Don't worry, be fifty - Margit Schönberger - E-Book

Don't worry, be fifty E-Book

Margit Schönberger

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Beschreibung

Margit Schönberger war selbst schon über fünfzig, als sie beschloss, ihr Leben umzukrempeln. Sie gab ihren sicheren Job auf und fing an, Bücher zu schreiben. Prompt wurde sie zur Bestsellerautorin. In diesem Buch zeigt sie offen, ungeschminkt und mit einem Augenzwinkern, was es jenseits der Fünfzig alles zu gewinnen gibt.

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Margit Schönberger

Don’t worry, be fifty

Plötzlich bist du 50 – und die Welt ist voller Möglichkeiten

Knaur e-books

Über dieses Buch

Frauen über fünfzig müssen sich nicht mehr profilieren. Sie müssen nichts mehr werden, denn sie sind schon etwas – und können endlich auch mal an sich denken. Einzige Voraussetzung: Sie müssen sich trauen.

Margit Schönberger war selbst über fünfzig, als sie beschloss, ihr Leben umzukrempeln. Sie gab ihren Job auf und fing an, Bücher zu schreiben. Prompt wurde sie zur Bestsellerautorin. In diesem Buch erzählt sie offen, ungeschminkt und mit einem Augenzwinkern, was es jenseits der Fünfzig alles zu gewinnen gibt. Und das ist eine große Menge!

Inhaltsübersicht

MottoVorwort1 Die barfüßige Gräfin2 Der Frosch mit der Maske3 Nach Paris der Liebe wegen4 Die Kunst des Nein-Sagens5 Es muss nicht immer Kaviar sein6 Manche mögen’s heiß7 Die Reise zum Mittelpunkt8 Fielmann lässt grüßen9 Freie Sicht aufs Mittelmeer10 Nach dem Spiel ist vor dem Spiel11 Warum Geiz nicht geil ist12 Auf los geht’s los!Zum AbschiedIch lebe mein Leben [...]Die Ahnung [...]
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Wann beginnt das Leben?

Eine Diskussion zwischen Experten

 

Der katholische Pfarrer:

»Sobald der männliche Samen auf die weibliche Eizelle trifft.«

 

Der evangelische Pastor:

»Sobald der Embryo außerhalb des Mutterleibes überlebensfähig ist.«

 

Der jüdische Rabbi:

»Sobald die Kinder aus dem Haus sind.«

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Vorwort

Auf meiner Gästetoilette ist ein höchst aufschlussreicher Teil meines Seelenlebens einzusehen. Von oben bis unten. Weibliche Gäste kommen regelmäßig strahlend, manchmal auch höchst erstaunt, aber jedenfalls immer sehr gesprächsfreudig von diesem Örtchen zurück.

»Die Grünen find ich ja klasse! Den Farbton hab ich noch nie gesehen!« (Ach ja, eine schöne Erinnerung. Premiere an dem Herbstabend, als wir die Buchtaufe von Maximilian Schells erstem Roman gefeiert haben. Aber viel zu hoch!)

»Entschuldige bitte vielmals, aber die Grauen mit dem Metall, die musste ich einfach probieren. Die sehen ja scharf aus!« (Wurden eingeweiht, als der Konzern ein repräsentatives historisches Gebäude im Zentrum Berlins der Öffentlichkeit vorstellte. Viel beachtet, aber viel zu schmal. Trug sie in den Händen ins Hotel zurück.)

»Die Braunen mit dem Kork, einfach umwerfend. Genau nach solchen hab ich immer gesucht!« (In Venedig gefunden. Erster Einsatz bei dem berüchtigten gesetzten Essen auf der Messe, wo ich 25 Zusagen und einen liebevoll ausgetüftelten Sitzplan hatte, aber 32 Gäste kamen. Mein absolutes Meisterstück in Improvisation.)

Aber, und diese Frage kommt immer und unweigerlich: »Warum trägst du die denn nie? Die meisten dieser Prachtexemplare hab ich noch nie an dir gesehen!«

Die Rede ist – unschwer zu erraten – von meinem Schuhschrank im Gästeklo. Dessen Begutachtung für Frauen, die sonst gerade nichts Wesentlicheres zu tun haben, klar unterhaltsamer ist als das durchschnittliche Fernsehprogramm. Und ich muss zugeben, dass selbst ich mir manchmal, wenn ich so gemütlich dasitze – quasi nebenbei –, den einen oder anderen hochhackigen Kandidaten greife und hineinschlüpfe. Einfach um die Wirkung bei ausgestrecktem Bein wohlgefällig zu betrachten. Gegen meine Beine ist nämlich – wie man sie auch dreht und wendet – nichts zu sagen.

