Don't worry, be Oldie - Margit Schönberger - E-Book

Don't worry, be Oldie E-Book

Margit Schönberger

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Beschreibung

Die Zeit, in der man morgens ins Büro hasten musste, ist vorbei. Die Zeit, als einem die Männer auf der Straße nachpfiffen, leider auch. Die Kinder sind aus dem Haus, und endlich kann man sich wieder um sich selbst kümmern. Unversehens ist man in jenen gewissen Jahren angekommen, in denen man als Frau nicht mehr nach dem Alter gefragt wird. Margit Schönberger weiß, wovon sie spricht – und mit einem Augenzwinkern und höchst persönlichen Rückblicken macht sie sich auf eine Entdeckungsreise ins Oldieland. Und siehe da: Das Älterwerden bietet auch ungeahnte Möglichkeiten. Da ist plötzlich eine wiedergewonnene Freiheit, die sich für die Erfüllung langgehegter Träume nutzen lässt. Da ist ein Schatz von Erfahrungen, der zu einer großen Gelassenheit verhilft. Und nicht zuletzt das Wissen darum, was einem im Leben wirklich wichtig ist.

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Seitenzahl: 204

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Margit Schönberger

Don’t worry, be Oldie

Endlich nichts mehr müssen müssen

Knaur e-books

Inhaltsübersicht

MottoStatt eines Vorworts1. Kapitel2. Kapitel3. Kapitel4. Kapitel5. Kapitel6. Kapitel7. Kapitel8. Kapitel9. Kapitel10. Kapitel11. Kapitel12. Kapitel13. Kapitel14. Kapitel15. Kapitel16. Kapitel17. Kapitel18. Kapitel19. KapitelStatt eines Nachworts

 

 

 

Über das Älterwerden denke ich genauso wie über den Tod: Ich bin strikt dagegen.

Woody Allen

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Statt eines Vorworts

Ein paar Worte vorab, damit Sie entscheiden können, ob Sie weiterlesen wollen

Das Wort »Oldie« ist von Werbeleuten aus dem Englischen entliehen worden, weil es so viel weicher und charmanter klingt als unser deutsches Wort dafür: »Alter« oder »Alte« wird zwar oft kumpelhaft untereinander von jungen Leuten verwendet – wenn aber tatsächlich wir ältere Menschen gemeint sind, hat es gelegentlich einen abfälligen Unterton. Aber selbst das Wort »Oldie« wird von vielen (meist jungen, von sich selbst ausgehenden) Marketingexperten nicht sonderlich geschätzt, denn sie glauben, dass in Wahrheit niemand ein Oldie sein will.

Da ich selbst ein Oldie bin, sehe ich das Ganze etwas entspannter. Zwangsläufig. Zumal ich weiß, dass man tatsächlich so alt ist, wie man sich fühlt oder, besser ausgedrückt, wie man sich selbst »programmiert«. Mit dreißig oder vierzig gab es Tage, da habe ich mich nach durchgemachten Nächten gefühlt wie »eine Hundertjährige« (auch wenn ich nicht aus dem Fenster stieg). Dass ein Buch mit dem Wort »hundertjährig« im Titel ein Bestseller werden kann, beweist eigentlich schon, dass Oldie ein Schmusewort ist. Denn hundert Jahre alt zu werden wünscht sich wahrscheinlich nur ein in der Wolle gefärbter Superoptimist. Oder ein Operettensänger. Die schießen ja schon gern mal übers Ziel hinaus …

 

Ich habe lang nicht gemerkt, dass ich Oldie geworden bin. Ein paar da und dort auftretende Altersflecken gingen immer noch als Sommersprossen durch, und von Falten werden so kleine, übergewichtige Speckmäuse wie ich ohnedies länger verschont als stromlinienförmige Idealfiguren. Es sind eben meist nicht die Äußerlichkeiten, die die neue Lebensära einläuten.

