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Die Chiemgau-Autoren haben die Zwischenzeit des zweiten Lockdowns genutzt: In 45 Texten beschreiben 26 Autorinnen Zwischenräume aller Art. Sie entdeckten Zwischenräume überall: zwischen Wunsch und Notwendigkeit, zwischen Suchen und Finden, zwischen Frage und Antwort, zwischen Behauptung und Zweifel, zwischen Start und Ziel. Sie haben das fortgesetzt, was ihnen am Herzen liegt: die Abstände zwischen Realität und Fiktion literarisch auszumessen, die gedanklichen Lücken mit Fantasie zu füllen, schreibend alte Räume zu erkunden und neue Räume zu eröffnen. Aus acht Vorschlägen haben sie das Thema Zwischenräume gewählt und es in Kurzgeschichten, Gedichten und Prosa-Miniaturen zum Leben erweckt. Mit schelmischem Augenzwinkern durchforsten sie die Fallgruben des Alltags und enthüllen den einen oder anderen Riss in unserer modernen Gesellschaft. Gedankenvoll steigen sie hinab zum verlorenen Glück des Gestern oder klettern empor zu einem fantastischen Blick auf das Morgen. Mit kriminologischem Scharfsinn erkunden sie, was denn nun wirklich hinter dem morschen Mauerwerk versteckt ist (oder eben auch nicht). Die Leserinnen sind hiermit aufgerufen, sich auf eine Erkundungsreise zu begeben, die verschiedenen Zwischenräume zu entdecken, zu erkunden und sich an ihnen zu erfreuen.
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Seitenzahl: 110
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Vorwort
Der Morgen zwischen den Arbeitsplätzen
Über's Ratschen
Verständnis
Vampire
Im Zoo
Cimex lectularius
Im Gang
Im Warteraum
Zwischen zwei Welten
Bittersüße Sehnsucht
Zwischen den Zeiten
Staub und Träume. Dust and dreams
zwischenräume
Zwischen Homeoffice und Homeschooling
Die erste Welle
Zeit zum…
Helmfried
Helmfrieds Erben
Das Rad
An meine Tochter
Zackiges zwischendurch zum Zwinkern
Königstausch
Wasserfrau
Die bösen Hexen und der Findling
Es is imma wos dazwischn
Zwischenräume
Der Gartenzwerg
Preis der Moderne
Seltsame Liebe
ihr gesprächspartner antwortet nicht
mittlat drin
wenn drzwischn nuicht war
Zwischen den Räumen
Überraschung
Wortspiele um geometrische Zwischenräume1
Wortspiele um geometrische Zwischenräume2
Wortspiele um geometrische Zwischenräume3
Resonanz
Harmlos oder nicht
Honigmilch
Dem Jockerl sei Papa – Verloren in der Zwischenwelt
…..von der Suche nach der Freiheit und einer großen Liebe
Zwischenräume : Sprachwelten
Zwischenstopp
Wald
Anhang: Hinweis zu den Mundart-Texten
Register der Autorinnen und Autoren
Danksagung
Liebe Leserin, lieber Leser,
von einem Tag auf den anderen war alles anders geworden. So wesentlich anders als alles, was wir bisher in unserem Leben gewohnt waren.
Hinter uns liegt ein Jahr, in dem die Bemessung von Abständen zwischen Menschen zum allgegenwärtigen Thema wurde. In welchem diskutiert wurde, was sich in den Zwischenräumen eigentlich abspielt, zum Beispiel in jenem (früher kaum beachteten) Zwischenraum zwischen uns und den anderen Menschen, wenn wir im Supermarkt unseren täglichen Einkauf erledigen oder aber, wenn wir im Zugabteil und im Wartezimmer sitzen. Indem oft nichts wichtiger war als jener Raum zwischen uns und unseren Liebsten, wenn ihre Gesundheit und ihr Wohlergehen plötzlich auf dem Spiel standen.
Diese Zeit erscheint wie eine Zwischenzeit – wir harren aus, ohne dass das Ende, das Ankommen wirklich in greifbarer Nähe wären. Wir halten durch, ohne zu wissen, wann wir das große Ziel erreichen werden, wann wir alle wieder sicher sein und unbekümmert unseren Lebenszielen und unserem Glück nachgehen werden.
