Zwischen Wandelwelten - Xena Falkenbourg - E-Book

Zwischen Wandelwelten E-Book

Xena Falkenbourg

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Beschreibung

»Ich habe es gesehen! Jetzt noch leben wir in der Phase der lauten, ungestümen Fragezeichen, aber bald schon folgt die Zeit des tiefen Schweigens und erst die leitet über in die der Tat - ein Donnergrollen!« - 1327. Flaubert tauft sich um in Aldebaran, als er begreift, als letzter der deBougys diesen Namen nicht mehr offen tragen zu können. An Bord der Sarazenen gelangt er nach Tanger; auf dem Weg in die Berge trifft er Shadi-al-Baasir, ebenso im Zwischendrin hängengeblieben. Finden sie gemeinsam zur Vorderwelt zurück? Falls ja, warum? Fragen, immerzu Fragen; mit El Bachir, einem Düsterwind, richten sie die Stätte ein, die für sie Neubeginn heißt. Einen Tempel will sich Flaubert errichten und unkonventionellen Handel betreiben. Als Hexenmeister bezichtigten sie ihn in Europa; in der Wüste sollen sie ihn als Gott anbeten. Aber die, die ihn lenkt, verfolgt andere Pläne.

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Schattenbaum, eine vertraute und doch fremde Zeit.

Danke an all jene, die mich inspirieren, mich unterstützen und auf meinem spannenden Weg durch eine jahrtausendealte Fantasiewelt der Fragen und Antworten allen Seins begleiten.

Achtung: Die Geschichte beleuchtet unter anderem Abgründe, die auf zartere Gemüter verstörend wirken können.

1 Zwischen Wandelwelten

Inhaltsverzeichnis

Aldebaran Prolog: »Neugierde – unendliche Fragen im Schädel«

Aldebaran I: »Unten bei den Felsen«

Aldebaran II: »Götterwesen und andere Wanderer«

Aldebaran III: »Zwei Brüder«

Aldebaran IV: »Gefühl begehrt Raum und Fläche«

Aldebaran V: »Die Gürtlerzeit bricht an«

Symbolismus unterm Schattenbaum

Aldebaran VI: »Nebelgeister**)«

Aldebaran VII: »Des einen Blüte, des anderen Endlichkeit*)«

Die Geschichte vom fahlgelben Fauvel, der König werden will

Aldebaran VIII: »Wo die Erde sich erholt«

Verschiedene Mythen um die Urzeit und wie alles entstand

Aldebaran IX: »Missverstandene Seelen*)«

Aldebaran X: »Die Schattenburg«

Aldebaran XI: »Ragnarök ist unnötig, der Mensch regelt es selbst«

Aldebaran XII: »Eine Anderswelt im Nebelmeer«

Spielkarten »Eloysa-Blau« – »Baumreiter, Baum 2, 3, 4«

Spielkarten »Baum 5, 6, 7, 8, 9«

Spielkarten »Baum 10« – »Baumkrieger« – »Baumprinz« – »Baummeister«

Aldebaran XIII: »Leben-Tod-Kontraste«

Aldebaran XIV: »Die Welt der Präzision«

Aldebaran XV: »Menschlinge sind allesamt Mädchen«

Aldebaran XVI: »Tod auf den Lippen*)«

Aldebaran XVII: »Antworten, die gleichsam Fragen stellen«

Heinrich Heine: Wahre Prinzen aus Genieland

Svartalfheims Kasten

Ljossalfheims Kasten

Weissagung laut AΩ-Mythologie: Der König-der-letzten-Tage

Aldebaran XVIII: »Ja, wir Gürtler lieben Heldengesänge«

Aldebaran XIX: »Ein Schatten über dem Krähennest«

Anhänge

Eloysa-Blau – Kartenspiel der Götter, Folge 1: Baumkarten (Seite 245-247), Jokerkarten

Yggdrasil – Weltenbaum, Bündnisse & essenzielle Bewegungen

Ljossalfheim – Götterhimmel – Welt der Vakuda/Flammenhüter

Helheim – Dreigeteilte Welt, Vorderwelt/Zwischendrin/Hinterwelt

Niflheim – Welt des ewigen Eises im Nordmeer, Eiswolken/Charyques/Bloonies

Muspelheim – Welt des ewigen Feuers, Düsterwinde/Xandews/Schwarzbären

Shijtarrheim – Vieleweltenwelt/Tiyrs, Lokis Bollwerk der Toleranz, Wacht über die Welten

Midgard – Natur, magiefrei, mittels Schutzzäunen abgeriegelt

Mithrasheim – Schattentäler der Gürtler|alHizam, Leben-Tod-Bund Aldebarans

Binheim – Krankenhaus für Tote ab 14.Jhd von Frey Moeller, Bienenarmee

Neues Deutsches Heer (NDH) – ab 12.04.1965, Europäische Bündnisse, Verwaltung Frankfurt

Grüntalheim –

ab 06/1968

Grenzzaun-freie, friedliebende Anderswelt »sei, wer du bist«

Goldener Turm – ab 12/1972 Hauptquartier des Königs der letzten Tage

Sternenpark – Autarke Schutzzone, Schröderberg, Sofienpavillon 1, BB

Herzliche Bitte um Rezension

*)

Achtung! Markierte Kapitel enthalten verstörende Inhalte!

**)

Achtung, Kapitel enthält sexuell freizügige Inhalte.

Xena Falkenbourg, geboren 1969, am Tag der Erde im nordbadischen Rastatt, war schon als Kind mit der Fantasie eng verbunden. Mit geschlossenen Augen zu sehen? Bunte Lichter, vor dir tanzend? Zu erfühlen, was andere nur ertasten? Tiefer blicken? Nachspüren? Wunderbar, Eiswinde oder Gischt auf der Haut? Im Schwarzwald, in der Pfalz, an der Murg und am Rhein, überall kann die Luft salzig schmecken. Sie liebte Erzählungen über Fabelwesen, Mensch und Tier, mystisch wie unergründlich. Das geschriebene Wort in jedem greifbaren Buch wurde erkundet, gehortet in ihrem Versteck. In der Nacht zückte sie die Taschenlampe, zog die Decke über den Kopf und versank in anderen Welten. Sie bleibt ein kreativer Kopf, der Bücher über alles liebt. Inspirationen? Farbigkeit, Kontraste oder rein banale Trivialität? Egal, der Blütenteppich breitet sich aus und das Abenteuer nimmt seinen Lauf. Das Leben, im Zufall geboren, erzeugt täglich neue Blickwinkel und Abzweige. Stichworte wie Unlogik, Parallelität, Zufall, Schicksal, Verknüpfungen, Kontrapunkte, sowie Klatsch, Tratsch und Ammenmär, verwoben, mit Kneipen- und Küchentisch-Philosophie paaren sich ungeniert und kreieren die Otto-Normale-Welt. Resultierende Gedichte, Ideen, Stichworte werden sorgsam notiert. Sie ist niemals allein, lebt inmitten ihrer Fantasie, streichelt und liebt ihre Geschöpfe und fürchtet zuweilen deren Eigendynamik. Mit ihrer Fantasydrama-Serie »Schattenbaum, eine vertraute und doch fremde Zeit« stellt sie ihre Form und Interpretation der urbanen Fantasyliteratur vor. Ein Drama mit starker Romantasy-Färbung, Lichtspielereien und Genderthematik – wer bin ich – im Fokus, das sich nach Freiheit und Chancengleichheit verzehrt und an das Miteinander appelliert. Die Geschichte basiert auf dem Was-Wäre-Wenn-Prinzip, integriert nicht zuletzt die fränkische Dürer-Komponente und wandert indessen ungehemmt zwischen fränkischen, badischen, schwäbischen und nochmals anderen mittleren Bergen hin und her und zweigt gelegentlich in die höheren Berge ab. Naturverbundenheit, gepaart mit ungezügelter Denkweise, Intuition sowie Empathie und Toleranzbereitschaft, verankern sich mit fantasievoller Wesensart und Kultur in realer Zeitgeschichte. Uralte, tief schlafende Magie wird wirksam wachgerüttelt und schüttet ungeahnte Attitüde und Bräuche über Eurasien und Afrika aus. Im Blickfeld Europa, Nordafrika und Naher Osten, im Zentrum Baden-Baden und Umgebung. Der Hauptteil der Geschichte spielt im letzten Jahrhundert, mit Rückblicken bis zurück in die Eiszeit.https://schattenbaum.eu

In Erinnerung einer dunklen Zeit. Als das Licht wieder anfing, hell zu leuchten.