Wie dem auch sei – eines ganz bestimmten Tages fiel mir eine Veränderung auf. Ich konnte die Objekte dieses eitlen Spielchens nicht mehr aus der bequemen, sitzenden Haltung heraus erreichen. All diese hohen Hacken, deren Wirkung am Bein natürlich sehr viel effektvoller ist als die von Ballerinas, waren irgendwie und unversehens in die oberen Regale gewandert. In Griffhöhe befanden sich ausschließlich flache Flitzer à la »Lola rennt«. Eben die, die ich ständig benutzte, weil sie bequem, schnell, unkompliziert sind. Cola light in Schuhform sozusagen. Auch ganz schön und wohlbedacht ausgewählt, aber die meisten eben doch ohne den so besonderen erotischen Charme der manchmal Schmerzreichen im Obergeschoss. Solche eben, mit denen man auch mal schnell ungeschminkt losläuft.

Die Erkenntnis traf mich wie ein Blitz: Ich war im Land der flachen Schuhe gelandet. Sanft hineingeglitten, ohne es zu merken oder gar überlegt zu haben. An diesem Tag wusste ich, dass ich älter geworden war. Und auf ganz natürliche Weise, von innen heraus und instinktgelenkt – ein wenig weiser also. Diese erstaunliche Sache musste näher untersucht werden. Das Ergebnis halten Sie in Händen.

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1 Die barfüßige Gräfin

Haben Sie auch noch das berühmte Foto von Marilyn Monroe auf dem Lüftungsgitter vor Augen? Das weiße, schulterfreie Kleid, die Hände auf den Oberschenkeln, um zu verhindern, dass der weite Glockenrock (ich glaube, er war sogar plissiert?) durch den von unten kommenden Luftzug nicht vollends über ihrem Kopf zusammenschlägt? Sie stand mit hochhackigen Pumps auf diesem Gitter – und das muss ziemlich anstrengend gewesen sein, so auf den Fußballen zu balancieren. Kenner wissen, der größte Feind aller Bleistiftabsätze sind sämtliche Arten von Gittern und Rillen vor Hauseingängen und beispielsweise auf Rolltreppen. Die ständige Angst, darin stecken zu bleiben, ist mir auch heute – wo ich doch längst ins Land der flachen Schuhe abgewandert bin – noch immer wohlvertraut. Ganze Bataillone von Schustern haben nichts anderes getan, als hochgeschobenes Absatzleder wieder glatt zu ziehen und zu verkleben und abgerissene Absatzenden wieder aufzusetzen. Aber auch Straßenbahnschienen, Kopfstein- und Würfelpflaster, Kieswege mit weichem Untergrund, Bootsstegplanken und Holzböden in Festzelten sind der pure Horror für High-Heel-Trägerinnen. Mein letztes unvergessliches Erlebnis mit einem solchen Absatz hatte ich in Wien: an einem Tag im August. Das Thermometer stand schon am Vormittag auf über dreißig Grad, und der Asphalt der Gehwege schwitzte verdächtig und tendierte in Richtung Verflüssigung. Jede(r) hinterließ – je nach Gewicht – Spuren.

Mein Mann und ich waren unterwegs zum Kunsthistorischen Museum. Wir freuten uns auf die lange nicht mehr betrachteten Bilder und auch auf die zu erwartende, marmorne Kühle im alten, dicken Gemäuer. Beim raschen Überqueren der Ringstraße (nicht vorschriftsmäßig, nämlich nicht auf einem Zebrastreifen, ich muss es zugeben), versank ich, eine herankommende Straßenbahn im Blickfeld, mit dem Absatz meines linken Schuhs urplötzlich in einem teerigen Sumpfloch, das sich unter der Asphaltoberfläche offenbar in der Hitze gebildet hatte. Mein Vorwärtsdrang wurde hart gebremst und riss mir den Fuß mit Schwung aus dem Schuh. Angesichts der nahenden Straßenbahn hastete ich mit einem bloßen Fuß weiter und ließ den stecken gebliebenen Hochhackigen zurück.

Als ich wieder freie Sicht auf den Ort des Missgeschicks hatte – der Straßenbahnfahrer grinste beim Vorbeifahren und grüßte mit einem Extraklingeln zu uns herüber –, sah ich meine abhandengekommene Fußbedeckung da stecken, unschuldig weiß und in Gefahr, vom nächsten Autopulk endgültig in den Teer gedrückt zu werden. Er wurde dann schließlich doch noch gerettet, aber die Teerflecken waren aus dem Veloursleder nie mehr herauszukriegen. Wieder etwas gelernt – auch dieses Abenteuer wäre mit den Flachen nicht passiert.

