich gerade mit brachialer Gewalt in einem Akt der Selbstzerfleischung eines wesentlichen Teils ihrer selbst entledigte.

Das Teufelshörnchen – Quelle ihrer Kreativität, Hort ihrer Empathie – starb. Röchelte mühsam, als hätte es sein Dahinscheiden noch nicht akzeptiert. Wenige Sekunden trennten Anne davon, diese Farce von Ehe nicht mehr länger spielen zu müssen. Ihr Mann kam zeitig nach Hause. Zeitiger als sonst. Ein Blick auf ihre zusammengesunkene, tränenüberströmte Gestalt vor dem bodentiefen Spiegel auf der Galerie würde Sebastian genügen, um die ungeschönte Wahrheit zu erkennen.

Ihre jüngste Tochter Gillian schrie im Schlafzimmer. Sie mochte es nicht, allein zu sein. Sie würde warten müssen. Anne versuchte, die äußerlichen Störungen zu minimieren, um dem Todeskampf des Teufelshörnchens weiter ungestört beizuwohnen. Wut keimte auf. Ihre Hand erstarrte mitten in der Bewegung, das vibrierende Telefon schwungvoll gegen die Wand zu befördern. Die Augen weit vor Überraschung hechtete sie nach dem eben noch verhassten Gerät.

Damiano.

Sein Chat-Name auf dem Display! Damiano hatte geschrieben! Endlich!

Zittrige Finger erbeuteten das Handy, klaubten es vom Boden auf. Im nächsten Moment fiel sie halb durch die Schlafzimmertür, in dem verzweifelten Versuch, das Zusammentreffen mit ihrem heimkehrenden Mann doch noch hinauszuzögern.

Das iPhone wie eine Trophäe umklammert, nahm Anne eilig die schreiende Gillian aus ihrem Gitterbett. Sie setzte sich das acht Monate alte Baby auf die Hüfte, unablässig sinnlose Laute ins Ohr der Kleinen flüsternd. Hoffentlich war das, was sie zu sehen gemeint hatte, keine Fata Morgana, kein letztes Aufbäumen der Hoffnung des überaus naiven Teufelshörnchens.

Anne holte tief Luft, um ihre Stimme wenigstens oberflächlich zu beruhigen. Mit dem Handrücken wischte sie sich die Tränen aus den Augen. Woher sie die Kraft nahm, Sebastian in festem Tonfall zuzurufen: »Wir sind im Schlafzimmer! Ich komme gleich, muss nur kurz Gillian besänftigen! Du kannst ja Kaffee aufsetzen!?«, hätte sie nicht beantworten können.

Mit angehaltenem Atem wählte sie sich in den Chat ein. In den Sekunden, die es dauerte, die Verbindung herzustellen, war sie seltsam gefasst. Und leer. Alles, was zählte, war, dass Damiano sich gemeldet hatte. Alles Weitere konnte sie verkraften. Jede Wahrheit, jeden Abschied, den er ihr mitzuteilen hatte, konnte sie verkraften. Er war zurück und er hatte seine Damsel nicht vergessen. Diese Gewissheit gab ihr Halt für den Moment.

 

Darklord: »Ich bin am Flughafen. Gerade angekommen. Kein Internet auf dem Schiff und den Inseln. Das tut mir leid. Ganz viele Küsse, werde später ausführlich berichten. Wir können in Kürze chatten. Muss los, das Gepäck abholen. Dir – wenn auch spät – ein gesundes neues Jahr! Und nochmal viele Küsse!!! D.«

 

Sie fühlte, wie sich das Lächeln, das sich mit dem Lesen der Nachricht auf ihrem Gesicht eingefunden hatte, langsam im ganzen Körper ausbreitete. Das Teufelshörnchen, eben noch röchelnd am Boden, hob verwirrt den Kopf. Holte dann befreit Luft. Damiano war wieder da! Wie hatte sie nur an ihm zweifeln können?

Offenbar hatte er ihr noch vom Flughafen aus geschrieben. Freya hatte Recht behalten: Der Grund für sein Schweigen war eine fehlende Internetverbindung. Sofort hielt eine zweite Stimme in ihr dagegen: Die Karibik für zwei Wochen offline? Dass es so etwas in ihrer modernen Welt tatsächlich noch gab? Und warum war Damiano überhaupt so spät dran? Er hatte sich mit den Worten verabschiedet, dass er am dritten Januar zurück sein würde. Heute war der Siebte. Was hatte Anne falsch verstanden? War ihr Drama am Ende der Tatsache geschuldet, dass sich Damiano bei der Rückreise vertan und ihr das verkehrte Datum mitgeteilt hatte? Sie wischte die neuerlich aufkeimenden Zweifel beiseite. Alles, was zählte, war seine Rückkehr. Und seine Nachricht mit der Aussicht auf einen lange überfälligen Chat.

