2037: Skizze zum 7. Oktober - N. Theodor Maria Flamme - E-Book

2037: Skizze zum 7. Oktober E-Book

N. Theodor Maria Flamme

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Beschreibung

Mut in Zeiten der Krise: Die unvergessliche Reise eines jungen Helden durch das dystopische Deutschland im Jahr 2037 Die Bundesrepublik Deutschland in 2037: Der 19-jährige Michael liebt das Leben und Steffi. Er reist mit älteren Freunden zum Loreley-Musikfestival. Die rechtsextremen autonomen 'Republiken' Bayern und Frankfurt überfallen das Fest. Michael ist mit Gewalt, Tod und Geiselnahme konfrontiert. Er ist langsam, unterlässt Hilfestellung, lügt und ist abhängig von Ermunterungen. Glücklicher meistert Michael seine Geiselhaft. Er freundet sich mit einem der Geiselnehmer an, differenziert zwischen Menschen und Hass erzeugenden Systemen. Er hört Radio und vergleicht rechtsextremes Frauen-Familienbild mit Fakten aus Bindungsforschung. Ihn beschäftigt die Notstandsgesetzgebung für den Fall: 34% AfD. Er verliebt sich fast in eine der Mitgefangenen. Er hilft und kämpft in zweiter Chance. Kaum hat er die Freunde wiedergefunden, wird er als Geisel getauscht und kommt frei. Er kehrt in seine kultiviert mittelständige Familie in die BRD zurück und stellt sich der Herausforderung, die von den Medien begehrteste Geisel zu sein. Gecoacht, setzt Michael sich mit Gerechtigkeit, Gesellschaftspolitik, Grundgesetz auseinander. Er fragt sich, warum sich alles zuspitzt, wie er seine Gefühle steuern kann und was er anpacken will. Er nutzt Helfer und Freundinnen. Er sucht politische Wege. Als medienverträglicher Prominenter hat er Chancen, in das Zentrum der politischen Macht zu kommen. Aber er hat Angst, wegen seiner Lüge. Als die BRD den Krieg erklärt, fragt er sich, was Krieg bedeutet; als drei Geiseln von der eigenen Armee erschossen werden, muss er Farbe bekennen, sagen, ob und wie er einen Krieg gerecht finden könnte. Trotz einer potentiellen Retraumatisierung stellt Michael sich der Aufgabe, in einer großen öffentlichen Massenveranstaltung eine Rede zu halten. Er will sich einer politischen Partei und Führungsperson anschließen. Welcher? Mit dem Zug, in den Steffi liebevoll zusteigt, fährt er in die münsterländische Stadt Warendorf, geht achtsam über die Promenade zur dortigen Hengstparade. Fasziniert von Bäumen, dem Himmel, Menschen und Pferden, findet er mit seiner Rede und einer Verabredung mit seinem politischen Ziehvater sein friedliches Finale. Schlussperspektivisch zeigt sich eine lösungsorientierende Metapher, ein neues deutsches Spiel.

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Der Roman:

Erzählt wird von realen Gegenwartskrisen verlagert in eine Zukunft. Die Bundesrepublik Deutschland in 2037: Der 19-jährige Michael liebt das Leben und Steffi. Er reist mit älteren Freunden zum Loreley-Musikfestival. Die rechtsextreme autonome ‚Republik Bayern‘ und die ‚Republik Frankfurt‘ überfallen das Fest. Michael ist mit Gewalt, Tod und Geiselnahme konfrontiert. Er ist langsam, unterlässt Hilfestellung, lügt, hängt von Ermunterungen ab.

Glücklicher meistert Michael seine Geiselhaft. Er freundet sich mit einem der Geiselnehmer an. Er hört Radio und vergleicht ein rechtsextremes Frauen-Familienbild mit Fakten aus der Bindungsforschung. Ihn beschäftigen die Notstandsgesetze für den Fall: 34% AfD. Er verliebt sich fast in eine der Mitgefangenen. Er hilft und kämpft in zweiter Chance und steht fest.

