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Eden Woldu nimmt mit Anfang vierzig Pandemie und Lockdown zum Anlass, um sich, ihr Leben, ihre Rollen als Mutter und Ehefrau und ihren Alltag zu hinterfragen. Dabei entdeckt sie nicht nur eine eigene Sprache, sondern auch ein neues Selbst.
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Seitenzahl: 52
Veröffentlichungsjahr: 2022
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Eden Woldu wird 1977 in Eritrea geboren und wächst im schwäbischen Schwenningen auf. Mit zwanzig bekommt sie ihr erstes von drei Kindern und zieht nach Stuttgart. Seit 2013 lebt und arbeitet Eden Woldu in Berlin.
Ein bisschen Spaß muss sein.
Roberto Blanco
Vor zwei Jahren habe ich einen Kurs in Kreatives Schreiben an der Volkshochschule begonnen. Ich habe schon immer gerne geschrieben und ich dachte, das wäre mal ein Anfang. Es war das Ende. Schnell wurde mir klar, dass ich nie schreiben werde, wenn mir Kreativität erst beigebracht werden musste. Ich gab auf und beschloss, nie wieder in meinem Leben nur eine einzige Zeile zu schreiben.
Freitagabend. Ich sitze vor meinem Gemüsecurry mit Reis und einem Glas Rotwein, bio, aus der Pfalz. Ich starre den blinkenden Cursor links oben auf der weißen Seite in meinem Laptop an. Zum ersten mal seit zwei Jahren versuche ich, wieder zu schreiben. So wie früher einmal. So wie vor dem Volkshochschulkurs Kreatives Schreiben. Er ist wie ein Fluch, der mich seither begleitet. Kreativität kann nunmal nicht erlernt werden. Das ist der Fluch. Ich klappe wie so oft resigniert den Laptop zu. Ich denke zu viel, beim Schreiben-wollen. Beim Schreiben-wollen? Will ich das denn? Schreiben! Klingt cooler, als es tatsächlich ist. Beim Schreiben-dürfen? Beim Schreiben-müssen? Bullshit! Diese romantisierte Vorstellung von Hermann Hesse in seinem Garten in Montagnola: er mit Hut und Pfeife bei herrlichem Sonnenschein, auf dem Tisch eine Vase mit frischen Blumen aus dem Garten und eine alte Schreibmaschine. Natürlich sprudelte es nur so aus ihm heraus. Quatsch! Ich scheiß auf Hesse. Ich feiere mich und meine zögerlichen kleinen Schritte.
Meine neue Strategie: ein fünfzehn Minuten Timer. Ich will den Fluch loswerden. Also schreibe ich jeden Tag. Jeden Tag fünfzehn Minuten. So, jetzt könnte es langsam mal klingeln. Wie lange fünfzehn Minuten sind, weißt du erst, wenn du nichts zu sagen und noch weniger zu schreiben hast.
Heute ist es sehr heiß. Das Thermometer zeigt 32 Grad an. Ich muss noch fünfzehn Minuten schreiben. Schwitzend und genervt wundere ich mich, was das Ganze bringen soll. Warum mache ich mir so einen Druck? Sollte schreiben nicht spontan passieren, ohne Druck, vielleicht sogar mitten in der Nacht, weil mir gerade ein geniales Ende für meine Geschichte eingefallen ist? Das ist nur eine weitere Ausrede, um mir die Mühe nicht machen zu müssen, denn schreiben ist Mühe. Eine schöne Mühe. Aber Mühe, denn das Wollen setze ich voraus, anders geht es erst recht nicht. Diese romantische Vorstellung von der ich jahrelang ausgegangen bin, Leichtigkeit, Garten, Strohhut, Schreibmaschine, Hesse, dem ist nicht mehr so. Spätestens seit mein fünfzehn Minuten Timer läuft, weiß ich, dass Vorstellung und Realität oft auseinanderdriften. Herrgott, jetzt klingel endlich. Erlösung.
