1000 Jahre Kult der Kelten und Germanen - Wilhelm Mannhardt - E-Book

1000 Jahre Kult der Kelten und Germanen E-Book

Wilhelm Mannhardt

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Beschreibung

Wilhelm Mannhardt beschäftigt sich in seinem ehemals zweibändigen Werk auf über 1200 Seiten mit den Wald- und Feld -Kulten der nordeuropäischen Völker, insbesondere ging es dabei um die Ackerbau treibenden Völkern und ihre dazu weit verbreiteten religiösen oder abergläubischen Gebräuche, die das Gedeihen der Feldfrucht sichern sollen. Im Band 1 und 2 befasst sich Mannhardt unter anderem mit den Baumkulten der Germanischen Stämme und ihrem Glauben an die Baum -Seele, die Wald- und Baumgeister, den Frühlings-, Sommer - Gebräuchen und ihren speziellen Erntebräuchen zu den vorher sehr genau bestimmten Jahrestagen und dem dazugehörigen Europäischen Maibaum - Kult, den Pfingstritten oder den Weihnachts- und die Fastnachts - Ritualen. Nahezu Unveränderter Nachdruck der Originalausgabe aus dem Jahre 1875. Die derzeitige Gesamtausgabe von Heinrich Schmid umfasst 4 Bände. Dies ist Teil 1 von 4.

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Seitenzahl: 497

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www.schmidheinrich.com

Verbreitungsgebiet von Teilstämmen Germanen

Germanische Expansion seit 750 v. Chr.

GNor: Nordgermanen; GMN: Nordseegermanen; GRW:

Rhein-Weser-Germanen; GElb: Elbgermanen; GOr: Ostgermanen

Der moderne Germanenbegriff baut auf der Begriffsbildung der antiken Schriftsteller auf, die spätestens im Zeitalter des Humanismus erneut aufgegriffen wurde. Obwohl bereits Tacitus Teile Skandinaviens zu Germanien zählte, ist die allgemeine Ausweitung des Germanenbegriffs auf Skandinavien eine spätere Entwicklung, die vor allem auf sprachlichen und ethnographischen Beobachtungen gefußt haben dürfte. Der schwedische Reformator und Historiker Olaus Petri unterstellte im 16. Jahrhundert Schweden und Deutschen eine gemeinsame Herkunft. Im späten 18. Jahrhundert war die Idee einer historischen, ethnischen und sprachlichen Zusammengehörigkeit der nordischen Länder mit Deutschland unter den Gelehrten allgemeine Überzeugung geworden. Gottfried Wilhelm Leibniz schrieb in seinen Unvorgreifflichen Gedancken, betreffend die Ausübung und Verbesserung der Teutschen Sprache (postum 1717, Neudruck 1995, S. 22), dass alles, was die Schweden, Norweger und Isländer von ihren Goten rühmen, auch unser sei; diese Völker müssten für nichts anderes als Norddeutsche gehalten werden. Auch Johann Gottfried Herder teilte 1765 diese Auffassung in einer Rezension zu der Einführung in die Geschichte Dänemarks des Historikers Paul Henri Mallet. Quelle Wikipedia.

Vorwort Heinrich Schmid

Eine Buchserie für alle, die sich für unsere ehemaligen und zum Teil schon weit über 1000 Jahre alten Traditionen und Rituale interessieren. Des Weiteren gibt diese Reihe einen unmittelbaren Einblick in die Verbundenheit der damals lebenden Menschen mit der Natur und ihrem Tierreich.

Herrn Wilhelm Mannhardt ist es tatsächlich gelungen uns ein Zeitdokument zu hinterlassen das einem von Anfang bis zum Ende fasziniert. Es werden Kulte, Gebräuche und Zeitzeugen aufgeführt, die einen etwas tiefer blicken lassen. Bereits im Buch 1 können wir hautnah miterleben, wie nahe wir einst unseren Bäumen, Tieren und Nutzpflanzen standen. Wie sehr wir sie doch verehrt haben und mit welchen wunderschönen Bräuchen und Ritualen wir sie alle Jahre wieder achteten.

Ich für meinen Teil würde in meinem Leben etwas vermissen, hätte ich diese Bücher nicht ausführlich kennengelernt. Denn von heute an weiß ich mehr denn je, dass der ganze europäische Norden schon lange eine große Völkergemeinschaft darstellt.

Für mich steht es völlig außer Zweifel, dass bereits der damalige „kleine Mensch von der Straße“ den absolut freien und festen Willen zum gegenseitigen Miteinander hatte, und zugleich für ein vereinigtes Europa eingetreten ist.

Ansonsten wäre es nie zu einer solchen Gleichheit von gemeinsamen Ritualen und Gebräuchen in ganz Europa gekommen. Und dies, trotz aller damaligen Kriege und Streitigkeiten!

Der Mensch an sich wollte niemals Krieg führen, er wurde einfach immer wieder dazu verführt und auch gezwungen. Dadurch gingen uns aber dutzende von völkerübergreifenden Gemeinsamkeiten verloren, nach denen wir uns alle wieder sehnen. Nur kaum mehr wissen, was sie jemals bedeutet haben, oder vor allem, wie, wann und wo, sie anzuwenden sind.

Diese Lücke hat Wilhelm Mannhardt schon 1875 für uns geschlossen.

Wir müssen uns einfach wieder damit auseinandersetzen und neu entdecken.

Damit wären die derzeitigen Hürden der nordischen Völker untereinander und die weit größere Unverbundenheit mit der heutigen Natur überwunden.

Lassen Sie sich von dem alten Wissen und dem früheren Umgang der Menschen Untereinader inspirieren. Denn bereits die sorgten immer wieder für ein gemeinsames Miteinander und den harmonischen Umgang mit ihrer Natur. Davon können wir heute momentan nur träumen.

Wir wären sicherlich wieder auf einem guten Weg, wenn wir nur einige dieser Rituale und Gebräuche wieder beachten würden und lernen sie auch anzuwenden.

Hunding, den 03.07.2020

Heinrich Schmid

Hiermit übergebe ich nun das WORT an einen grandiosen Autor des 19. Jahrhunderts.

Vorwort

Wald- und Feldkulte von Wilhelm Mannhardt (Originalverfasser)

Das vorliegende Buch, beginnt die Veröffentlichung einer Reihe von Vorarbeiten, die sich dem Verfasser als erforderlich ergeben hatten, um zur Klarheit und Sicherheit über das Fachwerk zu gelangen, in welches die einzelnen Stücke der von ihm unternommenen „Sammlung der Ackergebräuche“ einzuordnen seien.

Es ist hier der Versuch gemacht worden, die wichtigsten Sagen, Frühlings- und Sommergebräuche, welche zu den Erntegebräuchen in unverkennbarer Analogie stehen, einzig und allein aus sich selbst heraus einer methodischen Untersuchung auf ihren Inhalt und dessen Bedeutung zu unterwerfen, soweit es der Hauptsache nach auf Grund des in der Literatur vorhandenen Materials schon jetzt geschehen konnte. Doch sind an vielen Orten bisher ungedruckte Überlieferungen eingestreut.

In größerem Umfange ist dies bei Gelegenheit des Erntemai geschehen, die rheinländischen Sitten und die zu Kuhns Aufzeichnungen hinzugekommenen westfälischen verdanke ich schriftlichen Mitteilungen, so auch alle übrigen, dagegen sind die darin verzeichneten französischen, einer größeren Sammlung entnommen, welche mir im Jahre 1870 persönlich aus der Unterhaltung mit Kriegsgefangenen zu schöpfen vergönnt war.

Den mannigfachen neuen Stoff, welchen Ich in dem Abschnitte über die schwedischen Waldgeister verwenden konnte, schulde ich dem gütigen und liebreichen Entgegenkommen der Herren D. D. Hildebrand (Vater und Sohn) in Stockholm, Propst E. Rietz in Tygelsjö bei Malmö (Inzwischen verstorbenen), und Baron Djurklou auf Sörby bei Örebro, welche bei meinem ersten Aufenthalt in Schweden im Herbste 1867 mir die im Besitze des Reichsantiquariums, des schonischen Altertumsvereins und ihrer selbst befindlichen handschriftlichen Aufzeichnungen von Volksüberlieferungen mit außerordentlicher Liberalität zugänglich machten und deren Benutzung erleichterten.

Meinem verehrten Freunde Professor H. Weiß, Custos des Kupferstichkabinetts in Berlin, bin ich für den Nachweis mehrerer der auf S. 339 – 340 (erst in BUCH 2) erwähnten Kunstwerke, den Vorständen und Beamten der königlichen und Universitätsbibliothek zu Berlin für freundlichen, unermüdlichen Beistand verpflichtet. Vor allem aber fühle ich mich gedrungen, dem hohen Unterrichtsministerium meinen ehrerbietigsten Dank für die fortgesetzte hochgeneigte Förderung und Unterstützung meiner Bestrebungen auszusprechen.

Eine eingehendere Erörterung über die Grundsätze, das Rüstzeug und die Methode, sowie über die allgemeinen Ergebnisse meiner Arbeit wird den zweiten Band einleiten, der durch treffende Belege die Wahrheit der aufgestellten Sätze zu bestärken Gelegenheit gibt.

Im Übrigen bilden die in diesem Bande vereinigten Untersuchungen ein abgeschlossenes Ganzes für sich.

Mögen sie sich Freunde erwerben und als ein nicht unbrauchbarer Beitrag zur Lösung der großen Aufgaben erfunden werden, welche der Kulturgeschichte heutzutage im Zusammenwirken der Wissenschaften zugefallen sind.

Danzig, den 13. October 1874.

Wilhelm Mannhardt.

Inhaltsverzeichnis Buch 1.

Die obere Seitenzahl entspricht dem Original.

