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Mark Tate ist der Geister-Detektiv. Mit seinem magischen Amulett, dem Schavall, nimmt er es mit den Mächten der Finsternis auf und folgt ihnen in andere Welten und wenn es sein muss, bis in die Hölle. Ihm zur Seite steht May Harris, die weiße Hexe. (499) Dieser Band enthält folgende Romane: W.A.Hary: Schattenkrieger: W.A.Hary: Das Rätsel von Pearlhampton W.A.Hary: Die Quelle des Bösen W.A.Hary: Killerdämonen W.A.Hary:Dunkle Bruderschaft James Melvoin: Moronthor oder Mein Bruder, der Dämon Lloyd Cooper: Moronthor und der Vampir von Denver Alfred Bekker: Die Mondhexe Alfred Bekker/W.A.Hary: Im Schatten der Erdmagie Alfred Bekker: Die Insel des Magiers
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Seitenzahl: 878
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10 Geisterhafte Gruselkrimis im Paket März 2024
Copyright
W. A. Hary Schattenkrieger
W. A. Hary Das Rätsel von Pearlhampton
W. A. Hary Die Quelle des Bösen
W. A. Hary Killerdämonen
W. A. Hary Dunkle Bruderschaft
Moronthor oder Mein Bruder, der Dämon
Moronthor und der Vampir von Denver
Die Mondhexe
Im Schatten der Erdmagie
Die Insel des Magiers
Mark Tate ist der Geister-Detektiv. Mit seinem magischen Amulett, dem Schavall, nimmt er es mit den Mächten der Finsternis auf und folgt ihnen in andere Welten und wenn es sein muss, bis in die Hölle. Ihm zur Seite steht May Harris, die weiße Hexe.
Dieser Band enthält folgende Romane:
W.A.Hary: Schattenkrieger:
W.A.Hary: Das Rätsel von Pearlhampton
W.A.Hary: Die Quelle des Bösen
W.A.Hary: Killerdämonen
W.A.Hary:Dunkle Bruderschaft
James Melvoin: Moronthor oder Mein Bruder, der Dämon
Lloyd Cooper: Moronthor und der Vampir von Denver
Alfred Bekker: Die Mondhexe
Alfred Bekker/W.A.Hary: Im Schatten der Erdmagie
Alfred Bekker: Die Insel des Magiers
Ein CassiopeiaPress Buch: CASSIOPEIAPRESS, UKSAK E-Books, Alfred Bekker, Alfred Bekker präsentiert, Casssiopeia-XXX-press, Alfredbooks, Bathranor Books, Uksak Sonder-Edition, Cassiopeiapress Extra Edition, Cassiopeiapress/AlfredBooks und BEKKERpublishing sind Imprints von
Alfred Bekker
© Roman by Author
© dieser Ausgabe 2024 by AlfredBekker/CassiopeiaPress, Lengerich/Westfalen
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Nur die Schatten der Teufelsjäger – aber genauso wirkungsvoll
Der Präsident der Madrider Policia fiel aus allen Wolken, als sein Captain sagte:
„Man hat die Leiche von Mr. X gefunden, des Bosses der berüchtigten X-Organisation, die die Herrschaft über die Welt anstrebt!“
Gonzales erklärte ihm kurz die Situation aus seiner Sicht: „Wie Sie ja bereits wissen, meldete sich Mark Tate bei uns: Er hatte einen seltsamen Anruf erhalten. Wir fuhren zum Hotel. Der Zimmerkellner behauptete, das Trio habe ihn mit der Waffe bedroht und wollte ihn zur falschen Aussage zwingen. Von einem Anruf könne keine Rede sein. Der Kellner war einer von der neuen Organisation, wie wir ja wissen.
Offiziell nahm ich das Trio fest. Später erreichte mich die Nachricht, dass Mr. X tot sei. Seine Leiche war im Hotel gefunden worden: Er war es tatsächlich selber gewesen, der Mark Tate angerufen hatte! Das lässt vermuten, dass die X-Organisation von einer anderen Organisation übernommen wurde. Mr. X hatte sie sterbend MAFIA genannt.
Ich ließ das Trio verabredungsgemäß heute Nacht noch zur Hazienda unseres Polizeifreundes bringen. Nun muss ich leider annehmen, dass da etwas nicht stimmt...“
Er hatte ja noch keine Ahnung, dass Mister X in Wahrheit durchaus quicklebendig war und alles nur zu seinem groß angelegten Plan gehörte, den Untergang der X-Organisation vorzutäuschen. Genauso wenig konnte er ahnen, dass er zeitgleich sich bemühte, aus dem Trio Doppelgänger zu formen – und dass zumindest noch Mark Tate und Corinna Hacksmith sich anstrengten, dies nachhaltig zu verhindern – und zu überleben…
Er begründete seinen Verdacht indessen umständlich mit einer abenteuerlich konstruierten Geschichte, die deshalb so kompliziert klang, weil sie hinten und vorn nicht stimmte. Aber es war genau die Kompliziertheit, die dem Polizeipräfekten anscheinend bewies, dass sein Capitano offenbar besonders fähig war...
„Sie meinen also, die drei sind ebenfalls nicht mehr am Leben?“, brachte er das Gesagte auf einen einzigen Nenner.
Gonzales hatte ihn geschickt selber darauf kommen lassen. Denn hätte er es gleich schon gesagt, wäre dem Polizeipräfekten ein kleines Erfolgserlebnis verloren gegangen.
So aber tat es ihm gut, wenn er sich selber für besonders clever hielt - und wenn das Trio wider Erwarten dann doch lebend angetroffen wurde, hatte nicht der Captain sich geirrt, sondern im Gegenteil sein Präfekt!
Gonzales war ob dieses Schachzuges richtiggehend stolz auf sich.
Dem Präfekten fiel noch etwas anderes ein, was genau in das Konzept von Gonzales passte und gleichzeitig dafür sorgte, dass er niemals die Verantwortung dafür zu ziehen brauchte, falls es schief ging: „Holen Sie sich eine Hundertschaft - und dann ab zur Hazienda. Ich will wissen, was dort wirklich vorgeht! Und seien Sie vorsichtig, Gonzales! Sie sind ein guter Mann, und ich brauche Sie auch in Zukunft noch! Denn mit der Mafia ist wahrlich nicht zu spaßen!“
„Mit mir auch nicht!“, erklärte Enrico Gonzales im Brustton der Überzeugung. Im Stillen dachte er sich allerdings: Kann ja jetzt gar nicht mehr gefährlich sein, dort draußen. Die haben bestimmt längst das Feld geräumt. „Ich muss das persönliche Wagnis halt auf mich nehmen, denn es gilt, mögliche Spuren rechtzeitig zu sichern...“
Nach dem Gespräch rieb sich Enrico Gonzales zufrieden die Hände.
Er schielte zum Apparat hinüber.
„Dich habe ich jetzt endgültig in der Tasche, Senor Präfekt. Was kann jetzt noch schief gehen, meine Karriere betreffend? Ich habe alles bereinigt. Und wenn ich das alles so bravourös schaffe, dann hat auch die Mafia keine Chance gegen mich. Wäre doch gelacht.“
Enrico Gonzales hatte eben keine Ahnung vom wahren Polizeidienst, und deshalb neigte er zuweilen zur Selbstüberschätzung. Er glaubte, wer so perfekt Karriere machen kann wie er, dem müsste eigentlich alles gelingen.
Ein fataler Irrtum...
*
Ich schoss geradewegs in den Bildschirm, der zurzeit mein Konterfei trug.
Der Schirm implodierte krachend. Hätte Mister X doch Flachbildschirme benutzt und keine Röhrengeräte, die anscheinend zwar auch ihre Vorteile hatten, aber eben implodieren konnten… Trümmerstücke schwirrten durch den Raum und zwangen die X-Agenten in Deckung.
Corinna Hacksmith stand von dem Schirm weit genug weg, seitlich versetzt. Sie bekam nur den Krach zu spüren und hielt sich die Ohren zu.
Mit der nächsten Kugel traf ich einen weiteren Schirm.
Das war dieselbe Wirkung wie bei einem Granateinschlag!
„Aufhören!“, schrie der A-Agent schmerzerfüllt. „Macht den Kerl endlich alle!“
Ich hatte mich natürlich ebenfalls in Deckung geduckt und zerschoss von hier aus ungestört einen Bildschirm nach dem anderen. Das machte beinahe sogar Spaß...
Corinna Hacksmith entfernte sich von der Schaltwand, passte dabei jedoch auf, dass sie nicht zufällig von den umher schwirrenden Trümmerstücken getroffen wurde.
Die Agenten fassten endlich Mut, sprangen hervor und griffen an. Corinna Hacksmith erbeutete von einem der Bewusstlosen gerade eine Waffe und eröffnete das Feuer auf die Agenten.
Einen erwischte sie und schickte ihn ins Jenseits. Der A-Agent war ebenfalls zu vorwitzig und holte sich damit eine tödliche Kugel aus meiner eigenen Pistole.
Jetzt war niemand mehr da, der Befehle geben konnte. Der Rest der C-Agenten wurde zwar nicht kopflos, aber sie duckten sich wieder in Deckung.
„Die Schaltwand!“, rief ich Corinna Hacksmith zu.
Wir schossen unsere Magazine darauf leer.
Die restlichen Bildschirme implodierten. Die ganze Schaltwand platzte auseinander. Glühende Trümmer ergossen sich in den Raum.
Die Polster fingen prompt Feuer. Das Licht fiel aus. Nur noch im Schein des Feuers war etwas zu erkennen.
Corinna Hacksmith und ich machten blitzschnell Stellungswechsel in diesem Chaos.
Unser Glück, denn die Agenten ballerten blindlings in unsere Richtung.
Sie merkten zu spät, dass wir gar nicht mehr da waren, wo sie uns vermuteten.
Die Kuppelhalle wurde gänzlich zum Inferno.
Auch die Elektronik in verschiedenen Sesselelementen spielte nun verrückt. Ein Stromkreis nach dem anderen krachte durch.
Tief in der Schaltwand gab es einen letzten gewaltigen Kurzschluss.
Das hatte die Wirkung einer Bombe. Die Druckwelle fegte Sessel davon, als würden sie nichts wiegen. Unvorsichtige Agenten, die aufrecht von der Druckwelle erfasst wurden, zerschmetterten an der gegenüberliegenden Wand.
