15,99 €
Eine kulinarische Entdeckungsreise
Noch nie echte Walderdbeeren, Stilton oder Kobe-Rind gekostet? Dann wird’s aber Zeit! Denn jenseits der industriellen Massenproduktion gibt es überall auf der Welt noch Lebensmittel mit unverfälschtem Geschmack. Die Genießerin Margit Schönberger und der Food-Experte Jörg Zipprick stellen sie vor: berühmte Klassiker, Schlichtes in höchster Qualität und exotische Raritäten.
Allzu oft enttäuscht uns, was wir serviert bekommen. Irgendwie schmeckt alles gleich. Oder nach nichts. Doch zwei ausgewiesene Feinschmecker wissen, dass es immer noch Lebensmittel mit Aroma und Charakter gibt: Obst und Gemüse, Fleisch und Fisch, Käse, Wurst und Gewürze, die man unbedingt probieren sollte. Margit Schönberger und Jörg Zipprick präsentieren Delikatessen, denen ihr Ruf vorauseilt, Raritäten, um die sich Legenden ranken, aber auch Unbekanntes und das scheinbar Alltägliche, das wir noch nie in so überzeugender Qualität gegessen haben. Viele der Produkte schmecken am besten pur oder in schlichter Zubereitung.
In 100 Einzelporträts erzählen Margit Schönberger und Jörg Zipprick die Geschichten hinter den Köstlichkeiten. Sie liefern Hintergrundwissen über die Herstellung, Einkaufstipps, Bezugsquellen sowie das eine oder andere Rezept. Und immer geht es ihnen dabei um das Bewusstsein, dass Essen mehr ist als reine Nahrungsaufnahme: sinnliche Erfahrung und genussvolles Abenteuer.
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Seitenzahl: 398
Margit Schönberger
Jörg Zipprick
Margit Schönberger, Jörg Zipprick
100 DINGE,
DIE SIE
EINMAL
IM LEBEN
GEGESSEN
HABEN
SOLLTEN
Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.Sollte diese Publikation Links auf Webseiten Dritter enthalten, so übernehmen wir für deren Inhalte keine Haftung, da wir uns diese nicht zu eigen machen, sondern lediglich auf deren Stand zum Zeitpunkt der Erstveröffentlichung verweisen. Lektorat: Annette Seybold-Krüger, München
Copyright © 2011 by Ludwig Verlag, München,
in der Verlagsgruppe Random House GmbH,Neumarkter Str. 28, 81673 München
http://www.ludwig-verlag.de
Satz: Leingärtner, Nabburg
ePub-ISBN: 978-3-641-05963-7V003
Vorwort
Die Autoren
Abalone (Seeohr) – Anchovis – Andouillette (Innereienwurst) – Artischocken – Austern – Avocado (Sorte Hass) – Bärenkrebs – Balsamico – Banane (Fingerbanane) – Blumen (essbare Blumen) – Bottarga – Butter – Camembert – Ente (Blutente) – Entenmuscheln – Felchen/Renke aus kühlen Alpenseen – Flusskrebse – Froschschenkel – Fugu – Gänsestopfleber – Glasaale – Granatapfel – Grouse (Moorschneehuhn) – Harissa – Hase und Wildkaninchen – Haselnüsse – Heidelbeeren – Hering (fetter Hering) – Huhn (Bresse-Huhn) – Hummer (blauer Hummer) – Jakobsmuschel – Kabeljau/Skrei – Kaktusfeige – Kalbsbries – Kapaun – Kapern von Pantelleria – Kartoffel (Meerkartoffel) – Kaviar – Knoblauch (rosa Knoblauch) – Kobe-Rind – Kürbiskernöl – Lachs (Wildlachs) – Lamm – Languste – Lardo di Colonnata – Linsen – Mango – Marille – Maronen – Möhren (Sandmöhren) – Morcheln – Mozzarella – Olivenöl – Orange (Blutorange aus Sizilien) – Parmesan – Pfeffer (frischer Pfeffer) – Pfifferlinge – Pfirsich (Weinbergpfirsich) – Pflaumen aus Agen – Piment – Pistazien – Rebhuhn – Reis (Wildreis) – Rentier – Rind – Ringeltaube – Roquefort – Rotbarbe – Safran – Salz (Fleur de sel) – Schinken – Schnecken – Schokolade – Schwalbennester – Schwein (iberisches Schwein) – Seebarsch – Seeigel – Seeteufelleber – Seezunge – Senf – Soft shell crabs – Steinbutt (großer Steinbutt) – Steinpilz – Stilton – Thunfisch (Bauchlappen) – Tintenfisch – Tomaten – Topinambur – Totentrompete – Trüffel (schwarze Trüffel) – Trüffel (weiße Trüffel) – Umeboshi – Vanille – Wachtel – Walderdbeeren – Wasabi – Zampone – Zibeben – Zimt – Zucker (Muscovado-Zucker)
Dieses Buch ist kein Lexikon, keine Anekdotensammlung und keine Kulturgeschichte, sondern der Dialog zweier Genießer, für die gutes Essen eine Frage von Kultur, aber auch eine des Respekts vor der Natur ist, die all diese Gaben für uns Menschen bereithält. Es handelt von hundert besonderen, guten Lebensmitteln, von Süßem und Saurem von Asien bis Europa: zum Schlemmen, Genießen, Verkosten und Probieren – oder auch nur zum Lesen. Wir beschreiben – steng subjektiv – hundert Dinge, die wir selbst gern essen, und das mit »verteilten Rollen«: Da ist die Fragende, die Neugierige, die im Lauf ihres Genießerlebens zwar schon einiges, aber bei weitem noch nicht genug gekostet hat und jedenfalls entschlossen ist, das Misstrauen des Grundsatzes »Was der Bauer nicht kennt« hinter sich zu lassen. Die Antworten gibt ein ausgewiesener Experte, der Essen und Trinken und das dazugehörige Hintergrundwissen in den Mittelpunkt seines Berufslebens gestellt hat.
Hundert Dinge? Das sind natürlich viel zu wenig. Man denke nur an all die Käsesorten, all die Würste, all die Gewürze, die es auf diesem Globus gibt. Aber dieses Buch hat nicht vor, alles aufzulisten, was man verspeisen kann. Im Gegenteil, die unendliche Vielfalt des Genießbaren ist reduziert auf das, was für uns besondere Markierungspunkte des Genusses sind.
Dieses Buch ist außerdem so etwas Widersinniges wie ein Kochbuch für Leute, die nicht kochen wollen – oder können. Denn fast jede der vorgestellten Leckereien kann, roh oder mit minimalen Kochkenntnissen zubereitet, für maximalen Genuss sorgen. Nicht nur der Kaviar, der Hummer und die Languste gehören in diese Kategorie, sondern auch der Camembert oder die Kaper. Oder Butter, die wirklich noch »gute Butter« ist – auch wenn wir sie nur bei einem Hersteller gefunden haben, den wir im Text nach Kräften loben.
Weil wir zwar schwelgen, aber nicht schweigen wollen, haben wir auch auf einige böse Tricks der Anbieter – vom Kohlenmonoxid gefärbten Thunfisch bis zum Würzen mit Trüffelöl-Aroma – aufmerksam gemacht. Hinweise auf die Tatsache, dass viele Fischbestände bedroht sind, haben wir dabei ebenso wenig ausgespart wie den Streit um den Genuss von Foie gras, der berühmten Gänsestopfleber. Wir wollten bei diesen Themen nicht in den Chor der Küchen- und Schlemmereuphoriker einstimmen: Wir haben an diesen »wunden Punkten« zwei Seelen in unserer Brust.