Angeblich geht man barfuß durch die Hölle. Manchmal aber auch mit Schuhen. Menschen, die beruflich mit Büchern zu tun haben, vorwiegend weibliche Menschen, genauer gesagt junge weibliche Menschen, erleben das mindestens einmal jährlich, und zwar im Oktober. Bevor sie zu Tausenden Richtung Frankfurt am Main aufbrechen, führt sie ihr Weg noch einmal in ein oder sogar mehrere Schuhgeschäfte. Dort werden die schicksten Modelle erworben, die der Laden zu bieten hat. Bevorzugt Paare, auf deren Absätzen man förmlich zu schweben scheint. Messen haben das einfach so an sich. Egal ob es nun die Buchmesse in Frankfurt ist, wie in meinem Fall, oder die irgendeiner anderen Branche, egal ob in München, Berlin, Köln, Wien, Zürich oder sonstwo auf der Welt. Alle messeerprobten Frauen haben schon ähnliche Erfahrungen gemacht.

Das Spiel war auch für mich viele Jahre lang das gleiche: Wenige Tage vor der Abreise fiel mir ein, was ich für die Messetage in Frankfurt noch dringend bräuchte. Ein neues kleines Schwarzes, Hosenanzüge, ein Seidenkaftan? Oder doch lieber zwei? Oder doch besser nur ein, zwei neue Oberteile, die man mit schon Vorhandenem kombinieren kann?

Jacken, Pullover … nein, eindeutig zu warm in den Messehallen mit all ihren Lampen und Scheinwerfern, die die Temperatur im Lauf des Tages gnadenlos ansteigen lassen. Vielleicht Blusen? Hosen? Röcke? All das wurde relativ schnell und kurz entschlossen besorgt. Ungeschriebenes Gesetz war lediglich: Nur nicht zweimal mit demselben Kleidungsstück in Frankfurt gesehen werden. Denn Logik in Sachen Outfit ist im Vormessewahn außer Kraft gesetzt. Heute, ein paar Jährchen nüchterner, ist mir klar, dass kein Mensch sich merkt, welche Klamotten eine Gesprächspartnerin im Vorjahr getragen hat. Ich weiß das längst, habe es wahrscheinlich auch mit Mitte dreißig schon gewusst, die Erkenntnis aber trotzdem ignoriert. (Vielleicht weil man eine bessere Ausrede für einen exzessiven Einkaufsrausch doch gar nicht kriegen kann.) Und ich gehe auf der Basis gesicherter Erkenntnis davon aus, dass viele meiner Berufskolleginnen das auch so halten.

Aber der Kleiderkauf auf den letzten Drücker ist ja auch schon deshalb kein ernsthaftes Problem, weil man Klamotten schließlich nicht »einwohnen« muss. Man zieht sie an und startet in den Tag. Man sollte lediglich darauf achten, dass sie nicht schon in den ersten Stunden mit Kaffee, Sekt oder gar Rotwein reinigungsreif bekleckert werden, weil sonst die sorgfältig Tag für Tag geplante Kleiderordnung durcheinanderkommt. (Ich bin Spezialistin darin und Lieblingskundin meiner chemischen Reinigung. Wenn ich mit meinem Jahressonderposten schminkeverzierter Krägen und den anderen Zeichen meines befleckten Frankfurter Wohllebens auf den Armen bei ihnen auftauche, empfangen sie mich jedes Mal mit der freundlich-scheinheiligen Frage: »Und wie war es auf der Buchmesse?« – »Toll, wie immer«, ist meine regelmäßige Antwort. Seit ein paar Jahren erlaube ich mir den Zusatz »… und anstrengend!«. (Irgendwie scheint mir das die zu säubernden Kleidermengen besser zu rechtfertigen.)

Aber wirklich prickelnd an diesem lustvollen Einkaufsstress der letzten Vormessetage ist immer wieder der Schuhkauf gewesen. Nachdem ich die zu den Klamotten passenden Farben im Kopf rekapituliert hatte, gab ich der Verkäuferin klare Anweisungen: »… und bequem sollten sie sein. Ich muss auch mal eine Weile darin stehen können.«

Psychologisch unerfahrenes Personal brachte dann regelmäßig genau das: bequeme Schuhe. Zwar in den richtigen Farben, aber schon auf den ersten Blick zu sehen – bequem. Sehr bequem. Niedriger Absatz oder fast flache Keilsohlen. Breit geschnitten und daher eher unelegant. Auf jeden Fall war beim ersten Anlauf meistens nichts dabei, was vor meinen Augen auch nur die geringste Gnade gefunden hätte. Also alles zurück mit der neuen Instruktion: »So bequem nun auch wieder nicht!«