Aldebaran Prolog: »Neugierde – unendliche Fragen im Schädel«

28663Asgijahr – Im Jahr 1387

»Deine Träume werden verständlicher«, wie oft mir das in den vergangenen Jahren erzählt wurde, könnte ich kaum bestimmen. Als Kind war da meine schweigende Mutter, wohl die Klügste Siziliens und doch sprach sie nur wenig und ich denke, das war es, das sie ausmachte. Der Zauber des Schweigens, der mehr ausdrücken konnte als alle Worte der Welt. Sie herrschte fürwahr im Palazzo, in den umliegenden Gemeinden; selbst in Rom muss sie die Kirchenväter nachhaltig beeindruckt haben. Ihr Lächeln, das so viel Ironie und knisternden Zynismus ausschütten konnte und den Herrschaften nicht selten quer in den Magen fuhr. Mein Vater beendete mit der Wahl dieser Frau eine ewige Blutfehde elegant und resolut; ich könnte nicht sagen, worum es ging, nur, dass es unziemlich war und Mutter den Deckel des Schweigens darüberstülpte. Ihre Deckel hob keiner wieder an, ihr Schweigen war Gesetz und wurde demutsvoll akzeptiert. Sie liebte Menschen, egal wie hoch oder niedrig stehend, jedes Wesen, dessen Schicksal sie berührte. Liebe, tief und unergründlich, insbesondere und vorbehaltlos für Ungeschickte, Hilflose, Ausgestoßene, Absonderliche, jene, die mit simpler Chose kollidiert, überfordert schienen, kurios aneckten; die beschützte sie selbstlos, wertfrei. Ich beobachtete, blieb oft blind, war jung, aber scheuklappenfrei, weltoffen und neugierig – so erfuhr ich Dinge, die nicht einmal sie mir hätte erklären können. Ihr Schweigen tröstete, »du verstehst es, ist die Zeit dafür reif«. Sie sorgte vor, dass ich das Dienen nicht gar so enervierend durchexerzieren musste wie für Adelige bestimmt; die Ausbildung zum Ritter, Page mit etwa 7, Schildknappe mit 14, weiter zur Schwertleite, Ritterschlag mit 21. Ein essenzieller Schritt für einen gerechten Herrscher, der konsequent zu Ende gegangen werden sollte. Meine Bürden wurden aber abgekürzt; ahnte sie, wie wenig Zeit mir bliebe? Ich erbte Empathie wie Denkvermögen, kultiviert auf nochmals höherem Niveau. Flocht ihr Fingerspitzengefühl intuitiv in Wissenschaft und Verhandlung ein, die mir Erkenntnisse zuspielten, Ideen in den Kopf setzten, die mein Leben nach dem Tode mit so viel Farbkraft durchfluten, dass selbst graue Schatten keinen Argwohn auslösen. Im Alter von Zehn zog ich zu unseren Tieren in die abgelegenen Stallungen, kürte ein geheimes Forschungslabor samt zugehöriger Bibliothek; ich lernte zu darben; schweigend, sinnig zu agieren, Fragen bis in die tiefsten Gründe zu stellen, mich zwischen Endlichkeit und Mystizismus unbeschwert frei zu bewegen und jedwedes zu extrahieren. Mein normannisches Erbe sollte ein beachtliches werden, ergänzt um das, was ich über sie aufspürte. Dazu mein Schwesterlein, Frohgemut und Augenweide, ihr glockenhelles, schnippisches Lachen, mein Elixier gegen die Traurigkeit. Seither tröstet mich meine holde Schamanin, ihre Stimme streichelt, rügt mich, ein schelmisches Frohlocken? Ihr Name, Ella Mondschein, um Neugierde zu schüren? Wundersam, Abenteuer suggerierend und gleichermaßen tausend Fragen aufwerfend? Wie sie meinen Bartklecks im Grübchen zurechtzupft; ihr gehauchter Hexenkuss, „du bezweifelst, gerecht zu urteilen, Geduld aufzubringen, fühlst dich von Liebe, Hass, Not, Leid, Missgunst zermalmt; von Überdruss schikaniert. Du wirst dich niemals mit Brosamen abfinden, solange es Weisheit gibt und den Glanz der Erde im Schatten zu erkunden? Das ist das Licht in dir, profunde Demut.“ – „Sie brachte mir bei, den Boden zu riechen, jede Veränderung auf Witterungseinflüsse? Du kennst das, ich weiß es, auch du riechst feuchte Erde, Regentropfen auf Stein, lauscht dem Wind, erwartest ihn eines Tages zu verstehen? Oder tust du es längst?“

Aldebaran I: »Unten bei den Felsen«

28603Asgijahr – 6. Mai 1327

Marsala, Siziliens westlichster Punkt, erst kürzlich, weiter südlich, unter arabischer Herrschaft neu aufgebaut. Ein Eckpfeiler der Insel, ihr Zuname Trinacria seit Homer. Das uralte Symbol des Sonnenrades erhielt auf Sizilien Gesicht und Namen, ein Mädchenkopf, umrahmt von Schlangen und kleinen Flügeln, drei abgewinkelte Beine. Windmühlen, zerklüftete Klippen, heftige Brandung, Wellenbrecher, flachere Buchten und florierender Handel hinter geschützten Deichen, ein Stückchen entfernt, weitläufige Gärten mit schmucken Palazzos der Normannenfürsten. Die deBougys, mit eigenem Kai im Hafen für Traditionelles und verborgenem Zutritt zum Notanleger nördlich, wo das befördert wird, das den Prinzen lockt. Kulturell der passende Flecken Erde, einen jungen Mann mit unbegrenzten Fragen im Schädel unbehelligt aufwachsen zu sehen. Aber wie immer und überall gibt es Grenzen, die man besser nicht überschreitet. Ätzende Dämpfe, dichte Rauchschwaden, Funkenflug. Habe ich etwa geschlafen? Wie, was um alles tust du da? „Gemach, gemach, Gevatter … Stichflamme; Höllenglut … welcher Teufel ist bloß zu Gast?“ Ist das meine Stimme, elendig quietschend? Ich klinge wie eine hysterische Magd, bar jeder Contenance. Unziemlich peinlich – aber sie überfallen mich! Ohne jeden Sinn; es war gar nichts los? Und jetzt das hier? Ich kreische erneut, kriege kaum mehr Luft. Und das mir … ein beschaulicher Morgen, keine Unstimmigkeit, Missmut oder Groll, nichts Verderbtes kroch über die Insel. Bloße Normalität, ein wenig Gekeife in der Ferne, etwas häuslicher Zwist samt Kindergebrüll, schon deutlich tränenreich, wie es in jungem Alter üblich ist, erzieherische Liebe, dir unsanft eingebläut; es kommt die Zeit, in der du dankbar sein wirst, insistiert mein Fürst und Vater. Nicht meine Art; bin für seine Augen ein Jämmerling, weil ich Züchtigung negiere, mich zeitgleich für Ideen engagiere, die er für verderbt bemisst. Generationenkonflikt? Wohl nicht nur. Alltäglichkeit, keine erdrückende Stimmung, die ich so leicht gar nicht wahrnehme, abgeschieden wie ich lebe, konzentriert wie ich zumeist bin. Hören, ist es lautstark, dominant; sehen, Unmut im Augenring? Ja, trotz meiner Mühen, sie zu verstehen; die ehrenwerten Leut‘, überdies keine hohen Herren, einfaches Volk. Herzlich? Ich vermute, Schwesterherz, würde sie eloquent solchermaßen skizzieren? Ich höre ihr selten richtig zu, sie redet zu viel! Blubbert wie köchelndes Extrakt über Stunden, langweilt mich mit Details … wie sich ein Sonnenstrahl in Geschmeide bricht? Abseihen ist oft nötig – alles ist doch geschliffen, aufpoliert, dass sich Licht zuverlässig brechen kann? Reichtum muss sich abheben, von weiter Fern erkennbar sein, dass du deinen Platz pflichtbewusst einnimmst? Klassisches Drama? Ich scheiterte am Regelwerk, das vom Pagen fordert, vor jedem genehmen älteren Herren und seiner gelangweilten, gepuderten Dame niederzuknien. Meine Dienste feilzubieten, was mein Dienstherr per se forderte? Man brüskiert nicht, verteilt gar Fehdehandschuhe reihum? Jedoch, im Zweifel? Ich war als Bub ein hehrer Verfechter, ruhmvoll, siegreich; ja, ich bin auf meine Ungezähmtheit stolz, die nie zu ernsten Konsequenzen führte, außer frühzeitigem Ritterschlag und häuslicher Abtrennung vom Herrn Papa? Nichts Negatives, möchte ich betonen. – Und ja, am heutigen Tage war außer üblichen Handelsschiffen und Fischerbooten am Horizont nichts auszumachen; es wirkte so trivial wie gewöhnlich, dass ich gar nicht groß darauf achtgab, denn ich erwarte derzeit keinerlei Lieferungen. Die Leute hier im Labor stammen ohnegleichen aus Marsala. Ich erkenne jedes einzelne Gesicht ausdrücklich und intensiv. Besonders konditionierte, nicht vom hohlköpfigen, typischen Geschwader. Diese hier denken gründlich nach, handeln nicht übereilt, gar emotional, wenigstens für normal. Aber heute? Da sieht es fürwahr, ernüchtert konstatiert, erschreckend, einfältig aus? Ein trauriger Anblick. Mein Krämer weiter hinten – das ist er, sicherlich – und ebenso mein Schuster drüben im Trockenabteil, mit Dauerbefeuerung. Staubtrockene Luft erzeugend, ein Ungemach für Atemwege; dein Hals wird rau, die Stimme giekst. Kein Lieblingsort, weder für mich noch mein Vieh, das hier haust, ergo mit eigenem Zutrittspunkt. Wo ist es ungemütlicher? Sturm oder Rauch? Zufriedene Tiere sind genügsam; Junge lernen per se von den Alten, passen sich an, fügen sich ein. Natur harmoniert, deren Regelwerk nur wenig Stumpfsinn enthält; völlig anders verhält es sich in kultivierten Kreisen; je höher die Sprosse, umso tragischer ihr Abbild. Selbstverliebt wie wir sind, ersinnen wir bewusst Schikanen, Stolperstufen, die sich schlussendlich gegen uns selbst richten. Im Stall kennt man Hunger, Durst, es juckt, also suhlt man sich. Zufriedenheit, Trägheit bestimmen den Tag. Hufträger zupfen Grashalme, kauen gelassen; dann drückt ein Zipperlein und sie rennen wie wild los, jagen, wen oder was, irrelevant, sie begrüßen diese Abwechslung. Selbst, sind sie behäbiger; Alter zeigt Rundung wie Falten. Und ja, sie inhalieren Aufmerksamkeit, für sie bin ich nicht bloß Mitbewohner. Federvieh ist eifrig, Pferde und Esel sind stolz, Schweine, Kühe, Schafe eher duldsam, Ziegen und Katzen neugierig, wie Hunde mögen sie Kraulen, Leckereien und Lob; du darfst lange Reden führen, sie lauschen bedächtig; Details sind für sie nichtig. Ich hingegen bin Wissenschaftler, ein akribischer, versierter und deshalb ist wirklich jede Krume Information essenziell!