Grundanschauung:

Aus der Beobachtung des Wachstums schloss der Urmensch auf Wesensgleichheit zwischen sich und der Pflanze; er maß ihr eine der seinigen ähnliche Seele bei. Auf dieser Grundvorstellung beruht der Baumkultus nordeuropäischer Völker

Erstes Kapitel.

Die Baumseele.

1.1.

Gleichsetzung des Menschen und der Pflanze, verschiedene Formen dieses Glaubens

1.2.

Mensch und Baum, Gleichnis im Hávamál

1.3.

Anthropogonischer Mythus von

Askr

und

Embla

1.4.

Der Baum als Person behandelt

1.5.

Die Holundermutter, die Eschenfrau und ihre Sippe. Verehrung des Baumgeistes, dem das Vermögen zu schaden beigemessen wird, durch Opfer und Gebet

1.6.

Niederlitauische Baumgeister. Verbot des Baumschälens zwischen Stamm und Rinde sitzende Geister schaden den Haustieren

1.7.

Baum, Menschenleib und Krankheitsdämonen. Die unter der Borke weilenden Insekten mit den wurmgestaltigen Krankheitsgeistern (Eiben, bösen Dingern, Holdichen) identifiziert,

* 1

führen zu dem Volksglauben, dass der Baum Krankheiten entsenden, oder entfernen (zurückrufen) könne

Hieraus entspringende sympathetische Kuren, um den Krankheitsgeist in den Baum oder Wald zurückzubannen

Sprossform, Verpflöckung der Maus in den Baum

Hiebei ist der Baum selbst mit dem Menschenleibe in Parallelismus gedacht.

1.8.

Strafe für Baumschäler nach dem Grundsatz Auge um Auge, Zahn um Zahn setzt den Glauben an Persönlichkeit des Baumes voraus.

Historische Zeugnisse für die Ausübung des Brauchs als religiöse Handlung

1.9.

Miteinanderwuchs des Baumes und des Menschenleibes, Kranke mit Leibesschäden verknüpfen ihr Leben auf mystische Weise mit einem Baume, indem sie durch einen Spalt desselben kriechen

1.10.

Verletzte Bäume bluten. Die Beseelung des Baumes gedeiht bis zur Annahme menschlicher Körperlichkeit unter der Rinde. Die magische Wechselwirkung mit dem Menschen spricht sich in dem Glauben aus, dass der Baumschädiger sich selbst die gleiche Wunde beibringe, wie dem Baume

1.11.

Freibäume, die nicht gehauen werden durften, von einem Geiste beseelt

1.12.

Baum zeitweilige Hülle einer abgeschiedenen Seele. Die Vorstellung von der Baumseele kleidet sich auch in die Gestalt, dass Bäume aus dem Leichnam Toter hervorsprießen, oder dass die Seelen Verstorbener im Baume verkörpert sind, oder im Baume Wohnung haben und zeitweilig außerhalb desselben im Winde umfahren.

1.13.

Baum, Aufenthalt des Hausgeistes, Abart der zuletztgenannten Vorstellung

1.14.

Baum, Schutzgeist oder Sitz des Schutzgeistes. Der ideale Doppelgänger, der Genius einer Menschenseele oder der Seele eines ganzen Geschlechtes mit der Seele eines bestimmten Baumes identifiziert

1. 14.a.

Baum, Lebensbaum. Brautleute sehen das Abbild ihrer Person, ihres Lebens in einem grünen Baume; ein solcher wird ihnen aufs, oder vors Haus gesetzt

1. 14. b.

Fortreisende verknüpfen ihr Leben mit einem Baume.

1. 14.c.

Schicksals- und Geburtsbaum von Einzelnen und Familien

1. 14.d.

Vårdträd, der vom Schutzgeist bewohnte Schicksalsbaum hinter dem Hofe in Schweden, Dänemark, den Alpen

1.15.

Der

Weltbaum Yggdrasill

aus dem Vårdträd entstanden.

1.16.

Erläuternde Begegnisse aus dem täglichen Leben

1.17.

Boträ. Der Baum am Hause, beziehungsweise dessen Wurzel statt des einen Schutzgeistes von vielen Hauskobolden, Elfen, Hollen u. s. bewohnt. Der altpreußische Puschkaitis

Baumzweige nachts des Elfenkönigs Soldaten. Das Göttergeschoß, êsa gescot in der Baum und Mensch. Gleichstellenden Sagenfamilie vom Axthieb der wilden Jäger. Hexen n. s. w.

Estnische Sage vom Baumelf als Beherrscher der Baumgeister

Baumelfen als Diebe

Die Baumnymphe tritt, mit ihrem Leben an den Baum geknüpft, aus demselben zeitweise heraus and lebt mit Menschen in Ehegemeinschaft

1.18.

Chronologische Zeugnisse

Zweites Kapitel.

Die Waldgeister und ihre Sippe.

2.1.

Übersicht. Aus der Mehrheit der Baumgeister entstehen als ihre kollektive Repräsentanten die Waldgeister; freiwaltende Persönlichkeiten, deren Leben jedoch an das Schicksal der Bäume gebunden ist, äußern sie ihr Dasein im Winde, erweitern sich zu Dämonen der Vegetation. Baummänner im Hàvamàl

2.2.

Holz und Moosfräulein. Gestalt; geben Verbote aus Trieb der Selbsterhaltung

Ihre Garnknäuel

Wirksamkeit im gesamten Wachstum. Opfer für sie, bei der Flachs - , Heu - , Korn - Obsternte

Verbindung mit Menschen. Hilfe bei der Erntearbeit. Haussegen

Entfernen als Wachstumsgeister Krankheit

Fahren im Winde vom wilden Jäger verfolgt. Drei Kreuze in die Bäume gehauen

2.3.

Wildleute in Böhmen

2.4.

Wildleute in Hessen, Rheinland, Baden

2.5.

Die Wildleute in Tirol, Fanggen, riesige Waldgeister, an das Leben des Waldes geknüpft, fahren im Wirbelwinde, werden Hausgeister, Sage vom Tode der Hochrinde

2.6.

Wildleute in Graubünden, Waldfänken, gehen in Zwerge (Fenggen) und Hauskobolde über Seitenstück zur Polyphemsage.

2.6.

Hüten die Kühe in den Alpen, werden durch Wein berauscht und gefangen

2.7.

Wildleute in Tirol. Selige Fräulein in Tirol, Wilde Frauen in Salzburg, eine andere Form der Tiroler Waldgeister in Berg- und Feldgeister übergehend. Wohnen in Berggrotten. Gämsen ihr Getier. Verlockender Gesang. Ihre Garnknäuel und sonstigen Geschenke.

Dienen als Hausgeister. Ehe mit Menschen

Spuren ehemaliger Geltung als Baumgeister

Ihr Gatte der riesige wilde Mann, der sie im Sturme verfolgt.

Heilkundig

Kinderraub. Lange Brüste

2.8.

Wildleute. Die raue Else der Wolfdietrichssage

2.9.

Wilde Leute, Norggen, d. h. zwerghafte Wildmännl sagen die Witterung voraus

2.10.

Wilde Leute. Bilmon, Salvadegh, Salvanel in Wälschtirol; gente salvatica um Mantua den Faunen ähnlich

2.11.

Wilde Leute. Pilosus, Schrat, Schratlein

2.12.

Wildleute, Delle Vivane, Enguane in Wälschtirol

2.13.

Wilde Leute der keltischen Sage

2.14.

Dames vertes in Frankreich

2.15.

Wildfrauen in Steiermark. Hohl wie ein Baumstamm

2.16.

St. Walpurgis .

2.17.

Weiße Weiber, Ellepiger, Meerfrauen in Niederdeutschland und Dänemark. Beziehungen zur Pflanzenwelt. Vom wilden Jäger gejagt hohler Rücken

2.18.

Die schwedischen Waldgeister. Skougmann (Hult«) und Skogsnufva. Wirbelwind ihr Element. Kuhschwanz, lange Brüste, hohler Rücken

Lachen. Irreleiten

Opfer auf einem Steine

Skogsfru Herrin der Waldtiere und der Jagd

Liebschaft und Ehe mit Menschen

Von König Oden verfolgt

2.19.

Die russischen Waldgeister, Ljeschje sind oft bocksgestaltig. Ihre Größe dem Pflanzenwuchs gleich

Haben ein Auge; walten in Orkan und Wirbelwind

Leiten den Wanderer irre

Behüten die Herde, Opfer für sie auf einem Baumstumpf

Zauberspruch, sie herbeizurufen

Machen Kohlen zu Gold

Hochzeit im Wirbelwind. Kinderraub

2.20.

Peruanische und brasilianische Waldgeister den Nordeuropäischen ähnlich

2.21.

Rückblicke und Ergebnisse. Waldgeister, Verschmelzung von Baumgeistern und Windgeistern.

Ihre Gestalt

Ihr Zusammenhang mit der Baumwelt

Ihre Lebensäußerung in Wind und Wetter.

Geschlechtliche Verbindung mit Menschen.

Raub von Kindern und Wöchnerinnen

Übergang in Hausgeister

In Feldgeister

Drittes Kapitel

Die Baumseele als Vegetationsdämon.

* 1) Vgl. auch noch den franz. Aberglauben: das Haar eines verwundeten Menschen, oder Tiers unter die Rinde einer Zitterespe gesteckt, macht die Würmer aus der Wunde herausfallen, oder sterben. Thiers bei Liebrecht, Gervaius S. 238, 227.

Ausblick auf Buch 2

Christblock und Weihnachtsbaum. Junge Bäume Weihnachten ins Getreide gesteckt.

Oder mit Getreide beschüttet und ins Feuer gelegt.

Baumzweige, Baumklötze im Weihnachtsfeuer verbrannt haben Zauberwirkung für Menschen, Tiere, Pflanzen. Nächstliegende Deutung dieser Bräuche aus christlicher Symbolik.

