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Was ist Heimat? Ein Ort, ein Gefühl vielleicht? Oder sind es die Menschen, die man liebt? Die Reise beginnt. Als Hamish Wallice mit Glück den amerikanischen Bürgerkrieg überlebt, möchte er sich mit seiner Familie an einem abgeschiedenen Ort zur Ruhe setzen. Im Redwood Forest, abseits der Wege entdecken sie ein altes, mysteriöses Landhaus. Durch eine falsche Entscheidung entgleitet Hamish jedoch die Familie und seine Heimat bricht auseinander. Kann ein Durchschreiten der Hölle selbst den Bruch heilen oder wird der Graben zwischen den Fronten lediglich tiefer? Willkommen im Redwood County.
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Seitenzahl: 108
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Prolog: Statesville
Kapitel 1: Ein Haus im Wald
Kapitel 2: Hochzeit mit Hindernissen
Kapitel 3: Redwood
Kapitel 4: Wie das Land, so das Leben
Kapitel 5: Die Konsequenz des Lebens
Kapitel 6: Sag‘ mir, wo die Heimat ist
Epilog: Zehn Wagen westwärts
Schwer schlägt die Uhr der St. Mary’s Church. Der Schall der Glocke lässt die heiße Luft zittern. Schwaden des von den Pferden aufgewirbelten Staubes ziehen durch die engen Gassen von Statesville. Es ist der heißeste Sommer seit Jahren. Viele Arbeiter quälen sich durch die Straßen. Einige atmen nur durch ihr verschwitztes Hemd. Ein schwarzer Mann in einfachen Lumpen fegt mit einem Besen den Weg. Hin und wieder verliert er Büschel von Borsten, welche er sogleich in einer hastigen Bewegung aufliest und in einer seiner Hosentaschen vergräbt. Von der Hitze ermattet wischt er das Wasser aus seinem staubigen Gesicht und stützt sich auf den Besen. Die Sonne brennt mit unaufhörlicher Kraft auf die Häuser und Straßen. Keine Erlösung und kein Ende in Sicht. In einem Saloon in der Nähe drängen sich die Leute an der Bar. Sie versuchen ihren Durst zu stillen, wodurch es ab und an zu einer Drängelei kommt. Der schwarze Barkeeper steht entspannt hinter der Bar und schenkt ein Getränk nach dem anderen aus. An einem Tisch gegenüber vom Tresen sitzt ein alter Mann in einem Rollstuhl. Eine Frau hält seine Hand und tätschelt diese leicht. Der Mann zuckt kurz zusammen, als die Tür zum Saloon aufspringt. Ein Herr mit Zylinder betritt den Raum und orientiert sich kurz, ehe er zu den beiden an den Tisch tritt und sich setzt. Er schlägt die Beine übereinander und stützt seine Hände darauf. „Vater, die Kutsche ist bereit. Wir können jederzeit los.“ „Danke Jakob“, bemerkt die Frau freundlich. „Einen Moment noch Brunhilde - einen Moment“, betont er verschnaufend und mit kratziger Stimme fährt er fort: „Gut, wir können los.“ Jakob und Brunhilde erheben sich. Sie öffnet die Tür des Saloons, während er seinen Vater um den Tisch herum nach draußen schiebt. „Hamish!“ „Da ist er ja!“ „Wohl auf.“, begrüßen ihn einige Männer in Uniformen. „Danke, Danke. Genug der Freude“, besänftigt er sie. „Nein, wir freuen uns nur, dass du noch lebst.“ „Als Jakob uns erzählte, dass du überlebt hast - da sind wir sofort hergekommen, um unseren Hauptmann zu begleiten.