Jede messeerfahrene Frau weiß spätestens jetzt ziemlich genau, mit welcher Ausbeute ich die Läden Jahr für Jahr verlassen habe: bildschön, schmal, eng und viel zu hoch. Aber die Neuerworbenen hatten Klasse, Rasse – und schon am Abend, wenn ich sie zu Hause vorführte, kam ich in den linken kaum mehr rein und der rechte erinnerte mich bruchteilsekundenlang an das Taubenlied aus Aschenbrödel: »Rucke di guck, rucke di guck, Blut ist im Schuck!«

Immerhin weiß ich heute – der Erkenntnisgewinn ließ lange genug auf sich warten –, dass Füße während des Schuhkaufs, genau wie die Original Münchner Weißwurst, das Zwölfuhrläuten nicht hören dürfen. Allerdings im umgekehrten Sinn: Morgens und am Vormittag sind sie noch schlank und formbeständig. Am Nachmittag, gegen Abend hin schwellen sie an. Nicht nur bei einem Schwergewicht, wie ich es bin. Wer vormittags Schuhe kauft, wird am Abend nicht gut Freund mit ihnen sein. Gelernt habe ich außerdem, dass der Mensch auch nach der Pubertät nicht zu wachsen aufhört. Anders lässt sich nicht erklären, dass aus meiner relativ kleinen, eleganten Schuhgröße 39 inzwischen immerhin eine stattliche 41 geworden ist. Meine Freundin Brigitte kommentierte diese erstaunte Feststellung meinerseits schon in Halbzeit, als ich verwundert bei 40 angelangt war, mit dem ernüchternden Satz: »Getretener Quark wird breit, nicht stark.« Na, ich dankte auch schön.

Dass gekühlter Quark ein hilfreiches Mittel gegen in Brand geratene Sohlen sein kann, verhilft dem Spruch, der sich in seiner ursprünglichen Bedeutung gegen Dauerquassler und Problemzerreder richtet, allerdings zu einer Neuinterpretation, die Nichteingeweihten unbekannt ist.

Ein Messetag ist lang, und Kenner wissen Kantaten davon zu singen. Vor allem deshalb, weil so ein Tag am Abend nicht zu Ende ist. Wer jung ist und sich noch am unteren Ende der Karriereleiter befindet, fängt jede Messe erst einmal mit Stehen und Laufen an. Das hat den Vorteil, dass die schicken (noch nicht »eingetretenen«) Schuhe viel besser zur Geltung kommen, während man Verlegern, Autoren, Buchhändlern und Journalisten fröhlich Kaffee holt, Aschenbecher ausleert, Bücher aus Regalen angelt und die immer gleichen Fragen beantwortet. Je nach Körpergewicht verliert sich das selbstgefällige Lächeln während des Hin-und-Her-Eilens schon gegen Nachmittag des ersten Tages, weil die Füße inzwischen nicht mehr unterscheiden können, ob sie in einem Becken mit glühenden Kohlen stecken oder in Beton gegossen wurden.

Dennoch fiebern alle heurigen Messehasen den Abenden entgegen. Denn die sind es doch, die die (meist eingebildeten und von ausufernden Phantasien getragenen) Versprechungen des Tages einlösen sollen. Aber wie an die Orte der Verheißung gelangen? Auf den pochenden, geschwollenen Füßen? Wie überhaupt erst mal ins eigene Hotel kommen, bevor man sich frisch geduscht dorthin bemüht, wo vielleicht der Bär steppt? Endlos lange Menschenschlangen an den Taxiständen (wo man auch noch jede Menge Leute trifft, die man gerade jetzt überhaupt nicht treffen will, weil sie einem Verabredungen für den nächsten Tag aufzwingen oder gar Aufträge erteilen, oder – noch schlimmer – sich einem anschließen wollen), überfüllte S-Bahnen und kein Kollege weit und breit, der sein Auto im Parkdeck stehen hat, so dass man auf bequeme Art von hinnen käme.