Das konnte sie getrost Rettung in letzter Sekunde nennen. So schaffte sie es, mit Gillian auf dem Arm unbemerkt ins Bad zu schlüpfen. Sie benetzte sich das Gesicht mit kaltem Wasser, um die auffälligsten Spuren ihrer versiegten Tränen zu tilgen. Wenn Sebastian nicht zu genau hinschaute, würde er Annes leicht verquollene Augen hoffentlich übersehen. Damiano war zurück! Ihr Herz klopfte wild in ihrer Brust. Endlich war die Zeit des Zermarterns vorbei! Das Lächeln, das sie ihrem Mann schenkte, als dieser im Türrahmen auftauchte, war unverfälscht und ehrlich. Wenn auch aus einem anderen Zusammenhang heraus, als sich Sebastian das jemals würde ausmalen können.

Annes Freude war ansteckend. Er erwiderte nicht nur zaghaft ihr Lächeln, sondern bot ihr spontan an, mit Gillian im Wagen einen kurzen Spaziergang zu unternehmen. Er wollte auf dem Rückweg die Zwillinge aus dem Kindergarten holen, so dass sich seine Frau eine Stunde lang ausruhen konnte. Was einer Premiere gleich kam. Mit dem unverhofften Freiraum wusste sie vor Überraschung und fast ekstatischer Aufregung nichts anderes anzufangen, als den Kaffeetisch zu decken. Zur Feier des Tages mit Kerzen und Accessoires liebevoll dekoriert, als würde sie an einem Sonntagnachmittag die geballte Familienmaschinerie anwerfen. Danach erledigte sie ein paar Handgriffe im Haushalt, bis der Kaffee durch die Maschine gelaufen war und ihre Familie nach Hause kam. ,Damiano ist zurück! Heute Nacht wird gechattet! Der Darklord ist zurück!', schmetterte derweil das Teufelshörnchen ununterbrochen sein Triumphlied in ihrem Kopf.

 

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TheShadow @ All: Ich habe versagt! Das erste Mal in meiner Existenz und im Dienste für den Darklord, habe ich versagt! Den Bruchteil einer Sekunde zu spät, um die Lady den Klauen seiner Feinde zu entreißen und wie befohlen auf die Burg des Vollstreckers zu bringen. Unmöglich! Inakzeptabel! Ich ziehe mich in die Schatten zurück, noch ehe mich einer der verblüfften Grauelfen entdecken kann, und wäge meine Chancen ab. Das Portal in die andere Dimension, durch das Ronin mit der Maid entschwunden ist, schließt sich. Es steht außerhalb meiner Macht, es erneut zu öffnen. Ich kenne nur eine Person, die mir zu helfen vermag. Sie lebt auf einer Insel, jenseits dieser Gestade. Ihre Hilfe ist der einzige Weg, mein Versagen in Triumph zu verwandeln. Moglie wird nicht begeistert sein, mich zu sehen.

 

Menetaurosta @ Maid / All: Mit einem gewagten Sprung schaffe ich es, durch das Wurmloch zu hechten und mich an die Fersen der Maid zu heften, ehe es sich schließt. Sie wird von einem nach schwärzester, beißender Boshaftigkeit stinkenden Dämon verschleppt. Wäre ich doch nicht an der Spitze der Grauelfen geritten, um ihnen den Weg zu weisen! Das Spiel hätte ich sofort durchschaut, auf dessen Maskerade sie so naiv hereinfiel. Aber das Schicksal geht eigene, verschlungene Wege. Wieso setze ich meinen Ruhestand aufs Spiel, um die Lady des Lord Vollstreckers zu retten? Ich habe keinen Anteil an dieser uralten Fehde, und doch bleibt mir keine Wahl. Mir schwinden die Sinne.