„Beim Hades!“ Nunmehr in wohltönendem Bass gebrüllte Empörung, Blut tropft aus der Nase. Er hält wie erstarrt Maulaffen feil, stiert wie irre, rudert energisch mit den Armen gegen erstickende Dämpfe an, zieht seinen Atemschutz hoch. Seine Augen tränen, träge wie nach tiefem Schlaf, ungläubig. Ein Benehmen, als wären sie hier bei mir zu Hause? Was ist bloß passiert? Die Hölle haben sie entfacht, eine biblische Wahrhaftigkeit entflammt, um, was zu beweisen? Dass ich ein Höllentroll bin? Tumbe Albernheit! Blasierte Echauffiertheit. Ein widerwärtiger Albtraum, der alle Tiere töten wird, soweit sie nicht längst geflohen sind. Ich kann kaum zwanzig Schritte weit sehen. Meine Hühner und Enten kommen oft bis hierher gewatschelt, analog Katze und Hund; die anderen halten vorsorglich Abstand. Wer ahnt schon, was dem Meister wieder einfällt? Niesende Enten und Schafe, so niedlich. Heute zuzüglich Schweißausbruch, dass sich Tränen mit Schweißbächen vermischen. Es tropft von Nase und Kinn, kitzelt grässlich. Ein Vollbart? Fast möchte ich grinsen, makaber, jetzt an Bartwuchs zu denken. Mir sein Gesicht vorzustellen, der erhabene Fürst, wie er die Contenance einbüßt, den Erstgeborenen nicht bloß in brüskierender Kleidung ertragen zu müssen, sondern zudem ruchlos akzentuiert? Der Bart, der mir vorschwebt … ungünstiger Moment, das ist mein Reich, war es bis eben noch. Meine Wirklichkeit mit allen gehorteten Schätzen, die nun mit tumber Gewalt im Feuer landen oder vom Funkenflug entflammt? – Gedanken, die zittrig gieksen? Ich scheine alles laut auszusprechen, versuche zu brüllen, was nicht gelingt. Klinge mehr wie als Bub, vor dem Stimmbruch … ein Höllensturm, durchs Labor fegend, ohne Luft zu benötigen. Mein schwerer Kessel, mit brodelndem Extrakt, per Hebelkraft stoffumwickelter Füße umgekippt; dass, das funktioniert, ohne Brandblasen? Eine herbe Überraschung folgt, drei Tage köchelt es, abartig stinkend, nicht einmal mein braver Hund ertrug es. Optisch, royales Kobaltblau, Ehrerbietung fördernde Farbe, hochgradig giftig, für Pfeilspitzen wie Klingen, mit Nebeneffekt – ein Hauch? Für ein Inferno ausreichend; meine besondere Gabe, Ideen eindrucksvoll umzusetzen. Meine Elixiere sind wirksam; möchte man unkompliziert ein weitläufiges, wasserwie brandfestes, gut abgeschirmtes Vorratslager abfackeln? Und kein einziges meiner trickreichen Schutzzonen verschonen? Mhm, als wüssten sie es? Was sich hier alles hinter gemauerten Zwischenwänden verbirgt? Nein, sie zittern zu sehr vor dem, was sein könnte, meinen skurrilen Geheimnissen de facto nachzuspüren? Sie fürchten, den Teufel exakt hier anzutreffen, nur wenige Schritte vor ihrer Innenstadt, nur minimal tieferliegend. Wo die Hölle laut Bibelgeschichte unterirdisch liegt? Nicht auf Sizilien! – Meine Stimme, krächzender Bariton, mein Hals rau; schwere Influenza. Stinkiger, grässlich grünlich-grauer Schleim, abhustend. Trotz feuchter Tücher vor Nase und Mund. Ein Tuch am Hals, das ich selbst nachts nicht ablege. Vorsorge ist bei Experimentierfreude anzuraten, bewährte sich beizeiten. Wie kann ich Tränen am Kinn spüren? Aber es kitzelt! Was las ich jüngst, »giftige Dämpfe verätzen die Haut«, »das Stresshormon Adrenalin schüttet Energie aus«, »Schmerz führt zu tumbem Grinsen«? Alles rein natürlich, menschlich? Eine Schrift aus Vreemarr, eine protokollierte Ratssitzung des Jahres 16976Asgij, will besagen 10300 Jahre vor Christi Geburt, laut Recherche, am Ende der letzten Kälteperiode. Woher ich das wiederum habe? Vreemarr! Das Stichwort schlechthin, für jede Frage dieselbe Antwort, gräbt man nur stetig unbeirrt tiefer. Diese goldene Stadt scheint der Schlüssel zu allen Geheimnissen zu sein. Heutzutage ist das Schriftstück 11627 Jahre alt und doch ist das Pergament, minimal dehnbar, geschmeidig wie Haut, kein Papyrus und bestens erhalten sowie lesbar, weder brüchig noch verblasst, und es vermittelt Kenntnisse des zwanzigsten Jahrhunderts Menschheitsgeschichte. Und damit ein Wissen, über das wir erst in guten 600 Jahren verfügen werden! Meine Studien sind nämlich tatsächlich bisweilen so bizarr und absonderlich, wie alle behaupten. Ich schätze Kuriositäten, lenke mich liebend gerne von unschönem Tatbestand ab, wie beispielsweise gekapert worden zu sein. Hier unten an den Felsenriffen, mit schäumendem Wellengang und Gischt, fühle ich mich zuweilen, wie auf einem Schiff. Gerade jetzt wieder und es schwankt oftmals wie auf hoher See. – Es bloß zu wissen; dass es den Götterhimmel tatsächlich gab, solange vor unserer eigenen Präsenz und dass er die Menschheit nicht nur am Rande berührte, sondern nachhaltig beeinflusst hat und gleichsam umgekehrt? Ich habe Bizarres ermittelt, alles reiht sich hintereinander. – Wenn sie bloß nie erfahren, wie sehr sie recht behalten?

Das Gebäude ist überrannt. So viel Volk gab es hier nie. Im Anbeginn der deBougys auf der Insel war Sizilien schon bunt gemischt. Alle kulturellen Ströme vermengt; jeder definierte sich selbstbestimmt. Die Normannen bleiben jedoch allzeit unter sich, was sie ausgrenzt und jeden Diplomaten motiviert, Kontakt zu ihnen aufzunehmen. Seine Tochter, mit ihnen zu vermählen, verspricht Einfluss, Reichtum und Zutritt zu verborgenen Winkeln, die sich Unbedarfte kaum ausmalen könnten. Wohl daher seine Unverfrorenheit, mit Gegebenheit zu jonglieren? Dorthin zu greifen, wonach ihm der Sinn steht? Neugierde war stets sein zweiter Vorname und der dritte bestand in einem schlichten Fragezeichen. Kopfüber oder aufrecht stehend, egal. Die Grafen von Anjou herrschen seit guten sechzig Jahren, ihr Einfluss ist ebenso wenig wieder wegzudenken, wie der Roms, der Phönizier, der Byzantiner, der Araber und der Normannen, alles verwurzelt stabil im Untergrund. Wer hier aufwächst, ertastet instinktiv, wo es verborgene Haltegriffe geben könnte. Ausreichend motiviert, lernt Ersie, es zu nutzen. Sich am kleinen Hafen mit unheimlichen Gesellen zu treffen und mystische Waren zu tauschen, ist nichts Absonderliches. In seinem Fall nur deshalb ärgerlich, weil er, selbst getarnt, nahezu von jedem erkannt wird. Hervorstechende Arroganz? Möglich, als ältester Sohn und Erbe? Auch, wenn er derzeit im verfallenen Kuhstall ausharrt und man bei jedem peitschenden Sturm darum bangt, er könne mit samt seiner Hexenbrutstätte weggespült werden? Sie hoffen gespannt, er erwähle eine Tochter und ziehe in den Palazzo um. An den Felsen will keiner seine Enkel aufwachsen sehen; aber sie unterschätzen die Stabilität von 250-jährigem Mauerwerk. Nicht nur, dass sein Ahne wasserfesten Mörtel zwischen geschickt beschlagenen Steinblöcken einfügen ließ; der Viehstall samt Wohntrakt wurde sinnig gebaut. Wellenbrecher existierten noch nicht en masse. Jeder, der in Wassernähe an der Schmugglerbucht überleben wollte, sorgte eigens für Stabilität des Lagers samt kluger Tarnung. Der Garten oberhalb wurde einzigartig kunstvoll gestaltet, ein echter Hingucker für jeden Kunstliebhaber und lenkt bis heute neugierige Blicke von gemauerter Stallung etwas unterhalb ab. Der Palazzo ist einer der prächtigsten. Und dass der Kuhstall gemauert ist, stellt keiner infrage, da die Brandung erkennbar heftig ist. Bei Sturm steht das Vieh hinter dem breit gezogenen Gebäude, das wie ein Deich vor stürmischem Wellengang schützt; alles ist logisch durchdacht. Enormer Stolz zeichnet die Normannenfürsten aus, auch darum will sie keiner behelligen und unbequeme Fragen stellen. Sie sind eigen, etwas undurchsichtig; spätestens das erklärt der Obrigkeit alles. Nötigenfalls hilft ein Präsent, eine Zusage; jeder begehrt etwas. Die deBougys beweisen sich stets großzügig, insbesondere der junge Prinz. Der Vater zürnt ihm zwar, aber nicht, als wäre er der einzige familiäre Fauxpas; es gab reichlich Schlitzohren. Sie enthielten ihm kein Schriftgut vor, das er begehrte, sorgten aber beflissentlich vor, dass er kaum etwas in Familienbelangen herausfand. – Warum es eher ruhig und gediegen zuging? Weil Raubgut hinter Milchkühen, Ziegen und Schweinen verborgen lagerte. Im Winter wurden zudem Schafe einquartiert. Rein die geruchliche Komponente hielt davon ab, etwaige Kundschaft herzubitten und Mitverschwörer noch weniger. Die würden unisono Abgeschiedenheit samt Lärmschutz, attestieren und zuschlagen. Wächter konnten nur begrenzt in beengten Schlafkojen oder nötigenfalls auf Hängematten untergebracht werden. Insofern gab es keine Gäste. Schon, dass Flaubert es oft probierte, versierte Mitarbeiter an sich zu binden, aber sie liefen ihm weg, flüchteten teilweise kopflos von der Insel, was sein schauriges Karma wirksam unterstrich. Solche betrügt keiner, schon darum hat er niemals etwas einzuwenden. Auch weil das, was er produziert, womit er experimentiert, kein Allgemeingut ist. Indessen fangen die Kirchenväter Palermos an, unbequemere Fragen zu stellen. Da braucht es kein Salz in Wunden zu streuen; Folter und Scheiterhaufen? Nein, danke. Aber sie fackeln soeben seine Brandschutzzone ab! Wasserfest, das ahnten sie, aber nicht entflammbar? Das irritiert sie eindeutig mehr als der Umstand, dass er selbst zugegen ist – sie reagieren hingegen, als wäre er transparente Luft?