Ohne gute Zutaten kann es keine gute Küche geben. Und gute Küche wiederum darf nicht nur das Privileg einer zahlungskräftigen Elite sein, die es sich bei aufgeplusterten Sterneköchen schmecken lässt. Andererseits haben rare Kostbarkeiten zu Recht ihren Preis – darum sollte man sie kennen, aber nicht zum Alltäglichen degradieren. Allzu gern zeigen die »Herren der Herde«, welch tolle Küchentechniken und Tricks sie beherrschen. Inzwischen bedienen sich manche sogar in den Schränken der Aromen- und Chemieindustrie und lassen sich dafür als »Forscher« feiern. Hat nicht einmal jemand gesagt, dass Forschung den Menschen nutzen und dienen soll? Der Großteil solcher »Küchenforschung« – und Performance – scheint allerdings eher narzisstische Neigungen zu befriedigen. Vor allem erschließt sie der Chemieindustrie neue Märkte – und das wohl nicht ganz zufällig. Denn wer bewusst, mit Vorfreude und mit Sinn und Verstand Qualität einkauft, der muss am Herd nicht tricksen.
Zugegeben, manchen Produkten muss ein wenig nachjagen, wer nicht in einer größeren Stadt wohnt; einige kann man vielleicht sogar als Genussziele in seine Reisepläne einbauen. Da, wo man den Gaumen zu beglücken versteht, blüht meist auch die »restliche« Kultur in reichen Farben. Dennoch: Es kommt gerade nicht darauf an, die feinen Dinge, die wir für dieses Buch ausgewählt haben, im Speiseplan des Alltags zu platzieren. Wie der Titel schon sagt, man sollte es einmal gegessen haben, das Steinbuttfilet aus einem Sieben-Kilo-Fisch, die Kartoffel aus den Feldern in Meeresnähe oder die Sandmöhre der Normandie. Weil es Genuss bereitet, gute Gefühle macht und gleichzeitig, fast unbemerkt, den Sinn für Qualität schult.
Vielleicht genügt deshalb das »Einmal« nicht, denn wer das Original kennt, der gibt sich nicht mehr so leicht mit schlechten Kopien zufrieden, der kauft nicht mehr »im Namen der Dose«, verschmäht Tomaten, die nach gefärbtem Wasser schmecken, bringt keine armen Batteriehühner auf den Tisch, deren Fleisch trocken und langweilig schmeckt, und auch keinen synthetisch gefärbten Zuchtfisch. Wer lernt, sich für Qualität zu entscheiden, tut mehr für Tier- und Naturschutz als diejenigen, die ihren Obolus in die entsprechenden Sammelbüchsen werfen. Und hat sogar noch etwas davon – Genuss.
Apropos Färben: Früher hieß es: »Das Auge isst mit.« Heute schmaust das Auge oft ganz allein, egal, ob in der Gemüseabteilung des Supermarkts, beim Metzger oder im Restaurant. Noch nie wirkten unsere Nahrungsmittel so schön bunt und frisch – und noch nie waren sie derart aromenarm. Ein wenig schöner Schein, das richtige Licht an der Theke, pralle Gemüsearrangements und Dekorationen wie aus dem Bilderbuch – da fragt bald niemand mehr nach dem Geschmack.
Dieses Buch soll auch ein wenig dazu beitragen, ein gesundes Misstrauen zu entwickeln: Vertrauen Sie beim Einkaufen lieber auf Ihren Geruchs- und Tastsinn. Lassen Sie sich nicht davon beeindrucken, ob ein Versender als »Lieferant großer Köche« beworben wird. Ignorieren Sie das ganze Wortgeklingel der Gastronomie und suchen Sie lieber in Ihrer Umgebung nach zuverlässigen Händlern und Züchtern, nach Leuten, die wissen, dass man gutes Fleisch, guten Fisch und gutes Gemüse nur dann bieten kann, wenn man Pflanzen und Tiere nicht mit Präparaten aus der Chemiefabrik ernährt. Denn nur die Erzeugnisse von kulinarischen Handwerkern muss man wirklich gegessen haben – und das vielleicht nicht nur einmal im Leben. Dann ist das Besondere auch nicht mehr eine Frage des Geldbeutels, sondern eine Frage der Prioritäten, die man setzt. Wenn Sie ein qualitätsbewusster Genießer und Käufer sind, unterstützen Sie damit ehrliche, engagiert und hart arbeitende Handwerker – und zugleich Natur und Umwelt.
Margit Schönberger
Jörg Zipprick
Margit Schönberger
Ich habe mein ganzes Leben mit Büchern und ihren Autoren verbracht. Interessante Menschen, ihr Wissen und ihre Geschichten sind meine Leidenschaft, die ich zum Beruf gemacht habe. Es kann kein Zufall sein, dass ich die meisten dieser Menschen am besten bei gutem Essen und Trinken kennengelernt habe.
Ich entstamme einer bäuerlichen Familie, in der noch alle Mahlzeiten gemeinsam eingenommen wurden, Gemüse- und Obstgärten vor dem Haus lagen und Küchenkräuter nicht im Supermarkt gekauft wurden. Meine Großmütter haben Butter noch selbst gemacht, und ich saß als kleines Mädchen auf ihren Butterkisten. Ich habe heute noch im Ohr, wie das Geräusch der plätschernden Sahne in der Kiste sich veränderte, bis es schließlich zu einem sanften Rumpeln wurde, wenn die goldgelbe, perlende Butter fertig war. Und auf ein frisch gebackenes, ofenwarmes Brot gestrichen wurde. Solche Erfahrungen prägen, und sie setzen Standards.
Es hat allerdings gedauert, bis ich mein Misstrauen fremdländischen Essgenüssen gegenüber abgelegt habe – ganz abgebaut habe ich es immer noch nicht. Schwalbennester beispielsweise gehören für meinen Geschmack an die Hauswand und nicht in die Suppe. Jörg Zipprick beneide ich darum, dass er den Globus vom Blickwinkel des Kulinarischen aus kennengelernt hat und nicht von solchen Vorurteilen am Genießen des Exotischen gehindert wird. Aber ich hatte trotzdem Glück, denn die k. u. k. Welt, aus der ich komme, war auch einmal ein Reich, in dem die Sonne nicht unterging. Unser Wiener Schnitzel und unsere Backhendl sind zwar nicht mit Gold überzogen wie beim Kaiser von Konstantinopel, aber goldgelb gebackene Semmelbröselpanade schlägt Blattgold im Geschmack garantiert ohnedies um Längen.
Meine privaten Helden der Gegenwart sind diejenigen, die auch Jörg Zipprick zu Recht hoch lobt und fördert: Bäcker, Metzger, Züchter, die Tiere artgerecht halten und ihnen ein gutes Leben gönnen, und nicht zuletzt Bauern, die ihren Beruf in Ehren halten, gute Ware produzieren und sich nicht korrumpieren lassen. Was heutzutage enorme Charakterstärke voraussetzt. Wir Verbraucher sollten ihnen dabei helfen. Damit aus Nahrungsmitteln wieder Lebensmittel werden, die nicht nur den Hunger stillen, sondern auch alle Sinne ansprechen. Denn dafür sind sie uns schließlich verliehen worden. Gutes Essen hält nicht nur Leib und Seele zusammen, es macht auch gute Laune. Und davon könnte die Welt wahrlich mehr gebrauchen.
Jörg Zipprick
Von mir stammt der zweite Abschnitt der Kapitel. In den letzten zwanzig Jahren habe ich auf der Suche nach Essbarem die halbe Welt durchquert – dennoch fehlen ein paar wichtige Länder und ihre Gerichte noch auf der Speiseliste.
Grundsätzlich esse ich alles, außer vielleicht Haustiere und Insekten – was nicht heißt, dass mir alles schmeckt. Manches, wie gekochte Hühnerfüße, ist mir wirklich zu fremdartig – zumal der Hühnerfuß an und für sich nach nichts schmeckt und sich nur durch gelatineartige Konsistenz mit ein paar Knochen drin auszeichnet. In China jedoch gilt er als Delikatesse. Und gar nicht begeistern kann ich mich auch für Essen aus der Chemiefabrik und Labor-Aromen. Beides hat in diesem Buch nur da Platz, wo die Aufmerksamkeit des genießenden Lesers auf Tricks der Anbieter und Verkäufer gerichtet werden muss.
Ein wenig beneide ich meine Co-Autorin Margit Schönberger darum, schon gut gegessen zu haben, als ich noch in den Windeln lag. Außerdem kennt sich Margit Schönberger wesentlich besser als ich in Österreich aus, wo vorzügliches Essen eine lange Tradition und der sorgfältige Umgang mit Lebensmitteln eine breite Basis haben.