Auf letzterem Bilde beruhende Sitten und Sagen.

Die Empfängnis durch Ähren auf dem Mantel der Madonna dargestellt.

Christus der himmlische Weizen in weiteren kirchlichen Sitten und Volksgebräuchen.

Vorschau zu den Themen in Buch 2.

Der Christblock: die christlichen Deutungen und ihre Verwandtschaft mit dem Maibaum. Ebenso verhält es sich mit dem Weihnachtsbaum. Derselbe ist erst seit einem Jahrhundert allmählich verbreitet (1875) ging aber möglicherweise aus dem Paradiesbaum hervor.

Näheres dazu in Buch 2

Der Schlag mit der Lebensrute: Menschen, Tiere, Pflanzen zu gewissen Zeiten mit einem grünen Zweige (resp. Stock) geschlagen, um gesund, kräftige fruchtbar zu werden,

Auslauf über die Irmensäule. Neben dem Maibaum als Lebensbaum der Gemeinde war die Irmensul vielleicht Lebensbaum des Volkes?

Wald- und Baumgeister als Vegetationsdämonen: Persönlich dargestellte Wald- und Baumgeister als Vegetationsdämonen. Die dem Maibaum innewohnende Seele durch eine daran gehängte Puppe oder einen nebenher gehenden oft in grünes Laub gehüllten Menschen veranschaulicht!

Vegetationsgeister, die Maibrautschaft: Das Maikönigspaar. An Stelle des einen männlichen oder weiblichen Vegetationsdämons, Laubmanns, Pfingstkönigs u. s. w. erscheint oft ein Paar. König und Königin, war die Gleichstellung bereits hier fast vollzogen und warum wurde sie weder missachtet? Ebenso gab es ja auch Maiherr und Maifrau!

Vegetationsgeister: Sonnenzauber. Verbrennung in den Faschings- und Lätaregebräuchen an einer Puppe, dem Fasching, Tode u. s. w. geübt, stellt sinnbildlich das Hindurchgehen der im Winter erstorbenen, zum Wiederaufleben bestimmten Vegetation durch das von den Krankheits- und Mißwachsgeistern reinigende Sonnenfeuer dar. Eine menschliche Gestalt nebst einem Baume (dem Maibaum) auch in andern Frühlings- und Sonnwendfeuern verbrannt, zu deren Zubehör außerdem Scheibenschlagen, Hindurchgang von Menschen unter ....

Vegetationsdämonen: Nerthus. Die Umfahrt. Gewährt der Schiffsumzug des Jahres 1133 eine Analogie? Erläuterung desselben durch asiatische Analogien und historische Verhältnisse

4.0. Schlusswort zu Buch 1. von Seite →.

Wald und Feldkulte, Baumgeist und Korndämon.

Zusammenfassende Darstellung der hauptsächlichsten Resultate. Ein Hauptergebnis, der Nachweis des in verschiedenen Formen und Zügen ausgeprägten Glaubens an die Baumseele, den Baumgeist, findet sich die vollständige Bestätigung durch den in allen Einzelheiten entsprechenden Parallelismus des Glaubens.....

Grundanschauungen.

In dem ewigen Kreislauf, der die Atome aller irdischen Dinge umhertreibt und in welchem jeder, auch der festeste Körper, nichts anderes darstellt, als eine zeitweilige Form der unaufhaltsamen Bewegung, einen Strudel im Strome, ist trügendem Augenscheine nach dem Steine ein ruhiges Verharren gegeben.

Von seiner Starrheit hebt sich unterscheidend der verhältnismäßig schnelle und in regelmäßiger Wiederkehr nachweisbare Verlauf in der Veränderung organischer Bildungen ab.

Alle lebenden Wesen vom Menschen bis zur Pflanze haben Geborenwerden, Wachstum und Tod miteinander gemein und diese Gemeinsamkeit des Schicksals mag in einer fernen Kindheitsperiode unsers Geschlechtes so überwältigend auf die noch ungeübte Beobachtung unserer Voreltern eingedrungen sein, dass sie darüber die Unterschiede übersahen, welche jene Schöpfungsstufen von einander trennen * 2.

Die Anerkennung der Gleichartigkeit ging so weit, dass manche Völker die ersten Mensehen aus Bäumen oder Pflanzen gewachsen oder geschaffen annahmen; noch in historischer Zeit verfügt die Sprache und naturwüchsige Dichtung der meisten Nationen über einen mannigfaltigen Vorrat von schönen Vergleichen des animalischen und des vegetabilischen Lebens, welche teils als zerbröckelte Trümmer uralter, auf das naive Bewusstsein der Identität gegründeter Mythen anzusehen sind, teils die ursprünglichen ästhetischen, in Anschauung umgesetzten Empfindungen konservieren oder aus der Tiefe des Menschengeistes neu erzeugen, die auch jenen das Dasein gaben.

Am häufigsten finden wir auf Zustände in der Entwickelung des Menschen die entsprechenden Erscheinungen des vegetabilischen Daseins in bildlicher Redeweise übertragen. Der Mensch blüht, wächst und welkt; in seiner Vergänglichkeit gleicht er dem Grase des Feldes; der Mann in seiner Kraft erinnert an die starke Eiche, das hingebende, anmutige Weib an den umrankenden Epheu, die duftende Blume.

Der Liebende aller Zeiten und Länder weiß die Schönheit der Geliebten nicht treffender zu schildern, als wenn er das Mädchen als seine Rose, Lilie, als Myrte oder Granatblüte feiert. Die reiche Lese verwandter Wendungen, Beiwörter und Kosenamen, welche J. Grimm in seinem feinsinnigen Aufsatze „Frauennamen aus Blumen zusammengebracht hat, ließe sich von allen Feldern der Weltliteratur mit Leichtigkeit ins Unübersehbare vermehren. Andererseits machen Sprache und Dichtung, umgekehrt die Pflanze zum Spiegel animalischen Lebens.

Der junge Pflanzenschoß im Frühlinge wird dem jungen Tiere verglichen. Dem Römer erschien er wie ein Kind, Füllen oder Küchlein (pullus), dem Griechen wie ein Kälbchen (qóazog); die Berechtigung dieser Auflassung werden die nachfolgenden Untersuchungen hoffentlich dartun. Unsere Palmkätzchen gehören einer andern Vorstellungsgruppe an, sie tragen ihren Namen von dem silbergrauen, sammetweichen Fell; aber im skandinavischen Norden war „kalfr“ Kalb vom neuen Pflanzenspross im Gebrauch, z.B. „hvannarkálfr Fornaldars“. I,

Die weibliche und männliche Blüte des Hanfs wird als Hahn und Henne unterschieden, wie das Männchen und Weibchen mancher Singvögel; und nicht unerwähnt bleibe die auf dem Gebiete der Pflanzennamen reichlich und schon seit Alters hervortretende Neigung, die Gestalt der Kräuter einzelnen Gliedmaßen der Tiere zu gleichen (Wolfsfuß, Gansfuß, Storchschnabel, Löwenzahn u. s. w.).

Auch diesmal bietet die Menschengestalt, welche zwar übrigens im weitesten Abstände von der am Boden haftenden Pflanze befindlich, durch ihren aufrechten Wuchs derselben sich wiederum am meisten nähert, die ausgiebigste Veranlassung zu personifizierenden Gleichnissen. Wir legen den Gewächsen im Schmuck der poetischen Darstellung gerne Fuß und Arm, Kopf und Augen, Brust, Busen, Haar und Kleidung u. dergl. bei. Reichliche Beispiele für diesen Sprachgebrauch bei neueren deutschen Dichtem, Shakespeare und den Autoren des klassischen Altertums ließen sich aus der reichhaltigen und lehrreichen Schrift von 6. Hense „Personifikationen in griechischen Dichtungen, Thl. I. Halle 1868" zusammenstellen. Schon diese so zu sagen teilweise und vorübergehende Art von Personifikation setzt Beseelung voraus; der Mensch leiht dem bewusstlosen Gewächse Empfindung und weil wir in demselben, gewisse Eigenschaften wahrzunehmen glauben, die an verwandte Saiten in unserm Innern anklingen, sucht unsere Phantasie in ihm ein Leben wie das unsrige, Geist von unserm Geiste. Diese Vorstellung steigerte sich in früher Vorzeit ohne Zweifel zu dem wirklichen Glauben, dass die Pflanze ein dem Menschen gleichartiges, mit Denken und Gesinnung begabtes Wesen, Mann oder Weib sei. Als später im primitiven Bewusstsein ein Bruch eintrat und eine Art von botanischem Begriff aufzukommen begann, suchte jener Glaube in veränderten Formen sein Dasein zu retten.

Zunächst musste er sich von Tag zu Tage fortschreitend eine Einschränkung auf einzelne Individuen gefallen lassen, an denen das Wunder noch haftete, während die große Mehrzahl der Gewächse der nüchternen Betrachtung und dem noch mehr ernüchternden Gebrauche des wirtschaftlichen Lebens verfiel. Sodann hieß es nun entweder, die Pflanze sei der zeitweilige Sitz, das Kleid, die Hülle einer durch den Tod aus dem leiblichen Dasein entrückten Menschenseele.

Kobersteins treffliche Abhandlung * 3 ist noch immer das Beste, was bisher über diesen Gegenstand veröffentlicht wurde. Nach anderer Auffassung sind gewisse Pflanzen verwandelte Menschen oder Halbgötter, deren Bewusstsein durch Zauber oder Schicksalsspruch in ihnen noch fortlebt. Hieraus erklärt sich in weit größerem Umfange, als man bisher zu wissen scheint, eine Anzahl der vielen Volkssagen, in welchen von einer Metamorphose in Pflanzen die Rede ist * 4.

