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"Made in Taiwan" - den Ausdruck kennt jeder. Aber was für Land steckt hinter dem Hersteller von Billigklamotten und immerhin 80% aller Notebooks weltweit? Und wie lebt es sich dort, wo Highspeed-Internetverbindungen genauso selbstverständlich sind wie die Gefahren durch hungrige Geister? Je nach Standpunkt ist Taiwan eine subtropische Insel im Pazifik mit spektakulärem Gebirge, ein Hort traditioneller chinesischer Kultur, die erste chinesische Demokratie, eine ehemalige japanische Kolonie, ein Flugzeugträger der USA oder eine abtrünnige Provinz der Volksrepublik China. Um mit diesem Wirrwarr fertig zu werden gibt es nur eins: den konsequent subjektiven und neugierigen Blick. Und damit erzählt die Autorin Geschichten über Chaos und Ordnung im Alltag, das gute Benehmen gegenüber der hiesigen und jenseitigen Welt und von der komischen Figur, die sie als Okzidentalin in all dem abgibt. Mythen zu Bräuchen und Festen werden verwoben mit Eindrücken vom gegenwärtigen Leben, und auch Geschichte und Politik werden auf humorvolle Weise kommentiert. Das Buch ist ein kurzweiliger Beitrag, um von der unvermeidbaren Brille westlicher Sozialisation, durch die wir China und Taiwan betrachten, zumindest die Scheuklappen zu entfernen.
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Seitenzahl: 395
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Ilka Schneider
Abenteuer Alltag in Taiwan
Erschienen in der Edition Reiseratte im Dryas Verlag
In Erinnerung an meine kleine Schwester Huang Chenxuan
Vorwort
1. Ankunft im Taifun
2. Wohnen bei Mama Zheng
3. Verkehrsregeln oder: „Huhu! Ich komme!”
4. Tempelraten
5. Der Nationalheld Coxinga
6. Kulinarien
7. Der Gott der Literatur, das Mondholzorakel und die Schutzgöttin der Seefahrer
8. Regen, der auf Zedern fällt
9. Mitteherbstfest
10. Daoismus oder die Einheit aller Dinge
11. Chinesische Namen
12. Fragen der Höflichkeit
13. Torture-Cindy's Taiji
14. Der Geburtstag des Konfuzius
15. Sonderbar sind immer die anderen
16. Taibei
17. Teezeremonie
18. Taiji am Kongzimiao
19. Ausländer in Taiwan
20. Sag's durch die Blume
21. Allein sein, heißt traurig sein
22. Tuschmalerei
23. Alishan
24. Töne und Zahlen
25. Geistergeschichten
26. Karaoke
27. Wahlkampf beim Göttergeburtstag
28. Deutschunterricht
29. Krasse Frauen
30. Todesursache Liebe
31. Orakelchinesisch am Sonnemondsee
32. Sicherheit zum Zeitvertreib
33. Westlicher Jahreswechsel
34. Babylon
35. Chinesisches Neujahr
36. Chinesenkoller in der Taroko-Schlucht
37. Beim Friseur
38. Laternenfest
39. Taiwanische Spezialitäten
40. Betelnutbeauties
41. Japanbarock und Tabledance
42. Geburtstage
43. Erdbeben
44. Spielregeln
45. Sport und Wellness
46. Fest der internationalen Küche
47. Das Totenfest Qingmingjie
48. Die grüne Insel
49. Fahrradreparatur
50. Fiebrige Giftgedanken
51. Hochzeit und Geburt
52. Chinesische Fabeln
53. Super-Ama und die Taiwanfrage
54. Getier
55. Romance of the three kingdoms
56. Kuhhirte und Weberin
57. Die Freude der Fische
58. Wenn der Himmel herabstürzt
59. Felder und Berge
60. Der Doppelfünfte
61. Beim Wahrsager
62. Abfall
63. Abschiedsgeschenke
64. Gefahren des Alltags
Kleine Auswahl populärer Gottheiten
Karte
Literaturverzeichnis
Bilder
Impressum
Ende der 80er Jahre hatte ich in der VR China ein typisches Gespräch mit einem chinesischen Mitreisenden im Zug. Nach den üblichen Präliminarien, das Alter, den Familienstand und den Beruf betreffend, wollte er gerne wissen, ob Hitler Ost- oder Westdeutscher gewesen sei. Als ich antwortete, er sei Österreicher gewesen, war mein Gesprächspartner verwirrt und ich hoffte, dass ich nicht Österreich (Audili) mit dem mehr nach Austria klingenden Australien (Audalia) verwechselt hatte. Und, ergänzte ich naiv, damals hätte es auch noch kein West- und Ostdeutschland gegeben, sondern es sei damals ein Land gewesen, so wie China und Taiwan. Der freundliche Mann wurde plötzlich sehr ärgerlich und fing an lauthals zu schimpfen. Dass Taiwan auch heute noch eine Provinz der Volksrepublik sei und wovon ich überhaupt rede. Mehr verstand ich von seiner Tirade nicht, aber er hörte so schnell nicht auf. Nach diesem Ausbruch sprang er auf und kraulte sich hektisch durch den überfüllten Zug, weit weg von mir. Denn aus Sicht der VR gab und gibt es keine Teilung, sondern nur so etwas wie Widerspenstigkeit oder schlechtes Benehmen der Inselprovinz. Von der Heftigkeit der Reaktion erschrocken und von meiner unwissenden Taktlosigkeit peinlich berührt, übernahm ich dann das Taiwan-Tabu. Es war, als ob ich mir durch die Beschäftigung mit der VR China im vorauseilenden Gehorsam die Neugier auf Taiwan verboten hatte.
