14 Sommerkrimis August 2023 - Alfred Bekker - E-Book

14 Sommerkrimis August 2023 E-Book

Alfred Bekker

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Beschreibung

Dieses Buch enthält folgende Krimis von Alfred Bekker: (999XE) Commissaire Marquanteur und die Leiche im Étang de Berre Tuch und Tod Dunkler Reiter Krähen Ahnengeister Der Satansbraten Ein Mann für besondere Aufträge Kein Grund zum Feiern! Der perfekte Coup Der Juwelen-Coup In der Falle Robbies Coup Kommissar Jörgensen kommt auf den Hund Burmester und der Verrückte Ein bis dahin friedliebender Mann namens Lars Baumann läuft Amok und wird dabei selbst getötet. Für die Polizei ist der Fall klar und schließt somit die Akte. Doch die Freundin des Mannes kann sich damit nicht abfinden. Sie wendet sich an den Privatdetektiv Aldo Burmester, der den Grund des Amoklaufs herausfinden soll … Alfred Bekker ist ein bekannter Autor von Fantasy-Romanen, Krimis und Jugendbüchern. Neben seinen großen Bucherfolgen schrieb er zahlreiche Romane für Spannungsserien wie Ren Dhark, Jerry Cotton, Cotton Reloaded, Kommissar X, John Sinclair und Jessica Bannister. Er veröffentlichte auch unter den Namen Neal Chadwick, Henry Rohmer, Conny Walden und Janet Farell.

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Alfred Bekker

14 Sommerkrimis August 2023

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Inhaltsverzeichnis

14 Sommerkrimis August 2023

Copyright

​Commissaire Marquanteur und die Leiche im Étang de Berre

Tuch und Tod

1. Kapitel: Ein Detektiv namens Berringer

2. Kapitel: Herzblut – Pferdeblut

3. Kapitel: Zwei Frauen in Weiß

4. Kapitel: Eine Leiche im Elfrather See

5. Kapitel: Verdächtigungen

6. Kapitel: Eine Gestalt in der Nacht

7. Kapitel: Ausgebootet auf der BOOT

8. Kapitel: Böses Erwachen

9. Kapitel: Der Mörder

Dunkler Reiter

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Krähen

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Ahnengeister

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Der Satansbraten

Ein Mann für besondere Aufträge

Kein Grund zum Feiern!

Der perfekte Coup

Der Juwelen- Coup

In der Falle

Robbies Coup

​Kommissar Jörgensen kommt auf den Hund

​Burmester und der Verrückte:

14 Sommerkrimis August 2023

von Alfred Bekker

Dieses Buch enthält folgende Krimis

von Alfred Bekker:

(999XE)

Commissaire Marquanteur und die Leiche im Étang de Berre

Tuch und Tod

Dunkler Reiter

Krähen

Ahnengeister

Der Satansbraten

Ein Mann für besondere Aufträge

Kein Grund zum Feiern!

Der perfekte Coup

Der Juwelen-Coup

In der Falle

Robbies Coup

Kommissar Jörgensen kommt auf den Hund

Burmester und der Verrückte

Ein bis dahin friedliebender Mann namens Lars Baumann läuft Amok und wird dabei selbst getötet. Für die Polizei ist der Fall klar und schließt somit die Akte. Doch die Freundin des Mannes kann sich damit nicht abfinden. Sie wendet sich an den Privatdetektiv Aldo Burmester, der den Grund des Amoklaufs herausfinden soll …
Alfred Bekker ist ein bekannter Autor von Fantasy-Romanen, Krimis und Jugendbüchern. Neben seinen großen Bucherfolgen schrieb er zahlreiche Romane für Spannungsserien wie Ren Dhark, Jerry Cotton, Cotton Reloaded, Kommissar X, John Sinclair und Jessica Bannister. Er veröffentlichte auch unter den Namen Neal Chadwick, Henry Rohmer, Conny Walden und Janet Farell.

Copyright

Ein CassiopeiaPress Buch: CASSIOPEIAPRESS, UKSAK E-Books, Alfred Bekker, Alfred Bekker präsentiert, Casssiopeia-XXX-press, Alfredbooks, Uksak Sonder-Edition, Cassiopeiapress Extra Edition, Cassiopeiapress/AlfredBooks und BEKKERpublishing sind Imprints von

Alfred Bekker

© Roman by Author

© dieser Ausgabe 2023 by AlfredBekker/CassiopeiaPress, Lengerich/Westfalen

Die ausgedachten Personen haben nichts mit tatsächlich lebenden Personen zu tun. Namensgleichheiten sind zufällig und nicht beabsichtigt.

Alle Rechte vorbehalten.

www.AlfredBekker.de

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Alles rund um Belletristik!