Endlich eine dritte Anschauungsweise weiß von einem geisterhaften Wesen, einem Dämon, dessen Leben an das Leben der Pflanze gebunden ist. Mit ihr wird er geboren, mit ihr stirbt er. In ihr hat er seinen gewöhnlichen Aufenthalt, sie ist gleichsam sein Körper und doch erscheint er vielfach auch außer ihr in Tier- oder Menschengestalt und bewegt sich in Freiheit neben ihr.

Eine Abart dieser Vorstellung tritt uns entgegen in Form der Annahme, dass der Dämon nicht der einzelnen Pflanze, sondern einer Vielheit derselben, oder der gesamten Vegetation einwohne und darum auch nicht im Herbste mit den einzelnen Gewächsen vergehe, sondern irgendwo überwintere und im neuen Jahre sein Leben in der Natur weiterführe. Einmal aus der Pflanze herausgetreten, wird der Dämon endlich zuweilen im Fortschritte der Entwickelung zum Geber oder Schöpfer ihres Lebens, er ist und webt nun nicht sowohl in der Vegetation, er bringt dieselbe hervor.

Die auf vorstehenden Blättern nach verschiedenen Stufen gesonderten Anschauungen gehen in der Wirklichkeit meistens in einander über. Das Volksgedächtnis bewahrt sie neben einander oder verbindet sie oder ihre Spielarten in mannigfaltigster Weise zu neuen Gebilden. Der Verfasser meint dartun zu können, dass auf der Entwickelung dieser Grundanschauungen ein nicht geringer Teil des Glaubens und Brauches der europäischen Menschheit, und zwar sowohl der nordeuropäischen Stämme, als der Hellenen und Italer beruhte. Das vorliegende Buch ist bestimmt, dem Erweise dieses Satzes zunächst in Bezug auf die nordeuropäischen Baum- und Waldgeister zu dienen.

* 2) Dass der Naturmensch den Unterschied von Geist und Körper noch wenig beachtet, sich mit seinen Nebengeschöpfen auf gleichem Niveau rangiert, nicht nur Menschen, Tieren, Pflanzen, sondern auch Steinen und Hausgeräten Seele und Wiederaufstehen im Jenseits zuschreibt, auf Tiere mit Stolz seine Ahnenreihe zurückleitet u. s. w. setzt. A. Bastian in Steinthals Zeitschr. f. Völkerpsychol. V, 153 gut auseinander.

* 3) Koberstein, A., üb. d. Vorstellung v. d. Fortleben menschlicher Seelen in der Pflanzenwelt. Naumburg 1849; wieder abgedruckt Weimar. Jahrbuch I, 72-100. Vgl. den Nachtrag Reinhold Köhlers ebd. 479-483, Herrig. Archiv f. d. Stud. der n. Spr. XVII, 444. Sitzungsberichte der Wiener Akad. 1856. XX, 94. Slawische Beispiele bei Grohniann, Abergl. a. Böhmen 193, 1361. 93, 648.

* 4) Gute und richtige Bemerkungen über diesen (Gegenstand machte B. Schmidt in .s. hübschen Aufsatz über Calderons Behandlung antiker Mythen im Rhein. Museum X. 1856, p. :341 : „Jener Glaube (an Verwandlungen von Menschen in Pflanzen) wurzelt durchaus in einem Gefühle der alten Völker >> das der neueren Zeit völlig fremd ist, in ihrer religiösen Sympathie mit der Natur. Vermöge dieser, empfanden sie die Pflanze wie den Stein und das Gewässer als individuell begeistet (mit geist), dagegen den Menschen auch in seinem geistigen und sittlichen Dasein als eine Gestalt der Natur brachten also für ihre Betrachtung das Naturleben und das Leben der Menschen in ein Verhältnis innerer Gleichartigkeit und gemütlicher Nähe und sahen darum auch die Schranken zwischen dem einen und dem andern als leicht überschreitbar an.“

Kapitel I.

Die Baumseele.

1.1. Gleichsetzung des Menschen und der Pflanze. Verschiedene Formen dieses Glaubens.

Wir wenden uns zunächst der Betrachtung einer Reihe germanischer, lettoslavischer und keltisch- romanischer Anschauungen und Bräuche zu, welche uns darüber belehren, wie und in welcher Weise der Gedanke, dass die Pflanze beseelt sei, in Bezug auf die Bäume weiter und in mannigfachen Formen bis zu so völliger Gleichstellung mit den Menschen hinausgesponnen und entwickelt wurde, dass die einen so zu sagen als vollendete Doppelgänger der andern auftreten.

Schon im anthropogonischen Mythus nehmen wir eine Art solcher Gleichsetzung wahr; eine andere äußert sich in der Behandlung des Baumes als persönliches Wesen.

Die Identifizierung erstreckt sich zuweilen sogar auf eine imaginäre Verschmelzung der Körperlichkeit von Mensch (oder Tier) und Pflanze, und führt zu der Annahme, dass der Baum der Körper einer durch den Tod dem Menschenleibe entrückten Seele, der Wohnsitz mehrerer Elfen oder eines Schutzgeistes sei, der wiederum kaum von einem Alter Ego des Menschen zu unterscheiden sein möchte.

Zuweilen führt die Baumseele oder der Baumgenius auch schon ein Leben außer dem Baumleibe in Sturm und Unwetter, in Wald und Feld.

Da wir die in diesen Überlieferungen sehr scharf und deutlich zu Tage tretenden Verhältnisse später einmal vorzugsweise zum Verständnis von Korngeistern vergleichend zu nutzen gedenken, gestatten wir uns hier bereits gelegentlich von selbst aufstoßende Übereinstimmungen der Baumsage mit dem an das Getreide geknüpften Volksglauben vorzumerken.

Und auch das möge den Leser nicht stören, wenn er (da sich ein anderer Platz dazu nicht eignete) in die Darlegung des Baumglaubens nordeuropäischer Stämme nicht ganz selten auch einzelne Analogien aus fernen Ländern und Weltteilen eingeflochten findet.

Es geschähe gegen unseren Willen, wenn durch Schuld dieser Einschaltungen das Bild des nordischen Baumcultus sich in einen verschwimmenden Allerweltsnebel auflösen würde. Wir stimmen vollkommen den goldenen Worten Th. Mommsens zu (Römische Chronologie): „Das über die Kluft der Nationen hinweggerichtete Auge erfaßt nur allzuleicht der Schwindel und man vergißt den wahren und hauptsächlichsten Grundsatz aller historischen Kritik, dass die einzelne historische Erscheinung zunächst im Kreise der Nation, der sie angehört, geprüft und erklärt werden soll und erst das Resultat dieser Forschung als Grundlage der internationalen dienen darf."

Insofern es sich aber bei unseren Zusammenstellungen zunächst noch nicht um die Darlegung irgend welcher historischen Verwandtschaft, sondern um die Beschreibung von Typen handelt, so bedienen wir uns desselben Vorteils, den etwa der Botaniker genießt, wenn er die Koniferen (Baumart) Europas und Amerikas miteinander vergleichen kann. Die Beobachtung gewisser gleicher Eigenschaften bei beiden macht klar, dass dieselben zum Wesen der Gattung gehören. Gleichartigkeit der Vorstellungen über den nämlichen Gegenstand in zwei verschiedenen Zonen lässt zumeist auf eine gewisse psychologische Notwendigkeit derselben Schließen und die eine erläutert die andere. Nur als ein solches die Natur und den Sinn der nordeuropäischen Traditionen durch Analogie erläuterndes Material wünscht der Verfasser, Einschiebsel aus der Fremde, betrachtet zu sehen.

1.2. Mensch und Baum. Gleichnis im Hávamál.

Die germanische Welt hat die Gleichung Mensch und Pflanze zur mannigfachsten Entfaltung gebracht. Auch abgesehen von jeder mythischen Verkörperung war dieselbe in unserer Poesie von Alters her lebendig. Wie neuerdings Schiller den von seinen Anhängern verlassenen Wallenstein einen entlaubten Stamm nennt, hatte z. B. schon ein altnorwegischer Gnomendichter, dessen Sinnspruch man später dem Odhinn in den Mund legte, gesagt: Der Baum, der einsam im Dorfe steht, stirbt ab und nicht Laub noch Rinde halten ihn fürder warm; so ist der Mann, den niemand liebt, was soll er länger leben? * 5.

1.3. Anthropogonischer Mythus von Askr und Embla.

Jahrhunderte bevor dieses Stückchen Volksweisheit sein poetisches Gewand erhielt, mag der bekannte anthropogonische Mythus von Askr und Embla entstanden sein. Derselbe ist jedoch — ich folgere dies aus psychologischen Gründen — unmöglich in der uns vorliegenden Form zuerst entsprungen, sondern wir besitzen ihn in einer Gestalt, welche erst das Ergebnis mehrfacher Umwandlungen im Munde der Dichter gewesen zu sein scheint. Wie die Urform lautete, werden wir verstehen, wenn wir die noch einfachere Gestalt entsprechender Sagen bei anderen Völkern in Vergleich ziehen.