 

KnightofSwanstone @ All: Verdammt, welch Katastrophe! Erneut wurde sie meinen Händen entrissen! Wir haben geschworen, sie mit unseren Leben zu schützen! Meine treuen Gefährten der Vorhut kehren zurück. Sie berichten, dass der Druide zur Rettung der Maid geeilt sei. Als sie an der Stelle nachgesehen haben, an der er zum letzten Mal gesichtet wurde, haben sie Spuren gefunden, die sich ins Nichts verloren. Ich bete dafür, dass er unbeschadet dort angekommen ist, wo das Portal ihn hingeführt hat. Wir müssen den Lehnsherrn finden. Besser noch, wir finden den Darklord persönlich. Mein Unbehagen ob des verbotenen Kusses darf mich nicht davon abhalten, das Richtige zu tun! Der Vollstrecker wird Mittel und Wege haben, dem Dämon zu folgen. Ich gebe die notwendigen Befehle. Wir brechen noch in dieser Minute auf.

 

Ronin @ Maid / Darklord: Was für ein Sieg! Ein köstlicher Triumph! Ich habe, was einst dem Darklord gehörte. Meine Rache! Nach mehr als tausend Jahren! Ich berausche mich an meiner Überlegenheit. Das Gefühl von Unbesiegbarkeit treibt mich voran – das Erbe Kaleighs, der Schlüssel zur Ahnin Lilith und meine Rache an diesem erbärmlichen Vollstrecker! Alles ist plötzlich greifbar. Möglich durch das Bündel bewusstloser Frau, das ich mir halb über die Schulter geworfen, halb unter den Arm geklemmt habe. Ich habe Tage Zeit, ehe ich sie an Lilith ausliefern muss, damit das Tribunal seinen Lauf nehmen kann. Ich gedenke, jede Stunde davon zu genießen. Die Maid wird am Ende den Tod von der Hand ihres Geliebten herbeisehnen, wenn ich mit ihr fertig bin! Zufrieden tätschele ich meinem treuen Höllenhund den Kopf, während wir dem Palast entgegeneilen.

 

Maid @ All: Ich bin eingesperrt in meinem Körper. Erneut. So schwach. Verabscheuungswürdig schwach und abgrundtief naiv, in solch eine Falle zu tappen. Das kühle Geschmeide um meinen Hals ist alles, was ich wahrnehme. Die Bewusstlosigkeit zieht mich tiefer in ihre Fänge.

 

Menetaurosta @ Maid / All: Als ich zu mir komme, sehe ich im letzten Moment, in welche Richtung Höllenhund und Dämon ihre Beute verschleppen. In dieser menschenunfreundlichen, kargen Geröll-Landschaft mit einem penetranten Geruch nach Schwefel fällt es mir schwer, sie nicht aus den Augen zu verlieren. Ich bin auf mich allein gestellt. Die Leibgarde hat es nicht vermocht, uns hierher zu folgen. Die Maid ist von jedweder Hilfe abgeschnitten. So weit fort vom Lord Vollstrecker werden sich die Beschwerden durch die Überreste des ewigen Bandes noch weiter verschlimmern. Ich bin ihre einzige Hoffnung, auch wenn ich noch nicht weiß, wie ich Hilfe spenden soll. So begnüge ich mich einstweilen damit, ihnen unentdeckt durch das Dämonenreich zu folgen.

 

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Darklord: »Hier bin ich. Meine Frau ist nach Rom geflüchtet. Trotz des langen Rückflugs war ich bis eben im Büro und bereite mir jetzt eine verdiente Sauna vor. Und riskiere, darin einzuschlafen und dabei zu sterben. Entschuldige den Blackout, aber auf dem Boot gab es keine Internetverbindung und auf den Inseln konnte ich ebenfalls keine Nachricht absetzen. Wie geht es dir, meine Lady? Ich freue mich darauf, von dir zu hören. Ein langer Kuss. D.«

Anne wachte kurz nach Mitternacht durch ein fast verloren geglaubtes Gefühl auf. Sie wurde gerufen. Damiano war daheim in Mailand und dachte an sie, damit sie aus ihrem Schlummer aufwachte. Sebastian schien wieder auf der Couch eingeschlafen zu sein, nur Gillian lag friedlich schlummernd in ihrem Gitterbett. Alles war ruhig. Es kam einem Wunder gleich, dass sie nicht vor Aufregung kerzengerade im Bett gesessen hatte, bis der Darklord endlich online war. Nun stand einem ungestörten Chat nichts mehr im Wege.

Maid: »Hi und willkommen zurück! Muss richtig aufwachen. Wehe, du schläfst in der Sauna ein! Also, wie war dein Urlaub?« Sie hielt die Luft an und wappnete sich für seine Antwort.