Als mir eines Tages auffiel, dass ich mit dem modernen »Liedgut«, sprich Schlagern, häufig so gar nichts mehr anfangen konnte, da kam ich das erste Mal ins Grübeln. Ich war offenbar nicht mehr auf dem Laufenden. Als ich allerdings bemerkte, dass es sich gar nicht lohnt, in Bezug auf Musik unbedingt »in sein« zu wollen, war ich wieder beruhigt.

Ähnlich ging es mir beim Friseur. Was mir da in den bunten Blättern als Prominenz serviert wurde, kannte ich zum größten Teil nicht. Schnell stellte ich fest, dass es gar keinen Sinn hatte, sich die Namen der Leute zu merken (die sich übrigens alle erstaunlich ähnlich sehen, so als seien sie verwandt), weil ihre Bekanntheit eine verblüffend geringe Halbwertszeit hat, da war ich wieder beruhigt.

 

Als man mir in der Apotheke ständig Vitaminprodukte empfahl, die »ab einem bestimmten Alter« unabdingbar seien, und ich beim Einkaufen ständig als »gnädige Frau« angesprochen wurde, ging mir zum ersten Mal richtig auf, dass ich offenbar in eine andere Altersliga eingetreten war. Früher hat mir kein Taxifahrer die Tür aufgerissen und meine Einkaufstüten im Kofferraum oder auf der Rückbank verstaut. Dass ich mich in der Parfümerie freiwillig zu Tiegelchen führen ließ, die an »die reife Haut« adressiert waren, war wohl eine Folge dieser veränderten Außenwahrnehmung. Alles kein Problem, man muss es nur zur Kenntnis nehmen, verinnerlichen und verdauen.

 

Als ich bemerkte, dass ich Jüngeren gegenüber Sätze von mir gab wie »Aber was erzähle ich da, das können Sie ja gar nicht mehr wissen, dafür sind Sie ja viel zu jung!«, da war ich das erste Mal ein wenig erschrocken. Dafür erfreute ich mich an meinem neu erwachten, erfreulich wahrnehmbaren Qualitätsbewusstsein und bemerkte, dass damit eine nicht zu unterschätzende Konsumentenmacht verbunden ist. Dass ich jetzt die Schwelle zum Oldie-Dasein überschritten hatte, war mir klargeworden. Aber auch, dass wir mit der »reifen Haut« Einfluss nehmen können, und zwar nicht zu knapp. Genießer wie wir sorgen dafür, dass das gute Handwerk überleben kann, dass es noch richtige Metzger, Bäcker und Gemüseläden gibt. Und Hersteller von Kleidern und Schuhen, die nicht nach zwei Wochen schon aussehen, als hätte man wochenlang im Biwak geschlafen und das Erdenrund zu Fuß abgegangen. Alles Sachen, die nicht das Wegwerfwort »Klamotten« verdienen.

 

»Geiz ist geil«-Sprüche und was sonst noch mit erhöhter Lautstärke aus dem TV-Gerät brüllt, prallt an Oldies ab und auch vieles andere. Infotainment nennt man das, was heutzutage als Nachricht verkleidet ist. Sogar der Wetterbericht muss unterhaltend sein. Da entdeckt unsereins plötzlich, nach so vielen unkritischen Jahren, dass die Fernbedienung auch einen Knopf zum Ausschalten hat. Und dass es auch tatsächlich noch Zeitungen gibt, die nicht nur von klugen Köpfen gemacht, sondern von solchen auch (sogar online) gelesen werden können.

Womit ich mich nicht als TV-Hasser outen will – im Gegenteil. Ich genieße es, endlich zugeben zu können, dass ich den Vorabendkrimi als zum Tag gehörig empfinde und dass ich am Nachmittag gelegentlich bei einer Soap entspanne. Endlich bedeutet es keinen Imageverlust mehr für mich, dass die mit mir älter gewordene »Lindenstraße« das Vorprogramm für den »Weltspiegel« und den »Tatort« ist. Nur die Nachrichtensendungen sind in ihrer Häppchenhaftigkeit ein zunehmendes Ärgernis. Wenn es das Internet nicht gäbe oder die Zeitung, könnte man mit den meisten Informationen nichts anfangen. Das wissen wir Oldies, allerdings sind wir im Zweifel, ob es der jüngere Rest der Bevölkerung genauso weiß. Eine Beunruhigung, die leider durch so manchen Talkshow-Teilnehmer und seine Äußerungen bestätigt wird.