Bekanntlich lässt eine der eranischen Schöpfungssagen, aus denen die Cosmogonie des Bundehesch zusammengesetzt ist, das erste Menschenpaar Maschia und Maschiâna in Gestalt einer Reivaspflanze (rheum ribes) aus der Erde emporwachsen. Sie machten ursprünglich ein ungetrenntes Ganze aus und trieben Blätter; in der Mitte bildeten sie einen Stamm, oben aber umarmten sie sich dergestalt, dass die Hände (Zweige, Äste) des einen sich um die Ohren des andern schlangen. Erst später wurden sie von einander getrennt. In diesen Körper goss Ahuramazda die zuvor bereitete Seele und sie wuchsen zur Menschengestalt, indem jener Glanz geistiger Weise zum Durchbruch kam, der die Seele kundgibt * 6. Diese weder dem Avesta, noch den alten von Firdosi benutzten Quellen bekannte Anthropogonie * 7 macht gleichwohl auf hohes Altertum Anspruch, insofern sie noch ziemlich unverändert jene früheste Anschauungsstufe vor Augen stellt, wonach Mensch und Pflanze gleiches Wesens waren, und unmittelbar in einander übergingen. Eine ganz ähnliche Vorstellung begegnet bei den den Eraniern allem Anscheine nach nahverwandten Phrygern im Stromgebiete des Saugarios. Ihnen galten die Korybanten als die ersten Menschen; die Sonne beschien sie zuerst, als sie baumartig emporsproßten * 8. Wir wissen nicht, wie sich der Rationalismus einer späteren Zeit den in der Mythe ausgesprochenen Übergang des Baumes in die Menschengestalt in diesem Falle zurechtlegte.

Nach den Sioux, die gleich den Karaiben und Antillenindianern ebenfalls die Stammeltern im Anfange als zwei Bäume entstehen ließen, standen diese viele Menschenalter hindurch mit den Füßen im Boden haftend, bis eine große Schlange sie an den Wurzeln benagte, worauf sie als Menschen weggehen konnten * 9. Diesen Beispielen entsprechend wird auch der germanische Mythus die Urahnen anfänglich nicht aus toten Hölzern, sondern aus lebendigen aus der Erde aufsprießenden Bäumen (einem mit einem männlichen Namen und einem mit weiblicher Benennung) haben hervorgehen lassen; später hat er dann zur Motivierung der freien Beweglichkeit des Menschen eine Umänderung dahin erfahren, dass drei kräftige und liebreiche Götter am Strande zwei über Meer von den Wellen ans Land getriebene Bäume (Askr und Elmja (?), Esche und Ulme (?) fanden und den noch Schicksalslosen Geist, Sprache, Blut und blühende Farbe einflößten. Die belebten Bäume Askr und Elmja (? fem. zu almr.

1.4. Der Baum als Person behandelt.

Beruht der anthropogonische Mythos der Nordgermanen auf der Anschauung „der Mensch ist wie ein Baum“, so haftet der umgekehrte Vergleich „der Baum ist wie ein Mensch“ nicht minder tief in dem Volksglauben sowohl der skandinavischen als der deutschen Stämme, denen sich slawische und finnische Nachbarn anschließen. Schon auf den untersten Stufen zeigt sich diese Vorstellung in verschiedenen Formen, fast überall jedoch—wo sie auftritt — hat sie den Standpunkt der reinen Identität bereits verlassen und als Beimischung die Annahme eines dem Menschen zwar ähnlichen, aber geheimnisvollen und übernatürlichen Wesens erhalten. Am nächsten kommt es jenem ursprünglichen Standpunkt, dass der Mensch den Baum selbst ganz als eine ihm gleich stehende oder übergeordnete, mit individuell bestimmtem Charakter, mit menschlichem Ethos begabte Persönlichkeit behandelt und anredet. Man kündigt in Westfalen den Bäumen den Tod des Hausherrn an, indem man sie schüttelt, und spricht: „Der Wirt ist tot" * 12. Die mährische Bäuerin streichelt den Obstbaum mit den von Bereitung des Weihnachtsteiges klebrigen Händen und sagt: „Bäumchen bringe viele Früchte" * 13. Man springt und tanzt in der Silvesternacht um die Obstbäume und ruft:

Freue ju Böme , Nüjâr is kômen!

Dit Jâr ne Kare vull, Up et Jâr en Wagen vull! * 14.

Zwischen Eslöf und Sallerup im Haragers Härad in Schweden befand sich noch 1624 ein Hain, den eine Riesenjungfrau gesät haben sollte; darin gab es eine Eiche, die Gyldeeiche, worin in alten Tagen viel Spukerei gespürt war.

Wer irgend vorbeiging, grüßte den Baum mit Ehrerbietung „Guten Morgen Gylde!" „Guten Abend Gylde!" * 15. Allem Anscheine nach auf einstigem Gebrauche ruht, was der Tiroler vom Holunder sagt:

„Der Holer ist ein so edler Baum, dass man vor ihm den Hut abnehmen soll“ * 16.

Die Holzarbeiter in der Oberpfalz reden von den Waldbäumen wie von Personen; zieht der Wind durch die Baumkrone, so „neigt sie sich und beginnt zu sprechen"; die Bäume „verstehen sich". Der Baum „singt", wenn die Luft durch seinen Wipfel streicht; nur ungern „lässt er sein Leben"; unter dem Axtschlag „seufzt", zu Boden fallend „stöhnt" er.

Ein Förster stritt mit dem Herrn des Waldes, welche von den zwei schönen Buchen vor ihnen gefällt werden solle. Da beugten sich beide Bäume seufzend hin und wieder. „Wer hat geseufzt?" rief der Herr. Es war aber niemand da, der Antwort gab. Furcht trieb sie von dannen und die herrlichen Bäume blieben verschont. Noch jetzt bitten die Holzfäller den schönen gesunden Baum um Verzeihung, ehe sie ihm „das Leben abtun" * 17.

1.5. Die Holandermutter, die Eschenfrau und ihre Sippe.

Trogill Arnkiel, ein geborener Nordschleswiger und Pastor zu Apenrade erzählt 1703, dass in seiner Jugendzeit (wie er öfters gehört und gesehen) niemand es wagte, frischweg einen Elhornbaum (Holunder) zu unterhauen, sondern wo sie denselben Unterhauen (d. i. die Äste stutzen) mussten, so pflegten sie vorher mit gebeugten Knien, entblößtem Haupte und gefalteten Händen dies Gebet zu tun:

„Frau Elhorn gib mir was von deinem Holtze,

denn will ich dir von meinem auch was geben,

wann es wächst im Walde." * 4.

Die Wahrheit dieser Erzählung erhärtet eine Aufzeichnung aus Dänemark v. J. 1722: Paganismo ortum debet superstitio, sambucum non esse exscindendum, nisiprius rogata permissione hisverbis: mater sambuci, mater sambaci permitte mihi tuam caedere silvam * 18.

Der dänische Name des angerufenen Wesens lautet Hyldemoer, es wird auch sonst erwähnt, dass man dreimal hinter einander eine der Arnkielschen fast wörtlich entsprechende Formel aussprechen müsse, ehe man etwas vom Holunderbaum breche * 19. In Schonen spricht man ebenso von der Hyllefroa (Holunderfrau), in Ljunitshärad eben daselbst von der Askafroa (Eschenfrau). Am Aschermittwochsmorgen [askons dags morgen , diese Zeit ist nur wegen des zufälligen Gleichklangs mit ask Esche gewählt] opferten die Alten der Askafroa, indem sie vor Sonnenaufgang (denn dann sind die Geister rege) Wasser über die Wurzeln des Baumes ausgossen mit den Worten:

„Nu offrar jag, sá gör du oss ingen skada“. Nun opfere ich, tue uns keinen Schaden! Wer einen Holunderbaum beschädigte oder verunreinigte, bekam eine Krankheit, „Hylleskâl“ genannt, dagegen bötete man, indem man Milch über die Wurzeln des Baumes ausgoß * 20, d.h. durch ehrerbietige Speisung des im Baume verkörperten Namens den begangenen Fehler wieder gut machte. Den Dänen ist auch eine Ellefru (Ellerfrau) bekannt, die im Erlenbaum (eile) lebt * 21.

In der Smâländischen Landschaft „Värend“ heißt das der Holunderfrau und Eschenfrau entsprechende Wesen, in gewissen Laubbäumen, „Löfviska“ * 22.

In der Mehrzahl dieser Beispiele erscheint der mit religiöser Scheu geehrte Dämon auch als der mit Denkkraft und Sinnen ausgerüstete Baum selbst; nicht anders verschieden steht der Baumgeist dem Holze gegenüber, als der menschliche Geist dem menschlichen Körper. Auch da noch bilden Baum und Baumgeist eine geschlossene Einheit, wo von dem Holunderbaum auf einem dänischen Pachthofe erzählt wird, der oft in der Dämmerung spatzieren gehe und durch das Fenster gucke, wenn die Kinder allein im Zimmer sind. * Diese Erzählung ist der einfache Widerschein der tiefen Furcht, welchen abergläubig erzogene Kinder vor jenem Baume als einem gespenstigen Wesen hegten.

1.6. Niederlitauische Waldgeister.

Der Glaube, dass der von seinem Geiste erfüllte Baum schaden könne (s. o. die Askafroa) kehrt auch sonst wieder. Zwischen 1563 – 1570 bemühte sich der Revisor von Niederlitauen, Jacub Laszkowski, die noch stark in heidnischen Anschauungen befangenen Zemaiten von ihrem Aberglauben abzubringen.

„Jussi autem a Lascovio arbores exscindere, invitissimi id, nee prius quam ipsemet inchoaret fecerunt. Deos enim nemora incolere persuasum habent; Tum unus inter alios percontari, num etiam decorticare arbores liceret. Annuente praefecto aliquot magno nisu haec repetens decorticavit: Vos me meis anseribus, gallisque gallinaceis spoliastis; proinde et.e'go nudas vos faciam. Credebat enim demens deos rei suae familiari perniciosos intra arbores et cortices latere“ * 24.

1.7. Baum, Menschenleib und Krankheitsdämonen.

Ein merkwürdiger französischer Brauch aus der Nähe der Pyrenäen schließt uns das Verständnis dieses litauischen Glaubens auf.