​Commissaire Marquanteur und die Leiche im Étang de Berre

von Alfred Bekker

Commissaire Marquanteur und die Leiche im Étang de Berre: Frankreich Krimi

von Alfred Bekker
Wer ermordete den Toten im Étang de Berre, dem bei Marseille gelegenen größten Binnensee Frankreichs? Archäologen entdecken bei Grabungs- und Taucharbeiten Leichenteile eines Mannes. Es handelt sich um Grand-Armand Lafontaine – aber der sollte seit Jahren sicher vor Auslieferung in Marokko leben. Die Leiche lag bereits längere Zeit im Étang de Berre, die Spur scheint kalt zu sein, als Commissaire Marquanteur mit der Aufklärung betraut wird.
Alfred Bekker ist ein bekannter Autor von Fantasy-Romanen, Krimis und Jugendbüchern. Neben seinen großen Bucherfolgen schrieb er zahlreiche Romane für Spannungsserien wie Ren Dhark, Jerry Cotton, Cotton Reloaded, Kommissar X, John Sinclair und Jessica Bannister. Er veröffentlichte auch unter den Namen Jack Raymond, Robert Gruber, Neal Chadwick, Henry Rohmer, Conny Walden und Janet Farell.
Copyright
Ein CassiopeiaPress Buch: CASSIOPEIAPRESS, UKSAK E-Books, Alfred Bekker, Alfred Bekker präsentiert, Casssiopeia-XXX-press, Alfredbooks, Uksak Sonder-Edition, Cassiopeiapress Extra Edition, Cassiopeiapress/AlfredBooks und BEKKERpublishing sind Imprints von
Alfred Bekker
© Roman by Author
© dieser Ausgabe 2023 by AlfredBekker/CassiopeiaPress, Lengerich/Westfalen
Die ausgedachten Personen haben nichts mit tatsächlich lebenden Personen zu tun. Namensgleichheiten sind zufällig und nicht beabsichtigt.
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Alles rund um Belletristik!
1
Professor Dr. Richard Melliere unterdrückte ein Gähnen, während er den Taucheranzug zum Trocknen aufhängte. Dann ließ er den Blick kurz über das Ufer des bei Marseille gelegenen Étang de Berre schweifen. Dieser größte Binnensee Frankreichs war eine ehemalige Meeresbucht, die bis heute über einen Kanal mit dem Mittelmeer verbunden war. Einst war der Étang de Berre um ein Drittel kleiner gewesen als heute. Und dort, wo der Archäologe Melliere und sein Team seit Wochen täglich auf Tauchgang war, hatte sich einst das prähistorische Lager einer Gruppe von Jägern und Sammlern befunden.
»Ich frage mich, ob eines fernen Tages sich auch mal jemand unseren Müll so penibel vornimmt, wie wir das mit den Hinterlassenschaften dieser Jäger tun«, grinste Eric Clavieux, ein Student.
»Tja, für Archäologen der Zukunft wären auch die Müllkippen von Marseille sicher ein Paradies!«
»Professor Melliere! Kommen Sie mal her! Das müssen Sie sich ansehen!«, rief jemand aus einem der Zelte, die in Ufernähe einen Halbkreis bildeten. Das war Jean-Pail Roebergé, der Assistent von Professor Mellier. Es waren große Zelte mit festem Boden und Standhöhe. Melliere ließ Clavieux stehen und ging die wenigen Meter zum ersten Zelt und trat ein.
Ein Mann mit dicker Brille stand vor einem Tapeziertisch, auf dem mehrere Dutzend, vom Schlamm nur notdürftig gereinigter Fundstücke zu sehen waren – darunter auch ein Totenschädel. »Also entweder stehen wir hier vor einer archäologischen Sensation und die Jäger hatten bereits vor 13 000 Jahren ihre Zähne überkront oder dieser Tote stammt aus unserer Zeit!«
2
Roebergé hatte den Schädel notdürftig gesäubert und hielt ihn Dr. Melliere entgegen.
»Ziehen Sie sich aber erst Latexhandschuhe an, bevor Sie etwas anfassen! Sonst sind die DNA-Tests, die wir machen wollen, nachher nichts mehr wert.«
Melliere grinste.
»Wenn sich dann herausstellt, dass die Jäger von damals von den Israeliten abstammen, hat unsere Zunft wenigstens mal wieder eine Sensation – und die können wir dringend brauchen. Es wird nämlich immer schwieriger, für Projekte wie dieses die nötigen Mittel zusammen zu bekommen!«
»Sie haben Ihre Sensation, Professor Melliere!«, stellte Roebergé klar. »Nur wird das wahrscheinlich bedeuten, dass uns die Polizei die Grabungsstätte in einen Tatort umdefiniert. Ich habe übrigens noch etwas gefunden.«
Melliere folgte ihm zu einem weiteren Tisch, auf dem sich eine Plastikwanne befand. Darin lagen ein paar halbwegs gereinigte Knochen.
Roebergé nahm einen Oberschenkelknochen, an dessen Ende sich ein verfärbtes Stück Metall befand. Er grinste.
»Direkt aus der Steinzeit!«, lachte er. »Damit meine ich allerdings nicht das Spätpaläolithikum der Horde von Jägern und Sammlern, sondern die Steinzeit des künstlichen Hüftgelenks – und die liegt maximal fünfundzwanzig Jahre zurück.«
Melliere nickte leicht. Sein Gesicht war sehr ernst geworden.
»Unter den Teppich kehren können wir das wohl nicht.«
»Nein, jedenfalls nicht, wenn wir ohne größeren Ärger aus der Sache herauskommen wollen.«
»Der Ärger wird so oder so noch groß genug. Ich darf gar nicht daran denken, dass da ein paar Banausen vom Erkennungsdienst eine einmalige archäologische Fundstätte zerstören.«
3
Der Geländewagen vom Typ Ford Maverick hielt vor dem Boulevard Tampic 32 in Bompard. Dieser eher bürgerlich geprägte Teil von Bompard wurde durch schmucke Bungalows und Einfamilienhäuser geprägt. Für Marseiller Verhältnisse waren die Grundstücke recht großzügig gehalten.
Der Fahrer des Maverick blickte durch das Fenster auf der Beifahrerseite. Eine Sonnenbrille mit Spiegelgläsern bedeckte die Augenpartie. Sein Gesicht war kantig. Die harten Linien wirkten wie geschnitzt. Er schien nervös. Daumen und Zeigefinger der rechten Hand spielten mit einem goldenen Kruzifix herum, das ihm an einem Kettchen um den Hals hing. Das glänzende Edelmetall bildete einen starken Kontrast zu der stark gebräunten Haut.
In der Einfahrt von dem Haus mit der Nummer 32 stand ein gelber Lamborghini.
Der Wagen von Roland ‘Rolly‘ Patesse, wusste der Grauhaarige und musste grinsen. Auch wenn dieser Patesse wahrscheinlich Millionen auf der hohen Kante hatte – sein Geschmack in Sachen Autos war immer noch der eines neureichen Emporkömmlings, der allen zeigen wollte, wie dick seine Brieftasche war.
Jedenfalls weiß ich jetzt, dass du zu Hause bist, dachte der Grauhaarige.
Er stellte den Motor ab und stieg aus. Der helle Blouson beulte sich unter der linken Schulter etwas aus.
Der Grauhaarige ging geradewegs zur Haustür und klingelte.
Eine junge Frau öffnete ihm: maximal dreißig Jahre alt, schlank, zierlich und mit langem, dunkelblondem Haar. Sie trug ein eng anliegendes blaues Kleid und war höchstens halb so alt wie der Besitzer des Hauses.
»Ich nehme an, Sie kommen vom Maklerbüro Zidane & Partner. Wir hatten vorhin telefoniert.«
»Ich möchte mit Monsieur Patesse sprechen.«
Sie runzelte die Stirn.
»Der ist nicht zu Hause. Tut mir leid. Sie sind nicht Monsieur Zidane?«
»Wollen Sie das Haus verkaufen? Ist doch ganz nett hier?«
Die junge Frau versuchte, die Tür wieder zu schließen, aber der Grauhaarige war schneller. Sein Fuß war dazwischen. Blitzschnell trat er vor, griff nach ihrem Hals und schleuderte sie gegen die Wand. Auf ihren hohen Schuhen verlor sie den Halt.
Der Grauhaarige kickte mit dem Absatz die Haustür ins Schloss.
Die junge Frau war kurz benommen. Als der Grauhaarige erkannte, dass sie schreien wollte, versetzte er ihr einen gezielten Schlag, der sie bewusstlos zusammensinken ließ. Sie rutschte an der Wand herab und blieb regungslos legen.
Patesse, du Ratte!, ging es dem Grauhaarigen durch den Kopf. Da komme ich wohl noch gerade rechtzeitig, bevor du dich auf Nimmerwiedersehen davonmachen willst.
Er nahm die Sonnenbrille ab und steckte sie in die Seitentasche seines Blousons. Dann holte er eine Automatik mit Schalldämpfer hervor. Er nahm sich nun systematisch Zimmer für Zimmer vor. Auf ungefähr hundert Quadratmeter schätzte der Grauhaarige die Wohnküche des Bungalows. Von Rolly Patesse gab es nirgends eine Spur. Schlafzimmer und Bad sahen aus, als hätte hier nie jemand gewohnt.
Er muss die Lunte gerochen haben, dachte der Grauhaarige. Einem Mann wie Patesse machte man eben nichts vor.
Der Grauhaarige durchsuchte noch Keller und Dachboden. Das Haus enthielt so gut wie keinerlei persönliche Habe mehr. Das Telefon war abgemeldet.
Schließlich kehrte der Grauhaarige in den Flur zurück. Er fasste die am Boden liegende Frau unter den Achseln und schleifte sie ins Bad. Dort hob er sie in die Wanne und ließ kaltes Wasser laufen.
Die junge Frau schreckte mit einem Schrei hoch. Ihre Augen waren angstvoll geweitet. Blut lief aus einer Platzwunde an der Schläfe.
Der Grauhaarige stellte das Wasser ab.
»Wir müssen uns unterhalten«, sagte er. »Es liegt ganz bei dir, wie schmerzhaft das wird!«
4
Ich bog von der Avenue de Channale in Marseille in den Rue de Boissons ein.
»Hier muss es gleich sein«, meinte mein Kollege François Leroc. »Fahr langsamer! Zurück können wir nicht!«
Der Rue de Boissons war eine Einbahnstraße und gewisse Regeln dürfen auch Polizisten nur im Notfall brechen. Allerdings nicht, wenn sie kein Aufsehen erregen wollen – und das war im Augenblick der Fall.
Der Anruf eines gewissen Roland ‘Rolly‘ Patesse hatte unser Büro erreicht. Patesse glaubte, dass ein Killer hinter ihm her sei und hatte sich in einem billigen Hotel verkrochen. Dort saß er jetzt und wartete darauf, dass wir ihm halfen.
Der Polizei traute Patesse nicht. Er war der Überzeugung, dass sie von seinen Mafia-Feinden durchsetzt wäre. Einzig und allein die FoPoCri besaß bei ihm genug Vertrauen, um sich in dieser Situation mit der Bitte um Hilfe an sie zu wenden.
Das entbehrte nicht einer gewissen Ironie, denn vor wenigen Jahren hatte er unser Kommissariat als seinen schlimmsten Gegner betrachtet. Rolly Patesse war der Überzeugung der Justiz nach Teil des Lafontaine-Syndikats gewesen. Allerdings hatte er gewusst, wann es genug war und rechtzeitig aufgehört. Es war nie möglich gewesen, Patesse vor Gericht etwas anzuhaben, und inzwischen hatte er seine Millionen irgendwo auf der hohen Kante sicher angelegt und sich zur Ruhe gesetzt.