 

Die neue Ära hält aber auch viele positive Überraschungen bereit. Wenn man beispielsweise entdeckt, dass weder die Welt zusammenbricht noch ein Nervenstrang reißt, sobald man beschließt, das Handy einfach mal klingeln zu lassen. Und feststellt, dass es ebenso wie der Fernseher einen Knopf zum Abstellen hat. Auch das Neinsagen kann die pure Lust erzeugen und ein ganz neues Gefühl von Freiheit. Genauso die Entdeckung, dass man sich nur mehr mit Dingen und Projekten beschäftigt, die einen wirklich interessieren. Sich Luft zu verschaffen, indem man Überflüssiges und längst Überholtes aus dem Haus schafft, kann ebenfalls ungeahntes Vergnügen bereiten. Und es beweist, dass das Sprichwort stimmt – weniger kann sehr viel mehr sein.

 

Eine der Überraschungen ist übrigens, dass man trotz des ständigen Mediengeschwätzes über »Senioren«, die »Alterspyramide« und altersbedingte Krankheiten viel näher an den Jungen dran ist, als aufgrund dieser ständigen, unausgewogenen Berieselung anzunehmen ist. Auch Oldies sind für die Erhaltung der Natur, für erneuerbare Energien, wollen, dass die eigenen Kinder und Enkel gute Schul- und Ausbildungschancen haben, dass sie in zukunftsfähigen Berufen ordentlich bezahlt werden. Auch Oldies sind dagegen, dass Lebensmittel im Autotank landen und virtuelles Geld (hinter dem keine reale Wertschöpfung steht) um den Globus saust, dass jeder Finanzhai für das angerichtete Unglück auch noch mit Millionen belohnt wird und wir auf Kosten der Menschen in der Dritten Welt leben. Kurzum, wir Oldies haben nicht nur unsere Renten und das eigene Wohl im Sinn. Gerade wir, die wir die Welt noch in einem besseren Zustand kennengelernt haben, wollen, dass sie lebenswert bleibt, und hängen nicht dem Motto »nach uns die Sintflut« an. Das verbindet uns mit allen Jungen, und damit schließt sich der Kreis des Lebens. Es ist leicht zu durchschauen, wem es dient, wenn man Alt und Jung gegeneinander ausspielt und aufhetzt. Gegen diese Kräfte müssen wir lernen aufzubegehren. Und das ist gar nicht so schwer, denn noch nie war eine Oldie-Generation so fit und geistig auf dem Damm wie die unsere.

 

Eigentlich ist es schade, dass wir erst jetzt, im Älterwerden, herausfinden können, wer wir eigentlich sind und wer wir sein wollen. All die Jahre, während Karriere und Vorwärtskommen im Mittelpunkt unserer Interessen standen, waren wir so sehr mit dem Anpassen und den Masken beschäftigt, die wir aufgesetzt haben, um nicht negativ aufzufallen, dass wir uns selbst kaum kennenlernen konnten. Wer sich jetzt traut, genauer hinzuschauen, wird ganz neue Seiten an sich entdecken und die erstaunliche Tatsache zur Kenntnis nehmen können, dass wir in der Lage sind, uns auch als Oldies ständig weiterzuentwickeln.

Natürlich ist nicht alles lustig, was uns Oldies widerfährt. Da und dort tut gelegentlich etwas weh, und es gibt öfter etwas zu »reparieren«. Wie auch bei echten, kostbaren Oldtimern. Es ist nicht ganz einfach, damit immer gut gelaunt umzugehen. Wogegen man allerdings angehen kann und muss, das ist, schon im Vorfeld Angst davor zu haben. Angst auf Vorrat ist unserer Lebenserfahrung nicht würdig. Den Kopf oben zu behalten und ihn vor allem zum Denken und Nachdenken zu benutzen, das ist oberste Oldie-Pflicht. Die grauen Zellen werden es uns danken und unseren Körper so gut wie möglich bei Laune halten. Damit wir der Welt weiter mit offenen Augen und Ohren begegnen können. Auch wenn uns der Optiker und der HNO-Arzt dabei ein wenig unterstützen müssen.