Corinna Hacksmith und ich pressten uns an den Boden, drückten die Hände fest auf die Ohren und sperrten weit die Münder auf, um unsere Trommelfelle zusätzlich zu schützen. Ein Trick, den die Soldaten auch im Krieg benutzten.
Und das hier war ja auch so etwas wie ein Krieg. Und wir befanden uns mitten drin!
Als es vorbei war, waren wir total taub - trotz aller Vorsichtsmaßnahmen. Es würde eine Weile dauern, bis unser Gehör wieder wunschgemäß funktionierte.
Ich hörte das Feuer nicht mehr prasseln, als ich den Kopf hob, aber dafür sah ich es umso deutlicher: Die ganze Kuppelhalle brannte lichterloh. Noch vor ganz kurzer Zeit hatten wir da gesessen und der Triumphrede von Mr. X gelauscht. Das schien jetzt ein ganz anderer Raum zu sein.
Nichts rührte sich im Moment.
Waren die Agenten denn alle ausgeschaltet?
Erstens hatte ich keine Munition mehr und hätte gegen die Agenten nichts mehr unternehmen können. Zweitens sorgte ich mich jetzt wieder um Don.
War er wirklich tödlich von dem künstlichen Blitz getroffen worden?
Ich lief zu ihm hin.
Don lag regungslos am Boden. Ich drehte ihn ganz auf den Rücken.
Don blinzelte mich an. Er schien mich im ersten Augenblick gar nicht zu erkennen.
Sein Mund formte Worte, die ich jedoch nicht verstehen konnte.
Er verzog das Gesicht und griff sich an die Ohren.
Er war genauso taub wie wir. Logisch. Und er hatte den Blitz überlebt!
Das erschien mir im Augenblick als die Hauptsache!
„Don!“, brüllte ich begeistert.
Corinna Hacksmith trat neben mich. Ihre Augen waren geweitet. Sie schien an ein Gespenst zu glauben, schien einfach nicht begreifen zu wollen, dass Don einen solchen Blitz überlebt hatte - und dann auch noch das anschließende Inferno...
Aber was dies betraf, hatte er Glück gehabt - dadurch, dass er die ganze Zeit über flach am Boden gelegen hatte.
„Den Blitz, den konnte wirklich kein Mensch überstehen - kein normaler zumindest... Aber Don Cooper...“ Ich schüttelte den Kopf und betrachtete den Muskelriesen.
Niemand verstand meine Worte, weil beide genauso taub waren wie ich selber.
Corinna Hacksmith und ich halfen dem Freund auf die Beine. Er wirkte benommen. Nun, bei seiner Konstitution würde er sich rasch erholen. Bloß eine Frage der Zeit.
Wir wandten uns um - und erstarrten.
Es gab die Agenten noch. Wir waren zu unvorsichtig gewesen.
Das Inferno hatte sie nicht alle erreicht. Die Überlebenden standen da und hatten nur darauf gewartet, dass wir uns zu ihnen umdrehten.
Sie hatten ihre Waffen in den Fäusten und wussten anscheinend nicht so recht, ob sie uns jetzt gleich über den Haufen schießen sollten oder ob es doch besser war, uns erst noch ausgiebig zu foltern und zu quälen...
*
Inzwischen in der Sphäre der Verdammnis
Ich hatte keine Ahnung, was meine zweite Hälfte im Diesseits so trieb, was sie erleben musste. Ich hatte zurzeit auch völlig andere Sorgen. In erster Linie drehte es sich dabei um meine Lebensgefährtin May Harris – beziehungsweise um diejenige Hälfte von ihr, die sich hier, bei mir, in der Sphäre des Untoten befand.
Der Untote hatte uns herein gelegt, in einer Art und Weise, wie ich es niemals vermutet hätte. Obwohl ich mich bereits seit unbestimmbarer Zeit hier befand, in dieser Sphäre, während meine andere Hälfte, nichts ahnend von dem, was sich hier abspielte, im Diesseits agiert hatte.
Wir hatten den Friedhof der Verdammten verlassen, hatten den Bereich zwischen Tor und Dämonenwald betreten – und da war es geschehen: Der Untote hatte es geschafft, „seinen“ Friedhof magisch abzuriegeln. Dadurch verlor May ihren dünnen Kontakt mit ihrer anderen Hälfte im Diesseits. Diese andere Hälfte war ohne Bewusstsein, in einem starren, totengleichen Zustand. Ganz anders als meine eigene zweite Hälfte, wie ich inzwischen wusste. May Harris hier, bei mir, war hingegen die ganze Zeit über quicklebendig erschienen. Bis zu dieser magischen Trennung!
Und jetzt würgte sie, verdrehte die Augen, dass nur noch das Weiße zu sehen war, wankte wie ein Schilfhalm im Wind, und ich wunderte mich, wieso sie überhaupt noch aufrecht stehenbleiben konnte. Oder wieso sie sich nicht einfach auflöste, um vielleicht doch noch auf diese Weise zurückzukehren ins Diesseits.
Aber ich vermutete, dass sie sich tatsächlich um Rückkehr bemühte – und dass dies der Grund für ihren schrecklich anzusehenden Zustand war. Obwohl ich keine Ahnung hatte, was ich dazu beitragen sollte.
Meine Arme schossen vor, um wenigstens ihren drohenden Fall aufzuhalten. Doch dieser erfolgte gar nicht.
Endlos lange dehnten sich die wenigen Sekunden aus, in denen dies alles hier geschah.
Aus den Augenwinkeln sah ich das tanzende Irrlicht, als das uns der Elementargeist erschien. Wir hatten ihn befreit, doch um welchen Preis?
Und da begriff ich endlich, dass genau er es war, der May unterstützte! Er hatte eingegriffen!
Dabei war das alles andere als ungefährlich für ihn, denn May Harris war hier erschienen durch die Macht des Schavalls – und dieser war bekanntlich absolut gegen Dämonen. Der Elementargeist war ein solcher. Wenn er eingriff, riskierte er ergo sein unwiderrufliches Ende.
Eigentlich sprach für ihn, dass er seine in ihm gebündelten magischen Energien einsetzte, um May zu retten.
Was geschah inzwischen im Diesseits, was mit der zweiten Hälfte von May?
Ich konnte es noch nicht einmal vermuten.
Und da erscholl wieder das grollende, gemeine Gelächter des Untoten, so schrecklich, dass die Erde erbebte.
Dazwischen brüllte er triumphierend:
„May Harris ist verloren! Es gibt für sie nun keinerlei Möglichkeiten mehr, zurückzukehren. Ihr Geist ist indessen gefangen zwischen den Sphären, um nicht zu sagen: Er ist für alle Ewigkeiten verschollen!“
War er das tatsächlich?
Meine Augen weiteten sich unwillkürlich.
„Verdammt!“, fluchte ich – ganz entgegen meinen sonstigen Gewohnheiten, und wandte mich jetzt voll an den Elementargeist, in der Hoffnung, dass er mich überhaupt verstand, wenn ich zu ihm redete: „Kannst du May retten? Tu etwas!“
Es war eigentlich völlig unnötig zu sagen, weil er sich sowieso bereits nach Kräften bemühte.
Und im nächsten Augenblick auch schon mit sichtbarem Ergebnis: May beruhigte sich schlagartig, blinzelte wie verwirrt, als würde sie aus einem schlimmen Alptraum erwachen, und dann suchten mich ihre Blicke.
„Frank hat eingegriffen!“, berichtete sie. „Ich habe seine Anwesenheit gespürt – und die Anwesenheit des Schavalls. Und dann wurde ich regelrecht… in Stücke gerissen. Im wahrsten Sinne des Wortes.“
„In Stücke gerissen?“, echote ich verständnislos.
May wandte sich an den Elementargeist, mit dem sie in telepathischer Verbindung stand, die ganze Zeit schon. Damit ich mit bekam, was sie ihm mitzuteilen hatte, sprach sie es laut aus:
„Danke! Ohne dich wäre ich jetzt nicht hier.“ Sie wandte sich wieder an mich und fügte hinzu: „Er hat mir den Weg gezeigt. Ohne ihn wäre ich vollständig hinüber gewechselt in das Diesseits. So aber passierte mit mir, was auch mit dir passiert ist, Mark: Ich bin die eine Hälfte von May, wie du die eine Hälfte von Mark bist! Uns gibt es jetzt jeweils doppelt. Aber ich sehe das nicht als Nachteil an, sondern ganz im Gegenteil. Vielleicht wird es eines Tages eine Wiedervereinigung geben? Dann werden wir die Erfahrungen von beiden haben. Dabei spüre ich, dass meine Kräfte hier stärker sind als im Diesseits, und der Elementargeist hat endgültig bewiesen, dass er auf meiner Seite steht, nicht nur als wertvoller Verbündeter in dieser Sphäre, sondern vor allem auch als Freund.“
„Mich hat er bislang jedenfalls nicht in diese Freundschaft mit einbezogen!“, murrte ich.
Sie lachte leise.
„Etwa eifersüchtig?“
„Auf einen Geist?“, war meine Gegenfrage. Dann winkte ich mit beiden Händen ab. „Nicht dass ich jetzt undankbar erscheinen will. Ich bin jedenfalls heilfroh, dass du hier bleibst, bei mir – und überhaupt!“ Ich nickte dem Elementargeist zu. „Ich danke dir ebenfalls, und das ist ehrlich gemeint, glaube mir. Falls nicht, kann ich mich ja mal öffnen, damit du es in meinen Gedanken siehst.“
May schüttelte den Kopf.
„Er wird es nicht wagen, Mark, denn er hat einen Heidenrespekt vor dir. Immerhin hast du ihm all die Jahre spielend widerstanden, die du dich hier befindest. Mir gegenüber hat er keinerlei Vorbehalte mehr. Dir gegenüber werden die Vorbehalte bleiben. Vergiss nicht, du bist so eine Art Dämonenjäger – und er ist ein Dämon! Das ergibt sozusagen eine natürliche Feindschaft.“
„Na, du bist doch auch eine Teufelsjägerin – oder habe ich da was verpasst?“, trumpfte ich auf.
Sie lachte abermals.