Die Chiemgau-Autoren haben die Zwischenzeit genutzt. Sie haben das fortgesetzt, was ihnen am Herzen liegt: die Abstände zwischen Realität und Fiktion literarisch auszumessen, die gedanklichen Lücken mit Fantasie zu füllen, schreibend alte Räume zu erkunden und neue Räume zu eröffnen. Aus acht Vorschlägen haben sie das Thema „Zwischenräume“ gewählt und es in Kurzgeschichten, Gedichten und Prosa-Miniaturen zum Leben erweckt. Mit schelmischem Augenzwinkern durchforsten sie die Fallgruben des Alltags und enthüllen den ein oder anderen Riss in unserer modernen Gesellschaft. Gedankenvoll steigen sie hinab zum verlorenen Glück des Gesterns oder klettern empor zu einem fantastischen Blick auf das Morgen. Mit kriminologischem Scharfsinn erkunden sie, was denn nun wirklich hinter dem morschen Mauerwerk versteckt ist (oder eben auch nicht).
Im Namen des Vereins der Chiemgau-Autoren wünsche ich Ihnen viele erfreuliche und anregende Entdeckungen auf Ihrer Reise ins Reich des Dazwischen.
Martin Trautwein
Grassau, April 2021
Barbara Ammer
Wenn ich das Alte hinter mir lasse, kann ich das Neue beginnen. Auch das Alte war einst das Neue. Es klang damals vielversprechend. Die Vorfreude zu erleben, war großartig. Die Spannung im Leben konzentriert sich stets auf die Wartepositionen. Ich fülle die Zwischenräume seit Jahrzehnten in gewohnter Weise mit Unruhe. Der Stress raubt mir den Schlaf. Ich liege zwischen zwei Mobiltelefonen. Nur so kann ich entspannt zur Decke starren, bis ich einschlafe.
Der aggressivste Klingelton, den ich auswählen konnte, beendet die kurze Nacht. „Morgen! Sie wissen aber schon, dass wir die nächsten vierzehn Tage noch mit Ihnen rechnen. Ihr Dienst beginnt heute um 7 Uhr. Bis später, wir sehen uns!“ Er hat aufgelegt. Ich kann nichts sagen und starre in meinen Kotzeimer, sein roter Boden starrt zurück. Aus der Vogelperspektive fühle ich mich zumindest über den roten Eimer erhaben.
Sobald der melodische Klingelton des anderen Smartphones ertönt, verändert sich mein Gemüt. Die sanfte Unterbrechung meiner Anspannung lässt vor meinem geistigen Auge Schmetterlinge tanzen. Nach dieser kalten Winternacht sehne ich den Frühling herbei. Ich melde mich mit meinem vollen Namen, wünsche einen guten Morgen und werde sogleich mit den raffiniertesten Überzeugungsfloskeln überschüttet. Wie habe ich nur all die Komplimente verdient? Wie konnte ich dermaßen überzeugend wirken? Allein für meine Ausstrahlung werde ich über alle Maßen gelobt. Meine gezeigte Leistungsbereitschaft, meine Fähigkeiten und meine Stressresistenz werden nicht erwähnt. Aber das ist kein Grund, bereits jetzt auf den Neuen zu pfeifen. Er verabschiedet sich immerhin sehr höflich, und wir versichern uns gegenseitig, dass wir uns auf den Beginn des Arbeitsverhältnisses freuen.
Inzwischen ist die Zeit fortgeschritten. 8:30 Uhr ist offensichtlich zu spät, um beim Alten noch anzuklopfen. Ich muss ihn zumindest anrufen. Also rücke ich mir den Kotzeimer wieder zurecht, nehme das andere Mobiltelefon in die Hand und drücke auf Rückruf. In seinem Büro hockt er nicht. Er ist wohl in einer Besprechung oder spaziert durch das Gebäude. Der Anruf wird weitergeleitet. Seine neugierige Sekretärin fragt, wo ich bleibe. Er nimmt ihr den Hörer aus der Hand, und ich stelle mir besser nicht sein Gesicht vor, sondern begrüße den Kotzeimer, auf den ich mich nun voll und ganz konzentriere, während der Alte mit mir spricht. „Warum melden Sie sich nicht ab, wenn Sie den Dienst nicht antreten können?“ Stille. – Der Kotzeimer glotzt mich an. „Wenn Sie krank sind, müssen wir das wissen. Wir können es nicht nachprüfen, aber wir nehmen mal an, dass es so sei.“ Das Kichern der Sekretärin lenkt mich von meinem Verbündeten ab, dem roten Eimer sollte ich wieder mehr Aufmerksamkeit schenken. Zu meinem eigenen Schutz richte ich ein paar Worte der Entschuldigung in den roten Hohlraum und hoffe, dass nichts mehr zurückkommt. „Ich wünsche Ihnen gute Besserung; bis 13 Uhr erreichen Sie mich in meinem Büro. Sie können sich zurückmelden, sobald es Ihnen besser geht. Wir sehen uns dann hoffentlich spätestens morgen früh.“
In vierzehn Tagen endet mein Dienstverhältnis beim Alten und ich bekomme eine neue Chance. Vor mir tut sich ein unangenehmer Zwischenraum auf, den ich zur Seite schieben möchte. Je mehr ich ihn aus meinen Gedanken zu verbannen versuche, desto zermürbender wirkt er. Es fehlt mir nicht an Mut, dem Alten nochmal zu begegnen. Wenn er Angst und Schrecken verbreitete, war ich selten davon betroffen. Ich wünsche mir einfach nur den kleinen Zwischenraum für mich allein, frei von neugierigen Fragen der Kollegenschaft.