„Lorsque les habitants du canton de Labruguiere (Montagne noire) ont un animal malade de quelque plaie envahie par les vers, ils sc rendent dans la campagne aupres d'un pied de yeble, Sambucus ebulus, et tordant une poign^e de cette plante dans leurs mains, ils lui fönt un grand salut et lui adressent les paroles suivantes en patois“: „Adiù sies, mousu l´aoâssier, sé né trases pas lous bers de moun berbenier, vous coupi la cambo, mai lou pey." Ce qui veut dire: „Bonjour monsieur le yéble, si vous ne sortez pas les vers de l´endroit où ils sont, je vous coupe la jambe et le pied." Cette menace effectée, la guerison est assuréc ou peu s´en faut * 25.

So weit „de Nore's“ Mitteilung.

Der Askafroa, den niederlitauischen Baumdämonen, dem „Monsieur le yèble“ wurde die Macht zugeschrieben, Menschen und Tieren zu schaden. Dies geschah—wie der französische Bericht in Verbindung mit dem litauischen lehrt — dem Volksglauben nach vermittelst der Insekten von mancherlei Gestalt und Farbe, welche in und unter Rinde, Stamm und Wurzeln der Bäume und Kräuter ihren Aufenthalt haben.

Man warf dieses Gewürm nämlich mit den bösen Geistern in Wurmgestalt zusammen, welche nach einer uralten schon bei den Indern in dem Atharvaveda und in den Grihyasutras ganz ähnlich wie unter den Germanen entwickelten Vorstellung sich als Schmetterlinge, Raupen, Ringelwürmer, Kröten u. s. w. in den menschlichen oder tierischen Körper einschleichen und darin als Parasiten verweilend die verschiedensten Krankheiten (z. B. Schwindsucht, Kopfweh, Magenkrampf, Zahnweh, besonders nagende, bohrende und stechende Schmerzen u. s. w.) hervorbringen sollten * 26.

Der Glaube an dieses Gewürm beruht auf einem ganz einfachen psychologischen Vorgange und erzeugt sich häufig auch jetzt noch in den Fieberphantasien sonst ganz gebildeter Kranker auf Momente wieder. Aus dem wilden Walde, meinte man, kämen diese Geister, welche häufig Elbe genannt werden * 27, zu Menschen und Vieh * 28.

Der Baum, dessen Rinde sie beherberge, entsende sie entweder aus Lust am Schaden, oder um sie loszuwerden, weil sie in seinem eigenen Leibe, wie in den Eingeweiden des Menschen verzehrend wüteten.

Wie der Baum oder Baumgeist das krankheitserzeugende geisterhafte Ungeziefer (Eiben u. s. w.) * 29 schickt, kann er es wieder zurücknehmen. Deshalb umwandelt man z. B. bei Zahnschmerzen einen Birnbaum rechts und umfasst ihn mit den Worten:

Birnbaum, ich klage dir,

Drei Würmer, die stechen mir,

Der eine ist grau,

Der andere ist Blau,

Der dritte ist rot,

Ich wollte wünschen, sie wären alle drei todt.

Diese Zeremonie nennt man den Baum „anklagen“ * 30. Auch andere Pflanzen, als Bäume, stehen im Verdacht, durch ihren Willen die Würmer im tierischen Organismus festzuhalten. So schreibt z. B. der böhmische Aberglaube vor, auf dem Felde eine Distel zu suchen, einen Stein und eine Ackerkrume darauf zu legen und zu sagen:

Distelchen, Distelchen

Ich lass´ nicht eher dein Köpfchen los,

So lang da nicht frei lässt die Würmer der Kuh.

(Des Pferdes und dergleichen) ^31

Die einmal vorhandene Vorstellung von dem Verweilen der Krankheitsgeister im Baume haftete so sehr, dass man sie auch da beibehielt, wo diese Dämonen nicht in Wurmgestalt, sondern in anderer Tier- oder Menschengestalt gedacht wurden. Auch da ist es häufig der Baum, der durch ihre Entsendung Epidemien hervorruft, durch ihre Zurückberufung die Gesundheit wiederherstellt. Lehrreich in dieser Beziehung ist ein Lied, welches bei einer Seuche die russischen Weiber singen, indem sie mit einem Pflug um das Dorf die die bösen Geister abwehrende Furche ziehen :

Vom Ozean, von der tiefen See

Sind zwölf Mädchen gekommen;

Sie nahmen ihren Weg,

— kein kleiner war's —,

Zu den steilen Höh'n, zu den Bergen empor,

Zu den drei alten Holunderbäumen.

Diese zwölf Mädchen, die in vielen gegen sie gerichteten Beschwörungsformeln „die bösen Schütteier" oder „Töchter des Herodes" oder einzeln mit den Namen besonderer Krankheiten genannt werden, mithin Personifikationen der Krankheitsursachen sind * 32, werden nun redend eingeführt:

Macht fertig die weißen Eichentische,

Schärfet die Messer von Stahl,

Macht heiß die siedenden Kessel,

Spaltet, durchbohrt bis zum Tode,

Jedes Leben unter dem Himmel.

Die Holunder geben ihre Zustimmung zu dem Wunsche der zwölf

Schwestern; alle lebenden Wesen sind dem Tode geweiht.

In diesen siedenden Kesseln,

Brennt mit unauslöschlichem Feuer,

Jedes Leben unter dem Himmel.

Doch die drei Holunder erfasst mitleidige Rührung:

Bund um die siedenden Kessel,

Stehen die alten Holunder.

Die alten Holunder singen,

Sie singen von Leben, sie singen von Tod,

Sie singen vom ganzen Menschengeschlecht.

Die alten Holunder verleihen,

Der ganzen Welt langes Leben;

Doch dem andern, dem Übeln Tode,

Bestimmen die alten Holunder,

Eine weite und große Reise.

Die alten Holunder versprechen,

Ein beständiges Leben

Dem ganzen Geschlechte der Menschen * 33.

Rief der Baumgeist die Krankheit verursachenden Eiben nicht freiwillig zurück, so bediente man sich zauberischer Worte und symbolischer Handlungen, der unter uns sogenannten sympathetischen Kuren, welche darauf hinausgingen, die schädlichen Geister unter einen Stein, in die Wüstenei zu verweisen, einem Vogel zum Mitnehmen zu empfehlen oder sonst zu verbanne, vorzüglich aber sie auf einen Baum oder ein Kraut zu übertragen, da sie ja zu solchen gehören, von solchen ausgingen * 34; oder wo diese letztere Vorstellung nicht mehr obwaltete, bewog die in der Menschheit ewig rege Selbstsucht die Schmerzen des eigenen Leibes auf einen fremden (den des Pflanzendämons) abzuleiten. Eine von Räucherung geweihter Kräuter und Rosenblätter begleitete Beschwörung in Böhmen lautet:

Ich verwünsche euch Gliederweh,

Brandweh, Beinweh

In den tiefen Wald,

In die hohe Eiche,

In das stehende Holz,

Und in das liegende.

Dort schlagt euch herum und stoßet,

Und gebet dieser Person (Name) Ruhe * 35.

In Mecklenburg spricht der Kranke bei abnehmendem Monde, die Würmer anredend:

Ji solt mit mi führen to Holt,

Dâr steit en Bömken köl un stolt,

Dârin will ik ju versenken,

Ertränken! * 36.

In Böhmen hält der „Besegner“ (der den Segen spricht) behufs Entfernung der „fressenden Würmer in den Augen'' ein Büschel von 29 Sommerkornähren an das kranke Auge und sagt: „ Du (Name Nennen) hast fressende Würmer in den Augen. Ich lass sie nicht dort, ich bespreche sie heraus. Kommt ihr Würmer in diese Ähren“ * 37.

Übereinstimmend ist der mit mehrfachen Modifikationen weit verbreitete Brauch, das Fieber in Getreidekörner (Gerste, Buchweizen u. s. w.) durch Berührung mit dem Körper des Kranken übergehen, zu lassen und dieselben dann auszusäen; verfaulen sie in der Erde, so starb der Quälgeist mit, gehen sie auf und schießen in Halmen empor, so steckt er in diesen und sie zittern bei ruhiger Luft beständig in Fieberschauem * 38. Wer an Schwindel leidet, läuft nach Sonnenuntergang dreimal nackt um ein Flachsfeld, dann bekommt der Flachs den Schwindel * 39.

Wenn jemandem in Masuren die „krazno lutki“ (Fettleute), kleine rote Würmer, in den Eingeweiden an der Lunge zehren, so schneidet man etwa 40 Paar Hölzchen von neunerlei Holz (Kaddik, Erle, Birke u. s. w.) — dieselben müssen jedoch unter einem Ästchen abgeschnitten sein, so dass sie mit diesem die Gestalt eines Häkchens bilden - übergießt den Kranken mit einem Kübel warmen, bei abnehmendem Licht aus fließendem Rinnsal geschöpften Wassers und wirft die Hölzchen paarweise hinein. Dann wäscht man den Leidenden (besonders die Ohren, Nasenlöcher, Achselgruben und Kniekehlen) und sieht nun nach, wie viele Hölzchen oben im Wasser schwimmen, und wie viele zu Boden gesunken sind. Die Ersteren zeigen die Anzahl der „krazno lutki“ an, welche den Körper des Patienten bereits verlassen haben (d. h. in die Baumzweige übergegangen sind), die Letzteren entsprechen der Anzahl der noch im Fleisch und Gebein des unglücklichen verweilenden Plagegeister * 40. An drei Donnerstagen wird die Prozedur wiederholt, bis alle Fettleute aus dem Körper heraus sind, oder die Unheilbarkeit sich herausstellte. Ein ganz ähnliches Verfahren wendet man mit drei in 81 kleine Stäbchen zerlegten Zweigen des Kirschbaums an, um zu erkennen, ob jemand mit „weißen Leuten" (biale ludzie) in Haut, Blut, Adern und Gelenken behaftet sei.