Aber unsere Aufgabe ist es, das Verbrechen zu bekämpfen – und dabei spielt es auch keine Rolle, ob das Opfer möglicherweise selbst einmal auf Seiten der Gangster gestanden hatte. Wir waren verpflichtet, das Leben eines Mannes wie Rolly Patesse genauso zu schützen wie das jedes anderen Bürgers.
Ich bremste den Sportwagen etwas ab und bog nach links auf einen Parkplatz, der die lange Reihe von ehemaligen Lagerhäusern unterbrach. Wir hatten Glück und fanden einen freien Parkplatz.
Das Hotel Lazáre lag auf der linken Hand. Es handelte sich um ein fünfstöckiges Gebäude, das ursprünglich wohl als Unterkunft für Hafenarbeiter gedient hatte. Inzwischen war es zu einem Hotel heruntergekommen, dessen Zimmer auf Wunsch auch stundenweise vermietet wurden.
Wir passierten den Eingang und betraten das Foyer. Der Portier schreckte hoch. Ich hielt ihm meinen Dienstausweis entgegen.
»Pierre Marquanteur, FoPoCri.«
»Wir sind sauber!«, zeterte der Portier. »Und wenn sich hier möglicherweise Frauen für Geld anbieten, die nicht angemeldet sind, hat unser Hotel nichts damit zu tun.«
Der Mann sprach mit einem starken Akzent.
»Wir auch nicht«, sagte François. »Sie können ganz beruhigt sein. Wir sind nämlich nicht von der Stadtverwaltung, sondern von der Kripo.«
Ich ergänzte: »Und einen Durchsuchungsbeschluss brauchen wir nicht. Einer Ihrer Gäste hat uns nämlich eingeladen.«
»Ach, ja?«
Wir fragten nach der Zimmernummer, die Rolly Patesse uns angegeben hatte. Der Portier beschrieb uns den Weg.
»Die Treppe hoch, dann links den Gang runter ganz am Ende.«
»Danke.«
»Haben Sie was dagegen, wenn ich Sie Monsieur Dupont ankündige?«
Ich schüttelte den Kopf.
»Ganz und gar nicht.«
5
Wir stiegen die Treppe hinauf. Einen Aufzug gab es im Hotel Lazáre nicht. Zumindest keinen, der funktionierte.
Wir erreichten wenig später die Zimmertür von Monsieur Dupont.
»Ehrlich gesagt, hätte ich jemandem wie Rolly Patesse etwas mehr Fantasie bei der Auswahl seines Künstlernamens zugetraut«, grinste François.
»Ich bin gespannt, was er uns zu sagen hat!« Ich klopfte. Es erfolgte keinerlei Reaktion, daher versuchte ich es noch einmal. »Monsieur Patesse? Hier spricht Commissaire Pierre Marquanteur von der FoPoCri. Sie haben vor wenigen Minuten mit Monsieur Jean-Claude Marteau, Commissaire général de police, dem Leiter unserer Sonderabteilung gesprochen.«
Im nächsten Augenblick krachte ein Schuss los. Ein großkalibriges Projektil stanzte kurz hintereinander zwei daumengroße Löcher durch das Holz. Die Kugeln gingen dicht an uns vorbei. Es war pures Glück, dass wir nicht verletzt wurden. François sprang nach rechts, ich nach links. Wir postierten uns neben der Tür und zogen unsere Dienstwaffen. Ein dritter und ein vierter Schuss krachten.
Diesmal hielt der Schütze seine Waffe etwas höher. Die Löcher der Durchschüsse waren ziemlich genau in unserer Augenhöhe.
Auf der anderen Seite der Tür waren jetzt Geräusche zu hören. Irgendetwas wurde umgestoßen. Ein Stuhl, schätzte ich. Ein schabendes Geräusch sprach dafür, dass gerade ein Fenster hochgeschoben wurde.
Ich schnellte vor, die Dienstwaffe vom Typ SIG Sauer P 226 in beidhändigem Anschlag. Ein Tritt und die Tür flog zur Seite.
Das Zimmer war schätzungsweise fünfzehn Quadratmeter groß. Rechts stand ein Doppelbett. Links war ein Waschbecken. In der Mitte lag ein Stuhl auf dem Boden, und am Fenster bemühte sich ein etwa sechzigjähriger Mann darum, aus dem Fenster zu steigen. In der Linken hielt er dabei eine großkalibrige Automatik, Kaliber 45.
Ich erkannte den Mann sofort wieder. Unser Kollege Maxime Valois aus der Fahndungsabteilung hatte uns eine Bilddatei auf den Bordrechner des Sportwagens gemailt, die Patesse bei dessen letzter Verhaftung zeigte. Seitdem waren sieben Jahre vergangen.
Patesse saß rittlings auf der Fensterbank.
»Monsieur Patesse, die Waffe weg! Wir sind hier, um Ihnen zu helfen«, rief ich.
Rolly Patesse blickte aus dem Fenster. Offenbar sah er keine Chance unbeschadet unten anzukommen.
Er zögerte. Seine Finger krallten sich so fest um den Griff der Automatik, dass die Knöchel weiß wurden.
»Wenn Sie wirklich von der FoPoCri wären, könnten Sie unmöglich so schnell hier sein!«, keuchte er. »Wer schickt Sie?« Schweißperlen standen auf Patesses Stirn.
»Wir waren in der Nähe. Sofort, nachdem Ihr Hilferuf unser Büro erreichte, bekamen wir die Order, hierher zu fahren«, versuchte François etwas Ruhe in die Situation zu bringen.
Aber unser Gegenüber war vollkommen außer sich. Er musste furchtbare Angst haben.
»Machen Sie keine Dummheiten, Monsieur Patesse!«, forderte ich ihn auf. Ich griff vorsichtig in meine Jackettinnentasche und zog meinen Dienstausweis hervor. Patesse bedachte mich mit einem misstrauischen Blick. Ich schaffte es schließlich, meinen Ausweis herauszuholen. Er schluckte, als er seinen Irrtum erkannte.
»Das Ding sieht echt aus«, gab er zu.
»Es ist echt.«
Er senkte die Waffe. François näherte sich von der Seite. Patesse ließ sich die Automatik widerstandslos aus der Hand nehmen. Ich steckte meine SIG ins Holster zurück und zog Patesse vom Fenster weg.
»Wenn Sie wirklich in Gefahr sind, sollten Sie sich nicht so frei am Fenster bewegen«, erklärte ich ihm.
Patesse ging zum Bett und ließ sich wie ein nasser Sack darauf fallen. Ich blickte unterdessen hinaus. Man hatte den Blick auf einen sehr schmalen Hinterhof. Die Bäume, die dort angepflanzt worden waren, bekamen nicht viel Licht. Es war erstaunlich, dass sie überhaupt gediehen. Ich konnte jedenfalls nichts Verdächtiges entdecken und schloss das Fenster.
»Und jetzt der Reihe nach, Monsieur Patesse«, begann François. »Sie sagen, dass ein Killer Ihnen auf den Fersen wäre.«
Er nickte.
»Bringen Sie mich hier weg! Meinetwegen in eine Ihrer Gewahrsamszellen – aber nicht ins Gefängnis. Bis dahin reicht nämlich ihr Arm …«
»Wessen Arm?«, hakte ich nach.
Er blickte auf und sah mich an.
»Ich sage Ihnen alles, was ich weiß. Und das ist eine Menge, kann ich Ihnen flüstern! Aber erst bringen Sie mich hier weg, sonst hören Sie keinen Ton von mir!«
»Ist ja schon gut!«, versuchte ich ihn zu beschwichtigen.
»Sie müssen mich ins Zeugenschutzprogramm nehmen. Bitte!«
»Darüber haben wir nicht zu entscheiden«, erklärte ich. »Aber wir können Sie erst mal zur Dienststelle bringen. Und dort sehen wir weiter. Ich denke, das ist auch in Ihrem Sinn.«
Er atmete tief durch. Der Griff seiner rechten Hand ging in die Herzgegend. Schließlich nickte er.
»Ja«, murmelte er. Und dieses eine Wort hörte sich so an, als wäre ihm in diesem Augenblick eine Zentnerlast von der Seele gefallen. Er packte sehr schnell seine Sachen zusammen. Nur mit einem Handkoffer war er hier im Lazáre.
Wenig später verließen wir das Zimmer. François nahm den Koffer. Ich ging voran – die Hand immer an der Dienstwaffe. Wie real die Gefahr tatsächlich war, von der Patesse bei seinem Anruf im Kommissariat berichtet hatte, konnten wir nicht einschätzen.
Wenig später durchquerten wir das Foyer des Hotels Lazáre. Der Portier beobachtete uns.
»Wieso haben Sie sich ausgerechnet das Lazáre ausgesucht?«, fragte François, als wir ins Freie traten.
»Ich weiß, es ist nicht die beste Adresse. Aber hier kennt mich garantiert niemand.«
»Im Fond unseres Sportwagens ist nicht viel Platz.«
»Das macht nichts, Monsieur …«
»Marquanteur.«
»Ah, ja, richtig.«
Er war so nervös, dass er sich noch nicht einmal meinen Namen hatte merken können. Unruhig streifte sein Blick über die etwas heruntergekommenen Fassaden der Umgebung. Manche der umstehenden Lagerhäuser wurden noch immer zu dem Zweck benutzt, zu dem sie auch gebaut worden waren. Andere dienten einfach als Abstellfläche für Waren aller Art. Eine dritte Gruppe hatte man in teure Eigentumswohnungen verwandelt, was so manchen störte, der seit Jahren in der Gegend wohnte. Aber Marseille veränderte sich im Augenblick stark.
»Ich kann mich klein machen, wenn es sein muss«, murmelte er und blickte dabei auf die Uhr.
Wir gingen auf den Sportwagen zu.
Plötzlich tanzte ein Laserstrahl eines Zielerfassungsgerätes durch die Luft. Das konzentrierte Licht brach sich irgendwo und ließ eine gerade Linie erahnen.
Eine Schusslinie.
Ich warf mich auf Patesse und riss ihn zu Boden.
François zog seine Waffe, ließ dabei den Koffer fallen und ging hinter einem parkenden Fahrzeug in Stellung.
Die Schüsse des Angreifers waren lautlos.
Das Blut rann mir zwischen den Fingern hindurch. Erst einen Moment später begriff ich, dass es nicht mein Blut war. Rolly Patesse blickte mich mit offenem Mund und starren, toten Augen an. Eine Kugel hatte seine Schläfe durchschlagen und war direkt in sein Gehirn gefahren.
»Der Killer ist im fünften Stock, andere Straßenseite!«, rief François. Er spurtete los.
Offenbar waren Patesses Befürchtungen keineswegs aus der Luft gegriffen gewesen.
François überquerte den W. Ein Lieferwagen bremste stark ab. Der Fahrer zeigte François einen Vogel, aber mein Kollege kümmerte sich nicht weiter darum. Er rannte unbeirrt weiter.
Ich setzte per Handy eine kurze Meldung ans Büro ab, damit Verstärkung geschickt wurde und folgte François dann über die Straße.
Das Gebäude, aus dem geschossen worden war, wirkte verlassen. Einige der Fenster waren mit Spanplatten vernagelt worden. Offenbar handelte es sich um ein Gebäude, das kurz vor der Sanierung stand. In diesem Teil von Marseille La Villette gab es zurzeit viele davon.
Der Eingang war offenbar zur anderen Seite ausgerichtet.
Ich folgte François durch die enge Gasse von etwa zwei Meter Breite, um zur Rückfront des Gebäudes zu gelangen.