In so einer Situation packte mich einmal der heiße Zorn und ich beschloss, den ziemlich weiten Weg von der Messe zum Hotel zu Fuß zu gehen. Einer meiner autoaggressiven Wutanfälle, der in diesem Fall die Vernichtung meiner Füße im Visier hatte, um endlich Ruhe zu haben, nach dem biblischen Motto »Wenn dich dein linkes Auge ärgert, dann reiß es aus!« oder so ähnlich. Schon nach weniger als einem Kilometer hätte ich mich am liebsten geohrfeigt für meine grenzenlose Dummheit, aber nun war es eindeutig zu spät. Inzwischen war es dunkel geworden und ich sah den kleinen Frankfurter Stadtpark vor mir. »Die Rettung! Kühles nasses Gras!«, schienen mir meine Füße zuzurufen. Und sie hatten Recht. So nahm ich barfuß eine Abkürzung durch die Grünanlage. Als ich das Abenteuer später erzählte, waren alle Frankfurtkenner entsetzt: Ich sei mit bloßen Füßen durch einen Drogentreffpunkt gelaufen und mit mehr Glück als Verstand nicht in eine gebrauchte Spritze getreten.

Ich werde nie vergessen, welche kuriosen Ratschläge in meinen ersten Messejahren zum Thema »Wie hält man Schusters Rappen fit?« kursierten. Die eine Kollegin schwor auf das Fußbad in Buttermilch oder die kühlen Quarkpackungen. (Wo kriegt man abends in einem Hotel vier Pfund kalten Quark her?) Die andere steckte die Füße abwechselnd in eiswürfelgefüllte Sektkühler. Und wieder andere schworen auf eine Massage mit Hirschhornsalbe nach einer warmkalten Beinwechseldusche.

Männer sehen so etwas viel pragmatischer. (Kunststück! Deren Schuhauswahl ist ja auch sehr beschränkt.) Das Mitleid der Kollegen – soweit man das Problem nicht ohnedies vor ihnen verbarg – hielt sich meist in Grenzen. Einer erzählte mir einmal, dass die reichen Engländer dafür längst eine Lösung gefunden hätten: Auf der Insel gebe es Firmen, die die Schuhe für ihre Kunden »eintragen« lassen, bis sie weich und geschmeidig sind. Ich glaubte es sofort. In einem Land, in dem der Diener seinem Herrn morgens die Zeitung glatt bügelt, ist auch die Geschäftsidee des »Schuhweiters« nicht unmöglich. Wenn ich so reich wäre, würde ich mir allerdings lieber Maßschuhe anfertigen lassen.

Der Ratschläge und Ideen gab es also viele: Nur der eine, der einzig richtige Rat wurde auch von mir jeweils mit einem lässigen Schulterzucken und einem »Ja, ja, hast ja eigentlich Recht!« abgetan. Auch ich wollte jahrelang einfach nicht gescheiter werden und verschmähte das Motto »Geben Sie Ihren Füßen auch auf Messen ein Zuhause«. Erfahrene Kolleginnen demonstrierten genüsslich ihr Fußwohl, indem sie ihre Zehen in Schuhen mit so viel Spielraum bewegten, dass man diesen Vorgang neidvoll durch das Oberleder hindurch erkennen konnte. Aber der Weg ins Paradies ist nun einmal nicht nur mit Erfahrungen gepflastert, sondern manchmal auch mit Hansaplast.

Bevor ich endlich in die heutige Lebensphase des Genießenkönnens und auch während fußläufig anstrengender Zeiten ins Land der bequemen Schuhe kam, gab es eine amüsante Zwischenphase. Schon längst konnte ich abends nicht mehr meinen halb privaten Gelüsten frönen, weil ich in dieser Zeit verantwortliche Organisatorin und Gastgeberin diverser Veranstaltungen meiner Verlage war: Unsere Autoren wurden auf Cocktailpartys, großen, mittleren oder kleinen Empfängen oder bei gesetzten Abendessen mit Journalisten, Buchhandelskollegen, Prominenten und anderen wichtigen Meinungsmachern bekannt gemacht. Also war keine Zeit mehr für Wanderungen durch den Stadtpark, sondern es galt, etwas vor den üblichen Taxistoßzeiten von der Messe weg ins Hotel zu hetzen. Oft genug hat die Zeit nur mehr gereicht, eine neue Make-up-Schicht aufzutragen, den Lidstrich notdürftig zu renovieren und sich in neue Kleider zu werfen. Nicht nur einmal kam Herr Carl, der beste Portier der Welt, oder einer seiner fabelhaften Kollegen in der Halle des »Frankfurter Hofs« mit einer Schere hinter mir hergeeilt, um mir noch schnell und diskret das Preisschild vom neuen Kleid abzuschneiden.