Mein Einkaufstipp? Qualität gibt es nicht zum Nulltarif – aber ein hoher Preis allein sagt auch nichts über die Güte von Lebensmitteln aus. Wenn es irgend geht, versuche ich, meinen kleinen Beitrag zum Jahresumsatz den »kulinarischen Handwerkern« zukommen zu lassen, also den Bäckern, Metzgern, Züchtern, Bauern meines Vertrauens.
Das Seeohr? Eine Muschel, die eine Schnecke ist? Das habe ich noch nie gegessen und – ich schäme mich fast dafür – auch noch nie gehört. Abalone klingt irgendwie nach einem italienischen Badeort. Falls das je auf einer Speisekarte stand, die ich vor Augen hatte, habe ich das wahrscheinlich für eine regionale Spezialität gehalten und war von mir bekannten Köstlichkeiten so abgelenkt, dass ich vergaß, danach zu fragen. Bei meinem nächsten Aufenthalt in Küstennähe werde ich versuchen, diese Wissenslücke in Sachen Genuss zu schließen. Ich gehe davon aus, dass auch dieser Meeresbewohner sauberes Wasser zum Überleben braucht – vom Geschmack gar nicht zu reden. Da ist es also wohl ratsam, dieses »Abalone-Date« möglichst bald zu genießen, sonst wird es irgendwann keine Gelegenheit mehr dafür geben?
Im China-Restaurant habe ich mich früher immer gefragt, was denn wohl die Abalone ist. Sie war jedenfalls immer das teuerste Gericht auf der Karte. Und saßen an den Nebentischen tatsächlich mal Asiaten, dann fielen sie genüsslich über Abalone her. Manchmal habe ich versucht, auf den Teller meiner Tischnachbarn zu schielen. Appetitlich sah das nicht immer aus … Selbst gegessen habe ich es zum ersten Mal in der Bretagne, in Trebeurden. Es schmeckte wie Meer an einem Sommertag und hatte gleichzeitig diese gewisse Festigkeit, wie sie gutem Fleisch zu eigen ist. Serviert wurde die Abalone in ihrer Schale, deren Innenseite perlmuttfarben schimmert. Ich glaubte, sie schon einmal in einem Souvenirladen als Schmuckstück gesehen zu haben. Kurz: Ich mochte das Seeohr und bestellte es am Tag darauf noch einmal.
»Ormeau« heißt das Seeohr auf den französischen Speisekarten. Erst später lernte ich, dass dies die Abalone aus den China-Restaurants ist. Inzwischen gibt es sogar Betriebe in der Bretagne, in der Normandie und in Spanien, die erfolgreich Abalone züchten.
Nun werden die Abalones in den meisten Restaurants als Muscheln verkauft. In Wahrheit jedoch sind das aber Schnecken der Gattung Haliotis. Und tatsächlich betrachten beispielsweise die Japaner die Haliotis – unabhängig von deren zoologischer Einordnung – als Muscheltier. Im Naturzustand klebt sie am Küstenfels fest. Gefischt wird die Abalone zu Fuß in Küstennähe oder auf kleinen Tauchgängen bis 20 Meter Tiefe. Das Seeohr ist ein großer Muskel, entsprechend fest ist dessen Fleisch. In Japan wird es deshalb vertikal in feine Streifen geschnitten, in Europa hingegen vor der Zubereitung wie ein Steak geklopft. »Du musst zuhauen, als wäre es deine Schwiegermutter«, hatte mir der bretonische Koch gesagt. Ich beschloss, diese Anregung zu häuslicher Gewalt zu überhören. Jahre später erklärte mir ein Herdmeister aus Japan, dass Klopfen die Abalone zwar zarter mache, diese Zubereitungsart jedoch die Muskelfasern zerstöre.
Koji Aida, selbst Japaner, der in Paris ein hübsches, kleines, aber leider auch kostspieliges Restaurant betreibt, hat mir das alles im Detail erklärt: Jedes gute Abalone-Rezept beginnt natürlich mit dem richtigen Einkauf. Wir brauchen eine gesunde Abalone, eine Muschel, Verzeihung: Schnecke, die sich wenn möglich noch bewegt: Testweise einfach ein wenig Salz daraufstreuen, dann zieht sie sich zusammen. Eine gute Abalone ist dick und schwer. Die blaugrünen Exemplare schmecken laut Aida besser als Sashimi, also roh und hauchdünn geschnitten, die roten sind gegrillt schmackhafter. Leider kann der Koch in Europa die Seeohren nur kistenweise erwerben und nicht, wie in Japan, Stück für Stück auswählen. Außerdem sind sie hier kleiner und teuerer: Gut 1,50 Euro kostet eine Winzportion den Wirt schon im Einkauf – Tendenz steigend. Koji Aida entscheidet sich bei Ansicht der Ware spontan, wie er die Abalone zubereiten wird. Im Grunde wählt er zwischen drei Methoden: Roh als Sashimi, gegrillt oder gedämpft. Für das Sashimi ruht die Abalone auf Holzkohle und wird mit Zeitungspapier abgedeckt. So bleibt sie länger frisch und behält ihren Meeresgeschmack. Anschließend wird sie einfach vor den Kunden in feine Streifen zerteilt. Beim Grillen gibt es schon mehrere Rezepte: Zuerst sollten Seeohren wie für Sashimi aufbewahrt werden. Am frühen Morgen werden sie ausgelöst, der Nerv entfernt. Anschließend reibt man sie mit Salz ein, wäscht dann das Salz wieder ab und reinigt die Muschel gründlich. Nach einer kurzen Wartezeit wird sie gegrillt. Jetzt schmeckt die Abalone nicht mehr nach Meer, hat aber einen kräftigeren Eigengeschmack.
Schließlich die Dampfgarung: Dafür wird die Muschel gewaschen, mit Salz abgerieben und nochmals gewaschen. Anschließend wird die Abalone eingelegt, in eine Mischung aus Sake und Kombu-Algen. Dazu nutzt Koji Aida Junmai-Shu, eine Sake-Variante aus purem Reis, bei der keinesfalls Alkohol zugesetzt werden darf. Durch die Abreibung mit Salz hat die Muschel viel Feuchtigkeit verloren. Sie saugt sich dadurch regelrecht mit dem Sake voll, der sogar bis in die Leber der Schnecke einzieht. »Das ist eine Art Seeohren-Foie gras«, sagt Aida. Anschließend gart er sie sechs Stunden im Dampf. Oft legt er den japanischen Rettich Daikon dazu, das macht die Abalone zarter. Und fast immer wandelt er das Rezept im letzten Moment ab, mit Wein, Sake oder Tee. Für ihn gibt es nämlich keine beste Küche, sondern nur eine Küche, die am besten zum jeweiligen Kunden passt.
Das Gourmet-Geheimnis dieser salzigen Sardellen hat sich mir bisher trotz mehrfacher Versuche noch immer nicht wirklich erschlossen. Einen kleinen Fisch zwei Jahre lang in Salzlake der natürlichen Zersetzung anheimfallen zu lassen – oder stimmt das vielleicht gar nicht? –, klingt ausgefuchst, raffiniert und von großer Erfahrung gespeist. Irgendwie ist das aber nicht so ganz nach meinem Geschmack. Ich habe schon lange den Verdacht, dass Anchovis für Männer gemacht sind – die mögen diese scharfe, völlig übersalzene Sache fast alle gern. Für Wirte ist das gewiss genial, weil die Gäste gehörig Durst entwickeln. Gibt es da bei Männern genetisch bedingte Erinnerungen an wilde, zur See fahrende Ahnen, in deren Fässern an Bord nicht das Wasser faulte, wohl aber die Anchovis vor sich hin »reiften«?
Habe ich bisher nur die falsche Sardellenart probiert? Mittelmeerfischer sollen ein sehr besonderes Anchovis-Brotaufstrich-Rezept kreiert haben, und es muss wohl auch einen Grund geben, warum es ein sehr beliebtes, skandinavisches Anchovis-Gericht gibt. Wobei die skandinavische Sardellen sehr viel milder schmecken sollen. Was also habe ich bisher übersehen?