Das Wort „Taiwan“ löste bei mir daher weiterhin nur so wenig großartige Assoziationen wie billige Klamotten und Plastikspielzeug aus. Später kamen Elektronik und Notebooks hinzu. „Made in Taiwan“ eben. Ich kam nicht im Mindesten darauf, dies damit in Verbindung zu bringen, dass Taiwan in kaum einem Land als Staat anerkannt ist und es daher die Außenpolitik durch Außenwirtschaftspolitik ersetzen muss.
Das andere, was mir noch linientreu zu Taiwan einfiel, war, dass sich die im chinesischen Bürgerkrieg unterlegene nationalistische Partei Guomindang 1949 auf Taiwan zurückgezogen hatte und dort lange regierte. Und die war mir wegen korrupten und ausbeuterischen Benehmens im chinesischen Bürgerkrieg schon immer unsympathisch gewesen. Doch dann bekam ich aufgrund meines Chinesischstudiums die Möglichkeit, mit einem Stipendium für ein Jahr nach Taiwan zu gehen. Ich begann deshalb in meinem Hirn zu kramen, ob sich nicht auch positivere Aspekte finden ließen. Der taiwanische Regisseur Ang Lee fiel mir ein und sein Film „Das Hochzeitsbankett“. Und anhand dieser Geschichte, in der traditionell eingestellte Eltern aus Taiwan zu ihrem schwulen Sohn in die USA kommen und aus seiner Scheineheschließung eine große, chinesische Hochzeit mit allem Tamtam machen, fing es an mir zu dämmern: Taiwan ist ein chinesisches Land, in dem die Kulturrevolution nicht gewütet hat, in dem Traditionen und Bräuche noch lebendig sind, wo die alten Langzeichen benutzt werden und an jeder Ecke Geister und Götter hocken. Gleichzeitig handelt es sich mittlerweile um eine chinesische Demokratie mit hohem Lebensstandard. Plötzlich war ich Feuer und Flamme für Taiwan und wollte das chinesische Land erleben, das zugleich moderner und altmodischer ist als die VR China. Über mein bisheriges Desinteresse innerlich den Kopf schüttelnd, bewarb ich mich um das Stipendium.
Was ich da, wie vieles andere, noch nicht wusste, war, wie großartig Natur und Landschaft auf dieser kleinen Insel sind. Und mit wie viel Freundlichkeit mir die Menschen begegnen würden.
Als ich zurückkam, wurde ich regelmäßig gefragt, wie es denn war, in Thailand. Dabei war zu sehen, wie einige innerlich mit der Frage kämpften, warum um alles in der Welt ich denn zum Chinesisch lernen nach Thailand gegangen sei. Ich bin selber geografisch minderbegabt, aber dass Taiwan für vie le gar nicht zu existieren schien, machte mich im Hinblick auf das Allgemeinwissen der meisten Taiwaner über die Welt besonders betreten. So begann ich auf der Grundlage von damals kontinuierlich geschriebenen Texten und Geschichten dieses Buch zu schreiben.
Das Buch soll nicht nützlich sein, auf die Art wie ein Reiseführer nützlich ist. Es soll vielmehr den Nutzen des Nutzlosen haben, wie er im Buch Zhuangzi1 beschrieben ist. An einer Stelle diskutieren Huizi, ein Anhänger der sich mit Logik befassenden “Schule der Namen”, und Zhuang Zi (=Chuang Tzu=Tschuang Tse=Dschuang Dsi) darüber. Wer Zhuang Zi war, ob er sich selber als Daoisten bezeichnet hätte und ob es ihn überhaupt gab, ist – wie so oft – unklar, aber wenn, dann hieß er Zhuang Zhou und lebte vermutlich von 369-286 v.u.Z..
Huizi erzählt also, dass er Samen für einen Flaschenkürbis geschenkt bekommen habe, die Früchte aber so groß geworden seien, dass er nichts mit ihnen anfangen konnte. Als Gefäß konnte man sie nicht verwenden und auch zerteilt als Schöpflöffel nicht und so habe er sie zerschlagen. Zhuang Zi mokiert sich darüber, wie ungeschickt Huizi bei der Benutzung großer Dinge sei. Nach einer Parabel über den unterschiedlichen Nutzen, den man aus dem Rezept für eine Salbe gegen rissige Hände ziehen kann, fragt er Huizi: “Wieso habt Ihr nicht nachgedacht und daraus große Schwimmflaschen gemacht, um Euch mit ihnen auf Seen und Flüssen herumtreiben zu lassen? Stattdessen grämt Ihr Euch, weil sie zu groß und plump sind, um sie unterzubringen. Ihr hattet da wohl einen verworrenen Geist!”