„Natürlich bin ich das, aber ich bin in erster Linie natürlich eine Weiße Hexe. Wäre der Elementargeist ein reiner Dämon, wäre eine Zusammenarbeit zwischen uns beiden sicherlich unmöglich. Aber er war in seinen Anfängen neutral. Nur durch die Tatsache, dass er einige Dämonen vereinnahmt hat, um ihre magischen Kräfte für eigene Zwecke zu missbrauchen, hat er sich allmählich zwangsläufig ebenfalls in einen Dämon verwandelt.“
Ich runzelte nachdenklich die Stirn und betrachtete auf einmal das Irrlicht mit ganz anderen Augen:
„Da fällt mir ein, das hat der Elementargeist so ähnlich gemacht wie der Schavall: Er hat die Dämonen regelrecht absorbiert! Aber der Schavall ist dadurch keineswegs selber zum Instrument des Bösen geworden. Ganz im Gegenteil.“
„Du vergisst, dass der Schavall aus der Vereinnahmung von Dämonen keinerlei Nutzen zieht.“
„Da stimmt allerdings.“
„Und mir fällt in diesem Zusammenhang etwas ganz anderes auf: Es gab sozusagen die Berührung mit Frank und auch mit dem Schavall. Nicht nur die Berührung meines Geistes, sondern auch… des Elementargeistes, der dabei mit mir war, um diese Hälfte sicher zurück zu begleiten in die die Sphäre des Untoten. Dadurch ging die Rechnung des Untoten gleich in zweifacher Hinsicht nicht auf. Er meint, ich sei nach wie vor hier gefangen – rein körperlich. Das stimmt insoweit. Aber er weiß nicht, dass eine Hälfte von mir zurück kehrte ins Diesseits, mit allem Wissen, das ich mir hier angeeignet habe. Ich hoffe sehr, dass meine zweite Hälfte dieses Wissen nutzbringend umsetzen kann. Vor alle denke ich da an das Geheimnis des Friedhofs der Verdammten.“
„Du sprachst davon, dass seine Rechnung gleich in zweifacher Hinsicht nicht aufgeht!“, erinnerte ich sie.
„Ja, er weiß nichts von der eigentlichen Macht des Irrlichts, des Elementargeistes! Er ahnt noch nicht einmal, dass der Elementargeist mir geholfen hat – und in welchem Maße! Er wird annehmen, er habe gesiegt, weil ich nach wie vor hier bin.“
„Und er hat keine Möglichkeit, die Wahrheit zu erfahren?“, fragte ich zweifelnd.
May deutete auf den magischen Schutzschirm, der den Friedhof von der übrigen Sphäre abtrennte.
„Wie denn auch? Er hat sich diese Möglichkeit selbst genommen, und der Elementargeist schirmt uns hier erfolgreich ab, so dass der Untote auch nichts indirekt über den Walddämon erfahren kann. Er kann von diesem höchstens mitgeteilt bekommen, wo wir uns zurzeit befinden und dass wir nach wie vor zu dritt sind.“
Als wäre es eine Entgegnung zu dem, was sie sagte, ertönte über die Friedhofsmauer das Triumphgeheul des Untoten.
Ja, er glaubte tatsächlich, auf der ganzen Linie gesiegt zu haben.
So kann man sich täuschen, dachte ich schadenfroh.
Allerdings: Was nutzte es uns letztlich?
Nichts, wenn wir hier für alle Ewigkeiten stehen blieben. Wir mussten unsere Suche endlich beginnen. Wir mussten die Sphäre erforschen, um sie zu begreifen – und um weitere Hinweise dafür zu finden, wie wir letztlich die Sphäre besiegen konnten. Sonst würden wir hier tatsächlich für alle Ewigkeiten gefangen bleiben. Und wenn wir an Mister X dachten, dessen Magier bereits ihre Krallen nach der Sphäre ausstreckten, um sie für ihre eigenen Zwecke nutzen zu können… Das trieb zusätzlich zur Eile an.
*
Irgendwo in Spanien, nahe Madrid
„Das werdet ihr mir büßen!“, brüllte Mr. X immer wieder.
Er erschien in der offenen Tür, durch die er uns entschlüpft war. Jetzt hatte sie sich wieder für ihn geöffnet. Also war doch nicht die gesamte Anlage ausgefallen, sondern nur das, was mit der Schaltwand in Verbindung gestanden hatte.
Ich verstand das Gebrüll zwar nicht, aber ich konnte es unschwer von seinen Lippen ablesen.
Er schüttelte hasserfüllt die Faust.
„Ei, du bist ja völlig außer dir!“, wunderte sich Corinna Hacksmith sarkastisch. Auch das las ich ihr von den Lippen ab. „Was ist denn passiert? Hat man dein schönstes Spielzeug kaputt gemacht?“
„Dir wird das auch noch vergehen, Corinna Hacksmith, verlass dich drauf! Ganz langsam werdet ihr sterben. Tausend Tode werden es sein. Und ich bin ein Genie, wenn es darum geht, jemanden zu bestrafen. Ich werde keine Sekunde davon versäumen und alles genüsslich verfolgen.“
Das irre Flackern in seinen Augen unterstrich jedes seiner Worte.
„Also doch nicht erschießen!“, konstatierte ich, nach außen hin gelassen. „Jungs, kommt näher und steckt lieber die Waffen weg. Er will, dass es uns mehr Spaß macht.“
Die kamen tatsächlich, aber natürlich ohne die Waffen wegzustecken. Sie kreisten uns ein, dann trieben sie uns auseinander. Für jeden von uns zwei Bewaffnete, die ihn aufmerksam in Schach hielten.
Ich war sicher, wenn ich etwas unternahm, würden die mich nicht erschießen, sondern nur verletzen. Sie würden meine Beine oder meine Arme treffen. Vielleicht auch noch Schultern oder so. Das Töten würden sie hinaus zögern. Genauso, wie es ihr Big-Boss wollte.
Mr. X brüllte herum. Ich sah es mehr aus den Augenwinkeln. Das war für mich immer noch nicht zu hören. Höchstens als fernes Rauschen. - Aha, mein Gehör wurde schon wieder. Bald hatte ich es besser.
Ich las von seinen Lippen: „... bloß raus hier! Das ist ein Schwelbrand in den Kabeltunnels. Nichts mehr zu machen. Wenn das Waffenarsenal erreicht wird, bricht hier die Hölle aus. Zwar ist der größte Teil entschärft, aber der Rest geht hoch. Und wir können nicht schnell genug alles in Sicherheit bringen - außer uns. Dann entsteht hier ein riesiger Krater.“
Es konnte jeden Augenblick so weit sein. Deshalb hatten es die Agenten auf einmal sehr eilig mit uns.
So lange sie uns nicht getötet hatten, gab es noch Hoffnung. Das hämmerte ich mir ein, obwohl es aussichtsloser als jemals zuvor für uns erschien.
Es ging den Gang entlang, den wir gekommen waren.
Kurzes Gastspiel, das!, dachte ich voller Galgenhumor.
Die Außenschleuse musste per Handrad geöffnet werden, weil der Mechanismus nicht mehr reagierte.
„Was ist mit der elektronischen Tarnüberwachung?“, witzelte ich. „Auch nicht gerade perfekt, was?“
Ein kurzer Wink von Mr. X - und einer der Agenten trat mir ans Schienbein.
Ich humpelte mit den anderen hinaus.
Es war immer noch Tag.
Der ganze Mist hatte in der Nacht begonnen - vor dem Morgengrauen. Das war rund zwölf Stunden her. Aber was alles hatte sich in diesen zwölf Stunden ereignet...
„Auch nicht gerade Reklame für Spanienurlauber, wie man hier mit uns umspringt!“, maulte ich. „Man sollte seine Gäste wirklich besser behandeln, findet ihr nicht auch?“
Die Agenten machten stumpfe Gesichter. Fiel denen gewiss nicht schwer. Ansonsten sahen sie von dem Inferno in der Kuppelhalle genauso mitgenommen aus wie wir.
Nur Mr. X hätte frisch gewirkt - wäre nicht der tödliche Hass in seinen Augen gewesen. Er zitterte am ganzen Leib, als könnte er es nicht mehr erwarten, uns leiden zu sehen.
„Los, schnell zu den Autos!“, befahl er.
Die Agenten zwangen uns zu größerer Eile.
Wir gingen nicht so recht darauf ein. Schließlich hatten wir nichts mehr zu verlieren. Die Agenten verabreichten uns derbe Tritte und Hiebe, bis Mr. X klar wurde, dass dies nicht ohne Risiko für sie war, denn sie mussten uns dabei zwangsläufig ziemlich nahe kommen - und das barg eine neue Chance für uns.
„Schießt ihnen die Arme kaputt, wenn sie nicht spuren!“, befahl er. Er musste es dreimal wiederholen, bis seine Agenten es verstanden, weil sie genauso taub waren wie wir.
Bis dahin hatten wir es auch begriffen und beeilten uns endlich.
Es ging oben an der Ruine der Hazienda vorbei. Wäre vielleicht doch besser gewesen, sämtliche Bomben an Bord des erbeuteten Hubschraubers auf einmal einzusetzen - bevor wir Mr. X in die Hände gefallen waren?
Am Hubschrauber ließ Mr. X stoppen.
„Ich nehme den Heli!“, ordnete er an. „Ihr verteilt euch auf die Autos. In jedes Auto einen von den dreien. Ihr fahrt zurück nach Madrid. Unterwegs gebe ich euch neue Anweisungen, über Funk...“ Aber dann sah er ein, dass die nicht mit ihm funken konnten, so lange sie so taub waren. „Okay, ich sage euch jetzt schon, wo's lang geht: Kommt zu unserem Schlupfwinkel in der Stadt. Dort warte ich auf euch. Schafft mir das Trio gleich in den Keller. Ich habe da ein paar nette Einrichtungen, die ich an den dreien gern ausprobieren möchte.
Das Weib gehört inzwischen übrigens euch. Bevor ihr los fahrt, könnt ihr sie noch ordentlich ausprobieren. Ich wünsche euch noch viel Vergnügen dabei!“
Er lachte hässlich.
Die Augen der brutalen Kerle leuchteten. Alles Sadisten, die mit Freude die arme Corinna Hacksmith vergewaltigen würden.
Jetzt, da ihnen der Big-Boss neuerlich Grünlicht dafür gegeben hatte, zögerten sie keine Sekunde mehr.
Anscheinend war der Platz zwischen den drei Fahrzeugen nicht so sehr gefährdet, wenn die unterirdische Anlage hoch ging.
Oder in ihrer tierischen Gier dachten die Agenten gar nicht mehr daran.
Jedenfalls zwangen sie uns zu Boden - Don und mich - und hielten uns in Schach. Während drei sich Corinna Hacksmith schnappten und zur Seite zerrten.