Hat hier jemand das Entsalzen vergessen? Die Salzanchovis gehören mindestens eine Stunde lang ins kalte Wasser – das natürlich alle 15 Minuten gewechselt werden muss. So zumindest hat es mir ein Anchovisfabrikant erklärt. Konservierung von Lebensmitteln dank Salz ist eine alte Kulturtechnik. Die Art und Weise, wie gute Anchovis eingelegt werden, hat sich über die Jahrhunderte nicht verändert. Spätestens zwölf Stunden nach dem Fang werden die Fischchen in Salzfässern von 200 Kilo Fassungsvermögen gelagert. Nach ein paar Tagen werden Kopf und Innereien entfernt, die Anchovis nach Größe sortiert und dann in Fässern gestapelt: Eine Schicht Salz, eine Schicht Anchovis, eine Schicht Salz … und so weiter. Verschlossen werden diese Fässer mit gewichtigen Deckeln von 22 bis zu 40 Kilo. Sie sorgen dafür, dass die 15–20 cm langen Fischleiber ordentlich vom Salz durchzogen werden. Jetzt heißt es 100 Tage warten. Dann werden die Fische getrennt: »Anchovis in Salz« legen die Hersteller einfach in mit frischer Lake gefüllte Gläser ein. »Anchovis in Öl« hingegen werden mit Wasser entsalzen, von Hand filetiert, und 24 Stunden auf Papier getrocknet, bevor sie ins Öl kommen.
Reizvoll finde ich an den Anchovis, dass man sie nicht nur wie Fisch genießen, sondern wie ein Gewürz einsetzen kann. Ähnlich machen es die Schweden mit »Janssons frestelse«. »Janssons Versuchung« wäre nur ein normaler Kartoffelauflauf mit Sahne und Zwiebeln, wären da nicht die Anchovis, die das Gericht erst zur Versuchung machen. Allerdings sind die schwedischen Ansjovis eigentlich Ostseesprotten (Sprattus sprattus balticus) und nicht Sardellen (Engraulis encrasicolus). Sprotten sind keine Sardellen! Die beiden Sorten schmecken keinesfalls gleich.
Die berühmte Anchoviscreme der Fischer nutzt jedenfalls die Engraulis. Für so eine Anchoïade werden 300 g Anchovis in Öl, eine Knoblauchzehe, 20 g Kapern, Olivenöl, Essig und Pfeffer benötigt. Die Knoblauchzehe wird geschält, halbiert und damit das Innere eines Mörsers ausgestrichen, in dem dann die Anchovis nach und nach zusammen mit den Kapern zerdrückt werden. Sobald sie ordentlich püriert sind, wird etwas Essig hinzugefügt sowie ein wenig Olivenöl, dann rühren, bis sich eine homogene Masse ergibt. Mit Pfeffer, Salz und Essig abschmecken. Fertig! Schmeckt auf Brot oder als Würze zu frischen Gemüsen. Selbst andere Fische, wie etwa Rotbarben, können mit dem Püree gefüllt werden – nur bei der Dosierung sollte man vorsichtig sein.
Auch wenn die Konservierungstechnik die Jahrhunderte überdauert hat, änderten sich doch die Methoden des Fischfangs. Früher zogen starke Lampen die nach Licht strebenden, grünblauen Fische förmlich ins Netz. Der Fang war überschaubar. Heute laufen von April bis Mai sowie von September bis Oktober moderne Fischerboote aus. Der Anchovis-Fang ist im Interesse der Arterhaltung limitiert, über Fangquoten wird hart zwischen Spanien und Frankreich verhandelt.
Wer so wie ich aus einem Wurstparadies kommt – nirgendwo gibt es so viele Wurstsorten wie in Bayern, Österreich und Ungarn –, dessen Geschmacksknospen haben wie selbstverständlich ein vielfältiges Wurst-Feeling programmiert. Zumal die Namen einem europäischen Städteführer zur Ehre gereichen würden: Tiroler, Krakauer, Lyoner, Frankfurter – in Deutschland Wiener genannt –, Krainer, Debreziner, um nur ein paar zu nennen. Und die Wiener Würstlstände sind berühmt für Exoten wie Käsekrainer und »Burenhäutl«, denen der Volksmund so deftige Namen gegeben hat, dass man sie hier keinesfalls nennen kann. Außer in der Blut- und Leberwurst (mit Sauerkraut und gedünsteten, karamellisierten Apfelspalten ein Hochgenuss) wird jedoch meines Wissens und zu meiner Erleichterung eher selten mit Innereien gearbeitet. Die ja auch nicht jedermanns Sache sind. Da sind die Franzosen wohl mutiger als wir. Schließlich gibt es in Frankreich auch diesen hochgeschätzten Fisch, der – milde ausgedrückt – in Abwässern lebt und dessen Name mir einfach nicht mehr einfällt.
Hat diese französische Wurstspezialität irgendetwas mit dem von Kanzler Kohl international promoteten, berühmten »pfälzischen Saumagen« gemein?
Mit Saumagen nicht, aber immerhin mit Politik. Eine recht treffende Charakterisierung stammt vom französischen Politiker Édouard Herriot, Bürgermeister von Lyon. »Die Politik ist wie Andouilletes«, meinte er, »man muss den Dreck riechen können – nur nicht allzu kräftig.« Nur hat er eigentlich nicht Dreck gesagt, sondern ein Wort mit »Sch« am Anfang, das in Büchern über Essen weniger oft verkommt.
Das ist kein Wunder, denn die wichtigsten Bestandteile der Andouillette stammen heute allesamt aus Körperteilen des Schweins, die lebenslang mit Verdaubarem in Berührung kamen: Es sind sorgfältig gereinigte Schweinsdärme und/oder in Streifen geschnittene Schweinemägen. Früher wurden auch Innereien vom Kalb verwurstet, mit Aufkommen des Rinderwahnsinns hat man diese Praxis inzwischen mit einem Verbot belegt. Nur eine Ausnahme gibt es: den Rinderpansen.
All diese Innereien werden mit Zwiebeln, Petersilie, Salz und Pfeffer und eventuell anderen Kräutern gewürzt, gerollt und mithilfe eines Fadens wiederum in einen Schweinsdarm »gefädelt«. Danach kochen sie gute fünf Stunden in einer Court-Bouillon. Die Andouillettes werden meist gegrillt oder gebraten und oft in einer Senfsauce serviert. Zuweilen schmurgelt man sie auch in Rot- oder Weißwein.
Tatsächlich riecht so eine Andouillette oft gewöhnungsbedürftig herb. Allerdings schmeckt es keinesfalls nach Dreck, sondern streng nach Schwein, manchmal auch ein wenig rauchig.
Mir ist das Konzept der Andouillette sympathisch: Es geht darum, das ganze Tier, auch die weniger »edlen« Stücke einer sinnvollen und wohlschmeckenden Verwendung zuzuführen. In Deutschland sehen wir nur saftige Steaks und Koteletts in den Läden, nach Möglichkeit in Plastik verpackt, damit nichts uns daran erinnert, dass dieses Stück Fleisch von einem Lebewesen stammt. Wir alle können uns freilich darauf verlassen, dass die anderen Stücke nicht weggeworfen werden, sondern irgendwo versteckt untergemischt, meist in Würsten. Da ziehe ich doch die französische Mentalität vor: Die Andouillette ist eine Wurst aus Innereien, und dort, wo sie hergestellt wird, ist man darauf stolz.
Ansonsten ist es mit der Andouillette wie mit anderen Vertretern der Gattung Wurst, egal, wie sie heißen: Wurst ist nicht gleich Wurst.
Das »Atelier« eines der letzten legendären Andouillette-Metzger, »Vater« Duval aus Drancy, wurde 2007 an eine Wurstfabrik verkauft. Doch Nachwuchs steht bereit, jede ordentliche Metzgerei braucht eine Andouillette, über dessen Qualität die AAAAA wacht, die »Association amicale des amateurs d’andouillette authentique«, also die »freundschaftliche Vereinigung von Liebhabern authentischer Andouillettes«. Eine wirklich gute Andouillette bietet Bigot (15, place de l’Hôtel de ville, 60350 Pierrefonds, Frankreich).