“ Ein jea und ein hehey dringt aus der kleinen Menge. „Bitte, wenn ihr mich nicht so schnell gefunden hättet, würde ich nicht mehr leben“, beruhigt er. „Nur laufen kann ich nicht mehr ohne Bein.“ „Aber dafür hast du - und wir, wir haben gewonnen. Und ohne Bein - dafür sind wir doch jetzt da. Wir tragen dich einfach da hin, wo du hin möchtest“, bekräftigt einer. „Ja, dafür sind wir hier“, ruft ein anderer. Hamish überlegt und kommt zu dem Schluss: „Na dann helft mir mal hoch auf den Wagen, es ist sehr heiß und wir wollen los.“ Nach raunender Zustimmung heben zwei Männer Hamish aus dem Rollstuhl auf den Sitz des Kutschers. Jakob steigt ebenfalls auf den Wagen und setzt sich neben seinen Vater. Brunhilde und ein Leutnant besetzen einen zweiten Planwagen. Die anderen fünf Begleiter besteigen ihre Pferde und reiten den Wagen voraus. Hamish übergibt die Zügel an Jakob. Dieser schlägt damit kräftig und wiehernd ziehen zwei braune Pferde den Wagen an. Ruckartig federt der Sitz und holpernd rollen die Räder durch die sandigen Furchen der Straße. Hamish blickt sich um und bemerkt etwas in einer offenen Kiste, direkt hinter dem Sitz. Er zieht einen Strohhut aus der Kiste. Überrascht über das Erstaunen seines Vaters schaut Jakob ihn an. „Sieh einer an. Mein alter Strohhut“, sagt Hamish mit erhellter Stimme: „Den hab’ ich ja seit Jahren nicht mehr…“ Er unterbricht sich - setzt den Hut auf und streicht behutsam über die Krempe. „Erinnerst du dich Vater? Den hattest du auf der alten Ranch immer auf.“ „Ja. Deine Mutter war immer in Sorge, dass ich mir draußen auf dem Feld einen Sonnenschuss holen würde. Sie hatte mir diesen Hut gebracht.“ „Mutter erzählte immer, wie sie diesen wandernden Händler traf. Nichts hat sie von ihm gehalten. Einmal hat sie ihn sogar als Taugenichts beschimpft. Aber dieses eine Mal hatte er diesen Hut an seinem Wagen zu hängen. Er wollte ein Goldstück dafür, aber sie hat ihn mit zehn Kartoffeln abgespeist.“ „Na und ich habe Läuse von diesem Hut bekommen.“ „Ja, aber nur, weil ich ihn dem Hund aufsetzte.“ „Du Schelm. Deine Mutter hat mir die Haare abrasiert. Keine Minute habe ich es so in der Sonne ausgehalten.“ „Was man als Kind so macht.“ Hamish fängt an zu lachen. Kratzig knarzt der Ton über die rauen Stimmbänder. Ratternd fahren beide Wagen über das große Pflaster der Innenstadt. Zügig und eng lenkt Jakob die Pferde um eine Straßenecke, sodass das hintere Rad über den Bordstein schlägt. „Au. Das war aber hart“, keucht Hamish ehe er sich an den Nacken fasst. Jakob zieht kräftig an den Zügeln. Die Pferde bleiben stehen. „He, wartet mal“, ruft er den Reitern zu. Diese bleiben stehen und drehen sich um. „Was ist denn los“, ruft einer zurück. „Ich möchte nur eben etwas am Wagen prüfen“, antwortet Jakob. „Schaffst du das“, fragt Hamish. „Das - sollte gehen.“ Jakob steigt vom Wagen. Hamish beugt sich über den Rand des Sitzes und versucht etwas zu erkennen. „Und? Ist etwas“, „Bisher noch nichts.“ Jakob sieht sich die Hinterachse an. Dann die rechte Seite. „Nichts.