 

Die ungewöhnlichste, aber wohl wichtigste Neuerung für Oldies ist die zunächst banal erscheinende Erkenntnis, dass wir da sind, weil wir dazugehören und Teil der Welt sind. So wie Frühling, Sommer, Herbst und Winter. Dass wir nicht die Krone der Schöpfung sind, sondern aus demselben Stoff wie die Pflanzen und Tiere, die mit uns auf dieser Erde leben. Sie haben alle – genau wie wir – ihre Zeit und sind dem Kreislauf von Werden und Vergehen unterworfen. Das Leben und seine Phasen so zu betrachten haben wir leider nicht rechtzeitig gelernt, in unserer vom Jugendwahn getriebenen Zeit. Aber solange wir da sind, sollten wir uns am Leben erfreuen und es genießen, so gut wir können. Das mag nicht an jedem Tag gelingen, aber versuchen sollten wir es. Es lohnt sich. Denken Sie nur an die Farbenpracht und Schönheit des »Indian Summer« …

 

M.S.

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1

Wer singt denn da?

Wer zählt die Völker, nennt die Namen …« – mehr als diese Zeile aus Schillers Dichtermord-Ballade »Die Kraniche des Ibykus« habe ich mir nicht gemerkt. Allerdings musste ich sie, im Gegensatz zur Generation meiner Mutter, auch nie auswendig lernen. Sie war immer stolz darauf, dass sie im »hohen Alter« von Mitte dreißig noch ganz lange Passagen daraus auswendig hersagen konnte. Manchmal sogar zusammen mit Oma im fehlerlosen Duett. Allerdings setzte sie diese beeindruckende Gedächtnisleistung oft als pädagogische Keule gegen uns Kinder ein, wenn wir wieder einmal Mist in der Schule gebaut oder einen ihrer Aufträge vergessen hatten.

Mir fällt diese alte Schiller-Zeile heute gelegentlich wieder ein, wenn für den Eurovision Song Contest medial getrommelt wird. (Erinnere ich mich richtig, dass früher in dem Titel mal das Wort »Chanson« vorkam? Davon kann heute allerdings tatsächlich nicht mehr die Rede sein …) Seit die deutsche Musikindustrie es gewagt hat, mit Liedern wie »Piep, piep, piep, Guildo hat euch lieb« oder »Wadde hadde dudde da« bei diesem europäischen Schlagerwettbewerb anzutreten, schaue ich mir diese musikalische Katastrophenveranstaltung selten und in Ermangelung eines besseren Fernsehprogramms nur gelegentlich an. Ist ja Gott sei Dank nur einmal im Jahr. Dabei ist mir dann doch noch eine Zeile aus dem »Ibykus« eingefallen, die Mutter immer besonders dramatisch betonte: »Die Szene wird zum Tribunal«. Aber denkste, nix da Tribunal. Diese geistigen Geniestreiche, diese Ergebnisse durchsoffener Nächte wurden von europäischen Jurymitgliedern mit einem siebten und einem fünften Platz belohnt. Die deutschen Musikkonsumenten konnten sich vor Kauflust gar nicht mehr einkriegen.

 

Ich erinnere mich daran, dass es auch in meiner Jugend so idiotische Lieder mit folgenden Zeilen gab: »Und dann hau ich mit dem Hämmerchen mein Sparschwein kaputt«, »Ich kauf mir lieber einen Tirolerhut« oder »Die Zuckerpuppe aus der Bauchtanzgruppe«. Aber zu einem internationalen Musikwettbewerb hätte man sie ganz sicher nicht geschickt. Zur Strafe sollte man die Macher solch deutscher Gegenwartsliedkunst zwingen, zehnmal hintereinander ohne Pause bei Wasser und Brot »Die Meistersinger von Nürnberg« anzuhören. Damit wir uns nicht missverstehen – das geht nicht gegen Wagner, sondern meint »schlag den Raab«, wo du ihn am besten treffen kannst. Ein Satz heiße Ohren wäre das mindeste.