Überraschend mutig, „Chapeau, meine Herren! Und meine werte Dame.“ – Nein! Nicht du! Meine alte Amme, sie entsorgt soeben eine Tephériie-Landkarte, Steppenland, Qedhraiij, am Ende noch das gesamte Loki-Paket inklusive Glevijanowüste? Sehr gut möglich, ich bin viel zu weit entfernt, es genauer sehen zu können. Alles verschwindet so rasch in den Flammen, man kann sich kaum noch bewegen. Geschweige denn atmen. Sie sind so hasserfüllt gegen mich, eine Düsternis liegt in ihrem Blick und Fanatismus. Warum nur? Wer konnte sie bloß davon überzeugen, dass ich tatsächlich dieser besagte Teufel bin? Bisher glaubten sie kein Wort davon, warum jetzt? – Meine Loki-Karten, etwas höher vermute ich den Eispalast. Tröstlich, ein gutes Gedächtnis zu haben. Lokis Domizil lokalisieren zu können, Kartenmaterial aufzufinden, so akribisch detailliert gezeichnet wie beschriftet, eventuell sogar exakt vermessen? Teuer genug war es, dass ich auf solche Möglichkeit hoffen konnte. Überdies, sei es, wie es will! Es schien allen Aufwand für die abenteuerliche Reise wert zu sein … und jetzt wird es stumpfsinnig verbrannt. Respektive von einer Frau, die ich bis eben, als eine der Klügsten bezeichnet hätte. Nahe bei meiner Mutter? Wie ist das bloß möglich? Sie hat mir bisher zu solchen Fundstücken gratuliert, ich erzählte ihr von meiner Forschung, nannte Namen, ich vertraute ihr … sie war stolz auf mich, strahlte mich an, einen klugen Bengel wie mich entbunden zu haben. Ich glaubte beinahe, sie hege mütterliche Gefühle? Das Blut aus seiner Nase, wird zunehmend dunkler, schwärzlich-braun. Loki, eines Tages persönlich die Hand reichen zu dürfen? Von wegen, Wissenschaftler wie ich kennen keine Träume, sind viel zu nüchtern gestrickt – genau davon träumt einer wie ich, meinem Helden zu begegnen. Versonnen an seinem Tagtraum festklammernd, wird sein Blick plötzlich schlagartig klar. Das wird wohl alles etwas warten müssen … da, wo diese Karten verwahrt sind, richtig, gut versteckt, lagern reichlich Kostbarkeiten, Kräuter, wie Schriftkram. Wo sie eins finden konnten … Hilfe! – „Mensch – Barbier, der bist du doch? Unser Nordmann? Du sollst nett sein, habe ich gehört? Bitte wirf das nicht ins Feuer! Lass gut sein! Dieser tumbe Blödsinn muss endlich ein Ende finden!“ – Er sieht mich nicht einmal an, „diese seltenen getrockneten Blütendolden aus dem Himalaja werden keinesfalls verbrannt! Hast du eigentlich eine Vorstellung davon, wie schwierig das zu beschaffen war?“ – Weiterhin keinerlei Reaktion – ehrlich gruselig – Reden hilft gegen Unwohlsein, übertönt es, ferner, die allgegenwärtige Gänsehaut am Oberleib zu übertünchen. Ist das Furcht? Bitterer Beigeschmack, Galle? Was könnte es anderes sein? Bei solcher Gluthitze friert doch keiner? „Die Kräuter in deiner Hand sind kostbar – wie Edelsteine! Mutmaßlich schützenswerter als alles, das du jemals mit bloßer Hand berühren durftest!“ – Ein böser Traum? Ich heule, „so wart ihr doch nie? Habt immerzu alles hinterfragt? Aber jetzt wollt ihr nichts mehr wissen? Glaubt ihr nun den bösen Zungen, dem ewigen Feuer-und-Schwefel-Gebrüll der verhärmten Despoten? Womit konnten sie euch überzeugen? – Ihr wart meine Freunde! Hieltet stets ein Lächeln für mich bereit … verratet mich nicht so derb! Gleichsam spröde, wie ich selbst beschrieben werde, glaubt man diesen Hass schürenden Stimmen …“ – Er sieht plötzlich zutiefst geschockt drein – wo er mir ohnehin nicht zuhören will, greife ich halt beherzt zu! Was könnte ich sonst tun? Spätestens hier, in dieser Hölle, benötige ich die Pflanze zum Überleben! Vergiftete Luft zerlegt alles, nachhaltig, womit man atmen kann … wie genau, weiß ich nicht, nur, dass der ausgepresste Saft heilt, was zerstört ist, handelt man schnell genug. Mutmaßlich feinstes, gesponnenes Gewebe in unserem Inneren? Kostbar wie ihr Saft – weit gereist –, zog sie kraftvolle Wurzeln im Boden, versorgt nun wie eine gute Mutter tröpfchenweise mit Nährstoffen. Lässt verbrannte Erde neu aufkeimen. Die Natur liefert überall inspirierende Bilder. Heilung oder Tod, Schwärze, die die Seele vergiftet. Unkerei, die stumpf werden lässt, allem das Licht entzieht, die Fähigkeit zu existieren raubt. Unkraut zum Ausmerzen! Wie lange suche ich gegen die Verbohrtheit ein wirksames Heilmittel? Er merkt nicht, wie ihn giftige Substanz besprenkelt, seine Haut verdampft, hässliche rote Flecken bohren sich tiefer, dringen unter sein Fleisch; schwarz, anderes ungesund gelblich bis zu widerwärtigem Grün. Ich weiche geschmeidig, mehr instinktiv wie kopfgesteuert, unter gellendem Schmerz zurück, zwischen uns entflammt etwas richtig Fieses. Mein Arm wird gar gekocht … Höllenschlund! Mitten im Satz lauthals kreischen? Das tut ein erhabener Fürst nicht, man verliert niemals seine Contenance! Himmel, Hades, du könntest mir ehrlich etwas Unterstützung leisten! Wohin stiert er denn jetzt schon wieder? „Ergo, bist du nicht der neue Barbier neben dem Krämerladen? Entschuldige bitte die Verwechslung, aber ihr seht euch wirklich ähnlich. – Warum bist du geschockt? Was hast du erwartet? Dass ich stumpfsinnig stillhalte, nur entgeistert zuschaue, wie ihr mein Lebenswerk ruiniert? Im Übrigen stehe ich da gar nicht mehr … was ist da bitte, ich selbst erkenne nichts! Was fesselt dich derartig? Siehst du einen feuerspeienden Drachen oder sonstiges Ungetier aus Märchenlanden?“ – Er hört mich schlichtweg nicht, findet somit auch nichts Witziges an meiner tumben Rede! Und ist wohl deshalb so verwegen, weil ich für ihn nicht mehr existiere? Aber, wie geht das? Habe ich etwas entwickelt, das verschwinden lässt? Kobaltblau mit Nebenwirkungen? Lässt nicht nur bei Aufprall Funken sprühen, sondern, die Dünste, lange konsumiert, katapultieren dich in eine Schattenwelt, völlig undramatisch, weil du ja Kontakt zur Vorderwelt bewahrst, aber die dort sehen dich nicht mehr? Hören dich nicht mehr? Ah so, das wäre fantastisch! Dafür wollte ich viele meiner Schätze freiwillig opfern. Aber, das ist es leider nicht. Die Schattenwelt würde mich vor Gefahren der Vorderwelt beschützen, alles andere wäre vollkommen unlogisch. Diese Hitze hier aber, zuzüglich ihrer hochgiftigen Dämpfe, ist für mich analog bedrohlich wie für meine Freunde. Was passiert hier, womit fing es an? Mein Heim wird überrannt, auseinandergerissen, verbrannt, was greifbar ist. Keinen interessiert tatsächlich, was er tut; geistlos, mit leerem Blick? Wie unter Zwang – warum? Ich hasse ungeklärte Fragen, die nichtig sind und sich damit einfach beantworten lassen müssten. Alles fußt auf Logik und doch finde ich hier keine. Sollte der Familienrat recht behalten? Dass ich bereuen werde, Sklaven abzulehnen? Ihre Existenz in meinem Umfeld? Mein Vater behauptet, damit helfe ich niemandem, mache es weder besser für die Betroffenen noch mildere ich ihr Schicksal. »Du verhinderst nichts, indem du ignorierst.« Er stopft den Palazzo mit Sklaven voll, behauptet, ihr Schicksal stünde gut; aber überzeugt, allesamt regeln zu müssen. Ich bezweifle, dass er sie sieht, dafür gibt’s Diener, die keine Vorbehalte kennen, legen sie fest, wer mit wem für strammen Nachwuchs …; wer ausbildet, wer für Vergnügungen sorgt, welche Arbeit verrichtet? Meine Mutter blitzgescheit und hier stillschweigend, meine Brüder, Besucher, freie Bürger und, falls ein Hund begreiflich argumentiert, dürfte er mitentscheiden? Wertloser als Sandkörner der Wüste, rechtloser als Tautropfen in der Früh. Niemals akzeptiere ich solche Scharade, dass Barbarei weiterhin existieren muss. Meine Gabe, nahezu immun gegenüber Schmerzen zu sein, hilft mir da leider nicht weiter; ja, ich fühle nur wenig, dafür sehe ich, dass sie lachen können, glücklich sein. Glücklicher als viele in unserer hochgelobten, selbstkasteiten Gemeinschaft. Sie können so herzhaft lachen, dass ein Kaltherz wie ich fähig wird, Glück zu fühlen; mehr menschlich geht für mich nicht.