Beobachtungen am Sonntag bei Regen: Ich stehe am Fenster. Ein junger Hundebesitzer geht mit seinen zwei Hunden Gassi. Die Hunde müssen gleichzeitig kacken. Gleichzeitig kacken! Das ist witzig. Gleichzeitig kacken bedeutet Stress für den jungen Mann. Er wirkt müde und genervt. Regen, Sonntagmittag, grau, und dann so ne Scheiße. Zwei Hunde an der Leine halten, Kackbeutel aus der Hosentasche fischen, Finger befeuchten, denn die Kacktüte geht nicht von alleine auf und dann in einer sehr rückenunfreundlichen Haltung viele kleine Kackbällchen und Würstchen – hoffe für den jungen Mann, dass die Kacke fest ist – aufheben, während die beiden rastlosen Hunde unterschiedlicher Größe dringend weiter wollen. Ich frage mich, wer geht hier mit wem Gassi?
Ich mag keine Tiere, außer vielleicht Pferde. Oder Ziegen. Am wenigsten mag ich Hunde. In meiner Gegend leben viele Menschen mit Hund. Lange Zeit konnte ich nicht verstehen, warum Menschen Hunde halten. Sie sind schmutzig. Sie stinken. Sie pissen und kacken auf die Straße. Sie sind teuer. Sie können nicht mit in den Urlaub. Sie machen dir das Leben schwer. Warum also haben so viele Leute einen Hund? Vielleicht weil Menschen seltsam sind. Ihr Denken und ihr Verhalten ist gegen jede Logik und gegen jede Vernunft. Sie kämpfen die meiste Zeit ihres kurzen Lebens gegen sich selbst. Sie denken schlecht über andere, weil sie schlecht über sich selbst denken. Sie kaufen viele Dinge, die sie glücklich machen sollen, aber nach einiger Zeit machen genau diese Dinge sie wiederum unglücklich. Sie lieben Menschen nur, wenn sie von ihnen mindestens genauso viel geliebt werden. Sie können nicht schlafen, wenn ein anderer Mensch mehr von den Dingen hat, die sie nicht haben, aber haben wollen, obwohl sie wissen, dass sie diese Dinge nicht glücklich machen. Sie sind bemitleidenswert. Hunde sehen das nicht. Hunde interessiert das nicht. Sie sind immer an deiner Seite, ganz egal wie viele Kämpfe sie nun schon verloren haben oder noch verlieren werden. Ganz egal, wieviel sie besitzen oder nicht besitzen. Es ist ihnen egal, ob sie in Pakistan leben oder in Los Angeles, ob in Berlin oder in Belgrad. Sie begleiten den Menschen, stumm aber treu. Sie verurteilen dich nicht. Sie kritisieren nicht. Sie sind des Menschen bester Freund, wie es so schön heißt. Das macht doch keinen Spaß, oder? Will jeder Köter ungefragt der beste Freund des Menschen sein? Haben die Köter denn eine Wahl? Nein! Haben sie nicht. Da wird dir als Hund so eine seltsame und furchtbare Person zur Seite gestellt und verlangt von dir, ihr beste Freund zu sein.
Der Mensch ist schräg. Eigenartig. Ein Mysterium. Selbst die Menschen, die wir glauben zu kennen, wie Geschwister oder Eltern, sind nicht greifbar oder vielleicht gerade deshalb? Fremde Menschen sind mir teilweise näher als die, die es sein sollten. Warum? Warum sind mir Menschen fremd, die mir so nah sind? Macht Nähe fremd? Und Distanz nah? Ich weiß es nicht. Ich weiß nur, dass ich die meisten Menschen seltsam finde. Seltsam beschränkt, aber manchmal auch seltsam cool. Der Mensch ist oft grundlos neidisch. Er nimmt sich selbst zu wichtig. Er bezieht alles auf sich. Warum ist das so? Sind wir so geboren? So egoistisch? Oder werden wir so erzogen? Ich möchte darüber nicht mehr nachdenken, es ist einfach zu deprimierend. Der Mensch ist deprimierend. Ich wünsche mir das Klingeln des Timers, jetzt! Bitte! Klingel, du Nichtmensch. Du Maschine. Auch du bist deprimierend. Sind mir Maschinen lieber, oder doch Menschen? Momentan die Maschine. Auf sie kann ich mich verlassen. Nach exakt fünfzehn Minuten ist Schluss. Danke Maschine. Scheiß auf Menschen.