Bleiben alle Stäbchen schwimmen, so ist der Besegnete von weißen Leuten frei, geht ein Teil unter, so ist er mit ihnen in dem Grade behaftet als das Verhältnis zu den schwimmenden Zweigteilchen ingiebt * 41.

Hiezu stellt sich u. a. der Brauch aus Vorarlberg, die „Tschütaläuse“ (d. i. Flechten, Herpes) einem kranken Tier zu vertreiben, selbst wenn das Stück entfernt ist. Man bricht bei Sonnenuntergang von der Holunderstaude drei Schossen ab unter Verwahrung für das namentlich genannte Tier, dem man zu helfen verlangt (dadurch gehen, wie man sich offenbar vorstellte, die Plagegeister in die Schösslinge über), hernach bindet man sie zusammen und henkt sie in den Kamin oder sonst in den Rauch: – so geschwind die Schosse dürr werden, werden auch die Tschütaläuse weg sein * 42. Aus diesen und ähnlichen Bräuchen darf wohl gefolgert werden, dass die Vorstellung von den gespenstigen Würmern im kranken Menschenkörper wieder rückwärts gewirkt habe auf die Vorstellung von dem den Baum- oder sonstigen Pflanzenkörper bewohnenden Gewürm. Nicht allein unter dem Baume, oder zwischen dessen Borke, sondern (trichinenartig) in seinem Innern dachte man sich nun wohl derartig die Elben verteilt, dass im Holze jedes Zweiges mehrere ihren Sitz hatten, wie sonst in Fleisch und Gliedern des Menschen. In einen solchen Zweig sollten die vorstehenden Zauberformeln sie zurücklocken.

Möglich ist, dass die Knoten der Astansätze für Anzeichen des Daseins je, eines Elben oder eines Elbenpaares (Elb und Elbin, wie Wurm und Würmin) gehalten wurden; wenigstens die Unformen und auffallenden Knorren sollen von alten Eiben herrühren, die sich im Baum verkriechen und dann verwachsen * 43. Bei Potsdam heißen sie Alfloddern und verursachen, wenn man unter ihnen durchgeht, einen schlimmen Kopf * 44. (Der Alb springt von ihnen herab, in den Kopf des Menschen.)

Im menschlichen Körper entsprechen diesen Knorren und Auswüchsen vorzugsweise die Geschwulste, Warzen und Leichdörner, weil diese das Dasein eines Geistes verraten; auch sie sind angeblich durch Übertragung auf einen andern Menschen, auf Tiere und Bäume, durch Regenwasser, das auf einem Leichensteine gesammelt wurde, u. s. w. zu heilen * 45.

Den vorstehenden Auseinandersetzungen entspricht es, dass der Beschwörer den krankheitsverursachenden Geist bald auf den Ast des Baumes sich setzen heißt, bald leibhaftig mitten in das Innere des Baumkörpers hineinzuversetzen sucht:

„Zweig ich biege dich, Fieber nun meide mich!" (Myth.* CXL, XXVf), oder „Holunderast hebe dich auf, Rotlauf setze dich drauf!" (Myth.* 1122),

oder den Holunderbaum, während man Fieber hat, schüttelnd:

„Holunder! Holunder! Holunder! Auf mich kriecht die Kälte; wenn sie mich verlassen wird, kriecht sie dann auf dich! (Wuttke, §. 488. Grohmann, Abergl. 164, 1153) oder:

„Goden Abend Herr Flêder!, hier bring ick min Fêber!", oder frühmorgens drei Knoten in den Ast eines alten Weidenbaumes knüpfend: „Gôn morgen, Olde, ick gêf u de Kolde; gôn morgen, Olde! (Myth. ^ 1123).

Schon etwas komplizierter, mithin auf ältere einfachere Formen zurückweisend ist das von Plinius Valerianus (oder Siberiuseinem Gallier des 4. Jahrh.) gemeldete Heilmittel für das viertägige Fieber: Panem et salem in linteo de lyco (lies: deliculo) liget et circa arborem licio alliget et juret ter per panem et salem: „Crastino mihi hospites venturi sunit, suscipite illos." Hoc ter dicat Plin. Valer. m. 6. p. 191\. Die Gäste sind die Plagegeister; der Kranke, der sie nicht haben will, bringt sie dem Baum zugleich mit Brod und Salz, damit dieser sie bewirte. Dazu vgl. Frischbier, Hexenspruch S. 53, 3, wo der Fieberkranke ein Geldstück und ein Stück Brod in einem Lappen jenseits neun Grenzen unter einen Stein (vgl. o. S. 18 Anm. 3) trägt und spricht:

„Grenze, Grenze, ich klage dir,

Kalt und Heiß plaget mir,

Der erste Vogel, der rüber fliegt,

Nehm' es unter seine Flücht'." (Flügel)

Und dazu wieder den Spruch ebds. 4. welcher lehrt, dass auch dem Baume der Krankheitsgeist zuweilen nur übergeben wird, damit er denselben einem Vogel zum Hinwegtragen in weite Feme überliefere:

Bôm, Bôm öck schödder di,

Dât kôle Fêber bring öck di.

De êrscht Vagel, der räwerflücht,

Dat de dat Fêber kriege mücht.

Über die ganze Vorstellung s. Kuhn, Zs. f. vgl. Sprachf. XIII. 73, der nicht allein Analoga aus den Veden und der Edda anführt, sondern auch an den Gebrauch in der Altmark erinnert, dass Kopfwehkranke einen Faden zuerst dreimal um ihr Haupt binden, dann in Form einer Schlinge an einen Baum hängen. Fliegt ein Vogel hindurch, so nimmt er das Kopfweh mit. Ein Gichtkranker soll sich vor Tagesanbruch im Walde einfinden, dort drei Tropfen seines (von den unsichtbaren Plagegeistern erfüllten) Blutes in den Spalt einer jungen Fichte versenken und nachdem die Öffnung mit Wachs von Jungfernhonig verschlossen ist, laut rufen: Gut morgen, Frau Fichte, da bring i dir die Gichte! was ich getragen hab' Jahr und Tag, das sollst du tragen dein Lebetag! * 46 Wer jemanden von Zahnschmerzen befreien will, geht rücklings aus der Stube zu einem Holunderstrauch und spricht dreimal:

„Liebe Hölter, leiht mir einen Spälter, den bring ich euch wieder!“

Unterdessen macht er, sich umdrehend, zwei neben einander liegende Einschnitte und schält die Rinde auf eines Zolls Länge, doch so dass sie möglichst angerissen unten mit dem Aste vereinigt bleibt, schneidet aus dem bloßgelegten Holz einen Splitter und trägt den wieder rücklings gehend in die Stube.

Der Leidende ritzt dort mit dem grünen Splitter sein Zahnfleisch bis derselbe blutig wird, (mit dem Blute den das Zahnweh verursachenden Geist in sich aufnimmt). Dann bringt ihn der Beschwörer immer rückwärts gehend wieder zu, dem Holderbaum, drückt ihn in den Splint, legt die Binde, wie sie gewesen und befestigt sie mit einem Bindfaden, damit der Einschnitt desto eher verwachse.

Dann noch einiges Gemurmel unverständlicher Worte und der Zahnschmerz ist fort * 47.

In Dänemark nimmt man bei Zahnweh einen Holunderzweig in den Mund und steckt ihn dann in die Wand mit den Worten:

„Weiche böser Geist * 48.

Es ist nun wohl deutlich, wie alle vielfachen Kuren, welche sonst noch auf ein Verpflöcken der Krankheit in den Baum, (sogar die Pest wird als Schmetterling in den Baum verkeilt), oder auf ein Einknoten oder Einbinden in Zweige hinausgehen samt und sonders auf eine und dieselbe Grundvorstellung zurückzufahren sind.'

Von den unzähligen individuellen Ausgestaltungen und Sprossformen der dargelegten Ideen will ich nur noch eine hier erwähnen, welche aufs Neue recht deutlich den im Volksglauben feststehen – den Parallelismus des Baumes und des Menschenkörpers zeigt.

Offenbar um seiner Form willen heißt ein schwellend hervorspringender Fleischteil bei Menschen, der Muskel, unter Hellenen, Römern und Deutschen: Maus, Mäuslein, Mäuschen, ahd. mûs, griech. μvg, lat. „musculus“. Auch von Tieren gilt dasselbe Wort.

So heißt in Augsburg ein besonders geschätzter Teil des Rindfleisches „Herrenmaus“. Man hat aber sicherlich diese Stelle einst auch wirklich von einem geisterhaften Wesen in Mausgestalt erfüllt gedacht.

In vielen Sagen schlüpft die den Menschenleib bewohnende Seele in Mausgestalt aus dem Munde und verlässt zeitweilig oder für immer den Körper * 50.

Auch Hexen, Hausgeister, Waldgeister und andere Dämonen nehmen Mausgestalt an * 51.

Caspar Peucer, Melanchthons Schwiegersohn war doch wohl durch eine allgemeine Anschauungsweise seiner Zeit zu der Überzeugung und Behauptung verleitet, er selbst habe bei einer besessenen Weibsperson den Teufel in Gestalt einer Maus unter der Haut hin und herlaufen sehen * 52.

Wenn daher der Aberglaube versicherte, gewisse unerklärliche und krankhafte Anschwellungen des Körpers bei Menschen und Vieh rührten daher, weil eine Feldmaus darüber hingelaufen sei, so wird diese Vorstellung ursprünglich ein Hineinschlüpfen gemeint haben und nichts anderes besagen, als dass diese Geschwulste ähnlich den Warzen und anderen Auswüchsen durch einen gespenstigen Parasiten, und zwar einen mausgestaltigen erzeugt würden. Unter dieser Voraussetzung wird es dann vollkommen erklärbar, weshalb man, um jene Krankheit zu heben, eine lebendige Feldmaus in eine Eiche, Ulme oder Esche, (Pollardash, shrewash) verpflöckte und der Ansicht war, mit einem Zweige dieses Baumes berührt, werde die Geschwulst sofort aufhören * 53.