Befreit kehrt Michael in seine kultiviert mittelständige Familie in die BRD zurück und stellt sich der Herausforderung, die von den Medien begehrteste Geisel zu sein. Er setzt sich mit Gerechtigkeit, Gesellschaftspolitik, Grundgesetz auseinander. Er fragt sich, warum sich alles zuspitzt, wie er seine Gefühle steuern kann und was er anpacken will. Er nutzt Helfer und Freundinnen. Er sucht politische Wege. Als medienverträglicher Prominenter hat er Chancen, in das Zentrum der politischen Macht zu kommen. Dann erklärt die BRD den Krieg, und er fragt, was Krieg eigentlich bedeutet; als drei Geiseln von der eigenen Armee erschossen werden, muss er Farbe bekennen, sagen, ob überhaupt und wie er einen Krieg gerecht finden könnte.

Trotz einer potentiellen Retraumatisierung stellt Michael sich der Aufgabe, bei einer großen öffentlichen Massenveranstaltung eine Rede zu halten. Er will sich einer politischen Partei und Führungsperson anschließen. Welcher? Mit dem Zug, in den Steffi liebevoll zusteigt, fährt er in die münsterländische Stadt, geht achtsam über die Promenade zur Hengstparade in Warendorf. Fasziniert von Bäumen, dem Himmel, Menschen, Pferden findet er mit seiner Rede und einer Verabredung mit einem politischen Ziehvater sein friedliches Finale und ein neues Spiel.

Im Kern geht es darum: Wie können wir positiv leben in einer durch Polykrisen geprägten Zeit.

„Du hast viel geweint …

Du, Ich, Wir – Ihr.

Deutschland, mein Herz in Flammen,

will dich lieben und verdammen …

Ich will dich nie verlassen,

man kann dich lieben und will dich hassen:

Überheblich, überlegen

Übernehmen, übergeben

überraschen, überfallen ...

Deutschland,

dein Atem kalt

So jung und doch so alt….

übermächtig, überflüssig,

Übermenschen überdrüssig,

wer hoch steigt, der wird tief fallen.

Deutschland, Deutschland über allen? Deutschland, dein Herz in Flammen, will dich lieben … .“

RAMSTEIN 2019: Deutschland. YouToube (vom Autor zitiert, gekürzt, textlich gestaltet und verdreht im Sinn)

„Aber niemand ist so unrettbar verloren wie ein gescheiterter guter Junge. ... Er war von einem übersteigerten Pflichtgefühl getrieben, ... . Das Wüten ... erschien ihm nicht wie ein böser Streich der Natur, sondern wie ein großes, von ihm selbst verübtes Verbrechen, das ihm alles genommen und sein Leben zerstört hatte. Das Schuldgefühl ... mag absurd erscheinen, ist in Wirklichkeit aber unvermeidlich. Ein solcher Mensch ist verdammt. Nichts, was er tut, reicht an sein Ideal heran. Er glaubt nicht an seine Grenzen, denn da er mit einem strengen Gefühl für das moralisch Richtige beladen ist, das es ihm nicht erlaubt, sich ... abzufinden, kann er nicht ohne Schuldgefühle anerkennen, dass seiner Kraft Grenzen gesetzt sind.“

ROTH 2011: Nemesis. München: Hanser, 213.

Inhaltsverzeichnis:

ERSTER TEIL

Anfahrt

7. Oktober

Machtergreifung

ZWEITER TEIL

Frankfurt a. M. - Nacht 7./8.10

Fatim oder besser Tim

Radiohören 09.10. - 02.11

Geiseltausch 27.10

Die drei Geiseln

DRITTER TEIL

Herausforderungen

Krieg

15.11

VIERTER TEIL

Promenade

Hengstparade

Schlussperspektive

ERSTER TEIL

Anfahrt

Michael fuhr das rote Rad. In gleicher Farbe passten die Packtaschen auf dem Gepäckträger und dem Lowrider an der vorderen Gabel.