Während man am jeweiligen Ort des Geschehens dann mit den Mitarbeiterinnen und dem Hotel- oder Restaurantpersonal alles noch einmal checkt, was bei der Veranstaltung schiefgehen könnte (und Auslöser gibt’s jede Menge: vom Mikrofon über die Höhe des Stehpults und die dort bereitstehende Mineralwasserflasche samt Glas bis zur Funktionstüchtigkeit der Leselampe und noch tausend anderen Kleinigkeiten, von den Tischkärtchen bei einem gesetzten Essen ganz zu schweigen, die bis kurz vor Eintreffen der ersten Gäste dauernd geändert und neu geschrieben werden müssen, weil telefonisch Vertretungen oder zusätzliche Begleitpersonen angekündigt werden), denkt man eine ganze Weile nicht mehr an den Schmerz, der da unten, dicht über dem Parkett, nach wie vor mit Vehemenz tobt. Man spürt ihn auch nicht, während man die ersten Gäste begrüßt und untereinander bekannt macht (und verzweifelt blitzschnell über den einen oder anderen Namen nachdenkt, um ihn dem richtigen Gesicht zuzuordnen) und darauf achtet, dass alle mit Getränken versorgt sind und die richtigen Gesprächspartner finden. In dieser Phase der Abende war mein Adrenalinspiegel denn auch immer hoch genug, um jeden Schmerz zu übertönen.

Aber wehe, ich kam nach der ersten Aufregung zur Ruhe oder gar endlich dazu, mich hinzusetzen. Das war zwar einerseits eine Erlösung, hatte aber leider zur Folge, dass ich mir meiner Füße bewusst wurde. Und dann kam auch schon der Schmerz, und zwar wie Blitz und Donner gleichzeitig. Die Gewichtsverringerung lässt das Blut in die Füße schießen, dass einem der Atem stockt. Da ließen sich selbst bei größter Willensanstrengung Grimassen manchmal nicht ganz vermeiden.

In genau so einer Situation hob einer meiner Tischpartner, dem mein leises Stöhnen nicht entgangen war und dem ich gestand, dass meine Füße gerade explodierten, das Tischtuch und warf einen Blick auf meine wunderschönen, hochhackigen Roten (die klasse aussahen zu meinem langen, geschlitzten schwarzen Kleid!) und die völlig verschwollenen Knöchel. Er schüttelte den Kopf und meinte nur trocken: »Verstehe einer euch Frauen. Warum macht ihr nur diese Spiele mit, ohne sie zu hinterfragen?«

Welche Spiele? Und dann folgte auf mein Nachfragen eine höchst interessante Geschichte: Frauen, das hätten Verhaltensforscher, vor allem Männer, herausgefunden, finden hohe Absätze an Frauenbeinen deshalb so animierend und schön, weil sich dadurch die Körperhaltung beim Gehen so verändert, dass das Hinterteil als sexuelles Lockmittel ins Zentrum des männlichen Blickfelds rückt. Ich weiß noch, dass ich an der Stelle des recht amüsanten und ausdrucksstark vorgetragenen Referats (dem inzwischen auch die anderen Tischnachbarn mit zunehmendem Interesse lauschten) schlagartig eine nacktärschige Pavianhorde vor mir sah. Wie elektrisiert streifte ich sofort meine Schuhe unter dem Tisch ab. Mit diesem atavistischen Instinkt wollte ich in dem Moment nichts zu tun haben. (Zudem sind Paviane diejenigen Affen, die ich am wenigsten mag.) Verderben konnte ich außerdem ja nichts: Erstens saß ich auf dem angeblichen Signalorgan, zweitens ist mein Hinterteil wahrlich nicht das Beste an mir, und drittens gab es längst einen Mann, der andere Qualitäten an mir schätzte und der mit am Tisch saß, wenn auch am anderen Ende.

An diesem Abend habe ich zwar die Anbetung der hohen Absätze noch nicht gänzlich aufgegeben – hohe Hacken sind einfach schön, auch ohne sexuelle Hintergedanken. Aber ich beschloss, dass ich künftig nach zehn Uhr abends auch mit den Schuhen in der Hand durch eine Hotellobby gehen dürfe. Gesagt, getan, und so habe ich es all die Jahre danach auch gehalten und dabei die wunderbare Entdeckung gemacht, dass der edle, kühle Marmorboden einer Hotelhalle weitaus wohltuender ist als beispielsweise eine Quarkpackung.

Solche kleinen Regelverstöße können sogar zur Imagebildung beitragen. Bei den Kollegen hieß ich ab sofort die »barfüßige Gräfin«.