Übrigens hat die Andouillette eine sympathische Cousine: Die Andouille, eine weitere Innereienwurst, die aber meist kalt verzehrt wird. Es gibt sie in verschiedensten Varianten. Fast wie Jahresringe im Baum wirkt die sorgfältig gerollte Andouille de Guémené aus der Bretagne. Sie wird über Eichen- und Buchenholz geräuchert und schließlich neun Monate getrocknet. Eine mittelständische Wurstfabrik in Plélan le Grand erzeugt eine besonders feine Variante: Die Guémenoise de l’Argoat à l’Ancienne ist eine besonders schlanke Innereienwurst mit einem »Herz« aus saftigem Speck. Schon wegen des verringerten Durchmessers wirkt dieses Stück Charcuterie deutlich weniger rustikal als andere Exemplare dieser Gattung. Es ist sozusagen die Einstiegsdroge in die Welt dieser Würste. Und es könnte all die Genießer überzeugen, die sich beim Lesen dieses Texts geschüttelt haben und das Zitat von Herriot partout nicht aus dem Kopf bekommen.
Wir überheblichen Menschen dichten den Tieren ja viele falsche Eigenschaften an. Den Esel zum Beispiel halten wir für dumm. Wogegen schon spricht, dass er störrisch sein kann – denn wer lässt sich schon bei klarem »Verstand« freiwillig Lasten aufpacken, die einen gar nichts angehen? So dumm kann er aber nicht sein, denn eine seiner Lieblingsfutterpflanzen ist die Distel. Und das hat er mit den Feinschmeckern auf zwei Beinen gemein. Die lieben die Artischocke wegen ihres unverwechselbaren Eigengeschmacks – und die gehört ja wohl in die Familie der Disteln.
Ich erinnere mich an eine Küchenpleite mit Artischocken, weil mir niemand sagte, wie ich mit dem »Stroh« umgehen sollte und ich nicht den Boden, sondern die fleischigen Blätter für das Nonplusultra hielt. Alles in allem eine ziemlich peinliche Angelegenheit.
Im Haushalt meiner Eltern gab es eine Hausbar, die wir Kinder schon deshalb interessant fanden, weil sie striktes Sperrgebiet war. Bis auf eine Flasche, auf der »Cynar« stand. Die Bitternis dieses Artischockenlikörs haben wir freiwillig gemieden und fanden, dass sie eigentlich in die Hausapotheke gehört.
In unserem heutigen Haushalt gibt es keine Artischockengerichte, weil mein geliebter Küchenmeister darauf quasi allergisch reagiert. Die verdauungsanregende Wirkung dieses Distelgemüses erzeugt bei sensiblen Mägen wie dem seinen eine Blitzrebellion. Muss am Bitterstoff liegen, der für die einen eine Köstlichkeit darstellt und für andere zu viel des Guten ist.
Solche disteligen Artischocken waren auch mir als Halbwüchsigem suspekt, weil ich selbst entscheiden musste, was denn nun essbar ist und was ich besser liegen lassen solle. Das hat mir den Genuss lange Zeit verdorben und mich der Artischocke gegenüber misstrauisch gestimmt. Aber wir beide sind da nicht allein: Von Personen, die sich leicht und an jeder Straßenecke neu verlieben, heißt es in Frankreich, sie hätten ein »Artischockenherz«, »avoir un cœur d’artichaut«. Dieses Gemüse hat halt nur einen delikaten Boden, aber viele Blättchen, an denen man unten ein wenig herumsaugen kann, erklärten mir Pariser Freunde. Personen mit einem Artischockenherz geben wenig, verteilen dieses Wenige aber auch noch an viele gleichzeitig.
Vielleicht habe ich mich deshalb besonders mit Artischockenböden angefreundet. Deren frische Bitternoten passen nämlich gut zur Gänseleberterrine. Ein Scheibchen davon auf einem Artischockenboden ist ein Genuss, das Gericht wurde schon von der berühmten Köchin Eugénie Brazier (1895–1976) aus Lyon serviert. Mit Artischockenböden, getrüffeltem Huhn und Hechtklößen kam der Erfolg: Mutter Brazier wurden 150000 Dollar Jahresgehalt im Waldorf Astoria in New York und eine Küche aus purem Gold bei einem indischen Maharadscha angeboten. Artischocken mit Gnocchi, Artischockenravioli und Artischockenrisotto sowie ein großer Teller Artischockenbouillon mit Steinpilzen setzten meine Bekehrung zur Distel fort.
Mit der Zeit habe ich dann auch gelernt, dass man beim Einkauf auf den Stängel der Artischocke achten muss. Wenn er sich leicht biegen lässt, ist die Artischocke bereits am Austrocknen. Bricht er, dann ist sie frisch. Auch ihre Blätter sollten beim »Falten« sofort brechen. Zu reife, »offene« Artischocken mit schwarz anlaufenden Blättern sind faserig und hart.
Außerdem sollte man den Stiel an der Tischkante mit einer festen Kreisbewegung abreißen. Wird er mit dem Messer abgeschnitten, können bittere Fasern im Herz verbleiben. Artischocken oxidieren ganz schnell, man sollte sie deshalb in Zitronenwasser tauchen und nach der Zubereitung zügig verzehren. Ein Artischockenherz wartet halt nicht gern lange auf seine Verehrer.
Wieder so ein exklusiver Meeresbewohner, der so manchem Binnenland fernsteht und Kopfzerbrechen macht – und ihn dadurch um einen großen Genuss bringt! Mir ging es zumindest lange so. Außer, dass man in einer Auster vielleicht eine Perle finden könnte, dass man sie nur in Monaten mit einem »r« essen dürfe und todkrank von ihnen werden kann, wusste ich nicht viel von ihnen. Und natürlich blies man mir das klassenkämpferische Argument in den Kopf, dass so etwas nur extrem reiche, dekadente Leute essen würden. So viel Geraune und Gewese um einen angeblichen Leckerbissen macht natürlich neugierig. Und irgendwann war es so weit – ich musste aus beruflichen Gründen an einem Austernessen teilnehmen. Wie immer, wenn ich etwas nicht kannte: Ich ahmte das Verhalten der anderen nach, war aber von den Pumpernickel-Butter-Dominos, die dazu gereicht wurden, mehr angetan, als von der sehr gewöhnungsbedürftigen Konsistenz der Schalenbewohner, die mir sogar einen leisen Ekel abnötigte. Mein Negativurteil stand also fest. Bis mir ein wohlwollender, weltmännischer Freund klarmachte, dass ich nur einem spießigen Vorurteil aufgesessen war. Er lehrte mich, wie man Austern genießt: Mit geschlossenen Augen dem Meeresgeschmack nachspüren, das Tier sich im Mund ausbreiten lassen und dann – zubeißen. Seitdem weiß ich, dass Austern eine delikate Ausnahme-Köstlichkeit sind. Wenn mich auch nach wie vor kurz irritiert, dass die Tierchen noch leben, während sie uns solchen Genuss bereiten. Küstenbewohner machen sich solche Gedanken wohl eher nicht, nehme ich an.
Dort am Meer schmecken sie auch am besten, ob auf Sylt, im bretonischen Cancale oder im irischen Galway. Die ursprüngliche europäische Auster ist übrigens flach und kreisrund. Fachleute kennen sie unter dem Namen Ostrea edulis. Ihre Bestände wurden durch den Bonamia Ostreae-Parasiten dezimiert. Zudem sind die »flachen Austern« ebenso empfindlich wie delikat und deshalb weniger transportgeeignet.
Zu Anfang des 20. Jahrhunderts wurden deshalb verstärkt portugiesische Austern der Sorte Crassostrea angulata gezüchtet. Ein Virus rottete die Angulata zwischen 1970 und 1972 in vielen Anbaugebieten fast ganz aus. Die japanische Sorte Crassostrea Gigas ersetzte sie in den Austernparks. Damals brach die Austernwirtschaft zusammen.
Die meisten europäischen Austern stammen also von der Gigas ab – doch auch vermeintlich identische Austern schmecken sehr unterschiedlich, je nachdem, in welcher Region und welchem Wasser sie gezüchtet wurden.