Warum ich zumeist gewöhnlich klinge? Nun ja, wie kann man sich in die Anderswelt des Nächsten denken, ohne seine Gefühle erfassen zu können? Denk dich in seinen Kopf, enervierende Befehle eines lackaffigen Herrn ausführen, anmaßende Fragen beantworten, devot sein, ohne erbärmlich zu wirken, denn räudige Hunde werden getreten. Verhalten kann man üben, wie einen Hund dressieren, ein Pferd ausbilden. Verfügst du wie ich über eine nette kleine Schwester, findest du, wen, der beurteilen kann, ob du überzeugen kannst. Das nächste ist die Sprache, ich musste lernen, dünnwandiger zu werden, schlichte Logik zu akzeptieren, keine Fragen zu stellen, einfache Lösungen zu finden. Kein Herr will einen klügeren Diener vor sich sehen, gar noch einen klugen Sklaven. Bauernschläue musste ich lernen. Meine Schwester überwacht seit letztem Jahr streng jeden einzelnen Schritt. Zuvor war sie zu klein, zu begreifen, was das Spiel bedeutet, somit war ihre Kommentierung eher weniger nutzbar, denn amüsant. Seitdem weiß ich, wie es sich anfühlt, Bauchschmerzen vom Lachen zu bekommen. Das erste Gefühl von Glück, das an mein Herz anklopfte. Jedenfalls pochte es unmäßig in meiner Brust und ja, ich musste etwas trinken und hielt am Ende meinen Kopf in die Viehtränke. Scherte mich nicht um die edle Perücke, die einer wie ich ständig zu tragen hat und unter wiehernden, tränenreichen Lachsalven, begruben wir hernach das kostbare Stück bei der Güllegrube. Dass auch ja niemand mehr auf die Idee kommen möge, mich erneut mit solchem Kunstwerk zu drangsalieren. Ja, ich liebe ihr Lachen, davon bin ich ebenfalls überzeugt, denn ich warte sehnsüchtig darauf, es erneut zu hören. Sehnsucht ist dagegen doch eher nur ein Begriff, abstrakt, nicht wirklich greifbar, nur vorstellbar, was gemeint sein könnte. Eben, ein inneres Angespannt-Sein, ein offenes Warten? Allein Ausdrücke hierfür zu finden, wie du das Bild umschreiben könntest? Keine fremdländischen Begrifflichkeiten einfließen zu lassen, was du als heranwachsender Kavalier andererseits stetig aufgefordert bist zu tun, zu beweisen, dass die Investition in deine Ausbildung nicht verschwendet ist, was zu weiteren großzügigen Gaben führt und zur Zufriedenheit deiner Erzieher. Gewiss, wie leicht man das Gegenteil einer etablierten Tatsache findet? Brüskiere sie und sie verlieren ihre Contenance und in den Tiraden, die dir dann ungeniert zufließen, findest du alle Informationen, die dir zuvor noch fehlten. Habe ich per se oft praktiziert. Anfangs integrierte ich auch hündische Unterwürfigkeit in die Übungen, alldieweil hilfreich. Somit denke ich, dass ich grob gesehen ein Fachmann für Unterdrückung bin, nicht nur als Täter, sondern zugleich als Opfer und dass ich es fürwahr bekämpfen muss. Dass Kultur ohne Sklaverei stark sein kann und funktionieren, mächtig genug, andere zu verpflichten, ihr Regelwerk ohne Unterdrückung zu übernehmen, gilt es zu beweisen. De facto klingt es widersprüchlich, aber Belohnung und Bestechung zählen auch als Argument. Jeder folgt seinen Idealen im Leben, nur Sklaven dürfen nicht. Sollten sie noch träumen können, wird es ihnen ausgetrieben, mit aller verbliebenen Empfindsamkeit heraus geprügelt. Darauf ist eine Kultur stolz, befähigt zu sein, aus jedem Ursprung Arbeitsvieh zu formen? Wohin Logik führen kann? Güllegrube nennt es mein Schwesterherz. Deshalb habe ich mir abgewöhnt, die Sprache der hohen Herren Europas sprechen zu wollen, sie auch nur zu denken und dann stolperte ich über Vreemarr, las die ersten Anmerkungen über »einen uralten Götterhimmel, an den sich keiner mehr erinnert«. Die Griechen eben, immer wieder für Überraschungen gut, obschon speziell diese Geschichten keiner kennt. Ein Rätsel, das ich lösen muss; wie überdauert ein Mythos und der nächste wird vergessen? Sprichst du mit Gelehrten, weiß jeder von Babylon, Ägypten, Rom, ist erst unlängst passiert, sodann wissen sie viel über China und Indien zu berichten, über die Weisheit des Orients, die Demut des Himalajas. Natürlich kennen sie die Bibelgeschichte detailliert und zudem mitteleuropäische Heldenlieder, verweisen bisweilen auf den griechischen Götterberg und die nordische Edda und zitieren aus der Ilias. Ähnlich wird Marc-Aurel für philosophische Exkurse herangezogen, wie Sokrates und Alexanders Erben. Unter der Hand fabulieren sie über Drachen und Feen und parallel träumen sie vom Leben nach dem Tode, aber keiner ist gewillt, den christlichen Gedanken logisch zu Ende zu denken. Sich hier auch nur einen Schritt weiter vorzuwagen, weil die Kirche uns in die Knie zwingt. Schon lamentiere ich, jammere wie andere hilflose Seelen und deshalb, wohl wirklich nur deshalb, wurde ich Wissenschaftler, weil man damit verändern kann. Probleme, die sich intellektuell nicht lösen lassen, auf elegante Weise ausmerzen, sie abfackeln beispielsweise, wie sie meine Welt abfackeln. – Ich hasse es, übereinstimmend erbärmlich zu klingen wie sie, die stets einen Grund finden, warum ein anderer daran Schuld trägt, dass nichts voranschreitet. Jammern ist uns ebenso eingepflanzt wie Lachen, Weinen und Glücklichsein. »Man muss aus allem das Beste machen, sagte er und kehrte den Dreck zur Türe hinaus; aber als er sich umdrehte, wehte der Wind allen Dreck wieder hinein«. Die Lehren meines Meisters, meines kurzzeitigen Herrn, der seinem Pagen nicht nur höfische Attitüde lehrte, sondern vielmehr seine Bärbeißigkeit erst richtiggehend freigelegt bekam. Er förderte mich, derjenige, den mein Vater wählte, seinen Sohn zu justieren. Fehlschlag! Manche Konzepte entwickeln Eigendynamik. Er hatte ein Leiden und ich die richtige Idee für Linderung und langfristige Heilung. Dankbarkeit ist ein starkes Argument; Förderer finden sich am leichtesten dort, wo du Geschenke großzügig verteilst, aber dort lauern zugleich gierige Schmarotzer. Mir half es, Arroganz abzustreifen, kann ich nüchtern, spröde bleiben. Oder muss es bleiben; werde gar gezwungen, einem geschätzten Freund beim Sterben zuzusehen, ohne Ausweg oder geringste Chance zur Flucht. – Hätte ich sie genutzt?

Sie alle hier haben nichts miteinander zu schaffen, teilen sich nur denselben Wohnort, Marsala. Leute, die mich mochten, keiner wollte mir je etwas Böses, aber jetzt verteufeln sie mich? Als wären sie erwacht, würden plötzlich Beweise sehen? Wer hat geplaudert? Woher stammt ihr Mut, mein Labor zu überfallen? Hier freiwillig etwas zu berühren, ungehemmt darin herumzutasten. Was suchen sie? Wer würde verraten, was ich produziere, verwahre? Sie schauen gar nicht wirklich hin, werfen nur alles ins Feuer. Viele Brandherde, ständig entflammen neue. Man könnte alles zum Kochen bringen, egal, wie hoch die Temperatur dafür sein müsste. — Folter? Mittels Streckbank, Nägel, Zähne ziehen, Knochen brechen – o weh; Höllenglut Kyrnataks, da würde ich vielleicht auch gesprächig werden. Hoffentlich muss ich das niemals herausfinden. Die Kirche? Etwa der Kräuterhändler im Ort oder der in Palermo? Bitte nicht, bitte keiner davon! Konnten sie sich freikaufen, gar fliehen? Sind sie tot? – Ich verschlucke mich fast, bekomme kurzzeitig kaum Luft. Ich soll es offensichtlich sein. TOT. Keiner würde solchen Übergriff wagen. Oder geht es nicht mehr darum? Hat ein anderer die Herrschaft übernommen, zieht genüsslich an den Strippen? Frauen mischen immer offensiver mit, zunehmend gefährlicher. Verbergen sich nicht mehr akkurat hinter dem Gatten, Vater, Bruder, Sohn. Im Auftrag der Mutter? So anrüchig wie absurd hat man eine Heilige zur Mutter wie ich. Finstere Ladyschaft gibt es, nicht weit entfernt. Größen darunter, die Respekt verdienen. Zeigt sich hier ein neuer Kopf? Ich fröne der Unschuld, den guten Seelen, aber auch ein Teufel verdient höfliche Attitüde; ist Ersie nur einprägsam genug. — Dass sie plötzlich ihren Verstand entdeckt haben könnten, steht jawohl außer Frage? Herausgefunden haben, wie man Größe erlangt? Infrage stellt, Erklärungen sucht, sich nicht leichtfertig mit Blendwerk abfindet, sondern akribisch und beharrlich bleibt, bis man eine zufriedenstellende Antwort entdeckt? Solche Thesen klatschten bisher an ihnen ab, wurden am Boden zertrampelt wie herbstliches Laub. Der Hufschmied dort weiter drüben, er vernichtet meine Toxine. Mit ihm habe ich solches Gespräch geführt. Er wollte nicht zuhören, wandte sich wie ein Wurm, er müsse Wichtiges erledigen, das Konzentration und Zeit erfordert. Dumpfbacken, wie er jetzt nicht kapiert, dass man stinkige Substanz nicht arglos ins Feuer kippen sollte; falls diese Erleuchtung noch aufkam, war’s leider zu spät. Er steht in Flammen, schreit erbärmlich, stolpert blind umeinander und entzündet zu Boden gegangene Seelen, von Dämpfen drangsaliert; jetzt dürfen sie zudem als Brandopfer herhalten; es stirbt sich derweil gewiss elendig. Die Mauern bleiben weiterhin unbeeindruckt, nur das Dach sorgt mich, Stroh und Lehm, es durfte nicht hereinregnen? Mehr als notwendige Handwerkskunst beherrsche ich nicht; ist auch nicht so interessant. Etwas brandgeschützt und wasserresistent ist es schon, aber nicht bei solchen Temperaturen, die brandfeste Kleidung schmelzen lassen. Meine Giftvorräte sammeln reichlich Opfer und zur Gänze, ohne, dass sie auch nur einer wie angedacht konsumiert … makaber, wie mich Schmerz offen für Sarkasmus werden lässt. Rein zur Ablenkung, um weiterhin anzüglich grinsen zu können und mein inneres Schreien kontrolliert zu halten. Es geht mir zunehmend schlechter, ich schwächle immer mehr, weil ich wie ein Irrer versuche zu retten, was erreichbar ist; immerzu beherzt in jedwede Flamme greife, durch alles hindurch, was mich trennt. Alles, durch das man durchdringen kann. Mauerwerk ist statisch, undurchlässig, jedoch bewegliches? Flammen bewegen sich wie Rauchschwaden, Leute weichen aus, bleibst du energisch genug. Man erkennt kaum etwas durch die Nebelwände, nur wenige konstatieren, dass sich ein Geist seinen Weg durch den Raum bahnt. Wo einer mich nicht sehen kann, gilt das ja generell? Nur, wer blind und taub geworden ist, greift nach jedem Rettungsanker. Es ist schwierig, rechtzeitig genug drei Schritte weit zu kommen; läuft eines meiner Schätze Gefahr. Armbeugen und Gewand sind übervoll, zugestopft bis obenhin wie mein Umhängekorb, vergleichbar mit meinem Labor. Solange Zeit ein Rückzugsort für Besinnung und Ruhe. Wo ich mit meinen Schätzen ungestört bleiben konnte, mir einbilden, die Stimmen der Alten Welt zu vernehmen, aus den Schriften, die nun verkommen. Einige Verstecke konnte ich nicht mehr erreichen. Vieles, das ich nie freiwillig vorgezeigt hätte, wird niemand mehr sehen können. Wenn mein Regal dort weiter hinten erst Flammen fängt, was unmittelbar bevorsteht, wird es explodieren. Ohrenbetäubend, vermutlich und jeden und alles, was hier noch innerhalb weilt, entweder direkt in tausend Stücke reißen oder nur gründlich von jedweder Deckung befreien und für die gierigen Flammen erreichbar machen. Diesen Kampf habe ich erkennbar verloren, meine Welt stirbt.