Augenblicke später erreichten wir einen Hinterhof. Ein Geländewagen vom Typ Ford Maverick startete gerade mit durchdrehenden Reifen und fuhr in einem Höllentempo auf die schmale Ausfahrt zu. Vom Fahrer war kaum etwas zu sehen. Nur einen kurzen Moment blinkte etwas auf. So als ob er eine Brille mit spiegelnden Gläsern trug.
François zielte mit seiner Dienstwaffe auf die Hinterreifen.
Aber in diesem Moment tauchte ein Fahrradkurier auf, der die Ausfahrt in entgegengesetzter Richtung passierte und dabei ein hohes Tempo drauf hatte. Wahrscheinlich nahm er den Weg über dieses Grundstück einfach als willkommene Abkürzung, um schneller zum Ziel zu gelangen.
Der Maverick hielt rücksichtslos auf ihn zu. Mit einem Sprung versuchte sich der Kurier zu retten. Er knallte auf die Motorhaube, während das Fahrrad vom Kuhfänger erfasst wurde.
Der Kurier rutschte seitlich vom Kotflügel des Maverick herunter und knallte mit dem Helm gegen die Hauswand. Der Geländewagen brauste inzwischen weiter, zermalmte das Rad aus ultraleichter Karbonfaser unter seinen hohen Rädern und fädelte sich dann ziemlich brutal in den Verkehr ein.
François senkte die Waffe. Ich ebenfalls.
Ich spurtete los, während François bereits das Handy am Ohr hatte, um dafür zu sorgen, dass möglichst schnell ein Ambulanz-Team eintraf.
Augenblicke später hatte ich den Verletzten erreicht.
Er rührte sich. Blut sickerte unter seinem Helm hervor, der ihm aber dennoch wohl das Leben gerettet hatte. Er lag in seltsam verrenkter Haltung da.
»Ganz ruhig«, sagte ich. »Es kommt gleich jemand.«
François spurtete an mir vorbei bis zur nahen Hauptstraße. Aber er kehrte rasch zurück und schüttelte den Kopf. Das hieß wohl, dass uns der Flüchtige erst einmal durch die Lappen gegangen war.
In der Ferne waren bereits die Sirenen von der Polizei und der Notfallambulanz zu hören.
6
Der verletzte Kurier hieß Georges Bourgois, wie aus dem Ausweis seines Kurierdienstes hervorging. Er bestätigte uns, den Weg über diesen Hinterhof oft als Abkürzung zu nehmen. Ansonsten beteuerte er immer wieder nur, dass der Maverick ganz plötzlich aufgetaucht sei und er ihn erst im letzten Moment gesehen hätte.
»Wieso hat der Kerl noch Gas gegeben?«, keuchte Bourgois. »Ich höre das immer wieder in meinem Kopf. Wie der Motor aufheult. Warum hat er nicht gebremst?«
»Wir werden den Fahrer kriegen«, versprach ich. »Ganz bestimmt.«
»Das hoffe ich! So einer sollte nicht mehr den Verkehr unsicher machen!«
»Haben Sie den Fahrer sehen können?«, hakte François nach.
»Nein, tut mir leid. Das ging alles so schnell …«
Die Diagnose des Notarztes war trotz des erschreckenden Bildes, das sich uns zunächst geboten hatte, recht ermutigend. Schürfungen, Quetschungen, Stauchungen und wahrscheinlich zwei gebrochene Beine und eine starke Gehirnerschütterung lautete die erste Bilanz. Ob es vielleicht noch Schäden an Schädel und Wirbelsäule gab, mussten die Röntgenbilder erweisen.
»Immerhin ist er ansprechbar«, erklärte der Arzt.
Die Tatsache, dass Georges Bourgois einen guten Helm und Protektoren trug, hatte ihm das Leben gerettet.
Kollegen der Polizei sicherten den Tatort vor dem Hotel Lazáre. Mitarbeiter des Erkennungsdienstes waren unterwegs, brauchten um diese Zeit aber sicher noch eine gute Stunde, bis sie es von ihrem Labor bis nach La Villette geschafft hatten.
François und ich sahen uns in dem Gebäude um, aus dem geschossen worden war.
Es gab eine zum Hinterhof ausgerichtete Laderampe. Das dazugehörige Tor war fest verschlossen, aber der Personaleingang zehn Meter weiter nicht. Jemand hatte die Tür aufgebrochen.
Im Erdgeschoss befand sich ein Lagerraum, den man im Moment wohl eher als Sondermülldeponie bezeichnen musste. Halb verrostete Fässer standen dort, ein Geruch, der an faule Eier erinnerte, hing in der Luft.
Es gab einen großen Lastenaufzug in die oberen Etagen – aber da der Strom abgeschaltet war, funktionierte der nicht.
Wir nahmen eine Treppe.
In den oberen Geschossen lagerten vornehmlich Verpackungsabfälle. Vor allem Kunststoff, aber auch vor sich hin rottende Pappe. Ratten huschen über den Boden.
François‘ Vermutung, dass aus dem fünften Stock heraus auf Rolly Patesse geschossen worden war, stellte sich als richtig heraus.
In eine der Fensterscheiben war ein Loch geschlagen worden, dessen Ränder dunkel verfärbt waren. Schmauchspuren, so nahm ich an.
Der Boden davor war von einer grauen Staubschicht bedeckt, in der frische Fußspuren zu sehen waren. Außerdem Abdrücke, die von ausgeworfenen Patronenhülsen stammen konnten. Offenbar hatte der Täter Zeit genug gehabt, sie einzusammeln.
»Ich bin sicher, dass von hier aus geschossen wurde«, sagte François Leroc. Wir hielten Abstand von dem Bereich vor dem Fenster, um den später eintreffenden Kollegen des Erkennungsdienstes nicht die Arbeit zu erschweren.
»Jedenfalls hatte Rolly Patesse mit seinen Befürchtungen recht«, stellte ich fest. »Jemand hat alles daran gesetzt, ihn umzubringen.«
»Dieser Mann und seine Mafia-Vergangenheit sind mir alles andere als sympathisch, aber ich frage mich, weshalb gerade jetzt jemand seinen Tod wollte«, sagte François. »Schließlich hatte er sich längst aus dem Geschäft zurückgezogen.«
»Wissen wir das so genau, François? Vielleicht war er nur besonders clever.«
»Patesse war doch ein Handlanger von Armand Lafontaine und seiner Familie.«
Der Name sagte mir natürlich etwas, auch wenn ich selbst weder mit den Ermittlungen gegen Lafontaine noch gegen Patesse zu tun gehabt hatte. Lafontaine hatte sich vor zehn Jahren der Verhaftung durch Flucht entzogen und lebte nach unseren Erkenntnissen wahrscheinlich in Marokko – einem Land, mit dem Frankreich seinerzeit kein Auslieferungsabkommen hatte. Der Fall war in den letzten Jahren immer wieder einmal in Besprechungen unseres Kommissariats erörtert worden, weil es je nach außenpolitischer Lage Bemühungen des Justizministeriums gegeben hatte, vielleicht doch noch an Lafontaine heranzukommen.
»Vielleicht ist da irgendeine uralte Rechnung aus der Zeit offen, als Patesse noch für Lafontaine aktiv war«, vermutete ich.
»Aber Patesse hat sich doch meines Wissens nie versteckt«, wandte François ein.
Ich zuckte mit den Schultern.
7
Die Ermittlungen am Tatort ergaben zunächst keine weitergehenden Erkenntnisse. Immerhin wurden ein Reifenprofil des Maverick und ein Schuhsohlenabdruck des Täters sichergestellt. Nach der Schuhgröße und der Höhe des Schussloches zu urteilen, suchten wir nach einem Mann, der mindestens 1,90 m groß war.
Der Ford Maverick war natürlich auch in der Fahndung. François und ich hatten uns das Kennzeichen merken können. Es stammte aus aus der Nordstadt, aber eine Halterüberprüfung ergab, dass es eigentlich zu einem Toyota aus Saint Victoire gehörte.
Unsere Kollegen Stéphane Caron und Boubou Ndonga suchten zur selben Zeit Rolly Patesses Privatadresse in Bompard auf. Sie wurden von unseren Erkennungsdienstlern Pascal Montpierre und Jean-Luc Duprée begleitet. Zwar verlassen wir uns normalerweise auf die Arbeit, des für alle Marseiller Polizeieinheiten zuständigen Erkennungsdienstes, aber bei personellen Engpässen oder wenn Ermittlungen besonders aufwändig sind, können wir auch unsere eigenen Erkennungsdienstler hinzuziehen.
Stéphane parkte den Chevrolet aus den Beständen der FoPoCri-Fahrbereitschaft vor Patesses Haus. Stéphane und sein Kollege stiegen aus. Wenig später trafen Jean-Luc und Pascal ein.
»Der gelbe Lamborghini in der Einfahrt ist auf Patesses Namen zugelassen«, stellte Boubou fest. »Das habe ich überprüft. Allerdings besaß Patesse seit drei Jahren keinen gültigen Führerschein mehr und hätte wegen einer ganzen Latte von Verkehrsdelikten wohl auch Schwierigkeiten bekommen, eine neue Lizenz zu bekommen.«
Pascal deutete auf die Reifenspuren in der Einfahrt, die recht frisch wirkten.
»Der Wagen muss aber vor Kurzem bewegt worden sein.«
»Ärger mit der Autobahnpolizei gehört sicherlich nicht zu den größten Problemen, die Patesse hatte«, warf Stéphane ein.
Jean-Luc Duprée öffnete fachmännisch die Tür. Eigenartigerweise war bei der Leiche von Rolly Patesse kein Schlüsselbund gefunden worden.
Stéphane ging voran.
Schon nach einem Schritt griff er zur Dienstwaffe.
An der Wand im Flur klebte Blut. Boubou nahm jetzt ebenfalls seine Pistole in die Rechte. Sie sicherten sich gegenseitig ab und folgten einer Blutspur bis zum Bad.
Eine junge Frau lag dort mit starrem, toten Blick in der Wanne, die voller Blut war.
Stéphane musste unwillkürlich schlucken. Selbst für einen abgebrühten Polizisten, der täglich mit dem Verbrechen in Kontakt kam, war dies ein besonders scheußlicher Anblick.
8
Eine Viertelstunde später traf Dr. Bernard Neuville, ein Gerichtsmediziner im Dienst des Erkennungsdienstes am Tatort ein.
»Die junge Frau wurde zweifellos gefoltert«, stellte Dr. Neuville fest. »Der Täter wusste, wie man größtmöglichen Schmerz zufügt, ohne Gefahr zu laufen, dass das Opfer an den Verletzungen stirbt oder bewusstlos wird. Ich muss natürlich erst eine Obduktion vornehmen, um wirklich etwas Abschließendes sagen zu können, aber …«
»Ich verstehe schon«, murmelte Stéphane. »Aber sagen Sie uns trotzdem, was Sie denken!«
»Ein sexuelles Motiv würde ich ausschließen. Das war auch kein Triebtäter oder die Tat von jemandem, der seine Impulse nicht zu kontrollieren vermag. Hier ist jemand eiskalt vorgegangen.«
»Um Informationen zu erpressen?«, vermutete Boubou.
Dr. Neuville nickte.
»Ich denke, ja. Und am Ende wurde sie mit einem aufgesetzten Schuss durch die Stirn getötet. Die Mündung hat ein Hämatom gebildet.«
»Ich vermute, dass ein Schalldämpfer benutzt wurde, sonst hätten die Nachbarn alles mitbekommen«, sagte Stéphane.
»Die Schreie der Frau haben sie offensichtlich auch nicht gehört«, gab Boubou zu bedenken.