Fragiler, rarer und teurer sind die flachen, fast runden Austern, wie man sie oft in der Bretagne findet. Eben die ursprüngliche europäische Auster. Mir schmeckt sie am besten. Sie haben zuweilen – je nach Züchter – einen frisch-nussigen Beigeschmack und außerdem einen längeren »Abgang« als ihre rauschaligen, langen Vettern. Teuer sind sie schon deshalb, weil sie etwa fünf Mal langsamer als die Gigas wachsen. Nur ganz selten findet man Austern, die in der freien Natur außerhalb der Austernparks lebten. Sie können zu erstaunlichen Größen heranwachsen. Nicht umsonst nennen bretonische Austernfischer diese »großen Wilden« auch »Pferdefuß«. Ein solches Exemplar kann nur noch mit einem Steakmesser zerlegt werden. Ohnehin ist der Fang solcher Mega-Austern eigentlich verboten.
Wer Austern für zu Hause kauft, der muss sie mühsam öffnen, auch wenn es inzwischen einen patentierten Schlingenverschluss gibt. Professionelle Austernöffner haben da buchstäblich den Dreh heraus, wie sie den schließenden Muskel mit dem stumpfen Austernmesser durchtrennen. Laien sollten besser ganz solide Handschuhe beim Öffnen tragen: Austernschalen sind scharf. Und: Austern »gähnen«, können sich also unversehens von sich aus öffnen. In solchen Momenten kann das Messer abrutschen, und es besteht akute Verletzungsgefahr.
Direkt nach dem Öffnen sollte man das innen angesammelte Wasser abgießen und die Schalentiere ein wenig ruhen lassen. Das während der Wartezeit wieder austretende Wasser schmeckt nämlich wesentlich besser als sein »Vorgänger«.
Vorsicht bei nicht fest verschlossenen Austern, bei gelb verfärbten Schalen oder bei grüngelb verfärbtem Fleisch. Auch Austern, die spielend leicht zu öffnen sind, sind im Abfalleimer am besten aufgehoben. Wahrscheinlich sind sie während des Transports abgestorben.
Ganz, ganz frische Austern halten ohne Weiteres ein paar Tage im Salatfach des Kühlschranks, bei 4–5° aufbewahrt – sofern sie gut verschnürt sind, um sie vom »Gähnen«, also dem Öffnen der Schalen, abzuhalten. Nur auf einem Bett aus gestoßenem Eis sind sie nicht gut aufgehoben, auch wenn zahllose Brasserien ihre Meeresfrüchteplatten derart anrichten. Geeiste Austern leiden nämlich im Geschmack, ebenso wie zu stark erhitzte: Wer seine Austern nicht roh, sondern zubereitet genießen möchte, sollte deshalb darauf achten, sie nur warm und nicht etwa heiß werden zu lassen, sonst schmecken sie kautschukartig.
Auch wenn viele Restaurants in Meeresnähe Zitrone, Schalottenessig und Pfeffer zu ihren Austernplatten reichen, schmecken die Meerestiere roh und naturbelassen am besten. Dazu passt eine Prise Pfeffer, leicht gesalzene Butter und Roggenbrot.
Nun geistert beim Thema Austern ja auch noch immer die Regel von den Monaten mit »r« herum, in denen man sie verzehren soll. Was daran liegt, dass die Paarungszeit der delikaten Schalentiere in die »r«-losen Monate fällt und sie währenddessen manchmal etwas »milchiger« schmecken und magerer ausfallen. Diese Regel gilt als überholt, und das aus gutem Grund. Heute gelangen oft »triploide Austern« auf den Markt. Das sind vermehrungsunfähige Schalentiere mit drei Chromosomensätzen, die folglich auch nicht laichen. Großhändler werben damit, solche Austern schmecken »das ganze Jahr über perfekt«.
Das Schreckenswort von der »genetischen Manipulation« findet man bei Anbietern von Triploiden natürlich nicht. Es heißt, die Vermehrungsunfähigkeit entstehe durch »gezielte Förderung der Erhöhung der Chromosomensätze«.
Ohnehin steht die moderne Auster am Ende einer komplexen Wertschöpfungskette, die nicht nur den Züchter und den Händler leben lässt. Jungaustern, die »naissaince«, werden von Spezialisten, sogenannten Ecloseurs und Naisseurs, verkauft, wandern dann oft zu den demi-éleveurs, den »Halb-Züchtern«, bevor sie in die Bassins der endgültigen Zucht kommen. Die heißt »Affinage«, also »Verfeinerung«. Austern legen also im Laufe ihres Lebens beträchtliche Strecken zurück – in LKWs.
Dennoch ist es harte, körperliche Arbeit, Austern zu züchten. Die Schalentiere müssen zwei, drei Jahre wachsen, bis sie auf unseren Tellern landen. Derart lange Wartezeiten gibt es nur bei ganz wenigen Zuchttieren. Währenddessen müssen die Austernparks gepflegt werden – und die Züchter sind den Widrigkeiten der Natur ausgeliefert: Mehr als acht Milliarden Jungaustern hatten an Frankreichs Küsten 2008 ein schnelles Ende gefunden. Die französische Austernbranche, die größte in Europa und die viertgrößte der Welt nach China, Japan und Südkorea, stand plötzlich vor dem Ruin. Was das für Europas Austerngenießer heißt, zeigen die nackten Zahlen: Frankreich produziert etwa 130000 Tonnen, Irland hingegen nur 6500. Im Januar 2011 machten sich die Schalentiere rar. Es kam zur Austernknappheit. Gegenwärtig wird der Import chinesischer Austern diskutiert. Im Reich der Mitte werden nämlich pro Jahr vier Millionen Tonnen geerntet.
Die Suche nach den Ursachen für Europas großes Austern-Ableben geht währenddessen eher langsam voran: Laut dem Ifremer-Institut (Institut français de recherche pour l’exploitation de la mer – Französisches Forschungsinstitut für Meeresnutzung) macht ein Virus der rauschaligen Auster, Typ Crassostrea Gigas, zu schaffen: OsHV-1 heißt es. Eine Art »Austern-Herpes«. Zusätzlich geschwächt werden die Austern durch ein Bakterium namens Vibrio splendidus. Für deren Gedeihen wiederum sorgte ein milder Winter und ein warmer, regenreicher Frühling. Durch die Wetterlage soll auch der Lebenszyklus der Auster gestört worden sein, heißt es bei Ifremer. Mangel an winterlicher Ruhe und starkes Wachstum im Frühjahr 2008 hätten zur rapiden Reifung der Schalentiere geführt. Und noch schließen die Experten nicht aus, dass weitere, bisher nicht identifizierte Faktoren wie Umweltgifte oder Toxine aus Algen und Bakterien eine Rolle bei der Verbreitung des Austernvirus gespielt haben. Nach der Edulis und der Angulata scheint jetzt auch die Austernsorte Gigas zumindest in Europa gefährdet.
Avocadocreme ist etwas Wunderbares. Vorausgesetzt, sie ist nach dem Halbieren an der Luft nicht braun und bitter geworden – und richtig gewürzt. Meine Großmutter hat noch den Begriff »Butterbirne« für diese herrliche Gemüsefrucht benutzt, konnte ihr aber nie viel abgewinnen, weil der Eigengeschmack dieser »Birne« sehr zurückhaltend ist – sie läuft erst durch Gewürze zur Hochform auf. Wir nutzen sie beispielsweise vorwiegend püriert für Salatsaucen. Seit mir eine südamerikanische Bekannte erzählte, dass man bei ihr zu Hause in Brasilien Milchshakes mit Avocadocreme macht und in Thailand sogar Süßspeisen, bin ich überzeugt davon, dass wir von den Möglichkeiten der Avocados viel zu wenig wissen.
Vielleicht liegt diese Hilflosigkeit der Avacodo gegenüber auch in unserem Kalorienzähler-Zeitalter begründet, denn sie enthält zwar die empfohlenen gesunden Fettsäuren, aber ihr Fettgehalt insgesamt passt schlecht in einen Diätplan. Deshalb nehmen die meisten Frauen Avocados via Kosmetik über die Haut auf. Ganz ohne Beteiligung des Gaumens. Aber vielleicht sind wir einfach noch nicht auf den richtigen Geschmack gekommen? Von einer Hass-Avocado habe ich noch nie gehört.