Mr. X lachte noch einmal sein hässliches, gemeines Lachen. Dann stieg er in den Hubschrauber und ließ die Triebwerke an.
In diesem Augenblick ging die unterirdische Anlage hoch.
Es war wie ein mächtiges Erdbeben, das sich ankündigte. Da ich mit dem Gesicht im Dreck lag, spürte ich es hautnah. Dabei wurde mir doch ein wenig mulmig zumute.
Der Boden hob sich deutlich ein Stückchen - und dann öffnete sich an der Stelle der ehemaligen Hazienda brüllend die Erde.
Eine ungeheure Druckwelle fetzte hervor, nahm zig Tonnen von Gesteinsmasse mit und blies die ganze Ruine des ehemaligen Gebäudes einfach davon.
Nur auf dieser Seite war man praktisch nicht betroffen. Da hatte sich Mr. X nicht verrechnet. Der ganze Druck ging in die Richtung, in der sich der Eingang zur Anlage befunden hatte.
Wie schon angekündigt: Nur ein Krater blieb übrig von dem technischen Wunderwerk, das Mr. X in dieser Einöde geschaffen hatte, um seine weltweiten, verbrecherischen Fäden zu spinnen.
Er raste im Innern des Hubschraubers vor unbändigem Zorn, dass es den Anschein hatte, jetzt würde er den Hubschrauber eigenhändig in Stücke reißen.
Das Triebwerk war endlich warm genug. Er schaltete die Rotoren dazu. Sie begannen, sich zu drehen.
Die Agenten wandten sich wieder an Corinna Hacksmith.
Sie schrie verzweifelt auf.
Doch da war niemand, der ihr noch helfen konnte. Wir am allerwenigsten...
*
Captain Gonzales hatte sich an die Spitze der Marschkolonne gesetzt. Er war ganz stolz darauf, dass seine Leute ihn dafür als sehr mutig einschätzten.
Gonzales saß in einem offenen Jeep, wie auch das Militär ihn benutzte.
Das Verdeck war geschlossen. Ihm wäre es sonst zu kühl gewesen. Und dann sah er weit vor sich einen Rauchpilz in den Himmel rasen. Sekunden später hörten sie alle das Donnern einer gewaltigen Detonation.
„Die Hazienda!“, entfuhr es Gonzales.
Verdammt, hatte er nicht angenommen, die Sache wäre dort längst erledigt? Wieso ging das Ding jetzt in die Luft?
Ihm wurde recht mulmig um die Seele. Nun rächte sich, dass er vor seinen Leuten die Show hatte machen wollen.
Aber er konnte doch nicht so einfach alle vor schicken und sich selbst zurück halten? Man erwartete von ihm, dass er Vorbild spielte! Sonst genoss er bis zum Ende aller Tage den Ruf eines elenden Feiglings. Kein Mensch würde mehr vor ihm auch nur den geringsten Respekt haben.
Es ging nicht anders: Gonzales gab mutig Signal nach hinten. Das hieß: ›Höchste Beeilung!‹ Und dann wies er den Fahrer an, ordentlich aufs Gas zu drücken.
Die Straßenverhältnisse in der Einöde waren so miserabel, dass der Jeep dauernd Sprünge machte. Ein Gutes hatte das: Gonzales hatte nicht soviel Gelegenheit, Angst zu bekommen.
Und doch schlich sie sich an, wie ein hungriges Raubtier - die Angst... Je näher sie der Hazienda kamen.
Dem Captain ging es auf einmal viel zu schnell.
Mist, dass ich ausgerechnet dann mein Gesicht wahren muss, wenn es dermaßen brenzlig wird!, schimpfte er im Stillen.
Das Herz pochte ihm schier bis in den Hals, als sie um die Kurve bogen und das Gatter der Hazienda vor sich hatten.
Es stand offen. Sie brausten hindurch, dicht gefolgt von den Mannschaftstransportwagen mit der Hundertschaft.
Bis ganz zur Stelle, wo die Detonation erfolgt war, fuhren sie natürlich nicht: Die Wagen stoppten vorher schon. Die Türen flogen auf. Bewaffnete Polizisten mit entschlossenen Mienen sprangen ins Freie.
Sie hatten bei der Ausbildung gut aufgepasst: Sofort schwärmten sie aus, dass ihnen auch ja niemand entkam.
Unversehens war der Jeep mit Gonzales allein.
Damit hatte er nicht gerechnet. Jetzt rächte sich noch mehr, dass er sich zu viele Gedanken allein nur um die Karriere, anstatt um den praktischen Polizeidienst gemacht hatte...
„He!“, rief er erschrocken, weil der Fahrer ohne genaue Anweisungen einfach weiter fuhr, direkt ins Zentrum der Gefahr.
Der Fahrer verstand das völlig falsch: Er glaubte, Gonzales wollte sich über ihn beschweren, weil er unwillkürlich langsamer gemacht hatte.
Er trat voll aufs Gaspedal. Der Jeep machte einen mächtigen Satz nach vorn und raste auf den Hof zu, vor dem Gebäude der Hazienda.
Nur gab es diese Hazienda nicht mehr. Stattdessen gähnte dort ein Krater.
Ein entsetzlicher Anblick, obwohl nicht halb so entsetzlich wie die Kugeln, die dem Captain zur Begrüßung um die Ohren schwirrten.
„Deckung!“, brüllte er völlig überflüssig, denn der Fahrer des Jeeps hatte das längst schon getan: nämlich in Deckung zu gehen. Er kauerte sich im Fußraum des Jeeps.
Der Jeep rollte indessen weiter, überquerte den Hof und steuerte haargenau auf den rauchenden Krater zu.
Gonzales konnte es nicht sehen, weil er die Nase am Boden hatte, aber er ahnte es...
Der Captain schwitzte und zitterte und brachte endlich hervor: „Sie Idiot, Sie!“
Der Fahrer streckte daraufhin wenigstens die zitternde Hand nach dem Lenkrad aus, um dem Jeep eine andere Richtung zu geben. Da zertrümmerte eine Kugel den letzten Rest der Windschutzscheibe. Sogleich zog der Fahrer die Hand wieder zurück.
„Wir stürzen in den Krater!“, heulte Gonzales.
Leider hatte er hier einen Fahrer erwischt, der genauso feige war wie er.
Pech auf der ganzen Linie.
Und dann traf eine verirrte Kugel den linken Vorderreifen des Jeeps. Der Reifen verlor prompt Luft, und das gab dem Fahrzeug endlich die entscheidende Richtungsänderung: Es beschrieb einen Bogen, geriet ganz hart an den Rand des rauchenden Kraters, drohte doch noch abzustürzen, schaffte es aber, oben zu bleiben - und rollte genau auf die drei Autos zu, zwischen denen die Agenten sich verschanzt hatten.
Ein Zusammenprall war unvermeidlich.
*
Corinna hatte nicht nur mit ihrer Tugend abgeschlossen, sondern auch mit ihrem Leben. Das sah ich ihr an.
Die Policia war buchstäblich im letzten Moment aufgetaucht, und dann auch noch so dramatisch, dass ich beinahe meine Meinung über Gonzales revidiert hätte.
Ich konnte es einfach nicht glauben, dass er persönlich in dem Jeep saß, obwohl ich kurz sein leichenblasses Gesicht gesehen hatte. Die Agenten schossen auf den Jeep. Mit dem Ergebnis, dass er genau auf uns zu fuhr.
Ich zog unwillkürlich den Kopf ein.
Eine Kugel traf den Kühler. Dampf zischte auf und umnebelte im Nu das ganze Auto.
Aus dem Dunst heraus stieß der Polizeijeep gegen das erste Auto. Es krachte und schepperte.
Gottlob, ich konnte wieder ein wenig hören, nach den ganzen Explosionen, die mich nahezu taub gemacht hatten!
Das getroffene Fahrzeug wurde zur Seite gedrückt. Die Agenten, die sich dahinter verschanzt hatten, sprangen im letzten Augenblick in Sicherheit.
Der Jeep kam zum Stehen.
*
»Nicht schießen!« Ganz deutlich konnte ich die Stimme von Captain Gonzales hören. Der Mann hatte eine wahre Todesangst.
Konnte es sein, dass er nicht so ganz freiwillig diese Heldentat soeben begangen hatte?
Jedenfalls hatte der Zusammenprall die Agenten ein wenig aus dem Konzept gebracht.
Denn auf die Policia konnten wir uns letzten Endes nicht völlig verlassen: Die Agenten waren imstande und bliesen uns das Lebenslicht aus, ehe es noch für uns positiv werden konnte. Dies war der Grund, dass wir mal wieder die Sache selber in die Hände nahmen...
Ich rollte zur Seite und schlug die Waffenhand meines Bewachers beiseite.
Er hatte keine Chance, denn ich griff nach, erwischte sein Handgelenk, setzte einen Hebel an und warf ihn über mich hinweg. Die Pistole fiel mir sozusagen gratis in die Finger.
Sofort hechtete ich zur Seite, denn den anderen Agenten war der kurze Zweikampf natürlich nicht entgangen.
Don lenkte sie von mir ab: Er schmetterte einem die Faust gegen den Schädel, dass der frei über eines der Autos segelte.
»Ergeben Sie sich!«, rief eine Megaphonstimme.
Ich riskierte einen kurzen Blick in die Richtung, in die Mr. X mit dem Hubschrauber abgehauen war - sozusagen in letzter Sekunde.
Flach war er über den Krater hinweg gedonnert, in die Talmulde abgesackt - und jetzt sah ich ihn über die Hügel entschwinden.
»Drecksack!«, schimpfte ich, wich einem Fausthieb aus und trat zu.
Corinna hatte Gelegenheit, sich an den Kerlen zu rächen, weil sie es auf ihren Speck abgesehen hatten: Sie verteilte fleißig Handkantenschläge.
Es fielen auch Schüsse von Seiten der Agenten, aber sie trauten sich nicht so recht, weil sie sich gegenseitig gefährdeten.
Wir drei bewegten uns für die viel zu schnell. Wir waren wie ein perfekt eingespieltes Team und kamen uns nicht gegenseitig in die Quere.
Don schickt mir einen Gegner. Ich empfing ihn mit beiden Fäusten.
Verdammt, ich hatte die Pistole verloren. Schnell bückte ich mich danach.
Es rettete mir das Leben, denn die Kugel, die über mich hinweg zischte, war eigentlich für meine Brust bestimmt gewesen.