Blankes Entsetzen, als ich wegreiße, was sie zu vernichten suchen. Eiseskälte streift mich währenddem, heftige Blessuren infolge und dicke Tränen gegen das innere Schreien, die mich blind stellen wollen. Trauen sie mir das ehrlich zu? Überzeugt, Hexenwerk auszumerzen, berührt sie eine unsichtbare Hand und Eiseskälte inmitten von Höllenglut? Und nichts kühlt herunter? Kyrnatak mit dem Symbol des Flammenmeers. – Ist er es, den ich da fühle? Eiseskälte, so eisig, dass Menschenhaut verglüht? Wer wollte sich freimütig mit Hades anlegen? Jetzt mal, außer mir selbst? Schriftrollen, Karten, Pflanzenextrakt, Pulver und Flüssigkeit in Glasröhrchen, Fläschchen, winzigen Beutelchen oder Schatullen, oft kunterbunt, um Licht zu absorbieren oder aufwendig dickwandig, gegen Hitze und Kälteeinfluss, kunstvoll verziert, die verschwinden? Dass sie erstarren, logisch. Da kann man leichtgläubig werden, allem Geflüster Glauben schenken. Was ich an mich binde, bleibt unsichtbar wie ich – meine Wenigkeit, hätte ich beinahe gesagt, aber nein, das passt nicht zur brodelnden inneren Wut! Ich werde zunehmend zynischer, warte schon darauf, dass sie aufgrund meines Einlenkens von Funken erfasst, erbärmlich zusammengekrümmt verenden. Die Hölle! So habe ich mir Náströnds Kyrnatak vorgestellt. Nur die Aura meines Heiligtums als Bühnenleinwand brüskiert mich. Diese Missbilligung verdiene ich nicht! Hades, zeig dich endlich! Erklär dich, denn wenn das mein persönlicher Albtraum ist, den ich aus deiner Sicht verdiene, warum leiden dann andere ohne Unterschied? Ich glaubte immerfort, ich würde den Teufel spüren; wendet sich sein Blick in meine Richtung. Ich würde ihn und seinesgleichen, wenn es losgeht, gleich einem Sandsturm, auf mich zurollen fühlen.

Mein Lebenswerk bleibt unverhohlen verpönt, trotz zahlreicher Nutznießer in den vergangenen Jahren. Wer endlos Fragen stellt und schamlos durchleuchtet, wird nirgends geliebt. Somit nutze ich meinen angeborenen Hochmut als Schutzpanzer. Herauszufinden, wie man seinen Blickwinkel neu justiert, sich fokussiert und im nächsten Moment wieder für alle Strömungen öffnet? Gelesene wie gehörte Worte recherchiert und selbst die gefundenen Antworten reflektiert, nachbohrt bis zum allerletzten Fragezeichen, sich nie beirren lässt? Den Boden im tiefsten Untergrund zu erreichen, glaubt, um festzustellen, wiederum nur eine Zwischenebene, es geht noch tiefer? Das ist es wert, alle Einsamkeit, Häme und mitleidigen Blicke. Die, die es tun, verdienen meinen Respekt; ihnen höre ich zu, haben sie etwas zu sagen. Falls nicht, achte ich auf alles, was sie ausmacht, Haltung, Gestik, Rhetorik, Augenaufschlag, jedes Zucken erzählt etwas. Eine tiefer rutschende Falte, die auf Groll, Humor, Zustimmung oder Ablehnung rückschließen ließe? Ich warte geduldig. Mein Wissensdurst kennt kein Pardon, wird von Ungereimtheit angezogen wie Motten vom Licht. Ich bin Wissenschaftler, Forscher, nichts könnte mich bremsen. Logik der Vergangenheit? Kein Veto, keine Aufklärung, wollte ich es genauer wissen; sie waren gestern, jeder Held hat seine Zeit; Logik fürchtet der kluge Geist jedoch, wie die Dunkelheit. Wie oft steht man dem Unheil unmittelbar gegenüber? Risiken sind unvermeidbar, weiterkommen ist alles, nur so findest du am Ende Licht. Kein Allgemeingut, das Weltenkonstrukt ist kompliziert gestrickt, wer anderes behauptet, betrügt. Willst du partizipieren, darfst du dich nicht fremdsteuern lassen. Nie würde ich „ja“ sagen, nur weil es alle tun. Immer würde ich hinterfragen „wer profitiert?“ Kann man Blindgläubigkeit abstellen, Schlafende wachrütteln, sie motivieren, teilzuhaben? Trotz offensiver Gefahren, mutmaßlicher Folter und schmerzvollem Tod. Wer ist bereit, sich für die Zukunft seiner Kinder zu opfern? Finden sich genügend, den Untergang, auf den wir unaufhaltsam zusteuern, aufzuhalten? Ragnarök heißt sie in der nordischen Mythologie. Weiblich, zugleich die Geburt alles Seins wie das geweissagte Ende der Zeit. Wer könnte es aufhalten und einen Richtungswechsel einleiten? Benötigen wir hierzu ebenfalls eine Frau? Eine fühlende Mutter, die für die Kinder der Zukunft alles gibt? Wäre nicht ein Zwitterwesen angemessen, das den Mann wenigstens im Ansatz versteht? Es ist unser aller Welt. – Der aufrechte Mann von der Stadtwache dort drüben, ich erinnere mich nicht seines Namens, er wirft die Schriften zu Shijtarrheim in die Flammen. Weil er ihre Sprache nicht versteht? Wer hat ihn überzeugt, dass hinter Unbekanntem, Teufelswerk steckt? Hier, wo sich so viele Kulturen begegnen? Nur, weil die Kirche, Unbekanntes verteufelt? Warum hinterfragt dieser gute Mann solche Lügenmär nicht? Strebt blindgläubig Thesen nach, die gar nicht bewiesen sein können, denn wie, beim Hades, könnten sie es sein! Wer beharrt auf den nächsten Absatz, das nächste Komma, gar einen erkennbaren Schlusspunkt? Den es nicht gibt. Das verstehen alle rasch vom Nachdenken, dass es enervierend piekst und drangsaliert und niemals endet, keinen Schlusspunkt setzt. Gar ein Ergebnis liefern will? Nein, im Gegenteil findet es immerzu weitere Fragen und nochmals nachfolgende und lässt frühere unbeachtet, was dich erneut an den Anfang zurückkatapultiert. Weiterbildung ist zeitraubend, unbequem. Man erlebt Rückschlag um Rückschlag und strebt stur weiter, verlangt tiefer vorzudringen, um nochmals mehr makabre Sinnhaftigkeit vorzufinden, die per se Erklärung fordert, logisch abgestimmt. Kein Endpunkt, der nicht in ein neues Fragezeichen überliefe. Wie wahr, reine Schikane, stumpfsinnige Selbstkasteiung, sich darauf einzulassen. – Aber dieser gute Mann ist klug! Keiner, der aufgibt. Wirkt er deshalb so zornig? Ist es am Ende nur auf sich selbst, weil er begreift, instinktiv spürt, dass etwas Unsägliches schiefläuft? Aber er kann es nicht mehr aufhalten? Es gab aber jenen Zeitpunkt? – Angst! Er fürchtet sich vor dem, was er fühlt, seine Schuld und Ohnmacht, er ist machtlos wie ich, fühlt sich wie überrannt …