Lange, lange war auch ich für Avocados nicht zu begeistern. Bis ich in Mexiko einmal eine richtig gute Guacamole, also eine Art Avocadopüree, gekostet habe. Ab sofort mochte ich sie – meiner Meinung nach passt sie hervorragend sowohl zu grüner Zitrone und Koriander als auch zu Lachs, Krabbe, Kaisergranat und anderen Meeresfrüchten. Ich kenne auch Menschen, die auf Schokolade-Avocado-Desserts schwören, etwa als Schokomousse mit Bananen- und Avocadocreme.
Ursprünglich stammt die Avocado aus Südmexiko. Die Azteken bauten sie an, die Spanier brachten sie nach Europa. Die Frucht (korrekterweise sollte man wohl Beere sagen, aber das klingt irgendwie angesichts der Größe merkwürdig) reift nicht am Baum, sondern fällt noch hart zu Boden. Entsprechend sollte man lieber feste als zu weiche Avocados kaufen. Die Früchte reifen zu Hause nach, und man kann ihre Reifung sogar beschleunigen, indem man sie zusammen mit einem reifen Apfel einige Tage bei Raumtemperatur in einer Papiertüte ruhen lässt. Das Ethylen, das natürliche »Reifegas« des Apfels, macht die Avocado gewissermaßen »küchenfertig«. Zum Entfernen des fest sitzenden Kerns schneidet man die Frucht entzwei, sticht mit einem spitzen Messer direkt in den Kern und zieht ihn langsam heraus. Achtung: Die Avocado oxidiert schnell, wird also im Nu schwarz. Genau wie bei anderen Früchten kann man diesen Prozess mit ein wenig Zitronensaft verzögern.
Die Hass-Avocado ist einfach eine botanische Variante: Sie ist kleiner als ihr »Konkurrent«, die Sorte »Fuerte«, und eher rundlich. Ihre Schale ist warzig und dick. Ihren Reifegrad kann man nicht ertasten, sie verrät ihn jedoch durch ihre Farbe: Eine dunkelviolette Hass ist reif. Solche Avocados wiegen zwischen 140 und 350 Gramm und gelten als besonders aromatisch.
Ihren Namen bekam die Frucht durch Rudolph Gustav Hass (1892–1952) aus Milwaukee, Wisconsin. Hass, den all seine Freunde Rudie riefen, arbeitete als Vertreter, verkaufte Socken, Krawatten und Waschmaschinen von Tür zu Tür. Vom Militär war er aufgrund seines schwachen, vergrößerten Herzens ausgemustert worden. Irgendwann bekam er einen Job im Pasadena Post Office. Doch Rudie träumte den American Dream. Wie sollte er auch mit 25 Cents Stundenlohn seine geliebte Elizabeth durchbringen? Seine Enkelin Cindy erzählte später, wie er eine Zeitungsanzeige mit einem Avocadobaum voller Dollarscheinen sah. Rudie investierte also in ein paar Fuerte-Avocadobäume und ein wenig Land. Wenig später züchtete er seine eigenen Setzlinge und pfropfte deren Zweige auf die Fuertes auf. Drei Bäumen freilich wollten ihren Pfropfen nicht annehmen. Also versuchte Rudie es noch einmal. Nur ein Baum stieß den Pfropfen wieder ab. Rudie war jetzt ernsthaft sauer und wollte den Baum schon fällen lassen. Zum Glück hörte er auf den Rat eines erfahrenen Gärtners: »Das ist ein guter, starker Baum. Lassen Sie ihn stehen und warten Sie ab, was daraus wird«, riet er. Tatsächlich passierte etwas, nämlich eine natürliche Mutation. Der erste Hass-Avocado-Baum produzierte Früchte in jüngerem Alter als die Fuertes; zudem waren sie wohlschmeckender. Das meinten zumindest Rudies Kollegen im »Post Office«, die zu seinen ersten Kunden wurden. Familie Hass verkaufte die neuen Avocados an einem Straßenstand 430 West Road in La Habra, Kalifornien. Zudem wurden sie vom »Model Grocery Store« in Pasadena zum obszönen Preis von einem Dollar pro Stück verkauft. Ein Dollar – das war damals das Nahrungsmittelbudget einer Familie für gut vier Tage. Die Köche der wohlhabenden Familien aber verlangten regelmäßig nach den leckeren Früchten. Im Jahr 1935 gelang es Hass, den Baum, der seinen Namen trägt, zu patentieren. Es war das erste Patent auf einen Baum in den USA und damals eine eher lachhafte Vorstellung. Bauern kauften einen Hass-Avocadobaum von Mr. Brokaw, der die jungen Bäume züchtete. Dann propften sie ihren gesamten Bestand mit Zweigen dieses einen Baumes auf – der American Dream vom Reichtum war für Rudie ausgeträumt. Gerade mal 5000 $ verdiente er mit den Lizenzen des Patents. Später, im Jahr 1948, wollte er es noch mal wissen, bepflanzte 80 acres (320000 m²) mit Avocadobäumen. Doch es stand nicht gut um sein Herz. Rudie wusste das seit Langem und soll, laut seiner Enkelin, vom Tag der Patenterteilung an jeden Abend gebetet haben, dass Gott ihn so lange am Leben lassen möge wie er die Rechte an seinem Baum besaß. Die Patentrechte waren auf 17 Jahre begrenzt. Hass starb einen Monat nach Auslaufen des Patents an Herzversagen, als seine Bäume in Fallbrook das erste Mal Avocados trugen. Seine Frau Elizabeth hingegen wurde 98 Jahre alt und lebte von Rudies Postler-Rente. Jeden Tag soll sie mit einem Toast oder einer Waffel mit Avocado begonnen haben. Der allererste Hass-Avocado-Baum aus Rudies Garten wurde am 11.9.2002 im Alter von 76 Jahren gefällt und sein Holz zu Schmuckstücken verarbeitet.
Rudies Geschichte zeigt wieder einmal, dass ehrliche, hart arbeitende Menschen vom Schicksal nicht immer belohnt werden, auch wenn Hollywood, relativ nahe am ersten Hass-Avocado-Baum gelegen, permanent das Gegenteil behauptet. Schwummrig wird mir jedenfalls angesichts der Tatsache, dass die Genmanipulatoren unserer Tage von Zeit zu Zeit Rudies Patent ausgraben – um zu zeigen, dass Bäume patentierbar sind.
So einen hab ich noch bei keinem Fischhändler zu Gesicht bekommen und auch noch nie einen gegessen. Auch nicht im Urlaub. Die Tierchen sind wohl sehr selten? Oder kommen zumindest von weit her?
Die Bilder, die ich von diesem Verwandten der Langusten im Internet gesehen habe, zeigen ein eher unauffälliges, graubraunes Tier ohne Scheren und Fühler, das einem kleinen Spielzeug-Schaufelbagger ähnelt und keinen Schönheitswettbewerb unter den Meerestieren gewinnen würde.
Aber wohlschmeckend ist dieser Bär unter den Salzwasserkrebsen wohl, sonst wäre er nicht so geheimnisumwittert und begehrt?
Eigentlich sieht er ja wie eine verstümmelte Meeres-Kakerlake aus, der Bärenkrebs. Keine Schere, kleine Antennen, aber Schaufeln vorn, mit denen diese Tierchen tatsächlich in Sand und Schlamm graben sollen. Dieser Krebs ist mein liebstes Krustentier. Am ehesten kann man ihn noch mit der Languste vergleichen, auch wenn er mir feiner im Aroma vorkommt. Ich selbst habe bisher nur drei Mal Bärenkrebse verspeisen können. Die kamen, wenn ich dem jeweiligen Wirt trauen darf, nicht von allzu weit her, sondern wurden im Mittelmeer gefangen. Man kann ihn grillen, braten, pochieren, backen. Doch mein erster »Bärenkrebs«-Koch hat mir versichert, dass dieses rare Tier, in Salzwasser gekocht und pur genossen, verändert (das Wörtchen »verfeinert« spare ich mir einmal) höchstens durch eine Spur Zitrone, am allerbesten schmeckt. Ich teile diese Ansicht spätestens, seit ich die aufdringliche, intensive Sauce von meinem zweiten Bärenkrebs schabte. Krebs Nummer drei kam gegrillt, übergossen mit brauner Butter und schmeckte mir ehrlich gesagt wieder genau so gut wie der erste.