»Aber der Durchmesser des Hämatoms auf der Stirn spricht auch für einen Schalldämpfer. Wenn es der Abdruck der Mündung wäre, ließe das auf ein größeres Kaliber schließen, als die Eintrittswunde vermuten lässt.«
Pascal Montpierre fand wenig später im Wohnzimmer eine Handtasche, die ein paar aufschlussreiche Utensilien enthielt. Unter anderem Führerschein und Kreditkarte. Die Tote hieß Vera Rivage und hatte eine Adresse in Stade angegeben. Sie war siebenundzwanzig Jahre alt und über das Datenverbundsystem SIS war zu erfahren, dass sie wegen Drogendelikten vorbestraft war.
In ihrer Handtasche befand sich außerdem die Visitenkarte eines Maklerbüros. Stéphane rief dort an und erfuhr, dass sich Vera Rivage offenbar mit Moses Zidane, einem der Inhaber des Maklerbüros hatte treffen wollen.
»Stellen Sie mich doch bitte zu Monsieur Zidane durch«, verlangte Stéphane.
»Das geht leider nicht, er ist in einer Konferenz«, behauptete die Mitarbeiterin am Telefon.
»Ich nehme an, es ist ihm lieber, wenn wir uns im Polizeipräsidium treffen.«
»Einen Moment.«
Wenig später war Zidane doch zu sprechen. Er gab an, gegen elf Uhr am Vormittag bei Patesses Haus eingetroffen zu sein.
»Der Verkehr hatte mich aufgehalten. Sie wissen ja, wie das ist.«
»Haben Sie mit Madame Rivage sprechen können?«
»Nein. Vor dem Haus stand zwar ein gelber Sportwagen, aber es hat niemand geöffnet. Schon ziemlich ärgerlich für mich! Schließlich ist in meinem Business Zeit Geld, und ich bin extra ihretwegen nach Bompard rausgefahren.«
»Worum sollte es bei dem Gespräch gehen?«
»Das Haus sollte verkauft werden, und Madame Rivage gab an, die Bevollmächtigte des Eigentümers zu sein.«
»Kam Ihnen das nicht etwas seltsam vor?«
»Leider kam ich nicht dazu, das zu überprüfen. Das Haus ist jedenfalls ein schönes Objekt in guter Lage, das wäre ich leicht losgeworden.«
9
Stéphane und Boubou nahmen sich die Nachbarschaft vor, in der Hoffnung, dass jemand etwas bemerkt hatte.
Das Haus nebenan war derzeit unbewohnt. Später erfuhren unsere Kollegen, dass sich die Besitzer auf einer längeren Reise befanden.
Gegenüber wohnte ein Pensionär der Polizei mit seiner Frau.
»Mein Name ist Albert Jabon, und ich war fünfunddreißig Jahre Commissaire – zuerst bei der Drogenfahndung, später bei der Mordkommission im Rang eines Kriminaloberkommissars«, stellte er sich vor, nachdem Stéphane ihm seinen Dienstausweis gezeigt hatte. Jabon sah sich den Ausweis nur flüchtig an.
»Kannten Sie Ihren Nachbarn von gegenüber – Monsieur Roland Rolly Patesse?«
»Ehrlich gesagt, habe ich ihn nicht besonders gemocht, und ich war auch überhaupt nicht begeistert davon, als er hierherzog. Aber im Grunde hatte ich nichts mit ihm zu tun. Ein Mann mit bunter Vergangenheit, würde ich sagen.«
Stéphane lächelte.
»Sie haben über SIS nachgeforscht?«
»Wenn ich zu den Kollegen aufs Revier gehe und etwas wissen will, schauen die weg, wenn ich an den Computer gehe.«
»Monsieur Patesse wurde heute in Marseille La Villette erschossen.«
»Verstehe und die Durchsuchung der Opfer-Wohnung gehört zur Routinevorgehensweise.«
»Kennen Sie diese Frau?« Stéphane hielt ihm den Führerschein von Vera Rivage unter die Nase.
Albert Jabon nickte.
»Natürlich. Sie hat das letzte Jahr bei ihm gewohnt. Eine Prostituierte, aber Patesse schien genug Geld zu haben, um sie exklusiv für sich zu haben. Sie hat ihn auch immer mit dem gelben Lamborghini herumkutschiert, weil er selbst doch nach diversen Verfahren nicht mehr fahren durfte.«
»Wir haben sie ermordet in der Badewanne gefunden.«
Jabon zog die Augenbrauen zusammen.
»Wann ist das geschehen?«
»Vermutlich heute Morgen.«
»Da stand für eine Weile ein Ford Maverick vor dem Haus. Ich habe leider nicht gesehen, wer drin saß. Schließlich sitze ich ja nicht den ganzen Tag am Fenster und beobachte Leute.«
»Natürlich nicht.«
»Und dann ist noch etwas merkwürdig. Vor zwei Tagen kam ein Transporter, und es wurde jede Menge persönlicher Besitz weggeschafft. Keine Möbel oder dergleichen – nur Kleidung, Bücher – der ganze Kleinkram eben.«
»Wer hat den Leuten die Tür aufgemacht?«
»Madame Rivage. Da bin ich mir sicher.« Er grinste. »Die übersieht man nicht. Von Monsieur Patesse war schon seit Tagen nichts mehr zu sehen. Ich wette, der wollte untertauchen, weil er befürchten musste, dass schließlich doch noch jemand einen juristischen Dreh findet, um ihn dahin zu bringen, wo er schon lange hingehört hätte – ins Gefängnis nämlich!«
10
Am nächsten Morgen trafen sich alle Kollegen, die zurzeit an dem Fall arbeiteten, im Büro unseres Chefs zur Besprechung.
Außer uns waren das die Kollegen Stéphane Caron und Boubou Ndonga sowie die Erkennungsdienstler Jean-Luc Duprée und Pascal Montpierre.
Kollege Maxime Valois aus der Fahndungsabteilung unseres Innendienstes verspätete sich etwas, da er offenbar mit der Vorbereitung eines Dossiers für die beteiligten Kollegen nicht rechtzeitig fertig geworden war.
Monsieur Jean-Claude Marteau, Commissaire général de police, der Leiter unserer Sonderabteilung, der FoPoCri Ermittlungsgruppe der Sûreté in Marseille, informierte uns über neue Erkenntnisse im Mordfall Patesse.
»Der Ford Maverick, den dieser pensionierte Commissaire gesehen hat, ist identisch mit dem Fahrzeug, das der Mörder von Patesse benutzt hat«, erklärte unser Chef. »Das beweist die Auswertung der Reifenspuren. Außerdem hat sich Commissaire Jabon die Nummer aufgeschrieben. Das Kennzeichen ist falsch. Maxime und seine Abteilung gehen im Moment die Liste der als gestohlen gemeldeten Fahrzeuge dieses Typs durch. Es könnte durchaus sein, dass wir da fündig werden.« Monsieur Marteaus Gesicht wurde sehr ernst. Er wandte sich an Maxime Valois. »Der Fall Patesse könnte durchaus in einem größeren Zusammenhang stehen. Maxime hat ein Dossier für Sie vorbereitet und wird Sie jetzt über alles Weitere informieren. Bitte, Sie haben das Wort!«
Maxime nickte.
»Vor ein paar Tagen wurde im Étang de Berre bei archäologischen Grabungen Überreste einer Leiche aus dem Sumpf der Uferregion geborgen, die zweifelsfrei nicht von einem Menschen aus der Zeit des Spätpaläolithikum stammt, sondern eine Zahnbehandlung bekommen hat und außerdem ein künstliches Hüftgelenk besaß, wie man es vor etwa zwanzig Jahren verwendete. Über die Seriennummer des Hüftgelenks konnten die Kollegen der örtlichen Polizei schnell herausbekommen, dass es sich bei dem Toten um niemand anderen als Armand Lafontaine handelt – der Mafia-Boss, von dem wir alle annahmen, dass er seit zehn Jahren an einem sonnigen Plätzchen seine illegal erwirtschafteten Reichtümer genießt. Was den Todeszeitpunkt angeht, so steht im gerichtsmedizinischen Gutachten, dass der Grad der Verwesung nahe legt, dass Armand Lafontaine bereits starb, kurz nachdem er vor zehn Jahren untertauchte – und nicht etwa später inkognito zurückkehrte.«
»Patesse hat sich kurz nach Lafontaines Untertauchen aus dem Geschäft zurückgezogen«, gab Stéphane zu bedenken. »Gibt es da vielleicht irgendeinen Zusammenhang?«
»Das liegt nahe«, erklärte Maxime. »Lafontaine war die Justiz wegen Steuerhinterziehung, Geldwäsche und Verabredung zum Mord auf den Fersen. Entscheidend war dabei der letzte Anklagepunkt. Lafontaine hätte lebenslänglich hinter Gitter kommen können, und da hat er es vorgezogen zu verschwinden. Diese Anklage beruhte hauptsächlich auf der Aussage von Tom Beltoire, einem im Gefängnis einsitzenden Mafia-Killer. Beltoire gab zu, in Lafontaines Auftrag einen Konkurrenten im Drogengeschäft aus dem Weg geräumt zu haben.«
»Könnte es sein, dass da vor zehn Jahren im Lafontaine-Syndikat eine Palast-Revolution vonstatten ging und der große Boss ins Abseits gedrängt werden sollte?«, fragte Monsieur Marteau.
»Das ist zumindest nicht ausgeschlossen«, nickte Maxime.
»Wer hat die Geschäfte von Lafontaine damals übernommen?«, fragte ich.
»Sein Neffe Jacques Briand. Wenn jemand vom Tod – oder dem Verschwinden – Lafontaines profitiert hat, dann war er es.«
»Ich wette, Rolly Patesse wusste genau darüber Bescheid, was damals abgelaufen ist«, war Stéphane überzeugt. »Aber leider ist er nicht mehr dazu gekommen, es uns zu verraten.«
Monsieur Marteau wandte sich an Stéphane: »Ich möchte, dass Sie und Boubou in Patesses Umfeld herumstochern. Dass es einen Zusammenhang mit Lafontaines Tod gibt, liegt nahe – aber im Moment sind das alles nur Vermutungen.«
»Patesses private Sachen wurden ja schließlich vor Kurzem abtransportiert. Ich werde mich mal darum kümmern, wo das alles geblieben ist.«
»Vielleicht finden wir da ein paar Hinweise«, ergänzte Boubou.
»Und vergessen Sie das Umfeld von Vera Rivage nicht!«, gab Monsieur Marteau zu bedenken. »Rolly Patesse hat ihr zumindest soweit vertraut, dass er sie beauftragte, sein Haus zu verkaufen. Es kann also gut sein, dass sie noch viel mehr über ihn wusste und das anderen gegenüber auch geäußert hat.«
»Wenn Sie mich fragen, hat Patesse die Kleine wie einen Minenhund vorgeschickt, weil er genau wusste, dass seine Feinde bei ihm zu Hause in Bompard auftauchen würden«, vermutete Pascal Montpierre. »Ein skrupelloser Typ!«
»Für uns aber im Moment in erster Linie ein Mordopfer«, stellte Monsieur Marteau klar. »Und das bedeutet, wir werden mit derselben Energie und Sorgfalt ermitteln wie in jedem anderen Fall auch.« Unser Chef wandte sich an François und mich. »Für Sie beide habe ich einen Termin im Gefängnis gemacht. Monsieur Beltoire will nur in Begleitung seines Anwalts befragt werden, was die Sache etwas komplizierter macht.« François und ich nickten. »Und dann möchte ich, dass Sie sich Jacques Briand vornehmen! Ich bin gespannt, was er dazu zu sagen hat, dass sein Onkel plötzlich im Étang de Berre aufgetaucht ist.«
11