Dieses Buch hier ist nun ohne Nutzen wenn man zum Beispiel ein Hotelzimmer sucht, und sonderlich groß ist es eigentlich auch nicht, doch zum vergnüglichen Treibenlassen durch eine fremde Welt könnte es taugen.
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1 Bücher, auf die im Text Bezug genommen wird, sind im Literaturverzeichnis im Anhang aufgeführt.
Beim Landeanflug auf den Jiang-Kaishek-Flughafen außerhalb von Taibei verspürte ich nicht nur den dringenden Wunsch, endlich anzukommen, sondern auch den dringenden Wunsch nicht anzukommen, weil ich mich nach der langen Reise und der eingetretenen Flugreiselethargie außerstande sah, mich der fremden Welt zu stellen. Glücklicherweise schert sich nie jemand um diese mir vertraute Ambivalenz und ich ergab mich dem unerbittlichen Ablauf der Gepäckausgabe und Grenzkontrollen. Und betrat Taiwan, die umstrittene Republik China. In dem überraschend kleinen Flughafen fand ich schnell die Schalter der Busgesellschaften und kaufte mein Ticket nach Tainan, die alte Hauptstadt Taiwans im Südwesten der Insel. Busse gelten in Taiwan als unsichere und langsame, aber billige Verkehrsmittel. Um Zug fahren zu können, hätte ich erst mit dem Bus nach Taibei reinfahren müssen, das gab letztlich den Ausschlag.
Als ich das Gebäude auf der Suche nach der Bushaltestelle verließ, war es lange nicht so heiß, wie ich befürchtet hatte und sehr windig. Ich wusste da noch nicht, dass ein Taifun ebenfalls im Landeanflug war. Kaum hatte ich es mir im Bus bequem gemacht, wurde ich auf einer Autobahntankstelle gebeten, wieder auszusteigen, um auf meinen richtigen Bus zu warten. Denn wie sich herausstellte, hatte es sich nur um einen Zubringerbus gehandelt, der ganz woanders hinfuhr. Die Länge der Zeit, die ich mutterseelenallein auf dem Parkplatz verbrachte, ließ immer wieder Zweifel aufkommen, ob ich nicht schlicht dort entsorgt oder vergessen worden war, aber meine überwiegende, drömelige Vertrauensseligkeit wurde nicht enttäuscht und der Bus nach Tainan kam schließlich. Zufällig hatte ich das billigste Busunternehmen erwischt und deshalb keinen Riesenpols-terluxussessel mit eigenem Fernseher und Lautsprechern in den Sesselohren, wie es bei den teureren Busgesellschaften Standard ist, sondern einen schmalen Sitz, obendrein ohne jeglichen Fußraum, weil sich die Lehne von dem Sitz vor mir nicht aufrecht stellen ließ. Ich faltete meine Füße auf dem Sitz und dachte ergeben chinesisch: mei banfa, da kann man nichts machen. Als ich abends in einem Tainaner Hotel ankam, ging alles angenehm unbürokratisch. Weder beim Geldwechseln, noch beim Einchecken im Hotel muss man lange Zettel und Durchschläge mit Passnummern und Visanummer und sonstigen Daten aller Art ausfüllen, wie es in der Volksrepublik China üblich ist. Geld hinlegen und fertig. Und das ganz legal. Kaum zu glauben. Um halb sieben wurde es dunkel und daran änderte sich auch im Jahresverlauf nichts wesentlich. Ich lief fremdelnd herum und konnte die hier gebräuchlichen Langzeichen kaum lesen. Mit mühsamer Arbeit und geduldiger Paukerei hatte ich vielleicht 2000-3000 chinesische Schriftzeichen gelernt, aber die in der VR China seit den 50er Jahren gebräuchlichen, vereinfachte Kurzzeichen. Nun hieß es: noch mal von vorn! Mein chinesischer Name beispielsweise lautet Shi Yikai. Das Zeichen für Shi ()ist in beiden Schreibweisen das gleiche und wird mit neun Strichen geschrieben. Kai wird als Kurzzeichen mit 9 Strichen (), als Langzeichen mit 13 Strichen ()geschrieben und ist soweit noch ganz gut erkennbar. Yi aber schreibt man in der VR mit 5 Strichen () und in Taiwan (oder Hongkong oder in allen Chinatowns dieser Welt) mit 15 Strichen (). Glücklicherweise hatte ich in Kursen für klassisches Chinesisch schon Erfahrungen mit den Langzeichen gesammelt, aber ernsthaft gelernt hatte ich sie nie. Dass sich diese Faulheit so schnell rächen würde, damit hatte ich nicht gerechnet.
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