Natürlich, die gespenstige Maus wurde als in den Baum zurückgegangen gedacht Man gewahrt hier aber deutlich, wie durch Analogie und Wechsel- wirkung der Vorstellungen, nachdem zuerst die im Baume hausenden Insekten mit den vermeintlichen schmerzerregenden –

Würmern identifiziert worden waren, nun auch andererseits die auf Gewürm oder Ungeziefer anderer Art erweiterte Vorstellung von den Krankheits- geistern rückwärts auf den Baum als ursprünglichen Wohnsitz derselben übertragen worden und daher der Glaube an die Heilung durch eingepflöckte Feldmäuse entstanden ist. Fast überall wird bei derartigen Heilversuchen der Baumgeist angeredet, und von den Krankheit bringenden Geistern, den Eiben, unterschieden.

Nicht also das bewusstlose Gewächs, sondern der empfindend und denkend gedachte, der vollen Anthropomorphose sich annähernde Baum beherbergt, entsendet und nimmt wieder auf die schädlichen geisterhaften Würmer * 54.

Jene Aussage Laszkowskis über den Glauben der Niederlitauer wirft, wie es scheint, die Baumgeister und die Eiben in eins. Erstere wollte der erzürnte Neubekehrte töten oder schädigen, indem er von den Bäumen die Rinde abschälte (ego vos nudas faciam); aber unter den dem Viehstand schädlichen Götterchen, welche „intra arborcs et cortices" verborgen seien, sind sowohl die den Baum als ihren Körper erfüllende unter der Rinde als unter ihrer Haut sich bergende Baumseele, welche die Plagegeister auf Tiere und Menschen entlässt, als die in Holz und Borke umherkriechenden den Leib des Baumgeistes bevölkernden „bösen Dinger" von dem in die Einzelheiten der Vorstellung schwerlich genauer eingeweihten Berichterstatter zusammengefasst * 55.

Die Richtigkeit dieser Behauptung werden die auf den nachfolgenden Seiten anzustellenden Untersuchungen dartun, welche nachzuweisen bestimmt sind, wie detailliert sich der Volksglaube die Analogie des Baumleibes mit dem Menschenkörper weiterhin ausmalte.

1. 8. Strafe für Baumschäler.

Anmerkung dazu: Einige wenige Stellen im Originalbuch entsprachen nicht dem Jugendschutz und wurden daher von mir dahingehend soweit als möglich entschärft. Diese Stellen wurden mit Kursivschrift gekennzeichnet.

Von allem anderen abgesehen beweist Laszkowkis Mitteilung, dass bei einem Volke lettischen Stammes es für einen Frevel galt heilige Bäume der Rinde zu berauben, weil dadurch innewohnende Dämonen geschädigt würden; wer dies dennoch tat, erwartete für sich einen unerhörten Nachteil. Hiermit stimmt nun genau das Verbot des Baumschälens in dem uralten Gewohnheitsrechte der deutschen Markgenossenschaften zusammen, welches furchtbare Strafen für solchen Forstfrevel androhte. Aus den Weistümern hat J. Grimm R. A. 519 ff. viele Beispiele zusammengestellt, ihrer noch weit mehrere sind hie und dort in seiner großen Weistümersammlung veröffentlicht; sie gleichen sich und es genügt, das eine oder das andere herauszuheben.

„Item es soll niemand Bäume in der Mark schälen, wer das täte, dem soll man in seinem Bauch schneiden und an den Baum binden......

(Oberurseler Weistum.)

Wenn jemand eine Weide abschält, soll man ihn mit seinem Bauche den Schaden bedecken lassen; kann er das verwinden, kann es der Baum auch verwinden. (Weudhager Bauernrecht.) Der en fruchtbaren Baum truttelde, soll mit seinen ufgeschnittenem Bauche umb den Schaden gebunden und damit zugehelen werden.

Wenn jemand einen fruchtbaren Baum abhauete und den Stamm verdeckte dieblicher Weise, dem soll seine rechte Hand uf den Rucken gebunden und mit einem Körperteile uf den Stammen genegelt werden und in die linke Hand eine Axe geben sich damit zu lösen.

(Schaumburger altes Landrecht.)

Wir haben meines Wissens keinen Beweis dafür, dass dieses barbarische Recht in Deutschland zu historischer Zeit jemals in Anwendung gebracht sei.

Der Schuldige aber konnte Hals und Glied mit einer geringen Geldsumme lösen * 56.

Ein um so bemerkenswerteres Zeugnis für die Wahrheit des Dichterwortes, dass „Rechte und Gesetze“ sich längst überlebt wie eine ewige Krankheit fortpflanzen, bietet daher u. A. das Protokoll des „Holt-tings“ zum Harenberg unweit Blumenau und Limmer bei Hannover am 13. Nov. 1720.

Noch damals erklärten die Beisitzer des unter dem Herrn von Holle als Erben und Holzgrafen zusammen getretenen Holzgerichts: Frage 22: Wenn einer befunden würde „der einen Heister (niederdeutsch hêster junger Eich- oder Buchbaum) „witjede“ (von „witjen“ weiß machen, schälen), wie hoch derselbe soll gestraft werden? Antwort: Man solle dem Täter Entleiben und mit seinem Körper um den Heister winden, bis er wieder bewunden wird.

Frage 23: So einer befunden, der einem fruchtbaren Heister den Poll (Wipfel, Kopf *) abhauete, wie hoch derselbe soll gestrafet werden?

Antw. : Wenn der Heister fruchtbar sei, solle dem Täter der Kopf wider entfernt werden.

Frage 24: Wenn einer einen „Schnatbaum“ (Grenzbaum) abhauet, wie hoch derselbe solle gestrafet werden? Antw.: Man soll dem Täter den Kopf auf dem Stamm wider entfernen * 58.

Augenscheinlich hatten diese furchtbaren Strafandrohungen nur dann Sinn, wenn man zur Zeit, als sie zuerst ausgesprochen wurden, annahm, dass der Wipfel den Kopf, die deckende Rinde die Haut, der umwickelnde Bast die Eingeweide des Baumes als eines beseelten, menschenartig empfindenden Wesens darstellten. Wer die Krone haut, Borke und Bast des lebenden Baumes reißt, beraubt den Baumgeist der zum Leben notwendigsten Glieder. Vgl. oben den Zemaiten Lazskowskis und unten in Kap. II. die Moosweibchen im Orlagau. Nach dem Grundsatze Auge um Auge, Zahn um Zahn sollte der frevelnde Mensch mit dem entsprechenden Teile seines Körpers gut machen, was er an jenem gesündigt; er sollte die entfremdeten Glieder mit seinen eigenen gleichsam ersetzen.

Zu einer gewissen Zeit muss es mit solchen Strafandrohungen auch in Deutschland bitterer Ernst gewesen sein, mag diese Periode auch vielleicht hinter der Zeit der Bekehrung zum Christentum weit zurückliegen. In abgelegenen Strichen des Westens, z. B. in Irland dauerte sie aber im elften Jahrhundert, in den heidnischen Ländern des Ostens im dreizehnten Jahrhundert noch fort. Was in unsern Weistümern nur als eine durch die Tradition fortgepflanzte, in der Praxis schwerlich ausgeführte Rechtsformel uns entgegentritt, war dort noch ein Stück lebendiger Sitte.

Als die deutschen Ordensritter die Eroberung Preußens kaum begonnen hatten, wurde ihnen im J. 1231 von seinem eigenen Oheim einer ihrer hartnäckigsten Gegner, der Häuptling Pipin in die Hand geliefert. „Quem deleto castro suo totaliter peremerunt. Ventrem namque ipsius circa umbilicum aperire fecerunt et umbilicum arbori affixerunt et per circuitum arboris currere vi pracceperunt, quousque penitus evisceratus tuit et sie qui multos Christianos impie necaverat crudeliter fuit interemptus.

So erzählt nach einer den Ereignissen fast gleichzeitigen Quelle die ältere Chronik von Oliva p. 21. (Script. Rer. Prussic. edd. Hirsch Strehlke, Töppen I. 677.) Obwohl das wirkliche Verhalten der deutschen Ordensritter keineswegs durchaus dem idealen Bilde entsprach, an welches J. Voigts berühmte Darstellung die Lesewelt gewöhnt hat, müsste uns ein so barbarisches Verfahren von ihrer Seite unbegreiflich erscheinen, wenn dasselbe nicht eine ganz besondere Veranlassung hatte; die Verwunderung schwindet, sobald wir der naheliegenden Vermutung Raum geben, dass die Deutschherren ihrem Gegner diejenige Todesart zuerkannten, welche er zuvor einem oder mehreren ihrer Untergebenen mochte angetan haben. Wenn man sich erinnert, dass heilige Bäume und Haine, denen kein Christ nahen durfte (Adam. Brem. IV. 18) bei den Völkern lettischen Stammes den Fremden als die augenfälligsten Äußerungen ihres Kultus immer zuerst bemerkbar geworden sind, dass mithin grade diese die nächsten Opfer des frommen Bekehrungseifers der Christen sein mussten, so ist leicht einzusehen, wie der preußische Häuptling seinerseits freche Eindringlinge für ein an heiligen Bäumen begangenes Sakrileg strafen zu müssen geglaubt hat.

Wenn die Deutschen dies dann wieder für nichts anderes, als einen rohen Ausbruch blutdürstigen Hasses ansahen und demgemäß behandelten, so gewährt uns diese Bloßlegung der wahren Motive nur einen weiteren Beleg für die traurige Wahrheit, dass viele unserem Gefühle Schauder erregende Taten der beiderseitigen Unfähigkeit entspringen sich in die Gedankenwelt des Gegners zu versetzen.