Der Grauhaarige lenkte mit der linken Hand den Maverick durch den Autobahntunnel. Die Rechte spielte mit dem Goldkreuz auf seiner Brust.
Es gibt keinen Grund, nervös zu werden, versuchte er sich einzureden. Alles lief doch wie geschmiert!
Rolly Patesse war gerade noch rechtzeitig ausgeschaltet worden, bevor er sich ausführlich mit der FoPoCri unterhalten konnte.
Im Radio lief Country Musik.
Mit französischen Texten.
Der Grauhaarige summte mit. Seine Singstimme verfügte allerdings nur über einen tiefen und einen ganz tiefen Ton. Das Ergebnis war ziemlich dissonant.
Nachdem er den Tunnel passiert hatte, fuhr er Richtung Süden. Nach ein paar Kilometern erreichte er einen Parkplatz, bog ab und stoppte den Wagen. Auf dem Beifahrersitz lag eine Golftasche, in der er ein Spezialgewehr mit Laserzielerfassung verstaut hatte. Das nahm er an sich, stieg aus und schloss ab.
Eigentlich schade um den Wagen!, dachte er. Ich hätte ihn gerne länger behalten …
Aber das Risiko war einfach zu groß.
Er nahm die Tasche mit der Linken über den Rücken, zupfte an dem Goldkreuz herum und ging auf einen unscheinbaren Toyota zu, der ein paar Meter entfernt geparkt war. Die Tasche mit dem Gewehr verstaute er im Kofferraum. Dann setzte er sich ans Steuer und griff nach seinem Handy. Natürlich ein Prepaid-Gerät, damit sich der Gesprächskontakt später nicht nachweisen ließ.
»Alles erledigt«, sagte er einfach, als am anderen Ende der Leitung jemand abnahm.
12
Inzwischen lag der ballistische Bericht vor. Marcel Hollande, unser Chefballistiker, schneite in das Dienstzimmer, das François und ich uns teilten.
»Patesse und die Frau sind mit demselben Kaliber, aber mit verschiedenen Waffen getötet worden«, sagte Marcel. »Vera Rivage wurde mit einer Automatik mit Schalldämpfer in den Kopf geschossen. Es gibt zweierlei Riefen, also besteht an der Verwendung eines Schalldämpfers kein Zweifel. Das Projektil, das Rolly Patesse getötet hat, wurde jedoch mit Sicherheit aus einem Gewehr abgefeuert. Vermutlich eine Spezialanfertigung. Beide Waffen sind leider bisher nicht aktenkundig.«
»Ein Profi!«, lautete François‘ Schluss. »Aber das haben wir ja ohnehin schon vermutet.«
»Zwei Morde an einem Tag – und er hat immer die richtige Waffe dabei. Das ist auch nicht alltäglich«, meinte ich.
Eine halbe Stunde später erfuhren wir von unserem Kollegen Maxime Valois, dass der Ford Maverick höchstwahrscheinlich einem Mann aus La Plaine gestohlen worden war. Allerdings konnte dieser keine weiteren sachdienlichen Angaben machen.
Unser Termin im Gefängnis ließ uns Zeit genug, um in der Mittagszeit noch einen Snack zu nehmen. Wir kauften uns einen Hot Dog ganz in der Nähe der Dienststelle. Zurück schlenderten wir jeder mit einem Hot Dog in der Hand durch den Park.
»Ich bin mal gespannt, ob Beltoire heute den Mund aufmacht«, sagte François.
»Und ich bin gespannt, wer sein Anwalt ist und ihn bezahlt«, gab ich zurück.
»Du meinst, da hat jemand Angst, dass Monsieur Beltoire etwas Verkehrtes sagt?«
»Natürlich! Monsieur Beltoire selbst hat doch nichts mehr zu verlieren. Er ist an einer lebenslänglichen Haftstrafe nicht vorbeigekommen und sitzt ohne Aussicht auf Bewährung. Wozu braucht der einen Anwalt, wenn er mit uns redet?«
Zehn Minuten später saßen wir im Sportwagen und fuhren Richtung Norden, um unseren Termin im Gefängnis wahrzunehmen.
Wir trafen Tom Beltoire in einem karg eingerichteten Verhörraum. Er war ein Hüne von fast zwei Metern mit breitem Gesicht und kurz geschorenen Haaren. Die Unterarme waren voller Tätowierungen. Er trug Hand- und Fußfesseln.
»Ich denke, die können Sie abnehmen«, wandte ich mich an einen der Wachleute.
»Der Letzte, der das gesagt hat, war sein Psychologe und der liegt jetzt mit gebrochenem Rückgrat im Krankenhaus«, erwiderte der Wachmann. »Monsieur Beltoire neigt nämlich zu einem aufbrausenden Temperament.«
»Er wurde provoziert«, mischte sich ein kleiner, dunkelhaariger Mann im kobaltblauen Dreiteiler ein, der sich als Letzter in den Raum gedrängt hatte. Er gab mir die Hand und drückte sie übertrieben fest.
»Fernand Revlain von Revlain, Cranmer & Partners, Marseille. Ich vertrete Monsieur Beltoire.«
»Freut mich Sie kennenzulernen. Ich bin Pierre Marquanteur und dies ist mein Kollege François Leroc. Für Ihren Mandanten steht hier nichts auf dem Spiel, wie Sie bedenken sollten!«
Revlain grinste raubtierhaft und entblößte dabei zwei Reihen weiß blitzender und völlig gleichmäßiger Zähne.
»Wollen Sie mir jetzt etwa vorschlagen, meine Arbeit nicht so gut wie möglich zu machen …«
»Ganz bestimmt nicht!«
»Dann ist es ja gut!«
Wir setzten uns.
»Hängen Sie mir ruhig noch etwas an, wenn Sie wollen!«, knurrte Beltoire. »Früher dachte ich, es sei ein Erfolg meines Anwalts, die verschärfte Haftstrafe abzuwenden – heute denke ich, es ist sowieso egal.«
»Dieses Problem sollten Sie mit Monsieur Revlain besprechen«, schlug ich vor. »Sie haben seinerzeit vor Gericht zugegeben, im Auftrag von Armand Lafontaine einen Mord begangen zu haben.«
»Richtig. Die Kanaille, die ich niedergemacht habe, hieß Lee Kim – ein mieser koreanischer Drogenbaron. Die Justiz hätte mir eigentlich dankbar sein sollen, dass ich den aus dem Verkehr gezogen habe.«
»Monsieur Marquanteur, ich weiß nicht, wohin diese Befragung führen soll«, mischte sich Revlain ein. Es hielt ihn nicht auf seinem Platz. Er stand auf, ging hin und her und verbreitete dadurch eine nervöse Atmosphäre. »Wenn Sie versuchen wollen, meinen Mandanten zu Aussagen zu provozieren …«
»Ich denke nicht, dass sich Ihr Mandant provozieren lässt«, erwiderte ich und wandte mich Beltoire zu. »Monsieur Beltoire, Ihr damaliger Auftraggeber wurde im Étang de Berre.«
Das Erstaunen in Beltoires Gesicht schien mir echt zu sein. Sein breiter Kinnladen fiel herunter und er vergaß für einige Augenblicke, den Mund wieder zu schließen.
»Ich dachte, Lafontaine hätte es geschafft und sich irgendwo in den sonnigen Süden oder so abgesetzt. Hier im Gefängnis hört man ja eine Menge Gerüchte. Und von Grand-Armand hieß es immer, dass er gerade noch rechtzeitig das Land verlassen hätte. Marokko, glaube ich! Genau, das war es!« Beltoire lachte heiser. »Ich habe mich oft bei dem Gedanken schwarz geärgert, dass der feiste Sack seine Millionen irgendwo am Strand mit einem Gläschen in der Hand genießt, während ich hier lebenslänglich abbrummen muss. Aber wenn ich jetzt überlege, dass er in Wahrheit die ganze Zeit in diesem Wasserloch vor sich hin faulte …« Er verzog das Gesicht. »Will mir noch gar nicht in den Kopf.«
»Ich denke, Monsieur Beltoire hat gesagt, was er zu dem Thema zu sagen hat«, machte Revlain erneut einen Versuch, die Befragung abzubrechen.
Es hing tatsächlich alles von Beltoire ab. Wir hatten keine Möglichkeit, ihn zu einer Aussage oder gar zur Zusammenarbeit zu zwingen – und mehr Vergünstigungen, als er schon bekommen hatte, waren für einen wie ihn nach Lage der Dinge nicht drin.
Aber Tom Beltoire schien heute seinen redseligen Tag zu haben und gar nicht daran zu denken, der Linie seines Anwalts zu folgen.
»Hören Sie, Monsieur Commissaire, es ist alles so, wie ich es damals ausgesagt habe! Armand Lafontaine hat mir 50 000 Euro für den Mord an Lee Kim gegeben. Dessen Drogenring überschwemmte damals Marseille mit billigem Stoff und drohte die alteingesessenen Bosse aus dem Geschäft zu drängen. Ich brauche Ihnen doch wohl nicht zu erzählen, wie das läuft! Man hat von Grand-Armand erwartet, dass er etwas tut, bevor das Geschäft völlig ruiniert ist. Und Grand-Armand ist zu mir gekommen – so war das!« Er lehnte sich zurück und schüttelte den Kopf. »Ist schon seltsam, dass Sie jetzt nach all den Jahren seinen Mörder suchen.«
»Wer käme denn da in Frage – Ihrer Meinung nach?«
»Ist das Ihr Ernst? Na, der Clan von Lee Kim natürlich! Diese Koreaner halten viel auf Familienzusammenhalt. Ich hätte allerdings nicht gedacht, dass Armand so unvorsichtig ist, dass sie ihn gleich erwischen.«
»Hatte er weitere Feinde, von denen Sie wissen? Feinde in der eigenen Organisation zum Beispiel?«
»Mein Mandant wird dazu nichts sagen«, erklärte Revlain.
»Natürlich sage ich was dazu«, rief Beltoire. »Armand Lafontaine war für alle wie ein Vater! Ein echter Patron, auf dessen Hilfe man sich verlassen konnte und der außerdem noch dafür sorgte, dass die Geschäfte gut liefen. Wenn Sie denken, dass ihn jemand aus den eigenen Reihen in der Versenkung verschwinden lassen wollte, dann sind Sie auf dem völlig falschen Weg.«
»Ihre Zeit ist um, Monsieur Marquanteur«, brach Revlain das Gespräch ab. »Wir haben Ihnen nichts mehr zu sagen!«
Monsieur Beltoire hob die Schultern.
»Tja, ich höre wohl besser auf, Monsieur Marquanteur, sonst versuchen Sie mir am Ende noch irgendetwas anzuhängen und ich bekomme noch mal lebenslänglich.«
»Ich dachte, das würden Sie bevorzugen – oder war das nur Gerede?«, fragte François.
»Nein, das ist kein Gerede. Aber meine Schwester braucht mich noch. Sie ist schwer krank und wird wahrscheinlich bald sterben. Wie sähe das für sie denn aus, wenn ich mich in meiner Zelle erhängen oder ein paar weitere Morde gestehen würde, damit ich noch länger brummen muss? Ich muss ihretwegen am Leben bleiben, weil ich ihr einziger Halt bin.«
»Sie haben regelmäßig Kontakt zu ihr?«, fragte ich.
»Wir telefonieren, und sie kommt mich besuchen. Krebs bedeutet nicht unbedingt, dass man nicht mehr laufen kann – aber er bringt einen trotzdem um.« Monsieur Beltoire erhob sich. »Wenn Sie Jimi Kim sehen, dann grüßen Sie ihn von mir. Er war damals die Nummer zwei bei den Koreanern und stand eigentlich auch noch auf meiner Liste, wenn meine Verhaftung nicht dazwischen gekommen wäre … Sagen Sie ihm: Tom Beltoire kriegt ihn jetzt doch noch – mit einer Aussage vor Gericht!« Monsieur Beltoire lachte rau.