Ich schoss zurück. Der Agent warf die Arme in die Luft und krachte auf die Motorhaube.
Auch die Polizei eröffnete jetzt das Feuer, obwohl ihr Chef heulte: »Nicht schießen! Bitte nicht!«
Ich sah, dass sich einer an Don klammerte und ihn von hinten würgte.
Don griff nach hinten und erwischte seinen Haarschopf.
»Willst du wohl los lassen?«
»Nein!«, zischelte der Agent hasserfüllt.
»Na, dann...« Don zog ihn an den Haaren über sich hinweg und schmetterte ihn auf den Boden. Mit Fußtritten jagte er ihn auf und davon.
Der Agent hatte dabei ganz offensichtlich mehr Angst vor Don als vor den Kugeln der Policia.
Die tapferen Uniformierten rückten uns immer näher auf die Pelle.
»He, wir haben nichts gegen euch!«, rief Corinna ihnen zu.
Jetzt war den Agenten alles egal: Sie schossen, selbst wenn sie sich gegenseitig dabei gefährdeten.
Eine Kugel verbrannte mir den Handrücken. Eine andere zog mir beinahe einen bildhübschen Scheitel. Erst dann kam ich dazu, das Feuer zu erwidern.
Die Polizisten waren schlau genug, Freund und Feind voneinander zu unterscheiden: Wenigstens das als Lichtblick!
Sie brachten sogar ein paar gezielte Schüsse an.
Verdammt, die Agenten hatten nicht die geringste Chance mehr, aber sie gaben einfach nicht auf. Sie forderten es anscheinend heraus, ihr Leben zu lassen.
Und diesem Ansinnen wurde auch uneingeschränkt entsprochen!
Corinna, Don und ich streckten erst die erbeuteten Waffen, als die Polizisten von allen Seiten her auftauchten und es keine Agenten mehr gab, die es zu bekämpfen galt.
Es lebte nur noch einer von ihnen: Derjenige, den Don mit Fußtritten davon gejagt hatte. Weit war er nicht gekommen: Man hatte ihn inzwischen eingefangen.
»Nicht schießen!«, rief Gonzales nach wie vor, der in seiner panischen Angst gar nicht begriff, dass es bereits vorbei war.
Und als es selbst ihm endlich dämmerte, zog er beschämt den Kopf ein.
*
Außer uns gab es eigentlich nur noch einen, der jetzt haargenau wusste, dass Gonzales ein elender Feigling war: Sein Fahrer! Die anderen hatten es gar nicht mitbekommen.
Aber das machte dem Captain alles gar nichts mehr aus:
»Habe ich euch nicht oft genug gesagt, nicht zu schießen?«, fauchte er seine Leute an. Aha, so also schlug man aus einer Schwäche Kapital? Von Gonzales konnte man in dieser Beziehung wahrhaftig noch lernen! »Ihr habt das Trio unnötig gefährdet mit diesem Herumballern!«
In Wirklichkeit hatte er natürlich den Agenten zugerufen, nicht auf ihn zu schießen. Aber woher sollten das die wackeren Polizisten aus Madrid wissen? Sie nahmen viel lieber an, dass ihr Captain ein ungeheurer Held war, der unter Einsatz seines Lebens überhaupt erst möglich gemacht hatte, dass wir uns wehren konnten. Sonst hätte die Polizei zwar im Kampf gesiegt - aber wir hätten dabei trotzdem unser Leben gelassen!
Es widerstrebte mir, Gonzales für die Lebensrettung zu danken, aber ich tat es trotzdem. Verflixt und zugenäht, wenn ich es nicht tat, würden die Polizisten das gewiss nicht verstehen.
»Danke, Captain!«, sagte ich anscheinend bewegt. »Sie haben alles getan, um uns zu retten, und haben sich selbst nicht gescheut, diesen einzigartigen Einsatz höchstpersönlich durchzuführen! Bravo! Ich glaube, diese Tat ist in der Polizeigeschichte von Madrid wirklich einmalig!«
Die Polizisten waren mächtig stolz auf ihren Captain - und Gonzales war es im Nachhinein noch speiübel vor Angst. Ich sah es ihm deutlich an, aber er verstand es großartig, sich zu verstellen, und warf sich in die Brust.
»Ich glaube, es gibt keine Stadt in Spanien, die so stolz auf einen der ihrigen sein kann wie Madrid!« Damit setzte ich der Ironie auch noch die Krone auf.
Doch nur Corinna und Don und der arme Jeepfahrer merkten es.
Corinna gab mir einen Rippenstoß. Sie hatte Bange, dass ich es letzten Endes so sehr übertrieb, dass es allen anderen doch noch auffiel...
Gonzales ballte die Rechte zur Faust und stieß sie in einer wahrhaft theatralischen Geste, wie sie ihm gebührte, in den Himmel.
»Und doch, Männer: Der Kopf der Bande ist uns leider entwischt. Mit dem Hubschrauber. Ihr habt es selber gesehen.«
Er nicht, denn wir hatten ihm das erst sagen müssen.
Gonzales war auf der Fahrt hierher wahrscheinlich so sehr mit sich selber und seiner Feigheit beschäftigt gewesen, dass er auch hundert Hubschrauber übersehen hätte.
Was ihn nicht davon abhielt, die Show fortzusetzen: »Gebt über Funk Bescheid, Männer! Der Luftraum muss abgeriegelt werden. Der Hubschrauber darf uns nicht entwischen!«
Ich gab denen auch noch das Kennzeichen mit auf den Weg: N 4653 H - eine amerikanische Zulassungsnummer.
Der Besitzer würde sicherlich herauszufinden sein. Falls die Nummer echt war... Denn Mr. X traute ich eigentlich alles zu, nur nichts Gutes.
Bedauernd schaute ich zum Krater hinüber. Dort würden sich keine verwertbaren Spuren mehr finden lassen. Jetzt nicht mehr. Nach dieser Zerstörung, nachdem die Explosionen alles in seine Atome zerlegt hatten...
Leider.
*
London, Villa von May Harris
„Ich bleibe nicht tatenlos hier sitzen!”, machte May Harris ein für alle mal klar. Sie schaute Frank an. „Wir sollten gemeinsam vorgehen, während Kathryn vielleicht ihren Mann so gut es geht beim Durchforsten des Polizeiarchivs unterstützt.“
„Das geht leider nicht“, widersprach Kathryn indessen. „Ich habe ihm jetzt alles telefonisch mitgeteilt, was er wissen muss, um vielleicht doch noch eine Spur im Archiv zu finden. Aber ich darf nach wie vor nicht zu ihm. Das Archiv darf nur von sehr wenigen Personen betreten werden. Mein Mann gehört dazu – ich nicht.“
„Nun gut: Du hältst hier indessen die Stellung, Kathryn“, bestimmte May Harris kurzerhand. Sie schaute nach Adam, der inzwischen sein ausgedehntes Telefonat ebenfalls zum Ende gebracht hatte. Sein Gesicht drückte keinerlei Begeisterung aus. „Na, was herausgefunden?“
„Meine Organisation bemüht sich nach Kräften, und ich muss zugeben, wir haben einige Möglichkeiten. Trotzdem…“ Den Rest ließ er unausgesprochen.
May schaute sich kurz um. Sven Katovich war hinaus gegangen auf die Terrasse und hatte sich dort scheinbar in Luft aufgelöst. Seitdem war er nicht wieder aufgetaucht. Wo blieb er so lange?
Aber dann winkte sie ab.
„Also gut, ihr beiden bleibt da, schlage ich vor.“
„Und du und Frank?“, erkundigte sich Kathryn gespannt. „Schon eine konkrete Idee, wie ihr vorgehen wollt?“
May schüttelte den Kopf.
„Nein, nicht ganz so konkret, aber ich habe dennoch einen Plan. Bitte nicht danach fragen. Ich werde es euch erklären, sobald wir Erfolg haben sollten. Jetzt wäre es verfrüht.“
„Da darf ich aber gespannt sein!“, bemerkte Frank dazu.
Kathryn wusste, dass May und Frank telepathisch in Verbindung miteinander standen, aber sogar auf diesem Wege hatte sie ihm anscheinend noch keinerlei Mitteilungen gemacht. Sie hatte eine Idee? Kathryn wusste aus Erfahrung, dass es nichts brachte, wenn sie jetzt weiter danach fragte. Wenn May nichts sagen wollte, dann sagte sie auch nichts. Egal, wie sehr man sich bemühte.
Kathryn dachte daher im Stillen: Vielleicht hängt es irgendwie mit ihrer zweiten Hälfte in der Sphäre des Untoten zusammen?
Dabei ahnte sie nicht einmal, wie falsch sie damit lag.
*
Der von May vermisste Sven Katovich befand sich inzwischen in der unterirdischen Höhle des Urdämons Belial, ohne dass dies außer ihm jemand wusste. Das hieß, einer zumindest wusste davon, nämlich Leo Stein, der sich ebenfalls hier befand. Schon länger sogar. Genauer: Seit es ihm gelungen war, Belial zu seinem persönlichen Sklaven zu machen. Das schmeckte dem Urdämon zwar ganz und gar nicht, doch er hatte keinerlei Möglichkeit, sich der Beeinflussung durch Leo zu entziehen.
Aber auch Leo war nicht durchgehend hier geblieben. Er hatte mit Hilfe des Urdämons den Konzern seiner verstorbenen Eltern wieder an sich gerissen und auf Vordermann gebracht. Alles, worum ihn Belial betrogen hatte, der ja umgekehrt ihn, Leo Stein, zu seinem Sklaven hatte machen wollen, war von ihm zurück erobert worden. Nur den Tod seiner Eltern konnte er leider nicht wieder rückgängig machen. Und seine große Liebe – von der er zumindest angenommen hatte, sie sei seine große Liebe – war ebenfalls verflossen geblieben. Zumal Belial ihm gesteckt hatte, die Dame seines Herzens sei regelrecht auf ihn abgerichtet gewesen.
Belial hatte wahrlich nichts ausgelassen, um sein Leben zu zerstören und ihn zum willfährigen Sklaven zu machen. Doch er hatte dabei Leo unterschätzt – und dieser konnte im entscheidenden Moment den Spieß gewissermaßen umkehren. Erfolgreich bis heute und sogar für alle Ewigkeit, wenn es nach ihm ging.
Das mit der Ewigkeit war noch nicht einmal übertrieben, denn Leo war ein Unsterblicher, in ähnlicher Weise wie Sven Katovich.