Aldebaran II: »Götterwesen und andere Wanderer«

28603Asgijahr – Ab 6. Mai 1327

Erinnerst du dich an unser letztes Gespräch? Wir diskutierten über das Dienen, welche Macht es in die Hände der Obrigkeit legt. Du warst überzeugt, als Mann der Stadtwache müsstest du blindlings Befehlen gehorchen; hättest keine Wahl, sie zu hinterfragen, gar anzuzweifeln. Ich hingegen vertrat die Ansicht, Denken sei wichtiger, egal, an welcher Stelle der Befehlskette man stünde; man müsse immer zuerst nachdenken. Schon hast du mich an meine hohe Geburt erinnert und klargestellt, wie viel freieres Denken erlaubt sei, verfügt man über Privilegien. Heute heule ich an diesem Punkt, damals war ich nur traurig, dir nicht widersprechen zu können! Erinnerst du dich, wie du mich angeschaut hast? Warum treffen wir uns hier? Warum gibt es solche schrecklichen Momente? Sind wir wirklich verdammt? So fühlt es sich an. Ich sah dich soeben sterben und konnte nichts tun! – Die Obrigkeit eliminiert, was nicht kontrollierbar ist, banale Logik; kluge Gedanken irritieren. Betitelt sich derjenige dann noch als Andersweltmann und kleidet sich entsprechend reißerisch, landen seine Handelsgüter, Lieferanten, Kunden, erst recht die Erzeugnisse, zügig auf einer Liste, auf der keiner stehen möchte. Schon rettet eine hohe Geburt vor allzu rascher Reaktion, bietet Freiheiten, woraus du, mittels etwas Geschick, eine undefinierbare Macht erzeugen kannst. Abrieb ist gegeben, aber jemand wie ich steht auf Spiele, fordert das Schicksal kühn heraus. Bis jetzt musste ich nichts bereuen, aber es kommt der Tag, an dem sich alles ändert; dass es mein Todesurteil sein würde, hatte ich allerdings nicht erwartet. Wissenschaft ist kompliziert, Medizin oft gruselig, wird schmutzig, möchte man tiefer dringen. Es stinkt fürchterlich, macht aber gesund? Du kannst plötzlich Dinge, die zuvor undenkbar schienen? Meine Mittel erstaunen – mehr als üblich – somit paktiere ich mit der Hölle. Aberglaube, zeitweise nett? Ich liebe Marionetten, dreist an Strippen zu zupfen? Sie wissen, wie leicht ich manipuliere. Und deshalb, genau deshalb, ist dieses Bild hier unwahrscheinlich! Und doch, scheint es plump und echt zu sein? Mein Fleisch – grässlicher Schmerz, Brandwunden? Mein Haar? Ich glaube fast, nichts davon ist mehr übrig, alles verschmort. Die Hölle für die wahrlich Bösen? Hades Präsenz – unverkennbar! Er lässt es wie mein Heim erscheinen. Bin ich … derart verderbt? Nach Kyrnatak verbannt? Alles, was mich definiert, zur Hölle umgemünzt, ad absurdum gesetzt? Ich will nur helfen, ja, ich, Flaubert deBougy, möchte helfen, zeigen, dass ich reflektiere, verständig bleibe, offen für Veränderung und neue Abzweige, dass ich täglich meinen Blickwinkel justiere? Was kaum Beachtung findet und das beim Daus, sollte es mittlerweile! Wir haben so viele Höllen durchlaufen und doch tun wir so, als hätten wir eben erst laufen gelernt? Selbsttätig eine Türe aufzusperren oder zu verschließen? Was immer dahinter war, nie wieder zuzulassen? So wichtig, dieser Lernprozess. Reflexion, die Gabe nachzudenken, warum man fliehen musste? Wir vergessen lieber rasch, verbessern nichts, schließen die Augen, geben nichts zu, gestehen keine Fehler! Warum nur so peinlich? Warum meiden wir nicht, was absehbar fehllaufen wird? Als simple Reaktion, logische Konsequenz, korrigiert man Fehler, Bewegungen, Zielsetzungen? Nicht sofort, sonst käme man nicht voran, aber ab dem nächsten Punkt, wo du richtig, wachgerüttelt, aufmerkst, was vorgefallen ist, dich berührt hat, sich merklich verändert, auf Basis deiner Entscheidungen? Dein Zutun, deine Verantwortung, deine Worte am vorliegenden Tag, Woche, Monat, Jahr? Ein notierter Gedanke, versehentlich gelesen, zu katastrophaler Kettenreaktion führt? Geschichten, die mein Leben verdunkeln. Kaum etwas, worauf ich stolz sein wollte. Schon, dass ich gelegentlich etwas genial bin, wie wohl jeder auf seine spezifische Art, aber ich übe mich auch darin, mit meiner Begabung sachgemäß umzugehen; Verantwortung zu beweisen! Sorgfältig darüber zu wachen, dass ja keiner Schaden nimmt. Aber exakt deshalb, weil es da dann doch immerzu kleinere Pannen gab und künftig geben dürfte, muss ich mich jetzt dem Teufel erklären? Deshalb lädt mich Hades in sein Höllenloch ein? Nun, dann sei es so, ich verdiene es und mein sonst so fröhlicher Bäcker dort drüben, ist gar nicht wirklich hier? Ich bilde mir nur ein, dass der friedfertige Mann so hasserfüllt dreinguckt, dieweil er meine kostbaren Kräuterpasten sowie Trockensträuße in die höllischen Flammen wirft und eine mörderische Stichflamme erzeugt? Die ist somit gar nicht echt? Das ergäbe nämlich keinen Sinn! Ein anderer, der sich in meinem Albtraum die Haare abfackeln muss? Das geschieht aber gerade, der arme Kerl brennt lichterloh! Brandelixier, das er entsorgen wollte. Leider bekam er etwas davon ab, stolperte über eine arme Seele am Boden, infolgedessen, gräulicher Tod? Warum leidet er in meiner Hölle? Was hat er mit meinen Freveln zu schaffen? Er verkaufte mir Brot, gilt das als Missetat? Darf man einem Teufel nichts feilbieten? Dann wären alle hier! Sinnfrei! Die Absurdität ist real, kein Albtraum; ein lebendiger Ort, trotz Widersinn. Meine Kräuterküche samt Schätzen, meine Haut, die verbrennt, erbärmlich schmerzt. Im Vergleich zu diesem armen Mann, geht es mir verdammt gut … ich stehe auf eigenen Beinen. Halte Wertvolles fest, reiße Weiteres an mich; lebe, er aber ist tot. Sie sterben wie die Fliegen. Gase, narkotisierende Gerüche vermischt. Einige lachen sich tot. Grotesk, wie Gesichter verzerren. Hustend totlachen, bizarr. Heute möchte ich tausend Erinnerungen zeitgleich in meinem Gedächtnispalast ablegen, strukturiert, dass ich sie wiederfinde, indessen ich dito wie sie sterben muss? Ich atme dieselbe Luft, ersticke und verbrenne wie sie. – Schmerzen, nur sie halten mich aufrecht und Tränen, die mich makaber kitzeln. Mein schräges Grinsen, das mir meine Fürsprecher einbrachte, nach dem Motto, »wer so nett lächelt, ist kein böser Mann«. Höllenglut Kyrnataks, du Unbarmherzige, ich mochte sie wahrlich, allesamt, die ich erkenne und ich hätte gern noch viele Fragen beantwortet, wissend, sie hätten neugierig gelauscht. Einfaches Volk, das viel arbeitete, Familie, Vieh, Ladengeschäft überlebensfähig halten zu können. Allesamt stolz; sie nahmen keine Almosen. Ihre Seelen blieben rein, ich fühle es. Überzeugt, dass ich der Teufel bin, der ihr Vertrauen verriet, sie verspottete. Nur so erklärt sich das. — Wie viele Tränen muss man bei solcher Gluthitze vergießen, dass sich das solchermaßen klitschnass anfühlen kann? Triefend feucht; unstillbare, bittere Tränen und ich grinse abartig dazu, da es so wunderlich kribbelt am Kinn? Solches Elend am heutigen Tag, der mir grenzenlos Antworten bescheren wollte, aber umsonst, da ich sterbe … bitte, wer spricht hier mit wem? Wer glaubt, er habe das Sagen? Ich, Prinz deBougy, sterbe nicht! Jedenfalls nicht jetzt, allein das in meinen Armen plus Korbinhalt wird es verhindern können – ein überheblicher Geist stirbt nicht so leicht, das ließe mein stolzes Ego nicht zu. Da vorn ist das Tor, ich muss es nur erreichen und hernach stabil verschließen, dass die Explosion die Außenmauer verschont. Ich Luft atmen kann, die bekommt … und dann stolpere ich an der Türschwelle über meinen eigenen Leib – ein lebloser, gräulicher Körper, mit zertrümmertem Schädel – und übergebe mich. Prinz Flaubert deBougy ist tot. Deshalb fürchtet mich keiner mehr, weil ich tot bin! Mein Hinterkopf ist nur noch Brei.