“ „Das ist doch gut“, meint Hamish zu Jakob, der gerade wieder auf den Sitz steigt. „Es geht weiter“, ruft er. Mit einem kräftigen Schlag der Zügel setzen sich die Pferde in Bewegung und klappernd fährt der Wagen über das Pflaster. Hamish grübelt über etwas und beobachtet nebenbei die fremden Leute in ihren Gärten. Ein Mann spaltet dicke Holzscheite mit einer rostigen Axt entzwei, während seine Frau mit einer dickeren Dame auf einer Bank neben ihm sitzen und über das Ende der Unruhen tratschen und den Verlust ihres Sklaven betrauern. „Wie soll ich nur meine Kleidung reinigen und…“, hört Hamish bevor er sie nicht mehr versteht. „Fahr bloß etwas schneller Junge. Die Leute hier haben vielleicht Probleme.“ „Was meinst du genau“, fragt Jakob seinen Vater. „Die sind hier solche Snobs und trauern dem Verlust ihrer Sklaven hinterher.“ „Ein - Snob? Was ist das?“ „Oh - dieser Ausdruck ist relativ neu. In dem Buch The Book of Snobs von - ähm - Will - Thackeray - William Thackeray wird er beschrieben.“ „Ach dieser Verrückte.“ „Verrückt!? Du hast selbst einige seiner Werke gelesen. - Halt!!“ Jakob zieht die Zügel an. „Was ist denn? Wir stehen jetzt mitten auf der Kreuzung!“ „Hey, was ist denn los“, kommt von hinten gerufen. „Wir hätten hier rechts abbiegen müssen“, stellt Hamish fest. „Wir fahren eine weiter. Wir fahren die nächste Kreuzung rechts“, ruft Jakob nach vorne. „Also, dieser Verrückte…“ „Thackeray ist nicht verrückt Jakob. Er hat all diese Neureichen und jene die sich Adel nennen unter dem Begriff Sine Nobilitate, was soviel wie nicht adlig bedeutet, zusammengefasst. Diese Leute hier sind nicht mehr wert als die Sklaven die sie besaßen.“ „Diese Leute hier leben im Schutz der Stadt. Die hatten mit dem richtigen Leben noch nie wirklichen Kontakt. Warum interessiert es dich, was die denken oder tun. Die werden so unwissend wie sie lebten auch sterben.“ „Wie recht du doch hast. Ich müsste dieses Buch eigentlich immer noch haben. Wenn ich nur wüsste wo.“ Mit einem Seufzen wendet Hamish seinen Blick nach vorne. Die Straße der Stadt ist mittlerweile nur noch ein Feldweg. Auch die Häuser sind nicht mehr aus Stein und gleichen kleinen Hütten oder Bungalows. Oft grenzen kleine Felder an die Häuser. Einige weiße, aber hauptsächlich schwarze Menschen arbeiten und wohnen hier. Mehr und mehr Bäume säumen den Weg, bis Hamish und seine Truppe schließlich durch einen dicht bewachsenen, saftig grünen und roten Wald fahren. Hamish reibt sich die Hände. Die frische und feucht duftende Luft des Waldes ist kalt. Hamish zieht aus der Kiste, welche hinter ihm halb unter dem Sitz steht, ein Schaffell heraus und wirft es sich über die Schultern. Jakob blickt zu seinem Vater. „Wir werden heute Nacht hier im Redwood Forest rasten. In der Dunkelheit sollten wir nicht auf den Wegen sein.“ „Wieso nicht, hast du Angst?“ „Etwas, aber sieh dich doch an. Jetzt ist dir schon kalt und in der Nacht wird es noch kälter. Denke an den Vollmond.“ „Huh, des Nachts zu Vollmond verlieren bisweilen einige Menschen ihre Fassung und werden zu Monstern.“ „So hörte ich es.“ „Hach! Humbug. Märchen und Sagen sind das, damit die Kinder im Dunkeln ja drin bleiben. Ich bin zu alt für solche Kindergeschichten.“ „Wir machen Rast heute Nacht - auf einer Lichtung.“