Dieser erzählte ihm unterdessen alles, was sie von May Harris nach ihrer Rückkehr aus der Sphäre des Untoten erfahren hatten. Er schloss auch an, dass May fest der Überzeugung war, eine zweite Hälfte von ihr würde nach wie vor in jener Sphäre an der Seite der zweiten Hälfte von Mark Tate weiter agieren.
Leo nickte dazu nachdenklich.
„Das ist gut so, ja, sogar sehr gut!“, kommentierte er das Gehörte.
Sein Blick klärte sich wieder. Was wie Nachdenklichkeit erschienen war, hatte in Wahrheit andere Gründe: Leo hatte telepathischen Kontakt mit dem Urdämon Belial, der in seiner monströsesten Form in einer Ecke kauerte, irgendwie kleiner als sonst, wenn auch nicht weniger furchterregend, wie Sven fand.
„Was meint denn Belial dazu?“, fragte Sven prompt, der das Verhalten von Leo durchaus richtig interpretierte.
„Vor allem die Tatsache, dass der Friedhof der Verdammten an gänzlich anderer Stelle nach vielen Jahrhunderten erneut aufgetaucht sein soll, seine eigene Sphäre also verließ, hat ihn stutzig gemacht. Möglicherweise könnte man hierzu in den USA fündig werden. Der Ort heißt Pearlhampton. Ein Ort, wie er einsamer kaum gelegen sein kann. Ein karges Land, mit nur wenigen Wochen Regen im Jahr - und nur in dieser Zeit ist die Erde fruchtbar. Alles, was ich inzwischen über den Friedhof der Verdammten weiß: Es könnte schon sein, dass er dort aufgetaucht ist – also derselbe Friedhof, den wir suchen. Die karge Erde und so… Obwohl das nur bedingt ein brauchbarer Hinweis ist, denn dort, wo er ursprünglich entstand, war die Erde ähnlich karg. Belial ist der Meinung, das ganze Drama zwischen zwei Volksstämmen müsste sich im heutigen Atlasgebirge abgespielt haben. Vor anderthalb Jahrtausenden war dieses Gebirge wesentlich anders als heute, weil wesentlich höher. Die Stein- Und Geröllwüste auf marokkanischer Seite war damals überaus fruchtbares land. Kulturen, die dort existierten, wurden im wahrsten Sinne des Wortes vom Winde verweht. Die zunehmende Verwitterung des Gebirgsmassivs führte dazu, dass die feuchte Meeresluft nicht mehr daran hängen blieb, um auszuregnen. Die Wolken zogen darüber hinweg und verurteilten das Land zur Trockenheit auf Dauer. Vor rund fünfhundert Jahren war das auf dem ersten Höhepunkt. Die Menschen auf marokkanischer Seite haben alles versucht, mittels Bewässerung ihren Untergang aufzuhalten. Es blieb bei einer Verzögerung von nicht einmal zweihundert Jahren. Dann kam das endgültige Aus. Heute zeugt vor Ort nur noch wenig davon, was vor tausend Jahren und mehr dort gewesen war.“
Sven nickte.
„Interessant“, bekannte er. „Ich habe mich noch nie mit dieser Gegend beschäftigt, aber es könnte durchaus zutreffen. Und dann erschien der Friedhof zunächst wieder in… Wie hieß der Ort noch gleich?“
„Pearlhampton!“, half ihm Leo auf die Sprünge. „Vielleicht nutzt es etwas, dort nachzusehen, aber es birgt auch Gefahren, wenn ihr das allzu offensichtlich tut.“
„Gefahren?“, echote Sven.
„Ja, denke an Mister X. Er versucht aus anderen Gründen als ihr, das Geheimnis der Sphäre der Verdammten zu ergründen. Und er hat gute Karten, weil er mit dem Untoten, also dem Herrscher dieser Sphäre, bereits mittelbar Verbindung aufgenommen hat. Sicherlich hat er dabei Dinge erfahren, die uns noch verborgen bleiben. Er ist euch, um es einmal so auszudrücken, immer eine Nasenlänge voraus.“
„Und worin soll dann noch die Gefahr bestehen? Ich meine, er wird dann schon vor uns von Pearlhampton erfahren haben“, widersprach Sven.
„Ja, möglich ist das durchaus, aber weiß man es genau? Vielleicht ist es für den Untoten gar nicht mal so wichtig, wenn Mister X den Namen des Ortes erfährt? Vielleicht ist es nur wichtig für euch? Soll heißen: Ihr müsst immer damit rechnen, dass Mister X zwar mehr weiß als ihr, aber dass der Untote eine völlig andere Sicht der Dinge hat. Und er macht dabei Fehler, wie allein schon das Beispiel May Harris beweist.“
Sven nickte überrascht.
„Du hast Recht, Leo. Das habe ich gar nicht bedacht. Der Untote denkt vielleicht gar nicht daran, dass die Nennung jenes Ortes von Bedeutung sein könnte. Es erscheint also naheliegend, erst einmal Vorsicht walten zu lassen. Aber was schlägst du in dieser Beziehung vor?“
Leo Stein grinste ihn an.
„Wie wäre es denn damit, dass wir beide uns der Sache zunächst einmal annehmen - allein? Wir teleportieren vor Ort. Ich weiß ja durch Belial, wohin wir müssen, und wir verlieren keinerlei Zeit dabei. Und dann spazieren wir dort einfach als Touristen herum. Falls wirklich die X-Organisation auf uns aufmerksam werden sollte, können wir immer noch schnell genug wieder von dort verschwinden. Wenn sich aber May beispielsweise der Sache vor uns annimmt, muss sie erst einmal umständlich hin reisen. Dafür bracht sie sicherlich zwei Tage, denn dort gibt es weit und breit keinen Verkehrsflughafen. Und dann kann sie nicht so schnell wie wir wieder von dort verschwinden.“
„Außerdem wird die X-Organisation alles tun, um May und alles, was sie zu tun gedenkt, im Auge zu behalten“, ergänzte Sven. „Davon dürfen wir wohl ausgehen. Nur wir beide könnten unerkannt und somit unbemerkt vor Ort operieren. Danach ist immer noch Zeit, vielleicht May und die anderen auf diese Spur aufmerksam zu machen.“
Leo klopfte ihm kameradschaftlich auf die Schulter und meinte:
„Ich sehe schon, Sven, wir verstehen uns!“
Und im nächsten Augenblick waren sie aus der Höhle verschwunden, die sich tief unter der Erde befand, so tief, dass hier ohne die Magie des Urdämons kein Lebender länger als ein paar Sekunden hätte überleben können.
*
Spanien, Madrid, Polizeihauptquartier
Zum ersten Mal wurden wir dem Polizeipräfekten von Madrid vorgeführt.
Wir empfanden es als eine ganz besondere Ehre - und er anscheinend auch.
Denn auf sein Betreiben hin hatte man sich überhaupt erst darauf eingelassen, uns in die Sache mit einzuspannen. Gonzales war nach eigenen Angaben von vornherein dagegen gewesen.
»Inzwischen haben wir den Madrider Schlupfwinkel der Bande ebenfalls gefunden - Dank des einen Gefangenen«, berichtete Enrico Gonzales voller Stolz. Er hatte seinen absoluten Höhenflug. Wahrscheinlich wurde er nach alledem auch noch befördert.
So ungerecht ist die Welt!, dachte ich zerknirscht. Aber wer mochte dies ändern?
Hätte jemand die Wahrheit über Gonzales erzählt - jetzt, wo er der absolute Held der Madrider Polizei war -, hätte man den Jemand sicherlich gesteinigt. - Nein, die Rolle des Helden war unantastbar, und Gonzales genoss sie in vollen Zügen.
»Dafür ist dieser Mr. X entwischt!« Die Stirn des Polizeipräfekten umwölkte sich.
»Was ist denn mit dem Kennzeichen des Hubschraubers?«, erkundigte sich Corinna.
Der Polizeipräfekt winkte ab.
»Leider ist es falsch. Man hat uns versichert, dass es ein solches Kennzeichen überhaupt nicht gibt.« Er zuckte die Achseln. »Es existiert ganz einfach nicht, verstehen Sie? Und außerdem ist der Hubschrauber nirgendwo mehr aufgetaucht. Es ist, als hätte ihn der Erdboden verschlungen.«
»Was beweist, dass Mr. X noch mehr Schlupfwinkel als nur den einen hier in Madrid und den anderen bei der Hazienda hat!«, erklärte Don düster. »Als Gegner wird er uns auf jeden Fall noch länger erhalten bleiben, wie ich das jetzt so sehe.«
Der Polizeipräfekt winkte abermals ab.
»Zumal es nicht einmal sicher ist, ob er wirklich so aussieht, wie er Ihnen begegnet ist. Vielleicht war das nur eine seiner Masken? Dieser Mann hat eine weltumspannende, mächtige Organisation. Das haben Sie selber gesagt. Ob wir diese Organisation nun Mafia nennen oder anders: Sie ist zumindest mafiaähnlich. Sonst müsste ich so weit gehen und behaupten, dass Mr. X und seine Organisation die EIGENTLICHE Mafia ist!«
»Wir werden ihn suchen!«, versprach Gonzales feierlich.
Ich schüttelte den Kopf über ihn.
»Ich glaube kaum, dass er überhaupt noch in Spanien ist. Das Pflaster ist ihm hier zu heiß geworden. Er wird sich abgesetzt haben. Denn eines bleibt sicher: Die Bunkeranlage unter der Hazienda war viel mehr als nur ein Unterschlupf: Sie war die spanische Zentrale, sehr wahrscheinlich sogar zuständig für ganz Europa. Mr. X befindet sich außerhalb Europas inzwischen, irgendwo auf dieser Welt. Es wäre idiotisch, nach ihm suchen zu wollen.«
»Aber wir müssen ihn unbedingt finden!«, begehrte Gonzales auf.
»Müssen wir das wirklich?«, konterte ich. »Wir können auch einfach abwarten - BIS ER UNS FINDET! Oder glauben Sie, diese Niederlage steckt er so einfach ein - ganz ohne Rachegelüste? Er wird wahr machen wollen, was er uns versprochen hat: Er will uns leiden sehen. Tausend Tode sollen wir sterben.«
Gonzales schüttelte sich unwillkürlich und betrachtete uns mitleidig.
Und dann wurde er leichenblass.