Revlain gab erst François und dann mir noch einmal die Hand.
»Sie haben gesehen, dass mein Mandant zu Ihrem Fall substantiell nichts beitragen kann«, erklärte er. »Ich gehe daher davon aus, dass dies das letzte Gespräch Ihrerseits mit ihm im Rahmen Ihrer Ermittlungen ist und wir uns nicht wiedersehen.«
»Man sollte niemals nie sagen«, gab ich zurück.
13
Im Anschluss an das Gespräch ließen wir uns noch von der Gefängnisleitung die Besucherlisten für Tom Beltoire zeigen. Es gab darauf – abgesehen von seinem Anwalt – nur einen einzigen Namen: Marie-Charlotte Beltoire.
»Sie kommt ihn regelmäßig besuchen«, berichtete uns Alexandre Borne, einer der stellvertretenden Leiter des Gefängnisses.
»Ich sehe, dass auch sein Anwalt, Monsieur Revlain, regelmäßig auf der Liste erscheint«, stellte François fest. »Bereitet Beltoire irgendein Wiederaufnahmeverfahren oder dergleichen vor, oder welchen Grund könnte das haben?«
Borne schüttelte den Kopf.
»Jedenfalls nicht, dass ich davon wüsste. Das wäre in seinem Fall wohl auch ziemlich aussichtslos, würde ich sagen.«
»Gibt es Mitgefangene, denen er vielleicht über seine früheren Kontakte zu Armand Lafontaine etwas gesagt haben könnte?«, hakte ich nach.
Borne schüttelte abermals den Kopf.
»Jedenfalls nicht seit ich hier bin – also in den letzten fünf Jahren. Beltoire ist ein sehr schwieriger Gefangener. Sie haben gesehen, welche Vorsichtsmaßnahmen nötig waren. Er ist vollkommen unberechenbar und neigt zu unkontrollierten Wutausbrüchen. Vielleicht gefällt er sich auch nur in der Rolle des Monsters, wer weiß. Unser Psychologe hat eine Persönlichkeitsstörung diagnostiziert, die sich im Verlauf der letzten Jahre verstärkt hat. Aggressionen wechseln mit depressiven Phasen ab … Kurz und gut: Den Kerl konnte man nur einzeln unterbringen.«
»Dann machen Sie uns trotzdem eine Liste der Zellengenossen, die er in der Zeit davor hatte«, schlug François vor.
»In Ordnung.«
Nachdem wir wieder im Sportwagen saßen und bereits das Gelände des Gefängnisses verlassen hatten, telefonierte François per Handy mit dem Büro. Maxime Valois war am Apparat. Über die Freisprechanlage konnten wir beide mithören.
»Wir brauchen alles, was es über einen Anwalt namens Fernand Revlain gibt. Er vertritt Beltoire und wir möchten gerne wissen, wen noch.«
»Kein Problem, François«, gab Maxime zurück.
14
Jimi Kim stand auf der Terrasse seiner Villa in Marseille La Villette. Er rief ein scharfes Kommando in koreanischer Sprache.
Zwei Dobermänner, die sich bis dahin auf dem englisch kurz geschnittenen Rasen um einen Golfball gebalgt hatten, kehrten hechelnd zu ihrem Herrn zurück. Sie setzten sich einen Meter vor Jimi Kims Fußspitzen und blickten ihn aufmerksam an. Jimi Kim trat auf sie zu und kraulte die Hunde am Nacken.
»Leider sind diese Dobermänner so ziemlich die einzigen in unserer Familie, die noch koreanisch verstehen«, meinte er.
»Das ist der Lauf der Dinge, Monsieur Kim«, sagte der Mann um die fünfzig, dessen Anzug nicht nur schlecht saß, sondern auch fleckig und abgenutzt wirkte. Die Krawatte hing ihm wie ein Strick um den Hals. Seine Nase war rot, und er roch nach Alkohol.
Jimi Kim schickte die Hunde mit einem weiteren Befehl wieder auf die Wiese.
»Meine Großmutter kam als junge Frau in den Fünfzigern nach Marseille – kurz nach dem Korea-Krieg. Sie war schwanger. Meinen Großvater hatte die Kommunisten in einem ihrer Umerziehungslager zu Tode gequält, und jetzt musste sie hier ein neues Leben anfangen. Sie begann als Näherin – unter Bedingungen, die Franzosen wie Sie schon damals als Sklaverei bezeichnet hätten! Es war ein langer Weg nach oben, Monsieur Montaigne. Das können Sie mir glauben.« Jimi Kim drehte sich zu Montaigne um. Sie waren beide etwa fünfzig. Aber da Kim jede graue Strähne sofort färben ließ, wirkten die beiden Männer, als ob eine Generation zwischen ihnen liegen würde.
Montaignes Haare waren so grau wie seine Haut. Er wirkte ziemlich heruntergekommen.
»Ich danke Ihnen, dass Sie meiner Einladung gefolgt sind, Monsieur Montaigne.«
Montaigne lachte auf.
»Einladung?«, höhnte er. »Sie sind gut! Ich komme morgens nach durchzechter Nacht nach Hause, und da warteten Ihre Gorillas schon auf mich und steckten mich kopfüber in eine Limousine! Eine Einladung nenne ich was anders.«
»Die Begleitumstände, unter denen meine Leute Ihnen begegneten, mögen etwas unerfreulich gewesen sein, Monsieur Montaigne …«
»Das ist aber sehr nett ausgedrückt!«
»… aber das hat auch etwas damit zu tun, dass Sie nicht so recht ansprechbar waren.«
»Ich hatte getrunken – aber noch ist das erlaubt, auch wenn ich befürchte, dass es irgendwann so kommen wird wie beim Rauchen und man sich in irgendeine Ecke zurückziehen muss, nur um ein Bier zu trinken.« Montaigne gähnte.
Er hatte in einem von Jimi Kims luxuriös ausgestatteten Gästezimmern seinen Rausch ausgeschlafen. Auf die Möglichkeit, eine Dusche zu nehmen, hatte er allerdings verzichtet. Er wollte wissen, was der Nachfolger des gtoßen Drogenbarons Lee Kim von ihm wollte.
»Es war übrigens gar nicht so einfach, Sie aufzuspüren«, gestand Jimi Kim. »Mir scheint, Sie haben sich aus dem Geschäft zurückgezogen.«
»Das ist richtig.«
Jimi Kim hob die Augenbrauen.
»Sie waren mal ein Passfälscher mit einem legendären Ruf!«
Montaigne lachte heiser.
»Ja«, bestätigte er. »Ich war ganz gut im Geschäft. Aber die technische Entwicklung ist über mich hinweggegangen. Ich habe da irgendwie den Anschluss verpasst. Aber ich denke nicht, dass Sie mich haben kidnappen lassen, um mit mir über alte Zeiten zu plaudern.«
»Kidnappen – was für ein hässliches Wort, Monsieur Montaigne. Sie können gehen, wann immer Sie wollen. Aber ich dachte, es wäre Ihnen angenehmer, wenn mein Fahrer Sie nach Hause bringt. Und da Ihre finanzielle Situation im Moment nicht gerade die Beste ist, dachte ich, Sie wären vielleicht daran interessiert, etwas dazuzuverdienen.«
Montaigne wirkte sofort etwas wacher und aufmerksamer.
»Was muss ich dafür tun? Wenn Sie eine Fälscher-Arbeit von mir haben wollen, kann ich Sie nur warnen. Die Qualität wäre miserabel. Ich bekomme noch nicht einmal mehr einen dieser modernen Führerscheine richtig hin.«
»Keine Sorge, ich will Informationen von Ihnen.«
»Alte Freunde verrate ich nicht.«
»Sie sollen niemanden verraten, und soweit ich weiß, war der Mann, um den es geht, auch nicht gerade Ihr Freund.« Jimi Kim deutete auf die Sitzecke. »Nehmen Sie Platz! Wir besprechen das in aller Ruhe.«
Montaigne zögerte.
Ein drahtiger Leibwächter in dunklem Rollkragenpullover und einer Automatik im Schulterholster rückte Montaigne einen Stuhl zurecht.
»In Ordnung«, sagte Montaigne, setzte sich und schlug die Beine übereinander.
»Entschuldigen Sie, wenn ich Ihnen erst etwas zu trinken anbiete, wenn unser Gespräch beendet ist«, sagte Jimi Kim mit einem maskenhaften Gesicht, das vollkommen regungslos blieb.
Er schnippte mit Daumen und Zeigefinger der rechten Hand. Der Leibwächter verneigte sich, verschwand für kurze Zeit im Haus und kam einen Augenblick später mit einer Zeitung wieder, die er vor Montaigne auf den Tisch legte.
MAFIA-BOSS IM ÉTANG DE BERRE!, stand dort in großen Lettern und etwas kleiner darunter: Die von Archäologen entdeckte Leiche im Étang de Berre wurde identifiziert.
»Ich weiß nicht, ob Sie das bei Ihrem Alkoholpegel überhaupt mitbekommen haben – aber unser gemeinsamer Feind Grand-Armand Lafontaine ist aus der Versenkung gestiegen – und darüber sollten wir uns vielleicht mal unterhalten.«
Montaigne war blass geworden. Er starrte auf die Schlagzeile und eine tiefe Furche erschien dabei mitten auf seiner Stirn, während er angestrengt zu lesen begann.
15
Jacques Briand bewohnte zwei Traumetagen in Malmousque mit zusammen mehr als vierhundert Quadratmetern. Gleichgültig, ob er Eigentümer oder Mieter war – diese Wohnung musste ein Vermögen verschlingen.
Der Sicherheitsstandard war so hoch, wie man ihn sich in allen Regierungsgebäuden gewünscht hätte. Es gab eine lückenlose Kamera-Überwachung aller nicht-privaten Räume und einen zahlenmäßig sehr gut besetzten Sicherheitsdienst, der überall im Haus ständig Präsenz zeigte.
Jacques Briand empfing uns in seinem Wohnzimmer. Von der Fensterfront aus hatte man einen traumhaften Blick auf das Meer und den davor liegenden kleinen Strand.
Briand war 45, dunkelhaarig und schlank. Sein maßgeschneiderter Anzug hatte mehr gekostet, als ein Polizist in zwei Monaten verdiente. Am Handgelenk glitzerte eine Rolex.
Unseren Informationen nach hatte Briand vor zehn Jahren nach Grand-Armand Lafontaines Verschwinden die Nachfolge seines Onkels angetreten. Anscheinend gingen die Geschäfte nicht schlecht.
Wir stellten uns kurz vor und zeigten Briand unsere Dienstausweise, aber daran war er nur mäßig interessiert.
»Ich nehme an, Sie sind wegen des Leichenfundes im Étang de Berre hier«, sagte er. »Wie üblich gibt es undichte Stellen im Polizeiapparat, die dafür sorgen, dass das Ganze in der Presse breitgetreten wird.«
»Sie sagen das, als ob diese Leiche Sie gar nichts anginge«, gab ich meiner Verwunderung Ausdruck.
Jacques Briand zuckte mit den Schultern.
»Ich persönlich bin noch lange nicht überzeugt davon, dass es sich bei den Knochen, die dort gefunden wurden, tatsächlich um die sterblichen Überreste meines Onkels handelt. Aber da wird sich die Wahrheit sicher am Ende zweifelsfrei herausstellen.«
»In diesem Punkt gibt es keine Zweifel mehr«, korrigierte ich ihn. »Die Seriennummer des Hüftgelenks ist eindeutig Ihrem Onkel zuzuordnen. Das einzige, worüber es jetzt noch Spekulationen geben kann, ist die Frage, wie und von wem Armand Lafontaine getötet wurde.«
»Eigentlich müsste es doch auch in Ihrem Interesse liegen, den Fall aufzuklären und mit uns zusammenzuarbeiten«, warf François ein.