Ab und zu verteuert er in Edellokalen die Fischsuppe, Bouillabaisse. Dann wird er, gemeinsam mit Zwiebeln und Tomaten, Fenchel, Knoblauch und Lorbeer, dazu Drachenkopf, drei weiteren Felsfischen aus dem Mittelmeer, ein paar Resten von Seeteufel und Petersfisch geköchelt. Aber dafür ist der Bärenkrebs eigentlich viel zu schade.
Das Tierchen geht den Fischern im Mittelmeer nämlich viel zu selten ins Netz, und gezüchtet werden die Krebse bisher nicht. Schon deshalb ist der Bärenkrebs auch teurer als Hummer und Languste. Rar war er schon immer: Maguelone Toussaint-Samat, eine zur Kochbuchautorin konvertierte französische Romancière, outete ihn einmal als Lieblingsspeise des Apicius, des großen Koches der römischen Antike, der Augustus und Tiberius gedient haben soll: »Apicius persönlich liebte nichts so sehr wie … Bärenkrebse … Als er erfuhr, dass man in Tunesien solche findet, die größer als eine Hand sind, mietete unser Gourmet ein Boot und steuerte trotz Unwetters mit vollen Segeln auf die afrikanische Küste zu«, heißt es in ihrem Buch »Histoire naturelle et morale de la nourriture«.
Rein wissenschaftlich gesehen gehört er zur Gattung der Scyllaridae. Nun hat der Bärenkrebs von Afrika bis zum Pazifik wohlschmeckende Vettern. In Australien etwa heißen sie Balmain Bugs (Ibacus peronii) oder Moreton Bay Bugs (Thenus orientalis), frei übersetzt also »Käfer aus der Bucht«. Die Letzteren gelten »down under« als die bessere Variante, schließlich wird den Balmains ein Beigeschmack von Knoblauch nachgesagt. Tiefgefroren gibt es die Krebse inzwischen auch in Deutschland, wenn auch meist nur auf Vorbestellung.
Den »Hesperiden«-Essig, den es in meiner Kindheit in jedem Haushalt gab und der – zumindest in meiner Erinnerung – fast so scharf roch wie ein Putzmittel, verwende ich heute nur zum Entkalken von Wasserhähnen und Brauseköpfen. Mit Essigdressing dieser Provenienz kann man jedem Tischgenossen den Verzehr von Salat fürs Leben verderben. Als ich zum ersten Mal den Wiener Naschmarkt besuchte, stand ich staunend vor dem berühmten Essigstand mit den über hundert verschiedenen Sorten. Inzwischen ist es modern geworden, Essig selbst aus Früchten anzusetzen – vorausgesetzt, man kann sich für Himbeergeschmack an Rapunzel oder Ruccola erwärmen.
Seit ich weiß, wo der herrlich süßsaure Balsamico herkommt, der mit herkömmlichem Essig so gar nichts zu tun hat, fahre ich auf dem Weg in den Süden mit anderen Augen durch die Emilia-Romagna. Denn inzwischen weiß ich, dass nicht nur Don Camillo und Peppone von dort kommen, sondern da auch die besten Essigmacher der Welt zu Hause sind. Da geht es noch um etwas – um altes Handwerk nämlich. Um Fässer aus verschiedenen Holzsorten, die den Geschmack beeinflussen, um die Temperaturen der vier Jahreszeiten und um viel Zeit und Geduld. Deshalb handelt es sich da auch nicht um Fabriken, sondern um Manufakturen. Trotzdem gehe ich davon aus, dass das, was uns in den Supermärkten als Balsamico angeboten wird, mit ehrlichem Balsamico traditioneller Art nichts zu tun hat. Stimmt’s?
Stimmt. Für die Farbe sorgt Zuckercouleur, in den Flakon kommen Weinessig sowie eingedickter Traubensaft, manchmal auch Aromastoffe. Fertig ist der Billig-Balsamico. Besonders großzügige Hersteller können sogar ein paar Tröpfchen echten, wenn auch minderwertigen Balsamico ins Glas geben. Das alles ist legal, denn das Wörtchen Balsamico ist nicht geschützt. Für Italiener ist solcher Balsamico übrigens ein »Condimento«, ein Würzmittel. Doch es geht auch anders, denn echter Balsamico ist ein ganz besonderer Saft: Das »flüssige Gold« Italiens wird aus dem gefilterten, erhitzten Most von Trebbiano-Trauben gewonnen. Zwei Zutaten sind zwingend erforderlich: Zuerst viel Geduld, denn guter Balsamico reift nur mit der Zeit. Und dann natürlich Wissen um den traditionellen Herstellungsprozess: Balsamico wandert mit den Jahren in immer kleinere Fässer aus Eichen-, Kastanien-, Kirsch-, Eschen- und anderem Holz, durchlebt kalte Winter und heiße Sommer. Kleine Hersteller lagern solche Fässer tatsächlich noch auf dem Dachboden. Zwölf, 25 oder gar 50 Jahre kann der Balsamico warten, er verdirbt nicht, wird aber sirupartig, tiefdunkel und schmeckt mit zunehmendem Alter ein wenig süßlicher. Nach 20 Jahren fachgerechter Lagerung verbleiben von ursprünglich 70 Litern Most gerade mal drei Liter Balsamico.
Lassen Sie sich nicht von Designerflaschen oder wunderbar gestalteten Etiketten täuschen: Auch »Aceto Balsamico di Modena« mit Gütesiegel enthält nur zehn Prozent Balsamessig, der zehn Jahre oder älter ist. Die bessere Qualität heißt »Aceto Balsamico Tradizionale di Modena« (oder Reggio Emilia). Solche Balsamessige haben mindestens zwölf Jahre im Fass verbracht. »Extra vecchio« ist sogar 25 Jahre alt. Leider haben die Väter oder Großväter der heutigen Balsamico-Macher den Boom nicht kommen sehen und nur wenig davon auf Lager gelegt.
Einmal pro Jahr richtet die Consorteria dell’Aceto Balsamico Tradizionale di Modena eine große Verkostung aus. 2010 siegte Stradi Tosca aus Modena vor Manni Marco aus Formigione. Im Jahr davor hieß die Gewinnerin Nadia Tagliazucci, sie stammt aus Spilamberto. Und 2008 gewann Simonetta Campioli aus Formigione diese »Palio di San Giovanni« genannte Verkostung vor Enrico Parmiggiani aus Spilamberto. Man kann über den Sinn und Unsinn solcher Verkostungen trefflich streiten. Klar ist aber, wenn man sich die Reihe der Gewinner ansieht: Die meisten von ihnen sind kleine Handwerker. Viele der besten Balsamicos sind nur vor Ort zu bekommen – schon deshalb, weil sie nur in kleinsten Mengen existieren.
Balsamico verfügt über ein reiches, tiefes Aromenspektrum. Soll heißen: Nicht jeder Essig schmeckt gleich. Probieren Sie ihn zuerst im Naturzustand auf einer Löffel- oder Messerspitze, um den Geschmack einzuschätzen. Und kaufen Sie vielleicht zwei Sorten. Eine für den Alltag – es muss ja kein »condimento« sein – und eine Spitzenqualität. Zwar führt jeder Supermarkt und jede Feinkostabteilung inzwischen ein ganzes Regal Balsamicos, an der fachgerechten Beratung hapert es jedoch meist.
Ein kleiner Mannheimer Händler, Rolf Merkle, hat ein Buch über Balsamessige geschrieben und verlegt. Er vertreibt einige wenige ausgewählte Balsamicos zu Literpreisen zwischen 500 und 1400 Euro. Sie stammen z. B. von der Acetaia di Giorgio in Modena. So kann Ihnen der Umweg nach Mannheim die Fahrt nach Modena ersparen.