Ich wusste, was er jetzt dachte - und verstärkte dies auch noch ohne dabei ein hämisches Grinsen vermeiden zu können:
»Tja - und Ihnen verdanken wir unser Leben - und dass wir den Agenten von Mr. X entronnen sind, Senor Gonzales. Dafür danken wir Ihnen - obwohl Mr. X wohl kaum Verständnis für Ihr Heldentum aufbringen wird.«
Ich wiegte wie bekümmert den Kopf.
»Was - was soll das heißen?«
»Er wird nicht nur nach uns suchen, sondern auch nach Ihnen!«
»Sind - sind Sie sich denn - denn sicher?«
»Völlig, Senor Gonzales! Aber Sie als der mutigste Mann von ganz Spanien... Ihnen wird das sicherlich nichts ausmachen. Dessen bin ich mir ganz gewiss. Sie packen den Stier doch gern an den Hörnern, nicht wahr? Und wenn Mr. X jemals wieder hier auftauchen sollte, um Sie zur Rechenschaft zu ziehen... Na, besser kann es überhaupt nicht kommen, nicht wahr? Dann haben Sie ihn doch gleich!«
Er schluckte schwer.
Langsam stand er auf.
»Ich bitte um Vergebung, Senor Präsident, aber - aber ich muss mich leider zurückziehen. Sie wissen - die Pflicht ruft. Ich - ich muss noch...«
»Ja, gewiss«, mischte sich Don ein. »Sie müssen noch den Polizisten festnehmen lassen, der uns im Auto zur Hazienda gebracht hat. Mr. X versicherte uns glaubwürdig, dass dieser Polizist ein Agent von ihm ist.«
»Was?« Gonzales blinzelte verwirrt.
»Ja, Senor Gonzales!« Corinna nickte ihm zu. »Mr. X hat seine Spitzel und Helfershelfer überall. Ich würde mich an Ihrer Stelle mit dem Agenten beeilen, bevor er als der verlängerte Arm von Mr. X...«
Gonzales griff sich würgend an den Hals.
»Sie - Sie meinen, dass der...?«
»Er oder ein anderer. Wo liegt denn da der Unterschied? Wir wissen leider nicht, ob es der einzige X-Agent hier in der Madrider Polizei ist. Ich an Ihrer Stelle wäre von heute an sehr auf der Hut. Sonst entgeht Ihnen Mr. X am Ende doch noch!«
Fluchtartig verließ Enrico Gonzales den Raum.
Der Polizeipräfekt von Madrid schüttelte lachend den Kopf.
»Das hätten Sie aber wirklich nicht tun sollen!«, tadelte er mit erhobenem Zeigefinger.
»Das ist halt eben die Kehrseite des Ruhmes, Senor Präsident!«, klärte ich ihn lächelnd auf. »Mir erschien es gerade so, als wäre Gonzales ganz glücklich über seine Rolle als Held. Oder sollte er es sich jetzt auf einmal anders überlegt haben?«
Und Corinna fügte hinzu:
»Außerdem haben wir die reine Wahrheit gesagt: Mr. X wird versuchen, sich zu rächen - nicht nur an uns, sondern auch an all jenen, die offenbar auf unserer Seite waren.«
Don fragte ihn mit gespielter Gleichgültigkeit:
»Sagen Sie, Senor Präsident, waren Sie es nicht gewesen, der für unser Eingreifen gesorgt hat? Dann waren Sie es auch, der all dies überhaupt erst ins Rollen brachte...«
Jetzt war es an dem Polizeipräfekten, leichenblass zu werden.
Wir blieben trotzdem noch lange bei ihm, schlürften seinen teuersten Champus und schmauchten seine edelsten Zigarren. Unsere Stimmung war prächtig. Nur der Polizeipräfekt wollte sich nicht so recht freuen.
Zu vorgerückter Stunde, als er längst nicht mehr nüchtern war, schüttete er uns endlich sein Herz aus - und erzählte treu und brav, was er in Wahrheit von Gonzales hielt.
Er schloss:
»Aber was soll ich machen? Er hat Erfolge vorzuweisen - egal, ob man ihn dafür verantwortlich machen kann oder nicht! Nur, wenn er wirklich so weiter macht, wird er mir eines Tages gefährlich werden - mich vielleicht sogar - ablösen?«
»Und dies gilt es natürlich zu verhindern!«, bestätigte ich ihm gespielt mitfühlend.
Er stieß einen ellenlangen Seufzer aus:
»Nun, bei der Angst, die er zurzeit hat, wird er vielleicht anderes zu tun haben? Es wird zumindest seinen Ehrgeiz erheblich dämpfen...«
Wir gaben ihm lachend recht und feierten weiter: Eine rauschende Nacht, die uns nach allem nun wirklich zustand!
Und wer wusste, was die nahe Zukunft schon bringen würde?
*
Es dauerte nicht mehr allzu lange, bis wir das erfuhren. Nicht nur, weil unser Hauptgegner, jener Mr. X, wohlauf geblieben war und irgendwo im Untergrund wieder weitere finstere Pläne schmieden konnte...
Aber der Reihe nach: Zurück in Chikago, eröffnete uns Ben Atleff, unsere Kontaktperson zu jener geheimen Organisation, für die wir letztlich tätig waren – und die so geheim war, dass sogar ich praktisch gar nichts über sie wusste! -, dass er ein neues Konzept habe, um die X-Organisation zu bekämpfen. Das eigentlich Bemerkenswerte jedoch daran war: Es ging nicht nur um die X-Organisation, denn Ben Atleff war es gelungen, auch die Geheimdienste mit für die Sache zu interessieren, zu denen er offensichtlich die besten Kontakte pflegte.
Also würden wir indirekt auch für diese tätig werden müssen.
Das sah er als besonderen persönlichen Erfolg an, denn dann war er in der Lage, Dinge in Erfahrung zu bringen und sogar zu koordinieren, die normalerweise sogar von den Geheimdiensten untereinander geheim gehalten wurden.
Keine Frage: Insofern waren Don Cooper und ich für die geheime Organisation als direkter Gegenspieler zur X-Organisation so etwas wie wertvolle Trümpfe geworden.
Eigentlich war es an der Zeit, endlich mehr über jene Organisation zu erfahren, die solcherart mit mir hausieren ging, und das sagte ich Ben Atleff einmal ganz unmissverständlich.
Genauso unmissverständlich jedoch… lehnte er jegliche weiterführende Auskunft ab.
Und auch für unsere künftige Tätigkeit würde ganz besonders gelten: Alles geheim, denn das geringste Versagen brachte uns ins Abseits.
Halt so geheim, dass sogar die betreffenden Geheimdienste nichts über unsere wahren Identitäten erfahren würden!
Nicht nur eine Vorsichtsmaßnahme, meine Person betreffend!
Niemand würde uns kennen, denn es gab keine Freunde auf der ganzen Welt.
Umso erstaunlicher erschien mir jetzt, dass es ihm überhaupt gelungen war, uns den Geheimdiensten als besonderen Trumpf zu verkaufen!
Mir mussten ganz einfach nicht nur gut sein, sondern sogar… perfekt. Klar war und blieb: Selbst Ben Atleff würde jegliche Verbindung mit uns leugnen, wenn wir versagten!
Das neue Geheimprojekt trug einen bezeichnenden Titel: ›CALLGIRL‹.
... und Corinna hatte dabei eine wahrhaft tragende Rolle, obwohl ihr das ganz und gar nicht passte...
*
USA, Gebiet von Pearlhampton
„Eines muss ich von vornherein klar stellen“, sagte Sven nach der Materialisation vor dem Ort Pearlhampton: „Ich bin alles andere als ein Kämpfertyp! Wundere dich also nicht, wenn ich irgendwie… feige erscheinen sollte, falls es hart auf hart kommt.“
Leo musste unwillkürlich lachen.
„Nun, ich gehe nicht davon aus, dass es hart auf hart kommt, um deine Bezeichnung zu gebrauchen. Wir sind hier, um uns möglichst unauffällig umzuschauen. Mehr nicht.“
Sie waren am Rande einer verstaubten Landstraße wie aus dem Nichts aufgetaucht. Leo hatte sich schnell orientiert. Da er auf magischem Wege bereits das Ziel ausgelotet hatte, war er sich zwar halbwegs gewiss, dass es keine unliebsamen Zeugen ihrer Materialisierung gab, doch sicher war sicher: Es schadete nichts, wenn er sich zusätzlich mit eigenen Augen davon überzeugte.
Sven atmete scheinbar erleichtert auf, um sogleich jedoch neue Bedenken zu äußern:
„Wenn wir einfach so in den Ort stolzieren, zu Fuß… Es wird uns kein Mensch glauben, dass wir überhaupt nur zu Fuß unterwegs sind. Dieser Ort ist nur mit einem brauchbaren fahrbaren Untersatz zu erreichen. Das sieht hier ja aus wie im berüchtigten Wilden Westen. Es würde mich keinen Augenblick wundern, wenn mir der erste Westernheld mit tief geschnalltem Colt begegnen würde.“
Abermals musste Leo lachen.
„Keine Bange, das ist eine ganz normale Kleinstadt im mittleren Westen der USA. Die Einwohner sind wahrscheinlich reichlich verschlafen, aber ansonsten wirst du nichts Ungewöhnliches hier finden.“
„Außer vielleicht den entscheidenden Hinweis auf den Friedhof der Verdammten – hoffentlich!“, meinte Sven zerknirscht.
Er wartete, bis sich Leo in Bewegung setzte, und schloss sich ihm an.
„Was unseren Fußmarsch betrifft“, sagte Leo Stein über die Schulter zurück: „Wir werden auf den wenigen Schritten, die vor uns liegen, genügend Staub auf unseren Klamotten ansammeln, um glaubwürdig versichern zu können, dass unser Jeep draußen irgendwo stehenblieb und das einzige Handy, das wir dabei hatten, leider im entscheidenden Moment defekt war. Man wird uns gratulieren, dass wir zu Fuß überhaupt den Ort hier gefunden und dadurch überlebt haben. Und misstrauisch wegen dem Fahrzeug, das sich nirgendwo mehr finden lässt, wird man auch nicht werden: Wir hatten eben wahrlich Glück, nach der Panne den Ort gefunden zu haben. Sonst hätte das Abenteuer für uns durchaus tödlich enden können.“
„Na, da bin ich aber mal gespannt“, blieb Sven skeptisch. Es fiel ihm noch etwas ein: „Und als wer treten wir auf? Also, ich habe meine Papiere dabei – und du?“
„Ich habe ebenfalls Papiere dabei, allerdings nicht als Leo Stein, sondern als Peter Stenford. Merke dir bitte den Namen, Sven. Ich denke, es ist ungefährlich für dich, wenn du unter deinem richtigen Namen auftrittst, aber es darf andererseits nicht die geringste Spur zu Leo Stein und seinem Konzern führen. Du weißt, wie wichtig Tarnung ist, bei einem solch übermächtigen Gegner.“
„Also gut: Peter Stenford. Ging es nicht ein wenig origineller?“
„Was hast du gegen diesen Namen einzuwenden? Er ist so gut wie jeder andere. Und auffällig sollte er besser überhaupt nicht sein.“
Dem konnte Sven nicht mehr widersprechen.