Die Erkenntnis, auch mit den Schuhen in der Hand durchs ganze Land zu kommen, habe ich seither noch oft in die Praxis umgesetzt. Stehempfänge, die sich stundenlang hinziehen, fordern den Reflex, spätestens im Taxi die hohen Hacken abzustreifen und Großmutters Spruch »Schönheit muss leiden« hinter sich zu lassen, geradezu heraus. Und warum dann, direkt vor dem Hoteleingang, noch einmal mit der Quälerei beginnen? Inzwischen darf man Rotwein zu Fisch trinken und Soßen mit Weißbrot auftunken, sich die Haare in Farben färben, denen auf Anhieb anzusehen ist, dass sie nicht die natürlichen sind. Weshalb sollte man dann zu nächtlicher Stunde nicht barfuß das Hotel betreten dürfen – vorausgesetzt, man wohnt da und hat die Absicht, seine Rechnung zu bezahlen?

Dass derart »liederliche« Ausnahmegewohnheiten auch zu peinlichen Situationen führen können, habe ich am Anfang nicht einkalkuliert. Etwa damals bei dem Autoren-Journalisten-Essen, als deutlich mehr Personen am Tisch saßen als vorgesehen. Die Sitzlage war so beengt, dass der Oberkellner abwinkte und mir zuflüsterte, dass hier auch mit Notlösungen nichts mehr zu machen sei. Der Tisch zu klein, der Leute zu viele. Schließlich entfernte er auf mein Flehen hin die raumgreifenden, silbernen Platzteller und platzierte mich und drei Verlagskollegen an den Tischecken (mit der Folge, daß wir auf das Menü verzichten und uns mit Brot und Butter begnügen mussten), so dass die Gäste halbwegs untergebracht werden konnten. Irgendwie ging es, wenn ich heute auch nicht mehr weiß, wie. Und wie so oft im Leben, wenn etwas problembeladen anfängt: Es wurde einer der erfolgreichsten Abende, die ich je in Frankfurt erlebte. Vielleicht gerade deshalb, weil sichtlich improvisiert werden musste, was Leute ja automatisch miteinander verbindet.

Die entspannte Stimmung führte dazu, dass nach Beendigung des Essens von den Anwesenden ein Zug durch die Gemeinde gewünscht und auch beschlossen wurde. Irgendjemand hatte eine angeblich wunderbare neue Bar entdeckt, die man vom Hotelrestaurant aus sogar zu Fuß erreichen könne. Also angelte ich unterm Tisch nach meinen Schuhen, doch o weh, nur mehr einer da – der zweite verschwunden. Es half nichts, ich musste mein Problem offenbaren, und der Suche schlossen sich vor allem die Männer unter großem Hallo lautstark an. Der Ausreißer fand sich. Allerdings ein paar Tische weiter …

So war ich also ein paar Jahre lang die »barfüßige Gräfin«, bevor ich offenbar wie von selbst entdeckte, dass flaches Schuhwerk nicht automatisch unschick sein muss (und im Übrigen das Kofferpacken enorm erleichtert). Allerdings laufe ich zu Hause sowieso immer barfuß, das ist nicht nur bequem, sondern auch gesund und ersetzt zumindest im Ansatz die Fußreflexzonenmassage. Im Büro sollte man Schuhe allerdings »einschlüpfbereit« halten. Einmal suchte mich einer meiner Bosse in meinem Büro auf (was er sonst eher selten tat, der, von dem ich hier spreche, war eher ein »Zu-sich-Rufer«). Nach unserer Besprechung, die mit einer Terminabsprache verbunden war, rief er im Weggehen ins Zimmer meiner Sekretärin: »Und sorgen Sie dafür, dass sie morgen dort mit Schuhen auftaucht!«

Heute kann ich mir auch ohne Zuhilfenahme von Pavianbildern erklären, warum wir Frauen es so sehr lieben, hohe Absätze zu tragen. Es hat vielleicht damit zu tun, dass wir alle gerne ein bisschen schweben würden (am liebsten natürlich auf Wolke sieben) und daher – da der Alltag diesen Zustand so selten bietet – zumindest »schuhmäßig« so wenig Bodenberührung wie möglich suchen. Auf den Zehenspitzen, den Fußballen zu gehen, was ein hoher Absatz ja erfordert, kommt dem Schweben am nächsten. Vielleicht müssen wir erst ein gewisses Alter erreichen, um dem Boden, der uns trägt und der eine zuverlässige Basis ist, etwas mehr Vertrauen und Sympathie abzugewinnen. Solange man »hoch hinauswill« – meist ohne noch recht zu wissen, wohin genau –, gibt es natürlich kein passenderes Schuhwerk als High Heels.