Als mir diese schwachsinnigen deutschen Hits zu Ohren kamen, war ich gerade mal Anfang fünfzig und fühlte mich angesichts meiner Ratlosigkeit das erste Mal uralt. Ich kam offenbar nicht mehr mit, was da musikalisch ablief und in ganz Europa akzeptiert wurde. Vielleicht waren diese vorderen Plätze im Wettbewerb aber nur die Rache an uns Deutschen – Hühner gibt es ja auch heute noch genug mit uns zu rupfen –, und man wollte uns vor aller Welt vorführen? Dass man für Lieder über »Maschendrahtzäune« und den betrunkenen Bundeskanzler, der »Ho mir ma ne Flasche Bier« grölt, goldene Schallplatten bekommt, verunsicherte mich endgültig. Die Schrödersche Sehnsucht nach einer Flasche Bier machte mich zudem zornig, denn diesen Menschen hatte ich in meiner Naivität und Gutgläubigkeit auch noch gewählt. »Wo man singt, da lass dich ruhig nieder …«, heißt es doch, oder? Bei dieser Art von Liedern beschloss ich, lieber stehenzubleiben, als zu sitzen. Ich fragte mich, ob mir vielleicht mein Humor abhandengekommen war? So ging es mir damals, Anfang des neuen Jahrhunderts. Da war ich, wie gesagt, noch relativ jung und stellte sie mir schon, die Frage nach dem Oldie-Dasein.

Und so ging es weiter. Die deutsche Siegerin 2010 trällerte ihr gefälliges, aber unbedeutendes Liedchen auf Englisch, und ich machte mir gar nicht erst die Mühe, den Text zu übersetzen. Dass man damit siegen könnte, kam mir gar nicht in den Sinn. Aber noch verblüffter war ich darüber, dass man für einen 1. Platz im Song Contest nach der Rückkehr vom Ministerpräsidenten am Flughafen begrüßt wird, der seinerseits Grüße der Kanzlerin ausrichtet. Das zeigt, wie sehr dieses Land musikalisch und politisch auf den Hund gekommen ist. Gerechterweise muss man allerdings sagen, dass der Ministerpräsident (nach einem kurzen Zwischenspiel als Bundespräsident) inzwischen keiner mehr ist und andere Würdenträger hoffentlich daraus gelernt haben, dass man nicht für jeden Preis den Grüß-Gott-August machen muss. Der Sängerin kann man solch politische Kamerageilheit allerdings nun wirklich nicht anlasten. Obwohl auch sie sich anscheinend längst nicht mehr im Siegestaumel befindet, denn vor dem jüngsten Song Contest sah ich im Fernsehen den Versuch eines Interviews mit ihr, in dem sie eine als kritisch empfundene Frage mit »Halt’s Maul!« quittierte und, die Kehrseite zeigend, abmarschierte. Aber wahrscheinlich ist auch sie nur ein Opfer der Plattenindustrie. So wie fünfzig Jahre zuvor der arme Roy Black, den man zwang, dem Rock ’n’ Roll abzuschwören und solche Schmachtfetzen wie »Ganz in Weiß« zu singen. Auch dem begabten Ted Herold ging es ja nicht anders. Wer zahlt, schafft an, dieses Prinzip macht auch vor Kunst nicht halt.