Er war ein roter Punkt. Und mit seinen Freunden bewegten sie sich am Rhein immer aufwärts, mal die grünen Uferpromenaden nutzend, auf Asphalt oder Schotter vorbei an Ulmen, Kastanien, häufiger Buchen, Obstbäumen und allerlei Gebüsch. Ginster konnte er erkennen. Ein anderes Mal schraubten sie sich hoch auf die Plateaus links und rechts an Deutschlands teilenden Strom, sich von ihm entfernend, ihn verlierend, die 18-gängige Schaltung bis ins kleinste Ritzel nutzend.

Den Fluss immer neben sich wissend waren die Freunde wenige Tage unterwegs; mit den Zelten, Schlafsäcken und Doppelkammermatratzen auf Campingplätzen duschend und warm Essen gehend. Michael gerade 19 und die anderen zwischen 21 und 27 waren fit. Sie zirkelten wie bunte Punkte im Grün der Alleen, Wälder, an Buchenhecken vorbei. Michael liebte die starken Weidenstämme sehr, die immer wieder gestutzt nie aufhörten in die Höhe zum Licht zu treiben.

Inzwischen radelten sie, durch die mit Weinstöcken belagerten bergigen Hänge, mal hoch und mal wieder hinunter, immer Hauptrichtung Süden, an dem grau-blau entgegengesetzt nach Norden zur See drängenden Strom entlang.

Michael mochte die erholsame Kühle, die von dem breiten, viel Wasser führenden alten Deutschen ausging. Der ‚Kluge‘ genannte Klaus hatte die Tour ausgearbeitet, die Karten auf dem Navi, und leider drehte er wieder in die Hänge, eine steile Biegung auf die nächste Höhe nutzend.

Wenn auch kleine Schweißperlen seine Stirn und die Hände zierten, der blaue Himmel, die weißen wenigen Zirren, die Helligkeit, das Grün, die durch die Landschaft geprägten Bauernhäuser, größere Liegenschaften, alles war wie geschaffen für ihn. Für den späten Sommer noch mit leichten Winden, kühler als er erwartet hatte, war ihm auf den nackten Mittelgebirgskämmen und doch jetzt gerade mit direkter Sonne, heiß.

Michael trank aus einer seiner Fahrradflaschen, schaltete nochmals zurück. Nur Esther blieb bei ihm. Sie fielen gegenüber den vorwegfahrenden Klaus, Peter und Wilbur still zurück.

Michael war kein Fighter. Auf einem Fahrradausflug mit Eltern und Geschwistern war er 15-jährig vor einer ansteigenden Kurve einfach abgestiegen, hatte sich ins Gras gesetzt und auf einen braunen Acker gestarrt, um sich von seinem schmerzenden Hintern abzulenken, um zwei Tränen rauszudrücken, und er trotzte der Anforderung. Er hielt halb durch, halb wusste er gar nicht, dass er eine halbe Stunde so Ruhe findend gesessen hatte, bis sein Vater kam und voller Sorgen fragte, was passiert sei, ob er gestürzt sei, die Familie hätte nach vorn drängend gar nicht bemerkt, dass er fehlte. Von Esther an ihn gerichtet:

„Guck mal. Halt mal.“

Die ‚Schöne‘ 21-jährige, mit sonst lockigen dunkelbraunen schulterlangen Haaren, die zusammengebunden für die Tour am Hinterkopf baumelten, schwang sich vom Rad, streckte ihre 1,75 m, den athletischen, weiblichen Körper, und blickte ihm in die Augen, lachte, und blickte wieder diesmal zum Gebäude, vor dem sie Halt machten:

„Cool. Was sind die anderen dumm, daran vorbeizufahren. Guck mal! .... Wowwwh.“

Sie tätschelte ihn an der Schulter, war vertraulich. Er kannte sie von der Schulband, wo sie gesungen hatte. Sie standen Schulter an Schulter und schauten.

Sie staunten über ein Schloss auf einem Felsen, freistehend, über eine schmale Brücke durch ein steinernes Torgebäude mit zwei Wachtürmchen erreichbar. Hinten überragte ein glattverputzter hoher Turm, mit oben rundum zinnenbewehrter Aussicht und Flaggenmast. Vorn zeigte sich ein Gebäude aus grobem Haustein, der Giebel gestaffelt wie große Treppenstufen führte zu einem kleinen Türmchen mit hellklingender kleiner Glocke, bereit jeden Alarm weit zu tragen und Mehrheiten gegen Feuer zu mobilisieren.