Es erreicht mich eine E-Mail mit der freundlichen Aufforderung, den Anhang zu öffnen, um mich über meine neuen Aufgaben vorab informieren zu können. Beim Neuen habe ich wesentlich mehr zu tun als beim Alten, stelle ich nun erstmals fest. Langweilig wird es trotzdem. Interessante Arbeiten suche ich in der Liste vergeblich. Ich erhebe mich und stelle den roten Eimer auf den Schrank, damit ich ihn wieder griffbereit habe, wenn es beim Neuen losgeht.
Karl-Heinz Austermayer
Manchmoi möchert i a Mäuserl sei',
weil da wär' i heimlich bei manchen G'sprächen dabei,
von dene sunst i nix dat hör'n –
und de i wissert doch sehr gern.
Ka'm is Oaner drauß'n bei da Tür,
– so hab' i des im G'spür –
werd über so manche Schandtat bericht'
und der Kerl nach alle Regeln der Kunst ausg'richt'.
Obwohl ma' über de Ratscherei oft gern was wissen dat,
is – wenn'st nix woaßt – a net z'spat,
weil, wenn ma von dem Schmarr'n nix woaß,
macht oan des wenigstens net hoaß.
Drum laßt's es doch ratschen
und lauthals umanandertratschen,
denn wenn Oaner vui über Andere spricht,
werd er vielleicht woanders – no vui mehrer ausg'richt!
Karl-Heinz Austermayer
De Gemeinschaft von Alt und Jung
bringt oft Ärger und vui Stunk,
weil net selten oaner über’n andern thront,
wenn alt und jung beinanderwohnt,
ma fragt se oft, warum mua des a so sei,
des ewige Schimpfer und de Keiferei?
Woher des iatz kimmt, i moan ganz g’wiß,
des liegt wohl nur am Gegenseitigen – Vo’ständnis,
denn, wenn oaner den andern besser acht’,
kimmt’s vui seltener vor, dass amoi kracht,
man lebt vui leichter mitanand –
und kon durch’s Leb’n geh’ – Hand in Hand!
Gudrun Bielenski
Ich gehe früh zu Bett. Der Mond scheint in mein Zimmer. Vollmond und fast taghell. Nacht der Geister, Gespenster, Vampire, sagt man. Von der Ferne höre ich den Ruf eines Käuzchens. Huh, ich grusle mich gerne. Es weht eine leichte Brise. Das Fenster ist halb geöffnet, und der Vorhang bauscht sich im Wind. Sanft streicht er über meine Wangen. Ich kuschle mich unter meine warme Bettdecke. Kurz darauf versinke ich in meinen Träumen.
Und plötzlich weckt mich ein Gesang wie von Sirenen, auf- und abschwellend, klagend, schluchzend, lockend.
„SSSSirenen ssssingen, aaah, oooh, uuuh.“
Ich bin nicht imstande, meine Augen zu öffnen.
„SSSSirenen ssssingen, aaah, oooh, uuuh,“ schallt es an meine Ohren.
Ein kalter Schauer läuft mir über den Rücken.
Ich will schreien. Aber ich bin stumm. Wie ein FischFischFisch.
Ein Knall. Das Fenster schlägt zu. Endlich Ruhe!
Und dann Schlaf, tiefer, tiefer, traumloser Schlaf bis zum Morgengrauen.
Als ich am Abend zu Bett gehe, sind die Ereignisse der letzten Nacht fast wie weggeblasen! Hirngespinste und schlechte Träume.
Trotzdem bleibt mein Fenster zu. Und schnell eingeschlafen. Mit Schlafmaske und Ohrstöpsel, vorsichtshalber.
Plötzlich die Kirchenglocken, zwölf Schläge!
Ich wache auf. Warum werden die nachts nicht ausgeschaltet, ärgere ich mich.
Und da spüre ich so etwas wie ein Piksen am Hals. Diese verdammten Stechmücken! Ich will sie wegscheuchen. Und gleichzeitig – eine eiskalte Hand umklammert meinen Hals.
Ein Laut dringt aus meiner Kehle, ein verzweifeltes Krächzen, ich hebe meinen Kopf, so gut es geht. Da lösen sich die Finger im Nichts auf.
Alles nur Einbildung infolge Überarbeitung, beruhige ich mich.
Trotzdem erwarte ich sehnsüchtig den Morgen.