Warum ich das überhaupt erwähne? Weil wir alle solchem musikalischen Schrott oft genug, also Tag für Tag begegnen und wir uns – ganz zu Recht – weder die Namen der Bands noch die der Sänger merken können. Es macht meist keine große Freude mehr, das Autoradio einzuschalten, denn alles Musikalische, das da herauskommt, ist für unsereins unbekanntes Terrain, dem man schnell anmerkt, dass der Versuch, sich damit anzufreunden, nicht fruchten wird. Ganz einfach deshalb, weil es sich jenseits aller individuellen Geschmacksfragen für unsere alten, aber verwöhnten Ohren selten lohnt. Also stellen wir schnell wieder den Oldie-Sender ein, wenn das Auto aus der Werkstatt kommt – wo die Schrauber von heute ganz offenbar andere Hörgewohnheiten haben und das Autoradio während der Reparaturarbeiten regelmäßig auf komische Sender umprogrammieren. Natürlich wissen auch wir, was ein Rap ist. Hat man doch schon einige dieser heruntergeleierten Not- und Problemgesänge gehört und weiß, dass sie in den sozialen Ghettos der Slums entstanden sind, bevor sie von der Musikindustrie vereinnahmt, kommerzialisiert und trivialisiert wurden. Für uns Oldies sind sie aber einfach nur langweilig: Musikalisch geben sie absolut nichts her, und die Texte betreffen unsere Lebensrealität nicht. Mozart hat man seinerzeit vorgeworfen, dass er bei seinen Kompositionen zu viele Noten verwende. Diesen Vorwurf kann man Rappern nicht machen, genauso wenig wie den Schlagermachern von heute.

 

Wir Oldies sind musikalisch einfach anders sozialisiert. Über unseren Elvis Presley, die Beatles oder gar die Stones haben sich unsere Eltern maßlos aufgeregt, weil sie gerochen haben, dass sie Aufbegehren und Ungehorsam signalisieren. Über Rapper kann man sich nicht aufregen, diese Jugendmusik macht unsereins eher traurig. Weil man natürlich unschwer erkennt, dass genau das dahintersteckt – Traurigkeit und vielleicht auch Orientierungslosigkeit. Mir tun sie leid, diese Jungen von heute, die sich von ihren Eltern nichts mehr sagen lassen, weil sie sehen, dass die genauso verzweifelt und ratlos sind wie sie selber. Sie sind mir mit ihren Kapuzensweatern, den tiefergelegten Hosenböden und den Piercings im ganzen Gesicht aber immer noch näher als die offenbar nie aussterbenden Gartenzwergbesitzer, die im Musikantenstadl schunkeln wie Auto-Wackel-Dackel und sich in sonntäglichen »Fernsehgärten« für den größten Mist zum wilden Jubeln animieren lassen und zum Affen machen. Von Leuten, die ehemalige Diskjockeys mit merkwürdigen Häkelmützen auf dem Kopf zu Gesangsstars hochklatschen, einmal ganz abgesehen. So sehen die musikalischen Tellerwäscherkarrieren von heute aus – sie seien jedem gegönnt. Es ist, als feierten die Nachkriegsjahre des letzten Jahrhunderts andauernd fröhliche Urständ. Was sollen junge Menschen von heute diesem Uraltmief schon entgegensetzen als Verzweiflung und autistisches Reimrütteln?