Erkerchen schmückten das mehrstöckige Herrenhaus, welches durch zwei- und im Giebel dreigliedrige hohe Rundfenster Lichtstrahlen einließ. Drinnen vermutete Michael hölzerne Facettendecken, wurzelgemaserte Wandtäfelungen und Parkettböden; auch Gemälde und feinstes Porzellan, Services oder Schreibschränke und Stühle Châteauneuf würde man finden. Sie sahen ein deutsches Ritterschloss mit Neben- und Gesindehäusern im anschließenden Wald auf alten Festen erneuert, nach mittelalterlichen Vorlagen neuzeitlich und romantisch idealistisch gebaut, so konnte Michael einer Tafel am Radweg vor der Burg entnehmen. Sprachlos fuhren beide nach einer Weile weiter.

Kurz vor dem 7. Oktober war Deutschland wie immer: Urlaub in deutschen Landen! Dort leben, wo andere Rückzugsräume finden und Urlaub genießen! Wie ein Paradies mit mildem Winter, dem Herzen öffnenden Frühling, dem immer noch milden Sommer - bis auf wenige hitzige Tage und dem warmen mit dicken Tropfen öfter prasselnden Regen - und mit dem sicher zu erwartenden ‚Indian Summer‘ mit seinen goldgelben Wäldern, manchmal noch mit leichtem Grün gesprenkelt. Und dann wurde im Oktober schon Weihnachten angekündigt; wie kurz nach Weihnachten oder doch erst nach dem Böllern schon für Ostern die reichliche Schokolade in Hasen verformt wird.

Als roter Punkt und Esther mehr blau fuhren die beiden entspannt durch Grün und Himmelblau. Die Erde trug sie auf und ab und auf. Der Wind kühlte ausreichend. Die Sonne wärmte ganz so wie es sein musste. Auch wenn Außerordentliches wie eine deutsche Ritterburg nicht mehr kam, die Häuser waren solide, boten den Bewohnern Schutz und Geborgenheit, und zeigten, wenn nicht hunderte so doch viele Jahre, von deutschem Können, Ideen, Stolz, Reichtum und Arbeit, die geleistet worden war.

Die anderen warteten chillig an der nächsten Abzweigung:

„Wart ihr poppen? Hee! Haa...Haa.“

„Nee.“

Esther verdrehte nur die Augen und grinste.

Am späten Nachmittag wurde Quartier bezogen. Sie fühlten sich gut, die Strecken von round about 40 Kilometern täglich waren nicht zu lang gewesen. An den Abenden hatten die jungen Erwachsenen auch über ernstere Themen gesprochen, Politik, Klima. Aber Michael interessierte sich nicht so, dass er eine Meinung äußern musste, auch wenn er verstand, dass die Entwicklungen der letzten Jahre in Bayern und Frankfurt sehr neu waren. Er war auf jeden Fall für die soziale Marktwirtschaft und gegen die ‚Freien‘ und die SGfFD. Seine Eltern erklärten, dass sie selbst links-liberal wählten und das christliche Parteien ein gutes Menschenbild haben.

Er ging früh ins Zelt. Bevor er einschlief, müde von Bewegung, frischer Luft und den vielen Eindrücken dachte er noch an Steffi. Sie wollte mit der Bahn auch zum Festival kommen und sich mit den Freunden am zweiten Tag dort treffen.

Der 6. Oktober war wie die Tage zuvor. Die Anfahrt der Punkte durch Grün, Himmelblau und Liegenschaften war nett. Die Ankunft auf dem Festivalgelände war unspektakulär, wenn auch hoch über dem Rhein, an steiler Klippe, wo die Schiffer eine felsige Kurve durchfahren müssen, wo der Sage nach die schöne blonde Loreley auf dem Felsen sitzend singt, sich zeigt und den Bootsführern den Kopf verdreht, so dass die mit ihren Lastschiffen die Felsen im und am Fluss rammen. Dixiklos standen in langen Reihen noch sehr sauber. Auf der Wiese fanden die Freunde Platz zusammen für ihre Zelte; so wie Michael hatte Esther ein kleines Zelt, die drei Jungmänner schliefen in einem Dreier zusammen. Geplant war für den kommenden Morgen zusammen am Gaskocher Kaffee zu kochen und mit Brot, Aufschnitt, Müsli und was sonst noch da war zu frühstücken.