Er blieb dicht hinter Peter Stenford, alias Leo Stein, und wunderte sich über dessen geschmeidige Bewegungen. Es war ihm bislang noch gar nicht aufgefallen, wie sportlich Leo war. Er sah nicht nur aus wie der sprichwörtliche Modellathlet, sondern er hatte anscheinend auch ähnliche körperliche Fähigkeiten.
Wenn man dann auch noch bedachte, dass er so etwas wie unsterblich war…
Das war Sven Katovich zwar auch, aber das half ihm nicht, gegen die ihm angeborene Feigheit anzukommen. Er war nun einmal keine Kämpfertype. Niemals gewesen und würde sich auch nicht dahingehend entwickeln können. Sei Äußeres unterstrich dies sogar: Er wirkte blass und unscheinbar wie eh und je. Dabei kam die Blässe nicht etwas daher, weil er eine Art Untoter war, sondern sie war ihm sozusagen genauso angeboren wie seine Feigheit: Er war noch niemals in seinem „normalen“ Leben weniger blass erschienen.
Aber die geschmeidigen Bewegungen und die kraftvollen Schritte von Leo gaben ihm irgendwie genügend Mut, um Schritt halten zu können.
Sein Herz pochte ihm dabei schier bis zum Hals. Obwohl es eigentlich gar nicht mehr zu pochen brauchte. Es tat dies trotzdem. Wohl, weil es ein Leben lang daran gewöhnt wurde…
*
Sheriff Ted Simpson war schon so lange im Amt, dass er kaum die Jahre zählen konnte. Und er wurde immer wieder gewählt. Weil die normalen Bürger ihn ganz besonders schätzten – und diejenigen, die bestehende Gesetze als nicht für sie selber gemacht ansahen, hassten ihn. Aber sie blieben eben in der Minderheit, so lange Ted Simpson sie rechtzeitig schnappte und in Gewahrsam brachte.
Seine Erfolgsquote war außerordentlich hoch. Es gab wohl kaum einen Sheriff in den gesamten USA, der mit ihm Schritt halten konnte. So durfte er mit Fug und Recht behaupten, sein Bezirk sei sauber. Das war er auch die meiste Zeit.
Es war reiner Zufall, dass Sheriff Ted Simpson als erster und einziger die beiden abgerissen wirkenden Figuren entdeckte, die über die Mainstreet gewankt kamen.
Fremde!
Das war eigentlich noch seltener als Kriminelle in Pearlhampton.
Und sie waren nicht minder unbeliebt!
Eine steile Falte erschien auf der Stirn des nicht mehr ganz taufrischen Sheriffs. Er schob seinen Stetson in den Nacken und rieb sich über die Augen.
Das Bild blieb.
Eigentlich war er auf dem Weg zum örtlichen Saloon gewesen. Dort wartete das Essen auf ihn. Der Besitzer des Saloons versorgte ihn schon seit vielen Jahren – zum Sonderpreis. In alter Freundschaft. Ja, seit vielen Jahren. Genauer: Seit Simpsons Frau gestorben war. Eine unheilbare Krankheit, gegen die es kein Mittel gab. Er hatte bis zur letzten Sekunde gehofft. Genauso wie die Sterbende. Vergeblich. Seitdem war er solo. Nicht, weil es an Nachfrage aus den Reihen des weiblichen Geschlechts fehlte. Er konnte einfach seine verstorbene Frau nicht vergessen. Wenn er sich auf eine andere eingelassen hätte, das wäre für ihn wie Fremdgehen gewesen. Deshalb machte er um die Weiblichkeiten des Ortes lieber einen Bogen. Es sei denn, er musste sich mit ihnen aus dienstlichen Gründen beschäftigen.
Das brachte zwar manch eine auf die Idee, einen dienstlichen Grund zu liefern, um seine Aufmerksamkeit zu erregen, aber Sheriff Simpson hatte ein wachsames Auge. Er durchschaute so etwas auf Anhieb. Sonst hätte er wohl mindestens ein Drittel der Weiblichkeiten des Ortes bereits verhaften müssen…
Er kratzte sich jetzt am bärtigen Kinn und ließ die beiden Fremden nicht aus den Augen, die ihn anscheinend noch gar nicht wahrgenommen hatten. Denen schien es alles andere als gut zu gehen. Kein Wunder, denn sie kamen offensichtlich zu Fuß aus der Wildnis.
Was war mit ihnen passiert?
*
Erst als sie über die Landstraße den Stadtrand erreicht hatten, wurde Leo langsamer. Und jetzt wirkten seine Bewegungen keineswegs mehr geschmeidig, sondern eher ziemlich müde.
Er wandte nicht den Kopf, als er Sven einen Gedankenimpuls sendete:
„Ich glaube, es ist besser, wenn wir uns ab sofort nicht mehr verbal unterhalten, sondern nur noch telepathisch. Vergiss nicht, wir sind draußen irgendwo havariert und kamen zu Fuß hierher. Zwei verirrte und deshalb total erschöpfte Wanderer!“
Sven schaute ihn von hinten erstaunt an. Da blieb Leo stehen und wandte sich ihm zu.
Er wirkte auf einmal total verändert. Als wäre er schlagartig wesentlich älter geworden. Außerdem trug er einen wild wuchernden Bart.
Der nächste Gedankenimpuls von ihm:
„Wundere dich nicht über meine Veränderung: So sieht eben Peter Stenford aus.“
Sven antwortete auf demselben lautlosen Weg:
„Wie hast du das gemacht?“
„Nicht ich, sondern Belial!“, belehrte Leo ihn. „Du weißt doch, dass er seine Gestalt beliebig verändern kann. dasselbe hat er jetzt mit mir gemacht, allerdings in einem wesentlich bescheideneren Maße. Ich weiß, damit mache ich Lord Frank Burgess ein wenig Konkurrenz, aber es erscheint mir in diesem Fall wirklich sicherer als würde ich nur den Namen ändern.“
„Glaubst du denn im Ernst, in diesem verschlafenen Nest wären solche Vorsichtsmaßnahmen nötig?“, fragte Sven alarmiert.
Leo als Peter Stenford zeigte ein schiefes Grinsen.
„Das hat niemand behauptet. Ich bin halt eben nur für die Vermeidung unnötiger Risiken. Nichts weiter.“
Er wandte sich ab und wanderte weiter die Hauptstraße entlang, in den Ort hinein, mit müdem, schlurfendem Schritt.
Sven schloss sich ihm sehr zögerlich nach.
Er wusste selber, dass er sich nicht besonders erschöpft geben musste. Er sah sowieso schon aus wie ein lebender Toter.
Vielleicht, dachte er sarkastisch, weil ich ein lebender Toter bin?
Und da erblickte er den Sheriff des verschlafenen Nestes. Überhaupt die erste Person, die er hier zu Gesicht bekommen hatte.
Auch Leo hatte ihn entdeckt. Doch beide taten sie so, als wären sie viel zu sehr mit sich selber beschäftigt, als dass sie auf den Sheriff achten könnten.
Der Sheriff setzte sich nach einigem Zögern in Bewegung und kam direkt auf sie zu.
*
Erst bei einem Abstand von nur noch wenigen Schritten reagierte Leo. Er machte den Eindruck, als würde er gegen eine unsichtbare Wand rennen.
„Oh!“, entfuhr es ihm. Mehr ein Lallen als klare Worte. „Ich habe Sie gar nicht bemerkt.
„Ich – ich auch nicht!“, beeilte sich Sven zu versichern.
Der Sheriff musterte sie mit unverhohlenem Misstrauen.
„Was ist passiert?“
Nach diesem knappen Ersatz einer Begrüßung legte Leo dar, was sie sich als Ausrede zurecht gesponnen hatten.
Der Sheriff schien es tatsächlich zu akzeptieren. Er kratzte sich im Nacken und schob dabei den Stetson wieder tiefer in die Stirn.
„Am besten kommt ihr gleich mal mit zum Saloon. Ich bin sowieso auf dem Weg dorthin. Wahrscheinlich kippt ihr mir aus den latschen, wenn ihr nicht bald etwas zu trinken bekommt!“
„Trinken?“, lechzte Leo gekonnt.
Der Sheriff nickte, halbwegs mitleidig.
„Ja, trinken! Ich hoffe doch, Sie haben Geld dabei?“
„Klar, haben wir!“, behauptete Leo.
Der Sheriff wandte sich ab, um voraus zu gehen, doch ihm fiel noch etwas ein.
Abrupt blieb er wieder stehen und fragte über die Schulter zurück:
„Wohin hatten Sie gesagt, wollten Sie ursprünglich fahren, bevor sie die Panne bekommen hatten?“
„Wir hatten kein bestimmtes Ziel“, antwortete Leo prompt. „Allerdings hatten wir nicht genügend Proviant mit dabei, wie es sich leider zu spät herausgestellt hat. Es hat noch nicht einmal für den Fußmarsch bis hierher gelangt.“
Sven blies dankbar die Wangen auf. Er war deshalb dankbar, weil Leo rechtzeitig diese Ausrede eingefallen war. Er selber hätte wahrscheinlich versagt, denn er wusste eigentlich gar nicht mal so genau, wo sie sie sich hier überhaupt befanden. Wenn er jetzt einen Otsnamen oder eine Region hätte nennen müssen, wäre er ganz schön aufgefallen. Aber vielleicht war Leo ja informierter. Immerhin hatte er sich von Belial hierher teleportieren lassen, gewiss nicht ohne vorher sich alles einigermaßen erklären zu lassen. Wenn der Sheriff jetzt nicht auf die Ausrede einging, würde er wohl noch den einen oder anderen Trumpf im Ärmel haben, den er als Argument vorweisen konnte.