Dabei ist auch meine musikalische Konditionierung auf relativ niedrigem Niveau erfolgt. Ich bin schlagermäßig mit Conny und Peter Kraus in die Pubertät gegangen – und mit dem, was das Wunschkonzert zu bieten hatte. (»Zwei rehbraune Augen, die schaun den Jäger an«, »Hohe Tannen weisen die Sterne« oder »Geh’n sie aus vom Stadtpark die Laternen« …, aber Omas Guglhupf dazu war prima, und Großvater hat mich immer die Rosinen aus seinem Stück pulen lassen!) Dabei hatte ich noch Glück, weil ich in Salzburg aufgewachsen bin, wo man Mozart, Verdi, Rossini & Co. quasi mit der Schulmilch aufsaugt, so dass den Vico Torrianis und den Fred Bertelmännern – seinen »Lachenden Vagabund« hab ich heut noch im Ohr – wenigstens ein gesundes Gegengewicht gegenüberstand. Meine Mutter war und ist ein Operetten-Fan, und der Plattenteller drehte sich so oft wie möglich neben der Hausarbeit – was nicht spurlos an mir vorüberging. So weiß ich heute noch die Texte von »Borstenvieh und Schweinespeck«, dem idealen Lebenszweck im »Zigeunerbaron«, zu singen oder von »Wie’s da drinnen aussieht, geht niemand etwas an« und »Immer nur lächeln und immer vergnügt« aus Lehárs »Land des Lächelns«. Dass die Polinnen die schönsten Frauen sind, weiß ich aus dem »Bettelstudent«, und dass man zum Feiern ins Maxim geht, aus der »Lustigen Witwe«. Mag der eine oder andere Opernfan diese hitlastigen Ohrschmeichler zwar verachten –, ich steh zur Operette, ebenso wie zu den meisten ihrer modernen Nachfolger, den Musicals. Auch das musikalische Wetterleuchten, das aus den zwanziger Jahren des letzten Jahrhunderts zu uns herüberscheint, ist großartig. Für die Original Comedian Harmonists oder den wunderbaren, herrlich langhalsigen Max Raabe lasse ich alles stehen und liegen. Er ist ein gutes Beispiel dafür, dass man sich auch die Namen heutiger Interpreten merken kann, wenn sie etwas können. Aber auch auf Zarah Leander lasse ich nichts kommen. Ganz abgesehen von ihrer unvergleichlichen Stimme, halten die Texte ihrer Lieder heute noch jeden Vergleich mit dem Schlagerniveau der Nachkriegsjahre und der Folgezeit nicht nur aus, sondern schlagen die meisten haushoch. Im Regen zu stehen und zu warten, wer hat das nicht erlebt oder kann sich nicht in die Situation versetzen? Wie armselig konstruiert ist dagegen »Ein Bett im Kornfeld«. So eines ist mir zwar tatsächlich einmal angeboten worden, aber ich bin damals doch lieber noch eine Weile Jungfrau geblieben. Ob es an dem pickligen jungen Mann namens Peter lag oder der Angst vor den etwaigen Folgen oder nur der vor den piksenden Getreidehalmen, das weiß ich nicht mehr …

 

Mit verdrehten Augen werde ich von meinem Mann, dem ehemaligen Rockmusiker, gerügt, wenn ich bei Schlagern wie »Ein Schiff wird kommen« oder »Weiße Rosen aus Athen« mitsinge, die man ja gelegentlich in Nostalgiesendungen noch hören kann. Er hat sich damals die Platten der neuen jungen Wilden aus England besorgt, um diese Musik mit seiner Band einzuüben – ich hing zu der Zeit immer noch am Tropf des elterlichen Geschmacks. Es ging nur langsam mit mir bergauf. Paul Ankas »Put your hand on my shoulder« oder Pat Boones »Love letters in the sand« habe ich zum ersten Mal aus Mutters Kofferradio gehört, das sie auf eine unserer ausgedehnten Heidelbeer-Pflücktouren mitgenommen hatte. Meine kleine Schwester saß mit blauverschmiertem Heidelbeermäulchen neben der Quelle dieser für mich ganz neuen Töne. Ich war hin und weg, denn das hatte so gar nichts mit dem zu tun, was sonst so in mein Ohr drang. Auch von Elvis kannte ich in der Folge zunächst nur die Liebesflüstereien, aber immerhin, so arbeitete ich mich langsam über Dean Martin und sein Rat Pack zu den wahren Meistern vor.

Ich werde nie den Augenblick vergessen, als ich Jahre später zum ersten Mal die Beatles hörte: Ich war fern der musikalisch gesitteten Heimat in einem Berufsschulinternat in der Nähe von Wien untergebracht. Es war Sonntag, also unterrichtsfrei, und wir saßen zu mehreren am Pool. Ich rauchte meine erste Marlboro, trug ein provozierend weit ausgeschnittenes Dirndl und wurde vom Sohn des Direktors angebaggert. Was Neid bei den anderen Mädels hervorrief, weil er um einige Jahre älter war als wir, in Wien Medizin studierte und gruselige Geschichten aus der Pathologie zu erzählen wusste. Er hatte einen transportablen Plattenspieler dabei. Und er legte eine Single auf, die mich für alle Zeit in neue musikalische Dimensionen katapultierte: »I wanna hold your hand« von den Beatles ließ mich schlagartig erkennen, dass man »I am a lonely boy« auch ganz anders ausdrücken konnte. Ab diesem Zeitpunkt waren Conny und Peter und Gitte und Rex endgültig abgeschrieben.