Aber sobald die Karriereschlachten geschlagen sind, kann man sich der Lebensvariante Down to earth zuwenden, wie es im Englischen so treffend heißt. Sie ist meiner Meinung und Erfahrung nach nicht die schlechteste. Für mich fast so etwas wie ein Siegerpokal. Man hat ihn dafür errungen, dass man unter Schmerzen gelernt hat, wie sich die eigenen Wünsche und Träume am unkompliziertesten und sichersten erfüllen lassen. Denn man kann einfach nicht ein Leben lang balancierend und schwebend darauf verzichten, auf festen Grund zu kommen. (Außerdem bückt es sich bei nicht genau austariertem Körperschwerpunkt nur unter großer Kippgefahr.) Auch gilt es zu bedenken, dass das Gute – in welcher Form auch immer – ganz im Gegensatz zum Sprichwort selten ausschließlich von oben kommt. Viel öfter, als man meint, liegt es – im übertragenen Sinn – geradezu auf der Straße, oft direkt vor den eigenen Füßen.

Und wer jetzt glaubt, im Land der flachen Schuhe gäbe es keine Träume vom Schweben und Tanzen mehr, den kann ich beruhigen. Ich habe seit geraumer Zeit eine neue Schuhliebe entdeckt. Ich stürze mich mit Vorliebe auf alles, was Ballerinas heißt. Nicht nur, weil sie weich und bequem sind. Das auch. (Auf meinen neuesten geht man so weich und federnd wie auf Waldboden – und trotzdem findet der Fuß ein festes Bett.) Aber der wahre Grund ist ganz sicher ein anderer. Der Ausdruck Ballerinas kommt von Ballett. Und wovon träumen kleine und große Dickhäuter, wie ich einer bin? Genau.

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2 Der Frosch mit der Maske

Der Himmel war nicht eingestürzt, niemand zeigte mit dem Finger auf mich. Keiner wandte sich grußlos oder gar peinlich berührt von mir ab. Es war einfach wie immer. Ganz normal. Aber als ich beim Bäcker an der Theke stand und während des Wartens in einen Spiegel sah, der da hing und für einen Mülller oder was warb, sah ich mit größer werdenden, erstaunten Augen, dass es dafür hätte Anlass geben können. Ich war offenbar ungeschminkt aus dem Haus gegangen! Denn da schaute mir ganz unvermutet das Gesicht entgegen, das mir sonst nur morgens zu Hause im eigenen Spiegel begegnet.

Ich war perplex! Mein nacktes Gesicht, ganz ohne jede Tünche – hier vor allen Leuten! So viel Freizügigkeit gestattete ich mir normalerweise nur in den eigenen vier Wänden. In mein entgeistertes Spiegelgesicht hinein meinte ich meine Großmutter wie in meiner Teenagerzeit sagen zu hören: »Zwick dich in die Wangen oder geh gleich mal an die frische Luft. Du siehst aus wie gekotztes Apfelmus!«

Morgenstund’ hat für mich von jeher kein Gold im Mund gehabt. Ich komme am Tagesanfang nur schlecht in Fahrt. Bin eher eine Meisterin der »zweiten Luft«. Nach Mitternacht bin ich oft so frisch wie andere Leute in ihrer »Morgenstund«. Klar – geschminkt wirke ich irgendwie aufgeräumter, geglätteter und natürlich nicht so blass. Rouge über den Wangenknochen, Lippenstift und Eyeliner geben jedem Gesicht – einem so großflächigen wie dem meinen aber zumal – mehr Konturen. Aber im Großen und Ganzen sehe ich auch mit Schminke in etwa so aus, wie ich mich eben hier so erstaunt im fremden Spiegel entdeckte. Daran ändert auch Flüssig-Make-up Nr. 3 von Chanel nichts.

Nicht jede kann Claudia Schiffer oder Sharon Stone sein, schoss es mir da beim Bäcker wie entschuldigend durch den Kopf. Ich bin ich und eben keine andere, legte ich trotzig nach. Gekotztes Apfelmus hin oder her. Mit keinem anderen Menschen verwechselt werden zu können – ob beim Bäcker, Metzger oder anderswo –, ist durchaus eine Qualität, die man nicht gering schätzen sollte. Das alles sagte mir mein Verstand, direkt in mein Spiegelbild hinein. Der somit geradezu zornig auf diesen Überraschungsmoment und meine Kleinmütigkeit reagierte. Aber irgendetwas überzeugte mich doch nicht an meinem inneren Dialog. Ich war schwer verunsichert.

Mehr noch: Ich war regelrecht erschrocken über den Anblick meines gänzlich unglamourösen, ungeschützten Milchgesichts, so fern der heimatlichen Schminktöpfe. In meiner Verwirrung ließ ich nach dem Zahlen sogar den Apfelstrudel an der Kasse liegen, den ich zum Kaffee mitbringen wollte.