Mit dem mitgebrachten Alk wollten sie erst eine Stunde vor der ersten Musikband vorbrennen.

Der über die Ohren hellblonde, überall behaarte Wilbur, ein untersetzter, stämmiger, geradezu muskulär bewaffneter

Schlagzeuger einer Metalband und weiter Mitglied der kleinen Combo, die jetzt den Fahrradausflug unternahm, war mit 27 Jahren der Älteste und kam am Nachmittag wie verabredet aufgeregt munter zum Treffpunkt.

Michael fühlte sich noch verschlafen vom mittäglichen Zeltaufenthalt, den er bevorzugt hatte, nachdem die Gruppe auf dem Festivalgelände angekommen, ihre Zelte aufgebaut und einen Bummel an den noch nicht zugänglichen Haupt- und Nebenbühnen hinter sich gebracht hatte. Er hatte sie bereits gesehen, die doppelhausgroßen überdachten Bühnen mit ihren Scheinwerfern, daneben die Videowand, auf dem die Stars sichtbar werden würden, die kleinwagengroßen Musikboxen am Rand der Bühne, wie die dahinter aufgetürmten Container für das Backoffice der Bands, der Techniker und Logistiker wie das weiter zurück liegende Terrain für Wohnwagen und Mobile-Homes des unvermeidlichen Trosses der Stars, ganze Kompanien von Maskenbildnern, Managern, Checkern, hilfreichen Mitläufern die notwendig waren, um die Show woke laufen zu lassen. There’s no business than showbusiness! Für Michael würde es sein erstes großes Konzerterlebnis mit tausenden Teilnehmern sein, er war von seinen Mitmusikern begeistert worden, mal die Großen zu sehen. Aber etwas fremdelte er noch vor dieser großen Welt. Er selbst war zweiter E-Gitarrist, würde gerne singen.

Der stämmige Wilbur vermeldete:

„Ich bin mal über die Absperrung und habe mit den Jungs schon gesprochen. Ich hab‘ was klar gemacht. Die haben sich ihre Bühne mal angeschaut. Ich habe gesagt ich spiele Schlagzeug und bin mit meiner Band da. Wenn die Stimmung passt, sollen wir vor der Zugabe, 5 Minuten als Überraschung auf die Bühne. Wir sollen 30 Minuten vorher ins back off kommen, dann hinter der Absperrung vor die Bühne und dort direkt rauf. Die Rowdies und Securities werden in ear informiert. Wir kriegen ihre Instrumente, improvisieren.“

„Super.“ „Wir werden berühmt.“ „HoHoooo!“ „Esther, deine Stimme wird sie alle kriegen.“ „Boogie-Woogie.

Wir rocken das Festival!“ riefen sie durcheinander.

Nur Michael dachte; soll ich das, will ich das?

Sie brannten vor, wie verabredet. Der Shot Wodka heizte in der Kehle und in den Bronchien, eine Dose Bier ließ Michael abkühlen. Die Vorgruppen am Vorabend des 7.10. waren mucker. Die Improvisation vor der Zugabe an der linken Nebenbühne war nicht gekonnt, aber die anschließenden Biere mit den Stars der Vorgruppen waren zahlreich genug, dass Michael irgendwann nachts geschafft in sein Zelt kroch und spät am Vormittag des 7. zum Frühstück gehen und dann ab 12:30 Uhr wieder zu den Stages wollte.

7. Oktober

Die Kälte und die Feuchte, die in der Nacht übergekommen war, verlor sich wieder am Morgen, wie das Grau, Schwarz, Braun, Dunkel anscheinend natürlich immer wieder neu dem Grün und Blau wich. Natur rekreiert allein.