Briand atmete tief durch.
»Ich mache Ihnen persönlich keine Vorwürfe, Monsieur Marquanteur, weil ich nicht weiß, ob Sie selbst überhaupt etwas damit zu tun hatten. Aber es ist doch so: Jahrelang hat die Justiz meinen Onkel wegen seiner völlig legalen Geschäfte grundlos verfolgt. Ihm wurden Vorwürfe gemacht, die sich vor Gericht jedes Mal als nicht haltbar erwiesen …«
»… weil Zeugen plötzlich Angst bekamen und es sich anders überlegt haben«, warf François ein.
»Sie unterstellen, dass Onkel Armand die Justiz beeinflusst hat – aber haben Sie schon mal in Betracht gezogen, dass hinter diesen Machenschaften vielleicht Leute steckten, die Onkel Armand einfach nur geschäftlich ins Abseits drängen wollten?«
»Es geht hier nicht um die Fehler der Justiz«, wandte ich ein. »Die konnte Monsieur Lafontaine leider lange Zeit nichts nachweisen, aber …«
»Und deshalb hat man dann in den Steuersachen herumgewühlt. Seien Sie doch mal ehrlich: Können Sie dafür garantieren, dass alle Ihre Angaben richtig waren? Ich bin sicher, es gibt niemanden, in dessen Steuerklärung man nicht irgendein Haar finden könnte. Das grenzt doch alles an Schikane, und am Schluss glaubt man dann bereitwillig der Aussage eines Lohnkillers, der nichts mehr zu verlieren hat und wahrscheinlich um irgendwelcher Vorteile willen einen Eid auf alles Mögliche ablegen würde!«
»Also erst mal ging es der Steuerfahndung nicht um irgendwelche Kleinigkeiten, sondern um Geldwäsche – und die gehört zum organisierten Verbrechen«, entgegnete ich ihm. »Wir verfolgen die Schuldigen am Tod Ihres Onkels so wie jeden anderen Verbrecher, aber wenn Sie uns dabei helfen wollen, dann geht das nur mit einem Mindestmaß an Aufrichtigkeit. Sie schaden Ihrem Onkel Armand nicht mehr damit, wenn Sie zugeben, dass er alles andere als ein Engel war.«
»Tatsache ist, dass er damals in die Enge getrieben wurde, so dass ihm keine andere Möglichkeit mehr blieb, als ins Ausland zu flüchten.«
»Wo er offenbar nie ankam!«, unterbrach François.
»Ja, weil ihn wohl einer seiner Feinde zuerst erwischte.«
»Sprechen wir über die Feinde, die Ihr Onkel damals hatte!«, forderte ich. »Wenn Sie darüber etwas wissen, dann ist jetzt der Zeitpunkt, um es uns zu sagen.«
»Nur noch eins: Es konnte nie wirklich nachgewiesen werden, dass dieser Killer tatsächlich in Onkel Armands Auftrag handelte, als er Lee Kim umbrachte.«
»Jedenfalls wird Armand Lafontaine deswegen jetzt wohl niemand mehr vor Gericht stellen«, wich ich aus.
»Es konnte noch nicht einmal schlüssig bewiesen werden, dass dieser Monsieur Beltoire tatsächlich der Killer war, der Lee Kim ermordete. Ich habe mir die Akten damals wieder und wieder angesehen. Die materiellen Beweise waren höchst dürftig. Und wenn es dieses Geständnis nicht gegeben hätte, wäre vielleicht damals in eine andere Richtung ermittelt worden.«
Ich sah es als nicht besonders ergiebig an, mit Jacques Briand weiter darüber zu diskutieren, ob es nun tatsächlich einen Mordauftrag an Beltoire gegeben hatte oder nicht.
Die Heftigkeit, mit der er seinen Onkel verteidigte, wunderte mich allerdings. Sie schien mir nicht ganz verhältnismäßig zu sein.
»Sie sprachen von den Feinden Ihres Onkels.«
»Wenn er damals ermordet wurde, kommt in erster Linie Jimi Kim dafür infrage. Ich meine, nach dem, was die Polizei für einen Zinnober veranstaltet hatten, musste der doch glauben, dass Onkel Armand tatsächlich für den Tod seines Vaters verantwortlich war. Außerdem konnte er sich so unter seinen eigenen Leuten Respekt verschaffen.«
»Andererseits hat Ihr Onkel doch wahrscheinlich alles getan, um nicht gefunden zu werden«, wandte ich ein. »Gab es Verräter unter seinen Leuten, die ihn vielleicht an Kim verraten haben?«
»Da kann man nie sicher sein, Monsieur Marquanteur. Das wissen Sie doch auch …«
»Was ist mit seinem näheren Umkreis?«, fragte ich. »Seine Frau zum Beispiel?«
»Tante Ava? Wollen Sie diese herzensgute Frau wirklich des Mordes verdächtigen? Sie sind verrückt!«
»Eigentlich wüsste ich nur gerne, wo sie geblieben ist, Monsieur Briand. Unseren bisherigen Informationen nach ist sie ihrem Mann ins Ausland gefolgt.«
Briand nickte. Er ging zum Fenster, blickte hinaus und verschränkte die Arme vor der Brust. Dann drehte er sich abrupt um.
»Sehen Sie, ich hatte zu beiden ein sehr enges Verhältnis. Meine eigene Mutter starb bei einem Verkehrsunfall, als ich dreizehn war, und Tante Ava war für mich zeitweise so etwas wie ein Ersatz.«
»Dann haben Sie Kontakt zu ihr gehalten?«, hakte ich nach.
Er machte eine ruckartige Bewegung. Sein Blick fixierte mich.
»Nein, natürlich nicht. Genauso wenig wie zu Onkel Armand. Ich meine, bis vor Kurzem ging ich ja davon aus, dass beide irgendwo ein glückliches Leben führen.«
»In Marokko.«
»Ich sehe, Sie sind gut informiert, Monsieur Marquanteur.« Er fuhr sich mit der Hand über das Gesicht. Sein Blick zeigte jetzt einen Ausdruck von Trauer. Eine Furche bildete sich mitten auf der Stirn. Er presste die Lippen zusammen. »Wenn ich gerade etwas unwirsch zu Ihnen war, dann liegt das daran, dass ich im Grunde nicht wahrhaben will, dass diese beiden Menschen tot sind, die für mich so viel bedeutet haben.«
»Die beiden?«, echote ich.
»Nachdem Onkel Armand eindeutig identifiziert wurde, muss ich doch jetzt annehmen, dass auch Tante Ava ihren Zufluchtsort in Marokko nie erreicht hat. Oder klingt das abwegig?«
»Leider nicht«, gab ich zu.
»Onkel Armand führte die Geschäfte unserer Familie in einer anderen Zeit und mit anderen Methoden«, gab er schließlich zu.
»Sie meinen: verbrecherische Methoden?«
»Sagen wir – mit harten Bandagen. Wir haben damals auch deswegen ausgemacht, dass der Kontakt zwischen uns völlig abgebrochen wird, um die beiden zu schützen. Vor dem Zugriff der Justiz waren sie in Marokko sicher – aber nicht davor, dass jemand sie verfolgt, um eine alte Rechnung zu begleichen.«
»Womit wir wieder bei den Kims wären!«
»Richtig. Nehmen Sie Jimi Kim und seine Sippe am besten sehr genau unter die Lupe! Allerdings …«
»Ja?«
»Mir fällt da noch eine andere Sache ein, da wir gerade von Onkel Armands Feinde sprechen. Er war damals ja ziemlich in Bedrängnis und brauchte eine gefälschte Identität, um das Land verlassen zu können. Dies ist doch kein offizielles Verhör oder?«
»Es verlangt niemand von Ihnen, dass Sie sich selbst belasten«, erwiderte ich.
»Gut, was ich nun sage, werde ich vor keinem Gericht wiederholen und sofort abstreiten, wenn es diese vier Wände verlässt.« Er trat auf mich zu, zögerte noch einen Augenblick und sagte dann: »Ich bin bislang nicht einmal vorbestraft und möchte, dass es so bleibt!«
»Reden Sie schon! Wir suchen einen Mörder.«
»Ich bekam den Auftrag, den besten Mann dafür zu engagieren. Außerdem musste es jemand sein, der keinen Kontakt zu den Kims hatte, und da die ihre Finger in fast jedem Geschäft haben, war das schwierig. Ich sprach einen gewissen Marc Montaigne an. Aber der wollte nicht für uns arbeiten. Die Sache war ihm zu heiß.«
»Was haben Sie getan?«
»Nichts weiter als ein persönliches Treffen zwischen den beiden zu arrangieren. Ich war nicht dabei, aber anschließend war Monsieur Montaigne plötzlich sehr kooperativ.«
Ich hob die Augenbrauen.
»Sie meinen, Armand Lafontaine hat diesen Monsieur Montaigne irgendwie unter Druck gesetzt?«
»Grand-Armand war der bestinformierte Mann Marseilles, Monsieur Marquanteur. Der hatte Quellen, von denen Sie nicht einmal etwas ahnen. Ich nehme also an, dass er etwas gefunden hat, mit dem er Monsieur Montaigne erpressen konnte. Was das war, weiß ich nicht. Aber es muss wichtig genug gewesen sein, um einem Mann zu helfen, der von der Justiz gejagt wurde, und es wäre dann doch logisch, wenn er Onkel Armand aus dem Weg geräumt hätte, um zu verhindern, dass er selbst in den Fokus der Ermittlungen gerät.«
Ich wechselte einen kurzen Blick mit François. Irgendetwas brannte ihm noch auf der Seele, das konnte ich ihm ansehen.
»Wo finden wir diesen Monsieur Montaigne?«, fragte ich an Briand gerichtet.
»Das Letzte, was ich von ihm gehört habe, ist, dass er sein Geld in eine Diamantenmine in Südafrika investiert hat und auch dorthin gezogen ist. Aber das ist Jahre her.« Er zuckte mit den Schultern. »Mehr kann ich leider nicht für Sie tun, aber ich wäre Ihnen sehr dankbar, wenn Sie mich über den Fortgang Ihrer Ermittlungen auf dem Laufenden halten würden.«
»Das werden wir ganz sicher«, erwiderte ich.
»Eine Frage noch«, mischte sich François ein. »An Ihrer Hand sehe ich einen Ehering. Ist Ihre Frau zufällig gerade zu Hause?«
»Sie hat mit der Sache nichts zu tun.«
»Seit wann sind Sie verheiratet?«
»Seit zwölf Jahren.«
»Dann nehme ich an, dass Sie mit Armand und Ava Briand auch bekannt waren, wenn Sie sich so nahe standen. Damit ist Ihre Frau eine Zeugin.«
Jacques Briands Gesicht veränderte sich. Es wurde dunkelrot. Offenbar hatte François einen Nerv getroffen.
»Wir leben seit einem Jahr getrennt. Ich kann Ihnen die Marseiller Adresse aufschreiben, aber Sie werden meine Frau dort kaum antreffen. Dreiviertel des Jahres verbringt sie an der Côte d’Azur in Nizza und Monte Carlo und gibt dort mein sauer verdientes Geld aus.«
16
Wir kehrten zur Dienststelle zurück und trafen uns mit Maxime Valois, der inzwischen alles zusammengetragen hatte, was es über Fernand Revlain und die Anwaltskanzlei herauszufinden gab, der er angehörte.
»Ich habe nach Verfahren gesucht, an denen diese Kanzlei in den letzten zehn Jahren beteiligt war«, berichtete Maxime. »Jedenfalls ist Revlain keiner dieser typischen Mafia-Anwälte. Die Strafverfahren, in denen er die Vertretung übernommen hat, hatten kaum Berührungspunkte mit der organisierten Kriminalität. Bis auf einen Fall.«
»Worum ging es da?«