 

Es folgten noch viele musikalische Erweckungserlebnisse, erinnern kann ich mich noch gut daran, wie sehr ich von Ravels »Bolero« beeindruckt war. Jedes Mal wenn ich ihn höre, stellt sich wieder dieses wunderbare Ziehen in der Brust ein wie beim ersten Mal. Als ich einmal Liebeskummer hatte, spielte ich ihn Abend für Abend immer und immer wieder, saß auf der Terrasse und träumte in den Sternenhimmel. Ein paar Tage später sprach mich meine Nachbarin an und fragte, was denn das für eine Musik sei, die ich da immer wieder spielte. Sie müsse weinen, wenn sie sie hörte. Es macht übrigens keinen Unterschied, aus welcher »Schublade« – U oder E – die zu Herzen gehende Musik kommt, und sie wirkt natürlich auch nicht auf jeden gleich. Bei Johnny Cashs »Ring of Fire« kann das Ziehen in der Brust genauso auftreten wie bei Debussys »La mer«, bei Lee Marvins »Wandering Star« oder bei der »Champagnerarie« aus der »Fledermaus«. Gerade jetzt, während des Schreibens, höre ich mir Lee Marvin auf Youtube an, und wieder muss ich – wie immer schon – weinen. Ich weiß einfach nicht, warum. Für jeden von uns gibt es eben andere »Schleusenöffner«, und das ist gut so.

 

Meine abfällige Bemerkung gegen das Musikantenstadl-Unwesen richtet sich übrigens nicht gegen die Volksmusik, sondern gegen die Verunstaltungen und die SchwarzbraunistdieHaselnuss-Verkitschungen, die da mit schönen alten Kompositionen und Liedern passieren. Gegen den Original »La Montanara«-Chor oder unverfälschte Shantys ist ebenso wenig einzuwenden wie gegen alpenländische Stubnmusik. Wer je die Biermöslblasen mit ihren herrlich satirischen Texten gehört hat, der weiß, was ich meine. Auch Hubert von Goisern und seine Lieder wie beispielsweise »Koa Hiatamadl« oder die österreichische Gruppe Die Seer zeigen die möglichen, völlig neuen Seiten von heimatbezogener Musik, aus der eben nicht der Kunsthonig falscher Emotionen tropft. Dasselbe gilt für viele bayrische und Wiener Liedermacher.

 

Es gibt so viel wunderbare Musik auf der Welt, die selbst wir Oldies noch nicht kennen – mit ihr verhält es sich ebenso wie mit den ungelesenen Büchern. Sie sind da und warten auf uns. Ich musste erst über vierzig Jahre alt werden, bis ich die Songs von Billie Holiday kennenlernte und mich in sie verliebte. Mein Rocker, mit dem vielen Swing und Blues im Herzen und im Blut, hat sie mir nahegebracht (und sich dabei gleich mit). Wer einmal Billies Version von »Stormy Weather«, »Moonlight in Vermont«, »Foolish Things« oder »A Foggy Day in London Town« gehört hat, wird diese Stimme ebenso wenig vergessen wie das wunderbare Orchester mit dem katzenhaft fauchenden Saxophon. Auch Django Reinhardt war so eine späte Entdeckung für mich. Und eine der ganz anderen Art habe ich noch vor mir: Richard Wagner. Als Salzburger Mozart-Frau hatte ich lange Zeit meines Lebens im wahrsten Sinne des Wortes »kein Ohr« für ihn. In meinen Augen gefiel er im Dritten Reich nicht nur den falschen Leuten – was ja nun wirklich kein Argument sein kann –, er schien mir auch überorchestriert, laut und irgendwie zu gewaltig. Inzwischen bin ich neugierig auf ihn geworden, … dass da jährlich die merkwürdigsten Promis nach Bayreuth pilgern, muss man ja nicht dem Meister anlasten. Auch wenn es ihn wohl freuen würde, eitel, wie er angeblich war. Mein Rocker hält ihn übrigens für den Vorläufer von Enrico Morricone …