Meine Sinne funktionieren einwandfrei, ich schließe das schwere Außentor, womit die Brandmauer übersteht; ich dahinter, zusammengebrochen, hustend, würgend, längsseits an die alte Mauer gedrückt. Mein mit Schätzen zugestopfter Umhang, gut gepolstert über den Schädel gezogen, der sich ein Glück an diesem Körper heil anfühlt. Nur die Haare fehlen und Brandschäden an der Kopfhaut, aber nichts eingeschlagen! Also zwänge ich ihn unter den Apothekerkorb, dieses Schauspiel muss ich sehen. Hier draußen ist es noch für Sekunden totenstill, nach dem Lärm und Geschrei innerhalb. Schock, wo ich ihn konstatiere, legt es los. Erst nur minimales Vibrieren, immer stärker werdend, in ein echtes Wackeln überleitend, dann in lauthalses Brummen und Rumoren, schließlich in ein infernales Donnern, wie aus tiefstem Höllenschlund, ein, zwei, drei, viermal, fünfmal, parallel, zischend überlaufend in grollende Blitze, funkensprühende Orkanwellen. Die schwere Mauer, die auf mich niederstürzt? Nein, das Dach zerreißt, eine Feuerfontäne schleudert Geröll, unbestimmbare Materie weit hinaus in den Himmel, Donnergrollen, erneutes Blitzen, Krachen, der nächste Vorrat im Nachbarschrank. Stummes Entsetzen, eine Lichtfontäne, mit sinistrer Materie bestückt, weitere Reste der Dachabdeckung zerfetzend, gen Himmel hochgeschleudert, kurz später, einem Steinschlag ähnlich, allesamt abregnen lässt. Die Anhöhe der Familie bis rauf zum Palazzo, zuvor noch bedeckt von lodernden Flammensäulen, jetzt kriechen finstere Rauchsäulen aus schwarz-schmieriger Substanz in Bodennähe, es stinkt grauenvoll – mein Magen kippt um. Alles von Trümmern erschlagen bis weit über die schroffen Klippen hinaus, darüber Asche, dichter werdend. Kleine, mittlere und Riesenbrocken, Mauersteine, Metallfetzen, grotesk verformt, makaber entstellt, als wollten sie mich verspotten. Dazwischen ein Kessel, einzelne Werkzeuge, auf Hochglanz poliert, die mich, hunderte Meter entfernt, durch die Rauchnebel blenden. Blutig verschmierte Glaselemente, nur Splitter, dann wiederum wundervoll glänzende, pittoreske Glasbläserkunst, befüllt oder leer, bestens erkennbar. Döschen, Schatullen voller Kostbarkeiten, offenkundig stabil geblieben, verschlossen. Schmutzpartikel, so widerlich, Haare und Erbrochenes, zerrissene Menschenleiber, eine schlüpfrige, helle Schlange, die sich widerwärtig bewegt – herausgerissenes Gedärm! Blut, Kleidungsreste, Undefinierbares, eine abgetrennte Hand, halb verkohlte, schmierig überzogene Körperteile. Der Lehrling aus der Schmiede, sein markantes Muttermal an diesem Hals, der munter auf mich zugerollt kommt und unweit meines rechten Fußes liegenbleibt. Seine wunderschönen Haare, zuvor leuchtend kastanienbraun, jetzt grau, wie die eines alten Mannes. Aber er ist es, ich erkenne seinen aparten Hemdkragen, den die Schwester aufwendig bestickt hat. Sauber, direkt darunter, ein Schnitt wie von extrem scharfer Klinge. Ein Schwert hätte das Hemd nicht so sauber durchtrennen können, somit war es Glas? Höllisches Inferno, teuflischer Meister, du beweist mir deine Kunstfertigkeit – in einer Schmiede solches feines Stöffchen zu tragen? Sie muss es täglich gewaschen haben, etwa über Nacht? So rasch trocknet solch dicht bestickter Stoff in den kalten Monaten nicht. Will heißen, er hatte wenigstens zwei davon. Ein Einsteckkragen und diverseste weiße Hemden, die sie immerzu pflegte und sorgsam plättete. Sie schmunzelten darüber, neckten ihn. Ich erinnere mich, wie sie lachten, charmant Witzchen rissen und sofort nervös wurden, stand ich plötzlich mittig dazwischen. »Der Adel mischt sich nicht unters Volk, außer er plant Hinterhältiges.« – Ach, das kenne ich gut; mir wurde das Adäquat in puncto Pöbel eingetrichtert – »Traue dem Pöbel nicht, er betrügt dich, sobald du dich nur umdrehst. Und schon ist er auch gar nicht mehr so tumbe, arglos und unbeholfen, wie er sich zuvor bewies« … warum nur ist er hier? Dieser nette halbwüchsige Bub – wie alt mag er sein, 12, 13 Jahre alt, kaum älter – hatte niemals etwas gegen mich! Warum sollte er sich Mörderbuben anschließen? Absurd, sie so zu nennen. Ich habe keinen einzigen gesehen, der zuvor jemals böse Absichten verfolgte. Wie könnte man solche guten Leute dazu bewegen, zum Mörder zu werden? Egal, jetzt, wen, sie sind einfach nicht der Typ dazu, den man zu solchem Malefiz verführen kann! Eher sanftmütige Schafe, ordentlich und aufrecht, beileibe keine Blindgänger, weder dumm noch unterwürfig. Ergo, eher doch meckernde Ziegen und neugierige Katzen? Solche, die ich gern zu Freunden erklärt hätte. Nähe und Verständnis hatte ich mir erhofft, wollte mich erklären. Ist kaum gelungen und ich machte sie reichlich nervös, wie meine kurzzeitigen Diener, aber sie stellten Fragen, ohne gleich wegzulaufen. Somit stimmt hier etwas absolut nicht. Es gibt reichlich gewissenlose Grenzgänger auf unserer Insel, stets zu allem bereit und günstig zu haben. Die hätte ich hier vermutet, vielleicht selbst, falls es denn sein müsste, zu solcher Freveltat angeworben? – Sorgten sie sich etwa davor, ich könnte ihre List durchschauen und mich rechtzeitig in Sicherheit bringen, wenn sie die falsche Meute auf mich hetzen? Wählten sie deshalb diese Opferlämmer aus? Wie grausam! Wer hasst mich dermaßen, diejenigen auf mich zu hetzen, die ich gern mag? Gegen die ich mich kaum wehren würde, denn dafür müsste ich bereit sein, sie zu verletzen.

Eishagel – willkommene Ablenkung –, in einer meiner Schriften, faszinierend vielbunt skizziert, bezaubernd und tödlich, findest du keinen Unterschlupf. Fast identisch angefühlt, als ich die Ausarbeitung der Bilder noch reiner Fantasie überlassen konnte. Bruchteile von Sekunden, derartig tonlos, gefühlt wie eine Ewigkeit. Als wolle jemand mit hochgerecktem Zeigefinger sagen „Achte gut darauf, was du dir wünschst!“, entzaubert, einprägsam. Mein Rücken ist an die Hauswand gelehnt, ich bin zwar erschöpft, aber hellwach. – Tod, so fühlst du dich an? Falsch, so sicher nicht! Hades, was spielst du hier? Verspottest du mich? Was willst du? Ich benötige Ruhe, muss meine Wunden versorgen, sonst verliere ich alle Beweglichkeit! Meine geschickten Hände würden zu Klauen werden, zu nichts mehr Nutze sein. Lass mich endlich in Frieden, du Höllentroll! – Das ist mein persönliches Kyrnatak, gewissermaßen der Lohn für meine eigenwillige Art, Fragen zu stellen? Dass mich der dunkle Meister jetzt schikaniert? Arroganz wird wahrlich hart bestraft, kompromisslos. Dein Wert? Wie es ausschaut, bestimmt nicht er ihn, sondern sie. Diejenigen, die du im Leben übersahst, weil sie dir unwichtig schienen. Das ist wohl der Sinn dahinter? Daraus folgt, wer alle anderen retten möchte, ohne Rücksicht auf sich selbst, wird im Himmel belohnt? Nun, vielleicht wenigstens nicht auch noch verhöhnt! – Dann dürfte es da oben ruhig zugehen, ist dieweil mehr ein Paradies für Eremiten? Als Rückversicherung, dass man nicht am Ende den Falschen belohnt hat? Wäre schon peinlich. – Dann waren die Bilder des Leids nur eine Prüfung für mich? Er wollte wissen, ob ich Mitleid empfinde? Ob mich der Schmerz anderer tangiert? Ob ich bereue, wer ich war, ob mir bewusst ist, wie fehlbar ich in allem bin? Und ob es mir ernsthaft leidtut? – Tut es das? Ganz habe ich, scheint es, doch nicht versagt; mein Überlebenswille fordert mich auf, meine Wunden zu versorgen. – Sterbe ich sonst erneut? Wie oft kann man so etwas tun? Bisher dachte ich, der Mensch bestünde nur aus einem einzigen Körper. Ich scheine über mehrere zu verfügen. Der Tote war echt und ganz sicherlich ich. Selbst mit zertrümmertem Schädel war ich unverkennbar, schien mitten in der Routine gewesen zu sein. Hatte meinen Mundschutz im Einsatz, mit eingeklemmtem, nassem Tuch, nur für meinen Besuch minimal heruntergezogen. – Was mich zügig abkühlt, mich innerlich beinahe erfrieren lässt, dass ich trotz allem unbedingt wissen möchte, wer und was mich erschlug. Ich verbleibe ein akribischer Ispettore, ein peinlich steifer Amtmann, der dienstbeflissen, nach gründlicher Faktenbeschau seinen Übeltäter finden muss! Egal, jetzt, wer es ist, obschon ich Ersie sicherlich doch mochte. Nur an der Hauswand oberhalb bleibt man bei solchem Sturmwind halbwegs geschützt. So wie es Felsbrocken abgeregnet hat, dürfte somit sonst keiner überlebt haben. Aber vielleicht zwischen den Felsen? Der Forscher in mir ist allzeit bereit, Gefühle herunterzuschlucken, sachlich-nüchtern zu funktionieren. Ich verbleibe, ein Meister, ein eiskalter Hund, der sich von nichts irritieren lassen wird. Die Außenmauern stehen noch, ich fühle sie, kann nicht aufstehen, mir fehlt jede Kraft. Das Dach fehlt, vermutlich komplett. Regalelemente, Keramik, Splitter, Bruchstücke, selbst schwere Kessel hat es zerlegt. Dergestalt Kraft zu entfesseln? Ich bin tatsächlich hochbegabt. Erschaffe Mixturen, die einen ganzen Berghang in Fetzen reißen können. Dabei lagerte die Substanz nur in geringfügiger Menge, sorgfältig abgeschirmt? Was könnte sie erst bewirken, platziert man sie geschickt? Meine Wissenschaft wird soeben mit neuen Ideen bestückt. Das heißt wohl, falls ich es jetzt noch schaffen sollte, ausreichend Schätze zu bergen, abermals neu durchstarten zu können, sollte mir nicht mehr viel im Wege stehen, in neuer Runde erfolgreicher abzuschließen? Mit seiner höllischen Majestät an meiner Seite lehnend? Ich werde nicht gefragt. – Mögliche Überlebende, bei den überhängenden Felsen dort drüben? Könnte ich ihnen vielleicht helfen? Solchermaßen wie ich jetzt beschaffen bin? Ich steuere immer rasanter auf mein eigenes Ende zu, das muss ich endlich geregelt bekommen, nicht bloß darüber nachdenken, sondern schlussendlich tun und parallel meinen Schädel sortieren. Wirre Gedanken schwirren umeinander, die verarbeitet gehören. Uralte Erinnerungen, die ansonsten verloren gehen könnten. Erinnerungen an einen Paradiesgarten, den es hier einst gab – uns Menschen vom Götterhimmel überantwortet –, den wir versuchen, mit all unserer Macht, beizeiten gründlich vernichtet zu bekommen.