Noch war es still, noch ganz anders wie in der Nacht, als es rumorte, als die Bässe lange wummerten und als die Bewohner der umliegenden bäuerlichen Landschaft verstört wurden. Bewohner waren dabei zahlenmäßig mehr die kleinen wilden Tiere als die Menschen, die bevorzugten in geschützten Lagen zu wohnen und nicht auf der Höhe der Loreley.

Der Himmel zeigte fast keine weiße Wolke. Der Dixiklobesucher fröstelte und legte sich wieder hin. Die bis Minus-Zwanzig-Grad-Kunstdaunen-Schlafsäcke ließen schlafen. Alles war gut.

Der Rhein floss, die Burgen Katz und Maus beäugten sich wie eh und je, Burg Rheinfels beherbergte noch das Hotel Rheinfels; das plante diplomatische internationale Konferenzen der Bundesrepublik Deutschland. Kein Schiffer kollidierte an Felsen bei St. Goar.

Nur der Schrei eines Graureihers schreckte früh - ohne echt Erwachen zu bewirken - die vermutlich tausenden Schläfer auf der wunderschönen Wiese. Erst im Laufe des Vormittags kam Leben in die Zelter. Es war offenbar eine muntere Truppe, bunt wie ununiformiert. Typen wie sie bei Festivals auftreten. Individuell. Schöne und Schönere. Männer, Frauen, auch vereinzelt 68er, wenn auch mehr jüngere und aller Länder Leute. Einzelne zeigten sich morgens in Schlafanzügen, Comicfiguren gleich. Später geschminkt, frisiert farbig, mit und ohne Halsbänder, puffärmeligen Jacken und Hosen, mit Jeans, mit Lederkleidung, im unifarbenen oder bedruckten T-Shirt, mit nacktem Oberkörper und teils stechenden Augen, Ohrringen und Ringen aller Art in der Haut, Brust, Nase, Ohren. Tattoos allerorten. Die Menschen waren fröhlich und ausgelassen.

Michael und seine Gruppe waren äußerlich schlicht und fühlten sich zusammen auch so wohl. Sie gingen gemeinsam 13:00 Uhr zu den Bühnen. Gestärkt vom Rührei aus dem Tetrapack, Kaffee und Weißbrot, war Michael skeptisch, als mit der ersten Band des Tages andere sich wie eine Woge bewegten, kreischten und Fremde die Freunde umarmten, weil die Bühnenband dazu animierte:

„Umarmt Eure Nachbarn. We are friends. Black and White, Indigene, People of Colour take your hands an sing ‚Yehhh ... Yehhh‘ ... .“

Trocken lachend, kichernd:

„Hey Leute, das ist mir zu viel am frühen Morgen! Ich bin raus.“ , distanzierte sich Michael.

Doch er ließ zu, was nicht abzuwehren war. Michael stand mit der Schönen, dem Stämmigen und Klaus beieinander. Klaus, um 180 groß, schlank, kräftig, mit gewelltem braunen Haar, Zähnen, die schon für sich allein lachten, war ‚Kluge‘, der Combo-Sprecher oder Band-Leader, Gitarrist und Sänger immer andere gewinnend. Peter ähnlich groß aber mit schmaleren, nach innen fallenden Schultern, blassen Lippen, runder kleiner Nickelbrille und vor allem in seinem Alter schon kurzen schütteren blondgrauen Haaren - er würde bald eine Glatze haben - zeigte sich einige Meter vor der Gruppe tanzend mit anderen. Er war lebenslustig, lieb zu Michael und anderen, offen, locker; und er genoss die Berührung, suchte selbst im wogenden Tanz Nähe. Küsste er dort eine Fremde?

„Das geht ja gut ab.“

„Esther, die Chance des Lebens. Such dir einen!“ rief Klaus.

Die Rhythmen, der Sound, die Stimmung der vielen Menschen, die Aufpeitscher und Melancholiker der Bands ließen alle beschwingt feiern.

Michael trank mit den anderen ein ‚Nachmittagsbier‘, als er bei den Getränkeausgaben ein wenig getrennt vom Hauptgeschehen Abstand vom musikalischen Getöse suchte.