Zwei kleine blutverkrustete Stellen an meinem Hals – erinnern mich noch an die letzte Nacht. Diese gottverdammten Stechmücken!
Am darauffolgenden Abend treffe ich noch mehr Vorsichtsmaßnahmen.
Ich verriegle die Türen, schließe die Fenster, ziehe die Vorhänge zu und hänge über mein Bett ein Moskitonetz. Und trinke einen Schlaftee. Der hilft sofort.
Gong, Gong, Gong.
Wieder diese schlaftötenden Kirchenglocken. Zum Teufel! Das Fenster steht weit offen. Seltsam! Ich will es schließen, aber irgendetwas hält mich davon ab.
Meine Augen weiten sich, meine Pupillen, werden groß, größer. Ich sehe komplett scharf.
Riesige Fledermäuse fliegen durch die Luft, die plötzlich menschenartige Gestalt annehmen und – auf mich zuschweben!
„SSSSirenen ssssingen aaah, oooh, uuuh,“ tönt es von allen Seiten.
Ich öffne meinen Mund, die Töne perlen heraus, wie von selbst. Meine glockenhelle Stimme mischt sich in den Gesang mit ein. „SSSSirenen ssssingen aaah, oooh, uuuh.“
Um mich herum ein Wabern, ein Flüstern: „Komm, du schöne Braut!“
„Bin ich da gemeint?“ Unsicher blicke ich mich um.
„Komm, komm, ….“
Meine Arme heben sich, und wie von Geisterhänden werde ich hochgezogen.
Ein Gelächter! „Na endlich, jetzt gehörst ...“
Da ein schriller Schrei: „Nein.“
Ein Gekreische! „Zu uns oder…“
Abermals ein Schrei: „Nie, ihr vermaledeiten Vamp…“
Ein Aufheulen: „Aber wir haben sie uns gekrrrrr…!“
Ein Stöhnen: „Unsere schööne Braut!“
Plötzlich bekomme ich einen Stoß und knalle auf den Boden in meinem Zimmer.
Mit voller Wucht auf meinen Rücken, mit dem ich sowieso schon Probleme habe.
Von da an werde ich nie mehr in der Nacht gestört.
Wer mich wohl gerettet hat? Ich habe es nie erfahren.
Aber zu bedauern sind sie schon, diese armen Seelen, die weder tot noch lebendig sind, sondern sich ewig in einem Zwischenzustand befinden werden.
Es sei denn? Ja, es sei denn, sie werden erlöst.
Gudrun Bielenski
Es ist Ostersonntag. Die Familie Löblein macht heute einen Ausflug mit ihren Kindern Fritz und Lisa in den Nürnberger Zoo. Dort bekommen heute alle Kinder gefärbte Ostereier geschenkt.
Gleich am Eingang ist das Freilandgehege der Affen.
Lisa schaut ihnen begeistert zu, wie sie miteinander spielen und sich gegenseitig necken.
Ein Äffchen ist neugierig und kommt an das Gitter des Geheges.
Lisa holt ihre bunten Eier aus dem Rucksack und steckt ein rotes durch die Stäbe. „Schbinnsd du,“ schimpft Papa, des is fei verboden.“
Aber der Affe freut sich über die Abwechslung, grabscht sich das Ei, setzt sich hin, betrachtet es von allen Seiten, steckt es schließlich in den Mund und kaut darauf herum.
„Schau, dem schmegt des Ei,“ sagt sie zu ihrer Mama, die sogleich mit ihrem Handy ein Foto schießt.
Dann schiebt Lisa noch das gelbe Ei durch das Gitter. Der Affe hebt es auf, legt es auf seine Handfläche und balanciert es zu Lisa. Sie schaut ihn an und versucht, ihre kleine Hand durch das Gitter zu strecken, um es entgegenzunehmen, aber die Zwischenräume sind zu eng. Kurz darauf wirft der Affe das Ei hoch und fängt es im Mund auf. Lisa ist begeistert und fragt ihre Mama:
„So a süßes Äffla, kemmer den mitnehma?“
„Sunsd no wos, ich hob scho zwa Äffle daham,“ antwortet sie trocken.
Dann marschieren sie in das sehr moderne Schimpansenhaus, ein komfortabler Käfig, aber ohne Gitter, dafür mit einer Glaswand und viel Grün. Die Affen können hinausschauen, und die Besucher können hineinschauen.
Der Geruch ist ziemlich streng hier. Lisa hält sich ein Taschentuch vor die Nase.
„Ii, do schdingts, mir is schlechd,“ jammert sie.
Fritz sagt: „Worscheinlich hammer domols genauso gschtungn.“
Lisa schaut ihn abfällig an: „Du vielleichd, abber ich ned.“