Die Sonne steht tief über den Baumwipfeln. Dunkel ist der Wald und unheimlich noch dazu. Das Knacken eines Astes - das Heulen einer Eule - ein kalter Luftzug, der die Holzritzen der Planwägen zum heulen und pfeifen bringt. Alle gemeinsam erzeugen ein mulmiges Gefühl. Eine Angst, die nicht unbegründet ist. Auf einer kleinen Lichtung abseits des Weges sitzen Jakob, Hamish, Brunhilde und die sechs Kameraden um ein hell loderndes Feuer herum. Neben dem Feuer steht eine verzinkte Kanne mit Kaffee. Jakob hält noch einen letzten Bissen gepökeltes Fleisch in den Händen. Zwei der Kameraden schnitzen aus gefundenen Holzblöcken eine Art Skulptur, wobei bei einer weniger Konturen zu erkennen sind, als bei der anderen. Brunhilde hat sich auf eine Decke gelegt und beobachtet die tänzelnde Flamme des Feuers. Hamish murmelt leise, als wäre er in Trance. Beinahe kippt er vorne über aus seinem Rollstuhl, als er sich wieder fasst. „Wir hatten auf dem Weg nach Georgia doch dieses - Gedicht. Jeder von euch hatte einen Teil dazu gedichtet. Kennt ihr das noch?“ Zwei der sechs Kameraden sind bereits eingeschlafen. Die anderen vier sehen zu Hamish und überlegen. Einer der vier, ein hochgewachsener hagerer Mann mit aschblondem Haar, antwortet überlegend: „Meinst du dieses mit äh - So blau wie die See und so, was nie fertig geworden ist?“ „Na es fängt doch an mit der blauen Armee“, meint sein Nachbar, ein kräftig gebauter etwas kleinerer Mann. Einer der Eingeschlafenen ist durch das Gespräch aufgewacht und mischt sich ein: „Ja, ja so blau ist die Armee, So blau wie die See…“ „Ja genau“, fällt ihm der Hagere dazwischen: „…Zusammen gehen wir hinfort, bekämpfen Sklaverei und Tod.“ „Mord mein lieber, Mord“, meint Hamish: „Wollen wir es wagen - auf ein weiteres Mal?“ Zustimmung ist von seinen Kameraden zu vernehmen. „Aber es gibt doch nur drei Strophen, oder“, hakt der kräftig Gebaute nach. Auch dafür erhält er Zustimmung. Während das Feuer allmählich kleiner wird und man die Glut immer deutlicher sieht, setzen sich Hamish’s Kameraden auf, um ein im Krieg erdachtes Gedicht zu singen:
Ja, ja so blau ist die Armee,
So blau so wie die See.
Zusammen gehen wir hinfort
Bekämpfen Sklaverei und Mord.
So blau, so blau
So blau war ich noch nie
Und wenn ich so blau wäre
Wär’ ich nicht auf dem Feld.
Ja so grau ist die Armee,
Gegenüber der ich steh’
Ich nehme meine Waffe hoch
Und schieße meine Gegner tot.
„Ha ha!“ Hamish’s Augen leuchten vor Freude. Auch seine Kameraden lachen und schäkern über die alten Zeiten. „Schade, dass Lenny nicht mehr dabei ist, er hat mit seiner Trommel immer noch ein Solo gespielt. Das ging dann noch römpelrum und rompompom. Haha!“ Hamish ist sichtlich begeistert. Jakob ist begeistert und erstaunt, denn seit vielen Jahren hat er seinen Vater nicht mehr so froh gesehen.
Das Feuer ist erloschen und auch Hamish reibt sich an den Schultern. „Hach war das mal wieder schön - nach so langer Zeit. Aber es wird mir doch etwas kühl. Könnte mich einer ins Bett legen?“ „Würdest du…“ klopft der Hagere dem kräftig Gebauten auf die Schulter. Brunhilde hat bereits ein Bett unter ihrem Wagen hergerichtet und ist selbst schon zu Bett gegangen. Die anderen Kameraden schlafen auf ihren Ledermatten neben der Feuerstelle. Der Vollmond scheint hell über den Wipfeln der Bäume.