Am Vorabend hatte sich großartig angefühlt dazuzugehören, mit seiner Band, hier auf dem geilsten Fest ‚wherever‘: Die Gitarre auf der vergötternden Videowand in der Nacht mit silbrigem Metall, rot und perlmutt, vergrößert, bewegt, geschaukelt - und der Kerl virtuos in den tragenden Melodien, dass war er, das war seins. Die ganzen coolen Leute. Die Freaks. Und wie die gejohlt hatten, als sie vor der Zugabe die Überraschung machten, die Band junge Talente fördernd sich überlegen zeigte und ganz zum Schluss ihren Klassiker als Zugabe brachte.

In Grün und Blau auf dem musikalischen Olymp, über dem Rhein auf der Höh‘.

Der Kerl hatte frivol bei seinem Solo die Zunge gestreckt, geschnalzt. Und unzählige Mädchen wie erwachsene Frauen kreischten, rissen sich die Blusen auf oder zogen sich die Pullis über die Köpfe.

Hätte Steffi das nur gesehen. Beide hätten bis über die Ohren gegrinst und gelacht. Sie wollte am Nachmittag des 7. Okt. um 17:00 Uhr kommen. Er sah innerlich ihre blauen Augen, ihr Lächeln mit den vollen Lippen, ihre Zähne, nahm sie einfach vorweg, hoffte und ahnte alles Gute, was ein junger Mann nicht genau wusste. Die Augen schließend wurde er ruhig, entspannt, glücklich. Steffi hatte gesagt, sie freue sich, dass er sie gefragt habe, ob sie mit in seinem Zelt schlafe; sie wolle aber ‚noch nicht mit ihm schlafen‘. Er war froh, dass sie ihn nicht bedrängte und alles seine Zeit zu haben schien.

„Laß uns zurück gehen!“ drängte Wilbur.

Ging Klaus mit Esther händchenhaltend nur so oder war da was?

Und Peter stimmte zu: „Yehhh....YYehhhh....Yehhh..“

Die Gruppe bewegte sich zurück zur Nebenbühne, wo für 15:00 Uhr ein Act angesagt war. Die Combo coverte ein Lied der auftretenden Band. Die kam dann 15:13.

- . Michael hörte zunächst ein schrilles Pfeifen von einer der Nebenbühnen. Dann flogen eine oder zwei Nebel- und Leuchtkerzen in den schon bunt bestrahlten Bühneninnenraum und etwas detonierte. Die Musiker fielen, einer blutete und alles, was da oben noch laufen oder kriechen konnte, suchte. Das war keine Bühnenshow.

Ohne Musik, nur von der Seite war noch eine kurze Weile ‚QueenCover‘ mit ‚We are the Champions...‘ und sonst noch ein Quietschen und Pfeifen zu hören. Die Zuschauer raunten, er hörte einzelne unverständliche Schreie. Die Combo rückte zusammen:

„Was ist los?“

„Weiß nicht.“

„Scheiße.“

Michael sah eine größere Drohne, die mit ihren Helikopterflügeln surrte und eine meterlange Rakete hielt? Und abfeuerte, so dass in den Containern einiges zusammenkrachte und Feuer fing. Sah er Gleitschirmflieger mit Lanzen, Raketen, Feuern; sah er Armbrustschützen von einem Hügel schießen?

Ein Mann neben ihm blutete und schrie fürchterlich, die Augen aufgerissen vor Schmerz und Panik.

Ihm wurde nur flau, schwindelig, er wollte sich setzen.

Wilbur brüllte:

„Wir gehen zu den Boxen links. Fasst Euch unter.

Haltet euch fest.“

Michael fasste sich wieder, sitzend an oder in die Box gelehnt. Er musste kurz bewusstlos geworden sein. Klaus meinte freundlich:

„Bleib ruhig Kleiner“.

Dass er mal so nah fast in einer Box liegen würde, hätte er nie gedacht. Auf dem Konzert, das jetzt vorbei war, hätte sie ihm das Trommelfell zerfetzt.